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1831 - 2006 - Berufsbildende Schulen Verden

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175 Jahre<br />

Berufsschulwesen im Landkreis <strong>Verden</strong><br />

<strong>1831</strong> - <strong>2006</strong><br />

von<br />

Dr. Joachim Woock<br />

im Auftrag der Gesamtkonferenz der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong><br />

1


Inhaltsverzeichnis Seite<br />

Vorwort 1<br />

Einleitung 2<br />

Kapitel 1: Die ersten zehn Jahre: <strong>1831</strong> bis 1841 3<br />

Einrichtung des gewerblichen Bildungswesens im ehemaligen 3<br />

Königreich Hannover<br />

Gründung der Gewerbeschule im Jahre <strong>1831</strong> 3<br />

Vorläufer der Volksschulen 5<br />

Erste Schulordnung 9<br />

Ein- und Ausgaben 10<br />

Inventarium 12<br />

Neue Lehrer und unregelmäßiger Schulbesuch 15<br />

Kapitel 2: Die Entwicklung der Gewerbeschule von 1841 bis 1887 16<br />

Ältestes Schülerzeugnis von 1841 16<br />

Schulbesuch um 1840 19<br />

Erster Schulvorstand (1856) 21<br />

Bestimmungen der Gewerbeschule 21<br />

Unterrichtsinhalte von 1856 23<br />

Erster Schulleiter (1856) 23<br />

Lehrerhonorare und Unterrichtsfächer 25<br />

Widerstände der Zünfte und Handwerkermeister 28<br />

Die Preußen kommen: „Fortbildungsschule“ 29<br />

Stundenplan von 1884 31<br />

Erstes Ortsstatut der Fortbildungsschule (1887) 32<br />

Kapitel 3: Die Entwicklung der Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong> von 1887 bis zum 33<br />

Beginn des Ersten Weltkrieges<br />

Strafe muss sein! 33<br />

„Zwangsarbeit“ in der Fortbildungsschule 34<br />

Von Feuerspritzen, Galvanoplastiken, Aräometern, Arabesken, Torpedos<br />

und alten Germanen 37<br />

Lobbyismus und Public Relation 41<br />

Die Ortsstatuten von 1881 und 1909 43<br />

Neue Heimat: „Nicolai-Schule“ 44<br />

Etat der gewerblichen Fortbildungsschule 1898/99 46<br />

Der Revisor kommt: „Inspection“ des Zeichenunterrichts 47<br />

Als der Schulleiter noch die Protokolle selbst schrieb 49<br />

Die Schule im Wandel 50<br />

Privatisierung der Bildung: Fortbildungsschulen des Wirtevereins und der Innung 56<br />

Seine Majestät und die Fortbildungsschulen 58<br />

Revirement im Kollegium 59<br />

Was haben Knabenturnen, Fahrschule, Sabbath und Schießgeräte gemeinsam? 60<br />

Exkurs: Lehrlingsausbildung und die Situation des Handwerks in Preußen<br />

und im Kaiserreich 61<br />

2


Kapitel 4: Die Entwicklung der Fortbildungsschule von Beginn des 69<br />

Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik<br />

Die Schule im Ersten Weltkrieg 69<br />

Der feine Unterschied: Vergütung versus Diensteinkommen 73<br />

Fortbildung für die FortbildungslehrerInnen 75<br />

Von der Fortbildungsschule zur Berufsschule 75<br />

Selbstverwaltung der SchülerInnen 78<br />

Emanzipation in der Weimarer Republik: Die Mädchen-Fortbildungsschule 79<br />

Gewerbeschau 1923 in der Berufsschule 79<br />

Neue Besen kehren gut 80<br />

reactio et actio 83<br />

Kurpfuscher, Lues, Ulcus molle und Gonorrhoe 84<br />

Die Berufsschule im Prozess 84<br />

Endlich ein eigenes Heim - in der Kaserne! 87<br />

Zoff mit den Handwerksmeistern 88<br />

High tech für Gewerbeoberlehrer und Handelsoberlehrerin 89<br />

Pflege der Staatsgesinnung 90<br />

100 Jahre Gewerbliche Berufsschule <strong>Verden</strong> 91<br />

Vom Nebenamt zum Hauptamt 92<br />

Kapitel 5: Die Berufsschule im „Dritten Reich“ 93<br />

Politische Auseinandersetzungen an den Berufsschulen vor der „Machtübernahme“ 94<br />

Ausbildungspolitik in Industrie und Handwerk 95<br />

Organisatorische Entfaltung der Pflicht-Berufsschule 97<br />

Innerer Ausbau der Berufsschule 98<br />

Soziale Lage der Berufsschullehrer 99<br />

Erziehung der Jugend zum Nationalsozialismus 100<br />

Staatsbürgerlicher Unterricht und Sachunterricht 104<br />

Die „Entjudung“ der Berufsausbildung 107<br />

Die Lehrerbücherei 109<br />

Reichsberufswettkampf 110<br />

Berufsschule im Zweiten Weltkrieg 110<br />

Entwicklung der Städtischen Berufsschule <strong>Verden</strong> 111<br />

Auch das noch: Hausaufgaben für Berufsschulen 117<br />

Die Entnazifizierung des Lehrkörpers 118<br />

Kapitel 6: 60 Jahre berufliche Bildung in <strong>Verden</strong> (1945-2005) 121<br />

Die Städtische Berufsschule in <strong>Verden</strong> (1945-1951) 121<br />

Die Kreisberufsschule am Meldauer Berg 123<br />

Das Protokollbuch (1951-1968) 124<br />

Das Geheimnis der schönen Ingeborg 125<br />

Die „<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>“ im Ortsteil Dauelsen 127<br />

Die Leitung der Schule 128<br />

Kapitel 7: Das ländliche und hauswirtschaftliche Berufsschulwesen 128<br />

Entwicklung des landwirtschaftlichen Schulwesens 128<br />

Die Landwirtschaftsschule in <strong>Verden</strong> – Einjährige Fachschule Landwirtschaft 129<br />

Die ländlichen Fortbildungsschulen 130<br />

Die Landwirtschaftliche Berufsschule 133<br />

Die Entwicklung der schulischen Ausbildung in der ländlichen Hauswirtschaft 135<br />

Kapitel 8: Die gewerblichen Berufsschulen im Landkreis <strong>Verden</strong> 139<br />

Kapitel 9: Die Handelsschule in <strong>Verden</strong> 140<br />

Die Handelsschule des Kaufmännischen Vereins 140<br />

Die städtische Handelsschule: nur gegen Bezahlung 141<br />

Die Höhere Handelsschule 142<br />

3


Kapitel 10: Die Berufsschule in Achim 142<br />

Kapitel 11: Entwicklungsphasen dualer Berufsbildung 147<br />

Die Konsolidierungsphase (1945-1970) 147<br />

Die Ausbauphase (1970-1995) 148<br />

Zukunftsperspektiven 151<br />

Statistiken 153<br />

1. Entwicklung der Lehrer- und Schülerzahlen 153<br />

2. Entwicklung der Schulformen an den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong> 154<br />

Literaturverzeichnis 156<br />

Zeitungsartikel, Zeitschriften 158<br />

Quellen 158<br />

Vorwort<br />

Die <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong> gehen in ihrer Entwicklung auf die „Gewerbeschule“ der<br />

Stadt <strong>Verden</strong> zurück. Sie wurde am 1. Januar <strong>1831</strong> gegründet, in einer Zeit, die als das<br />

beschauliche „Biedermeier“ in die deutsche Geschichte eingegangen ist.<br />

Die zweite Geburtstagsfeier fand einhundert Jahre später statt, im Januar 1931. Der<br />

Schulleiter schrieb eine kleine Chronik der „Städtischen Berufsschule <strong>Verden</strong>“, die Presse<br />

berichtete ausführlich und es gab eine kleine Ausstellung, in der Schülerarbeiten gezeigt<br />

wurden, um über den Leistungsstand der Schule Auskunft zu geben. Erhalten geblieben ist<br />

uns davon nur eine Papptafel, auf der die Charakterköpfe der ersten vier Schulleiter<br />

abgebildet sind.<br />

Nach 150 Jahren wäre eigentlich wieder Grund zu feiern gewesen, aber im Jahre 1981 hatte<br />

wohl die Schulleitung andere Sorgen. War man doch erst vier Jahre zuvor in das neue<br />

„Berufsschulzentrum“ nach <strong>Verden</strong>-Dauelsen umgezogen 1 und der dritte Bauabschnitt stand<br />

noch vor der Fertigstellung. Im Laufe der Zeit wurde von einzelnen KollegInnen die<br />

Weiterentwicklung der „<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>“ dokumentiert. 2 Und so geriet der<br />

nächste runde Geburtstag ins Blickfeld der Chronisten: der 1. Januar <strong>2006</strong>.<br />

Um die Geschichte der Schule auch ausführlich in Wort und Bild festhalten zu können,<br />

beschloss die Gesamtkonferenz im Jahre 1999, den Kollegen Dr. Woock mit der Erstellung<br />

der Schulchronik zu beauftragen. Ein Jahr zuvor wurde bereits der erste Teil der Chronik 3<br />

veröffentlicht und in den darauf folgenden Jahren folgten weitere Fortsetzungen. Die hier<br />

1 Im Jahre 1977 erfolgte der Einzug in die Werkstatt und in den Unterrichtstrakt des ersten Bauabschnittes.<br />

2 Vgl. SCHMIDT 1979, Mischer 1988, TACKE 1988, WOOCK 1988.<br />

3 Vgl. WOOCK 1998.<br />

4


vorgelegte Schulchronik ist eine erweiterte Gesamtfassung der Einzelveröffentlichungen im<br />

„Heimatkalender für den Landkreis <strong>Verden</strong>“.<br />

Einleitung<br />

Was verbirgt sich eigentlich hinter der „Berufsschule in Dauelsen“, wie sie landläufig genannt<br />

wird? Mit Hilfe der Statistik kann die Frage leicht beantwortet werden: Im Schuljahr 2005/06<br />

wurden 2954 SchülerInnen in 164 Klassen (davon 71 Vollzeitklassen) aufgenommen und von<br />

insgesamt ca. 230 Lehrkräften (davon ca. 40 stundenweise oder nebenamtlich beschäftigte<br />

Kräfte) unterrichtet. Und nur „die“ Berufsschule gibt es schon lange nicht mehr. Die<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, so der korrekte Name, vereinigen unter ihrem Dach die<br />

verschiedensten Schulformen mit so unverständlichen Abkürzungen wie: BS 4 , BVJ 5 , BVJ-A 6 ,<br />

BGJ 7 , BFS 8 , BFS-R 9 , FOS 10 , FS 11 und FG 12 . Und dann gliedern sich alle diese Schulformen<br />

noch in Fachrichtungen bzw. Berufsfelder 13 auf. Und dass man am Fachgymnasium (Kl. 11<br />

bis 13) der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> die allgemeine Hochschulreife (Abitur) erwerben kann,<br />

stößt meistens auf Unkenntnis bzw. Verwechslungen: „Ach, das Fachabitur meinen Sie.“,<br />

4<br />

Berufsschule in Teilzeitform.<br />

5<br />

Berufsvorbereitungsjahr (<strong>Berufsbildende</strong> Vollzeitschule, so auch die folgenden Schulformen).<br />

6<br />

Berufsvorbereitungsjahr für Ausländer und Aussiedler.<br />

7<br />

Berufsgrundbildungsjahr.<br />

8<br />

Einjährige Berufsfachschulen (Fachrichtung Hauswirtschaft und Wirtschaft); Zweijährige Berufsfachschulen<br />

(Fachrichtung Hauswirtschaft, Wirtschaft und Technik); Zweijährige Berufsfachschule -<br />

Sozialassistentin/Sozialassistent - (Fachrichtung Sozialpädagogik); Zweijährige Berufsfachschule -<br />

Wirtschaftsassistentin/Wirtschaftsassistent - (Fachrichtung Informatik).<br />

9<br />

Einjährige Berufsfachschule für Realschulabsolventinnen und Realschulabsolventen.<br />

10<br />

Fachoberschulen (Fachrichtung Technik, Wirtschaft und Gestaltung) - Klasse 12.<br />

11<br />

Fachschulen (einjährig: Fachrichtung Landwirtschaft, zweijährig: Fachrichtung Maschinentechnik -<br />

Betriebstechnik/Feinwerkstechnik).<br />

12<br />

Fachgymnasien (Fachrichtung Ernährung und Hauswirtschaft, Wirtschaft und Technik).<br />

13<br />

Die zu beschulenden Berufe werden Berufsfeldern zugeordnet. An den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong><br />

werden folgende Berufsfelder angeboten: Wirtschaft und Verwaltung, Metalltechnik, Elektrotechnik, Bautechnik,<br />

Holztechnik, Textiltechnik und Bekleidung, Farbtechnik und Raumgestaltung, Gesundheit, Körperpflege,<br />

Ernährung und Hauswirtschaft, Agrarwirtschaft. Zusätzlich werden noch Technische Zeichnerinnen und<br />

Zeichner ausgebildet.<br />

5


„Nein, ich meine die allgemeine Hochschulreife, das Fachabitur dagegen machen die<br />

Schülerinnen und Schüler an der einjährigen Fachoberschule!“ Und die Fachgymnasien an<br />

den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong> können sich sehen lassen: insgesamt ca. 300<br />

SchülerInnen, davon 93 AbiturientInnen im Schuljahr 2005/06 (FG Wirtschaft: 52, FG<br />

Technik-Informationstechnik: 12, FG Technik-Elektrotechnik: 13, FG Ökotrophologie: 16). 14<br />

Einen umfangreichen Überblick über Schulformen und Abschlussmöglichkeiten gibt ein<br />

Faltblatt, das bei den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> erhältlich ist. Zusätzlich werden vor jedem<br />

neuen Schuljahr Informationsveranstaltungen angeboten.<br />

Der Landkreis <strong>Verden</strong> als Schulträger muss für den Haushalt der Schule erhebliche Mittel<br />

aufwenden (<strong>2006</strong>):<br />

– Verwaltungshaushalt: 2.092.600 EURO<br />

davon Schulkontingent zur Verfügung der Schule: 353.000 EURO<br />

– Vermögenshaushalt: 210.000 EURO<br />

Personalkostenbudget des Landes Niedersachsen: ca. 100.000 EURO<br />

für Fortbildung und Reisekosten der Lehrkräfte<br />

14 Im Vergleich dazu die Abiturjahrgänge des Domgymnasiums (125 SchülerInnen), des Gymnasiums am Wall<br />

(124 SchülerInnen) und des Cato Bontjes van Beek-Gymnasiums in Achim (104 SchülerInnen) von 2005.<br />

6


Kapitel 1: Die ersten zehn Jahre: <strong>1831</strong> bis 1841<br />

„In diese Anstalt wird jeder Gewerbsmann aufgenommen, den Liebe zum Wissen und der<br />

Wunsch nach Vervollkommnung leitet“ 15<br />

Einrichtung des gewerblichen Bildungswesens im ehemaligen Königreich Hannover<br />

Die Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen Fortschritte auf dem<br />

Gebiet der Technik erforderten eine Umstellung auch in der gewerblichen Produktion. Das<br />

Festhalten der Handwerker an den althergebrachten Produktionsmethoden hatte diese<br />

gegenüber einer immer stärker werdenden ausländischen und industriellen Konkurrenz mehr<br />

und mehr ins Hintertreffen geraten lassen. Zur Belebung von Handel und Gewerbe wurde<br />

1828, mitten in der beschaulichen Biedermeierzeit, der Gewerbeverein für das Königreich<br />

Hannover gegründet. Er kam zu der Ansicht, dass ein Mangel an zweckmäßig eingerichteten<br />

Unterrichtsanstalten zur Ausbildung der Gewerbetreibenden bestand.<br />

Bisher war die Ausbildung der Berufsanfänger ausschließlich Sache des Lehrmeisters<br />

gewesen. Jetzt wurden an die fachliche und allgemeine Bildung des Gewerbetreibenden<br />

erhöhte Anforderungen gestellt. Der Gewerbeverein vertrat die Auffassung, dass der<br />

Handwerker neben einem gewissen Grad von Allgemeinbildung auch eine Fertigkeit im<br />

Zeichnen haben müsse. Außerdem müsse er die Grundbegriffe einer seinem Gewerbe<br />

entsprechenden Technologie beherrschen. Zu dieser Ausbildung seien Spezialschulen<br />

erforderlich. Nachdem 1830 König Wilhelm IV. seine Zustimmung erteilt hatte, wurde die<br />

Einrichtung der <strong>Schulen</strong> den staatlichen Behörden anvertraut.<br />

Gründung der Gewerbeschule im Jahre <strong>1831</strong><br />

Schriftstück von <strong>1831</strong> betreffend der Gewerbeschule<br />

15 § 5 der „Verhaltungs-Regeln“ der Gewerbeschule <strong>Verden</strong> vom 3.1.<strong>1831</strong>, Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI<br />

1,1.<br />

7


Auf Anregung des Gewerbevereins wurden im Jahre 1829 Verhandlungen mit der Stadt<br />

<strong>Verden</strong> aufgenommen. Im Interesse des Handwerks und seines Nachwuchses sollte eine<br />

„Realschule“ 16 errichtet werden. Landschaftsrat Münchmeyer, 17 Bürgermeister der Stadt<br />

<strong>Verden</strong>, war korrespondierendes Mitglied des Gewerbevereins und er bemühte sich um die<br />

Einrichtung einer entsprechenden Schule. Sein Brief 18 vom 20.11.1829 an den<br />

Gewerbeverein ist erhalten geblieben und soll hier im Originalwortlaut wiedergegeben<br />

werden:<br />

An<br />

den hochverehrten Gewerbe-Verein für<br />

das Königreich Hannover<br />

Bericht<br />

des Landraths Münchmeyer zu <strong>Verden</strong><br />

als correspondierendes Mitglied des<br />

Vereins vom 20“ November 1829,<br />

die Errichtung einer Real-<br />

Schule in der Stadt <strong>Verden</strong><br />

betreffend.<br />

Der höchst preiswürdigen Aufforderung vom 31. März d. J. würde ich schon längst so pflichtmäßig, als gern<br />

Folge geleistet haben, wenn ich mich nicht erst mit dem Magistrate, und dann mit diesem auch mit den<br />

Repräsentanten der Bürgerschaft darüber hätte berathen, ein Local zu der Schule hätte ausmitteln, und die<br />

erforderlichen Kosten wenigstens approximativ 19 hätte berechnen müssen.<br />

Jetzt bin ich aber im Stande, jener hochverehrlichen Aufforderung einigermaßen Genüge zu leisten, und<br />

thue dies um mit desto größerem Vergnügen, da ich meinem heißen Wunsche gemäß einen guten Erfolg<br />

berichten kann.<br />

Der Magistrat und die Bürgerschaft verkennt es nicht, wie nützlich und wohlthätig, für Stadt und Land<br />

ersprieslich die Einrichtung einer solchen Real-Schule vorzüglich in Provinzen des Königreichs, welche noch in<br />

so manchem Zweige der Industrie zurück sind, sich darstelle, erkennen daher die in der angezogenen<br />

Aufforderung vom 31“ März d. J. ausgesprochenen Fürsorge mit dem lebhaftesten Danke, und werden mit mir<br />

alles thun, um dem schönen Zwecke deshalben möglichst zu entsprechen. Eine ähnliche Einrichtung besteht<br />

hier noch nicht, kann aber wohl mit den ersten Klassen unserer vier Bürger-<strong>Schulen</strong> verbunden werden, wenn<br />

das beste Local dieser <strong>Schulen</strong> dazu eingerichtet, und dem Lehrer, welcher dies Gebäude mit bewohnt, unter<br />

einem Dache mit Jenem wieder eine Wohnung eingerichtet wird.<br />

Ich habe zu der Einrichtung eines solchen, in jeder Hinsicht, auch in Betracht seiner Lage völlig<br />

angemessenen Locals einen Riß 20 und Kosten-Anschlag entwerfen lassen, von welchen der Letztere sich auf<br />

1247 rt. 21 12 Mgr. 22 beläuft.<br />

Wenn nun der hochverehrliche Verein die Gnade und Gewogenheit hat, zu diesen Kosten einen<br />

Zuschuß von sechshundert Thalern zu erwirken, so wird die Stadt die übrigen Kosten zu bestreiten suchen.<br />

Dann werden wir zwei sehr geräumige Lehr-Säle in Einem Gebäude erhalten.<br />

Mehr kann die Stadt zu diesem Bau und zu dieser Einrichtung nicht leisten, da sie zu dem Cavallerie-<br />

Casernen-Bau 23 bedeutend concurrieret, zu der wasserfrei einzurichtenden Straße von <strong>Verden</strong> nach Dörverden<br />

16<br />

Im Verhandlungsschreiben des Gewerbevereins an die Stadtverwaltung <strong>Verden</strong> wird anstatt Gewerbeschule<br />

der Begriff „Realschule“ genannt. Auch in später datierten Akten taucht für die Gewerbeschule der Begriff<br />

„Realschule“ auf. Eine Realschule im heutigen Sinne wurde in <strong>Verden</strong> erst im Jahre 1860 gegründet.<br />

17<br />

Carl Christian Münchmeyer war Bürgermeister von 1806-1837.<br />

18<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

19<br />

approximativ = angenähert<br />

20<br />

Riß = Plan, Bauplan<br />

21<br />

Rt. = „Reichstaler“ (auch abgekürzt: Rth.), 1 Rth. = 24 Grote (gute Groschen) = 288 Pfennig = 36<br />

Mariengroschen<br />

22 Mgr. = Mariengroschen<br />

23 gemeint ist die Kaserne am Holzmarkt<br />

8


sechshundert Thaler aus der Stadtcasse bewilliget, und über zweihundert Thaler subscribiret, 24 insbesondere<br />

nun aber auch den Bau einer festen Brücke 25 über die Aller vor sich hat.<br />

Zu dem Lehramte selbst befinden sich hier sehr taugliche Subjecte, 26 welche auch geneigt sind, den<br />

Unterricht für ein billiges Honorar zu übernehmen. Das Quantum des Honorars wird sich vorzüglich aber<br />

darnach bestimmen, ob und wie der Unterricht mit den ersten Classen der Bürgerschulen verbunden wird, und<br />

hierbei wird es auf das Local ankommen.<br />

Das Honorar der Lehrer wird die Stadt dann auch auf ihre Kosten zweckmäßig arrangiren.<br />

Unsere vier Bürger-<strong>Schulen</strong> werden gegenwärtig von vierhundert sieben und vierzig schulpflichtigen Kindern<br />

besucht und die unteren Classen der lateinischen Schule werden auch von mehreren jungen Leuten, welche<br />

nicht studiren, sondern sich irgend einem Gewerbe widmen wollen, frequentiert.<br />

Wir werden also wohl annehmen können, daß diese schöne Anstalt mit Einschluß von Gesellen, welche<br />

sie doch auch benutzen werden, wol siebenzig bis achtzig Zöglingen erhalten werde.<br />

Wie hoch die jährlichen Kosten der Anstalt sich belaufen werden, können wir um so weniger auch nur<br />

approximativ schon angeben, da diese Frage vorzüglich wieder davon abhängt, ob sie mit der Bürgerschule<br />

verbunden, mithin hierzu ein Local eingerichtet wird? Und wird dies der Fall seyn, so wird die Stadt auch wol<br />

diese Kosten übernehmen.<br />

Unsere Bürger haben, wie sie bereits bewiesen, zu allen gemeinnützlichen, und nützlichen<br />

Einrichtungen und Anlagen den besten Willen, nur können sie die Einrichtungs-Kosten des Locals zu dieser<br />

Schule nicht ganz bestreiten.<br />

Ich wiederhole daher mein Gesuch um einen Zuschuß von sechshundert Thaler zur Einrichtung eines<br />

solchen Locals, und glaube, dann versprechen zu dürfen, daß die gnädige und väterliche Absicht des<br />

hochverehrten Gewerbe-Vereins hier sehr gut erreicht werden wird.<br />

Münchmeyer<br />

Vorläufer der Volksschulen<br />

Als Unterrichtsraum für die neue Gewerbeschule hatten sich Münchmeyer und der Magistrat<br />

die Wohnung des Lehrers Pabst in dem Gebäude der Nicolaischule am Sandberg<br />

ausersehen, für den Ausbau und die Einrichtung Kosten in Höhe von 1.247 Reichstalern und<br />

12 Mariengroschen veranschlagt und um einen Zuschuss von 600 Reichstalern gebeten.<br />

Dem Lehrer Pabst wurde im Dachgeschoß eine Behelfswohnung angeboten mit der Aussicht<br />

auf einen Ausbau.<br />

24 subscribieren = unterzeichnen, vorbestellen, sich beteiligen<br />

25 Die in <strong>Verden</strong> einquartierten französischen Besatzungstruppen hatten bei ihrer Flucht vor englischpreußischen<br />

Truppen im Jahre 1813 die einzige Stadtbrücke über die Aller abgebrannt. Man musste, wollte<br />

man in die Grafschaft Hoya reisen, einen eintägigen Umweg über Rethem oder Bremen nehmen. Im Jahre<br />

1832 bat der Magistrat erstmals die Ständeversammlung in Hannover um finanzielle Unterstützung beim Bau<br />

der neuen Südbrücke. Die Stadt konnte die Kosten wegen der hohen Kriegsschulden nicht allein tragen. Erst<br />

1839 wurde mit dem Bau begonnen, nachdem sich der Magistrat von <strong>Verden</strong> bereiterklärt hatte, 8.000 Taler<br />

beizusteuern, den Rest von 6.000 Talern übernahm das Königreich Hannover. Der Zimmermeister Campe<br />

erhielt den Zuschlag für den Bau. Bereits <strong>1831</strong> übernahm er den Fachunterricht für die Baulehrlinge an der<br />

Gewerbeschule. Vgl. MEYER 1991, S. 24f.<br />

26 Auch eine nette Umschreibung der Verwaltung für LehrerInnen, besser jedenfalls als „faule Säcke“!<br />

9


Nicolaischule am Sandberg (offizielle Anschrift 1835: Nicolai-Kirchhof Nr. 241). Die Gebäudeteile links und<br />

rechts sind Anbauten (ohne Fachwerk) von 1864. Im Erdgeschoss war zuerst die Wohnung des Lahrers<br />

(zwei Stuben, zwei Kammern, Küche), deren zwei Stuben dann zu Klassenzimmern umfunktioniert wurden.<br />

Der Lehrer Pabst erhielt eine Behelfswohnung unter dem dach (eine Bodenkammer war dort bereits<br />

„ausgebaut“). Im 1. Stock befand sich das Klassenzimmer, so groß wie die beiden Stuben im Erdgeschoss<br />

(ca. 65 qm). Das Foto entstand um 1910.<br />

Quelle: Carl Meyer, St. Nikolai in <strong>Verden</strong>, <strong>Verden</strong> 1927, S. 24/25.<br />

Da man an den Schulräumen und den Lehrern der in der Stadt eingerichteten<br />

Kirchspielschulen, den Vorläufern der Volksschulen, nicht vorbeikam, soll hier kurz auf diese<br />

Schulform eingegangen werden.<br />

Es gab die Domschule. Hier unterrichtete z. B. im Jahre 1827 Heinrich Plate 116<br />

schulpflichtige Kinder in einem Raum (ca. 50 qm) seines eigenen Hauses. Seine Frau<br />

unterwies dazu noch 47 nicht schulpflichtige Kinder im Buchstabieren in einem anderen<br />

Raum. Im Jahre 1827 wurden in der Schulstube (ca. 65 qm) der Nicolaischule 101 Kinder<br />

unterrichtet. Ab 1829 unterrichtete dort Hermann Heinrich Pabst. Im Armenhaus hatte der<br />

Lehrer Hinrich Kirchner seine Dienstwohnung, die aus nur zwei Räumen bestand. In einem<br />

Raum (ca. 28 qm) wurden 100 schulpflichtige Schüler, Jungen und Mädchen natürlich streng<br />

getrennt, unterrichtet. Frau Kirchner unterrichtete in einem besonderen Raum 12 noch nicht<br />

schulpflichtige Kinder. In der Johannisschule war seit 1811 Johann Hermann Heuerhusen<br />

angestellt. Mit seiner Lehrstelle war das Organisten- und Küsteramt an St. Johannis<br />

verbunden. 27 Da seine Dienstwohnung wegen Baufälligkeit verkauft werden sollte, wohnte er<br />

bis zur Errichtung eines Neubaus auf dem Dachboden im Pfarrwitwenhaus von St. Johannis.<br />

In seinem „Schulzimmer“ (ca. 43 qm) auf dem Dachboden unterrichtete er in dieser Zeit 107<br />

Kinder. Frau Heuerhusen unterrichtete in einem besonderen Zimmer der Wohnung 47<br />

jüngere Kinder im Alter von drei bis sieben Jahre. Heuerhusen und seine drei Kollegen<br />

unterrichteten von 8 bis 11 und von 13 bis 16 Uhr. Heuerhusen bot auch noch die so<br />

genannte Abendschule für SchülerInnen an, die mehr lernen wollten. Der Unterricht dauerte<br />

von 16 bis 18 Uhr. 28 Bis auf den Armenlehrer erhielten die Kollegen kein festes Gehalt. Sie<br />

bestritten ihre Existenz durch das Schulgeld, das sie von ihren Zöglingen erhoben.<br />

Auf Drängen des Gewerbevereins, der inzwischen von der Staatsverwaltung übernommen<br />

worden war, konnte man sich ein Jahr später wenigstens auf eine Minimallösung einigen:<br />

Gründung einer Gewerbeschule in der alten Wohnung des Lehrers Pabst in der<br />

Nicolaischule. Pabst zog ins Dachgeschoß, in der Hoffnung auf einen Ausbau der<br />

Nicolaischule. In einem Brief des Bürgermeisters Münchmeyer vom 2.1.<strong>1831</strong>, der an die<br />

27 Vgl. VOIGT 1979, S. 115-118.<br />

28 Vgl. KIENZLE 1979, S. 94f.<br />

10


Landdrostei 29 Stade gerichtet war, teilte er mit, dass die Gewerbeschule in der Stadt <strong>Verden</strong><br />

eröffnet worden sei. Dass die Schule einen Tag vor dem Schreiben, also am 1.1.<strong>1831</strong><br />

gegründet wurde, geht aus einem anderen Dokument hervor. Hier im originalen Wortlaut der<br />

Brief des Bürgermeisters: 30<br />

An<br />

die hohe Königliche Landdrostey<br />

zu Stade<br />

Bericht<br />

des Magistrats der Stadt <strong>Verden</strong><br />

vom 2.ten Jan. <strong>1831</strong><br />

die Einrichtung einer<br />

Gewerbe-Schule betr.<br />

Nachdem wir nun mehr eine Gewerbe-Schule eingerichtet, und weidlich auch eröffnet haben, beeilen wir uns,<br />

den hochverehrlichen Rescripten 31 vom 16ten September und 2ten December vorigen Jahres gemäß über<br />

deren Organisation folgenden Bericht abzustatten:<br />

Die trüben, traurigen und höchst bedenklichen Zeiten, welche in der zweyten Hälfte des vorigen Jahres<br />

immer mehr und mehr eintraten, machten es auch bedenklich, auf die sofortige Ausführung des ganzen<br />

Schulplans, dessen das hochverehrliche Rescript vom 16. September erwähnt anzutragen, sondern wir hielten<br />

es gerathen, mit unserm definitivem Antrage zu einer budgetmäßigen Bewilligung, wie auch mit der Ausführung<br />

selbst bis auf nun einigermaßen bessere Aussichten hoffentlich aber nur bis zum nächsten Sommer, Anstand<br />

zu nehmen.<br />

Dagegen haben wir doch vorläufig eine Gewerbeschule eingerichtet und eröffnet.<br />

Das Local ist der sehr geräumige und helle Schul-Saal in dem sehr gut gelegenen<br />

Nicolai=Schulgebäude.<br />

Die drey Schullehrer Heuerhusen, Pabst und Kirchner, der Zimmermeister Campe und der Polirer 32<br />

Frankenhorst haben auf unser Gesuch den Unterricht wenigstens vorerst unentgeldlich übernommen.<br />

Es werden daher nur unter Inspection des Architecten Bergmann (dessen Realschule für Gesellen, und<br />

Privat-Unterricht für einige Meister ebenfalls noch ihren guten Fortgang haben). Lehrlingen über fünfzehn<br />

Jahren wöchentlich sechs Stunden gegeben, und zwar wird unterrichtet<br />

1. am Sonntage von 11 bis 12 Uhr in der Calligraphie 33 nach Vorschriften von Hennings und Schulgen, von<br />

Schullehrer Kirchner,<br />

2. am Mittwochen Abend von 6 bis 7 Uhr im Rechnen, vorzüglich im so genannten Kopfrechnen von<br />

Schullehrer Pabst,<br />

3. am Sonnabend von 6 bis 7 Uhr in Aufstellung von Rechnungen, besonderen Quitungen, in der Geschäfts-<br />

Correspondenz, Verfertigung von kleinen Aufsätzen, Kosten-Anschläge, Gutachten pp 34 , mit besonderer<br />

Beachtung auch der Orthographie 35 , von Schullehrer Heuerhusen; und<br />

4. am Sonntage Nachmittage von Eins bis vier Uhr<br />

a. im geometrischen und Ornamenten-Zeichnen, für alle Lehrlinge,<br />

b. im Entwerfen und Zeichnen der Bau-Risse pp, für die Bau-Lehrlinge im weitesten Sinne,<br />

c. in der Lehre von den Baumaterialien und deren Verbindung, der Zimmermeister Campe und der Polirer<br />

Frankenhorst.<br />

Dieser erste noch sehr eingeschränkte, und vorzüglich im Baugewerbe sehr einfache Unterricht wird nur drei<br />

Monate umfassen; vom 1. April an aber wird der Cursus stets auf sechs Monate eingerichtet, der Unterricht in<br />

Classen eingetheilet und nach den zunehmenden Fähigkeiten der Lehrlinge erweitert werden.<br />

Das Figuren-Zeichnen wird bereits seit zwey Jahren in unseren vier Elementar-<strong>Schulen</strong> vom Maler<br />

Kallmeyer gelehrt, daher hat der Unterricht in dieser Schule wol sofort zum geometrischen und Ornamenten-<br />

Zeichnen übergehen können.<br />

29 Vergleichbar mit den heutigen Bezirksregierungen in Niedersachsen. <strong>Verden</strong> gehört heute zum<br />

Regierungsbezirk Lüneburg (der Regierungsbezirk Stade wurde im Jahre 1978 aufgelöst und dem Reg.bezirk<br />

Lüneburg zugeschlagen).<br />

30 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

31 Reskript = amtlicher Bescheid, Erlass, Verfügung<br />

32 Polier = Vorarbeiter der Maurer und Zimmerleute<br />

33 Kalligraphie = Schönschreibkunst<br />

34 pp = perge perge = usw.<br />

35 Orthographie = Rechtschreibung<br />

11


Schreibmaterialien müssen die Lehrlinge, welche von der Armen-Anstalt nicht unterstützt werden, selbst<br />

halten, Zeichnen- und Rißpapier aber wird ihnen frei geliefert.<br />

Allen übrigen Erfordernisse sind bis auf einen Schrank, welchen wir nächstens in einer Auktion zu<br />

adquirieren 36 hoffen, laut des abschriftlich beygefügten Inventarii angeschaffet, und aus den Nicolai-Kirchen-<br />

Revenüen 37 vorgeschossen.<br />

Feuerung ist durch die Freygebigkeit einiger bespannter 38 Bürger vorräthig, und das Licht 39 zu den<br />

beyden Abendstunden wird vorerst vom Schullehrer Pabst auf Rechnung geliefert.<br />

Es hat einige Mühe gekostet, die Meister der Anstalt geneigt zu machen, und insbesondere einige<br />

Stunden in der Woche für die Lehrlinge zu gewinnen, daher haben wir es für zweckmäßig erachtet, wenigstens<br />

im Anfange bis auf die gewöhnlichen Schreibmaterialien alles unentgeldlich zu gewähren. In der Folge und<br />

insbesondere nach der Publication der in dem hochverehrlichen Rescripte vom 2. Sept. d. J. angezogenen<br />

Gewerbe- und Gilde-Ordnung lässet es sich dann wol anders einrichten.<br />

Für diesen ersten, nun mehr völlig geschlossenen Cursus haben wir laut des beygefügten<br />

Verzeichnisses achtundzwanzig willige und fähige junge Leute von dreyzehn verschiedenen Gewerben.<br />

Die Erweiterung des Schulgebäudes, die Anbauung einer Schullehrer-Wohnung, und die Vereinigung<br />

unserer vier Elementar-<strong>Schulen</strong> mit besonderer Berücksichtigung dieser Gewerbe-Anstalt werden wir, sobald<br />

der Mut des Publicums nur erst etwas wieder gehoben ist, auszuführen uns bemühen, desen wir ehrerbietiggehorsamst<br />

bitten, uns nun die Auszahlung der uns gnädigst bewilligten 600 thlr. hochgeneigtest und gütigst zu<br />

erwirken.<br />

B. und R. 40<br />

Das Antwortschreiben 41 der Landdrostei in Stade ist datiert vom 15.03.<strong>1831</strong>. Die Beamten<br />

hatten den Bericht des Magistrats an das Königliche Cabinets Ministerium weitergeleitet.<br />

Man war dort zu dem Entschluss gelangt, dass die zugesicherte Beihilfe von 600<br />

Reichstalern erst dann ausgezahlt werden würde, wenn die Pläne für den Ausbau der<br />

Nicolaischule der Bezirksregierung in Stade vorgelegt und von ihr genehmigt werden würde.<br />

Das Ministerium hatte aber den Vorschlag der Stader Beamten, vorerst für die ersten fünf<br />

Jahre je 50 Reichstaler auszuzahlen, zugestimmt.<br />

Daraufhin schickte die Stadt im Juni den gewünschten Bauplan nach Stade. Mit dem<br />

Schreiben 42 vom 09.07.<strong>1831</strong> nimmt die Landdrostei darauf Bezug. Die Stader Beamten<br />

konnten zu diesem Zeitpunkt die Zweckmäßigkeit eines solchen Baues noch nicht beurteilen,<br />

da über das Projekt der Vereinigung der vier Bürgerschulen mit der Gewerbeschule, das ja<br />

hauptsächlich jenem Bauplan zugrunde lag, noch nicht entschieden worden war. Außerdem<br />

beharrte man darauf, die für den Ausbau der Nicolaischule zugunsten der Gewerbeschule<br />

bewilligten 600 Reichstaler erst dann auszahlen, wenn die Stadt <strong>Verden</strong> die außerdem noch<br />

erforderlichen 647 Rth. und 12 gg 43 ohne Schwierigkeiten aufbringen konnte.<br />

36<br />

acquirieren = erwerben<br />

37<br />

Revenüen = Bezüge, Einnahmen<br />

38<br />

„bespannter“ Bürger: gemeint sein könnten Bürger, die Pferde („einspannen“) besitzen und das Heizmaterial<br />

daher mit ihren Fuhrwerken anliefern können. Oder aber ein Ausdruck für wohlhabende Bürger.<br />

39<br />

Gemeint sind damit die Talgkerzen.<br />

40<br />

B. und R. = vermutlich: Bürgermeister und Rat<br />

41<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1<br />

42<br />

Vgl. ebd.<br />

43<br />

gg = Abkürzung für „gute Groschen“ (auch abgekürzt: ggr)<br />

12


„Nachweisungen über die seit dem 1. Januar <strong>1831</strong> zu <strong>Verden</strong> bestehende Real-Schule vom Jahre<br />

1834“. Das ist das einzige Dokument, das den Gründungstag der Gewerbeschule angibt.<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

Die weitere Entwicklung zeigt, dass der Vorschlag von Bürgermeister Münchmeyer, die vier<br />

Bürgerschulen und die Gewerbeschule zu verbinden, von der Regierung in Hannover nicht<br />

aufgegriffen wurde, da er dem Wesen einer Gewerbeschule zuwiderlief. Die Regierung<br />

vermutete zu Recht, dass mit den geforderten Mitteln für die Baukosten eine Verbesserung<br />

der Volksschulverhältnisse in der Stadt bezweckt wurde.<br />

Erste Schulordnung<br />

Bereits zwei Tage nach der Gründung wurde die Schulordnung der Gewerbeschule<br />

festgelegt:<br />

Verhaltungs-Regeln 44<br />

§ 1. Die Unterrichtsstunden sind auf folgende Weise eingetheilt:<br />

Jeden Sonntag Morgens nach geendigtem Gottesdienst beginnt der Unterricht im Schönschreiben, und dauert<br />

von 11 bis 12 Uhr. Nachmittags von 2 bis 4 Uhr, wird im Zeichnen, Unterricht ertheilt. Außerdem wird in<br />

mehreren Abendstunden Mittwochs und Sonnabend Unterricht in der deutschen Sprache, in der Orthographie<br />

und im Rechnen demnächst aber auch in der Maurer und Zimmerwerks-Kunst ertheilt, woran diejenigen<br />

Schüler, welche sich durch Fleiß und gutes Betragen auszeichnen, nach erhaltener Erlaubniß von dem<br />

Vorstande, theilnehmen dürfen.<br />

§ 2. Ein jeder aufgenommene und in das Register eingetragene Schüler, kann, ganz nach seinem Willen, an<br />

allen oder auch nur an einzelnen dieser Lehrgegenstände, Theil nehmen, und erhält allen Unterricht<br />

unentgeldlich.<br />

44 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

13


§ 3. Bei der Aufnahme empfängt jeder Schüler ein Exemplar dieser Verhaltungs-Regeln, welche ihn mit allen<br />

seinen Verhältnissen zur Schule genau bekannt machen, sodann ein Schreibbuch, drei Federn, eine Bleifeder<br />

und einen Griffel ein für allemal. Was er ferner an Schul-Utensilien bedarf, hat er aus eigenen Mitteln<br />

anzuschaffen. Besitzt er aber deren keine, so hat er es dem Schulvorstande anzuzeigen, welcher seinen Fleiß<br />

und Betragen berücksichtigend, ihn mit solchen unterstützen wird.<br />

§ 4. Jeder Schüler hinterlegt bei der Aufnahme 6 gg, welche er bey dem Austritte zurück empfängt, wenn er die<br />

Schule während drei Monaten regelmäßig besucht, und sich keines Verstoßes gegen diese Verhaltungs-Regeln<br />

hat zu Schulden kommen lassen; außerdem ist diese Einlage an den Schul-Fond verfallen.<br />

§ 5. In diese Anstalt wird jeder Gewerbsmann aufgenommen, den Liebe zum Wissen und der Wunsch nach<br />

Vervollkommnung leitet. Weder Stand noch Alter, noch Landsmannschaft gewähren Vorzüge. Nur dann, wenn<br />

Ueberzahl die Aufnahme der Schüler erschwert, haben Eingeborne, und unter diesen die Angehörigen der<br />

Mitglieder, den Vorzug. In den Lehrstunden werden alle gleich gehalten.<br />

§ 6. Ein jeder Schüler ist gehalten, den Früh-Gottesdienst zu besuchen.<br />

§ 7. Wiewohl man voraussetzen kann, daß die Mehrzahl der Schüler den hohen Zweck der Anstalt: Lernen und<br />

Fortschreiten in Wissen und Kunst, vor Augen haben, wenn sie das Schullokale betreten, so ist doch eine<br />

Ermahnung zu sittlichem, ruhigem und anständigem Betragen nicht überflüssig. Besonders aber wird das<br />

Verunreinigen des Schullokals, der Bänke, Tische, Vorlageblätter etc., durch Ausweisen aus der Schule,<br />

geahndet.<br />

§ 8. Jeder Schüler ist verpflichtet, die Lehrstunden, zu denen er sich bestimmt hat, regelmäßig zu besuchen,<br />

und in denselben pünktlich zu erscheinen.<br />

§ 9. Wird er durch Krankheit, Reisen, oder durch ein von seinem Lehrherrn ihm aufgetragenes Geschäft von<br />

dem Besuche der Schule abgehalten, so hat er eine Entschuldigung einzuschicken oder nachzubringen.<br />

Außerdem wird er nach dreimaligem Versäumen der Schule, aus der Liste der Schüler gestrichen.<br />

§ 10. Das Ausweisen der Lehrlinge aus der Schule, wird ihren Lehrherrn schriftlich angezeigt.<br />

§ 11. Die Vorlageblätter in der Zeichenschule werden bei Beendigung des Unterrichts von einem dazu<br />

beauftragten Schüler eingesammelt. Wer eins davon mit nach Hause nehmen will, hinterlegt 2 gg bis zur<br />

Rückgabe.<br />

§ 12. Es wird über das Betragen der Schüler eine Liste geführt, welche ihren Lehrherrn oder Meister auf<br />

Verlangen jeden Sonntag im Schullokale vorgezeigt werden kann.<br />

§ 13. Jährlich findet eine allgemeine öffentliche Prüfung statt, wobei denjenigen Schülern, welche sich durch<br />

besonderen Fleiß und Fortschritte ausgezeichnet haben, Preise ertheilt werden. Diese Prüfung wird jedesmal<br />

öffentlich bekannt gemacht, und die Lehrherrn und Meister der Schüler, so wie die Mitglieder der Gesellschaft<br />

dazu eingeladen.<br />

§ 14. Wenn ein Schüler die Anstalt zu verlassen Willens ist, so hat er es dem Schulvorstande anzuzeigen, und<br />

sein Exemplar dieser Verhaltungs-Regeln beizubringen, welches ihm sodann mit dem seinem Betragen<br />

angemessenen Zeugnis, von der Direktion unterzeichnet, wieder zurückgestellt wird.<br />

§ 15. Jede Entschuldigung wegen Versäumnis der Lehrstunden, oder sonstige Anträge, haben die Schüler dem<br />

Schulvorstande vorzubringen, der jeden Sonntag zur Leitung des Unterrichts und zur Aufrechthaltung dieser<br />

vorgeschriebenen Anordnungen gegenwärtig ist.<br />

<strong>Verden</strong>, 3ten Januar <strong>1831</strong>.<br />

Ein- und Ausgaben<br />

Die Akten über die Ein- und Ausgaben der Gewerbeschule, geführt vom Gerichtsschreiber<br />

Klose, sind erhalten geblieben. Hier ein Auszug aus dem Rechnungsjahr <strong>1831</strong>:<br />

Einnahmen:<br />

14


Bereits am 11. Januar spendete das „Krämer-Amte“ 2 Preußische Courant 45 , 48 Grote 46 und<br />

am gleichen Tag die Bäcker, Goldschmiede, Schlosser und Schuhmacher zusammen 3,36<br />

Courant. Im Februar spendete ein Ungenannter den größten Einzelbetrag: 3 Courant! Und<br />

eine Sammlung im Hôtel de Brème 47 ergab 2,65 Courant. Zum Jahresende kam eine<br />

Gesamtsumme von 17,63 Courant zusammen. Die 50 Reichstaler, die am 04.03.<strong>1831</strong> 48 von<br />

der Regierung in Hannover bewilligt wurden, sind in dieser Abrechnung noch nicht mit<br />

aufgeführt, da sie erst ab 1832 ausgezahlt wurden.<br />

Ausgaben:<br />

Der Händler Klingebeil 49 lieferte 6 Pfund Lichte für 1,12 Preußische Courant, die Kreide<br />

kostete 6 Grote. Der Buchdrucker Bauer erhielt für Schreibfedern 64 Grote, der Klempner<br />

Roth bekam für die „blechernen Platten auf den Tintenfässern“ 20 Grote und der Schlosser<br />

Matkies berechnete für drei Schrankschlüssel 54 Grote. Für einen Fuder 50 Torf wurde im<br />

November 1,60 Courant bezahlt. Der Buchbinder Beckmann verlangte für gelieferte<br />

Bleifedern 51 und Zeichenpapier 2,40 und einen Monat später noch einmal 9,40. Der<br />

Apotheker Lohmeyer 52 verlangte für 3 Quartier 53 Tinte 1 Courant. Das ergab eine<br />

Gesamtsumme von 18,68 Courant 54 . Damit errechnete sich ein „Vorschuss“ von 1,50<br />

Courant.<br />

45<br />

Mit „Preußische Courant“-Münze ist der preußische Taler (= 30 Silbergroschen = 360 Pfennig) gemeint. Im<br />

Königreich Hannover hatte bis 1834 der hannoveraner Taler einen Wert von 30 Groschen = 300 Pfennige. Als<br />

Kurant(-münze) wurde ursprünglich alles tatsächlich kursierende Münzgeld bezeichnet. Seit dem 17.Jh. wurde<br />

dieser Begriff eingeengt auf die Münzen aus Edelmetall, deren Metallwert (Gewicht) dem aufgeprägten Wert<br />

entsprach.<br />

46<br />

„Grote“ hieß die damals in Bremen herkömmliche Groschenkleinmünze.<br />

47<br />

Es hieß um 1905 „Hôtel Bremen“, später Hotel „Stadt Bremen“ (1923) und lag in der Brückstraße (heute:<br />

Gaststätte „Zur Brücke“). Eine historische Abbildung des Gebäudes in: EMIGHOLZ 1995, S. 219.<br />

48<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

49<br />

Klingebeil war von Beruf aus „Kerzengießer“ und wohnte in der Großen Straße 83. Vgl. VOIGT 1984, S. 212).<br />

50<br />

1 Fuder (Getreidemaß) = 902 Liter.<br />

51<br />

Bleifedern = Bleistifte.<br />

52<br />

Die Stadtapotheke wurde 1815 vom Hamburger Johann Wilhelm Lohmeyer für 16.700 Taler Gold von der<br />

Stadt ersteigert und hieß dann Lohmeyersche Apotheke, ab 1864: „Rats Apotheke“. Die Stadt sah sich zum<br />

Verkauf gezwungen, um die hohen Kriegsschulden aus der französischen Okkupationszeit tilgen zu können.<br />

Vgl. NERGER 1975, S. 95.<br />

53<br />

1 Quartier = ca. 1 Liter (0,94 bis 0.98 Liter).<br />

54<br />

Zum Vergleich: Um 1850 betrug der Wochenlohn eines Webers ca. 2 preußische Taler (Courant). Die<br />

durchschnittlichen Lebenskosten eines Haushalts von fünf Personen pro Woche haben etwa 3 ½ preußische<br />

Taler betragen. Im Jahre 1830 kostete ein „gutes Pferd“ ca. 50 Taler, eine Kuh ca. 35 Taler.<br />

15


Erste Veröffentlichung über die Gewerbeschule.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Wochenblatt, Nr. 43, 22.10.<strong>1831</strong>; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,2.<br />

Inventarium<br />

Der Stadtschreiber Person, welcher bis 1834 die Oberaufsicht über das Inventarium der<br />

Gewerbeschule hatte, listete bei seinem Weggang von <strong>Verden</strong> folgende Gegenstände auf: 55<br />

1. Zwey große Tische, Arbeitstafeln genannt.<br />

2. Sechs blecherne Leuchter<br />

55 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 5,1.<br />

16


3. Fünf Lichtscheeren<br />

4. Neun Reißbretter 56 , zwey Reißbretter soll der Zimmermeister Campe in Gebrauch haben.<br />

5. Sieben Lineale<br />

6. Elf Reisschienen 57<br />

7. Drey und zwanzig DreyEcke<br />

8. Drey Stück Reißzeuge. Außerdem hat der Angabe nach im Gebrauch ein Reißzeug der Zimmermeister<br />

Campe, ein dergleichen der Schullehrer Pabst und ein dergleichen Person.<br />

9. Ein großer Zirkel mit Schrauben<br />

10. drey Hefte Vorlageblätter zum Zeichnen<br />

11. Sechzig Stück Vorlageblätter zum Zeichnen<br />

12. Ein und Vierzig Stück Vorschriften auf Pappen gezogen.<br />

13. Neun und Zwanzig Stück Bleifedern<br />

14. Ein halber Ries 58 Papier<br />

15. Ein großer Schwamm<br />

16. Drey und Dreyzig Rechnentafeln<br />

17. Ein Glas und ein kleiner Schwamm<br />

18. Ein Kasten<br />

19. Einen Schrank und<br />

20. Sechs Tintenfässer<br />

Die aus den Jahren <strong>1831</strong>/32 stammenden Berichte lassen den Eifer der Lehrer und Schüler<br />

erkennen. Sie zeigen aber auch die Schwierigkeiten der Lehrenden auf, die durch die<br />

mangelhafte Vorbildung der Schüler entstanden. Der Lehrer Pabst saß noch im Herbst 1832<br />

in seiner behelfsmäßigen Dachwohnung und beschwerte sich mit einem ausgedehnten<br />

Schriftwechsel beim Magistrat. Im Jahre 1834 war die anfängliche Begeisterung, besonders<br />

bei den Handwerksmeistern, verflogen. Sie empfanden die Gewerbeschule als eine Last, da<br />

ihnen Lehrlinge und Gesellen in den Abendstunden, die häufig wieder mit Werkstättenarbeit<br />

ausgefüllt wurden, fehlten.<br />

Inzwischen war für die in den meisten mittleren und großen Städten des Königreichs<br />

gegründeten Gewerbeschulen die Königliche Verwaltungskommission der Gewerbeschulen<br />

im Königreich Hannover als Aufsichtsinstanz entstanden. Sie führte auch die Revisionen in<br />

den <strong>Schulen</strong> durch. In dem Oberschulrat Karmasch und später Kohlrausch fanden die<br />

Gewerbeschulen eifrige Förderer. Was in späteren Jahren als neu und ideal auf dem Gebiet<br />

der Handwerkerausbildung gefordert wurde, ist in den Verfügungen dieser beiden Beamten<br />

schon angedeutet oder ausführlich behandelt worden. So liegt z. B. eine Verfügung über den<br />

Schutz von historischen Bauten und Naturdenkmälern vor. Allerdings scheiterte die<br />

Durchführung dieser Anregungen zum großen Teil am mangelhaften „Schülermaterial“ und<br />

dem Widerstand der Handwerksmeister. 59<br />

56 Das Reißbrett (reißen = schreiben) ist ein exakt rechtwinkliges, ca. 2 cm dickes, aus Holz gefertigtes Brett,<br />

das als Unterlage zum Herstellen von technischen Zeichnungen dient. Die heutigen „Zeichenbretter“ sind aus<br />

PVC und Metall.<br />

57 Mit der Reißschiene, einem flachem Lineal mit Querleiste, das entlang der Kanten des Reißbrettes gleiten<br />

kann, werden parallele Linien gezeichnet.<br />

58 1 Ries = 500 Bogen Papier.<br />

59 Vgl. BERGEN 1931, S. 4f.<br />

17


Namensverzeichnis der 15 Gewerbeschüler (14-19 Jahre) von 1833 (zwei Klempner, vier Buchbinder,<br />

ein Tischler, ein Sattler, zwei Schlosser und vier Rademacher). Die erste Klasse im Gründungsjahr<br />

<strong>1831</strong> bestand aus 28 Schülern aus 13 verschiedenen Gewerben.<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

18


Neue Lehrer und unregelmäßiger Schulbesuch<br />

Im Jahre 1835 fand ein Wechsel unter den Lehrern statt. Der Zeichenlehrer für das<br />

Baugewerbe, der Zimmermann Campe, verließ die Schule, da er die Holzbrücke auf<br />

Helgoland, die vom Unterland zum Oberland führte, baute. Deshalb wurde als neuer<br />

Zeichenlehrer der Maler Kallmeyer angestellt. Ab diesem Jahr mussten die Lehrer auch nicht<br />

mehr unentgeltlich unterrichten. Pabst, Kirchner und Kallmeyer durften die vom Staat<br />

bewilligten 50 Taler unter sich gleichmäßig verteilen. Der Lehrer Heuerhusen und der PoIier<br />

Frankenhorst werden zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt. In diesem Jahr hatte die Schule 32<br />

Gesellen und Lehrlinge und sechs Schüler aus anderen <strong>Schulen</strong>. 60<br />

Die Gewerbeschule entwickelte sich immer weiter zurück. Der Schulbesuch war sehr<br />

unregelmäßig und dementsprechend waren auch die Leistungen gering. Verschiedene<br />

Revisionen machten das Königliche Ministerium auf die Missstände aufmerksam. Die<br />

Stadtverwaltung bekam ernste Vorhaltungen zu hören. Ihr wurde sogar mit Entzug des<br />

Staatszuschusses gedroht. Oberschulrat Karmasch stellte fest, dass die Schule nur noch von<br />

neun Schülern besucht wurde, die noch nicht einmal regelmäßig erschienen. Lehrer Pabst<br />

saß noch immer unter dem Dach in seiner Behelfswohnung. Trotzdem gab er sich als Lehrer<br />

viel Mühe und wurde bei den Revisionen stets sehr gut beurteilt.<br />

Im Jahre 1838 wurde der „Lections-Plan der hiesigen Gewerbeschule für das Halbjahr vom<br />

1.April bis 1. Oktober“ verändert. Unterricht fand statt: Sonntags von 11 bis 12 Uhr, am<br />

Nachmittag von 14 bis 17 Uhr, zusätzlich jetzt am Montagabend von 20 bis 22 Uhr. In diesem<br />

Jahr wurde auch der staatliche Zuschuss auf jährlich 100 Taler erhöht, die vierteljährlich von<br />

der „Königlichen General Steuer Casse“ ausbezahlt wurden. 61<br />

In den ersten zehn Jahren des Bestehens der Gewerbeschule taten sich die<br />

Verantwortlichen sehr schwer, und es hatte den Anschein, dass dieser Zweig des<br />

Schulwesens sich nicht weiterentwickeln würde. Interessant ist das „Protestschreiben“ 62 aus<br />

dem Jahre 1839 zeugt es doch vom Engagement einzelner Schüler:<br />

Wir, die unterschriebenen Gewerbeschüler haben uns darüber zu beklagen, daß der Unterricht im freien<br />

Handzeichnen sehr unregelmäßig betrieben wird, indem der Herr Callmeyer mehremale schon aus der Stunde<br />

weggeblieben ist, ohne dieselbe einmal absagen zu lassen und wir die Zeit dann müßig zu bringen müssen,<br />

welches auch am heutigen Morgen geschehen ist. Wir bitten deshalb, wenn für die Zukunft dergleichen wieder<br />

passieren sollte, daß der Herr Callmeyer doch solches frühzeitig genug sagen lassen möge, weil mancher<br />

Lehrling sich unter der Zeit noch eine Kleinigkeit von seinem Herrn verdienen könnte.<br />

Klages, Küster, Fesel, Schumacher, Dralle, Matthies, Ründermann<br />

<strong>Verden</strong>, den 29. Dec. 1839<br />

Und mindestens ein Handwerksmeister dachte auch noch im Angesicht seines Todes an die<br />

Gewerbeschule! Der „Bäckeramtemeister“ Johann Herrmann Egenhusen 63 und seine<br />

Ehefrau Anna Marie gaben am 5. Januar 1839 ihr gemeinsames Testament gerichtlich zu<br />

Protokoll, welches zehn Tage später nach seinem Ableben veröffentlicht wurde. Das<br />

Ehepaar vermachte der „hiesigen Gewerbeschule 100 Thaler Gold“, welche nach dem Tode<br />

der Frau fällig werden sollten. 64 Zum „Executor“ des letzten Willens wurde der Advocat de<br />

Languilette bestimmt. Er erhielt für seine „Mühewaltung“ ein jährliches Honorar von 20 Talern<br />

60<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

61<br />

Vgl. ebd.<br />

62<br />

Ebd.<br />

63<br />

Seine Bäckerei befand sich in der Großen Straße 85. Vgl. VOIGT 1984, S. 211.<br />

64<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

19


Gold. Der Stadtsyndikus Dr. Friedrich Lang 65 unterschrieb und versiegelte („Stadtgericht<br />

<strong>Verden</strong>“) das Testament und nahm es „ad Depositum“. 66<br />

Im Jahre 1840 unterrichteten die Lehrer Pabst (Rechnen, Schreiben, Aufsätze und<br />

Geometrie), Kallmeyer (Handzeichnen) und ein neuer Lehrer, Winsemann (Linearzeichnen).<br />

1841 ist dann wieder der Lehrer Heuerhusen dabei.<br />

Im Sommersemester 1840 unterrichteten die Lehrer Pabst, Winsemann und Kallmeyer. Interessant,<br />

dass fleißige Schüler Geldprämien erhielten.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Wochenblatt, Nr. 17, 25.4.1840; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

Kapitel 2: Die Entwicklung der Gewerbeschule von 1841 bis 1887<br />

„Bekanntmachung: Die Schüler ..... sind, und letzterer wegen Widerspenstigkeit, für unwürdig<br />

erklärt, die Schule ferner zu besuchen, und daher aus dieser<br />

ausgestoßen ...“ 67<br />

Ältestes Schülerzeugnis von 1841<br />

Das älteste Zeugnis eines Schülers, das erhalten geblieben ist, stammt aus dem Jahre 1841:<br />

65 Dr. jur. Friedrich Lang war von 1807 bis 1852 in <strong>Verden</strong> als Stadtrichter und Syndikus (Rechtsvertreter) des<br />

Magistrats tätig. Langs Wohnhaus war das heutige Pferdemuseum (alte Adresse: Große Fischerstraße 438).<br />

Über die Grenzen <strong>Verden</strong>s hinaus wurde er bekannt, als er im Revolutionsjahr 1848 in das erste deutsche<br />

Parlament, das in der Paulskirche in Frankfurt/Main tagte, gewählt wurde. Obwohl in der Altersliste erst an<br />

vierter Stelle rangierend, eröffnete er als Alterspräsident die erste Sitzung der Deutschen Nationalversammlung:<br />

„Meine Herren! Das sehr zweideutige Glück, einer der ältesten in dieser Versammlung zu sein, verschafft mir<br />

die Ehre, an diesem Tage das Präsidium einer Versammlung zu führen, wie sie Deutschland noch nie gesehen,<br />

einer Versammlung, deren Beruf es ist, ein bedeutendes Stück der Weltgeschichte zu machen ...“. Vgl. NERGER<br />

o. J., S. 11.<br />

66 Depositum = im Depot (hier: Stadtgericht) hinterlegte Akte.<br />

67 Anzeige im Elb-, Weser- und Aller-Boten Nr. 62 (04.08.1858): Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II,<br />

H XVI 12,3.<br />

20


Heinrich Ludwig Schmidt,<br />

Sohn des hiesigen Schönfärbers, Herrn Ludolph Schmidt, ist von seiner frühen Jugend an bis jetzt ein Zögling<br />

meiner Schule gewesen. Er besuchte dieselbe recht regelmäßig und hat daher in der Ausbildung seiner recht<br />

guten Anlagen und Fähigkeiten sehr gute Fortschritte gemacht. Von seiner Fertigkeit im Zeichnen und in der<br />

Calligraphie erfolgen anbei einige Proben, wobei bemerkt wird, daß er völlig im Stande ist, dictirte Sachen<br />

schnell und richtig in seiner Muttersprache nachzuschreiben. Im Rechnen hat er die höheren Rechnungsarten,<br />

so wie den Elementar=Unterricht in der Geometrie angefangen, da er im gemeinen Rechnen die gehörige<br />

Fertigkeit bereits erlangt hat. Auch in den übrigen allgemeinen Schulwissenschaften hat er ganz gute<br />

Kenntnisse, und sein sittliches Betragen ist in jeder Hinsicht durchaus nur lobenswerth. Dieses Zeugnis wird auf<br />

Verlangen, der Wahrheit gemäß, gern von mir ertheilt.<br />

<strong>Verden</strong>, d. 11. May 1841 H. Heuerhusen, Organist und Schullehrer 68<br />

Zeugnis von Heinrich Ludwig Schmidt von 1841.<br />

So sahen die ersten Zeugnisse der Gewerbeschule aus!<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

Mit diesem Zeugnis wurde der Lehrling Heinrich Schmidt der Koeniglichen Verwaltungs-<br />

Commission der Gewerbeschulen zur Weiterbildung auf der Hoeheren Gewerbe-Schule 69 in<br />

Hannover vorgeschlagen, um später ins Ausland geschickt zu werden: „Die Direction des<br />

Gewerbe-Vereins hat im Einverständnisse mit den Provinzial-Vorständen beschlossen, auf<br />

Kosten des Vereins einigen sich qualificierenden Lehrlingen der Färberei auf der hiesigen<br />

68 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

69 Im Stadtarchiv <strong>Verden</strong> befindet sich eine „Gesetz-Sammlung zur Eröffnung der höheren Gewerbe-Schule zu<br />

Hannover <strong>1831</strong>“. Vgl. Rep. II, H XVI 12,1.<br />

21


höheren Gewerbe-Schule in denjenigen physikalischen und chemischen Kenntnissen<br />

unterweisen zu lassen, welche nach der jetzigen Ausbildung jenes Gewerbes für einen<br />

tüchtigen, den Anforderungen des Publicums entsprechenden Färber erforderlich sind;<br />

sodann aber diese Färberlehrlinge, falls sie sich dazu geeignet bezeigen, einige der<br />

vollendeteren und ausgedehnteren Färbereien des Auslandes zu weiterer praktischer<br />

Ausbildung bereisen zu lassen; beides unter der Bedingung, daß die solchergestalt<br />

unterstützten Färber die erworbenen Kenntnisse demnächst zum Nutzen des Landes<br />

verwenden und sich daher im Inlande besetzen.“ 70 So wurde bereits im Jahre 1841 schon<br />

der Nutzen des heute so modernen Technologietransfers erkannt! Ob der Färberlehrling<br />

Schmidt bei der Auswahl für die Weiterbildung Erfolg gehabt hat, ist aus den Akten leider<br />

nicht zu ersehen. Auch die im Zeugnis genannten Proben in den Fächern Zeichnen und<br />

Kalligraphie, der Schönschreibkunst, sind überliefert und werden hier in Auszügen<br />

abgedruckt.<br />

Federzeichnungen von Heinrich Ludwig Schmidt von 1841. Er signierte frankophil mit „Louis“ Schmidt.<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

70 Bekanntmachung. Stipendium für Färberlehrlinge. Gewerbeverein für das Königreich Hannover, 16. Julius<br />

1841. Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,1.<br />

22


Schulbesuch um 1840<br />

Wie bereits erwähnt, ließ der Schulbesuch sehr zu wünschen übrig. Der Bürgermeister<br />

Christoph Gottlieb Pfannkuche 71 machte als Vorsitzender der Commission der<br />

Gewerbeschule im Oktober 1840 öffentlich auf diese Umstände im <strong>Verden</strong>er Wochenblatt<br />

aufmerksam:<br />

Überall ist es zu beklagen, daß einzelne Meister ihren Lehrburschen bei Benutzung der Gewerbeschule eher<br />

hinderlich als beförderlich sind, und denselben mitunter so sehr falsche Ansichten über die Nothwendigkeit des<br />

Hauptzweiges des Unterrichtes beibringen, daß für die Zukunft der Grundsatz angenommen werden muß, daß<br />

Fleiß und Geschicklichkeit im Linear= und freien Handzeichnen mit einander verbunden nur denjenigen<br />

Schülern Ansprüche auf Prämien gewähre, welche zugleich eine im Schreiben und Rechnen unerläßliche<br />

Geschicklichkeit besitzen. 72<br />

Die Revolution von 1848/49 schlägt sich in den Akten der Gewerbeschule nicht nieder! Erst<br />

viel später, ab dem Jahre 1856 bemängeln die Handwerksmeister, dass ihre Lehrlinge in<br />

dem Zusammensein mit den Schulkameraden verdorben, zu übler Nachrede über den<br />

Meister und ihre Familien verleitet und mit revolutionären Ideen erfüllt würden. Inwieweit<br />

diese Bedenken begründet waren, lässt sich nicht feststellen. 73<br />

Im Jahre 1853 wurde in Nienburg die so genannte „Baugewerkenschule“ gegründet. Bereits<br />

1842 wurde die Baugewerkschule in Holzminden eröffnet. Die Zielrichtung dieser neuen<br />

Schulform wurde in den Lehrplänen erläutert:<br />

„Die Baugewerkschule, bestimmt jungen Bauhandwerkern, welche in ihrem Gewerbe bald mehr bald weniger<br />

soweit praktisch auf größeren Bauplätzen ausgebildet worden sind, daß sie, um nun auf die Meisterprüfung sich<br />

vorzubereiten, im Zeichnen weiter vorgebildet sein wollen, wissenschaftlichere Kenntnisse sich mehr erwerben<br />

müssen, wodurch sie mit mehr Nachdenken auf den Bauplätzen arbeiten, ferner bestimmt, Jünglingen, welche<br />

noch gar nicht in der Praxis beschäftigt sind, sich aber vorher die nothwendigsten wissenschaftliche Kenntnisse<br />

und Fertigkeiten im Zeichnen, Bossiren 74 und Modelliren 75 verschaffen wollen, um größere Vortheile aus der<br />

Lehrlingszeit zu ziehen ...“ 76<br />

In Holzminden gab es auch „kasernierte“ Schüler, sie wohnten während der Ausbildungszeit<br />

(22 Wochen im Winterhalbjahr) in einem extra Gebäude. Um sechs Uhr morgens wurde<br />

geweckt und um 22 Uhr musste sich jeder „zu Bette gelegt“ haben!<br />

„Unbedingt verboten ist das Tabacksrauchen im Schul- und Kasernements-Gebäude, überall das Kartenspiel<br />

und der Genuß geistiger Getränke. Der Schüler darf, so lange er sich hier auf der Schule befindet, keinem<br />

geheimen Vereine 77 des Zimmer- oder Maurergewerks angehören, überhaupt die Herbergen nicht besuchen.“ 78<br />

„Jeder Schüler hat alles Schuldenmachen in Gast- und Wirthshäusern zu vermeiden und bei der Aufnahme dem<br />

Director die Beobachtung dieser Gesetze, wovon ein Exemplar ihm übergeben wird, mit dem Handschlage zu<br />

geloben.“ 79<br />

71<br />

Er war Bürgermeister von 1837-1855.<br />

72<br />

<strong>Verden</strong>er Wochenblatt Nr. 40 (03.10.1840). Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

73<br />

Vgl. BERGEN 1931, S. 7.<br />

74<br />

Bossieren = roh gebrochene Mauersteine mit dem Bossiereisen behauen; hier gemeint: Ornamente in Ton<br />

nach Vorlagen und Zeichnungen herstellen.<br />

75<br />

Modellieren in Gips und Holz von Baukonstruktionen der Stein-, Holz- und Eisenverbindungen.<br />

76<br />

Lehrplan der Baugewerkschule zu Holzminden 1852, S. 1. Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,2.<br />

77<br />

Hier klingt noch die bürgerliche Angst vor der Revolution von 1848/49 durch. Nach der Niederschlagung der<br />

Revolution, von der nur das Bürgertum profitierte, wurde aus Angst vor einem Umsturzversuch durch das<br />

Proletariat in den deutschen Kleinstaaten ein Polizei- und Spitzelwesen installiert. Engagierte Arbeiter flüchteten<br />

ins Ausland oder gingen in den Untergrund.<br />

78<br />

Lehrplan der Baugewerkschule zu Holzminden 1852, S. 7. Vgl. ebd.<br />

79<br />

Lehr-Plan der Baugewerkenschule zu Nienburg, S. 4. Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,2.<br />

23


Der Unterricht begann um sieben Uhr und endete um acht Uhr abends (zwei Stunden<br />

Pause).Voraussetzung für die Aufnahme war, dass der Schüler zwei Jahre im Dienst eines<br />

Meisters gestanden haben musste. Das Schulgeld betrug 14 Reichstaler im Halbjahr. 1852<br />

hatte die Schule in Holzminden 280 Schüler (davon nur 43 Hannoveraner, drei Schüler<br />

kamen sogar aus der Schweiz!) und die Schule in Nienburg 85 Schüler. Die Ausbildung<br />

dauerte eineinhalb Jahre (drei Halbjahreskurse: Dritte (untere) Classe, Zweite (mittlere)<br />

Classe, Erste (obere) Classe) in je zwei parallele „Abtheilungen“.<br />

Eine derartige Schulform wurde in <strong>Verden</strong> noch nicht diskutiert. Erst im Jahre 1887 machte<br />

sich der <strong>Verden</strong>er Schulleiter Gedanken über einen dreijährigen Kursus der Gewerbeschule!<br />

Zurück zur Gewerbeschule in <strong>Verden</strong>. 1853 wurde der Unterricht, der bislang am Sonntag<br />

und am Montagabend (20-22 Uhr) durchgeführt wurde, auf den Donnerstag (20-22 Uhr)<br />

ausgedehnt. Im Winterhalbjahr 1853/54 hatte sich die beachtliche Zahl von 89 Schülern<br />

eingeschrieben. 80 Um das Gewerbeschulwesen auf eine breitere Grundlage zu stellen, erließ<br />

der Minister des Innern am 7. April 1855 eine Verfügung, die den Städten empfahl, die Zünfte<br />

zu Schulbeiträgen und die Schüler zur Zahlung von Schulgeld heranzuziehen. Da die<br />

Schulgelder aber nicht eingeklagt werden konnten, führte es dazu, dass die meisten Zünfte<br />

nichts zahlten. Da auch die Stadt nicht mit Zuschüssen half, sondern ihre Pflicht getan zu<br />

haben glaubte, wenn sie den Schulraum zur Verfügung stellte, der außerdem noch<br />

Lehrerwohnung war, standen ab 1840 nur die 150 Taler Staatszuschuss für den Betrieb der<br />

Schule zur Verfügung.<br />

Doch das Ministerium in Hannover ließ nicht locker. Es wurde eine namentliche Liste der<br />

Meister und Lehrlinge und ein städtischer Zuschuss von 50 Talern im Jahr verlangt, der dann<br />

auch 1855 von der Stadt gewährt wurde. 81 Die Liste von 1855 weist 100 Lehrlinge auf, von<br />

denen 30% in <strong>Verden</strong> lebten und der Rest aus den Landgemeinden kam. Sie stammten fast<br />

alle aus ärmlichsten Verhältnissen, eine Zahlung des Schulgeldes war ihnen nicht möglich. In<br />

der Magistratssitzung am 2. August 1855 wurde trotzdem ein Schulgeld in Höhe von 12<br />

Groschen beschlossen, von denen sechs zu Beginn des Schuljahres im Herbst und sechs zu<br />

Ostern zu zahlen waren. Der Unterricht, der an den Sonntagen auch während des<br />

Gottesdienstes stattfand, musste auf Anordnung der Verwaltungskommission so gelegt<br />

werden, dass die Stunden für den Vor- und Nachmittagsgottesdienst frei gehalten wurden.<br />

Dadurch ergab sich eine Umgestaltung des Stundenplans, die für Schüler und Lehrer nicht<br />

optimal war, lag doch jetzt der Sonntagsunterricht im Winter von 11:30 - 12:30 Uhr und am<br />

Nachmittag von 14 bis 17 Uhr! Weiterhin wurden die Schüler am Montag- und<br />

Donnerstagabend (20:00 - 22 Uhr) unterrichtet. Insgesamt wurden in der Woche acht<br />

Stunden unterrichtet. Der Lections-Plan für die Gewerbeschule in <strong>Verden</strong> auf das Winter-<br />

Semester 1855/6 zählt folgende Unterrichtsfächer auf: Bau- und Situationszeichnen, freies<br />

Handzeichnen allein, freies Hand- und Linearzeichnen, Schreiben, Deutsch und Aufsätze,<br />

Stereometrie, Tafelrechnen und geometrisches Zeichnen. 82 Als Lehrer wurden jetzt genannt:<br />

Trompeter Richter als Zeichenlehrer für das Freihandzeichnen, Giesges für das<br />

Fachzeichnen und Pabst für die Fächer Deutsch, Rechnen, Stereometrie, Aufsatz,<br />

Schönschreiben und Linearzeichnen.<br />

80 Vgl. <strong>Verden</strong>er Wochenblatt Nr. 89 vom 05.11.1853, Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,2.<br />

81 In den Folgejahren schwankten die Zuschüsse der Stadt zwischen 20 bis 50 Talern.<br />

82 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

24


Erster Schulvorstand (1856)<br />

Auf Anregung des neuen Bürgermeisters Theodor Münchmeyer 83 wurde in der Ratssitzung<br />

am 27.12.1855 beschlossen, einen Schulvorstand zu wählen. Er sollte die Belange der<br />

Schule wahrnehmen, für den ordnungsgemäßen Betrieb der Gewerbeschule sorgen und für<br />

die regelmäßige Unterrichtung des Magistrats der Stadt verantwortlich zeichnen. Im Januar<br />

1856 wurden in den Schulvorstand gewählt: Senator Meyer als Vertreter des Magistrats,<br />

Konrektor Sonne 84 als Vertreter des Bürgervorsteher-Kollegiums, Zimmermeister Dreyer,<br />

Tischlermeister Schwiening und Posamentier 85 Bischoff jun. als Vertreter des Handwerks.<br />

Am 17. März trat der neue Schulvorstand mit einem Organisationsplan auf, nachdem zwei<br />

nach Vorbildung und Fähigkeit der Schüler getrennte Klassen eingerichtet werden sollten.<br />

Zwei neue Lehrer waren dafür erforderlich. Der Lehrer Fiehn 86 von der Nicolaischule und der<br />

Zeichenlehrer Müller 87 vom Domgymnasium konnten gewonnen werden. Da die<br />

Klassenräume in der Nicolaischule nicht mehr ausreichten genehmigte die Königliche Dom-<br />

Struktur die Benutzung von drei Räumen im Schulgebäude des Domgymnasiums an der<br />

Domstraße.<br />

Bestimmungen der Gewerbeschule<br />

Am 25. März 1856 wurden dann die Bestimmungen für die Gewerbeschule zu <strong>Verden</strong><br />

verabschiedet. Hier einige interessante Auszüge:<br />

A. Einrichtung und Gesetze.<br />

§ 1. Die Gewerbeschule hat zum Zwecke, Gesellen und Lehrlingen, sowie sonstigen jungen Leuten, welche den<br />

Gewerben sich zu widmen beabsichtigen, die zu ihrem Berufe und ihrer Ausbildung erforderliche, ihren<br />

Fähigkeiten angemessene Anleitung zu geben.<br />

§ 2. Die Gewerbeschule steht unter einem Vorstande, welcher gebildet wird aus einem Mitgliede des<br />

Magistrats, einem Bürgervorsteher und drei Handels- oder Gewerbetreibenden....<br />

§ 3. Dem im §. 2 gedachten Vorstande steht die ganze Leitung der Schule zu, jedoch unter Aufsicht des<br />

Magistrats, welcher die Annahme oder Entlassung von Lehrern und die Remuneration 88 für diese, sowie<br />

überhaupt Änderungen in den organischen Bestimmungen und Einrichtungen der Schule zu genehmigen hat.<br />

Die Oberaufsicht über die Gewerbeschule steht der Königlichen Verwaltungs-Commission der Gewerbeschulen<br />

zu.<br />

§ 4. Die in <strong>Verden</strong> vorhandenen Handwerkslehrlinge sind nach Ablauf des 1sten Lehrjahres zum regelmäßigen<br />

Besuche der Gewerbeschule für die Dauer von 2 Jahren nach §. 113 der Gewerbe-Ordnung verpflichtet, jedoch<br />

müssen sie schon einige Vorkenntnisse im Rechnen und Schreiben besitzen.<br />

§ 5. ... Sollten diese jedoch die Unterrichtsstunden ohne ausreichenden Grund nicht regelmäßig besuchen, so<br />

sind sie ohne weiteres von der Theilnahme auszuschließen.<br />

§ 7. Jeder Schüler erlegt beim Beginne des Schulsemesters und zwar bei der Anmeldung ein Schulgeld von 6<br />

ggr 89 praenumerando 90 und hat außerdem für Papier, Feder, Bleifeder, Reißzeug u. s .w. zu sorgen.<br />

§ 8. Die Schüler müssen zu den Unterrichtsstunden reinlich gekleidet erscheinen, sich ruhig, anständig und<br />

gesittet betragen, den Lehrern die gebührende Achtung und bedingte Folgsamkeit erweisen, das Verunreinigen<br />

des Schullocals und überhaupt jede Beschädigung der Wände, Tische, Bänke u. s. w. vermeiden, auch die der<br />

Schule gehörigen Bücher, Instrumente, Modelle, Vorzeichnungen u. s. w. auf die sorgfältigste Weise schonen...<br />

83 Er war Bürgermeister von 1855-1890.<br />

84 Detlev Sonne (*1810) war Konrektor am Domgymnasium und unterrichtete dort das Fach Deutsch.<br />

85 Ein Posamentier stellte so genannte Besatzartikel (Borten, Quasten und Schnüre) her oder handelte damit.<br />

86 Wilhelm Fiehn (*1813) war Lehrer an der Nikolaischule und später an der Neuen Schule sowie Küster und<br />

Organist an St. Johannis. An der Gewerbeschule unterrichtete er die Fächer Schreiben und Rechnen.<br />

87 Friedrich Müller (*1816) war Portraitmaler und Zeichenlehrer am Domgymnasium. An der Gewerbeschule<br />

unterrichtete er das Fach Freihandzeichnen.<br />

88 Remuneration = Vergütung.<br />

89 ggr = Gute Groschen.<br />

90 praenumerando = im Voraus.<br />

25


§ 9. Grobe Verstöße gegen die Bestimmungen in §. 8 können mit Verweis, unter Umständen auch nach dem<br />

Beschlusse des Vorstandes mit dem Ausschlusse von der Schulanstalt geahndet werden.<br />

§ 10. Alljährlich ist zu einer von dem Vorstande zu bestimmenden Zeit eine öffentliche Prüfung zu halten.<br />

Denjenigen Schülern, welche durch Fleiß, regelmäßigen Schulbesuch, Sittsamkeit u. s. w. sich ausgezeichnet<br />

haben, kann nach Rücksprache mit den Lehrern von dem Vorstande eine Auszeichnung oder Prämie je nach<br />

den Mitteln der Casse bewilligt werden.<br />

§ 13.Gegenstände des Unterrichts sind:<br />

a. Schreiben.<br />

b. Deutsch nach Dictirübungen im Rechtschreiben und Anweisung zur Anfertigung von Rechnungen.<br />

c. Rechnen mit ganzen Zahlen und Brüchen, mit unbenannten und benannten, und gemeinverständliche<br />

Anleitung zum Kopfrechnen und zur Berechnung der Flächen und Körper, mit welchen die Schüler in ihrem<br />

Berufe umzugehen haben.<br />

d. Freies Handzeichnen nach Vorlageblättern.<br />

e. Linearzeichnen.<br />

f. Die ersten Elemente der Technologie mit besonderer Berücksichtigung der von den Schülern zu<br />

betreibenden Gewerbe, wobei die vorzüglich mit Wesen und Eigenschaften derjenigen Körper und Stoffe<br />

bekannt zu machen sind, mit denen sie in ihrem Gewerbe umgehen.<br />

§ 14. Sobald es ermöglicht werden kann, Unterricht im Modelliren und Bossiren ertheilen zu lassen, wird auch<br />

dieser Unterricht ertheilt werden, doch ist dafür von denjenigen Schülern, welche daran Theil nehmen, ein<br />

höheres Schulgeld zu erlegen, worüber das Weitere vorbehalten bleibt.<br />

<strong>Verden</strong>, am 25. März 1856<br />

Der Magistrat.<br />

Th. Münchmeyer 91<br />

Am 6. Oktober wurden die neuen Bestimmungen in Kraft gesetzt und in der Presse<br />

veröffentlicht:<br />

Bekanntmachung, den Besuch der Gewerbeschulen durch die Handwerkslehrlinge betreffend.<br />

Nachdem von der Verwaltungs-Commission der Gewerbeschulen mit Genehmigung des Königlichen<br />

Ministeriums des Innern ein neuer Lehrplan für die städtischen Gewerbeschulen ausgearbeitet worden, so hat<br />

das Königliche Ministerium des Innern zur Sicherstellung eines regelmäßigen Besuchs der betreffenden<br />

Gewerbeschulen Seitens der Handwerkslehrlinge sowie zur Ausführung des §. 113 der Gewerbe-Ordnung die<br />

nachfolgenden bereits für einige Gewerbeschulen bestehenden Vorschriften auf sämmtliche Städte und<br />

Flecken, in welchen Gewerbeschulen sich befinden, ausgedehnt.<br />

1. In den Orten, in welchen sich eine Gewerbeschule befindet, sind alle Handwerkslehrlinge, soweit die<br />

Obrigkeit nicht eine Ausnahme zuläßt, zum regelmäßigen Besuche der Gewerbeschule verpflichtet.<br />

2. Lehrlinge, welche ohne genügende Entschuldigung den Besuch der Gewerbeschule versäumen, sind mit<br />

Verweis bei wiederholtem Rückfalle mit Geldbuße bis zu 1 Thaler zu bestrafen.<br />

3. Handwerksmeister, welche ihre zum Besuche der Gewerbeschule verpflichteten Lehrlinge vom Besuche<br />

derselben abhalten, sind mit Verweis, im Wiederholungsfalle mit Geldbuße bis zu 5 Thalern zu bestrafen.<br />

4. Jeder zum Besuche der Gewerbeschule verpflichtete Lehrling hat vor der Zulassung zur Gesellenprüfung ein<br />

Zeugnis über den fleißigen Schulbesuch beizubringen.<br />

Die vorstehenden Bestimmungen werden zur Nachricht und Nachachtung für die Betheiligten hierdurch<br />

veröffentlicht.<br />

Stade, den 16. September 1856.<br />

Königlich Hannoversche Landdrostei.<br />

Auf Veranlassung der Königlichen Landdrostei zu Stade wird die vorstehende Bekanntmachung derselben vom<br />

16. v. M. den hiesigen Handwerksmeistern und Lehrlingen hiedurch zur Nachachtung zur besonderen Kunde<br />

gebracht.<br />

<strong>Verden</strong>, am 6. Oktober 1856.<br />

Der Magistrat.<br />

Th. Münchmeyer. 92<br />

Zum ersten Mal enthielten diese Bestimmungen die Schulpflicht. Leider fehlte die<br />

Möglichkeit, diese zwangsweise durchzuführen. Die Widerstände der Handwerker gegen die<br />

Gewerbeschulen im gesamten Königreich hörten nicht auf! Die Verwaltungskommission in<br />

91 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

92 Elb-, Weser- und Aller-Bote Nr. 81 (08.10.1856), Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

26


Hannover führte folgende Gründe für die bisherige mangelhafte Wirksamkeit der<br />

Gewerbeschulen im Königreich Hannover an:<br />

• Die Schülerzahl ist zu groß und zu gemischt. Eine genügende Teilung in Klassen ist<br />

wegen Mangels an Lehrern und Raum nicht durchführbar.<br />

• Viele Schüler, namentlich vom Lande, sind in den gewöhnlichen Kenntnissen zurück.<br />

• Viele Lehrer sind gerade für diesen Unterricht zu wenig vorgebildet. Sie behandeln die<br />

Lehrlinge genau so wie das acht- und neunjährige Schulkind und wenden sich nicht an<br />

das Anschauungs- und Denkvermögen des erwachsenen Schülers.<br />

• Der Schulbesuch ist zu unregelmäßig.<br />

Unterrichtsinhalte von 1856<br />

Aus dem Jahre 1856 sind folgende Unterrichtsinhalte überliefert:<br />

Deutsch: Der Unterricht beschränkte sich auf orthografische und grammatische Übungen.<br />

Diktiert wurden Themen aus dem Geschäftsleben. In der 1. Abteilung (Schüler mit guten<br />

Vorkenntnissen) wurden neben grammatischen Übungen und Diktaten Geschäftsaufsätze<br />

nach vorgelesenen Mustern angefertigt. Die Diktate behandelten nicht nur<br />

geschäftskundliche Themen. Es wird ein Diktat über Goethes Leben und Schriften erwähnt.<br />

Gelesen wurden Minna von Barnhelm und Wilhelm Tell.<br />

Rechnen: Der Unterricht ging kaum über die vier Grundrechnungsarten hinaus. Der Grund<br />

dafür lag in der mangelhaften Vorbildung der Schüler, von denen manche beim Eintritt in die<br />

Schule nicht einmal Zahlen schreiben konnten! In der 1. Abteilung wurde zunächst der Stoff<br />

der 2. Abteilung (Schüler mit geringen Vorkenntnissen) wiederholt. Dann wurde<br />

Bruchrechnung (auch Dezimalbrüche), Kettensatz, Münzberechnung, Gewinn- und<br />

Verlustrechnung, Zinsberechnung, Berechnung von Tara 93 und Gutgewicht, Flächen- und<br />

Körperberechnung behandelt.<br />

Schönschreiben: Es wurde nach Vorlagen unterrichtet und gleichzeitig mit<br />

Rechtschreibübungen verbunden.<br />

Technologie: der Unterricht, auch Werkkunde genannt, sollte die Schüler mit Wesen und<br />

Eigenschaften der Körper und Stoffe bekannt machen, mit denen sie in ihren Berufen in<br />

Berührung kamen. Dieser Unterricht kam aber bei den Schülern nicht an, da er bei der so<br />

gering entwickelten Denkfähigkeit der Schüler so wenig ausführlich erteilt werden konnte,<br />

daß der Tischler z. B., wenn von Holzarbeiten die Rede war, bei weitem mehr zu verstehen<br />

glaubte als der Lehrer und deswegen das Gebotene nicht beachtete.<br />

Es wurde daher mit nicht zu verkennendem Erfolg der Versuch gemacht über die<br />

allgemeinen Lehren der Naturlehre, soweit sie für das Handwerk Bedeutung haben, zu<br />

unterrichten. Der Unterricht wurde als Gewerbliche Naturlehre bezeichnet. Durchgenommen<br />

wurden: Grundzüge der Chemie, die Lehre von der Wärme, die Lehre vom Magnetismus, die<br />

Lehre vom Licht, chemische Eigenschaften der Körper und mechanische Erscheinungen an<br />

tropfbaren und flüssigen Körpern. 94<br />

Erster Schulleiter (1856)<br />

Bei der Gründung im Jahre <strong>1831</strong> erwähnt der Bürgermeister Carl Christian Münchmeyer 95 in<br />

seinem Schreiben an die Landdrostei in Stade den Architekten Bergmann als „Inspector“ 96<br />

der Gewerbeschule. Man kann aber davon ausgehen, dass man in den ersten Jahren des<br />

93 Tara = Verpackungsgewicht.<br />

94 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

95 Er war Bürgermeister von 1806 bis 1837.<br />

96 Vgl. WOOCK 1998, S. 279.<br />

27


Bestehens der Gewerbeschule, bei durchschnittlich 30 Schülern und drei Lehrern, noch<br />

keinen Schulleiterposten im herkömmlichen Sinne benötigte. Der bereits erwähnte Konrektor<br />

Sonne, der an der Gewerbeschule die Fächer Deutsch und Geometrie unterrichtete, galt im<br />

Schulvorstand als Leiter der Schule. Somit kann er als erster „echter“ Schulleiter der<br />

Gewerbeschule ab 1856 angesehen werden. Dadurch fühlte sich der Lehrer Pabst<br />

zurückgesetzt. Er hatte 15 Jahre an der Schule unterrichtet, hatte seine Wohnung aufgeben,<br />

damit diese in zwei Schulräume umfunktioniert werden konnte und war in die Dachkammer<br />

der Nicolaischule umgezogen. Er zog die Konsequenz und trat aus dem Kollegium der<br />

Schule aus. 97 Damit war das Revirement noch nicht beendet. Dem Zimmermann Giesges<br />

wurde wegen Trunkenheit gekündigt. Auch der Trompeter Richter musste ausscheiden. Als<br />

neue Lehrer traten neben den bereits oben erwähnten Fiehn und Müller, der Gymnasiallehrer<br />

Weinhardt und der Tischlermeister Bischoff jun. ein. In dieser Besetzung wurde auch noch<br />

der Unterricht im Winterhalbjahr 1858/59 durchgeführt.<br />

Konrektor Detlev Sonne war der erste „echte“ Schulleiter der Gewerbeschule von 1856-1860. Der<br />

Architekt Bergmann war seit der Gründung der Gewerbeschule im Jahre <strong>1831</strong> als „Inspector“ von der<br />

Landdrostei eingesetzt worden und war vermutlich bis 1856 eine Art Prüfungsinstanz.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

97 Hermann Heinrich Pabst leitete von 1829 bis zu seinem Tode 1860 die Nicolaischule.<br />

28


Öffentliche Bekanntmachung im Elb-, Weser- und Aller-Boten vom 4.8.1858.<br />

Der Pranger war auch in diesem Jahr noch nicht abgeschafft!<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,3.<br />

Lehrerhonorare und Unterrichtsfächer<br />

Die „Nachweisung über die Verhältnisse der Gewerbeschule zu <strong>Verden</strong> vom 1. October 1858<br />

bis dahin 1859“ 98 geben einen guten Einblick über die Arbeit der dort tätigen Lehrer. Als<br />

Local der Schule wird jetzt das Domgymnasium (damals noch an der Domstraße 99 ) mit drei<br />

Klassenräumen genannt. Es wurden zwei Klassen mit je sieben Wochenstunden unterrichtet.<br />

Jeder Lehrer erhielt jetzt pro Unterrichtsstunde (60 Minuten) 12 Taler Jahresgehalt. Das<br />

bedeutete eine erhebliche Gehaltsaufbesserung. Die ersten drei Lehrer der Gewerbeschule<br />

arbeiteten ja noch von <strong>1831</strong> bis 1834 ohne Gehalt! Erst ab 1835 konnten sie die 50 Taler<br />

Staatszuschuss jährlich unter sich aufteilen. Das bedeutete, dass Jeder pro unterrichtete<br />

Wochenstunde bis 1855 ca. acht Taler im Jahr erhielt. Konrektor Sonne unterrichte im<br />

Wintersemester 1858/9 2,5 Std. Deutsch und eine halbe Stunde Geometrie (= 36 Taler<br />

Gehalt), Lehrer Fiehn (3 Std. Rechnen, 1 Std. Schreiben = 48 Taler), Zeichenlehrer Müller (2<br />

Std. Handzeichnen = 24 Taler), Tischlermeister Bischoff jun. (2 Std. Linearzeichnen = 24<br />

Taler) und Gymnasiallehrer Weinhardt (1 Std. Gewerbekunde = 12 Taler). Die Lehrer<br />

unterrichteten ja auch noch zusätzlich an der Nicolaischule bzw. am Domgymnasium. Dort<br />

erhielten sie kein festes Gehalt, sondern mussten ihre Existenz durch das Schulgeld, das sie<br />

von ihren Schülern erhoben, bestreiten. Um 1800 war für die Existenzsicherung einer z. B.<br />

fünfköpfigen bürgerlichen Familie ein Jahreseinkommen von ca. 150 Talern erforderlich!<br />

2.000 Taler reichten für eine vornehme Familie in einer Residenzstadt wie Hannover. 100<br />

In dem Schulhalbjahr 1858/9 bestanden die zwei Klassen aus insgesamt 46 Schülern, davon<br />

43 aus dem Handwerkerstande. Die Unterrichtsgegenstände der zwei Klassen waren wie<br />

folgt aufgeteilt:<br />

� Erste Klasse<br />

98 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

99 Als Schulgebäude des Domgymnasiums diente bis 1779 das ehemalige Schlafhaus der Geistlichen am<br />

Lugenstein. Danach bezieht die Schule neue Räume im Obergeschoss an der Domstraße. Erst 1872 wird der<br />

heute noch genutzte Neubau errichtet.<br />

100 Vgl. OBERSCHELP 1986, S. LV.<br />

29


1. Deutsche Sprache 1 Std.<br />

2. Schreiben mit der 2ten Klasse verbunden 1 Std.<br />

3. Rechnen 1,5 Std.<br />

4. Praktische Geometrie 0,5 Std.<br />

5. Technologie mit der 2ten Kl. verbunden 1 Std.<br />

6. Handzeichnen 1 Std.<br />

7. Linearzeichnen 1 Std.<br />

insgesamt sieben Wochenstunden<br />

� Zweite Klasse<br />

1. Deutsche Sprache 1,5 Std.<br />

2. Schreiben mit der ersten Kl. verbunden 1 Std.<br />

3. Rechnen 1,5 Std.<br />

4. Technologie mit der ersten Kl. verbunden 1 Std.<br />

5. Handzeichnen 1 Std.<br />

6. Linearzeichnen 1 Std.<br />

insgesamt sieben Wochenstunden<br />

Bis 1779 diente als Schulgebäude des Domgymnasiums das ehemalige Schlafhaus der Geistlichen am<br />

Lugenstein. Danach bekam das Domgymnasium neue Räume an der Domstraße im Obergeschoss. In den<br />

Jahren 1855-1861 ist dort in drei Räumen auch die Gewerbeschule untergebracht. – Blick von der Domstraße.<br />

(Foto: J. Woock 1999)<br />

Durch die gemeinsame Beschulung der zwei Klassen in den Fächern Schreiben und<br />

Technologie ergibt sich für die Gewerbeschule eine Wochenstundenzahl von insgesamt 12<br />

Unterrichtsstunden.<br />

Als Einnahmen konnte die Schule im Winterhalbjahr 1858/9 aus der Königlichen<br />

Generalcasse 162 Taler und 15 Groschen, aus der <strong>Verden</strong>er Cämmereicasse nur 20 Taler<br />

und 18 Groschen verbuchen. Zusätzlich erhielt sie von den Gilden drei Taler und 15<br />

Groschen. An Schulgeld wurden 21 Taler und 15 Groschen eingenommen. Vier Taler und 12<br />

Groschen konnten an Zinsen von ausstehenden Capitalia verrechnet werden. Das ergab<br />

eine Gesamteinnahme von 212 Talern und 15 Groschen. Davon mussten 144 Taler für<br />

Lehrergehälter, drei Taler und fünf Groschen für Lehrmittel, vier Taler, 23 Groschen und fünf<br />

Pfennige für Heizung und Erleuchtung, acht Taler für Aufwartung und Reinigung, vier Taler<br />

für Prämien der Schüler gezahlt werden. Ein Taler und acht Groschen fielen an<br />

Verwaltungskosten an. Als letzte Ausgabe musste ein Vorschuss aus dem vorangegangenen<br />

Schuljahr verrechnet werden. Der Vergleich der Einnahmen zu den Ausgaben ergab einen<br />

Überschuss von 44 Talern, 15 Groschen und einem Pfennig.<br />

Ab 1845 gab es im Königreich Hannover für öffentliche <strong>Schulen</strong> das Volksschulgesetz. Doch<br />

erst im Jahre 1859 wurden die Schulverhältnisse in <strong>Verden</strong> durch die von der Regierung<br />

genehmigte Schulordnung 101 dem Gesetz angepasst. Die Stadt wurde in einen Schulbezirk<br />

101 Vgl. „Grundzüge über die Einrichtung des Volksschulwesens der Stadt <strong>Verden</strong>“, KIENZLE 1979, S. 98-100.<br />

30


zusammengefasst und hob die bisherigen Kirchspielschulen auf. 102 An deren Stelle setzte<br />

man die so genannte Freischule (frühere Armenschule), eine Volksschule (Schulgebäude der<br />

Nicolaischule, Schulzwang) für die unteren Schichten und eine gehobene Volksschule<br />

(höhere Bürgerschule, Besuch freiwillig) für die mittleren Stände. Für diese Schule wurde<br />

1859/60 ein neues Schulgebäude (Neue Schule) am Wall gebaut. 103 Für die beiden<br />

Volksschulen musste auch Schulgeld gezahlt werden (Nicolaischule ca. zwei Taler, Neue<br />

Schule fünf bis zehn Taler jährlich). Es wurden jetzt von der Stadt feste Gehälter an die<br />

LehrerInnen gezahlt. Da die Lehrer der beiden <strong>Schulen</strong> auch in der Gewerbeschule<br />

eingesetzt wurden, soll hier ein Überblick der Jahresgehälter (Stand 1860) gegeben<br />

werden: 104<br />

• Nicolaischule: erster Lehrer (1) 350 - 450 Taler<br />

Unterlehrer (max. 2) bis 200 Taler<br />

für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten bis zu 70 Taler<br />

• Neue Schule: Schulleiter (Inspector) 600 - 700 Taler<br />

Lehrer 105 (max. 2) 400 - 500 Taler<br />

Seminaristen als Hilfslehrer (max. 2) bis 250 Taler<br />

Lehrerin auf Kündigung (1) bis 200 Taler<br />

Die neue Bürgerschule („Neue Schule“) erbaut 1860 am Nikolaiwall. Hier erhielt die Gewerbeschule<br />

von 1860-1893 mehrere Räume. – Jubiläumspostkarte 1860-1910. (Sammlung Gerhard Ampf, <strong>Verden</strong>)<br />

Der Magistrat hatte die Absicht, in der Neuen Schule zwei Räume für die Gewerbeschule zur<br />

Verfügung zu stellen. Das Ministerium in Hannover forderte die Ausstattung dieser Räume<br />

102 Vgl. WOOCK 1998, S. 276f.<br />

103 Die Neue Schule war der Vorläufer der heutigen Realschule (1923 Gründung der „Mittelschule“). Das<br />

Gebäude wurde 1879/80 um ein Stockwerk erhöht, diente dann ab 1964 als Sonderschule („Andreasschule“)<br />

und seit 1988 ist dort die Kreisvolkshochschule untergebracht.<br />

104 Vgl. KIENZLE 1979, S. 99.<br />

105 Zum Vergleich: 1850 verdienten im Jahr in Bremen ein Bild- und Steinhauer 216 Taler, ein Zimmergeselle<br />

168 Taler und eine Reinmachefrau 120 Taler. Vgl. GERHARD 1984, S. 135, 130, 169. Im gleichen Jahr<br />

verdienten in Göttingen im Jahr der „Königliche Rath“ (Bürgermeister) 2.062 Taler, der Syndikus 1.238 Taler,<br />

der „Erste Stadtschreiber 503 Taler und 1837 der „Schreiblehrer“ Dr. phil. Scheele 400 Taler, inklusive freier<br />

Dienstwohnung. Vgl. GERHARD 1978, S. 223, 260, 328, 406.<br />

31


mit Zeichentischen und Stühlen. Im Herbst 1860 verließ die Gewerbeschule die Räume in<br />

Domgymnasium und siedelte in die Neue Schule über. Im Winterhalbjahr 1860/61 wurde der<br />

Gewerbeschule aber nur ein Zimmer für den Linear- und Rechenunterricht eingeräumt. Es<br />

unterrichteten jetzt fünf Lehrer: Zeichenlehrer Müller unterrichtete Freihandzeichnen; der<br />

Lehrer an der Neuen Schule, Herr Schrader, unterrichtete das Fach Linearzeichnen, Lehrer<br />

Fiehn unterrichtete in Schreiben und Rechnen; Konrektor Sonne unterrichtete das Fach<br />

Deutsche Sprache und der neue Schulleiter der Neuen Schule und der Gewerbeschule,<br />

Inspektor v. Staden 106 , gab das Fach Gewerbliche Naturlehre. 107<br />

Das Kollegium der Neuen Schule bestand aus dem Schulleiter v. Staden, Herrn Schrader<br />

(schied 1863 aus), Madame Meyer (schied 1865 aus), Herrn Peters (schied 1874 aus) und<br />

Wilhelm Fiehn (schied 1884 aus). Erster Lehrer an der Nicolaischule war Herr Alpers. 108<br />

Widerstände der Zünfte und der Handwerkermeister<br />

Im Jahre 1861 wurde vom Magistrat eine Statistik über die Handel- und Gewerbetreibende in<br />

<strong>Verden</strong> erstellt. Von den 5.779 Einwohnern waren 1.338 in Handel und Gewerbe tätig. In der<br />

Altersgruppe von 14 - 60 Jahren waren von den männlichen Einwohnern ca. 25% selbständig<br />

oder in leitender Stellung und ca. 40 % als Gehilfen und Arbeiter tätig. Ungefähr 4,5% der<br />

Frauen waren als selbständige Putzmacherinnen und Schneiderinnen und ca. 4,5% als<br />

Gehilfinnen und Arbeiterinnen beschäftigt. Nicht erfasst wurden die Beamten und<br />

Angestellten, die Landwirte und Tagelöhner. In <strong>Verden</strong> gab es in diesem Jahr 345<br />

selbständige Meister mit 473 Gehilfen in 53 verschiedenen Berufen! In der Gruppe der<br />

Kaufleute (35), Hausierer, Fuhrleute, Schiffer, Spediteure und Gastwirte (29!) waren<br />

insgesamt 103 Gehilfen tätig. Dazu kamen noch die 247 Beschäftigten der Industrie (davon<br />

63 Arbeiterinnen): Zigarrenfabriken (12), Bierbrauereien (4), Branntweinbrennereien (2),<br />

Essigfabriken (2), je einer Seifenfabrik, Kalkbrennerei, Ziegelei, Sägemühle und 26<br />

Webstühlen. 109 Anhand dieser wirtschaftlich guten Situation lag ein recht großes<br />

„Schülermaterial“ (über 100 Lehrlinge) für die Gewerbeschule vor.<br />

Die nun folgenden Jahre waren reich an Verfügungen der Verwaltungskommission, des<br />

Innenministeriums und des Schulvorstandes. Ein bemerkenswerter Vorschlag war die Zünfte<br />

anzuhalten, nur solche Lehrlinge freizusprechen, die bei der Gesellenprüfung ein Zeugnis der<br />

Gewerbeschule über fleißigen Schulbesuch und gutes Betragen vorlegen konnten. Leider<br />

verhielten sich auch hier die Zünfte ablehnend. Sie hatten kein Verständnis für die<br />

Bedeutung der Gewerbeschule. Im Jahre 1863 war die Schülerzahl auf den Tiefstand von<br />

nur 26 Gewerbeschülern gesunken! Da ein Großteil der Schüler häufig fehlte, kam es sogar<br />

dazu, dass in diesem Jahr der Unterricht mangels Schulbesuchs vorübergehend ausfallen<br />

musste. 110 Leider stellte sich der Magistrat der Stadt auf die Seite der Zünfte und<br />

Handwerksmeister und lehnte jegliche Zwangsmaßnahmen ab.<br />

106<br />

Johannes v. Staden (*1826) war ab 1860 Schulleiter der Neuen Schule und der Gewerbeschule. Er trug den<br />

Titel „Inspector“.<br />

107<br />

Vgl. Statistische Übersicht über die Verhältnisse der Gewerbeschule zu <strong>Verden</strong> aus dem Schuljahre vom 1.<br />

Oct. 1860 bis dahin 1861. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,4.<br />

108<br />

Vgl. REDAKTIONSAUSSCHUSS DER KONFERENZ DER MITTELSCHULE 1960, S. 21, 26.<br />

109<br />

Vgl. SCHÖTTLER 1986, S. 72.<br />

110<br />

Der Schulleiter in seinem „Examensbericht 1863“: „Im abgelaufenen Semester waren nur 26<br />

Gewerbeschüler eingeschrieben und davon gehören 3 nicht dem Gewerbestand an. Das ist eine bedeutende<br />

Verringerung zum vorigen Semester (49) und steht in keinem Verhältnis zu der Anzahl an Lehrlingen in der<br />

Stadt.“ Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner Nr.1 .<br />

32


In dieser Krisenzeit äußerte sich 1863 der Schulvorstand über die mangelnde Vorbildung der<br />

Gewerbeschüler:<br />

„Viele Lehrlinge, besonders die vom Lande, sind in der geistigen Entwicklung sehr zurück und zeigen bei allen<br />

denjenigen Unterrichtsgegenständen, die ein Denken erfordern, die unglaublichste Unwissenheit. Der Grund<br />

liegt darin, daß die Kinder des bemittelten Handwerkerstandes nicht wieder Handwerker, sondern Kaufleute<br />

werden wollen. Der Nachwuchs des Handwerks rekrutiert sich aus den unteren Schichten der Bevölkerung. Die<br />

geistige und moralische Verkommenheit mancher Familien zeigt sich dann noch bei den Lehrlingen in der<br />

Gewerbeschule. Die Volksschullehrer füllen nur das Gedächtnis der Schüler, ohne auf eine Entwicklung der<br />

Denkfähigkeit zu achten. Viele Schüler verstehen daher das Hochdeutsch des gewöhnlichen Lebens gar nicht,<br />

und das Wort des Lehrers ist für sie ganz verloren.“ 111<br />

Eine Pro Memoria betr. Organisation des technischen Unterrichtswesens im Königreich<br />

Hannover empfahl 1865 eine Umgliederung des gewerblichen Schulwesens in<br />

Fortbildungsschulen für schwach begabte Schüler, die den Lehrstoff der Volksschulen<br />

erweitern und festigen sollten, und in Gewerbeschulen, die mehr für fortgeschrittene Schüler<br />

und fachlicher Natur sein sollten. Die Diskussionen über dieses Pro Memorias führte zu einer<br />

Ablehnung durch den Magistrat, das Bürgervorsteherkollegium und auch den Schulvorstand.<br />

Begründet wurde die Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Voraussetzungen für die<br />

zweite Schulart in <strong>Verden</strong> nicht gegeben seien und die erste Art schon vorhanden sei. Diese<br />

Gelegenheit benutzten die Handwerker, gegen das gesamte Gewerbeschulwesen Sturm zu<br />

laufen und forderten die Aufhebung der vorhandenen Sonntagsgewerbeschule. Sie kamen<br />

damit zwar nicht durch, erreichten aber, dass die Schulzeit auf die Wintermonate beschränkt<br />

blieb, was einen wesentlichen Rückschritt auf dem Gebiet der Handwerkerfortbildung<br />

bedeutete. Nach dieser Erleichterung für das Handwerk glaubte nun andererseits der<br />

Schulvorstand, für die Wintermonate den Schulzwang - und im Übertretungsfall Strafen für<br />

die Meister und Lehrlinge - fordern zu müssen. Aber der Magistrat lehnte auch diesen<br />

Vorschlag ab. Wieder musste die Verwaltungskommission in Hannover eintreten. Sie forderte<br />

in einer Verfügung strengstes Vorgehen gegen die Meister und Schüler. Außerdem sollte es<br />

Pflicht werden, bei der Gesellenprüfung ein Zeugnis der Gewerbeschule über fleißigen<br />

Schulbesuch und gutes Betragen vorzulegen.<br />

Die Preußen kommen: „Fortbildungsschule“<br />

Als Preußen 1866 das Königreich Hannover annektierte, 112 fand es ein vom Staat<br />

gefördertes und in den Städten recht gut ausgebautes gewerbliches Schulwesen vor. Da in<br />

den alten Provinzen auf diesem Gebiet noch recht wenig durch den Staat geschehen war,<br />

musste Preußen gesetzgeberisch und haushaltsmäßig sehr viel nachholen, um in der<br />

eroberten Provinz nicht rückständig zu erscheinen bzw. diese gegenüber den alten Gebieten<br />

nicht zu bevorzugen. 113 In den vorliegenden Akten lassen die politischen Ereignisse von<br />

1866 keine Auswirkungen auf die Gewerbeschule erkennen. In diesem Jahr wurde der<br />

Schulleiter der Neuen Schule, Inspektor v. Staden, auch Leiter der Fortbildungsschule, wie<br />

jetzt in Preußen die Gewerbeschulen genannt wurden. In diesem Jahr hatten sich nur 25<br />

Schüler angemeldet, obwohl in der Stadt 141 Lehrlinge im Handwerkerstande beschäftigt<br />

waren.<br />

111 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

112 Als im Frühjahr 1866 der Konflikt zwischen Österreich und Preußen auszubrechen drohte, ließ König Georg<br />

V. gegen Preußen rüsten (Deutscher Krieg). Am 16. Juni erfolgte die preußische Kriegserklärung und bereits<br />

am 29. Juni kapitulierte Hannover bei Langensalza. Der König von Preußen ergriff von Hannover Besitz, das<br />

fortan eine Provinz des preußischen Staates bildete. Am 1.10.1867 wurde die preußische Verfassung<br />

eingeführt. 1885 wurde eine neue Provinzial- und Kreisordnung erlassen, die die Landdrosteien in<br />

Regierungsbezirke umwandelte und an die Spitze der Kreise Landräte stellte.<br />

113 Vgl. THIES 1962, S. 377.<br />

33


Johannes von Staden war ab 1860 Schulleiter der höheren Bürgerschule („Neue Schule“) und der<br />

Gewerbeschule/Fortbildungsschule (bis 1888). Er hatte von der Stadt den Titel „Schulinspektor“<br />

verliehen bekommen.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

Die preußische Regierung hatte auch das Bestreben, dem Handwerkernachwuchs eine gute<br />

Ausbildung zu geben. Durch die Aufhebung der Zünfte wurde der Einfluss der Regierung auf<br />

die <strong>Schulen</strong> und Handwerkerorganisationen wesentlich verstärkt. Wenn auch nicht alle<br />

Lehrlinge erfasst wurden, konnte doch eine erfreuliche Zunahme der Schülerzahl verzeichnet<br />

werden.<br />

Mit der Eroberung des Königreiches Hannover durch Preußen waren die Konflikte um die<br />

Führung Deutschlands nicht abgeschlossen. 1865 hatte man noch mit einer gemeinsamen<br />

preußisch-österreichischen Führung in Deutschland gerechnet. Bismarck hatte 1866 im<br />

Frankfurter Bundestag eine Reform 114 des Deutschen Bundes beantragt. Hätte sich Wien<br />

darauf eingelassen, wäre es einer Kapitulation Österreichs ohne Krieg gleichgekommen. Da<br />

dies nicht geschah, war der Waffengang ebenso unvermeidbar wie nach der österreichischen<br />

Niederlage im Felde 115 die Abtrennung Österreichs von Deutschland. Der Deutsche Bund<br />

wurde aufgelöst, Österreich zog sich aus Deutschland zurück und erkannte den staatlichen<br />

Gestaltungsanspruch Preußens nördlich der Mainlinie in dem neu zu schaffenden<br />

Norddeutschen Bund an. Die süddeutschen Staaten blieben weiter unabhängig. Aber auch<br />

von diesem Krieg ist in den Akten über die Fortbildungsschule nichts zu spüren. Die<br />

Gründung des Deutschen Reiches 116 im Jahre 1871 brachte allerdings einige Fortschritte.<br />

114 Diese Bundesreform hätte zu einer kleindeutschen Lösung (ohne Österreich) geführt.<br />

115 Preußen entschied den Krieg in wenigen Wochen mit der Schlacht bei Königgrätz (03. Juli 1866)<br />

überraschend schnell für sich. Die militärische Stärke Preußens wurde über Nacht zu einem gewichtigen Faktor<br />

in der europäischen Politik. Der Weg zur deutschen Einigung unter Preußens Führung schien vorgezeichnet.<br />

116 Am 19. Juli 1866 erklärte die französische Regierung Preußen den Krieg. Vorausgegangen war der Streit um<br />

die spanische Thronfolge („Emser Depesche“). In dem Krieg standen sich jedoch nicht nur Preußen und<br />

Frankreich gegenüber. Vielmehr schlossen sich die süddeutschen Staaten Preußen an. Russland konzentrierte<br />

34


Im Halbjahr 1870/71 konnte die Gewerbeschule drei Zimmer in der Neuen Schule ihr Eigen<br />

nennen. 36 Schüler besuchten die Schule nur mangelhaft. Sieben Schüler gingen noch<br />

während der Schulzeit von der Schule ab und nur neun Schüler erhielten im Zeugnis die<br />

Bewertung „recht regelmäßiger Schulbesuch“. Im Sommer fand immer noch kein Unterricht<br />

statt. Nachdem 1863 der Lehrer Schrader ausgeschieden war, kam 1865 Heinrich Rosebrock<br />

(*1836), der an der Neuen Schule unterrichtete, als Lehrer für die Fächer Linearzeichnen und<br />

Deutsch an die Gewerbeschule. 117<br />

Durch Veröffentlichungen von Grundzügen für die Einrichtung von Fortbildungsschulen<br />

wollte die Regierung der Stadtverwaltung und dem Schulleiter die Einführung zeitgemäßer<br />

Neuerungen erleichtern. Die Grundzüge von 1874 geben Anweisung über die<br />

Schulgestaltung, Stoffauswahl, Zeichenunterricht und Methode. Im Jahre 1876 hat die<br />

Gewerbeschule den absoluten Höchststand von 61 eingeschriebenen Schülern. Es wird<br />

bemängelt, dass kein Platz mehr in dem einen Klassenraum wäre.<br />

Stundenplan von 1884<br />

In dem Schreiben vom 8. Dezember 1884 wandte sich der Schulleiter v. Staden an den<br />

Syndicus 118 der Stadt, Wilhelm Schorcht. 119 Er fügte seinem Brief einen Stundenplan unter<br />

Angabe der betreffenden Lehrer und den Honorarbeträgen bei. Er wies darauf hin, dass nach<br />

bisheriger Praxis das Honorar immer für zehn Wochen pro Quartal ausgezahlt wurde, egal<br />

ob das Vierteljahr länger oder kürzer war und bemerkte, dass es übrigens nie kürzer war. Da<br />

das nächste Quartal sogar 12 Schulwochen lang wäre, bat er darum, dass das Honorar auch<br />

für die zwei überzähligen Schulwochen bezahlt werden sollte. 120<br />

Der Stundenplan sah im Jahre 1884 so aus: 121<br />

Sonntag 8:00 - 10:00 Uhr Freihandzeichnen v. Staden nach Wahl<br />

8:00 - 10:00 Uhr Linearzeichnen Rosebrock der Schüler!<br />

15:00 - 16:00 Uhr Schönschreiben Rosebrock Abteilung I + II<br />

Montag 20:00 - 21:30 Uhr Rechnen Rosebrock I<br />

20:00 - 21:00 Uhr Physik Beyer II<br />

Dienstag 20:00 - 21:30 Uhr Geometrie v. Staden I<br />

20:00 - 21:30 Uhr Geometrie Rosebrock II<br />

Donnerstag 20:00 - 21:30 Uhr Deutsch Breuer I<br />

20:00 - 21:30 Uhr Rechnen Rosebrock II<br />

Freitag 20:00 - 21:00 Uhr Physik Beyer I<br />

20:00 - 21:30 Uhr Deutsch Breuer II<br />

seine Truppen entlang der Grenze zu Österreich-Ungarn, hielt dadurch Österreich von einem Eingreifen auf<br />

Seiten Frankreichs gegen Preußen ab. Nach vier Wochen waren die französischen Armeen in Metz und Sedan<br />

eingeschlossen. Sogar Napoleon III. geriet in preußische Kriegsgefangenschaft und ging nach England ins Exil.<br />

Sein Regime brach zusammen, Frankreich wurde zur Republik erklärt. Im Januar 1871 kapitulierte das<br />

belagerte Paris – Frankreich war geschlagen. Und zehn Tage zuvor wurde im Spiegelsaal des Schlosses von<br />

Versailles der König von Preußen zum Kaiser Wilhelm I. proklamiert. Die Einheit des Deutschen Reiches war<br />

damit hergestellt.<br />

117 Vgl. „Statistische Uebersicht über die Verhältnisse der Gewerbeschule zu <strong>Verden</strong> aus dem Schuljahr vom 1.<br />

October 1870 bis 1. October 1871“. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,4.<br />

118 Syndikus = Rechtsberater und Stadtrichter.<br />

119 Schorcht war der letzte Syndikus (Amtszeit 1884-1890). Er war dann von 1890- 919 Bürgermeister der Stadt.<br />

120 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 3,1.<br />

121 Vgl. ebd.<br />

35


Die Lehrer erhielten für 60 Minuten Unterricht in der Woche (an Werktagen) 15 Mark im<br />

Quartal und für eine Schulstunde am Sonntag 18,75 Mark im Quartal. Auch der Schulleiter,<br />

Inspektor v. Staden, erhielt das gleiche Stundenhonorar! Inwieweit seine Verwaltungstätigkeit<br />

für die Schule vergütet wurde, geht aus den Akten nicht hervor. So bekam für dieses<br />

Winterhalbjahr (im Sommer wurde nicht unterrichtet) der Lehrer v. Staden = 60 Mark,<br />

Rosebrock = 123,75 Mark, Beyer = 30 Mark und Breuer = 45 Mark. Dies ist als<br />

„Nebenverdienst“ zu verstehen, waren doch alle Kollegen noch an der Neuen Schule<br />

hauptberuflich tätig: Heinrich Breuer (von 1877 bis 1921) und Arnold Beyer (von 1861 bis<br />

1891). 122 Interessant an diesem Stundenplan ist, dass fachpraktische Themengebiete wie<br />

Werkkunde/Technologie und Modellieren, die früher unterrichtet wurden, nicht mehr auf dem<br />

Stundenplan standen.<br />

Der Schulleiter v. Staden schrieb in seinem Jahresbericht von 1886:<br />

„So lange die Gewerbeschule in dieser Stadt besteht, hat sie mit der Abweisung der Lehrherren, ihre Lehrlinge<br />

hierher zu schicken, zu kämpfen gehabt. Wenn wir also zu beklagen haben, daß in diesem Jahr die Zahl der<br />

eingeschriebenen Schüler nur 18, während doch in den letzten Jahren die Zahl der Schüler fast doppelt so groß<br />

war, so kann das nur zur Zeit in dem oben angeführten Übelstand seinen Grund haben. Es ist hier sicher nicht<br />

der Ort den Ursachen dieser Erscheinung nachzugehen. Mein Bericht hat nur den Umstand zu melden.“ 123<br />

Erstes Ortsstatut der Fortbildungsschule<br />

Im Jahre 1887 entstanden die ersten Ortsstatute betreffend die gewerblichen<br />

Fortbildungsschulen in Preußen auf der Grundlage der §§ 120, 142 der Gewerbeordnung für<br />

das Deutsche Reich vom 1. Juli 1883. Das Ortsstatut der Stadt <strong>Verden</strong> vom 31.10.1887<br />

schrieb den Schulzwang 124 und Schulgeld in Höhe von 75 Pfennige für das Winterhalbjahr<br />

vor. Das, wofür sich der Schulvorstand unter Konrektor Sonne jahrelang vergeblich<br />

eingesetzt hatte, war nun endlich durch Gesetz erreicht. Von nun an wurden alle<br />

Handwerkslehrlinge erfasst und die Schule nahm einen erfreulichen Aufschwung. Trotzdem<br />

blieb der Unterricht vorläufig auf die Wintermonate beschränkt. Im Anschluss an diese<br />

gesetzgeberischen Maßnahmen wurden 1895 die Fortbildungsschulen in Achim und dem<br />

damals noch zum Kreis Achim gehörigen Hemelingen gegründet.<br />

Bereits im März 1887 hatte sich der Schulleiter, Inspektor v. Staden, Gedanken über eine<br />

Weiterentwicklung des Stundenplanes gemacht. Sein Entwurf eines Unterrichtsplanes für die<br />

Gewerbeschule bei dreijährigem Kursus 125 stellte er sich wie folgt vor:<br />

III. Klasse, Unterstufe: Deutsch und Lesen (3) 126 , Rechnen und Geometrie (2), Zeichnen<br />

(Erstes Jahr) (Freihand- oder Reißzeichnen) (2) kombiniert mit II und I,<br />

Schreiben (1) kombiniert mit II.<br />

122<br />

Zu den angegebenen Beschäftigungszeiten vgl. REDAKTIONSAUSSCHUSS DER KONFERENZ DER MITTELSCHULE<br />

1960, S. 26f.<br />

123<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner Nr. 1. Im Jahre 1887 hatte die Schule dann wieder 37<br />

Schüler.<br />

124<br />

„Alle im gedachten Bezirke sich regelmäßig aufhaltenden gewerblichen Arbeiter (Gesellen, Gehülfen,<br />

Lehrlinge, Fabrikarbeiter), welche das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind verpflichtet, die<br />

hierselbst errichtete gewerbliche Fortbildungsschule während des Winterhalbjahres an den festgesetzten Tagen<br />

und Stunden zu besuchen und an dem Unterricht Theil zu nehmen.“ Ortsstatut, betreffend die gewerbliche<br />

Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong>, in: Hannoversche Volks-Zeitung und Kreisblatt für den Kreis <strong>Verden</strong>, 56. Jg., Nr.<br />

136, 16. November 1887. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,3.<br />

125<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 4,1.<br />

126<br />

Die Zahlen in Klammern geben die Zahl der Wochenstunden an.<br />

36


II. Klasse, Mittelstufe: Deutsch (2), Rechnen und Geometrie (2), Physik (1), Zeichnen<br />

(Zweites Jahr) (Freihand- oder Reißzeichnen) (2) kombiniert mit III und I.<br />

Schreiben (1) kombiniert mit III.<br />

I. Klasse, Oberstufe: Deutsch (2), Rechnen und Geometrie (2), Physik (1), Zeichnen<br />

(Drittes Jahr) (Freihand- oder Reißzeichnen) (2) kombiniert mit III und II.<br />

Geschichte (1)<br />

Das wären dann insgesamt 21 Wochenstunden, verteilt auf fünf Sonntags- und 16<br />

Werktagsstunden gewesen. Die Honorarkosten hätten dann für ein Halbjahr 667,50 Mark<br />

betragen. Zum Vergleich: Im Jahre 1884 musste die Stadt nur ca. 270 Mark pro Quartal an<br />

Gehälter für den Unterricht an der Fortbildungsschule auszahlen! Im Schuljahr 1887/88<br />

wurden bereits die Planungen vom Schulleiter umgesetzt.<br />

Kapitel 3: Die Entwicklung der Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong><br />

von 1887 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges<br />

„Sie pflegt die Liebe zum Vaterlande, entwickelt opferwilligen Gemeinsinn, erwärmt die<br />

jugendlichen Seelen...“ 127<br />

Strafe muss sein!<br />

Blieben die Schüler dem Unterricht ohne Entschuldigung fern, dann setzte eine konsequente<br />

„Strafverfolgung“ ein. Von dieser erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Schule und<br />

zuständiger Behörde können wir heute nur träumen. SchulleiterInnen und<br />

KlassenlehrerInnen der Schulform Berufsvorbereitungsjahr können davon ein Lied singen.<br />

Das hier wiedergegebene Formblatt „IV“ bezieht sich auf die „Minister.-Anw. v. 8. Juni<br />

1883“: 128<br />

Nr. 87 der Strafliste pro 1895.<br />

Sie haben in der Zeit vom 17. Februar bis 9. März 1895 4 Stunden den Unterricht in der gewerblichen<br />

Fortbildungsschule zu <strong>Verden</strong> ohne Entschuldigung versäumt.<br />

Die Uebertretung wird beweisen durch das Zeugnis des Lehrers Breuer hier.<br />

Es wird deshalb gegen Sie auf Grund des § 5 des Ortsstatuts betreffend die gewerbliche Fortbildungsschule in<br />

der Stadt <strong>Verden</strong> vom 23. September 1891<br />

Eine bei dem Stadtschreiber Mahlstedt hier zu erlegende Geldstrafe von einer Mark, an der Stelle, wenn sie<br />

nicht beizutreiben ist, eine Haft von einem Tage tritt, hierdurch festgesetzt.<br />

Sollten Sie sich durch die Straffestsetzung beschwert halten, so können Sie innerhalb einer Woche, von<br />

Zustellung dieser Verfügung an, bei der unterzeichneten Behörde schriftlich oder zu Protokoll, oder bei dem<br />

zuständigen Amtsgerichte schriftlich oder zum Protokoll des Gerichtsschreibers, auf gerichtliche Entscheidung<br />

antragen. Erfolgt binnen dieser Frist ein solcher Antrag nicht, so wird die festgesetzte Strafe vollstreckt.<br />

Gegen die Versäumung der Antragsfrist kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beansprucht werden,<br />

wenn der Beschuldigte durch Naturereignisse oder durch andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der<br />

Frist verhindert worden ist. Der Antrag muß binnen einer Woche nach Beseitigung des Hindernisses unter<br />

127<br />

Charakterisierung der Fortbildungsschule in der Einladung zum 8. Deutschen Fortbildungsschultag 1905 in<br />

Stettin.<br />

128<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

37


Angabe und Glaubhaftmachung der Versäumnisgründe bei der Polizeibehörde oder bei dem Amtsgerichte<br />

angebracht werden.<br />

<strong>Verden</strong>, den 16. März 1895<br />

Der Magistrat.<br />

An<br />

Den Zigarrenarbeiter Robert Kaupp hier.<br />

Zugestellt am 19. März 1895<br />

Krafft<br />

Polizeisergeant<br />

Hart durchgegriffen wurde in ähnlichen Fällen auch noch nach dem 1. Weltkrieg. Der<br />

Schulleiter nannte z. B. in einem Schreiben vom 27.10.1915 an die Stadt die Namen der<br />

gewerblichen Arbeiter bzw. Lehrlinge, „die sich vom Besuch der Fortbildungsschule<br />

fernhalten“ (fünf Packer der ansässigen Zigarrenfabriken, zwei Hausknechte, ein Barbier, ein<br />

Schuhmacher und zwei Lehrlinge von Gärtner Harborth). Auf dem Schreiben vermerkte der<br />

Syndikus der Stadt: „Sollen sich am Montag, 1.11.15, mittags 12 Uhr, Zimmer 3 zur<br />

Verwarnung melden und auch das Schulgeld mitbringen.“ Der Polizeiwachtmeister Fischer<br />

notierte ebenfalls: „Obige sind geladen.“ 129<br />

„Zwangsarbeit“ in der Fortbildungsschule<br />

Schulleiter v. Staden schreibt in seinem Bericht über das Schuljahr 1887/88 der<br />

Fortbildungsschule: 130<br />

„Die diesjährige Gewerbeschule ist [in] ungewöhnlicher Unruhe verlaufen, weil in der Mitte des Halbjahres die<br />

Umformung der 2 klassigen in eine 3 klassige Schule fällt. Außerdem unterscheidet sie sich auch nicht<br />

unwesentlich von den <strong>Schulen</strong> anderer Jahre, weil zu mind. der Anfang für einen Schulzwang gemacht ist.“ 131<br />

Der Schulzwang wurde 1887, wie bereits beschrieben, im Ersten Ortsstatut der gewerblichen<br />

Fortbildungsschule <strong>Verden</strong> festgesetzt, und, wie der Schulleiter bemerkte, auch umgesetzt.<br />

Die Überlegungen v. Stadens, eine dreiklassige Fortbildungsschule einzurichten, wurde<br />

bereits im Winterhalbjahr 1887/88 Wirklichkeit! Wurden in der Vergangenheit die Schüler<br />

aufgrund ihres Wissensstandes auf zwei Klassen verteilt, so waren die Unterrichtsinhalte<br />

jetzt auf drei „aufsteigende“ Stufen organisiert, die sich an der im Durchschnitt dreijährigen<br />

Lehrzeit der Schüler orientierte. Der neue Lehrplan sah für das Schulhalbjahr 1887/88 132<br />

folgende Aufteilung für die 92 Schüler vor: III. Klasse (Unterstufe) : Deutsch (3) 133 , Rechnen<br />

(2), Raumlehre (1), Zeichnen (2), Physik (1); II. Klasse (Mittelstufe): Deutsch (2), Rechnen<br />

(2), Raumlehre (1), Zeichnen (2), Schreiben (1), Naturlehre (1); I. Klasse (Oberstufe):<br />

Deutsch (2), Rechnen (2), Raumlehre (1), Zeichnen (2), Naturlehre (1), Geschichte (1).<br />

Interessant ist, dass damals ein allgemeinbildendes Fach wie Geschichte für wichtig erachtet<br />

wurde. Sieht man sich die Unterrichtsinhalte in diesem Fach an, dann wird einem klar, dass<br />

mit dieser Geschichtsvermittlung „von oben“ obrigkeitsgläubige Untertanen herangezogen<br />

werden sollten. Der Sinn und Unsinn des Faches „Politik“ an der Berufsschule erhitzt noch<br />

heute die Gemüter von SchülerInnen, „Lehrherren“ und manchem Fachkollegen.<br />

129<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Protokollbuch (1898-1932).<br />

130<br />

v. Staden selbst nennt „seine“ Schule durchgehend immer „Gewerbeschule“. Diese Bezeichnung hält sich<br />

noch bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts.<br />

131<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

132<br />

Vgl. ebd.<br />

133<br />

In Klammern die Wochenstunden pro Winterhalbjahr (in der Regel ca. 20 Wochen).<br />

38


Lange hatten sich die Handwerksmeister geweigert, ihre Lehrlinge in die Gewerbeschule zu<br />

schicken, obwohl diese, aus Rücksicht auf die Handwerksbetriebe, nur im Winterhalbjahr<br />

geöffnet wurde. Und da der Besuch bis 1887 freiwillig war, sahen die Meister keinen Grund,<br />

ihre billige Arbeitskräfte fortzubilden zu lassen.<br />

Wie sich der vorangegangene „zwanglose“ Schulbesuch bemerkbar machte, zeigt die<br />

Tabelle: 134<br />

Schuljahr Anzahl der<br />

Schüler/<br />

Lehrlinge<br />

1862/63 26<br />

Bemerkungen<br />

1865/66 25 „Aber 141 Lehrlinge im Handwerkerstand!“<br />

1867/68 25 (incl.<br />

1 „Handlanger“)<br />

5 Tischler, 4 Zimmerleute, 2 Schlosser,<br />

2 Schmiede, 2 Maler, 2 Schuster, 2 Klempner,<br />

1 Maurer, 1 Bäcker, 1 Schneider, 1 Buchbinder,<br />

1 Stellmacher 135<br />

1868/69 34<br />

1872/73 25 „Davon 5 so gut wie gar nicht in die Schule<br />

gekommen!“<br />

1873/74 31 „Davon 3 kaum zur Schule gekommen!“<br />

1875/76 61 „Kein Platz in einem Klassenzimmer!“<br />

1876/77 40 „In 2 Abteilungen“<br />

1877/78 23 „Mangelhafter Besuch“<br />

1878/79 41<br />

1879/80 35<br />

1880/81 38<br />

1881/82 26<br />

1883 23 „Davon 4 gar nicht gekommen!“<br />

1884 35<br />

1884/85 29 „Nur 25 haben die Schule mehr oder weniger besucht!“<br />

Im Schulhalbjahr 1888/89 wurden, im Vergleich zu den Stundenplänen von 1884 und 1887,<br />

Veränderungen bezüglich der Unterrichtstage, Fächer und Kollegen vorgenommen: 136<br />

Sonntag 08:00 - 10:00 Uhr Abt. I, II, III kombiniert: Reißzeichnen<br />

(Rosebrock I, Castens) und Freihandzeichnen (von<br />

Staden)<br />

15:00 - 16:00 Uhr Abt. I: Buchführung (Breuer)<br />

Abt. II: Schreiben (Rosebrock I)<br />

Abt. III: Schreiben (Castens)<br />

Montag 20:00 - 21:00 Uhr Abt. I: Naturlehre (Thies)<br />

Dienstag 20:00 - 21:00 Uhr Abt. I: Deutsch (Breuer)<br />

Abt. II: Naturlehre (Thies)<br />

Abt. III: Rechnen (Reimers)<br />

21:00 - 22:00 Uhr Abt. I: Rechnen (Thies)<br />

Abt. II: Deutsch (Breuer)<br />

Abt. III: Raumlehre (Cyriacks)<br />

Donnerstag 20:00 - 21:00 Uhr Abt. I: Rechnen (Thies)<br />

Abt. II: Raumlehre (Ropers)<br />

Abt. III: Rechnen (Reimers)<br />

21:00 - 22:00 Uhr Abt. I: Raumlehre (Ropers)<br />

Abt. II: Rechnen (Thies)<br />

Abt. III: Deutsch (Rosebrock II)<br />

Freitag 20:00 - 21:00 Uhr Abt. I: Deutsch (Breuer)<br />

134 Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, „Examen“.<br />

135 Der Stellmacher stellte Fuhrwerke her.<br />

136 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 4,1.<br />

39


Abt. II: Rechnen (Thies)<br />

Abt. III: Deutsch (Rosebrock II)<br />

21:00 - 22:00 Uhr Abt. I: Geschichte (Cyriaks)<br />

Abt. II: Deutsch (Breuer)<br />

Abt. III: Deutsch (Rosebrock II)<br />

Im Jahre 1888 wurde der Lehrer an der Neuen Schule, 137 Heinrich Breuer, 138 Leiter der<br />

Fortbildungsschule. Inspektor v. Staden musste wegen seiner schweren Krankheit, der er<br />

1890 erlag, den Schuldienst aufgeben. 139 Dem Stundenplan ist zu entnehmen, dass es ein<br />

umfassendes Revirement an der Fortbildungsschule gab. Bis auf den Schulleiter Breuer und<br />

Kurt Friedrich Rosebrock (I) unterrichteten jetzt neue Kollegen an der Schule: Thies, 140<br />

Hinrich Ropers, 141 Reimers, Cyriacks, Castens 142 und Jakob Rosebrock (II). 143<br />

Heinrich Breuer (*1856, †1935). Schulleiter von 1888-1922.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

Der Stundenplan zeigt auch die Belastungen auf, denen damals Lehrer und Schüler<br />

ausgesetzt waren. Die Arbeitszeit für Arbeiter lag zu dieser Zeit im Durchschnitt bei zehn<br />

Stunden 144 pro Tag, und das an sechs Tagen in der Woche. Die Pflichtstundenzahl 145 für<br />

Volksschullehrer in Preußen lag im Jahre 1873 bei 32 Wochenstunden 146 und die für<br />

Gymnasiallehrer im Jahre 1863 bereits zwischen 20-24 Stunden. 147 Für die Arbeiter kam eine<br />

Entlastung erst, als im Jahre 1914 die 57-Stunden-Woche eingeführt wurde.<br />

137 Die folgenden Angaben über die Lehrer der Neuen Schule und der Nicolaischule beziehen sich auf die<br />

Schulchroniken REDAKTIONSAUSSCHUSS DER KONFERENZ DER MITTELSCHULE 1960 und NICOLAISCHULE VERDEN<br />

1993.<br />

138 Heinrich Breuer (*1856 †1935) war 44 Jahre im Schuldienst (bis 1921). Zusammen mit v. Staden gründete<br />

er die Handelsschule.<br />

139 Durch den Tod v. Stadens musste auch die Schulleiterstelle an der Neuen Schule neu besetzt werden. 1890<br />

wurde Wilhelm Hadeler zum Inspektor ernannt (seit 1889 kommissarisch) und leitete die Schule bis 1896.<br />

140 Thies trat 1884 als Lehrer in die Neue Schule ein.<br />

141 Hinrich Ropers (*1861 †1938) trat 1887 seinen Schuldienst an der Neuen Schule an.<br />

142 Reimers, Cyriacks und Castens waren Volksschullehrer an der Nicolaischule.<br />

143 Jacob Rosebrock (*1855 †1936) fing als Lehrer im Jahre 1878 an der Neuen Schule an.<br />

144 Im Jahre 1863 gab es noch die 72-Stunden-Woche.<br />

145 Die Zahlen wurden entnommen: BÖLLING 1979.<br />

146 Nur ein Drittel der Volksschullehrer hatte damals noch 32 Stunden.<br />

147 Im Jahre 1901 lag die Pflichtstundenzahl für Gymnasiallehrer in Preußen bei 24 Stunden. Nach 12<br />

Dienstjahren gab es eine Ermäßigung um zwei Stunden und nach weiteren 24 Dienstjahren noch einmal zwei<br />

Stunden! Paradiesische Zustände herrschten 1824 für Gymnasiallehrer in Bayern: 18 Pflichtstunden in den<br />

40


Unter diesen Gesichtspunkten muss man die Leistungen der Lehrlinge im Winterhalbjahr<br />

honorieren, nach einem 12-Stunden-Tag noch an vier Wochentagen abends zwei Stunden<br />

und am Sonntag noch für drei Stunden in die Schule zu gehen. Das sollte man heute<br />

unseren Auszubildenden einmal zumuten! Und für die Lehrer war die Zusatzbelastung<br />

bestimmt auch nicht einfach, waren sie doch hauptamtlich Lehrkräfte an der Neuen Schule<br />

und übten den „Job“ an der Fortbildungsschule noch zusätzlich nebenamtlich aus.<br />

Von Feuerspritzen, Galvanoplastiken, Aräometern, Arabesken,<br />

Torpedos und alten Germanen<br />

Welche Unterrichtsinhalte wurden denn nun in den folgenden Jahren vermittelt? Die<br />

Fachlehrer trugen handschriftlich in „deutscher Schrift“ 148 ihre Unterrichtsziele in den<br />

Stoffverteilungsplan für das Winterhalbjahr 1889/90ein, beginnend mit dem 3. Lehrjahr<br />

(I. Klasse): 149<br />

I. Klasse (Oberstufe)<br />

– Deutsch (zweistündig) Lehrer Breuer<br />

Satzbau: 1. Wortfolge. 2. Relativsatz. 3. Vorder- und Nachsatz (Empfehlungsbrief an<br />

einen Kunden). 4. Entschuldigungsbrief und Quittung. 5. Infinitivsatz. 6. Verkürzte<br />

Sätze. 7. Satzgefüge: Mahnbrief. 8. Satzverbindung (Handwerkszeug und Maschine).<br />

9. 150 10. Direkte Rede u. indirekte Rede. 11. Anrede: Geschäftsbriefe. Orthographie und<br />

Grammatik im Anschluß an die Sprachstücke.<br />

– Rechnen (zweistündig) Lehrer Thies<br />

Zins- Rabatt- Gewinn- Verlust- Waren- und Wechselrechnung. Die Aufgaben stehen in<br />

Beziehung zum gewerbl. Leben. Das schriftliche Rechnen ist Hauptsache.<br />

– Raumlehre (einstündig) Lehrer Ropers<br />

Beschreibung der mathematischen Körper: Würfel, Prisma, Zylinder, Pyramide, Kegel,<br />

abgestumpft (Tonne). Berechnen der Körper. Lehrmittel: Holzmodelle. Die<br />

geometrischen Rechenaufgaben werden möglichst den thatsächlichen (sic!)<br />

gewerblichen Verhältnissen entnommen.<br />

– Naturlehre (einstündig) Lehrer Thies<br />

Reibungselektrizität überhaupt, - die Elektrisirmaschine (sic!), das Gewitter und der<br />

Blitzableiter – die Berührungselektrizität – die galvanischen Elemente und die<br />

Wirkungen des galvanischen Stromes: a. Lichtwirkungen (elektrische Beleuchtung)<br />

b. Wärmewirkungen (Torpedos) 151 c. chemische Zersetzung (Galvanoplastik) 152<br />

d. magnetische Wirkungen (Telegraph u. Telephon, magnetische Maschinen)<br />

e. physiologische Wirkungen. Lehrmittel: Erläuterung durch Versuche.<br />

– Geschichte (einstündig) Lehrer Cyriacks<br />

oberen Klassen! Die Zahlen zeigen, dass die Arbeitszeit der Lehrkräfte den Arbeitszeitverkürzungen der<br />

Arbeiter und Angestellten im Laufe von 180 Jahren nicht angepasst wurde.<br />

148<br />

Als „deutsche Schrift“ wurde in den Lehrplänen die „Sütterlin-Schrift“ bzw. die „Fraktur“ bezeichnet. Die vom<br />

Grafiker Ludwig Sütterlin (1865-1917) geschaffene Schrift war Grundlage der 1935 an allen deutschen <strong>Schulen</strong><br />

als Normalschrift eingeführten „Deutschen Schreibschrift“. In einigen deutschen Staaten wurde sie schon früher<br />

als verbindliche Schrift an den <strong>Schulen</strong> eingeführt. 1941 wurde die „Sütterlin-Schrift“ von den Nazis verboten<br />

und durch die „Deutsche Normalschrift“ ersetzt. Den Partei-Bonzen war sie wohl, trotz der rein arischen<br />

Erfindung, bei der Verbreitung der deutschen Lebensart in Europa und der restlichen Welt eher hinderlich! Das<br />

gleiche Schicksal ereilte der „Fraktur“, einer in Deutschland bereits im 16. Jahrhundert geschaffenen gotischen<br />

Druckschrift, die auch als „deutsche Schrift“ bezeichnet wurde.<br />

149<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

150<br />

Der 9.Gliederungspunkt fehlt in der Aufzählung.<br />

151<br />

Hier kann eigentlich nur der Zitterrochen (Elektrischer Rochen) gemeint sein, der zur Gattung „Torpedo“<br />

gehört. Die elektrischen Organe bestehen aus isolierten, ehemaligen Muskelzellen, die eine Potenzialdifferenz<br />

von bis zu 0,15 V liefern können. Bei Aktivierung kommt es zu einer Serienschaltung dieser elektrischen<br />

Elemente, die eine Spannung von bis zu 800 V aufbauen können.<br />

152<br />

Galvanoplastik ist ein Verfahren zur Herstellung oder Nachbildung eines Gegenstandes durch galvanische<br />

Abscheidung eines Metallüberzuges auf einer Form, von der er schließlich abgenommen wird.<br />

41


Die alten Germanen, Karl der Große als Herrscher und seiner Fürsorge für Handel,<br />

Gewerbe, Kunst und Wissenschaft. Deutsches Städtewesen, die inneren Zustände<br />

Deutschlands nach dem 30jährigen Kriege. Die deutschen Befreiungskriege. Der<br />

Deutsche Bund. Die Jahre 1864, 1866, 1870/71. Das neue deutsche Reich. Außerdem<br />

die Geschichte Preußens. Lehrmittel: Biedermann, deutsche Kulturgeschichte für<br />

Schule und Haus.<br />

– Buchführung (einstündig) Lehrer Breuer<br />

Einfache gewerbl. Buchführung: 1. Inventarienbuch. 2. Tagebuch. 3. Kassenbuch.<br />

4. Hauptbuch. Einiges aus der Wechsellehre. [...]<br />

– Zeichnen (zweistündig) I., II. und II. Klasse, Lehrer Kurt Rosebrock (I)<br />

Der Schüler kann im Zeichnen wählen zwischen Freihand= und Linearzeichnen. Im<br />

Linearzeichnen wird in Abteilungen und zwar in 2 verschiedenen Räumen unterrichtet.<br />

Die Anfänger zeichnen, nachdem sie in Handhabung von Zirkel und Reißschiene<br />

eingeführt sind, nach einfachen Vorlagen in Konturen und steigen allmählich auf zur<br />

Kopierung von schwierigeren Vorlagen nebst Anwendung von Pinsel und Wasserfarbe.<br />

Wo es angeht, werden Zeichnungen leichter Art nach der Natur oder frei entworfen.<br />

Lehrmittel: Zeichenbrett, Reißschiene, Zirkel. Verschiedene Zeichenvorlagen.<br />

Bemerkung: Selbstverständlich wird bei Auswahl der Vorlagen für die einzelnen Schüler<br />

in erster Linie Rücksicht auf das betreffende Gewerbe genommen.<br />

Ältestes Fachbuch der „Lehrerbücherei“. Anleitung zur Anfertigung von Geschäftsaufsätzen von H.<br />

Hellwege, Lehrer an der Ackerbauschule zu Bremervörde, Stade 1878. Das Buch enthält auch den<br />

Vordruck für die „Lehr-Contracte“: „§ 3. Der Vater des Lehrlings macht sich verbindlich, ein Lehrgeld<br />

von 200 Mark zu entrichten, wovon die eine Hälfte beim Antritt, die andere dagegen nach Beendigung<br />

der Lehrzeit zu bezahlen ist; seinem Sohne ein vollständiges Bett mitzgeben und denselben während<br />

der Lehrzeit mit Kleidung und Wäsche zu unterhalten.“<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

II. Klasse (Mittelstufe)<br />

42


– Deutsch (zweistündig) Lehrer Breuer<br />

Rechtschreibung im Anschluß an kleine Geschäftsaufsätze: 1. Großer<br />

Anfangsbuchstabe: Erster Brief an die Eltern. 2. Quittungen. 3. Abstammung der<br />

Wörter: Verkaufsanzeige, Verloren, Gefunden, Dienstgesuch, 4. Vokallänge. 5.<br />

Belehrung über den Brief: Familienbrief. 6. Konsonantenverdoppelung. 7. Kleiner<br />

Anfangsbuchstabe: Lieferschein. 8. Silbentrennung: Ortsbeschreibung in Briefform. 9.<br />

Bindestrich & Apostroph. 10. Postsachen. 11. Dativ- & Akkusativ. 12. Schuldschein.<br />

– Rechnen (zweistündig) Lehrer Thies<br />

Das Pensum der III. Kl. wird wiederholt und erweitert durch Hinzufügen einfacher<br />

Preisberechnungen unter Anwendung des Bruchsatzes. Die Elemente des gemeinen<br />

Rechnens werden abgeschlossen. Bemerkung: Kopfrechnen ist Hauptsache,<br />

schriftliches Rechnen selbstverständlich nicht ausgeschlossen.<br />

– Raumlehre (einstündig) Lehrer Ropers<br />

Befestigung und Erweiterung des Pensums der dritten Klasse. Außerdem Ellipse und<br />

Oval. Zeichnen der Wellenlinie, Schlangenlinie, Spirale und Schneckenlinie. Lehrmittel:<br />

Unter Anwendung von Lineal, Zirkel und Kreide werden die zur Veranschauung<br />

dienenden Figuren an die Tafel gezeichnet. Lehrziel: Bekanntschaft mit den wichtigsten<br />

Stücken der Planemetrie. Es wird mehr auf die Konstruktion und Berechnung als auf die<br />

mathematische (sic!) Beweisführung gesehen.<br />

– Naturlehre (einstündig) Lehrer Thies<br />

Der Hebel (kurz), die Wagen (genau), die schiefe Ebene und insbesondere die<br />

Schraube – Mechanische Arbeit – Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte,<br />

Turbine – Pendel – Zusammengesetzte Maschinen, Bedeutung des Maschinenwesens,<br />

die Wattsche Dampfmaschine, die Hochdruckmaschine, die Lokomotive und die<br />

Bedeutung der Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt. Druck der atmosphärischen und<br />

zusammengepreßten Luft – das Barometer, die Feuerspritze – Gewichtsverlust der<br />

Körper in Flüssigkeiten – spezifisches Gewicht mit Berücksichtigung der Aräometer. 153<br />

Lehrmittel: die physikalischen Erscheinungen werden durch Versuche erläutert.<br />

– Schreiben (einstündig) Lehrer Kurt Rosebrock (I)<br />

Übung im Schönschreiben. Neben der Einübung der Buchstabenformen in deutsche<br />

und lat. Schrift werden Vorschriften in Bezug auf das geschäftliche abgeschrieben.<br />

– Zeichnen (zweistündig) I., II. und III. Klasse, Lehrer Castens<br />

Der Reißzeichenunterricht ist Einzelunterricht. Die Schüler zeichnen nach Vorlagen,<br />

welche je nach der Tätigkeit und dem Gewerbe der Schüler bestimmt werden. Um die<br />

Schüler zum denkenden Arbeiten anzuleiten werden fast sämtliche (sic!) Zeichnungen<br />

nach vergrößertem oder verkleinertem Maßstabe gearbeitet. Bei passenden Vorlagen<br />

kommen Pinsel und Wasserfarbe zur Anwendung. Fortgeschrittene Schüler werden<br />

angehalten Gegenständer nach der Natur zu zeichnen u. selbstständig Zeichnungen zu<br />

entwerfen.<br />

III. Klasse (Unterstufe)<br />

– Deutsch (Orthographie) (zweistündig) Lehrer Jakob Rosebrock (II)<br />

I. Wörter, Silben, Laute. II. Umlautung, Auslaut. III. Konsonanten Verdoppelung. IV.<br />

Dehnung. V. Anfangsbuchstaben VI. Silbentrennung, VII. Gleich- und ähnlichlautende<br />

Wörter, das Hauptwort, Eigenschaftswort, Zeitwort. Präposition (Im Anschluß an die<br />

Lesestücke), Rechnungen, Quittungen, Diktat, Briefe. Ziel: Gewandtheit u. Sicherheit im<br />

mündlichen u. schriftlichen Gebrauch der deutschen Sprache.<br />

– Lesen (einstündig) Lehrer Jakob Rosebrock (II)<br />

Folgende Seiten werden im Lesebuch gelesen: No. 11., 12. ...<br />

– Rechnen (zweistündig) Lehrer Reimers<br />

Das deutsche Münz=, Maß= und Gewichts=System. – Die vier Species mit ganzen<br />

Zahlen – die Bruchrechnung. Gemeine und dezimale Brüche. – Einfache Regeldetri. 154<br />

– Einiges aus der Prozentrechnung.<br />

– Raumlehre (einstündig) Lehrer Cyriacks<br />

153 Das Aräometer (Senkspindel) ist ein Gerät zur Bestimmung der Dichte bzw. des spezifischen Gewichts von<br />

Flüssigkeiten, z. B. Bestimmung des Alkoholgehaltes von Wein oder Bier.<br />

154 Regeldetri = Dreisatzrechnung.<br />

43


Die Lehre von den Linien, Winkeln und folgenden Flächen: Dreieck, Viereck, Vieleck<br />

und Kreis. Lehrziel: Bekanntschaft mit diesen Raumgrößen und Fertigkeit im Zeichnen<br />

derselben.<br />

– Schreiben (einstündig) Lehrer Castens<br />

1) Deutsche und lateinische Schrift in Sätzen.<br />

2) Adressen, Rechnungen, Quittungen, Anzeigen, Empfehlungen, Aufträge etc.<br />

– Zeichnen (zweistündig) I., II. und III. Klasse, Lehrer Beyer (II) 155<br />

I. Abt. Ornamente und Arabesken 156<br />

II. Abt. Zeichnungen ebener Gebilde mit krummlinigen ornamentalen Flächenformen<br />

III. Abt. Zeichnungen ebener Gebilde mit geradlinigen Formen.<br />

Doch die an den Minister für Handel und Gewerbe in Berlin eingereichten Lehrpläne stießen<br />

dort auf Kritik: 157<br />

„Berlin, den 26. Dezember 1890<br />

Auf den gefälligen Bericht vom 5. d. Mts. - I C. 18907.- bewillige ich bei Rückgabe des Etats zur Unterhaltung<br />

der gewerblichen Fortbildungsschule zu <strong>Verden</strong> für die Zeit vom 1. April d. Js. bis dahin 1891 statt des<br />

bisherigen Zuschusses von 476 M einen solchen von 500 M und ersuche Ew. Hochwohlgeboren ergebenst,<br />

diesen Betrag in vierteljährlichen Raten im Voraus – die fälligen Raten sofort – durch die Regierungs-<br />

Hauptkasse gefälligst zahlen und bei Kap. 69 Tit. 7 der Rechnung der Handels- und Gewerbeverwaltung soweit<br />

erforderlich als Mehrausgabe nachweisen zu lassen.<br />

Als eine erhebliche Verbesserung der Anstalt würde ich es ansehen, wenn der Unterricht im Deutschen,<br />

Rechnen, in der Buchführung und Raumlehre unter Verzicht auf den besonderen Unterricht in der Geschichte<br />

und Naturlehre mit wöchentlich 4 Stunden während 43 Wochen ertheilt würde.<br />

Den mit dem gefälligen Bericht vom 15. Februar v. Js. - I 2181 – eingereichten Lehrplan gebe ich Ew.<br />

Hochwohlgeborenen anliegend mit dem Bemerken zurück, daß ich mich mit dem Lehrgang des<br />

Zeichenunterrichtes nicht einverstanden erklären kann.<br />

Die Zeichenklassen sind selbständig neben den Klassen für den übrigen Unterricht, und zwar nur aus<br />

denjenigen Schülern zu bilden, welche für ihren gewerblichen Beruf des Zeichnens bedürfen. Vom<br />

Zeichenunterricht sind daher auszuschließen die Bäcker, Barbiere, Färber, Buchdrucker, Schlachter und<br />

Arbeiter in Tabakfabriken.<br />

Nach der mir am 7. Februar d. Js. eingereichten Nachweisung an der gewerblichen Fortbildungsschule ca. 70<br />

Schüler vorhanden, welche am Zeichenunterricht Theil zu nehmen haben. Für diese kann ein zweistündiger<br />

Zeichenunterricht in der Woche nur dann von dauerndem Nutzen sein, wenn der Zeichenunterricht auf das<br />

ganze Jahr (43 Wochen) ausgedehnt wird. Wenn dieses geschieht, bin ich bereit, die erwachsenden<br />

Mehrkosten auf die Staatskasse zu übernehmen. Bei zweistündigem Unterricht während 43 Wochen ist der<br />

Lehrplan für den Zeichenunterricht, welcher übrigens im Wesentlichen Einzelunterricht sein muß, so zu<br />

gestalten, daß die Schüler in der Regel im ersten Jahr nach Heft 2 des Stuhlmannschen Leitfadens und den<br />

zugehörigen Wandtafeln, im zweiten Jahr nach Heft 3 dieses Leitfadens und den zugehörigen Modellen, von<br />

Beginn des 3. Jahres ab im Linearzeichnen und geometrischen Darstellen von Körpern unterrichtet werden. In<br />

den Anfangsgründen des eigentlichen Fachzeichnens werden bei zweistündigem Unterricht in der Woche in der<br />

Regel nur solche Schüler unterwiesen werden können, welche noch ein viertes Jahr am Zeichenunterricht Theil<br />

nehmen. Der Fachzeichenunterricht wird dann in der zweiten Hälfte des vierten Jahres beginnen können.<br />

Um die Lehrer mit der für den Zeichenunterricht an Fortbildungsschulen anzuwendenden Methode vertraut zu<br />

machen, empfiehlt es sich, das einer an den im Sommer des nächsten und des folgenden Jahres an der<br />

Handwerker= und Kunstgewerbeschule zu Hannover stattfindenden sechswöchigen Zeichenkurse für Lehrer an<br />

gewerblichen Fortbildungsschulen Theil nimmt. Wenn der Magistrat die etwaigen Stellvertretungskosten, sowie<br />

die Reisekosten bezahlen will, bin ich bereit, die des Aufenthalts des Lehrers mit 160 M in Hannover und die<br />

des Unterrichts auf mir zur Verfügung stehende Fonds zu übernehmen.<br />

Der Minister für Handel und Gewerbe.<br />

In Vertretung.<br />

gez. Magdeburg.<br />

An den königlichen Regierungs- Präsidenten Hann Dr. von Heyer<br />

Hochwohlgeboren zu Stade. C. 3961<br />

155<br />

Beyer II (Vorname leider nicht bekannt) trat 1884 in die Neue Schule ein. Arnold Beyer (I) war von 1868 bis<br />

1891 an der Neuen Schule.<br />

156<br />

Arabesken = Pflanzenornamente.<br />

157<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

44


Mit dieser Verfügung wurden die beiden Fächer Geschichte und Naturlehre wieder aus den<br />

Lehrplänen gestrichen.<br />

Lobbyismus und Public Relation<br />

Zu Ostern 1891 plante der „Provinzialverband Hannoverscher Gewerbeschulmänner“ eine<br />

Lehrausstellung in Hannover. In einem Schreiben an den „wohllöblichen Magistrat der Stadt<br />

<strong>Verden</strong>“ appellierte der Verband, diese Provinzialausstellung von Schülerarbeiten mit<br />

Arbeiten von Schülern der gewerblichen Lehranstalt <strong>Verden</strong> zu unterstützen. Der Magistrat<br />

sollte die Kosten für das Aufstellen der Ausstellungsobjekte übernehmen und Lehrkräfte zum<br />

Besuch der Ausstellung abordnen. Den Arbeiten sollte, „wenn thunlich, der Stundenplan, die<br />

Disciplinarvorschriften und die Schulordnung beigefügt“ werden. Das Schreiben des<br />

Direktors der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Hannover endete mit den Sätzen:<br />

„Indem wir auf die hohe Bedeutung hinweisen, welche derartige Ausstellungen für die Förderung des<br />

gewerblichen Unterrichts und im Gefolge davon für die Erstarkung des gewerblichen Mittelstandes innewohnt,<br />

geben wir uns der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß unserem Vorhaben dortseitig die erbetene Unterstützung<br />

in ausgiebigster Weise zuteil werde und eine gewährende Antwort an den Unterzeichneten erfolgen wird.“ 158<br />

Ob dieser Bitte entsprochen wurde, ist aus den Akten leider nicht ersichtlich. Ein weiterer<br />

Interessenverband war der „Deutsche Verein für das Fortbildungsschulwesen“, der 1891<br />

gegründet wurde. Im Jahre 1905 rief er zum 8. Deutschen Fortbildungsschultag in Stettin ein<br />

und beschrieb glühend die Vorzüge der Fortbildungsschule:<br />

„Die deutsche Fortbildungsschule hat eine Aufgabe von hoher nationaler Bedeutung zu lösen. Sie ist die einzige<br />

Stätte, die etwa 90% der schulentlassenen Söhne und Töchter unseres Volkes eine weitere Ausbildung<br />

gewährt. In ihr erhält der jugendliche Nachwuchs unseres Gewerbes, unserer Kaufmannschaft und der<br />

Landwirtschaft eine gründliche Einführung in dasjenige Wissen und Können, welches für die erfolgreiche<br />

Betätigung im praktischen Berufsleben notwendig ist. Sie pflegt die Liebe zum Vaterlande, entwickelt<br />

opferwilligen Gemeinsinn, erwärmt die jugendlichen Seelen für die hohen sittlichen Ziele des erwählten Berufes<br />

und sucht alle edlen Triebe im Menschenherzen zu entfesseln und zu kräftigen.“ 159<br />

Der Verein, dessen Mitglieder Professoren, Schulräte, Schulleiter, Stadtverordnete und<br />

Lehrer waren, forderte die Verantwortlichen auf, die Berufskunde als leitendes Lehrfach in<br />

den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts zu stellen und von den übrigen Lehrfächern, denen<br />

sie die Richtung zur Auswahl der Unterrichtsstoffe gibt, in angemessener Weise zu begleiten.<br />

Weiterhin wurde gefordert, die überholten gesetzlichen Bestimmungen zu revidieren:<br />

Aufgrund der Zweckbestimmung der Fortbildungsschule sollte der Begriff „Berufsschule“<br />

festgelegt werden und die Stundenzahl für die Lehrgegenstände für jede Klasse genau<br />

begrenzt werden und zwar:<br />

Fächer I. Klasse II. Klasse III. Klasse<br />

(Oberstufe) (Mittelstufe) (Unterstufe)<br />

Gewerbekunde 1 1 1<br />

Deutsch 1 1 1<br />

Rechnen 2 2 1<br />

Buchführung - - 1<br />

Zeichnen 2 2 2<br />

Im Jahre 1911 schrieb der Verein an „Seine Exzellenz den Herrn Minister für Handel und<br />

Gewerbe“:<br />

„Der deutsche Verein für das Fortbildungswesen hat als Vermächtnis seines verdienstvollen Begründers<br />

158 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

159 Ebd.<br />

45


[...] eine Zeitschrift für Fortbildungsschüler übernommen, den »Den deutschen Jüngling«. Die Erwartungen, die<br />

wir auf diese Zeitschrift gesetzt hatten, haben sich leider nicht erfüllt. »Der deutsche<br />

Jüngling« zählt zur Zeit nur wenige Tausend Abonnenten. Diese Tatsache allein zeigt zur Genüge, wie weit wir<br />

von dem Ziele entfernt geblieben sind, regelmäßig von der Gesamtheit der Fortbildungsschüler mit einem<br />

belehrenden und mahnenden Worte gehört zu werden. [...] Wir deutschen Fortbildungsschulmänner dürfen<br />

nicht gleichgültig und müßig vor der Frage stehen, was unsere Fortbildungsschüler in ihrer freien Zeit lesen. Die<br />

Frage lautet schon längst nicht mehr, ob der Fortbildungsschüler eine Zeitung lesen soll. Wer da weiß, welch<br />

schlechter und verderblicher Lesestoff in die Hände unserer Schüler gelangt, der wird erschrecken. Die kürzlich<br />

im Reichstage veranstaltete Ausstellung für Schundliteratur hat auch der größeren Öffentlichkeit das gezeigt,<br />

was jeder Fortbildungsschullehrer aus seiner Praxis hinreichend kennt.<br />

Wir sehen in dieser Notlage, und um eine Notlage handelt es sich, nur eine Hilfe: Wir müssen unserer Jugend<br />

Gutes und Echtes bieten; wir müssen ihr eine Zeitschrift schaffen, die, weit entfernt irgend einer Partei zu<br />

dienen, doch in jeder Nummer erfüllt ist vom Geiste warmer Vaterlandsliebe, die der Jugend Wege weist zum<br />

Verständnis des Geschehens in der Welt der Politik wie der Technik, Wege zur Freude an der Natur und zur<br />

verständigen Pflege der körperlichen Tüchtigkeit, Wege zur Weiterbildung des Wissens und Könnens, Wege<br />

sodann auch zu einer verständigen und gedeihlichen Befriedigung des Lesebedürfnisses.<br />

Eine solche Zeitschrift stellt zugleich ein wertvolles Unterrichtsmittel dar, das vom Lehrer bei der Behandlung<br />

staatsbürgerlicher, technischer und anderer Stoffe zur Belebung und Vertiefung benutzt werden kann. Vor dem<br />

Lesebuche hat die Zeitschrift den großen Vorteil voraus, daß sie stets an das lebendige Geschehen der<br />

Gegenwart anknüpfen kann und daher das Interesse der jungen Leute leichter zu fesseln vermag. Vor andern<br />

Zeitschriften hat sie den Vorzug, daß sie dem geistigen Standpunkte der jungen Leute gerecht wird und auf ihre<br />

besonderen Bedürfnisse Rücksicht nimmt.<br />

Unser Verein hat nach reiflicher Erwägung die Aufgabe übernommen, eine solche Zeitschrift herauszugeben.<br />

Sie soll »Feierabend« heißen und so oft erscheinen, als das Fortbildungsschuljahr Wochen hat, also vierzigmal<br />

im Jahre. [...].“ 160<br />

Der Verein bat den Minister um Unterstützung dieses Projektes. Eine Probenummer wurde<br />

daraufhin an alle Fortbildungsschulen geschickt. Dieses Exemplar ist auch erhalten<br />

geblieben. Unter der Überschrift „Was wir wollen“ wird der Fortbildungsschüler<br />

angesprochen:<br />

„Feierabend! Froher Klang für jeden, der da schafft! Nach des Tages Mühen die Zeit der Erholung, der<br />

Beschäftigung mit dem, was wir lieben, ein paar Stunden nach unserem Gefallen. Feierabend! – wir wählen<br />

dies Wort als Namen für unser Blatt, das nach getaner Pflicht hinführen soll zur Freude an Werk, Wissen und<br />

Welt.<br />

Wir sprechen mit diesem Blatt zur werktätigen Jugend Deutschlands. Das ist ein großer, schöner Begriff! Der<br />

junge Mann, der sich vielleicht manchmal als „Stift“ so klein und gedrückt fühlt, der aber als Lehrling mit<br />

seinesgleichen und den älteren Arbeitsgenossen die deutsche Arbeit schafft – dieser Lehrling mache sich klar,<br />

was es heißt: die werktätige Jugend Deutschlands. [...].“ 161<br />

Es gab auch eine „Lustige Ecke“, Auszug:<br />

„Alkoholfreundlicher Druckfehler. Im „Altmärker“ vom 2. Juni 1904 war folgende Anzeige zu lesen:<br />

„Zuverlässiger junger Mann findet sofort dauernde Stellung als B i e r l u t s c h e r. Patzenhofer Bierniederlage,<br />

Angermünde.“ Es meldeten sich nicht wenige Bewerber, die sich in dem verlangten Beruf als „zuverlässig“<br />

betrachteten. Ob man auch einen brauchbaren K u t s c h e r darunter fand, ist nicht bekannt geworden.“<br />

Die Zeitschrift muss auch in <strong>Verden</strong> gelesen worden sein. Im Protokollbuch der Schule, im<br />

dem die Besprechungen der Lehrerkonferenzen festgehalten wurden, wurde vermerkt, dass<br />

die Zahl der Leser in den einzelnen Klassen ermittelt wurde, 162 im Kollegenkreis über die<br />

Zeitschrift gesprochen wurde 163 und im Jahre 1922 beschloss man, die beiden Zeitschriften<br />

„Feierabend“ und „Feierstunde“ auch als Lesestoff zu Unterrichtszwecken zu benutzen. 164<br />

160 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

161 Ebd., Rep. II, H XVI 12,1.<br />

162 Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Protokollbuch (1898-1932), 06.03.1915.<br />

163 Vgl. ebd., 30.09.1916.<br />

164 Vgl. ebd., 18.3.1922.<br />

46


Der Regierungspräsident von Stade wandte sich in einem Rundschreiben an den Magistrat<br />

von <strong>Verden</strong> und wies darauf hin, dass sich die Lehrer der gewerblichen und kaufmännischen<br />

Fortbildungsschulen im Bezirk die „Zeitschrift für das gesamte Fortbildungsschulwesen in<br />

Preußen“ für die Schule anschaffen sollen um mit den Bestrebungen auf dem Gebiete des<br />

Fortbildungsschulwesens bekannt zu machen. Die Kosten für die 12 Hefte pro Jahr könnten<br />

unter „Spalte 8 der Bedarfnachweisung (:Lehr= und Lernmittel:)“ verrechnet werden, falls die<br />

Gemeinde die Kosten nicht übernehmen würde. 165<br />

Der „Preußische Fortbildungsschulverein“ wandte sich im Jahre 1907 an den Magistrat der<br />

Stadt <strong>Verden</strong> mit der Bitte, den Verein durch seine Mitgliedschaft zu unterstützen: „Es würde<br />

für uns von besonderem Werte sein, wenn der verehrte Magistrat nach § 9 unseres Status<br />

die Mitgliedschaft in der Weise anmeldete, dass er durch einen Vertreter auch bei der<br />

inneren Mitarbeit in unserem Verein seinen Einfluss zur Geltung bringen könnte.“ Ob der<br />

Magistrat dem Wunsch nachkam, ist aus den Akten nicht zu ersehen. 166<br />

Die Ortsstatuten von 1891 und 1909<br />

Im Jahre 1891 wurde das „Ortsstatut betreffend die gewerbliche Fortbildungsschule in der<br />

Stadt <strong>Verden</strong>“ von 1887 von vier auf neun Paragraphen erweitert. Hier die wichtigsten<br />

Bestimmungen:<br />

„§ 5. Zur Sicherung des regelmäßigen Besuches der Fortbildungsschule durch die dazu Verpflichteten, sowie<br />

zur Sicherung der Ordnung in der Fortbildungsschule und eines gebührlichen Verhaltens der Schüler werden<br />

folgende Bestimmungen erlassen:<br />

1. Die zum Besuche der Fortbildungsschule verpflichteten gewerblichen Arbeiter müssen sich zu den<br />

für sie bestimmten Unterrichtsstunden rechtzeitig einfinden und dürfen sie ohne eine nach dem<br />

Ermessen der Ortsbehörde ausreichende Entschuldigung nicht ganz oder zum Theil versäumen;<br />

2. Sie müssen die ihnen als nötig bezeichneten Lehrmittel in den Unterricht mitbringen; [...]<br />

4. Sie müssen in die Schule mit gewaschenen Händen und in reinlicher Kleidung kommen;<br />

5. Sie dürfen den Unterricht nicht durch ungebührliches Betragen stören und die Schulutensilien und<br />

Lehrmittel nicht verderben oder beschädigen;<br />

6. Sie haben sich auf dem Wege zur Schule und von der Schule jeden Unfugs und Lärmens zu<br />

enthalten.<br />

Zuwiderhandlungen werden [...] mit Geldstrafe bis zu 20 Mark 167 oder im Unvermögensfalle mit Haft bis zu drei<br />

Tagen bestraft sofern nicht nach gesetzlichen Bestimmungen eine höhere Strafe verwirkt ist.<br />

§ 6. Eltern und Vormünder dürfen ihre zum Besuche der Fortbildungsschule verpflichteten Söhne oder Mündel<br />

nicht davon abhalten. Sie haben ihnen vielmehr die dazu erforderliche Zeit zu gewähren.“ 168<br />

Die nächste „Anpassung“ an die schulischen Verhältnisse erfolgte 1909, Auszüge:<br />

„§ 5. [...] B. Alle Schüler sind verpflichtet: [...]<br />

7. den Weisungen ihrer Lehrer sofort und unweigerlich Folge zu leisten, auch außerhalb der Schulzeit<br />

den Lehrern anständig zu begegnen.<br />

8. im Schullokal und auf dem Schulhof das Rauchen zu unterlassen.“ 169<br />

165<br />

Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1. Leider ist von dieser Zeitschrift kein Exemplar<br />

mehr erhalten geblieben.<br />

166<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

167<br />

1887 betrug die Geldstrafe nur max. neun Mark oder „verhältnismäßiger Haft“.<br />

168<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

169 Ebd., Rep. II, H XVI 1,3.<br />

47


Eine vom Kollegium schon lange geforderte Bestimmung betraf die Schulpflicht bis zur<br />

Vollendung des 18. Lebensjahres. Das Schulgeld betrug für die ersten beiden Schuljahre vier<br />

Mark und die folgenden Schuljahre sechs Mark jährlich.<br />

Neue Heimat: Nicolai-Schule<br />

Im Jahre 1893 verließ die Fortbildungsschule die drei Räume in der Neuen Schule und bezog<br />

einige Räume der gerade fertig gestellten Volksschule in der Zollstraße, der „Nicolai-Schule“.<br />

Dort war sie bis zum Herbst 1928 zu Gast. In die frei gewordenen Räume der Neuen Schule<br />

zog die „Handelsschule des Kaufm. Vereins in <strong>Verden</strong>“. Der Kaufmännische Verein hatte<br />

1894 für die kaufmännischen Lehrlinge eine eigene Fortbildungsschule gegründet. 170<br />

170 Vgl. THIES 1962, S. 378. Über die Entwicklung der Handelsschule in <strong>Verden</strong> wird in Kapitel 9 ausführlich<br />

berichtet.<br />

48


Nicolaischule (Zeichnung auf einer Ansichtskarte). Die gewerbliche Fortbildungsschule war dort von<br />

1893 bis 1928 zu Gast. (Sammlung Ewald Meyer, <strong>Verden</strong>)<br />

Die Kollegen der Fortbildungsschule waren mit der unterschiedlichen Honorierung des<br />

Werktags- und Sonntagsunterrichts nicht einverstanden. Sie hatten sich bereits 1891 an den<br />

Magistrat gewandt. Die Antwort kam am 12. Oktober 1891 vom „Vorstand der gewerblichen<br />

Fortbildungsschule“, der aus Mitgliedern des Magistrat bestand:<br />

„Da bekannt geworden ist, daß es in den beteiligten Lehrerkreisen als unbillig empfunden wird, daß die<br />

Sonntagsstunden an der gewerblichen Fortbildungsschule höher honoriert werden als die andren, da die Zeit an<br />

den Werktagen nach 8 Uhr Abends reichlich so unbequem liege wie der Sonntagsunterricht, erscheint es<br />

gerechtfertigt, auch für die am Sonntag Nachmittag neu eingelegten Zeichen- u.s.w. Stunden den Satz von 1,50<br />

M pro Stunde einzuführen, dasselbe würde für die Stunden von 8-10 Uhr am Sonntag Nachmittag zutreffen,<br />

wenn nicht Billigkeitsrücksichten dafür sprächen, den alten Satz von 18,75 M für Stunde und Quartal solange zu<br />

lassen, als die bisherigen Lehrer den fraglichen Unterricht leisten.“ 171<br />

Anstatt auch für den abendlichen Werktagsunterricht die gleiche Vergütung zu erhalten wie<br />

für den Sonntagsunterricht, wurde das Honorar für den Sonntagsunterricht dem Satz von 15<br />

Mark pro Stunde und Quartal für den Werktagsunterricht angeglichen. 172<br />

Im gleichen Jahr wandten sich die Pastoren ebenfalls an den Magistrat:<br />

Gehorsamste Bitte<br />

der vier evangelischen-luth.<br />

Geistlichen der Stadt <strong>Verden</strong><br />

Betreffend: Sonntags-Unterricht in der Gewerbeschule<br />

„<strong>Verden</strong>, 23. October 1891<br />

Dem löblichen Magistrat der Stadt <strong>Verden</strong> erlauben sich die gehorsamst unterzeichneten ev.-luth. Geistlichen<br />

der Stadt folgender zu unterbreiten.<br />

Seit Beginn des Wintercursus der Gewerbeschule hierselbst wird von den Lehrlingen verlangt, Sonntags 5<br />

Stunden, nämlich von 8-10 vormittags und von 2-5 nachmittags den betreffenden Unterricht zu besuchen. Wir<br />

müssen unserseits die ebenso gehorsamst wie dringende Bitte stellen, löblichen Magistrat wolle hier in so bald<br />

als möglich eine Änderung eintreten lassen. Wir halten nur zu dieser Bitte als Seelsorger der hiesigen<br />

städtischen Gemeinden für verpflichtet. Denn es liegt auf der Hand, dass der Sonntag dadurch seinen<br />

Charakter als Ruhetag und christlicher Feiertag für die betreffenden Gewerbeschüler verliert, wenn dieselben 5<br />

Stunden den Unterricht besuchen müssen. Es ist von kaum den Kinderschuhen entwachsenen Jünglingen nicht<br />

zu erwarten, dass sie bei solcher starken Anstrengung am Sonntage auch noch Zeit und Lust zur Teilnahme an<br />

den Gottesdiensten haben. Die Knaben, die eben am Confirmationstage gelobt haben, sich an Gottes Wort<br />

halten und dem Gottesdienst fleissig besuchen zu wollen, werden durch die jetzt bestehende Einrichtung daran<br />

gehindert, dies Gelübde zu halten und zwar von einer Seite, der gehorsam zu sein sie ermahnt wurden. Wir<br />

haben gehört, dass viele Handwerksmeister die jetzige Neuordnung befürwortet haben, um die Lehrlinge an<br />

den Abenden in der Woche zur Reinigung der Werkstätten etc. zur Verfügung zu haben. Wir aber halten uns<br />

für verpflichtet uns der armen Lehrlingen anzunehmen, denen die jetzige Einrichtung eine christliche<br />

Sonntagsfeier fast unmöglich macht. Wir erlauben uns darauf aufmerksam zu machen, dass der ganze<br />

Handwerkerstand darunter leiden muss, wenn die Lehrlinge ohne Gottesfurcht aufwachsen und dass diese<br />

Entfremdung vom Hause und Worte Gottes sich dermal einst schwer rächen könnte.<br />

Gehorsamst<br />

Dieckmann, Wallmann, Wolff, Künns“ 173<br />

Aber auch diese Eingabe führte zu keinem Erfolg. Die Stundenpläne änderten sich fast<br />

jährlich, doch der Sonntagsunterricht blieb:<br />

171 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

172 Die Sätze für Sonntags- und Werktagsunterricht galten bereits 1884, vgl. WOOCK 1999, S. 250.<br />

173 Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 4,5.<br />

49


Schuljahr Sonntag Montag Dienstag Donnerstag Freitag<br />

Winter 8 – 10 Uhr 20 – 21 Uhr 20 – 22 Uhr 20 – 22 Uhr 20 – 22 Uhr<br />

188/89 15 – 16 Uhr<br />

Winter 8 – 10 Uhr 20 – 22 Uhr 20 – 21 Uhr 20 – 22 Uhr 20 – 22 Uhr<br />

1889/90 15 – 16 Uhr<br />

Winter 8 – 10 Uhr 20 – 22 Uhr 20 – 22 Uhr<br />

1894/95 14 – 17 Uhr<br />

Winter 8 – 10 Uhr 20 – 21 Uhr 21 – 22 Uhr<br />

1897/98 14 – 15 Uhr<br />

Sommer<br />

1897<br />

7 – 9 Uhr 8 – 10 Uhr<br />

Ab 1897 wurde zum ersten Mal ein Schulhalbjahr im Sommer eingerichtet. Das bedeute eine<br />

Entlastung des Sonntagsunterrichts im Sommer. Wurden noch im Schulhalbjahr 1894/95 die<br />

neun Schulstunden (fünf davon am Sonntag) auf drei Tage verteilt, so wurden erstmals mit<br />

der Einführung eines ganzen Schuljahres (1897/98) die neun Schulstunden auf beiden<br />

Halbjahre (Sommer 1897 und Winter 1897/98) verteilt (siehe Tabelle).<br />

Etat der gewerblichen Fortbildungsschule 1898/99 174<br />

Der Schuletat war vor der Wende zum 20. Jahrhundert noch recht bescheiden, bestand er<br />

doch hauptsächlich aus den Gehältern der Lehrer und des „Schuldieners“. Über Sachgaben<br />

machte der Schulleiter Breuer keine Angaben. Da dies die einzige Quelle für einen Etat aus<br />

dieser Zeit ist, soll er hier wiedergegeben werden:<br />

I. Persönliche Ausgaben<br />

A. im Winter<br />

a. für die Leitung M 60,-b.<br />

für den Unterricht an die Lehrer<br />

1. Im Zeichnen wöchentlich 6 Stunden á per Halbjahr 37,50 225,--<br />

2. im Deutschen und in der gewerbl. Buchführung<br />

wöchentlich 7 Std. á per Halbjahr 37,50 262,50<br />

3. im Rechnen wöchentlich 6 Std. á per Halbjahr 30,- M 180,--<br />

4. im Schreiben (Postsachen) wöchentlich 2 Std.<br />

á Std. per Halbjahr 30 M 60,-im<br />

Winter M: 787,50<br />

B. im Sommer<br />

a. für die Leitung M 60,-b.<br />

für den Unterricht an die Lehrer<br />

1. im Zeichnen wie im Winter 225,--<br />

2. im Deutschen wöchentlich 3 Std. á per Halbjahr 37.50 112,50<br />

3. im Rechnen wöchentlich 3 Std. á per Halbjahr 30,-- 90,-im<br />

Sommer M 487,50<br />

dazu für den Winter M 787,50<br />

1275,-c.<br />

für den Schuldiener p. a. für jede 10 M 30,--<br />

SummaSit I 1305,-für<br />

den Unterricht nur im Winter betrugen<br />

die persönlichen Ausgaben bislang 927,50<br />

174 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

50


Der Revisor kommt: „Inspection“ des Zeichenunterrichts<br />

Am 12. Januar 1897 erließ der Minister für Handel und Gewerbe in Berlin „Bestimmungen<br />

über die Beaufsichtigung des Zeichenunterrichts in den staatlich unterstützten gewerblichen<br />

Fortbildungsschulen der Provinz Hannover“:<br />

„Aufsichtspersonal. 1.) Die Aufsicht über den Zeichenunterricht in den staatlich unterstützten gewerblichen<br />

Fortbildungsschulen der Provinz Hannover wird von einem Inspektor und sieben Revisoren ausgeübt, die vom<br />

Minister für Handel und Gewerbe auf Widerruf ernannt werden.<br />

Der unmittelbare Vorgesetzte des Inspektors ist der Ober-Präsident, der unmittelbare Vorgesetzte der<br />

Revisoren der Inspektor.<br />

Aufgaben des Inspektors. 2.) Der Inspektor 175 hat darüber zu wachen, daß der Unterricht im Zeichnen in den<br />

staatlich unterstützten gewerblichen Fortbildungsschulen der Provinz Hannover in fachgemäßer Weise ertheilt<br />

wird.<br />

Zu dem Zwecke liegt ihm ob:<br />

a) die Prüfung und die Feststellung der Lehrpläne und der Lehrmethoden,<br />

b) die Prüfung, die Feststellung und nöthigenfalls die Ueberweisung der Lehrmittel,<br />

c) die Ausbildung der Zeichenlehrer,<br />

d) die ordentliche Revision des Zeichenunterrichts in allen größeren, vom Minister zu bestimmenden<br />

gewerblichen Fortbildungsschulen nach Maßgabe der für die Revision erlassenen Vorschriften.<br />

e) Die außerordentliche Revision aller übrigen gewerblichen Fortbildungsschulen der Provinz.<br />

Aufgaben der Revisoren. 3.) Die Revisoren haben darüber zu wachen, daß der Zeichenunterricht in den ihrer<br />

Aufsicht unterstellten gewerblichen Fortbildungsschulen nach den vom Inspektor festgestellten Lehrplänen und<br />

Lehrmethoden ertheilt wird. Zu dem Zwecke haben sie jede Anstalt pünktlich zweimal, davon einmal<br />

unangemeldet zu revidiren. Ueber die Revision ist ein Protokoll nach Muster A. aufzunehmen. Die Urschrift des<br />

Protokolls bleibt bei den Akten des Revisors , drei Abschriften sind an den Inspektor einzureichen, der eine<br />

davon zu seinen Akten nimmt und die beiden anderen nach Eintragung seiner gutachtlichen Aeußerung dem<br />

Ober-Präsidenten vorlegt. Dieser reicht eine Abschrift dem Minister ein und übersendet die andere dem<br />

zuständigen Regierungs-Präsidenten, nöthigenfalls mit dem Ersuchen, die Abstellung der vorgefundenen<br />

Mängel herbeizuführen und anzuzeigen, ob und in welcher Weise dies geschehen ist. [...].<br />

Ausbildung der Zeichenlehrer 6.) Die Ausbildung der Zeichenlehrer der gewerblichen Fortbildungsschulen<br />

erfolgt bis auf Weiteres in einem an der Handwerker= und Kunstgewerbeschule in Hannover abgehaltenden<br />

besonderen Kursus, der alljährlich stattfindet und 6 Wochen dauert. Der Beginn jedes Kursus wird vom<br />

Inspector im Anfange jeden Jahres mit dem Bemerken bekannt gemacht, daß Meldungen um Zulassung binnen<br />

einer sechswöchigen Frist durch Vermittelung der Revisoren an ihn zu richten seien. Den Meldungen ist eine<br />

Bescheinigung des Gemeindevorstandes beizufügen, daß der Theilnahme des Lehrers am Zeichenkursus<br />

Bedenken nicht entgegenstehen und daß er an der gewerblichen Fortbildungsschule des Orts Zeichenunterricht<br />

ertheilt habe oder nach seiner Ausbildung ertheilen solle. [...].<br />

Die zur Theilnahme Zugelassenen erhalten bis auf Weiteres eine Vergütung von 4 Mark täglich und die<br />

Kosten der Hin- und Rückreise bei Benutzung der III. Wagenklasse aus der Staatskasse ersetzt. 176 Der<br />

Unterricht wird unentgeltlich ertheilt, auch das Zeichenmaterial auf Staatskosten geliefert. Zu den Kursen<br />

können auch Lehrer zugelassen werden, die an gewerblichen Fortbildungsschulen, welche keinen<br />

Staatszuschuß erhalten, Unterricht ertheilen. [...]. 177<br />

Der erste schriftliche Bericht über einen Kontroll-Besuch einer vorgesetzten Behörde an der<br />

Schule stammt aus dem Jahre 1897. Der Revisor für den Regierungsbezirk Stade, Eckert, 178<br />

kündigte seine Besichtigung der Schule in einem Schreiben fünf Tage vorher an: „Ich bitte<br />

den Magistrat, veranlassen zu wollen, daß mir nachmittags zwischen 3 und 5 Uhr die bisher<br />

175<br />

Der Inspektor für die „Inspektion des Zeichenunterrichts an den gewerblichen Fortbildungsschulen der<br />

Provinz Hannover“ war Direktor Lachner in Hannover. Später führte er den Titel „Regierungs- und<br />

Gewerbeschulrat“.<br />

176<br />

Die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung in Hannover mussten die Teilnehmer offensichtlich selbst<br />

tragen.<br />

177<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

178<br />

Eckert war Stadtbaumeister in Geestemünde. Er war Revisor für die <strong>Schulen</strong> in Bremervörde, Buxtehude,<br />

Lesum, Oberndorf, Scharmbeck und <strong>Verden</strong>. Vgl. Zeitungsartikel vom 21.02.1897, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n<br />

<strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

51


angefertigten Schülerzeichnungen und die Lehrmittel vorgelegt werden. Am Abend zwischen<br />

8 und 10 Uhr werde ich dem Unterricht beiwohnen, und bitte ich zu diesem Zwecke möglichst<br />

alle Zeichenklassen in Betrieb setzen zu lassen.“ 179 Sein Urteil über den Zeichenunterricht ist<br />

leider nicht erhalten geblieben. In einem tabellarischen Bericht von Revisor Busse 180 von<br />

1899 wurde vermerkt, dass die Lehrer Beyer, Castens und Roper im Zeichnen unterrichten.<br />

Alle drei hatten auch an Fortbildungsveranstaltungen in Hannover teilgenommen. Die Zahl<br />

der Schüler betrug insgesamt 144, davon waren 92 Zeichner, darunter auch vier freiwillige<br />

Zeichner. Die Nichtzeichner waren Bäcker, Schlachter, Zigarrenarbeiter und Buchdrucker.<br />

Bemängelt wurden der unregelmäßige Schulbesuch und die Unpünktlichkeit der Schüler. Die<br />

Beschaffenheit der Schulräume wurde als „gut, wie früher“ beschrieben. Seit der letzten<br />

Revision waren an Lehrmitteln einige neue Modelle, die von Handwerksmeistern angefertigt<br />

worden waren, hinzugekommen. Zu den Lernmitteln wurde bemerkt, dass es besser wäre,<br />

wenn die Schule den Schülern das Zeichenpapier und die Bleistifte zum Einkaufspapier<br />

verkaufen würde. Ein ausführlicher Bericht ist aus dem Jahre 1900 erhalten geblieben:<br />

„Inspection Buxtehude, den 29. Septbr. 1900.<br />

des Zeichenunterrichts an den gewerblichen<br />

Fortbildungsschulen der Provinz Nr. 9904 gr. 30/9.00.<br />

Hannover.<br />

Revisor d. Reg. Bez. Stade: Arch. Busse<br />

An<br />

Den Magistrat der Stadt<br />

<strong>Verden</strong> a/d. Aller<br />

Bei der am 16. September d. Jr. Von mir abgehaltenen Revision des Zeichenunterrichtes an der dortigen<br />

gewerblichen Fortbildungsschule habe ich hinsichtlich der Leistungen zu bemerken:<br />

Die Freihandzeichnungen (:Geometr. Ornament:) der Klasse III machen größtentheils nicht den guten Eindruck<br />

wie im vorigen Jahr. Es sind sehr wenige begabte Schüler in der Klasse, auch ist es für den Lehrer daher nicht<br />

leicht, gute Leistungen zu erzielen. Die Farbe muß rein aufgetragen werden, auch muß mehr Sorgfalt auf<br />

scharfe Conturen und saubere Pinselführung verwendet werden.<br />

Die Freihandzeichnungen (:Pflanzenornament:) der Klasse II befriedigen im Allgemeinen. Recht schwach sind<br />

dagegen die Linearzeichnungen. Die Linien sind zu ungleichmäßig auch z. Th. nicht kräftig genug ausgezogen.<br />

Genaues Zeichnen und korrekte Darstellung ist hier unumgänglich notwendig als Vorübung für das<br />

Fachzeichnen.<br />

Die Linearzeichnungen der Klasse I sind auch z. Th. nicht korrekt genug dargestellt. Es muß schon beim<br />

Auftragen mit dem Bleistift auf absolut genaues Zeichnen gesehen werden und darf nicht früher ausgezogen<br />

werden, als bis das ganze Blatt tadellos in Blei fertig gezeichnet ist. Einie Arbeiten sind sehr schwach.<br />

Die Körperzeichnungen müssen zum Theil mehr mit Verständnis zu Papier gebracht werden; es sind vordem<br />

Maaßskizzen anzufertigen. Die notwendigen Maaße sind hier eingetragen, desgl. Sind auch erste Maaßskizzen<br />

anzufertigen.<br />

Ganz ergebenst<br />

gez: Busse.<br />

Abschriftlich für Herrn Lehrer Breuer hier.<br />

<strong>Verden</strong>, 17. October 1900<br />

Der Magistrat” 181<br />

In seinem Schreiben vom Oktober 1900 weist Busse noch einmal darauf hin, dass ein<br />

Lehrgang für Schmiede und Schuhmacher angeschafft werden soll und dass die Lehrer<br />

179 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

180 Busse war Architekt und Lehrer am Technikum in Buxtehude und zuständig als Revisor der<br />

Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong>. Im Jahre 1913 wurden für die Revision im Regierungsbezirk Stade zwei<br />

Revisoren bestimmt: ein Regierungs- und Gewerbeschulrat zuständig u.a. für die Fortbildungsschulen in Achim<br />

und <strong>Verden</strong>, die kaufmännische Fortbildungsschule und die Innungsschule in <strong>Verden</strong> und der<br />

Baugewerkschullehrer Zander aus Buxtehude, der der Nachfolger von Busse wurde.<br />

181 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

52


Roper und Beyer im nächsten Jahr an einem Zeichenkursus teilnehmen müssen. Außerdem<br />

wurde aufgrund der hohen Schülerzahlen die Einrichtung einer 4. Zeichenklasse gefordert. 182<br />

Die Revisionen für den Zeichenunterricht erfolgten etwa alle zwei Jahre. In seinem<br />

Revisionsbericht vom April 1906 vermerkte der Baugewerkschuldirektor Hertlein aus<br />

Buxtehude, dass die letzte Revision im Jahre 1904 vorgenommen wurde. 183<br />

Schulleiter Breuer erwähnt in seinem Schuljahresbericht aus dem Jahre 1908 die Revisionen<br />

vergangener Jahre. Unerwartete Revisionen wurden danach auch für die Fächer Rechnen,<br />

Geschäftsaufsätze und Buchführung durchgeführt. Diese Revisionen wurden von Professor<br />

Dr. Velde und Geheimrat v. Seefeldt vorgenommen. Da keine weiteren Überprüfungen durch<br />

die beiden Herren anstanden, bemerkte der Schulleiter: „Nach dem Ausfall dieser Revisionen<br />

dürfen wir annehmen, daß wir auch in der inneren Entwicklung unserer Schule mit anderen<br />

Fortbildungsschulen Schritt halten.“ 184<br />

Als der Schulleiter noch die Protokolle selbst schrieb<br />

Die Protokollanten heutiger Gesamtkonferenzen wissen ein Lied zu singen: zwei KollegInnen<br />

müssen angespannt den Ausführungen des/der Schulleiters/Schulleiterin folgen und das<br />

Gehörte zu Papier bringen, anschließend die Niederschriften vergleichen und sauber getippt<br />

der Schulleitung vorlegen, abzeichnen lassen und in dem „Gesamtkonferenzprotokollordner“<br />

abheften, der im Lehrerzimmer verwahrt wird. Dort muss er dem Kollegium zugänglich sein,<br />

da auf der nächsten Gesamtkonferenz das Protokoll der zurückliegenden Gesamtkonferenz<br />

per Abstimmung genehmigt werden muss.<br />

Welche paradiesischen Zustände für das Kollegium herrschten da noch bis 1932. Das<br />

Protokollbuch 185 der Lehrerkonferenzen ist erhalten geblieben und mit Erstaunen nimmt der<br />

Chronist zur Kenntnis, dass damals der Schulleiter die Protokolle selbst schrieb! Dieses<br />

Protokollbuch ist, wie alle Akten aus dieser Zeit, handschriftlich in „Sütterlin“ von den<br />

einzelnen Schulleitern verfasst worden und mehr oder weniger gut lesbar. Die<br />

interessantesten Schulinterna sollen hier wiedergegeben werden:<br />

„08.01.1898 186 Beyer macht auf den Übelstand aufmerksam, daß Schüler die 17 Jahre alt werden, innerhalb<br />

des Quartals ohne weiteres die Schule verlassen können; er stellt den Antrag auf Abstellung<br />

dieses Übelstandes. Der Übelstand wurde von allen anerkannt. 187<br />

16.03.1898 1. Festsetzung der Zeugnisse über das Betragen der Schüler. Beim Schluß der Schule am<br />

31.03. wurden nebenstehende Schüler in Gegenwart der Herren Bürgermeister Landschaftsrat<br />

Schorcht und Bürgervorsteher Campe wertvolle Bücher als Prämien gegeben.<br />

12.02.1900 Zu Ostern wird eine 4. Klasse neu errichtet.<br />

13.10.1900 Für wiederholte Verspätung soll sofortige Bestrafung durch die Polizeibehörde einsetzen.<br />

Zufolge des Ausschreibens des Ministers des Innern wird beschlossen, auf den hier<br />

bestehenden Jünglingsvereins empfehlend hinzuweisen und dessen Bestrebungen zu<br />

unterstützen.<br />

182 Vgl. ebd.<br />

183 Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 8,1.<br />

184 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, Bericht vom 29.3.1908.<br />

185 Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Protokollbuch (08.1.1898 – 19.0.1.932).<br />

186 Zu diesem Zeitpunkt unterrichten die Lehrer Breuer (Schulleiter), Beyer, Castens und Ropers an der Schule.<br />

187 Erst im Jahre 1909 wurde das alte Ortsstatut der Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong> revidiert und die Schulpflicht<br />

bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Schüler verlängert.<br />

53


20.10.1900 [...] und darauf folgt die Mitteilung des Schreibens des Revisors Architekt Busse-Buxtehude,<br />

vom 29.09 bzw. 18.10. über die Revision des Zeichenunterrichtes vom 16.09. Die<br />

Notwendigkeit der Einrichtung einer 4. Klasse für den Zeichenunterricht wurde allseitig als<br />

dringlich bezeichnet.<br />

21.04.1902 Es wird mitgeteilt, daß vom Schulbildverlag Wachsmuth-Leipzig 6 Tafeln angeschafft<br />

sind und daß die Zeichenlehrmittel für die Tischler vorläufig abgelehnt sind. Es wird ein<br />

Schreiben des Ministers vom 04.09.01 verlesen. Auf Grund dieses wird den Lehrern empfohlen,<br />

das Zuspätkommen der Schüler abzugeben, um so einen pünktlichen Schulbesuch zu erzielen.<br />

Die Handwerkskammer verlangt bei der Gesellenprüfung einen Nachweis über den<br />

Schulbesuch. Der Minister bestimmt, daß die Zeugnisse auch über Betragen und Leistungen<br />

Auskunft geben. Auch soll in den Zeugnissen vermerkt sein, wie lange die Schule von den<br />

betreffenden Schülern besucht ist. Die Schüler sollen beim Abgang von der Schule ein Zeugnis<br />

ausgefertigt bekommen. Im deutschen Unterricht soll auch beim Diktat das gewerbliche Leben<br />

mehr denn bis jetzt geschehen, berücksichtigt werden.<br />

27.11.1911 2. [...] über einen Runderlaß des Ministers für Handel und Gewerbe vom 20.08.11, welcher auf<br />

Grund einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes v. 16. Mai 1911 feststellt, daß die<br />

Lehrer einer kommunalen Pflichtfortbildungsschule mittelbare Stadtbeamte sind und bei fester<br />

Besoldung daher nur von der Hälfte ihres Einkommens als Fortbildungsschullehrer zur<br />

Gemeindebesteuerung herangezogen werden können.<br />

18.10.1913 2. Der Leiter erinnert an genaue Einhaltung des Lehrplanes und Ausfüllung des<br />

Lehrberichtes.“<br />

Vordruck für die Prämienvergabe (1900-1909).<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,2.<br />

Die Schule im Wandel<br />

Ab dem Jahre 1901 hielt der Schulleiter Breuer Ansprachen anlässlich der jährlichen<br />

Zeugnisvergabe. Da diese Jahresberichte 188 einen umfassenden Ein- und Rückblick in das<br />

damalige Schulleben und die Mentalität der Menschen geben, soll hier die erste Jahresschau<br />

vollständig wiedergegeben werden:<br />

„1901. Bericht<br />

188 Erhalten geblieben sind die „Berichte“ aus den Jahren 1901, 1904, 1908, 1911, 1923 und 1926.<br />

54


M. H. 189 Im verflossenen Jahre wurde die Schule von 147 Schülern besucht, worunter 12, die freiwillig kamen.<br />

(Als ich vor 20 Jahren zuerst in der ´Gewerbeschule´ unterrichtete, waren nur 30 Schüler ´eingeschrieben´ und<br />

1884 gar nur 18, von denen, da der Besuch freiwillig war, zu den Unterrichtsstunden kaum ½ dtz. erschien. Auf<br />

dem Gebiet des Gewerbeschulwesens ist es bedeutend anders u. besser geworden. Der Schulvorstand u. die<br />

städtischen Kollegien haben den Forderungen der Gegenwart Rechnung getragen u. die Schule in eine<br />

4klassige umgewandelt. Alle beteiligten Kreise können das nur mit Dank anerkennen. Neben diesen 4 Klassen<br />

sind noch 4 Abteilungen für Zeichnen gebildet. Jeder Schüler wird von vornherein der Klasse u. Abteilung<br />

zugewiesen, wohin er nach seiner Vorbildung u. seinen Leistungen paßt. Über die Lehrziele, die wir in den<br />

einzelnen Abteilungen verfolgen, geben die Lehrpläne und die Stoffverteilung Auskunft. Diese Pläne sind von<br />

der Regierung gebilligt. Wer sie einzusehen wünscht, dem sei es gerne gestattet.<br />

Überall stellen wir das Geschäft u. die Heimat in den Mittelpunkt des Unterrichts. Etwaigen Wünschen der<br />

Innungen tragen wir gern Rechnung. Die Fortbildungsschule will dem gewerblichen Mittelstande dienen; sie will<br />

dazu beitragen, daß der Handwerker auch die nötige theoretische Ausbildung erhalte. Die Bedeutung der<br />

Fortbildungsschulen wird daher auch immer mehr anerkannt von den Innungen, Handwerkskammern u. der<br />

Regierung, die von Jahr zu Jahr mehr Mittel für das gewerbl. Unterrichtswesen zur Verfügung stellt u. die<br />

<strong>Schulen</strong> beaufsichtigt. Zeugnisse über den Besuch einer Fortbildungsschule werden vielfach verlangt, daher<br />

arbeiten die Lehrlinge im großen u. ganzen auch mit größerem Interesse. Das Betragen der Schüler in der<br />

Schule war – abgesehen von einigen – ein recht gutes; auch außerhalb der Schule war es besser als früher,<br />

obwohl einige rohe Bengel noch immer den guten Ruf der Schule schädigen. Aber das können wir getrost<br />

tragen, die guten Schüler, bei denen ein ernstes Streben unverkennbar ist, überwiegen bei weitem.<br />

Der Schulbesuch war befriedigend; 23 Schüler haben im verflossenen Jahre keine einzige Stunde versäumt<br />

und 33 fehlten mit Entschuldigung nur einige Stunden. Bestrafungen wegen Schulversäumnissen traten nur in 3<br />

Fällen ein. Unregelmäßiger Schulbesuch wurde veranlaßt teils durch auswärtige Arbeit u. teils durch Krankheit.<br />

Einige Lehrlinge gehen im Winter während der geschäftsstillen Zeit zu ihren Eltern auf längere Zeit, wodurch<br />

eine unliebsame Unterbrechung des Unterrichts entsteht. Dadurch werden die Leistungen der Schüler<br />

selbstredend sehr beeinträchtigt. Bei der Kürze der Unterrichtszeit muß die Zeit gehörig ausgenutzt werden.<br />

Aus dem Grunde ist auch das Zuspätkommen der Schüler störend. Beeinträchtigt werden die Leistungen<br />

teilweise auch durch mangelhafte Vorbildung u. durch die Unterrichtszeit am späten Abend und bei einigen<br />

durch ihre Gleichgültigkeit gegen alles Lernen. Solche verlassen dann auch bei vollendetem 17. Lebensjahre<br />

sofort die Schule, damit sie nur ja nicht zuviel lernen. Und doch muß der Mensch lernen, so lange er lebt.<br />

(Daher sagt Goethe auch: Meister ist der, der was ersann, Geselle der, der was kann, aber Lehrling ist<br />

jedermann.)<br />

Mögen die Leistungen der Schüler auch noch viele Lücken aufweisen, so erkennen wir doch das ernste Streben<br />

derselben an. Das Leben, auch das Geschäftsleben, wird sie ja ferner in die Schule nehmen, die Schule kann<br />

nur die Grundlage geben. Durch die Bereitwilligkeit des Schulvorstandes ist es dem Lehrerkollegium möglich<br />

gewesen, 50 Schülern eine Prämie zu gewähren. Bei Verleihung derselben fallen der Schulbesuch, das<br />

Betragen u. der Fortschritt in den Leistungen besonders ins Gewicht. Im Hinblick auf die 200 Jahrfeier des<br />

preußischen Königtums, die wir auch durch einen Festakt begangen haben, kommt in diesem Jahre die illustr.<br />

Volks= u. Jugendschrift „200 Jahre preußisches Königtum“ von Schulrat Polack zur Verteilung, dieselbe<br />

erhalten (Zeugnisbuch).<br />

In Anerkennung ihres guten Betragens, regelmäßigen Schulbesuchs u. steten Fleißes erhalten außerdem:<br />

„Werner, der Geschäftsmann. Ein Ratgeber bei den schriftlichen Arbeiten des Gewerbetreibenden“ folgende 7<br />

Schüler: Griesbach, Christian Meyer, Mohrhoff, Oelfke 190 , Steinkamp, Stünker u. Wilhelm, ein wertvolles<br />

Reißzeug erhalten Hage, Kaule, Stünkel u. Goedecke. Möge diese Anerkennung Euch ein Sporn zum<br />

Weiterarbeiten sein! Und Sie, m. H. bitte ich, der Fortbildungsschule ein freundl. Interesse zuwenden zu wollen.<br />

V. 24/3 1901. Breuer.“<br />

189 M. H./m. H. = Meine Herren.<br />

190 Familien mit dem Namen Oelfke gab es in <strong>Verden</strong> mehrmals (Schlachtermeister, Kohlenhändler). Ein<br />

Kollege mit dem Namen Oelfke trat auch später in das Kollegium ein.<br />

55


Titelblatt des Ortsstatuts für die gewerbliche Fortbildungsschule aus dem Jahre 1909 mit schönen<br />

Jugendstil-Lettern in der Überschrift.<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 4,1.<br />

56


Im Jahre 1901 wurde im Ministerialblatt der Handels- und Gewerbe-Verwaltung eine<br />

Verfügung des Ministers für Handel und Gewerbe abgedruckt:<br />

„[...] Für den Unterricht im Deutschen und Rechnen sind den erwähnten „Vorschriften“ 191 gemäß die Schüler<br />

nach ihren Vorkenntnissen im allgemeinen auf vier aufsteigende Stufen zu vertheilen. [...] Zählt eine Stufe mehr<br />

als 40 Schüler, so sind für diese Parallelklassen zu bilden, auf welche dann die Schüler so zu vertheilen sind,<br />

daß einzelne oder verwandte Berufe vereinigt werden. [...]<br />

Die vorstehenden Ausführungen gelten nicht für die Vertheilung der Schüler auf die Zeichenklassen. Hierfür<br />

sind die besonderen Bestimmungen in den Lehrplänen für den Zeichenunterricht maßgebend.“ 192<br />

Das Kollegium hatte im Jahre 1903 einen neuen Vorstoß bezüglich einer Gehaltserhöhung<br />

unternommen. Der Magistrat teilte den Lehrern daraufhin mit, dass mit Wirkung von Ostern<br />

1904 an die Jahresstunde - ohne Unterschied – auf 80 Mark erhöht werde. Die Einführung<br />

einer „Skala“ wurde dagegen abgelehnt. 193 Der „Deutschen Gemeinde=Zeitung“ 194 konnte<br />

man am 4.4.1903 eine Statistik über Fortbildungsschulen entnehmen. In Preußen gab es<br />

zum Stichtag 2.2.1902 insgesamt 1.864 Fortbildungsschulen, davon 1.093 gewerbliche<br />

Fortbildungsschulen (895 mit und 188 ohne Schulzwang), 291 Innungsschulen, 244<br />

kaufmännische Fortbildungsschulen (146 mit und 98 ohne Schulzwang) und 56<br />

Vereinsschulen (d. h. <strong>Schulen</strong> von Arbeitervereinen, Arbeiterbildungsvereinen, Handwerker-,<br />

Lehrlings-, Jünglings- und Gesellenvereinen). Im Regierungsbezirk Stade befanden sich 22<br />

Fortbildungsschulen mit insgesamt 1.773 Schülern. Die Unterhaltungskosten der<br />

Fortbildungsschulen in Preußen betrugen im Rechnungsjahr 1901 4,65 Millionen Mark.<br />

Dieser Betrag wurde gedeckt durch Schulgeld (1,08 Mio. M), Zuschüsse des Staates (1,3<br />

Mio. M) und durch Zuschüsse der Gemeinden und Interessenverbände (2,2 Mio. M).<br />

Die ungünstigen Unterrichtszeiten der Fortbildungsschule waren bereits in der Vergangenheit<br />

Anlass zur Kritik 195 , erinnert sei an die Eingabe der <strong>Verden</strong>er Pastoren. Der Minister für<br />

Handel und Gewerbe fasste in einem Erlass von 1904 an die „Herren<br />

Regierungspräsidenten“ die Probleme der preußischen Fortbildungsschulen zusammen:<br />

„In den Fortbildungsschulen der meisten kleineren und einer Anzahl größerer Städte besteht die Übung, den<br />

Unterricht in den späten Abendstunden, vielfach sogar von 8 bis 10 Uhr abzuhalten. [...]<br />

Gegenvorstellungen von verschiedenen Seiten geben mir Anlaß, meine grundsätzliche Stellung 196 zu der<br />

vorliegenden Frage allgemein darzulegen.<br />

Die Fortbildungsschule hat die Aufgabe, in Ergänzung der praktischen Lehre der gewerblichen Jugend die für<br />

ihren Beruf notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu übermitteln und sie zu tüchtigen Menschen und<br />

Staatsbürgern zu erziehen. Sie muß, um diese Aufgabe erfüllen zu können, von ihren Schülern ein um so<br />

größeres Maß geistiger Frische und ernster Arbeit in der Klasse verlangen, als die verfügbare Unterrichtszeit<br />

sehr beschränkt ist und Forderungen an den häuslichen Fleiß der Schüler in den meisten Fällen sich nicht<br />

stellen lassen. Diesen Ansprüchen zu genügen, sind junge Leute, die im Alter der Entwicklung und meist vom<br />

frühen Morgen an in anstrengender Tätigkeit stehen, abends kaum noch imstande. Bei der späten Lage der<br />

Unterrichtsstunden ist daher der Erfolg des Fortbildungsunterrichts und damit die nützliche Verwendung der<br />

dafür aufgewandten Geldmittel geradezu in Frage gestellt.<br />

Dies Bedenken muß um so schwerer wiegen, als sich auch gegen die körperliche Überanstrengung der<br />

jungen Leute ernste Bedenken erheben. Hierzu kommt schließlich noch, daß Fortbildungsschüler bei spätem<br />

191 Gemeint sind die Vorschriften für die Aufstellung von Lehrplänen vom 5.7.1897 und der Erlass vom<br />

19.03.1898.<br />

192 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, Verfügung vom 14.12.1901 (I.-Nr. IIIb 9404).<br />

193 Vermutlich hatte das Kollegium vorgeschlagen, eine gestaffelte Honorierung vorzunehmen. Vgl. Archiv der<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

194 Vgl. Wochenschrift für Deutsches Gemeinde- und Staats-Verwaltungswesen, XLII. Jg., Nr. 14, 04.04.1903.<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

195 In dem Erlass Nr. 148 vom 03.02.1900 hatte der Minister für Handel und Gewerbe bestimmt, den Unterricht<br />

möglichst nicht nach 9 Uhr abends stattfinden zu lassen.<br />

196 Er bezieht sich auf die jüngsten Erlasse, den Unterricht nur noch während der Tagesstunden der Werktage<br />

zu erteilen. Im Großherzogtum Baden war dies bereits flächendeckend durchgeführt worden.<br />

57


Schlusse des Unterrichtes erfahrungsgemäß leicht geneigt sind, sich herumzutreiben und Ausschreitungen zu<br />

begehen.<br />

Ich lege ferner Gewicht darauf, daß der Sonntag vom Zwangsunterrichte freibleibe. Der Sonntag gehört der<br />

Erbauung, dem Familienleben, der Erholung und freier Arbeit, nicht dem Schulzwange.<br />

Vereinzelt ist mir die Auffassung begegnet, die Erteilung des pflichtmäßigen Fortbildungsunterrichtes in den<br />

Abend= und Sonntagsstunden empfehle sich deshalb, weil die jungen Leute durch den Aufenthalt in der Schule<br />

an der unrichtigen Verwendung ihrer freien Zeit gehindert würden.<br />

Ich kann diese Auffassung der Aufgabe des Fortbildungsunterrichts nicht billigen und verspreche mir keinen<br />

Erfolg von dem bloßen Absperren von der Straße und dem Wirtshause, das außerdem nur für wenige Stunden<br />

durchführbar ist. Eine Veredelung der Lebensführung der jugendlichen gewerblichen Arbeiter, die im Interesse<br />

des Gewerbes und des Staates dringend wünschenswert ist, kann nur erreicht werden durch Hebung der<br />

geistigen und sittlichen Bildung. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, durch Einrichtung von Lehrlingsheimen mit<br />

Leseräumen, durch Veranstaltungen von Vorträgen, gemeinsamen Ausflügen und Spielen die junge Leute,<br />

denen oft der Familienanschluß fehlt, in ihren Erholungsstunden in freundschaftliche Berührung mit gebildeten<br />

Menschen zu bringen, sie zu verständiger Benutzung ihrer freien Zeit anzuleiten und ihnen Gelegenheit zu<br />

anständigen und gesunden Vergnügungen zu geben. [...]<br />

Den Schwierigkeiten, die sich einer allgemeinen Durchführung meiner Forderungen entgegenstellen, will ich<br />

soweit Rechnung tragen, daß ich dort, wo örtliche Verhältnisse, insbesondere das Fehlen gut beleuchteter<br />

Zeichenräume oder ein starker freiwilliger Besuch der Pflichtklassen aus benachbarten Ortschaften eine<br />

sofortige Verlegung des gesamten Unterrichtes auf die Tagesstunden der Werktage erschweren, gestatten will,<br />

den Zeichenunterricht zunächst noch am Sonntage zu erteilen, wobei aber jedenfalls die Stunden des<br />

Hauptgottesdienstes und die Nachmittage freizulassen sind.“ 197<br />

Ab welchem Jahr der Sonntagsunterricht an der <strong>Verden</strong>er Fortbildungsschule endgültig<br />

wegfiel, ist aus den Akten leider nicht ersichtlich. Spätestens 1923 gab es nur noch den<br />

Montag und den Mittwoch als Schultag. Das Kollegium fand allerdings die Unterrichtszeiten<br />

von 20 – 22 Uhr besser als die von 19 – 21 Uhr. Erst ab dem Schuljahr 1912/13 wurde der<br />

Unterricht auf 18 – 20 Uhr vorverlegt.<br />

Ab Ostern 1906 wurden sowohl im Sommer als auch im Winter die Schüler in vier Klassen<br />

und vier Zeichenabteilungen 198 von acht Lehrern an drei Tagen unterrichtet. Diejenigen<br />

Schüler, die aufgrund ihres Berufes keinen Zeichenunterricht erhielten, kamen an zwei<br />

Tagen zur Schule. Bei der Aufnahme wurde jeder Schüler der Klasse und Zeichenabteilung<br />

zugewiesen, wohin er nach seinen Fähigkeiten passte. Schulleiter Breuer machte anlässlich<br />

der Entlassungsfeier von 1908 vor Vertretern des Magistrats und des Handwerks seinem<br />

Herzen Luft:<br />

„Wir wollen die jungen Leute fördern, vorwärts bringen, nicht langweilen. Da aber auch die Dümmsten der<br />

Dummen nicht selten im Handwerk Unterschlupf finden, so bleiben die recht häufig während der ganzen<br />

Schulzeit auf der Unterstufe hocken. Sich mit diesen Dummen, trägen, manchmal auch noch flegelhaften<br />

Jungen nach Feierabend noch abplagen zu müssen, ist wahrlich kein Vergnügen! Nach diesen minderwertigen<br />

Schülern die Leistungen der Fortbildungsschule beurteilen zu wollen, wäre einseitig und ungerecht. Die<br />

Mehrzahl der Schüler zeigt lebhaftes Interesse und regen Eifer. Bei diesen kann man auch steten Fortschritt<br />

wahrnehmen; die arbeiten sich durch vom einfachen Federstrich zur sauberen Fachzeichnung, von der Species<br />

des Rechnens zur komplizierten gewerblichen Kalkulation, von dem einfachsten Geschäftsaufsatz bis zur<br />

regelrechten Buchführung. Solche Schüler finden auch später ihr Fortkommen, wovon mir zahlreiche Beispiele<br />

bekannt sind.“ 199<br />

Aus dem Bericht des Schulleiters erfahren wir auch, dass das Betragen der Schüler recht gut<br />

war: „Nach unseren Wahrnehmungen ist es besser geworden, auch auf dem Schulwege.“<br />

Das Betragen wurde auch benotet: Von den 123 Absolventen erhielten 25 die Note „sehr<br />

gut“, 38 „recht gut“ und sechs „nicht ohne Tadel“. Zehn Schüler mussten wiederholt zurecht<br />

gewiesen werden und erhielten offensichtlich keine Note. Der Schulbesuch ließ im<br />

197 Vgl. Sonderabdruck aus dem Ministerialblatt der Handels- und Gewerbe-Verwaltung (I.-Nr. IIIb 5943./IIIa<br />

7176) vom 20.08.1904. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

198 Ab dem Schuljahr 1909/10 wurde der Zeichenunterricht von zwei auf vier Stunden aufgestockt. Das<br />

bedeutete, dass die Hälfte des Unterrichts mit dem Fach Zeichnen ausgefüllt war.<br />

199 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

58


Allgemeinen zu wünschen übrig. Die Polizeibehörde musste über 30 Geldstrafen verhängen!<br />

Breuer nahm aber auch vor den Handwerksmeistern kein Blatt vor den Mund, steckten sie<br />

doch häufig hinter dem nur sporadischen Schulbesuch ihrer Lehrlinge:<br />

„Daß die Lehrlinge nicht immer die Schuldigen sind, ist uns bekannt genug, da wir im Laufe der Jahre die<br />

Erfahrung gemacht haben, daß die Lehrlinge bei gewissen Meistern die Schule unregelmäßig besuchen. Diese<br />

Meister verlangen von ihren Lehrlingen nur 2 kräftige Hände, und was später aus denselben wird, kümmert sie<br />

nicht. Die Fortbildungsschule ist ihnen ein großes Übel, weil sie ihnen wöchentlich 2 bis 3 mal 2 Stunden die<br />

Lehrlinge nimmt. Aber ohne einen pünktlichen und regelmäßigen Schulbesuch werden alle Unterrichtserfolge in<br />

Frage gestellt.“<br />

Breuer wies aber auch darauf hin, dass es in der Vergangenheit Meister gab, die darauf<br />

achteten, dass ihre Lehrlinge die Schule besuchten. Bis zum Jahre 1887, als auf Anregung<br />

des damaligen Stadtsyndikus Schorcht der Schulzwang eingeführt wurde, erhielten die<br />

Schüler beim Schulabschluss für ihren regelmäßigen Schulbesuch die übliche Prämie von<br />

drei Mark bzw. einem preußischen Taler. Zum Schluss seiner Ansprache bedankte sich<br />

Breuer bei dem Fabrikanten Hehnn und dem Buchdruckereibesitzer Söhl sen., stellten sie<br />

doch dem Lehrerkollegium wiederholt passende Geschenke (Bücher, Unterrichtswerke) zur<br />

Auszeichnung würdiger Schüler zur Verfügung, hatten doch die Geldgeschenke seit 1896<br />

gänzlich aufgehört. Im Jahre 1909 wurde das alte Ortsstatut revidiert und die Schulpflicht bis<br />

zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Schüler verlängert.<br />

An dieser Stelle soll einmal kurz auf die das gesellschaftliche Umfeld jener Zeit eingegangen<br />

werden. Eine Schulchronik spiegelt diese natürlich nur ansatzweise wider. Um aber die<br />

erhalten gebliebenen Erlasse, Anträge und Berichte der Schulleiter, die ja auch „Kinder ihrer<br />

Zeit“ waren, besser verstehen zu können, muss auch auf die Rahmenbedingungen<br />

eingegangen werden. In der Zeit des deutschen Kaiserreiches (1871-1918) fanden<br />

umwälzende gesellschaftliche Veränderungen statt, die sich zum Teil auch auf die<br />

Fortbildungsschulen auswirkten. Nach dem Sieg über Frankreich 1871 und der damit<br />

verbundenen Reichsgründung musste Frankreich Reparationen in Höhe von fünf Milliarden<br />

Goldfranc zahlen. Diese Geldschwemme brachte in den sog. „Gründerjahren“ den<br />

Durchbruch zur industriellen Revolution in Deutschland. Innerhalb weniger Jahre wurden<br />

über 1.000 Aktiengesellschaften gegründet! Eine Folge davon war, dass Industriearbeiter<br />

gesucht wurden und dem Handwerk die Lehrlinge wegliefen, da sie im Handwerk keinen<br />

„goldenen Boden“ mehr sahen, die Handwerksmeister an einer Fortbildung ihrer Lehrlinge<br />

kein Interesse hatten. Die überschäumende Konjunktur führte aber ab 1873 zur „Großen<br />

Depression“, die in Wellen bis 1895 anhielt und die Schrumpfung der Wirtschaft und des<br />

Handwerks sowie einen Preisverfall in Deutschland zur Folge hatte. Ab 1875 gesellte sich<br />

dazu noch eine Agrarkrise. Parallel dazu gab es in den Jahren 1891-94 auch eine<br />

internationale Wirtschaftskrise. Die „Große Depression“ veränderte das politische und<br />

wirtschaftliche Klima. Sie führte eine langsame Verschiebung überkommender Sozialnormen<br />

herauf, beschleunigte die Umschichtung der Gesellschaft und verschärfte die Klassenfronten.<br />

Der Jurist Rudolf von Gneist gab einem allgemeinen Zeitgefühl Ausdruck, wenn er die Jahre<br />

nach 1873 eine „Epoche der allgemeinen Unzufriedenheit“ nannte, „in welcher die<br />

pessimistischen Lebensanschauungen als zusammenfassender Ausdruck der<br />

Geistesrichtung der Zeit auftreten.“ 200 In dieser Krisenzeit geriet der bis dahin<br />

vorherrschende Wirtschaftsliberalismus in Misskredit. Die Folge war eine Revolutionsfurcht<br />

(Sozialistengesetze 1878-1891), Statusunsicherheit der Mittelschicht, beginnender<br />

Antisemitismus und Schutzzollpolitik (ab 1879) als Antwort auf die britische<br />

Industriekonkurrenz. Historiker sprechen von der „Zweiten Reichsgründung“ 1878/79, als die<br />

Allianz von „Egge und Hochofen“ gegründet wurde, also das agrarische Großkapital<br />

200 Deutscher Bundestag o. J., S. 94.<br />

59


(ostelbische Junker) mit dem Industriekapital zusammengingen um Politik zu treiben. Um von<br />

den wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken betrieb das Reich ab 1880 noch die<br />

Kolonialexpansion, die wirtschaftlich ein Reinfall wurde. Um die soziale Unzufriedenheit der<br />

Arbeiterheere zu beschwichtigen, wurden die Sozialgesetze erlassen (1883<br />

Krankenversicherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliditäts- und Altersversicherung).<br />

Eine große Verfassungskrise trat 1890 mit der Entlassung Bismarcks ein, als Wilhelm II. sein<br />

„persönliches Regiment“ einführte („Februarerlasse“). Wirtschaftlich ging es ab 1896 wieder<br />

aufwärts, die Hochkonjunktur hielt bis 1913. Der Forderung mittelständischer Belange wurde<br />

durch das Handwerksgesetz (1897) 201 Folge geleistet, war doch das Bürgertum die<br />

Sammlungsbewegung gegen den aufstrebenden Sozialismus. Für die Sozialdemokraten gab<br />

es zur Überwindung der sozialen Wirklichkeit nur eine Losung: Fortbildung. 202 Im Jahre 1903<br />

wählten bereits ein Drittel aller Wähler die SPD, die 1912 stärkste Reichstagsfraktion wurde.<br />

Seit 1849 galt in Preußen das Dreiklassenwahlrecht 203 , das den Besitzlosen den Zugang zu<br />

den parlamentarischen Körperschaften verwehrte. Die 1910 in Angriff genommene<br />

preußische Wahlrechtsreform scheiterte und so wurde das Dreiklassenwahlrecht erst durch<br />

die Novemberevolution von 1918/19 beseitigt. 204 Die Entwicklung der Schülerzahlen nahm<br />

seit der Einführung der Schulpflicht an der Fortbildungsschule im Jahre 1887 einen<br />

deutlichen Aufschwung:<br />

Schuljahr Schüler<br />

1884/85 29 205<br />

1887/88 92<br />

1899/00 144<br />

1900 144<br />

1900/01 147<br />

1903/04 145 206<br />

1907/08 147 207<br />

1909/10 152<br />

1910/11 176<br />

Privatisierung der Bildung:<br />

Fortbildungsschulen des Wirtevereins und der Innung<br />

Aus heutiger Sicht verhielt sich der preußische Staat erstaunlich modern, als er es zuließ,<br />

dass eingetragene Vereine, die einen Berufsstand verkörperten, eigene „Gewerbeschulen“<br />

ins Leben rufen durften. 208<br />

201<br />

Siehe Exkurs: Lehrlingsausbildung und die Situation des Handwerks in Preußen und im Kaiserreich.<br />

202<br />

„Wissen ist Macht“ lautete ein SPD-Gedenkblatt zum 1. Mai 1897. Vgl. BRANDT 1981, S. 244.<br />

203<br />

Das Steueraufkommen eines Urwahlbezirkes wurde gedrittelt und danach die Urwähler in drei Gruppen<br />

eingeteilt (1849: 1. Gruppe = 4,7%, 2. Gruppe = 12,6%, 3. Gruppe = 82,6%). Jede Gruppe wählte im<br />

Urwahlbezirk ein Drittel der Wahlmänner und diese die Abgeordneten. Damit war die Mehrheit der preußischen<br />

Untertanen politisch entmündigt. Selbst Reichskanzler Bismarck nannte das Dreiklassen-Wahlgesetz das<br />

schlechteste Wahlgesetz, das er kannte.<br />

204<br />

Das Wahlrecht im Deutschen Reich war ab 1869 ein gleiches (keine Klassen von Wählern), direktes (ohne<br />

Wahlmänner) und geheimes (zum preußischen Landtag stimmte der einzelne Wähler öffentlich ab).<br />

Wahlberechtigt war jeder männlicher Deutsche ab 25 Jahren. Das Frauenwahlrecht war damals in Europa, bis<br />

auf Finnland, wenig verbreitet (in England hatten die Frauen nur das Gemeindewahlrecht). Die Frauen in<br />

Frankreich und Deutschland erhielten das Wahlrecht erst nach dem Ersten Weltkrieg.<br />

205<br />

Das Schuljahr 1884/85 soll hier zum Vergleich dienen; eingeschrieben waren zwar 29 Schüler, regelmäßig<br />

anwesend aber nur 25.<br />

206<br />

15 Schüler besuchten die Schule freiwillig weiter, obwohl sie bereits das 17. Lebensjahr erreicht hatten.<br />

207<br />

Von den 147 eingeschriebenen Schülern waren durch Fluktuation am Schuljahresende nur noch 123 Schüler<br />

übrig. Der „Schwund“ von ca. 15 Schülern pro Schuljahr war normal.<br />

208<br />

Diese Tendenz, dass Privatfirmen bzw. große Konzerne ihre eigene theoretische und praktische<br />

Berufsausbildung betreiben, ist ja heutzutage schon recht verbreitet und wird sich in Zukunft noch verstärken. In<br />

60


In einem Schreiben vom 09. Oktober 1908 wandte sich der Regierungspräsident von Stade<br />

an den Vorsitzenden des Wirtevereins für <strong>Verden</strong> und Umgegend, Herrn Hermann Klages in<br />

<strong>Verden</strong>: 209<br />

„Auf den Antrag vom 21. April d. Js. Erteile ich dem Wirteverein widerruflich die Erlaubnis im Klassenzimmer<br />

No. 3 der Nikolaischule dortselbst eine private Fach- u. Fortbildungsschule zu betreiben. Hierbei mache ich<br />

folgende Vorbehalte:<br />

1. Die Schule hat den Namen ´Fach- und Fortbildungsschule des Wirtevereins für <strong>Verden</strong> und<br />

Umgegend e. V.´ zu führen.<br />

2. Alle für die Öffentlichkeit bestimmten Drucksachen, wie Programme, Lehrpläne und dergleichen<br />

sind mir in einem Exemplar vorzulegen.<br />

3. Von jeder Veränderung im Lehrkörper und von jedem Wechsel in den Schulräumen ist mir durch die<br />

Hand des dortigen Magistrats Anzeige zu erstatten.<br />

4. Diese Erlaubnis erlischt, wenn der Betrieb der Schule während der Dauer von 6 Monaten geruht<br />

hat.“<br />

Der Unterricht sollte aber nicht in der Nicolaischule, sondern im Hotel „Germania“ stattfinden.<br />

Das vorläufige „Schullocal“ war aber „Höltjes Local“. Als Lehrer wurden die Herren Tölle, 210<br />

Schöttelndreyer 211 , Höltje und Klages 212 gewählt. Schulvorsteher war der Lehrer Tölle, das<br />

Schulgeld betrug pro Monat und Schüler happige sechs Mark. Auf dem Stundenplan standen<br />

die Fächer Anstandslehre, Französisch und Englisch, Deutsch, Buchführung, praktischer<br />

Unterricht, Rechnen und Schreiben, die an zwei Tagen unterrichtet wurden. Bereits ein Jahr<br />

später konnte der Wirteverein dem Magistrat mitteilen, dass die Prüfung standesgemäß im<br />

„Lokale des Herrn Höltje statfindet.“<br />

Mit dem Schuljahr 1909/10 wurde zum ersten Mal eine Fachklasse eingerichtet. 23 Bäckerund<br />

Konditorlehrlinge wurden in der „Fach- und Fortbildungsschule der Bäcker und Konditor-<br />

Innung für <strong>Verden</strong> und Umgebung“ zusammengefasst. 213 Diese Klasse hatte, da sie nicht am<br />

Zeichenunterricht teilnehmen musste, nur am Dienstag und Donnerstag für jeweils zwei<br />

Stunden Unterricht in den Fächern Deutsch (30´), Schreiben (30´), Rechnen (75´),<br />

Buchführung (45´) und „praktischen Unterricht“ (75´). 214<br />

ihrer „Hardware“-Ausstattung hinken die <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> häufig dem technologischen Standard<br />

hinterher. Als logische Konsequenz daraus haben Bildungsreformer die duale Ausbildung (fachliche Ausbildung<br />

im Betrieb, theoretische Ausbildung in der Berufsschule) auf den Prüfstand gehoben. Die Gefahr besteht, dass<br />

die <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> in Zukunft nur noch die Fächer Politik, Deutsch, Sport, Englisch und Religion<br />

vermitteln, die heute schon auf dem Stundenplan des 2. Berufsschultages stehen. Und über den Sinn bzw.<br />

Unsinn dieser allgemeinbildenden Fächer sind sich die Betriebe und Handwerksmeister so einig wie vor 100<br />

Jahren.<br />

209<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 10,1.<br />

210<br />

Tölle war Lehrer an der Nicolaischule.<br />

211<br />

Schöttelndreyer war der Besitzer des Hotels „Germania“.<br />

212<br />

Die Herren Höltje und Klages werden als „Restaurateure“ bezeichnet.<br />

213<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, Bericht vom 26.03.1911.<br />

214<br />

Vgl. Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 11,1.<br />

61


Die erste private Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong> wurde 1908 vom Wirteverein gegründet.<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 10,1.<br />

Seine Majestät und die Fortbildungsschulen<br />

Am 1. August 1909 griff der deutsche Kaiser in seiner Funktion als König von Preußen 215 an<br />

Bord der „Hohenzollern“ zum Federhalter und setzte seinen „Wilhelm“ unter das „Gesetz,<br />

betreffend die Erhebung von Beiträgen für die gewerblichen und kaufmännischen<br />

Fortbildungsschulen“: 216<br />

„Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc., verordne, mit Zustimmung der beiden Häuser des<br />

Landtags der Monarchie, was folgt:<br />

E i n z i g e r P a r a g r a p h.<br />

Die Gemeinden und weiteren Kommunalverbände sind befugt, zur Unterhaltung der gemäß § 120 der<br />

Gewerbeordnung errichteten gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen von den Arbeitgebern der<br />

Fortbildungsschüler Beiträge zu erheben. Die Beiträge sind durch statuarische Bestimmungen festzusetzen und<br />

dürfen, soweit die Schüler zum Schulbesuche verpflichtet sind, bei gewerblichen Fortbildungsschulen nicht<br />

mehr als 10 Mark und bei kaufmännischen Fortbildungsschulen nicht mehr als 30 Mark jährlich für jeden<br />

Schüler betragen.<br />

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem<br />

Königlichen Insiegel.<br />

Gegeben Odde, an Bord M. Y. „Hohenzollern“, den 1. August 1909.<br />

(L. S.) 217<br />

Wilhelm.“<br />

Bei einem derart wichtigem Gesetz wollten natürlich auch die Minister nicht nachstehen, es<br />

unterschrieben: v. Bethmann Hollweg, Frhr. v. Rheinbaben, v. Einem, Delbrück 218 , Beseler,<br />

v. Breitenbach, v. Arnim, v. Moltke, v. Trott zu Solz. 219<br />

215 Es handelt sich hier um Wilhelm II. (Regierungszeit 1888-1918).<br />

216 Preußische Gesetzessammlung 1909, S. 733.<br />

217 loco sigilli = Anstelle des Siegels.<br />

218 Delbrück war „Minister für Handel und Gewerbe“.<br />

219 von Trott zu Solz war der „Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten“.<br />

62


Auch als deutscher Kaiser kümmerte sich Wilhelm II um die passende Schulbildung. Auf der<br />

Höhe des Klassenkampfes, in seiner Existenz durch die organisierte Arbeiterschaft bedroht,<br />

versuchte er mit einem Erlass vom 1. Mai 1889, die <strong>Schulen</strong> für seine Herrschaftsinteressen<br />

dienstbar zu machen:<br />

„Schon längere Zeit hat Mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren Abstufungen nutzbar zu machen, um<br />

der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule<br />

durch die Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung<br />

auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen haben. Aber Ich kann Mich der Erkenntnis<br />

nicht verschließen, daß in einer Zeit, in welcher die sozialdemokratischen Irrtümer und Einstellungen mit<br />

vermehrtem Eifer verbreitet werden, die Schule zur Förderung der Erkenntnis dessen, was wahr, was wirklich<br />

und was in der Welt möglich ist, erhöhte Anstrengungen zu machen hat. Sie muß bestrebt sein, schon der<br />

Jugend die Überzeugung zu verschaffen, daß die Lehren der Sozialdemokratie nicht nur den göttlichen<br />

Geboten und der christlichen Sittenlehre widersprechen, sondern in Wirklichkeit unausführbar und in ihren<br />

Konsequenzen dem Einzelnen und dem Ganzen gleich verderblich sind." 220<br />

Revirement im Kollegium<br />

In seiner Rede anlässlich der Entlassungsfeier im Jahre 1908 wies der Schulleiter darauf hin,<br />

dass in den zurückliegenden 20 Jahren das Kollegium fast dasselbe geblieben sei und<br />

resümierte:<br />

„Eine Veränderung ist nur äußerlich bei uns eingetreten, wir sind grau und grauer geworden, aber ausgangs der<br />

Vierziger und anfangs der Fünfziger stehen wir noch immer im schönsten Mannesalter, und vor der Jugend<br />

haben wir Erfahrung und Autorität voraus.“ 221<br />

Doch danach folgte eine größere Umbildung des Kollegiums. Lehrer Castens 222 gab im<br />

Herbst 1909 aus Gesundheitsgründen seinen Unterricht auf, er war über 20 Jahre Lehrer an<br />

der Fortbildungsschule gewesen. 223 Bereits zum 1. April 1900 war Kurt Friedrich Rosebrock<br />

(I) nach 38 Jahren Schuldienst in den verdienten Ruhestand gegangen. Seit Ostern 1909<br />

unterrichteten an der Schule die Lehrer Renken und v. Bergen 224 , seit Herbst 1909 Lehrer<br />

Witte. 225 Mit der Einrichtung der Bäcker- und Konditorfachklasse musste auch ein<br />

Praxislehrer gewonnen werden. Der Bäcker und Konditor Engelhardt jun. stellte sich für<br />

diese Aufgabe zur Verfügung. Dass der Unterricht an der Fortbildungsschule mit seinen<br />

spezifischen Unterrichtsinhalten für die dort unterrichtenden Volksschullehrer nicht immer<br />

leicht war, beschreibt der Schulleiter Breuer in seiner Rede anlässlich der Entlassungsfeier<br />

im Jahre 1911: 226<br />

„Ein ersprießlicher Unterricht verlangt von Lehrern ein unaufhörliches Eindringen in den eigenartigen<br />

Unterrichtsstoff, der Volksschullehrern mehr oder weniger fremd ist. Ein Wandern auf ausgetretenen Wegen<br />

und eng vorgezeichneten Bahnen gibt es beim Unterricht in der gewerblichen Fortbildungsschule nicht.“<br />

220<br />

Zit. nach HELBIG 1976, S. 28 f.<br />

221<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, Bericht vom 29.3.1908.<br />

222<br />

Er war auch Lehrer an der Nicolaischule und war Klassenlehrer der 3. Mädchenklasse. Er starb bereits 1911.<br />

223<br />

Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Protokollbuch, 26.8.1909.<br />

224<br />

v. Bergen war Lehrer an der Nicolaischule.<br />

225<br />

Witte war seit 1904 Lehrer an der Neuen Schule.<br />

226<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1, Bericht vom 26.3.1911.<br />

63


Was haben Knabenturnen, Fahrschule, Sabbath<br />

und Schießgeräte gemeinsam?<br />

Natürlich die Fortbildungsschule! Wenn auch der Sportunterricht an der Fortbildungsschule<br />

noch nicht in den Stundenplan aufgenommen wurde, so gab es doch bereits im Jahre<br />

1908 227 erste Ansätze. Der Staat hielt die körperliche Ertüchtigung der Lehrlinge für dringend<br />

notwendig und so machte der Minister für Handel und Gewerbe 1909 die Leiter der<br />

Fortbildungsschulen darauf aufmerksam, für die Schule die „Anleitung für das Knabenturnen<br />

in Volksschulen ohne Turnhalle“ anzuschaffen, damit dieser Leitfaden bei entsprechenden<br />

Sportveranstaltungen an den Fortbildungsschulen verwandt werden konnte. Die gesamte<br />

körperliche Erziehung und Ausbildung der Fortbildungsschüler übernahm 1913 der<br />

Männerturnverein in <strong>Verden</strong>. 228 Von der Stadt erhielt er dafür eine Vergütung von 250 Mark<br />

im Jahr.<br />

Zeugnis des Tischlers Konrad Lammers von 1911. Der Inhaber des Zeugnisbuches fiel gleich in den<br />

ersten Monaten des 1. Weltkrieges im Alter von 22 Jahren. Quelle: Uwe Haats, <strong>Verden</strong>.<br />

Der Verein „Bergische Fahrschule e. V.“ in Barmen hatte sich 1911 an den Minister für<br />

Handel und Gewerbe mit der Bitte gewandt, auf dem Gebiet der Fortbildungsschule die<br />

Bestrebungen des Vereins zu fördern, die darauf gerichtet waren, „Kutschern und Fuhrleuten<br />

eine gründliche Vorbereitung und Ausbildung für den Beruf zu ergeben, ihnen Liebe und<br />

Güte gegen die ihnen anvertrauten Tiere beizubringen und dadurch auch den Kutscher- und<br />

Fuhrmannsstand zu heben.“ 229 Der Verein schlug vor, dass diejenigen Fahrschüler, für deren<br />

berufliches Fortkommen eine Ausbildung im Fahren von Wichtigkeit war, zur Teilnahme an<br />

einem Kursus an der Fahrschule herangezogen werden, der während seiner Dauer an die<br />

Stelle des regelmäßigen Fortbildungsunterrichts trat. In seinem Rundbrief an die<br />

Fortbildungsschulen begrüßte der Minister diesen Vorschlag: „Als Gespannführer sind nicht<br />

nur vielfach die in Schlächterei- und Bäckereibetrieben beschäftigten jungen Leute tätig,<br />

auch für einen Teil der ungelernten Arbeiter kommt eine solche Verwendung in Betracht.“<br />

Einen weiteren Vorteil sah das Ministerium in der erhöhten Verkehrssicherheit und der<br />

Vorbeugung der häufig auf Unkenntnis beruhenden Tierquälereien.<br />

227 Vgl. Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 25.7.1908.<br />

228 Vorsitzender war damals der Rechtsanwalt Hagemann.<br />

229 Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

64


Über die jüdischen Feiertage und religiösen Riten erfahren wir aus der Verordnung des<br />

Ministers für Handel und Gewerbe vom 9.7.1913: 230<br />

„Befreiung jüdischer Schüler vom Unterricht<br />

1. Die jüdischen Schüler sind auf Grund eines bei der Einschulung oder zu Beginn des Schuljahres<br />

von ihren Eltern oder ihres gesetzlichen Vertreters zu stellenden Antrages an den Sonnabenden<br />

und den hohen jüdischen Feiertagen vom Schulbesuche zu befreien.<br />

2. Da die jüdischen Sabbathe und Feiertage mit Sonnenuntergang beginnen und endigen, gelten die<br />

Befreiungen einerseits für die an den Vorabenden nach Sonnenuntergang, andererseits aber an<br />

den Festtagen selbst nur für die vor Sonnenuntergang liegenden Unterrichtsstunden. Eine<br />

Ausnahme ist für den „Versöhnungstag“ zu gewähren, an dem die Befreiung bereits eine Stunde<br />

vor Beginn des Festes und am Festtage selbst auch für den Abend nach Schluss des Festes<br />

zulässig ist. [...]<br />

3. Auch bei den Abschlussprüfungen der <strong>Schulen</strong> ist eine billige Rücksichtnahme auf die religiöse<br />

Verpflichtung solcher jüdischer Schüler, die während der Schulzeit von diesen Befreiungen<br />

Gebrauch gemacht haben, angezeigt. Es ist daher [...] darauf zu halten, dass bei Beteiligung<br />

solcher jüdischer Schüler die Prüfungsarbeiten nicht auf einen Sonnabend oder hohen jüdischen<br />

Feiertag gelegt werden. Sollte es sich im Einzelfalle nicht vermeiden lassen, so ist den betreffenden<br />

Schülern Gelegenheit zu geben, die Arbeit an einem späteren Tage nachzuholen, in derselben<br />

Weise, wie dies in Fällen plötzlicher Erkrankung von Prüflingen geschieht.“<br />

Die Akten der Fortbildungsschule geben auch Aufschluss darüber, wie unsere männlichen<br />

Vorfahren ihre Schulabschlüsse feierten:<br />

„Der Gebrauch von Schießgeräten bei Veranstaltungen für die schulentlassene männliche Jugend führt leicht zu<br />

Unzuträglichkeiten und Unfällen. Ich ersuche daher ergebenst, diesem Gebrauch durch Vermittlung der<br />

Jugendpflegeausschüsse und in sonst geeignet erscheinender Weise entgegenzuwirken.“ 231<br />

Da gestalteten sich die „Chaos-Tage“ der frisch gekürten Abiturienten an den<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong> doch bisher als recht harmlos.<br />

Ein Jahr nach dieser Verordnung wurden die „Schießgeräte“ und die dazugehörige Jugend<br />

als Kanonenfutter dringend gebraucht. Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien<br />

den Krieg, am 1. August erklärte Deutschland Russland und zwei Tage später auch<br />

Frankreich den Krieg.<br />

Exkurs: Lehrlingsausbildung und die Situation des Handwerks<br />

in Preußen und im Kaiserreich<br />

Für die erdrückende Mehrzahl deutscher Kinder endete die Ausbildung damals mit der<br />

Volksschule. Das Fortbildungswesen setzte sie, kümmerlich genug, nur noch punktuell fort.<br />

Die ehemaligen Volksschüler, die in die Fortbildungsschule eintraten, hatten eine „politische<br />

Bildung“ und einen Tugendspiegel (Fleiß, Gottesfurcht, Gehorsam und Treue) genossen, den<br />

sie mit den gottlosen, aufrührerischen Wühlereien der „vaterlandlosen Gesellen“ 232 plakativ<br />

kontrastieren konnten. Mindestens in Preußen ist die Volksschule mit dem Ziel eingesetzt<br />

worden, die Sozialdemokratie zurückzudrängen. Wilhelm II. war noch nicht ein Jahr im Amt,<br />

als er im April 1889 dem preußischen Staatsministerium eröffnete, dass die Schule zu einem<br />

„Hauptkampfplatz“ gegen die Sozialdemokratie zu machen sei. Es sei der Jugend<br />

beizubringen „wie Preußens Könige bemüht gewesen sind, [...] die Lebensbedingungen der<br />

230 Ebd., Nr. IV. 6498.<br />

231 Verordnung des „Ministers der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten“ von Trott zu Solz vom<br />

4.6.1913 (U III B Nr. 7634), Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Ordner 1.<br />

232 So wurden damals die Anhänger der SPD beschimpft.<br />

65


Arbeiter zu heben.“ 233 Diese Schwarz-Weiß-Malerei, die vor 1914 jährlich mehr als zehn<br />

Millionen Volksschüler erreichte, lässt sich in den Schulgeschichtsbüchern, den Schulreden<br />

und auf den Feiern nationaler Gedenktage („Sedanfest“) genau verfolgen. Ein „Jugendpflege“<br />

- Erlass vom Januar 1911 sollte sogar die patriotische Zuverlässigkeit der jungen Arbeiter<br />

auch in der „Schulwüste“ und „Sozialisationslücke“ 234 vom Schulabgang bis zum Eintritt in<br />

das Heer als Schule der Nation sichern – freilich nur für männliche Jugendliche. In diesem<br />

Sinne wurde der Geschichts- und staatsbürgerliche Unterricht als antirevolutionäres<br />

Psychopharmakum zur patriotischen Gesinnungsbildung eingesetzt. 235<br />

Mit dieser „Vorbildung“ kamen also dann die Lehrlinge in die Fortbildungsschule. Und wie wir<br />

gesehen haben, kamen sie dabei auch zeitweise in den Genuss des Geschichtsunterrichts,<br />

und auch das Fach Deutsch wird diese Gesinnung unterstützt haben.<br />

In den Anleitungen zur Anfertigung von Geschäftsaufsätzen sind Muster von „Lehr-<br />

Contracten“ abgedruckt:<br />

„Lehr - Contract.<br />

Zwischen dem Schlossermeister Georg Heinrich Beyer in Rotenburg und dem Stellmacher Friedrich August<br />

Klintworth in Stade ist heute folgender Lehr-Vertrag abgeschlossen worden:<br />

§ 1.<br />

Der Schlossermeister G. H. Beyer nimmt den Sohn des Stellmachers F. A. Klintworth, Namens Oscar Heinrich,<br />

in die Lehre und verpflichtet sich, denselben in allen vorkommenden Arbeiten des Schlosserhandwerks treu und<br />

gewissenhaft zu unterrichten, ihn zu keinen anderen, als den eigentlichen Geschäftsarbeiten zu gebrauchen<br />

und nach beendigter Lehrzeit loszusprechen.<br />

§ 2.<br />

Die Lehrzeit ist auf 3 Jahre festgesetzt; sie beginnt am 1. October 1878 und endet mit dem letzten September<br />

1881.<br />

§ 3.<br />

Stellmacher Klintworth macht sich verbindlich, ein Lehrgeld von 200 Mark zu entrichten, wovon die eine Hälfte<br />

beim Antritt, die andere dagegen nach Beendigung der Lehrzeit zu bezahlen ist; seinem Sohne ein<br />

vollständiges Bett mitzugeben und denselben während der Lehrzeit mit Kleidung und Wäsche zu unterhalten.<br />

§ 4.<br />

Dagegen verspricht der Lehrherr, dem jungen Klintworth während der Lehrzeit freie Wohnung und Beköstigung<br />

in seinem Hause zu gewähren.<br />

§ 5.<br />

Ferner verspricht derselbe, seinen Lehrling wenigstens alle 14 Tage einmal in die Kirche gehen zu lassen und<br />

ihm den Besuch der Gewerbeschule zu gestatten.<br />

§ 6.<br />

Der Lehrling Oscar Heinrich Klintworth hat seinem Lehrherrn in allen Stücken Gehorsam zu leisten, dessen<br />

Vortheil in jeder Hinsicht wahrzunehmen und sich einer untadeligen Aufführung bei der Arbeit sowohl, als auch<br />

in den Freistunden zu befleißigen.<br />

§ 7.<br />

Für jeden Schaden, den der Lehrling seinem Lehrherrn verursacht, haftet der Vater desselben.<br />

§ 8.<br />

Sollte der Lehrling wieder aus der Lehre treten, oder von dem Lehrherrn wegen schlechter Aufführung<br />

entlassen werden müssen, so verbleibt das bereits gezahlte Lehrgeld dem Lehrherrn.<br />

§ 9.<br />

Wird der Lehrling während der Lehrzeit krank, so verpflichtet sich der Lehrherr, denselben 14 Tage lang zu<br />

verpflegen und auf seine Kosten ärztlich behandeln zu lassen. Nach dieser Zeit hört jedoch die Verpflichtung<br />

des Lehrmeisters gegen seinen Lehrling auf.<br />

Vorstehender Vertrag ist in zwei gleichlautenden Exemplaren abgefaßt, von beiden Theilen eigenhändig<br />

unterschrieben und jedem ein Exemplar zugestellt worden.<br />

Rotenburg, den 5. Juli 1878. Georg Heinrich Beyer.<br />

Friedrich August Klintworth.“ 236<br />

233 RITTER/TENFELDE 1992, S. 721.<br />

234 Ebd., S. 445.<br />

235 Vgl. WEHLER 1983, S. 125f.<br />

236 HELLWEGE 1878, S. 59f.<br />

66


Konnte die Familie nicht das Lehrgeld für ihren Sprössling bezahlen, war es durch ein<br />

zusätzliches Lehrlingsjahr abzugelten. 237 In dem bereits angesprochenen so genannten<br />

Handwerkergesetz von 1897 wurden die Lehrlingsausbildung, die Einrichtung von Innungen<br />

und Handwerkskammern sowie den gesetzlichen Befähigungsnachweis für die<br />

Lehrlingsausbildung geregelt. 238 Als Aufgaben der Innungen wurde z.B. „die Förderung eines<br />

gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen (Gehülfen) sowie die Fürsorge<br />

für das Herbergswesen 239 und den Arbeitsnachweis“ angegeben. Der § 126b regelte die<br />

richtige Form des Lehrvertrages und § 127 die Pflichten des Lehrherrn:<br />

„Der Lehrherr ist verpflichtet, den Lehrling in den bei seinem Betriebe vorkommenden Arbeiten des Gewerbes<br />

dem Zwecke der Ausbildung entsprechend zu unterweisen, ihn zum Besuche der Fortbildungs- oder<br />

Fachschule anzuhalten und den Schulbesuch zu überwachen. [...] den Lehrling zur Arbeitsamkeit und zu guten<br />

Sitten anhalten und vor Ausschweifungen bewahren, er hat ihn gegen Mißhandlungen seitens der Arbeits- und<br />

Hausgenossen zu schützen und Sorge zu tragen, daß dem Lehrlinge nicht Arbeitsverrichtungen zugewiesen<br />

werden, welche seinen körperlichen Kräften nicht angemessen sind. [...] Zu häuslichen Dienstleistungen dürfen<br />

Lehrlinge, welche im Hause des Lehrherrn weder Kost noch Wohnung erhalten, nicht herangezogen werden.<br />

§ 127a<br />

Der Lehrling ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen und dem Lehrherrn sowie demjenigen, welcher<br />

an Stelle des Lehrherrn die Ausbildung zu leiten hat, zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem<br />

Betragen verpflichtet. Uebermäßige und unanständige Züchtigungen sowie jede die Gesundheit des Lehrlinges<br />

gefährdende Behandlung sind verboten.“ 240<br />

Im Jahre 1891 wurde das so genannte Arbeiterschutzgesetz erlassen. Es regelte z.B. die<br />

Arbeitszeiten, Lohnzahlungen an Minderjährige, Arbeitssicherheit (ausreichende Belüftung,<br />

genügend Licht etc.) und § 120b regelte die sittlichen und hygienischen Belange:<br />

„Insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebes zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter<br />

durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die<br />

Einrichtung des Betriebes ohnehin gesichert ist. In Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter<br />

sich umkleiden und nach der Arbeit sich reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlechtern getrennte<br />

Ankleide- und Waschräume vorhanden sein.<br />

§ 120c<br />

Gewerbeunternehmer, welche Arbeiter unter achtzehn Jahren beschäftigen, sind verpflichtet, bei der<br />

Einrichtung der Betriebsstätte und bei der Regelung des Betriebes diejenigen besonderen Rücksichten auf<br />

Gesundheit und Sittlichkeit zu nehmen, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind.“ 241<br />

Die Lehrlingsausbildung ging, im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeiter zwischen 1875 und<br />

1907 stark zurück. Der Anteil der weiblichen Lehrlinge nahm allerdings von 9,5 Prozent aller<br />

Lehrlinge im Jahre 1885 auf 13,7 Prozent im Jahre 1907 zu. Neben der noch stark<br />

handwerklich geprägten Industrie der Holz- und Schnitzstoffe und der Bekleidungsindustrie,<br />

in der Lehrlinge vor allem in der Schneiderei beschäftigt wurden, sowie dem Baugewerbe<br />

hatten auch typische Wachstumsindustrien des Kaiserreichs, so wiederum die<br />

metallverarbeitende Industrie und der Maschinenbau, einen großen Bedarf an qualifizierten<br />

Fachkräften. Vor allem in diesen Industrien wurde zu einer eigenständigen<br />

Lehrlingsausbildung übergegangen.<br />

Es gab große Unterschiede in der Art und der Qualität der Lehre. Neben der Unzulänglichkeit<br />

der überkommenen handwerklichen Lehre angesichts der Erfordernisse der modernen<br />

Industrie veranlassten auch andere, gewichtige Missstände im Lehrlingswesen den Staat zu<br />

237 Vgl. RITTER 1992, S. 446.<br />

238 Abgedruckt in: STEITZ 1985, S. 182-198.<br />

239 Auch in <strong>Verden</strong> gab es (und gibt es immer noch) die „Herberge zur Heimat“. Hier konnten Lehrlinge (die nicht<br />

beim Lehrherrn wohnten), Wandergesellen und Obdachlose Unterkunft finden.<br />

240 STEITZ 1985, S. 191f.<br />

241 Ebd., S. 140 f.<br />

67


wiederholten Enqueten und die zeitgenössische Sozialkritik zu Verbesserungsvorschlägen.<br />

Verbreitet war vor allem die Praxis, die Lehrlinge als billige Arbeitskräfte zu untergeordneten<br />

Hilfsarbeiten heranzuziehen, ein Missstand, der sich besonders dort ausbreitete, wo<br />

Handwerke in Konkurrenz zu industriellen Fertigungsprozessen standen. Der Staat versuchte<br />

vor allem mit den Handwerkergesetzen von 1897 und 1908 den Missbräuchen dieser<br />

„Lehrlingszüchterei“ entgegenzutreten. Die metallverarbeitende Industrie ging auch ab den<br />

1880er Jahren allmählich dazu über, nicht nur eigene Lehrwerkstätten einzurichten, sondern<br />

diese durch betriebliche Fortbildungsschulen (Werksschulen) zu ergänzen. 242<br />

Im September 1897 kam es zu Diskussionen bei der Generalversammlung des „Vereins für<br />

Socialpolitik“ über die Handwerkerfrage und die konkurrierende Industrie. In seinem Referat<br />

ging Dr. Paul Voigt aus Berlin auf die „Lehrlingszüchtung“ ein:<br />

„Eine solche übermäßige Konkurrenz (durch Handwerksbetriebe der gleichen Innung, d. V.) ist aber<br />

unzweifelhaft gerade bei denjenigen Handwerken, die ihre alte technische Basis behauptet haben, sehr vielfach<br />

vorhanden. Sie hat ihre Ursache, das ist durch die Erhebung des Kaiserlichen Statistischen Amts klargelegt<br />

worden, in der übermäßigen Lehrlingsausbildung, die wir vor allem in denjenigen Gewerben, welche von der<br />

Konkurrenz der Großindustrie überhaupt nicht getroffen werden, in äußerst großem Umfange finden. Nicht nur<br />

von seiten der Fabrik, die heute hier der schlimmste Feind des Handwerks genannt worden ist, droht ihm<br />

Gefahr; fast noch ernster erscheint mir die Gefahr, die dem Handwerk infolge der Lehrlingszüchtung aus seinen<br />

eigenen Reihen erwächst, und die gerade die lebensfähigsten Handwerke durch Übersetzung in proletarische<br />

Zwergbetriebe aufzulösen droht.<br />

Auch bei diesen Handwerken, deren technische Basis nicht verändert ist, mögen die bekannten Mittel der<br />

Handwerkerpolitik angewandt, mag auch das Genossenschaftswesen gepflegt werden. In allererster Linie muß<br />

aber versucht werden, der übermäßigen Lehrlingsausbildung entgegenzutreten, die das Handwerk nur ruiniert.<br />

Denn die Behauptung, daß das Handwerk sich nur durch seine billigen Lehrlinge der Großindustrie gegenüber<br />

aufrecht halte, ist schon deshalb unzutreffend, weil wir ja die Lehrlingszüchtung hauptsächlich in den Gewerben<br />

haben, bei denen von einer Konkurrenz der Großindustrie keine Rede sein kann.“ 243<br />

Der Andrang zum Gewerbe sollte von vornherein durch eine Verhinderung der übermäßigen<br />

Lehrlingsausbildung in gewissen Grenzen gehalten werden. Für wie wichtig eine fundierte<br />

Ausbildung der Lehrlinge erachtet wurde, zeigt das Referat von Prof. Bücher auf der gleichen<br />

Tagung:<br />

„Gewiß geht das Handwerk in den Städten auf die Neige, es hört auf, Kundenproduktion zu sein; der<br />

Handwerker wird ein anderer Mensch. Ein Teil der Meister, und ein gar nicht kleiner, steigt empor zu<br />

kleinkapitalistischen oder vereinzelt selbst zu großkapitalistischen Unternehmern; ein Teil findet als<br />

Werkstattvorstände oder als Vorarbeiter in Fabriken Beschäftigung; ein Teil wird zu qualifizierten<br />

Fabrikarbeitern, ein Teil endlich zu Liefermeistern und Heimarbeitern. [...] Es bleibt also der heranwachsenden<br />

Generation Frist, sich auf die neuen Zustände vorzubereiten. Was ihr Not thut, ist vor allem eine höhere<br />

allgemeine und fachliche Bildung, eine wirtschaftliche Erziehung, wie sie den veränderten Zuständen entspricht.<br />

Immer bleibt für die höhere Fachbildung noch Raum, sich zu bethätigen; die Aussichten für die ungenügend<br />

Ausgebildeten dagegen sind die denkbar trübsten; sie sinken unausbleiblich auf die Stufe gewöhnlicher<br />

Fabrikarbeiter oder elender Flickmeister herunter." 244<br />

Bei den kritischen Zeitgenossen kam die berufsbezogene Ausbildung schlecht weg. Im Jahre<br />

1876 hielt ein Herr Beck vor dem „Verein für deutsche Volkswirthschaft“ in Berlin einen<br />

Vortrag über die Erziehung für Handel und Gewerbe. Der Protokollant notierte:<br />

„Ackerbau und Gewerbe seien die Wurzeln, aus denen die anderen Stände ihre Nahrung und Lebenskraft<br />

schöpfen. Auf die Heranbildung und Ausbildung zum Nährstande müsse daher naturgemäß das<br />

Hauptaugenmerk des Staates und der Gemeinden gerichtet sein. Bei uns finde aber das Gegentheil statt. Für<br />

die Gelehrten, die Drohnen im Bienenstock, werde zumeist gesorgt, für die Bildungsanstalten der Landwirthe,<br />

Gewerbetreibenden, Handwerker, der Arbeitsbienen, geschehe wenig; die höheren Gewerbe- und<br />

242 Vgl. ebd., S. 446ff.<br />

243 STEITZ 1985, S. 211f.<br />

244 Ebd., S. 209.<br />

68


Ackerbauschulen würden nicht nur nicht gefördert, sondern in ihrer Entwicklung geradezu gehemmt theils durch<br />

Vorenthaltung von Berechtigungen theils dadurch, dass ihnen von Landes- und Reichsbehörden<br />

unzweckmäßige Lehrpläne aufgedrungen werden.“ 245<br />

In einem offiziellen Schulbuch für die politische Bildung 246 wurden das<br />

Fortbildungsschulwesen natürlich in einem besseren Licht präsentiert. Das war dann aber<br />

auch schon im Jahre 1912, zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Verhältnisse schon<br />

gebessert:<br />

„Die Ergänzung der Volksschulbildung für die <strong>Schulen</strong>tlassenen, die nicht auf die mittleren <strong>Schulen</strong> übergehen,<br />

bildet das Fortbildungsschulwesen im weiteren Sinne. [...] Sowohl in den pädagogischen als auch in den<br />

interessierten Berufskreisen des bürgerlichen Lebens hat sich im Laufe der Jahre immer mehr die Auffassung<br />

durchgesetzt, daß auch die allgemeine Fortbildungsschule keine bloße Fortführung des Volksschulpensums<br />

und der Aufgaben der Volksschule sein soll, sondern in erster Linie den beruflich-fachlichen Aufgaben des<br />

Schülers zu dienen habe. Daneben hat die Fortbildungsschule selbstverständlich allgemein bildende und<br />

erziehliche Aufgaben. Gerade den letzteren schenkt man in jüngster Zeit sowohl in Regierungs- als auch in<br />

Laienkreisen erhöhte Aufmerksamkeit.“<br />

Mit dieser Aufmerksamkeit war die schon erwähnte „Jugendpflege“ gemeint, die allerdings<br />

mehr die Gesundheit der zukünftigen Rekruten im Auge hatte:<br />

„So hat beispielsweise die preußische Regierung im Kultusetat für 1911 eine Million zum Zwecke der sittlichen<br />

und körperlichen Bildung der schulentlassenen Jugend eingestellt. Unter dem Vorsitz des bekannten<br />

Heerführers, des Generalfeldmarschalls Freiherrn v. d. Goltz-Pascha hat sich Ausgang des Jahres 1911 zu<br />

Berlin eine Vereinigung von Turn- und Sportvereinen sowie gemeinnützigen Gesellschaften ohne Unterschied<br />

der Partei und des Glaubens gebildet, die diesen Gedanken weiter durch praktische Arbeit verfolgen will. Es ist<br />

im Interesse der Wehrhaftigkeit unseres Volkes, seiner körperlichen, geistigen und sittlichen Gesundheit im<br />

höchsten Grade bedauerlich, daß, [...], kaum ¼ der männlichen schulentlassenen Jugend ihren Körper nach der<br />

Fabrik-, Werkstatt- oder Bureauarbeit stählt. Es ist zu hoffen, daß wir schließlich in allen Bundesstaaten zu einer<br />

geregelten „J u g e n d p f l e g e“ kommen werden.“ 247<br />

Streit gab es allerdings um den Religionsunterricht. Preußen hatte im Jahre 1911 dem<br />

Abgeordnetenhaus den Entwurf eines Fortbildungsschulgesetzes für das gewerbliche<br />

Fortbildungsschulwesen in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern vorgelegt. Da aber<br />

die konservativen Abgeordneten und die des Zentrums auf die Einführung des<br />

Religionsunterrichts bestanden, legte das Ministerium für Handel und Gewerbe auf die<br />

Weiterberatung des Gesetzes keinen Wert. 248 Das Fach „Gesetzes- und Bürgerkunde“ sollte<br />

„aus Gründen der politischen und vaterländischen Bildung der künftigen Generationen“<br />

allgemein als Pflichtfach eingeführt werden.<br />

Das „Mädchenfortbildungsschulwesen“ war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in den<br />

meisten deutschen Bundesstaaten erst in den Anfängen begriffen. In Preußen gab es noch<br />

keine Pflichtfortbildungsschule für Mädchen. Auf freiwilliger Basis konnten weibliche<br />

Lehrlinge der kaufmännischen Betriebe eine Fortbildungsschule besuchen, vorausgesetzt,<br />

sie war am Ausbildungsort vorhanden.<br />

Preußen hatte 1908 1.719 gewerbliche <strong>Schulen</strong> mit 304.481 Schülern und 14.043<br />

Lehrkräften, 381 kaufmännische <strong>Schulen</strong> mit 39.540 Schülern und 2.478 Lehrkräften und 402<br />

Innungs- und Vereinsschulen mit 22.168 Schülern und 1.389 Lehrkräften. Von den 17.910<br />

Lehrern waren nur 549 hauptamtlich angestellt. Preußen hatte laut dieser Statistik nur 47%<br />

seiner sämtlichen männlichen Jugendlichen in Fortbildungsschulen eingeschult. Von der<br />

245 Ebd., S. 58.<br />

246 SCHRÖTER 1912; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Bestand alte Lehrerbücherei.<br />

247 Ebd., S. 145f.<br />

248 Vgl. ebd., S. 146f.<br />

69


weiblichen Jugend besuchten nur 11.418 Schülerinnen Handels-, Gewerbe- und<br />

Haushaltungsschulen für Mädchen. Obwohl die Gemeinden für die Unterhaltung der<br />

Fortbildungsschulen zuständig waren, unterstützte Preußen die gewerblichen <strong>Schulen</strong> mit<br />

38%, die kaufmännischen <strong>Schulen</strong> mit 16% und die landwirtschaftlichen <strong>Schulen</strong> mit 66%. 249<br />

Zum Schluss dieses Exkurses soll noch auf den Wandel eingegangen werden, dem das<br />

Handwerk bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges unterworfen war. Interessant ist, dass selbst<br />

zeitgenössische Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler dazu neigten, dem Handwerk<br />

Niedergang, den Handwerkern Verelendung und Proletarisierung zu prognostizieren. Eine<br />

gänzlich falsche Einschätzung, die erst mit dem Bekanntwerden der Ergebnisse der Berufsund<br />

Gewerbezählungen aus dem Jahre 1995 bewiesen wurde. In der Folgezeit zeichnete<br />

sich dann immer mehr die Fähigkeit gerade des Handwerks zur Anpassung an den raschen<br />

industriellen Fortschritt ab. Man muss bei dieser Betrachtung zwischen neuen,<br />

expandierenden, stagnierenden und schrumpfenden Handwerksberufen unterscheiden.<br />

Zahllose Handwerksberufe sind während der Industrialisierung schlicht verschwunden, z. B.<br />

die Schiffszimmerer, Perückenmacher, Seiler, Tuchmacher, Mützenmacher, Färber, Bleicher,<br />

Gerber, Nagelschmiede oder Seifensieder, die den Rückgang oder gar den völligen<br />

Untergang ihrer Gewerbe zu beklagen hatten. Im Textilgewerbe waren die Spinner bereits<br />

bis 1873 weitgehend verdrängt worden. Andere Handwerkszweige erlitten einen ganz<br />

grundsätzlichen Strukturwandel, etwa jenen vom Produktions- zum Reparaturgewerbe, wie<br />

er sich bei den Schuhmachern abzeichnete.<br />

Anders bei den traditionellen Gewerben der Nahrungs- und Genussmittel, wo sich der<br />

Großbetrieb allenfalls vereinzelt – in Großbäckereien oder städtischen Schlachthöfen –<br />

ausbreiten konnte. Hier dominierte weiterhin das Handwerk, und die Familienbetriebe der<br />

Fleischer, Bäcker und Konditoren profitierten vom Bevölkerungswachstum so sehr wie von<br />

der allgemeinen Besserung des Lebensstandards und dem Rückgang der Eigenversorgung<br />

durch die Verstädterung. Auch typische Dienstleistungsberufe wie die Friseure und die<br />

Uhrmacher konnten sich behaupten. Dagegen erfuhr das Baugewerbe, wenn es auch<br />

weitgehend kleinbetrieblich organisiert blieb, in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs<br />

rasche Ausdehnung. Aber es gab auch neue handwerklich geprägte Berufe. Der<br />

Elektromotor war, je mehr er Verbreitung fand, ein solcher Berufsschöpfer, ein anderer, nach<br />

der Jahrhundertwende, das Kraftfahrzeug. 250<br />

249 Vgl. ebd., S. 150f.<br />

250 Vgl. RITTER 1992, S. 41f.<br />

70


Schülerübung „Schriftverkehr“ von 1914. – Einzig erhaltenen gebliebenes Schülerdokument, da der<br />

Schulleiter die Rückseite als Konzeptpapier benutzte.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

71


Die Grundformen handwerklich-industrieller Erwerbsarbeit seit den 1890er Jahren lassen<br />

sich im Wesentlichen in vier Typen einteilen:<br />

1. Handwerksgesellen gab es weiterhin in beträchtlichem Umfang, und viele von ihnen<br />

hatten noch eine durchaus reelle Chance zur Selbstständigkeit, wenn diese auch stark<br />

rückläufig war und der Geselle mithin lebenslang in diesem Status verblieb. Die Chancen<br />

waren daher insgesamt nicht gut und die Löhne meist niedriger.<br />

2. Gesellen-Arbeiter, die eine handwerkliche Lehre absolviert hatten, um hierauf als<br />

gelernter Facharbeiter berufstätig zu sein, waren eine typische Übergangserscheinung<br />

der Industrialisierung. Gesellen-Arbeiter hatten einen Statusverlust an sich erfahren. Der<br />

Übergang in die Industriearbeit hatte ihnen die Aussicht auf Selbstständigkeit genommen.<br />

3. Industriearbeiter. Sie waren seit den 1880er Jahren auf dem Vormarsch. Sie konnten oft<br />

eine handwerkliche Lehre vorweisen, hatten sich jedoch früh für die Fabrikarbeit<br />

entschieden.<br />

4. Ebenfalls seit den 1880er Jahren traten den mehr oder weniger qualifizierten<br />

Facharbeitern verstärkt die ungelernten Industriearbeiter als Zuwanderer mit ganz<br />

überwiegend ländlicher Herkunft zur Seite. Sie prägten zu einem guten Teil die<br />

proletarischen Existenzformen dieser Zeit. 251<br />

Wie stand es um die Handwerkerpolitik? Bereits 1881 wurden die Innungen als<br />

Körperschaften des öffentlichen Rechts eingeführt. Dasselbe Gesetz führte<br />

Handwerkskammern ein und übertrug der Selbstorganisation des Handwerks damit<br />

quasihoheitliche Befugnisse. Das wichtigste, auch wirtschaftlich für die Handwerker<br />

bedeutende Privileg, die ausschließliche Ausbildung des Nachwuchses, wurde schon 1884<br />

durch eine Novelle zur Gewerbeordnung Innungsmitgliedern unter bestimmten<br />

Voraussetzungen eingeräumt. Lange umstritten blieb der „Befähigungsnachweis“, der die<br />

Ausübung eines Handwerks an die bestandene Meisterprüfung knüpfen sollte; immerhin<br />

durften seit 1908 nur Meister Lehrlinge ausbilden. Ihre politischen Interessen führten die<br />

selbstständigen Handwerker in den Schoß des Obrigkeitsstaates. Das war früher keineswegs<br />

so gewesen, aber die bedrängte Situation des Handwerks begünstigte protektionistische<br />

Tendenzen (z. B. Beschränkung des Hausiererhandels), auch weil die Handwerksmeister als<br />

Betriebsinhaber durch die staatliche Sozialpolitik wegen der mit ihr verbundenen Verteuerung<br />

der unselbstständigen Arbeit unter Druck gerieten. Handwerkspolitik konnte seit den 1890er<br />

Jahren auch populistische und antisemitische Züge annehmen. 252<br />

251 Vgl. ebd., S. 273f.<br />

252 Vgl. RITTER/TENFELDE 1992, S. 288.<br />

72


4. Kapitel: Die Entwicklung der Fortbildungsschule von Beginn des<br />

Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik<br />

„Möge die eifrige Arbeit der Lehrer und der Fleiß der zu ihren Füßen sitzenden deutschen<br />

Jugend allezeit getragen sein von der großen einmütigen Liebe zum Vaterlande, die jetzt<br />

unser deutsches Volk so stark und unbesiegbar macht.“ 253<br />

Die Schule im Ersten Weltkrieg<br />

Österreich-Ungarn erklärte am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg. Damit wurde ein Bündnisfall-<br />

Automatismus in Gang gesetzt, der zum Ersten Weltkrieg führte. Dessen Auswirkungen<br />

betrafen auch die Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong>. Ein Erlass des Ministers für Handel und<br />

Gewerbe vom September 1914 erlaubte es den <strong>Schulen</strong>, aus Anlass „bedeutungsvoller<br />

Ereignisse“ den Unterricht ausfallen zu lassen und eine angemessene Schulfeier<br />

anzuberaumen:<br />

„Sollte bei den Fortbildungsschulen im Hinblick auf ihre ohnehin geringe Stundenzahl der Ausfall des<br />

Unterrichts nicht angezeigt erscheinen, so ist auf alle Fälle der weltgeschichtlichen Ereignisse beim Unterricht in<br />

würdiger Weise zu gedenken.“ 254<br />

Bis zum Kriegsausbruch unterrichteten unter der Leitung von Heinrich Breuer die Lehrer<br />

Beyer, von Bergen, Carstens, Cyriaks, Gronholz, Kahle, Peters, Reimers, Renken, Ropers,<br />

Rosebrock, Thies und Witte. 255 Durch die Einberufungen vieler Lehrer mussten im<br />

Kaiserreich eine große Anzahl von Pflichtfortbildungsschulen geschlossen werden. Die<br />

„Städtische Fortbildungsschule <strong>Verden</strong>“ blieb bis auf den Monat August 256 davon verschont,<br />

obwohl eine Anzahl jüngerer Lehrer jahrelang eingezogen war: von Bergen, Kahle, Renken<br />

und Witte. Durch Vertretung und Neueinstellungen älterer Lehrer wurde der Unterricht<br />

weitergeführt. Die Klassen der beiden Zeichenlehrer von Bergen und Renken wurden<br />

zusammengelegt und von dem städtischen Bauführer Bauersfeld und später vom<br />

Maurermeister und Ziegeleibesitzer Hogrefe unterrichtet. Zusätzliche Unterrichtsgegenstände<br />

wurden ab November 1914 die theoretischen Unterweisungen nach den Richtlinien des<br />

Kriegsministers und Übungen der amtlich geförderten Jugendwehr in den Abendstunden. 257<br />

Der eigentliche Fortbildungsunterricht wurde deshalb für die über 16 Jahre alten Schüler bis<br />

auf zwei Stunden wöchentlich beschränkt. Für die Schüler, die zur Teilnahme an den<br />

Übungen körperlich nicht tauglich waren, sowie für die unter 16 Jahre alten Schüler wurde<br />

der Unterricht unverändert durchgeführt. 258<br />

Bereits im Jahre 1909 wurde für die Volksschulen ohne Turnhalle eine „Anleitung für das<br />

Knabenturnen“ herausgegeben. Im Vorwort wurde ein Ministerialerlass wiedergegeben:<br />

„Zweck des Buches ist, zu zeigen, wie auch in einfachen Schulverhältnissen bei bescheidenen Hilfsmitteln ein<br />

wirksamer, frischer und anregender Turnunterricht zu erteilen ist. [...]<br />

253<br />

Der deutsche Kaiser anlässlich der während des Krieges neu eröffneten Universität in Frankfurt a. M.: zit.<br />

nach Kgl.-Preuß. Landesgewerbeamt (Hg.) 1915, S. 282.<br />

254<br />

Schreiben des Ministers für Handel und Gewerbe vom 4.9.14 an die Regierungspräsidenten; Stadtarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

255<br />

Der Zeichenunterricht lag in den Händen von Beyer, von Bergen, Carstens, Renken und Ropers.<br />

256<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>; Protokollbuch, 27.9.14.<br />

257<br />

Vgl. ebd., 1.11.14.<br />

258<br />

Vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten in Stade vom 24.10.14 an die Landräte und Bürgermeister des<br />

Bezirks; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 d.<br />

73


Beispielsweise wächst die Mehrheit der ländlichen Jugend zwar in Verhältnissen auf, die der Entwicklung zu<br />

Gesundheit und Kraft ungleich zuträglicher sind als das Leben in großen Städten; andererseits aber haftet der<br />

Landjugend vielfach eine gewisse Ungelenkigkeit und Schwerfälligkeit an, welche die spätere Ausbildung der<br />

sonst kräftigen und wehrtüchtigen jungen Leute im Waffendienst nicht unerheblich erschwert. [...]<br />

Alle ausgewählten Übungen werden auch dem Heeresdienste zugute kommen; mit besonderer Rücksicht auf<br />

ihn sind bestimmte Gewandtheitsübungen - z. B. schnelles Niederfallen und Aufspringen - der männlichen<br />

Jugend möglichst unverlierbar anzuzeigen." 259<br />

Viele Turnübungen bzw. Spiele ähnelten einer paramilitärischen Ausbildung, es wurden<br />

direkte „militärische Ordnungsübungen“ vorgeschlagen: „Die wenigen, hier zugelassenen<br />

Formen sind so ausgewählt, daß sie die Grundlagen für die militärischen Ordnungsübungen<br />

enthalten, und müssen sicher eingeübt werden.“ 260 Oder das Ballspiel „Kriegsball“:<br />

Spielgedanke war, dass zwei Heere gegeneinander kämpften, bzw. das eine Heer von dem<br />

anderen eingeschlossen wurde. 261 Beim „Kriegsspiel“ kam man auch gleich zur Sache: „Das<br />

Kriegsspiel gestaltet sich in Anlage und Ausführung nach Art einer militärischen<br />

Felddienstübung. Es kann sich um Aufklärung, ungesehenes Durchschreiten eines vom<br />

Feinde besetzten Geländes, Deckung oder Überfall eines Trosses, Auskundschaften und<br />

Nehmen eines feindlichen Lagers handeln.“ 262<br />

Die Entlassungsfeiern wurden während des Krieges zu patriotischen Demonstrationen:<br />

„Bei den Fach- und Fortbildungsschulen ist zum Schluß dieses Winterhalbjahrs für die abgehenden Schüler<br />

eine Entlassungsfeier zu veranstalten, zu der möglichst auch die Schüler der jüngeren Jahrgänge<br />

heranzuziehen sind. Die großen Ereignisse unserer Zeit werden es den Schulleitern leicht machen, die Feier<br />

eindrucksvoll zu gestalten. Zu einem wirksamen Geleitwort an die Schüler kann u. a. der Abschnitt »Der Krieg<br />

und die Jugendlichen« aus den »Staatsbürgerlichen Belehrungen in der Kriegszeit« Anhalt bieten. Vor allem<br />

aber ist nicht zu versäumen, die Schüler auf den bevorstehenden 100. Geburtstag des Fürsten Bismark [sic!]<br />

hinzuweisen und ihnen das Bild des großen Staatsmannes lebendig vor Augen zu führen.“ 263<br />

Die Lehrer nahmen auch 296 Bestellungen ihrer Schüler von Bildnissen „Unsere Heerführer“<br />

entgegen! 264 Am 21. Oktober 1915 wurde an allen <strong>Schulen</strong> der 500-jährigen<br />

Herrschertätigkeit des Hohenzollernhauses gedacht. Den Schulleitungen wurde freigestellt,<br />

nach den Feierlichkeiten den Unterricht ausfallen zu lassen. 265 Die gemeinsame Feier in der<br />

Aula der Nicolaischule wurde mit Ansprachen des Schulleiters Breuer und des Kollegen<br />

Thies begangen. 266<br />

Für die Vorbereitung auf den „Staatsbürgerkundeunterricht“ war an den Fortbildungsschulen<br />

ein Lehrerhandbuch vorhanden. Im Vorwort hieß es:<br />

„Wer dem gewaltigen Ringen der Völker, das in den Augusttagen des Jahres 1914 begonnen hat, auch nur<br />

oberflächlich gefolgt ist, hat wahrnehmen müssen, daß in diesem Kriege nicht nur militärische Kräfte<br />

gegeneinander eingesetzt werden. Nicht Heere und Flotten allein kämpfen, die ganzen Völker messen sich mit<br />

allen ihren militärischen, ihren wirtschaftlichen und vor allem auch ihren moralischen Kräften. [...]<br />

Wird die Jugend, die einst das Erbe der heutigen Kämpfer zu übernehmen hat, imstande sein, es klug und<br />

gewissenhaft zu wahren, wird sie bereit sein, es, wenn es sein muß, ebenso mutig und opferwillig gegen äußere<br />

Feinde zu verteidigen, wird die Zukunft Deutschlands in würdigen und starken Händen liegen? Diese Fragen<br />

mahnen heute jeden, dem die Erziehung junger Deutscher obliegt, diese Fragen gelten vor allem auch der<br />

259<br />

Ministerialerlass vom 27.1.1909, abgedruckt in: OHNE VERFASSER 1913.<br />

260<br />

Ebd., S. 11<br />

261<br />

Vgl. ebd., S. 83f.<br />

262<br />

Ebd., S. 87.<br />

263<br />

Schreiben des Ministers für Handel und Gewerbe vom 18.3.15 an die Regierungspräsidenten; Stadtarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

264<br />

Vgl. Protokollbuch, 6.3.15; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

265<br />

Vgl. Sonderabdruck aus dem Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeabteilung vom 31.05.15; ebd.<br />

266<br />

Vgl. Protokollbuch, 1.10.15; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

74


Schule. Den gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen ist die Aufgabe gestellt, mitzuarbeiten an<br />

der Erziehung der Jugend »zu tüchtigen Staatsbürgern und Menschen«. [...]<br />

Das Beste und Notwendigste freilich müssen die Lehrer aus eigenem mitbringen: das wärmende und<br />

zündende Feuer begeisterter Vaterlandsliebe.“ 267<br />

Und im Schlusskapitel dann der Aufruf an die Lehrkräfte:<br />

„Durch den Krieg ist mit einem Schlage eine Änderung eingetreten. Der Staatsgedanke hat auch das<br />

Seelenleben unserer Schüler und Schülerinnen ergriffen; die fühlen sich jetzt als Staatsbürger. Sie jubeln mit<br />

dem ganzen Volke über die Heldentaten auf den Schlachtfeldern, sie bangen um das Leben der tapferen<br />

Krieger, erbeben über die Schandtaten russischer Scheusale: sie fühlen das Los der Volksgenossen wie ihr<br />

eigenes. [...] Der Krieg selbst hat die staatsbürgerliche Belehrung und Erziehung unserer Jugend begonnen; wir<br />

haben das Werk fortzusetzen.“ 268<br />

Anzeige des <strong>Verden</strong>er Magistrats zum neuen Schuljahr 1916/17.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 7.10.1916; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 9,1.<br />

Auch die deutsche Sprache musste jetzt von Fremdwörtern gereinigt werden. Der<br />

Regierungspräsident wandte sich im Jahre 1916 direkt an die Vorstände sämtlicher<br />

Fortbildungsschulen im Bezirk Stade:<br />

„Der gewaltige Krieg, welchen die halbe Welt gegen Deutschland führt mit der Absicht, nicht nur seine Macht<br />

und seinen Einfluß zu brechen, sondern auch seine völkische Eigenart möglichst zu vernichten, hat in den<br />

weitesten Kreisen des deutschen Volkes die Erkenntnis wachgerufen, welches hohe Gut es namentlich in<br />

seiner Sprache besitzt und zu schätzen hat. Diese Erkenntnis in der Jugend zu wecken, ihr Gefühl für die<br />

Schönheit der reinen und für die Häßlichkeit der durch unzählige entbehrliche Fremdwörter verunstalteten<br />

Muttersprache zu stärken, gehört es zu den ersten Pflichten jeden Jugendbildners.<br />

Leider wird bei zahlreichen Besichtigungen der Fortbildungsschulen aller Art beobachtet, daß in dem irrigen<br />

Glauben, der Handwerker, der Kaufmann und der Landwirt würden ohne die Kenntnis und die Anwendung<br />

267 KGL.-PREUß. LANDESGEWERBEAMT 1915, S. IIIf.<br />

268 Ebd., S. 275f.<br />

75


zahlreicher, im Geschäftsleben bislang üblicher fremdsprachiger Ausdrücke nicht allgemein verstanden, dieser<br />

Pflicht keineswegs allgemein in vollem Maße genügt wird.<br />

Ein vorzügliches Hilfsmittel, das Gefühl für die Reinheit unserer Muttersprache zu stärken, sind die Schriften<br />

des Allgemeinen deutschen Sprachvereins (Zeitschriften, wissenschaftliche Beihefte, Verdeutschungsbücher u.<br />

a.). Ich ordne deshalb hiermit an, daß alle Fortbildungsschulen des Bezirks sich dieses Hilfsmittel für die<br />

Lehrerbüchereien beschaffen.“ 269<br />

Das Nationalgefühl wurde weiter dadurch gestärkt, dass die besten Schüler bei der<br />

Abschlussfeier der <strong>Verden</strong>er Fortbildungsschule keine Prämien wie früher (Geldbeträge,<br />

Zeichenmaterialien, Bücher) erhielten, sondern so genannte „Kriegsanleihen“ 270 zu je 5 Mark.<br />

Dadurch angeregt, zeichneten fünf Schüler Kriegsanleihen zu insgesamt 88 Mark. Das<br />

Thema Kriegsanleihen musste im Fach Staatsbürgerkunde behandelt werden. 271 Auch die<br />

Schulbücherei wurde vom „Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten“ mit<br />

kostenloser Literatur aufgestockt: 272<br />

– Friedrich Lembke: Wann wird Friede?<br />

– Biografie „Hindenburg"<br />

– Biografie „Feldmarschall von Mackensen“<br />

– Hermann Priebe: Gedenke, dass du ein Deutscher bist! Ein Lesebuch für die Jugend<br />

– Staatsbürgerliche Belehrungen des Landesgewerbeamts (2 Bde.)<br />

– Der Kaiser im Felde<br />

– Wenn einmal Friede ist. Vortrag zur Vorbereitung der männlichen Jugend auf die Zeit der<br />

Übergangswirtschaft<br />

Das Buch von Hermann Priebe, das 1917 erschien, strotzt von Kapitelüberschriften wie: „Von<br />

der Gesinnung“, „Von Zucht und Mäßigkeit“, „Arbeiten! Arbeiten! Arbeiten!“, „Von der<br />

Mannesehre" oder „Der Tod als Freund“, die Jugend musste ja vorbereitet werden. Auszug:<br />

„So nimm meinen Rat an, Jugend, und lerne das rechte Leben, auf daß du das rechte Sterben lernst.<br />

Gesundheit und langes Leben wünsche ich dir. Aber es gehet nicht, wie ein Mensch wünscht, sondern wie der<br />

Höchste will. Den einen ruft der Tod, wenn er müde vom Leben ist, und den andern mitten in seiner jungen<br />

Kraft. Du weißt nicht, wann er zu dir kommt. Es sei heut oder morgen, bereite dich also, daß er zu dir komme<br />

nur in einer Gestalt: Als Freund! [...] Erschrick nicht und wehre nicht ab. Auch die Jungen können das Sterben<br />

lernen. Wußten nicht deutsche Jünglinge zu sterben? Sie setzten ihr Leben fürs Vaterland ein und gaben die<br />

Seele in Gottes Hände und befahlen alles in seine Barmherzigkeit. Sie schauten dem Tod furchtlos ins dunkle<br />

Auge und sahen ihn in der heißesten Stunde nur in einer Gestalt: Als Freund! [...] Gedenke, daß du ein<br />

Deutscher bist!“ 273<br />

Noch im Februar 1918 erging ein Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe, während der<br />

militärischen Jugendübungen, die im Anschluss an den Unterricht an den<br />

Fortbildungsschulen seit September 1914 abgehalten werden mussten, das Morse-Alphabet<br />

zu unterrichten. 274 Die Heeresverwaltung forderte, dass der Rekrut die Kenntnis des Morse-<br />

Alphabets bereits bei seinem Eintritt in das Heer mitbrachte. Die Fortbildungsschulen hatten<br />

deshalb diesen Bildungsauftrag und mussten das Büchlein „Jungdeutschland im Gelände"<br />

anschaffen und Morsetafeln in den Räumen der Fortbildungsschulen aufhängen. 275<br />

269 Schreiben des Stader Regierungspräsidenten vom 31.01.16; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

270 Von der Bevölkerung direkt gezeichnete, langfristige staatliche Anleihen, die zur Aufbringung von durch<br />

Steuermittel nicht gedeckten Kriegskosten dienten. Die neun Kriegsanleihen im 1. Weltkrieg erbrachten ca. 93<br />

Mrd. Mark (55% der Kriegskosten). Diese Anleihen wurden 1925 im Verhältnis 1.000:25 umgetauscht.<br />

271 Vgl. Protokollbuch, 20.03.16 und 2.3.18; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

272 Vgl. Schreiben des Ministers aus dem Jahre 1916; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 5,2 und Schreiben<br />

vom 14.2.17 und 22.8.17; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 12,1.<br />

273 PRIEBE 1917, S. 112 f.<br />

274 Diese Übungen waren für alle Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr Pflicht. Nach einem Bericht des<br />

Schulleiters Breuer ließ der Besuch aber zu wünschen übrig!<br />

275 Vgl. Schreiben des Ministers für Handel und Gewerbe vom 06.02.18; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>,<br />

Rep. II, H XVI 12,1.<br />

76


Dann endlich war am 11. November 1918 der Krieg vorbei – mit fast zwei Millionen<br />

deutschen Toten. 276 In den folgenden Monaten kam es zusätzlich in ganz Europa zu einer<br />

Grippepandemie. 277 Infolge der Grippeerkrankungen in der Stadt <strong>Verden</strong> mussten die<br />

Herbstferien (4.10.-17.10.) bis zum 12. November 1918 verlängert werden. Und wegen<br />

Kohlenmangel konnte nach Neujahr der Unterricht erst am 7. März 1919 fortgesetzt<br />

werden! 278 Am 3. April 1919 begrüßte Schulleiter Breuer die heimgekehrten Kollegen (von<br />

Bergen, 279 Witte, 280 Renken, 281 Engelhardt 282 ) und gedachte des Kollegen Wilhelm Kahle, der<br />

als Unteroffizier bei einer Radfahrerkompanie auf der estnischen Insel Muhu 283 Dienst tat und<br />

bei einem Meldegang im März 1918 durch Erfrieren den Tod fand. 284 Im Laufe der<br />

Kriegsjahre wurden auch viele Schüler eingezogen, von denen mehrere ihr Leben lassen<br />

mussten. 285 Schulleiter Breuer betonte, dass das Kollegium auch unter den neuen<br />

Verhältnissen gewissenhaft weiter arbeiten werde, „um durch Volksbildung zur<br />

Volksgesundung beizutragen.“ 286<br />

Mit dem Ende des Krieges wurde auch ein Reichsministerium für die wirtschaftliche<br />

Demobilmachung gegründet. 287 In dem Schreiben an die Demobilmachungskommissare und<br />

-ausschüsse hieß es:<br />

„In der gegenwärtigen Zeit, in der zahlreiche jugendliche Arbeiter und insbesondere Arbeiterinnen arbeitslos<br />

geworden sind, macht es sich besonders unangenehm fühlbar, dass die Mehrzahl der jungen Mädchen, die mit<br />

dem 14. Lebensjahr die Volksschule verlassen, sowie zahlreiche ungelernte Arbeiter noch nicht durch die<br />

Pflichtfortbildungsschulen erfasst werden. Es ergibt sich daher das Bedürfnis, einen Pflichtfortbildungsunterricht<br />

für männliche und weibliche Jugendliche einzurichten [...].<br />

Aber auch in den Orten, in denen die Pflichtfortbildungsschule besteht, sollte für die Erwerbslosen ein<br />

zwangsweiser Ergänzungsunterricht auf Grund des § 10 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom<br />

13.11.18 eingeführt werden, indem die Bewilligung der Erwerbslosenunterstützung von dem Besuch dieses<br />

Unterrichts abhängig gemacht wird.“ 288<br />

Der feine Unterschied: Vergütung versus Diensteinkommen<br />

Auf Antrag des Schulleiters Breuer bewilligte der Magistrat im Mai 1919 die Vergütung der<br />

Jahresunterrichtsstunden mit 80 Mark (für Lehrer in den ersten fünf Jahren ihrer Tätigkeit),<br />

100 Mark (5.-10. Jahr) und 120 Mark (ab zehn Jahre Unterrichtspraxis). Ein Jahr später<br />

276<br />

Insgesamt ca. 8 Mio. Gefallene (Österreich-Ungarn 1,2 Mio., Russland 1,7 Mio. Frankreich 1,4 Mio.).<br />

277<br />

An der „spanischen Seuche“, von der mehr als 200 Millionen Menschen in ganz Europa erfasst wurden,<br />

starben über 20 Millionen Menschen! Das waren mehr Opfer als der Erste Weltkrieg gefordert hatte.<br />

278<br />

Vgl. Protokollbuch vom 21.9.18; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

279<br />

Heinrich von Bergen war als Leutnant der Landwehr und Kompanieführer während des gesamten Krieges<br />

auf verschiedenen Kriegsschauplätzen (Eisernes Kreuz I. und II. Klasse und Hanseatenkreuz).<br />

280<br />

Hermann Witte war als Unteroffizier von 1916 bis Kriegende an der Grenze in Schleswig stationiert. Er war<br />

seit 1904 Lehrer an der „Neuen Schule“ (Mittelschule).<br />

281<br />

Hermann Renken war von Januar 1916 bis zum Schluss als Unteroffizier in einer Feldbäckerei an der<br />

Ostfront.<br />

282<br />

Konditor und Bäcker Engelhardt war während des gesamten Kriegsverlaufes an der Front.<br />

283<br />

Russland beendete 1721 in Estland die Herrschaft der Schweden. Im 1. Weltkrieg hatten deutsche Truppen<br />

das Land besetzt. Die Insel Muhu hatte in Deutschland den Namen Mohn.<br />

284<br />

Vgl. BERGEN 1931, S. 9 f und Protokollbuch vom 3.4.19; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

285<br />

Vgl. Zeugnis des Tischlers Konrad Lammers, der in den ersten Kriegsmonaten im Alter von 22 Jahren an der<br />

Front fiel; WOOCK 2001, S. 223.<br />

286<br />

Vgl. Protokollbuch vom 3.4.19; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

287<br />

Aufgrund der Verordnung über die wirtschaftliche Demobilmachung vom 7.11.18 und des Erlasses des<br />

Rates der Volksbeauftragten über die Errichtung eines Reichsamts für die wirtschaftliche Demobilmachung vom<br />

12.11.18.; vgl. REICHSGESETZBLATT, Jg. 1918, S. 1292, 1304.<br />

288<br />

Schreiben vom 17.04.19; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 d.<br />

77


ordnete die Regierung an, dass die Unterrichtsstunde mit 4 Mark, die<br />

Jahresunterrichtsstunde mit 160 Mark vergütet werden sollte. 289 Die <strong>Verden</strong>er Lehrer an der<br />

Fortbildungsschule hielten diese Regelung für nicht ausreichend, wollten aber keine weiteren<br />

Forderungen stellen, da sie die Chancen für aussichtslos hielten. 290 Doch die beginnende<br />

Inflation machte sich bemerkbar und so kamen die städtischen Körperschaften in <strong>Verden</strong><br />

dem Gesuch des Kollegiums nach und bewilligten im Herbst 1920 rückwirkend ab 1.7.1920<br />

eine Vergütung der Jahresstunde mit 240 Mark. Die zusätzlich geforderte Teuerungsrate von<br />

50% wurde nicht genehmigt. 291 Die Vergütung der nebenamtlichen Lehrkräfte an den<br />

Berufsschulen wurde ab Juli 1921 reichsweit neu geregelt: 10 Mark für die Unterrichtsstunde<br />

bzw. 400 Mark für die Jahresstunde bei 40 Unterrichtswochen. 292 Von dieser Regelung war<br />

auch das Kollegium an der städtischen Berufsschule <strong>Verden</strong> betroffen, da alle Lehrkräfte<br />

nebenamtlich tätig waren.<br />

Das Diensteinkommen der hauptamtlich, planmäßig angestellten Gewerbe- und<br />

HandelslehrerInnen an den Pflichtfortbildungsschulen wurde 1921 per Gesetz in Preußen<br />

geregelt: das Grundgehalt betrug, je nach Dienstalterstufen, 7.600 - 11.400 Mark jährlich<br />

(SchulleiterInnen mit mind. vier hauptamtlichen LehrerInnen: 8.400 - 12.600 Mark). Zum<br />

Grundgehalt kam noch der Ortszuschlag hinzu. Die Bemessung richtete sich nach den<br />

Vorschriften des „Beamten-Diensteinkommensgesetzes“. 293 Im Dezember 1922 wurden die<br />

Vergütungssätze für die nebenamtlichen Lehrkräfte erhöht, die monatlich ausgezahlt wurden:<br />

für August 89 Mark und für die Monate September bis einschließlich Dezember 170 Mark pro<br />

Monat. 294 Im Oktober 1922 wurde dann in Preußen mit dem Gesetz über das<br />

Diensteinkommen der hauptamtlichen LehrerInnen an Pflichtfortbildungsschulen der<br />

inflationären Entwicklung Rechnung getragen: rückwirkend vom 1.10.21 bis 31.3.22 betrug<br />

das Grundgehalt 21.000 - 31.000 Mark (SchulleiterInnen 25.000 - 37.000 Mark) jährlich. 295<br />

Die Inflationszeit (1922 bis November 1923) lässt sich daher gut an der Lehrerbesoldung<br />

ablesen. 296 Im Januar 1924 wurde die Vergütung für nebenamtlichen Unterricht an den<br />

Berufsschulen durch den Minister für Handel und Gewerbe neu geregelt. Das Salär wurde<br />

jetzt nach Ortsklassen gestaffelt und betrug zwischen 45 und 65 Goldpfennig für die<br />

Einzelstunde. Für die nebenamtliche Leitung einer Schule mit mindestens zwei Klassen und<br />

mindestens 30 Schülern wurde eine Vergütung von 5 Mark für die Jahreswochenstunde<br />

gezahlt (max. 300 Mark im Jahr). Der Sonderdruck aus dem Ministerialblatt der Handels- und<br />

Gewerbe-Verwaltung schloss mit den Worten: „Da mit dieser Einführung der Goldrechnung<br />

wieder stetige Verhältnisse eingetreten sind, genehmige ich die Bezahlung des<br />

nebenamtlichen Unterrichts nach Jahresstunden.“ 297<br />

289<br />

Vgl. Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 23.12.19; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/27 d.<br />

290<br />

Vgl. Protokollbuch vom 30.5.19 und 15.3.20; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

291<br />

Vgl. Protokollbuch vom 25. 9.20; ebd.<br />

292<br />

Vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten in Stade vom 5.7.21 an die Landräte und Bürgermeister des<br />

Bezirks; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, XVI 1,3.<br />

293<br />

Vgl. Preußische Gesetzessammlung, Jg. 21, Nr. 41 (10.06.21), S. 421; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 e und<br />

Deutscher Reichsanzeiger/Preußischer Reichsanzeiger, Nr. 241 (25.10.21); Stadtarchiv <strong>Verden</strong>,<br />

Rep. II, H XVI 12,1.<br />

294<br />

Vgl. Protokollbuch vom 18.12.22; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

295<br />

Vgl. Preußische Gesetzessammlung, Jg. 22, Nr. 46 (17.10.22), S. 315; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 e.<br />

296<br />

Im November hatte der US-Dollar einen Wert von 4,2 Billionen Papiermark! Am 10.11.23 kostete ein<br />

Schreibheft oder Bleistift 15 Mrd. RM und einen Monat später 120 Mrd. RM. Nach einem Ermächtigungsgesetz<br />

gelang es der Regierung die Finanzen neu zu ordnen.<br />

297<br />

Vgl. Schreiben des Ministers für Handel und Gewerbe vom 12.1.24 an die Regierungspräsidenten;<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II H XVI 1,3.<br />

78


Fortbildung für die FortbildungsschullehrerInnen<br />

Ab dem Wintersemester 1920 wurden vom Schulvorstand der Gewerbe- und<br />

Haushaltungsschule des Frauenbildungsvereins Hannover Lehrgänge zur Ausbildung von<br />

Gewerbelehrerinnen an Fortbildungsschulen eingerichtet. Die Ausbildung dauerte ein Jahr,<br />

das Schulgeld betrug 800 Mark. Aufnahmeberechtigt waren technische Lehrerinnen<br />

(Hauswirtschaft und Handarbeit), wissenschaftliche und Volksschullehrerinnen mit<br />

mindestens dreijähriger Lehrerfahrung mit Kenntnissen im Kochen und in den Haus- und<br />

Handarbeiten. 298 Es gab auch eine spezielle Prüfungsordnung für LehrerInnen an<br />

Fortbildungsschulen, die den vorgeschriebenen Bildungsgang als Handels- oder<br />

GewerbelehrerInnen nicht durchgemacht, sich aber in nebenamtlicher Tätigkeit an einer<br />

Fortbildungsschule bewährt hatten, die Erlangung der Anstellungsbefähigung als<br />

hauptamtliche Handels- oder GewerbelehrerInnen zu ermöglichen. Für Gewerbelehrer<br />

wurden in Fachkunde und Zeichnen Prüfungen für Metall-, Bau- und Kunstgewerbe<br />

vorgesehen. Für Gewerbelehrerinnen gab es Prüfungen in Hauswirtschaft, Handarbeiten und<br />

Maschinennähen, Wäscheanfertigung, Schneidern, Kunsthandarbeiten und „Putz“. Die<br />

Prüfung bestand aus einem schriftlichen und mündlichen Teil und bei Bedarf aus einer<br />

Lehrprobe und praktischer Arbeit. 299<br />

Von der Fortbildungsschule zur Berufsschule<br />

Die Entwicklung der Fortbildungsschule verlief nach dem Ersten Weltkrieg wegen der<br />

finanziellen Schwierigkeiten eher schleppend. Im September 1920 wurde aufgrund des<br />

Beschlusses der „städtischen Kollegien“ das „Ortsstatut betreffend die gewerbliche<br />

Fortbildungsschule in der Stadt <strong>Verden</strong>“ dahingehend geändert, dass das Schulgeld erhöht<br />

wurde. Pflichtschüler zahlten einen Einheitssatz von 14 Mark und freiwillige Schüler 18 Mark<br />

jährlich. 300<br />

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919 erwähnt im Artikel 145 auch die<br />

Fortbildungsschule. Im Wege der Gesetzgebung konnte das Reich Grundsätze für das<br />

Schulwesen aufstellen. Auf der Reichsschulkonferenz im Jahre 1920 wurde ein Entwurf über<br />

die Regelung der Fortbildungsschulpflicht durch ein Reichsrahmengesetz verabschiedet. Ein<br />

Reichsberufsschulgesetz scheiterte aber an der Geldfrage. Es war daher Sache der Länder,<br />

entsprechende Gesetze zu erlassen. In Preußen wurde dann das „Gesetz, betreffend die<br />

Erweiterung der Berufs- (Fortbildungs-) Schulpflicht“ am 31.7.1923 verkündet. Die offizielle<br />

Bezeichnung in Preußen war seit 1921 nicht mehr Fortbildungsschule, sondern<br />

„Berufsschule“: 301<br />

㤠1.<br />

(1) Zum Besuche der Berufsschule kann durch Satzung eines Kreises die Gesamtheit oder ein Teil der im<br />

Schulbezirke beschäftigten oder wohnhaften unverheirateten Jugendlichen beiderlei Geschlechts unter 18<br />

Jahren verpflichtet werden, soweit sie nicht mehr volksschulpflichtig sind.<br />

§ 9.<br />

Mit Geldstrafe bis zum zehnfachen Betrage des Lohnes, den der Schulpflichtige für den Tag der<br />

Schulversäumnis verdiente, im Unvermögensfalle mit entsprechender Haftstrafe, [...] soweit nicht Bestrafung im<br />

Wege der Schulzucht erfolgt.“ 302<br />

298<br />

Vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten in Stade vom 21.9.20 an den Magistrat in <strong>Verden</strong>; Stadtarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,3.<br />

299<br />

Vgl. Minister für Handel und Gewerbe, Ordnung für die Prüfung von Handels- und Gewerbelehrern<br />

(-lehrerinnen), 1916; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/25 b.<br />

300<br />

Vgl. Magistratsbeschluss vom 23.9.20; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,3. In der Zeit von 1909 bis 1919<br />

betrug das Schulgeld 8 bzw. 12 Mark.<br />

301<br />

Vgl. GÜNTHER 1931, S. 1, 15, 34.<br />

302<br />

Gesetz, betreffend die Erweiterung der Berufs- (Fortbildungs-) Schulpflicht, vom 31.7.23; in: ebd., S. 37, 40.<br />

79


Flankiert wurden die Bestimmungen bezüglich des Berufsschulbesuchs durch die<br />

Reichsgewerbeordnung, Auszug:<br />

㤠120.<br />

(1) Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, ihren Arbeitern unter achtzehn Jahren, welche eine von der<br />

Gemeindebehörde oder vom Staate als Fortbildungsschule anerkannte Unterrichtsanstalt besuchen, hierzu<br />

die erforderlichen Falles von der zuständigen Behörde festzusetzende Zeit zu gewähren.“ 303<br />

In § 148, Ziffer 9 wurden die Lehrherren, die ihre Pflichten gegen die ihnen anvertrauten<br />

Lehrlinge gröblich vernachlässigten, mit Geldstrafe bis zu 150 Mark, gegebenenfalls mit<br />

Gefängnis bis zu vier Wochen bestraft. 304 Die Ausführungsanweisungen des Ministers für<br />

Handel und Gewerbe zu dem Gesetz über die Berufsschulpflicht von 1923 gehen auch auf<br />

die Schulstrafen ein:<br />

„Nr. 69: Bei Zuwiderhandlungen der Schüler gegen die ihnen in der Schulordnung auferlegten Pflichten werden<br />

Schulstrafen verhängt, sofern es sich nicht um schwerere Verstöße handelt.<br />

Nr. 70: (1) Schulstrafen sind<br />

1. Verweise,<br />

2. Nachsitzen,<br />

3. Schulhaft.<br />

(2) Die Schulstrafen zu 1 und 2 sind von den beteiligten Lehrern, die zu 3 von dem Leiter der<br />

Berufsschule nach Anhörung der beteiligten Lehrer zu verhängen. [...]<br />

(5) Die Schulhaft darf sechs Stunden nicht übersteigen. Sie ist während der schul- und arbeitsfreien Zeit<br />

zu verbüßen und kann auf den Sonntagnachmittag gelegt werden.“ 305<br />

Nach Artikel 145 Satz 3 der Reichsverfassung sollten Lernmittel an Volks- und<br />

Fortbildungsschulen unentgeltlich sein. Reich, Länder und Gemeinden wollten sich<br />

zusammen an den Kosten beteiligen. Der Reichsminister der Finanzen konnte aber dieser<br />

Absprache wegen der angespannten Finanzlage nicht entsprechen. Das Reich war im Mai<br />

1921 durch die Alliierten zum so genannten „Londoner Ultimatum“ 306 gezwungen worden. Da<br />

die Länder und Gemeinden die geplante Lernmittelfreiheit nicht allein finanzieren konnten,<br />

musste von der Verwirklichung Abstand genommen werden. 307<br />

Im Jahre 1922 wurde per Gesetz der Höchstbetrag der Geldstrafen, die in Strafvorschriften<br />

bei Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen angedroht wurden, auf das Zehnfache<br />

angehoben. Darunter fielen auch die Strafandrohungen in den Ortsstatuten der<br />

Berufsschulen bei unentschuldigten Schulversäumnissen. Das bedeutete, dass die nach dem<br />

Ortsstatut von 1909 festgeschriebene Geldstrafe von 20 Mark auf 200 Mark angehoben<br />

wurde. 308<br />

Nach 41-jähriger Berufstätigkeit, und nachdem er die Fortbildungsschule 34 Jahre lang<br />

geleitet hatte, wurde Heinrich Breuer im Festsaal der Nicolaischule im September 1922 in<br />

303<br />

Reichsgewerbeordnung vom 27.12.11, in: ebd., S. 41. Die erste Fassung der Reichsgewerbeordnung<br />

erschien1869.<br />

304<br />

Vgl. ebd., S. 43.<br />

305<br />

Bestimmungen vom 19.3.31 über die Ein- und Durchführung der Berufsschulpflicht (Ausführungsanweisung<br />

des Ministers für Handel und Gewerbe zu dem Gesetze betreffend die Erweiterung der Berufs- (Fortbildungs-)<br />

Schulpflicht, vom 31.7.1923, in: ebd., S. 187 f.<br />

306<br />

Es beinhaltete: 1. Schnelle Entwaffnung; 2. Reparationssumme von insgesamt 132 Mrd. Goldmark in 37<br />

Jahren. Jährliche Zahlungen für den Zinsen- und Amortisationsdienst um 2 Mrd. Goldmark sowie eine 26%ige<br />

Ausfuhrabgabe. Zahlung einer Goldmilliarde innerhalb von 25 Tagen; 3. unverzügliche Aburteilung der<br />

„Kriegsverbrecher“; 4. im Falle der Nichterfüllung wird Besetzung des Ruhrgebiets angedroht. Zum Vergleich:<br />

Frankreich musste nach dem verlorenen Krieg 1871 an Deutschland 5 Mrd. Goldfranc an Reparationen zahlen.<br />

307<br />

Vgl. Mitteilung des Deutschen Städtetages vom 25.8.21; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>; Rep. II, H XVI, 1.3.<br />

308<br />

Vgl. Schreiben des Stader Regierungspräsidenten vom 22. 5.22 an den <strong>Verden</strong>er Magistrat; ebd.<br />

80


den Ruhestand verabschiedet. 309 Sein Nachfolger wurde Heinrich von Bergen, ebenfalls<br />

Lehrer an der Nicolaischule. In der Plenarsitzung des <strong>Verden</strong>er Stadtrats am 16. Juni 1922<br />

wurde über die Neubesetzung des Schulleiterpostens beraten:<br />

„Herr Breuer hat sein Nebenamt als Berufsschulleiter zum 1. Oktober 1922 niedergelegt. Die Regierung möchte<br />

einen hauptamtlichen Leiter haben. Das wird z. Zt. aus finanziellen Gründen nicht möglich sein. Der Magistrat 310<br />

schlägt als Nachfolger im Nebenamt den Lehrer v. Bergen vor, der dazu bereit ist. Die Bürgervorsteher 311<br />

erklärten sich mit dieser Lösung einverstanden. Bv. Höfener meinte, die Auswahl in <strong>Verden</strong> hätte doch wohl<br />

größer sein können. Herr Kiesewetter pflichtete ihm in allgemeinen bei, sprach aber auch für Herrn v. Bergen.<br />

Bürgervorsteher Renke konnte von Bergen als geeignet nur empfehlen, zumal da er mehrere Zeichenkurse<br />

durchgemacht habe.<br />

Bv. Troe stellt fest, daß bei der letzten Gesellenprüfung eine große Unwissenheit der Gewerbeschüler<br />

erkannt ist; es sei dahingestellt, wen das träfe, die Lehrerschaft oder die Schüler. Herr Renke 312 meinte, das<br />

hätten die Schüler selbst verschuldet.“ 313<br />

Die Entlassungsfeier von Heinrich Breuer und seinem Kollegen Arnold Beyer fand in der Aula<br />

der Nicolaischule statt. Außer den Schülern und dem Lehrerkollegium waren der<br />

Bürgermeister Dr. Urban als Vertreter des Magistrats und der Gewerbeschulkommission und<br />

vom Innungsausschuss Tischlermeister Kindt, Schlossermeister Bode, Schuhmachermeister<br />

Büssenschütt, Schlachtermeister Oelfke und der Dekorateur Haarstrick 314 vertreten. Bei<br />

seinem Rückblick verwies Breuer auf die Entwicklung der gewerblichen Berufsschule: 1886<br />

waren bei freiwilligem Schulbesuch nur 18 Schüler eingeschrieben, 1888 wurde die<br />

Pflichtfortbildungsschule mit 92 Schülern in drei Klassen eingerichtet und 1922 wurden 203<br />

Schüler in sechs Klassen und fünf Zeichenabteilungen unterrichtet. 315<br />

Die Schülerzahl betrug jetzt 213 Schüler, die in sechs Klassen und fünf Zeichenabteilungen<br />

unterrichtet wurden. Ab 1920 waren mehrere ältere Kollegen ausgeschieden: Bäckermeister<br />

Engelhardt, 316 Reimers, 317 Thies, 318 Ropers 319 und Beyer. 320 Mit dem Eintritt neuer, fachlich<br />

309 Breuer war seit 1884 Lehrer an der Fortbildungsschule und seit 1888 Leiter der Schule. Als hauptamtlicher<br />

Mittelschullehrer war er 29 Jahre lang Klassenlehrer der ersten Mädchenklasse an der Neuen Schule. Er<br />

unterrichtete ebenfalls an der höheren Töchterschule und vorübergehend auch an der Handelsschule, an deren<br />

Gründung er beteiligt war. Er war überhaupt sehr vielseitig: seit 1884 Organist und Rechnungsführer an der St.<br />

Johannisgemeinde. 1919 Bürgervorsteher für die Demokratische Partei. Lange Jahre war er Vorsitzender des<br />

Bezirkslehrervereins Stade und entfaltete eine reiche pädagogisch-schriftstellerische Tätigkeit.<br />

310 Der Magistrat der Stadt setzte sich aus dem Bürgermeister, dem Syndikus (Stadtrichter) und dem Rat (drei<br />

Senatoren bildeten das Ratskollegium) zusammen (ab 1859); vgl. NERGER 1981, S. 79.<br />

311 Nach altem Brauch wurde die Bürgerschaft der Stadt -gegenüber und in Zusammenarbeit mit Bürgermeister<br />

und Rat (Magistrat)- durch zwei Gremien vertreten: Kollegium der Bürgerältesten (16 Mitglieder) und einem<br />

weiteren Kreis mit 24 Mitgliedern (2. Kammer), zusammen also die so genannten „Vierziger“. 1845 wurde diese<br />

alte Bürgervertretung aufgelöst und an die Stelle der Bürgerältesten traten nur noch die so genannten<br />

„Bürgervorsteher“ (12 Vorsteher und vier Stellvertreter), allerdings hatten diese weniger Rechte. Die 2. Kammer<br />

wurde total aufgehoben. Ab 1859 galt die Hannoversche Städteordnung von 1851. Vgl. NERGER 1981, S. 41, 80<br />

und Teil II, Nr. 23, Nr. 24.<br />

312 Hier handelt es sich vermutlich um den Lehrer Renken, der an der Berufsschule unterrichte und seinen<br />

Berufsstand verteidigte!<br />

313 Protokoll der Plenarsitzung vom 16.06.22; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 1,3.<br />

314 Fritz Haarstrick hatte in <strong>Verden</strong>, Große Straße 47, ein Fachgeschäft für Polstermöbel und Dekorationen.<br />

315 Vgl. Protokollbuch vom 28.9.22; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

316 Er legte zu Ostern 1920 den Unterricht nieder.<br />

317 Er war seit 1887 an der Schule tätig und trat im März 1922 aus dem Kollegium aus.<br />

318 Lehrer Thies stellte nach 33-jähriger Tätigkeit an der Schule im Juni 1921 seine vier Unterrichtsstunden zur<br />

Verfügung. Diese vier Stunden Berufs- und Bürgerkunde wurden dem neuen Kollegen Oelfke übertragen.<br />

319 Er unterrichtete seit 1889 als Zeichenlehrer an der Schule und ging im März 1922 in den Ruhestand. Seit<br />

1887 war er hauptamtlicher Lehrer an der Neuen Schule.<br />

320 Beyer war als Zeichenlehrer seit 1886 an der Schule tätig und trat im September 1922 wegen seines Alters<br />

zurück.<br />

81


gut ausgebildeter LehrerInnen (Oelfke, Gronholz, 321 Peters, 322 Baumgarten 323 und Frl.<br />

Bracker 324 ) konnte eine Umgestaltung der gewerblichen Berufsschule nach fachlichen<br />

Gesichtspunkten angegangen werden. 325<br />

Selbstverwaltung der SchülerInnen<br />

Nach eingehender Beratung mit Vertretern der Lehrerschaft und der Schulverwaltungen gab<br />

der Minister für Handel und Gewerbe im April 1923 einen Erlass zur „Selbstverwaltung der<br />

Schüler an Berufsschulen“ heraus, um diese „in den Dienst der Willensbildung und der<br />

Erziehung zu staatsbürgerlicher Verantwortung zu stellen“. Jede Klasse hatte innerhalb der<br />

ersten vier Wochen des Schuljahres ein bis zwei Vertrauensleute in geheimer Wahl zu<br />

wählen.<br />

„Die Vertrauensleute haben die Aufgabe, das kameradschaftliche Verhalten der Schüler zueinander zu fördern<br />

und den Geist der Wahrhaftigkeit, Arbeitsfreudigkeit und Hilfsbereitschaft in der Klassengemeinschaft zu<br />

pflegen. Sie sind befugt, den Lehrern Wünsche und Anregungen der Klasse zu übermitteln und etwa<br />

vorhandene Beschwerden vorzubringen. An jeder Schule ist ein gemeinsamer Schülerausschuß von 3 bis 7<br />

Mitgliedern aus den Vertrauensleuten unter einem Obmann zu bilden. Dieser Ausschuß hat die gleichen<br />

Aufgaben für die Schule zu erfüllen. [...] Zur Pflege gemeinsamer Bestrebungen können freie Vereinigungen<br />

gebildet werden, die ihre Angelegenheiten selbst regeln. In Frage kommen besonders:<br />

a) Zur Pflege von Leibesübungen (Turnen, Wandern, Schwimmen, Rasensport usw.)<br />

b) Zur Pflege geistiger Bestrebungen (Gesang, Musik, Lesen, Aufführungen, Zeichnen, Kunstbetrachtungen,<br />

Brettspiele usw.)<br />

c) Zur freiwilligen Beschäftigung mit Fragen des Berufes und der Berufsgemeinschaft für Angehörige einzelner<br />

Berufe oder Berufsgruppen. [...]<br />

Die Selbstverwaltung darf nicht Selbstzweck sein, sondern muß sich als wertvolles Erziehungsmittel in die<br />

Erziehungs- und Bildungsaufgaben der Berufsschule einfügen. Sie soll dazu helfen, daß der einzelne Schüler<br />

sich bewußt in das Lebensganze von Gesellschaft und Staat einzuordnen lernt und daß er so zu einer<br />

gemeinnützigen Persönlichkeit erzogen wird. [...] Wesentlich wird es sein, daß zwischen Leitern, Lehrern und<br />

Schülern ein wirkliches Vertrauensverhältnis besteht [...]. Bei Verhandlungen sind inhaltlose Nachahmungen der<br />

Einrichtungen Erwachsener oder gesetzlicher Körperschaften zu vermeiden; doch ist zur Beachtung einer<br />

angemessenen Verhandlungsform, zur sachlichen Erörterung wie zur Achtung vor der Überzeugung<br />

Andersdenkender anzuleiten.“ 326<br />

In der Konferenz im Juni 1923 erklärte sich das Kollegium mit der Wahl von<br />

Vertrauensmännern für jede Klasse einverstanden. Weitere Selbstverwaltungsrechte der<br />

Schüler lehnte das aber Kollegium strikt ab. 327<br />

321<br />

Er kam nach zweieinhalbjähriger Unterbrechung im August 1921 wieder an die Schule zurück. Er wurde<br />

1928 vertretungsweise Schulleiter der Nicolaischule für den pensionierten Heinrich Meyer.<br />

322<br />

Lehrer Peters übernahm die Stunden von Ropers.<br />

323<br />

Der neue Zeichenlehrer Baumgarten wurde auf Beschluss des Magistrats im Dezember 1922 der Nachfolger<br />

von Beyer.<br />

324<br />

Die Bezeichnung „Frl.“ wird hier übernommen, da dadurch deutlich wird, dass es sich um unverheiratete<br />

Frauen handelte. Frl. Bracker trat als erste Kollegin im August 1921 in das Kollegium der Berufsschule ein und<br />

unterrichtete dann in der Mädchenfortbildungsschule. Sie war seit 1917 als technische Lehrerin hauptamtlich an<br />

der Neuen Schule tätig und hatte die Prüfungen in Handarbeit, Turnen und Hauswirtschaftskunde bestanden.<br />

325<br />

Vgl. BERGEN 1931, S. 10.<br />

326<br />

Schreiben des Ministers vom 5.4.23 an den Regierungspräsidenten in Stade; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 e.<br />

327<br />

Vgl. Protokollbuch vom 28.6.23; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

82


Emanzipation in der Weimarer Republik: Die Mädchen-Fortbildungsschule 328<br />

Auf Grund der §§ 120, 142 und 150 der Reichsgewerbeordnung wurde mit Beginn des<br />

Schuljahres 1921 (ab Ostern) an der „Gewerblichen Berufsschule“ in <strong>Verden</strong> die<br />

Berufsschulpflicht auf die in Gewerbebetrieben beschäftigten weiblichen Jugendlichen im<br />

Kreis <strong>Verden</strong> ausgedehnt und eine Mädchenfortbildungsschule errichtet. Zum Besuch<br />

verpflichtet waren alle „Lehrmädchen im Schneiderinnen- und Putzmacherinnen-Beruf und<br />

anderen gewerblichen Betrieben, die sich hier regelmäßig aufhalten und das 18. Lebensjahr<br />

noch nicht vollendet haben.“ Die Gründungsklasse bestand aus insgesamt 26 Schülerinnen<br />

(davon 17 Schneiderinnen) und war untergebracht in der Mädchenmittelschule in der<br />

Südstraße. 329 Unterrichtet wurden sie am Montag, Dienstag und Mittwoch jeweils zwei<br />

Stunden nach Arbeitsschluss von 18 bis 20 Uhr. Mit Rücksicht auf die „geschäftseilige Zeit“<br />

wurde der Unterricht zwischen Ostern und Pfingsten und in den Monaten Oktober und<br />

Dezember ausgesetzt. Zum Ausgleich der ausgefallenen Stunden wurde zusätzlich im März<br />

und August am Donnerstag und im Januar, Februar, September und November am Freitag<br />

unterrichtet. Die durchschnittliche wöchentliche Unterrichtszeit betrug dann sechs Stunden<br />

bzw. bei 40 Unterrichtswochen jährlich 240 Stunden. Im Sommerhalbjahr unterrichtete die<br />

technische Lehrerin Bracker Strickarbeiten und Materialienkunde mit Zeichnen und im<br />

Winterhalbjahr Weißnähen mit Zeichnen und Materialien. Schulleiter Breuer 330 übernahm den<br />

Unterricht in den Fächern Berufs- und Lebenskunde mit Schriftverkehr und Deutsch,<br />

Rechnen mit hauswirtschaftlicher Belehrung und Verbuchung sowie Gesundheitslehre. An<br />

Lehr- und Lernmitteln wurden u.a. angeschafft: 331<br />

– Götze, Marianne: Hauswirtschaftliches Handbuch<br />

– Kutsche u. a.: Lehrbuch für die weitere weibliche Jugend<br />

– Pabst, Anna: Das moderne Putzfach<br />

– Lehner: Putzmacherin<br />

– Vogel: Anthropologie und Gesundheitslehre<br />

– Lux, Martha (Schuloberschwester): Die wohlberatene Säuglingspflegerin<br />

– Heimann: Rechenbuch für Mädchenfortbildungsschulen<br />

Der Minister für Handel und Gewerbe forderte 1926 Angaben über die Anzahl der<br />

Schülerinnen unter 18 Jahre, welche bei völliger Durchführung der Berufsschulpflicht noch<br />

einzuschulen wären. Der Magistrat der Stadt <strong>Verden</strong> konnte folgende Zahlen liefern: 90<br />

weibliche Hausangestellte, 50 ungelernte Arbeiterinnen und 25 kaufmännische<br />

„Angestelltinnen“. 332<br />

Gewerbeschau 1923 in der Berufsschule<br />

In den letzten zehn Jahren vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten bot die Schule<br />

ein recht abwechslungsreiches Bild. Im Juli 1923 beteiligte sich die Berufsschule an der<br />

Gewerbeschau in <strong>Verden</strong>, die in der Nicolaischule und auf dem Schulhof abgehalten wurde:<br />

328 Vgl. auch: WOOCK 2001, S. 231.<br />

329 Die alte Feldkaserne Ecke Marienstraße/Südstraße wurde 1919 umgebaut. 1920 bezog die<br />

Mädchenabteilung der Neuen Schule (Mittelschule) dort fünf Klassenräume (zwei Räume mit je 65 m² und drei<br />

Räume mit je 45 m²). In dem Gebäude waren nach dem Umbau noch zusätzlich eine Schuldienerwohnung,<br />

Toiletten und zwei Familienwohnungen vorhanden; vgl. REDAKTIONSAUSSCHUSS DER KONFERENZ DER<br />

MITTELSCHULE 1960, S. 38.<br />

330 Obwohl Breuer als Schulleiter im September 1922 verabschiedet wurde, unterrichtete er an der<br />

Mädchenberufsschule weiter und schied erst zu Ostern 1924 aus dem Kollegium aus.<br />

331 Vgl. Schreiben Breuers („Übersicht über die Einrichtung der Mädchenfortbildungsschule“) vom 4.8.21 an den<br />

Regierungspräsidenten in Stade; Ordner Nr. 1, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n Schule <strong>Verden</strong>.<br />

332 Vgl. Schreiben des Schulleiters vom 19.8.26 an den Magistrat; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 3,3.<br />

83


„Ein Rundgang durch die Gewerbeschau - wie leicht ist das Wort hingeworfen, aber nur wenige ahnen, wie<br />

schwer es ist, in einem kurzen Zeitungsartikel all die Eindrücke wiederzugeben, die sich der Berichterstatter<br />

beim Beschauen all des Wunderbaren und Schönen aufdrängen, wie es einfach unmöglich ist, in wenigen<br />

Stunden die Gewerbeschau in ausreichendem Maße zu besichtigen und alles in sich aufzunehmen, um jedem<br />

Aussteller gerecht zu werden. [...] Und so wollen wir denn unsere schwierige Arbeit beginnen, indem wir<br />

eintreten in das Hauptportal der Nikolaischule. Gleich im Flur begrüßen uns Schülerarbeiten der Berufsschule –<br />

Zeichnungen der Schüler verschiedener Gewerbe – gewissermaßen als Auftakt zu dem, was uns auf dem<br />

weiteren Rundgang erwartet: Zeichnungen in tadelloser Ausführung, die gleiches Lob erheischen für Lehrer und<br />

Schüler und die die besten Hoffnungen erwecken, daß der Nachwuchs nicht zurückstehen wird hinter dem, was<br />

heute auf der Gewerbeschau als Produkt hingebender Arbeit vom Meister und Gesellen geboten wird.“ 333<br />

Neue Besen kehren gut<br />

Im Oktober des gleichen Jahres notierte der neue Schulleiter Heinrich von Bergen im<br />

Protokollbuch, dass auf seinen Vorschlag hin eine große Umwälzung auf dem Gebiet des<br />

Zeichenunterrichts erfolgt sei: durch die Einrichtung einer zusätzlichen Zeichenklasse<br />

konnten die überfüllten Zeichenklassen aufgelöst und nach Berufen neu gegliedert werden.<br />

Drei Fachleute wurden als Zeichenlehrer neu eingestellt. Es handelte sich um Maurermeister<br />

Heinrich Austmeyer jr., Bahnmeister Bohling (gelernter Schlosser) und Malermeister<br />

Seevers. Es war das erste Mal, dass ausgebildete Fachleute als Zeichenlehrer an der<br />

Berufsschule eingestellt wurden. Es wurde damit einem lang gehegten Wunsch der<br />

Handwerker in der Aufsichtsbehörde entsprochen. 334<br />

Im Winterhalbjahr 1923/24 hatte die Schule 200 männliche und 14 weibliche Schüler.<br />

Unterrichtet wurde in drei Stufen: Unterstufe (1. Lehrjahr), Mittelstufe (2. Lehrjahr) und<br />

Oberstufe (3. und 4. Lehrjahr). Jede einzelne Stufe war nach Gewerben in eine a- (gemischte<br />

Berufe) und b- (Schlosser, Schmiede, Tischler) Klasse geteilt. Zusätzlich gab es eine<br />

einklassige Mittelstufe für Nahrungsmittel (Bäcker, Konditoren und Schlachter). Die<br />

Mädchenklasse war ebenfalls einklassig. In allen „Knabenklassen“ wurden acht Stunden<br />

unterrichtet: zwei Stunden Berufs- und Bürgerkunde, zwei Stunden Rechnen (in der<br />

Oberstufe zusätzlich Buchführung) und vier Stunden Zeichnen. Die Schülerzahl pro Klasse<br />

schwankte zwischen 26-45 Schülern. Wie bereits erwähnt, wurde der Zeichenunterricht nach<br />

Berufen (Tischler, Schlosser, Bauhandwerker, Schuhmacher, Bäcker und „schmückendes<br />

Gewerbe“) getrennt unterrichtet. Diese Klassen hatten dann nur max. 34 Schüler. Auf<br />

Veranlassung des Schulleiters wurden auch in Dörverden, Stedorf und Langwedel<br />

gewerbliche Klassen eingerichtet und die Gründung in Blender in Aussicht genommen. 335<br />

In den Jahren 1924 bis 1926 traten viele neue Lehrkräfte in das Kollegium ein bzw. aus.<br />

Besonders hoch war die Fluktuation in der Mädchen-Berufsschule. Frl. Bruns (Deutsch und<br />

Rechnen), Eintritt zu Ostern 1924, wurde bereits im August durch Frau Hasselhorn abgelöst<br />

und diese wieder im Januar 1925 durch Frl. Wienecke, die im September 1926 durch den<br />

Schulleiter abgelöst wurde. Die Gesundheitslehre und Säuglingspflege übernahm Schwester<br />

Martha Lohmeyer. Frl. Bracker wurde im September 1926 durch Frl. Kotzenburg abgelöst. 336<br />

Für den Zeichenunterricht in der Klasse für Schuhmacher und Sattler konnte der<br />

Schuhmachermeister und Sattler August Meier gewonnen werden. 337 Für den versetzten<br />

333<br />

<strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 11.7.23; Ordner Nr. 1; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

334<br />

Vgl. Protokollbuch vom 19.03.23; ebd.<br />

335<br />

Bericht des Schulleiters an die Regierung in Stade von 1923; Ordner Nr. 1, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n<br />

<strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

336<br />

Der Schulleiter vermerkt in seinem Protokoll, dass die Lehrerinnen nicht zum Unterrichten gezwungen<br />

werden können und sich häufig krank melden würden; vgl. Protokoll vom September 1926; ebd.<br />

337<br />

Der Berufsschuldirektor und Revisor Adolf Meyer in Stade und der Schuhmachermeister und Fachlehrer<br />

August Meier in <strong>Verden</strong> hatten 1925 eine Mappe „Lehrgang für das Fachzeichnen der Schuhmacher in<br />

84


Oberlehrmeister Bohling wurde ab Juni 1924 Ing. Hoffknecht eingestellt, der in der<br />

Schlosserklasse Zeichenunterricht gab. An die Stelle des versetzten Lehrer Martens trat am<br />

1.10.24 der Schulamtsbewerber Fahrenholz. Im März 1925 wurden als neu eingetretene<br />

Mitglieder des Lehrerkollegiums der Lehrer Hasselhoff 338 und der Hilfsschullehrer Bradt<br />

bekannt gegeben. Lehrer Baumgarten trat im September 1926 wegen Überarbeitung aus, an<br />

seine Stelle kam der Junglehrer von Bergen. 339<br />

Heinrich von Bergen (†30.6.1938). Schulleiter von 1922-1934.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

In seinem handschriftlichen Bericht über die gewerbliche Berufsschule im Schuljahr 1925/26<br />

an den Regierungspräsidenten in Stade ging von Bergen detailliert auf die schwierige<br />

Schulsituation ein. Da auch grundlegende Neuerungen eingeführt wurden, soll der Schulleiter<br />

ausführlich zu Wort kommen.<br />

„Zu Beginn des Schuljahres besuchten die Schule 262 Schüler und Schülerinnen, die in 8 Klassen<br />

untergebracht waren. Es kamen im Durchschnitt auf jede Klasse 33 Schüler. Im Laufe des Schuljahres erfolgten<br />

aber so viele Nachanmeldungen, besonders im Bauhandwerk, daß die Schülerzahl in einigen Klassen auf 43-45<br />

gewerblichen Berufsschulen nebst Anleitung“ zum Preis von 50 RM herausgegeben. Der Regierungspräsident<br />

in Stade empfahl die Einführung des Lehrmittels; vgl. Schreiben vom 23.01.26 an die Landräte und Magistrate<br />

des Bezirks, Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 3,3. August Meier hatte sein Geschäft in <strong>Verden</strong>, Große Straße<br />

63.<br />

338 Hasselhoff war Lehrer an der Nicolaischule.<br />

339 Schulamtsbewerber bzw. Junglehrer von Bergen war der Sohn des Schulleiters. Er wanderte aber als<br />

deutscher Lehrer im Dezember 1927 nach Venezuela aus. Seine Stunden übernahmen sein Vater, Fahrenholz<br />

und Baumgarten, der zu diesem Zeitpunkt wieder in das Kollegium eintrat; vgl. Protokollbuch vom 15.9.27,<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

85


stieg. 340 Diese Schülerzahl stellte an die betreffenden Klassenlehrer ungeheure Anforderungen an Arbeit und<br />

Energie und es muß lobend erwähnt werden, daß gerade in diesen großen Klassen mit Treue und Fleiß<br />

gearbeitet wurde, sodaß, mit Ausnahme einer Reihe schwach befähigter Schüler, fast alle das Ziel der Klasse<br />

erreicht haben. Erschwert wurde die Arbeit in den Unterklassen dadurch, daß das Material der Schüler<br />

durchschnittlich recht minderwertig war. Das traf vor allem für die Bauhandwerker und ungelernte Arbeiter zu.<br />

Um die Unterklasse von diesem Hemmschuh zu befreien, hat sich der Magistrat auf meinem Vorschlag<br />

veranlaßt gesehen, eine Vorklasse (III c) von Ostern 1926 an neu einzurichten. [...] Die Schwachbefähigten<br />

werden von einem Hilfsschullehrer unterrichtet und dadurch wird die Gewähr gegeben, daß auch sie ihren<br />

Fähigkeiten entsprechend allmählich in die höheren Klassen der Schule hineinwachsen können. In den meisten<br />

überfüllten Unterklassen würden sie notgedrungen vernachlässigt werden. 341<br />

Der Unterricht lag in den Nachmittagsstunden von 6 - 8 Uhr. Nur die Nahrungsmittelklasse (Bäcker, Konditoren<br />

und Schlachter) hatten am Mittwoch von 4 - 8 Unterricht. Diese Einrichtung geschah auf Wunsch der Meister,<br />

wurde von der Schulleitung mit Freude begrüßt und hat sich sehr gut bewährt. Der Zeichen- und<br />

Garnierunterricht für die Bäcker und Konditoren lag ebenfalls von 6 - 8.<br />

Die Bildhauer wurden nach den Sommerferien aus der Klasse des schmückenden Gewerbes herausgezogen<br />

und auf Wunsch der Meister und des Niederdeutschen Bildhauerverbandes - Bremen durch den Vorsitzenden<br />

dieses Verbandes Herrn Gangloff - Bremen gesondert unterrichtet. Der Unterricht geschah im Zeichnen,<br />

Modellieren in Ton und Abgießen in Gips. Herr Gangloff ist ein Künstler, der bestrebt ist, die vielen<br />

künstlerischen Richtungen in eine angenehm wirkend, geschmackvolle Form zu leiten, um dadurch zu einem<br />

neuzeitlichen deutschen Stil zu gelangen. Er läßt den Schülern recht viel schöpferischen Willen und hat<br />

vorzügliche Leistungen in der kurzen Zeit seiner Wirksamkeit aufzuweisen. Den Unterricht erteilt er ohne<br />

Entschädigung und nimmt nur seine Reisekosten von Bremen ersetzt. [...]<br />

Zur Unterstützung des Unterrichts wurde ein Lichtbildapparat angeschafft. Die Verteilung der Stunden ist in der<br />

Art erfolgt, daß jede Klasse ihren Klassenlehrer hat. [...]<br />

Der Zeichenunterricht umfaßt 8 Klassen. Er wurde in 6 Klassen von Fachleuten erteilt. Da der Schulleiter, der<br />

den Zeichenunterricht in der Tischlerklasse erteilt, durch 1½ Jahre in seinen Freistunden und Ferien bei einem<br />

hiesigen Tischlermeister praktisch gearbeitet hat, ist auch er wohl im Allgemeinen als Praktiker mitzurechnen,<br />

sodaß nur die Schlosser a-Klasse als von einem Nichtfachmann, dem Lehrer Renken, geleitet, angesprochen<br />

werden kann. Dieser hat aber eine so reiche, jahrelange Erfahrung, daß seine Leistungen nicht hinter denen der<br />

Fachleute zurückstehen, diese z. T. noch überragen. [...]<br />

Um den beteiligten Handwerk und der Bürgerschaft einen Einblick in die zeichnerischen Leistungen der Schule<br />

zu geben, [...] wurde am Sonntag Palmarum 342 in der Turnhalle der Volksschule eine Ausstellung veranstaltet.<br />

Zugleich waren die Gesellenstücke und Modelle, die die Schüler in den Modellierstunden ausgeführt hatten,<br />

ausgestellt. Die Ausstellung wurde von etwa 1000 Einzelpersonen der Stadt und des Kreises <strong>Verden</strong> besucht.<br />

Als ganz besondere Leistung der modellierenden Schüler ist der Vordergiebel eines niedersächsischen<br />

Landhauses, der von Zimmerern, Maurern, Tischlern, Malern und Dachdeckern ausgeführt wurde, anzusehen.<br />

Ich gestatte mir ein Lichtbild dieses Giebels beizulegen.<br />

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der gewerblichen Berufsschule von Seiten der Stadtverwaltung ganz<br />

besonderes Wohlwollen entgegengebracht wird und daß der Magistrat bemüht ist, dem Wunsche der<br />

Schulleitung und des Lehrerkollegiums nach einem eigenen Heim bei der bevorstehenden Neuverteilung der<br />

vorhandenen Schulhäuser Rechnung zu tragen, sodaß hoffentlich schon im Herbst die Berufsschule in ihr<br />

eigenes Heim einziehen kann!“ 343<br />

340<br />

Nach den ministeriellen Bestimmungen war nur für den Notfall eine Klassenstärke von max. 40 Schülern<br />

zugelassen.<br />

341<br />

Der Hilfsschullehrer Bradt unterrichtete in der neu eingerichteten III c-Klasse (so genannte Hilfs- oder<br />

Werkklasse). Aus dieser Klasse sollten aber Versetzungen in die Mittelstufe möglich sein.<br />

342<br />

Palmarum = Sonntag vor Ostern, Palmsonntag.<br />

343<br />

Bericht des Schulleiters an die Regierung in Stade von 1926; Ordner Nr. 1, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n<br />

<strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

86


eactio et actio<br />

Bereits im Herbst 1924 wurde in einer Konferenz 344 beschlossen, eine Schrift über Deutsche<br />

im Ausland im Unterricht zu verwenden. 345 Später wurde dann auf das Buch von Rohrbach<br />

verwiesen. Es ist durchdrungen von der rechten, völkischen Idee und immer<br />

wiederkehrenden Schlagwörtern wie „deutscher Volksboden“, „deutsches Volkstum“,<br />

„deutscher Volkskörper“, „Deutschtum“ und „Heim ins Reich!“ Im Vorwort zitiert der Autor<br />

Rezensionen „berufener“ Stellen: „das notwendige Buch, um unsere deutschen Minderheiten<br />

im Auslande der deutschen Jugend und dem deutschen Hause so nahe zu bringen, daß sie<br />

die Volksgenossen in ihren Leiden und in ihrem Kampfe vor sich sehen.“ 346 Im Juli 1931<br />

wandte sich der Minister für Handel und Gewerbe an die Regierungspräsidenten mit dem<br />

Hinweis, dass er der Bitte des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) 347<br />

entsprechen und gestatten würde, dass Lehrer und Schüler der ihm unterstellten Fach- und<br />

Berufsschulen sich werbend in den Dienst des Vereins stellen und Mitglieder der örtlichen<br />

Vereine werden könnten. „Die Lehrpersonen ersuche ich unter Hinweis auf meine bereits<br />

früher ergangenen Erlasse, das Interesse der Schüler für die Auslandsdeutschen zu wecken<br />

und zu fördern.“ 348 Frei von jeder politischen Tendenz soll nach dem Schreiben des gleichen<br />

Ministers die „Deutsche Kolonial-Wanderausstellung“ gewesen sein. Unter dem Protektorat<br />

der kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft ging diese Ausstellung seit Jahren durch<br />

Deutschland: „Diese Ausstellung ist vorzüglich geeignet, den Wert kolonialer Betätigung vor<br />

Augen zu führen. Durch ihren Besuch wird der wirtschaftliche und kulturgeographische<br />

Unterricht ergänzt.“ 349<br />

Eine klare Absage gegen reaktionäre Strömungen war der Erlass im Jahre 1925, der sich<br />

gegen das Tragen von politischen Abzeichen richtete:<br />

„Aufgabe aller Berufs- und Fachschulen ist es, [...] die Jugend fachlich und staatsbürgerlich tüchtig zu machen<br />

und zur willigen Mitarbeit am Staatsleben zu erziehen. Es ist selbstverständlich, daß in der Schularbeit die<br />

Achtung vor der geltenden Verfassung gewahrt und gepflegt, jede Parteipolitik aber ferngehalten wird.<br />

Ich lasse hierbei keinen Zweifel darüber, daß die Herabsetzung der verfassungsmäßig festgelegten<br />

Reichsfarben als eine Herabsetzung der geltenden Staatsform anzusehen ist. Jede Mißbilligung der<br />

Reichsfarben seitens der Schuljugend ist daher als schwere Verfehlung anzusehen und jedes derartige<br />

Vergehen, insbesondere die Behelligung und Mißhandlung anderer Schüler wegen ihrer Gesinnung, ist streng<br />

zu bestrafen, gegebenenfalls durch Verweisung von der Anstalt.<br />

Um das Schulleben selbst zu entpolitisieren, untersage ich mit sofortiger Wirkung den Schüler(innen das<br />

Tragen von Abzeichen, Bändern, Kokarden und anderen Symbolen jeder Art in der Schule selbst und bei<br />

344 Vgl. Protokoll vom 17.9.24; ebd.<br />

345 Die Publikation „Der Deutsche Gedanke“ von Paul Rohrbach charakterisierte sich selbst so:<br />

„Halbmonatsschrift für auswärtige Politik, Wirtschaft und Auslandsdeutschtum, die dem Bedürfnis des politisch<br />

gebildeten, parteilich nicht eingeengten Deutschen entspricht, einen durchgebildeten Führerstandpunkt<br />

vertreten zu sehen."<br />

346 Vgl. ROHRBACH 1926.<br />

347 Der Weimarer Staat unterstützte diskret die Pflege und Erhaltung des Deutschtums im Ausland (mehr als<br />

zehn Millionen Deutsche lebten als Folge der Schrumpfung der Reichs außerhalb der Reichsgrenzen), und<br />

zwar auf der Basis des vom Völkerbund formal garantierten, wenn auch nicht wirklich gewährleisteten<br />

Minderheitenschutz. Dabei bediente er sich des VDA, der am Ende der Weimarer Republik in nicht weniger als<br />

3.000 Ortsgruppen und über 5.000 Schulgruppen aktiv war. Wenn auch die VDA-Verantwortlichen in der<br />

Weimarer Republik Gewalt als Mittel der Politik ebenso ablehnten wie das auf Verdrängung fremden Volkstums<br />

ausgerichtete Rassenprinzip, so gewannen die VDA-Hardliner im „Dritten Reich“ die Oberhand. In dem VDA-<br />

Pamphlet „Unsere Stellungnahme zur Frage der Polen im Reich“ hieß es: „Deutscher! Der Pole ist niemals Dein<br />

Kamerad! Er steht unter jedem deutschen Volksgenossen auf Deinem Hof oder in Deiner Fabrik. Sei, wie immer<br />

Deutscher, gerecht, aber vergiß nie, daß Du Angehöriger des Herrenvolkes bist!“<br />

348 Schreiben vom 11.7.31 an die Regierungspräsidenten; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

349 Schreiben des Ministers für Handel und Gewerbe vom 12.9.29 an die Regierungspräsidenten; Kreisarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

87


Veranstaltungen der einzelnen <strong>Schulen</strong> oder mehrerer Anstalten z. B. auf Wanderungen, bei Turnspielen usw.;<br />

auch das bloße Mitbringen dieser Abzeichen wird verboten.“ 350<br />

Kurpfuscher, Lues, Ulcus molle und Gonorrhoe<br />

Ab Dezember 1927 sollte im Unterricht über Gesundheitspflege in den gewerblichen und<br />

kaufmännischen Fach- und Berufsschulen auf das so genannte „Kurpfuschertum“<br />

hingewiesen werden:<br />

„Seit längerer Zeit gefährden Kurpfuschertum und Geheimmittelunwesen die Volksgesundheit; besonderes<br />

Unheil stiftet die Kurpfuscherei auf dem Gebiete der übertragbaren Krankheiten; auch führen die teilweise<br />

marktschreierischen, zuvielversprechenden und irreführenden Ankündigungen der Kurpfuscher und<br />

Geheimmittelhändler zur Ausbeutung der Unerfahrenen. Um diesem Treiben entgegenzuwirken, ersuche ich,<br />

die Schüler während des Unterrichts über Gesundheitspflege in geeigneter Weise aufzuklären.“ 351<br />

Im Jahre 1928 mussten, offensichtlich aus gegebenem Anlass, Maßnahmen zur Bekämpfung<br />

von Geschlechtskrankheiten in den Fach- und Berufsschulen ergriffen werden. Der<br />

Lehrerschaft wurde ein Merkblatt ausgehändigt. In dem Anschreiben des Ministers für<br />

Handel und Gewerbe wurde die Lehrerschaft darüber informiert, „dass bei ihrer Mitarbeit<br />

höchste Vorsicht und größter Takt geboten ist, da Irrtümer bei der Beurteilung von<br />

Krankheitszeichen für den Laien leicht möglich sind und da auch schon die Äußerung der<br />

Vermutung über das Vorhandensein einer Geschlechtskrankheit in weiten Kreisen der<br />

Bevölkerung als ehrverletzend aufgefaßt wird.“ 352 Das beigefügte Merkblatt machte auf die<br />

Gefahren und die Früherkennung von Syphilis, Weichen Schanker und Tripper aufmerksam:<br />

„Die Geschlechtskrankheiten sind nächst der Tuberkulose und dem Alkoholismus von entscheidender<br />

Bedeutung für die Volksgesundheit. Sie schädigen den Staat, zerstören die Familie, vernichten die Arbeitskraft<br />

und Lebensglück von vielen Tausenden unserer Volksgenossen. [...]<br />

Um eine Verbreitung der Krankheit zu verhindern und die dem Lehrer anvertraute Jugend vor körperlicher und<br />

sittlicher Gefährdung zu schützen, soll der Lehrer nach Möglichkeit die wichtige Ansteckungsquelle mit ausfindig<br />

machen helfen.“ 353<br />

Entwicklung der Schule 1923 bis 1932:<br />

Die Berufsschule im Prozess<br />

Schuljahr Knaben Mädchen Summe Lehrkräfte<br />

Lehrkräfte<br />

** nebenamtlich hauptamtlich<br />

1923/24 205 9 214 12 -<br />

1924/25 254 14 268 13 -<br />

1925/26 265 27 292 15 -<br />

1926/27 274 27 301 15 -<br />

1927/28 329 20* -<br />

1929 324 10 334 20* -<br />

350 Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 29.10.25; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 e. In einem ähnlichen<br />

Erlass des Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten vom 2.4.30 für landwirtschaftliche Lehranstalten<br />

hieß es: „Den Schülern (Schülerinnen) wird, um eine Gefährdung der staatsbürgerlichen Erziehung wie auch<br />

eine Störung des Schulfriedens durch Angebereien, Verdächtigungen, Terror durch die Mehrheit usw. zu<br />

vermeiden, mit sofortiger Wirkung das Tragen von Abzeichen [...] verboten.“<br />

Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/139 h.<br />

351 Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 10.12.27; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II H XVI 3,3.<br />

352 Vgl. Schreiben vom 22.6.28 an die Regierungspräsidenten; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

353 Geschlechtskranke Schüler. Merkblatt für Berufs- und Fachschulen; ebd.<br />

88


Schuljahr Knaben Mädchen Summe Lehrkräfte<br />

Lehrkräfte<br />

** nebenamtlich hauptamtlich<br />

1930 295 10 305 19* -<br />

1931 245 7 252 20* -<br />

1932 234 7 241 9* 2<br />

* einschließlich einer Lehrerin ** einschließlich der freiwilligen SchülerInnen<br />

Aufgrund des Geburtenrückganges war die Schülerzahl ab 1930 im Sinken begriffen.<br />

Im Schuljahr 1927/28 waren inzwischen 20 Lehrkräfte an der Schule tätig: Schulleiter von<br />

Bergen, sein Sohn von Bergen II, H. Bunte (Bautechniker), Bradt, Fahrenholz, Gangloff,<br />

Geerdts (Bautechniker und Bauführer am Städtischen Bauamt), 354 Hasselhoff, Hofknecht<br />

(Bautechniker), Kröncke, 355 Lehmann (Konditormeister), Meier (Schuhmachermeister),<br />

Oelfke, Pietzsch (Schneidermeister), Renken, 356 Frl. Schwabe (technische Lehrerin), W.<br />

Seevers (Malermeister) und Witte. 357 Baumgarten trat im Dezember 1927 wieder in das<br />

Kollegium ein.<br />

Im September 1927 wurde der Berufsschule eine Gärtner-Fachklasse angegliedert. Zuvor<br />

waren die Gärtnerlehrlinge in eine Handwerkerklasse eingeschult worden. Da ihnen dort<br />

fachlich nichts geboten werden konnte, entschloss sich die Bezirksgruppe <strong>Verden</strong> und<br />

Umgebung im Reichsverband des deutschen Gartenbaus, eine eigene Fachklasse<br />

einzurichten. Den Fachunterricht übernahm als Klassenlehrer der Gartenbautechniker Krantz<br />

aus Asendorf, Kreis Syke. Die ca. 30 Schüler kamen aus den Kreisen <strong>Verden</strong>, Achim,<br />

Rotenburg, Hoya, Syke und Nienburg. Der achtstündige Unterricht fand mittwochs im<br />

Jugendheim (Lugenstein Nr. 8) statt. Dort wurde auch das Zeichnen für die Schneider und<br />

Schuhmacher unterrichtet. 358<br />

354<br />

Er trat für den Maurer- und Zimmermeister Austmeyer ein, der wegen Überarbeitung in seinem Beruf als<br />

Bauunternehmer den Unterricht im Zeichnen zum 01.08.27 niederlegen musste.<br />

355<br />

Hermann Kröncke war Sportlehrer an der Nicolaischule.<br />

356<br />

Renken war vertretungsweise Konrektor für den 1928 pensionierten Konrektor Jacobs an der Nicolaischule.<br />

357<br />

Heinrich („Heini“) Witte war Lehrer an der Nicolaischule: vgl. Protokollbuch vom 14.9.27; Archiv der<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

358<br />

Vgl. Protokollbuch: Osterkonferenz 1928; ebd. und BERGEN 1931, S. 12.<br />

89


Entlassungszeugnis des Tischlerlehrlings Hermann Lüders von 1927.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

90


Endlich ein eigenes Heim – in der Kaserne!<br />

Der Wunsch nach einem eigenen Schulgebäude tauchte bereits seit Jahren in den<br />

Konferenz-Protokollen der Berufsschule auf. 1924 notierte der Schulleiter:<br />

„Durch den leider bevorstehenden Abbau von 4 Volksschulklassen wird voraussichtlich das Schulgebäude an<br />

der Südstraße frei. Der Magistrat hat die Absicht, die Berufsschule in das Gebäude zu verlegen. Der Gedanke<br />

ist zu begrüßen, da man hier nur als Gast gilt, und es häufig mit Klassenlehrern und Schulleiter wegen etwaiger<br />

Beschmutzungen und Beschädigungen zu Unzuträglichkeiten gekommen ist. Vor allem ist es zu begrüßen, daß<br />

durch Neueinrichtung der Schule für die Schüler bessere und ihrer Größe entsprechende Sitzgelegenheiten<br />

geboten werden. Wenn auch der Raum nur beschränkt ist, so lässt sich doch der große Vorteil eines eigenen<br />

Schulgebäudes nicht von der Hand weisen.“ 359<br />

Doch noch war es nicht so weit, erst vier Jahre später konnte das eigene Schulgebäude<br />

bezogen werden. Am 16. Oktober 1928 war es endlich so weit. Die ehemalige Feldkaserne<br />

(Ulanenkaserne) in der Südstraße 15, die ab 1920 die Mädchenabteilung der Neuen Schule<br />

und auch die Hilfsschule 360 beherbergte, wurde nach vollendeter Neueinrichtung als<br />

Berufsschulgebäude in Gegenwart sämtlicher SchülerInnen (13 Klassen) feierlich eingeweiht.<br />

Die einklassige Mädchen-Berufsschule war ja bereits seit 1921 dort untergebracht worden.<br />

Allerdings konnte die Hilfsschule aufgrund der schwierigen Raumsituation an den städtischen<br />

Volksschulen nicht ausgelagert werden. Ihr wurden weiterhin einige Räume überlassen, sie<br />

„genoss“ aber an der Berufsschule nur noch Gastrechte. 361 Für die Gewerbliche<br />

Berufsschule waren drei geräumige Zeichensäle, drei Werkräume und zwei Klassenräume<br />

entstanden, die alle mit neuzeitlichen Sitz- und Zeichengelegenheiten ausgestattet worden<br />

waren. Mehrere Nebenräume nahmen Lehr- und weitere Hilfsmittel auf. Auch der Schulleiter<br />

erhielt endlich ein eigenes Dienstzimmer. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch an Stelle des<br />

bisherigen Abendunterrichts der Nachmittagsunterricht (14:00 - 20:00 Uhr) auf Beschluss des<br />

Magistrats eingeführt. Mit dieser Regelung waren allerdings die Handwerksmeister nicht<br />

einverstanden.<br />

359 Protokoll vom 27.3.23; ebd.<br />

360 Die „Hülfsschule“ wurde 1913 in der Nicolaischule eingerichtet. 1939 zog sie von der Südstraße um in die<br />

katholische Volksschule am Andreaswall 17. 1964 zog dann die Sonderschule („Andreasschule“) in das<br />

ehemalige Gebäude der Realschule am Andreaswall (danach Kreisvolksschule, heute zweiter Standort des<br />

Gymnasiums am Wall).<br />

361 Vgl. Schreiben des Magistrats vom 16.08.28 an den Leiter der Hilfsschule, Hilfsschullehrer Scharf;<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 3,3.<br />

91


Schulgebäude der Berufsschule in der Südstraße (ab 1928). Die umgebaute Feldkaserne beherbergte<br />

von 1920-1928 die Mädchenabteilung der Mittelschule. Ausschnittsvergrößerung von einer Postkarte<br />

von 1897. (Sammlung Ewald Meyer, <strong>Verden</strong>)<br />

Zoff mit den Handwerksmeistern<br />

Im Mai 1930 schrieb der Leiter des Innungsausschusses, der Tischlermeister Kindt, an den<br />

Magistrat in <strong>Verden</strong> und beschwerte sich über den Schulleiter, da er sich nicht vor<br />

Festlegung des Stundenplanes an den Innungsausschuss gewandt hatte zwecks<br />

anderweitiger Festsetzung der Berufsschulstunden. 362 Heinrich von Bergen gab auf Wunsch<br />

des Magistrats zu dieser Eingabe eine fünfseitige Stellungnahme ab, wobei er mit den<br />

<strong>Verden</strong>er Handwerkern hart ins Gericht ging:<br />

„Nach Festsetzung der Schulzeit von 14-20 Uhr durch den Magistrat, zu der die Innungen in einer Versammlung<br />

bei Bruer 363 ihre Einwilligung gegeben haben, hielt ich mich als Schulleiter nicht für verpflichtet, den<br />

Innungsausschuss um Genehmigung des Stundenplans der Berufsschule anzugehen. Er ist für mich keine<br />

Aufsichtsinstanz. Wenn der Innungsausschuss besondere Wünsche vorzutragen hatte, so musste er wissen,<br />

wo ich dienstlich zu finden war. Auf gelegentliche Bemerkungen, die vielleicht sogar am Biertische fielen, kann<br />

ich mich nicht einlassen. [...]<br />

Als Berufsschulleiter muss ich mich mit aller Entschiedenheit auf den Standpunkt stellen, dass die<br />

Berufsschulausbildung genau so gut zu der Ausbildung des Lehrlings gehört, wie die praktische Anweisung,<br />

und dass der Lehrling ein Recht darauf hat, dass ihm die nötige Zeit dazu bereitgestellt wird, auch wenn sie in<br />

die Arbeitszeit fällt. Ich muss mich vom pädagogischen Standpunkte aus dagegen aussprechen, dass man von<br />

den Lehrern fordert, mit Schülern das Ziel der Schule zu erreichen, die des Tages Last und Hitze auf dem Bau<br />

und in der Werkstatt getragen haben und nach Feierabend angestrengt geistig arbeiten sollen. Jahrelang haben<br />

wir es erlebt, dass mit solchen Schülern nicht erfolgreich zu arbeiten ist. Bei den Gesellenprüfungen werden<br />

aber diese Uebelstände nicht berücksichtigt, da wird die mangelnde Leistung stets der Schule zugeschrieben.<br />

Es wird auch fast nie berücksichtigt, dass die Auswahl der Lehrlinge sehr oft nach den Knochen und nicht nach<br />

dem Kopf getätigt wird.<br />

Ich konnte nicht umhin, diese Bemerkung einzuschieben, da fast auf jeder grösseren<br />

Handwerkerversammlung die gute Ausbildung des Nachwuchses mit Recht gefordert wird. Nach meiner<br />

Meinung gilt aber als Nachwuchs die gesamte Lehrlingschaft und nicht nur einige Auserwählte, denen die<br />

selbständige Meisterschaft schon mit in die Wiege gelegt ist. Deshalb ist es das Bestreben der Lehrerschaft der<br />

362 Vgl. Schreiben von Kindt vom 10.5.30 an den Magistrat; ebd.<br />

363 Walter Bruer hatte ein „Spezialhaus für Innendekoration“ (Gardinen, Teppiche, Tapeten, Rohrmöbel) in<br />

<strong>Verden</strong>, Große Straße 127.<br />

92


Berufsschule, der Gesamtheit der Lehrlinge die Grundlage für erfolgreiches Weiterstreben mitzugeben. Dazu<br />

bedarf es aber frischer aufnahmefähiger Jungen und keiner Schlafmützen. [...]<br />

Einige Meister und Innungen haben mich sogar in sehr unfreundlicher und unfeiner Weise mit Aeusserungen<br />

bedacht, die den guten Willen zu einer sachlichen Regelung von der Seite zum mindesten als fraglich<br />

erscheinen lassen.“ 364<br />

Im Antwortschreiben des Magistrats an den Innungsausschuss machte sich der Magistrat<br />

den Standpunkt des Berufsschulleiters zu eigen und betonte, dass eine Verlegung der<br />

Unterrichtsstunden nur mit der Zustimmung des Magistrats erfolgen dürfte. 365<br />

In einem Artikel in der örtlichen Zeitung wurde der Konflikt auch öffentlich gemacht:<br />

„B e r u f s s c h u l e. Der Bürgermeister 366 stellte mit Genugtuung fest, daß Leistungen und Besuch der<br />

Berufsschule völlig auf der Höhe sind. - Bv. Corleis 367 wandte sich gegen den Unterricht an den Nachmittagen.<br />

Das bedeute eine Härte für manchen Meister, insbesondere im Baugewerbe. Die Arbeitgeber hätten nicht nur<br />

Schulbeiträge, sondern auch den Lohn für die in der Schule verbrachten Stunden zu zahlen. Die ohnehin<br />

schwer belastete Wirtschaft könne diese Ausgabe nicht mehr tragen; es müsse versucht werden, den Unterricht<br />

möglichst in die Abendstunden zu verlegen. Der Bürgermeister erwiderte darauf, daß sich der Magistrat in den<br />

inneren Schulbetrieb nicht einmischen könne. Dies sei Sache des Schulleiters, und es sei zu empfehlen, mit<br />

diesem direkt in Verbindung zu treten. Eine Befreiung der Arbeitgeber von den Beiträgen zur Berufsschule sei<br />

nicht möglich. Ebenso entspreche es gesetzlichen Bestimmungen, daß der Unterricht innerhalb der Arbeitszeit<br />

stattzufinden habe. Es folgte noch eine kurze Auseinandersetzung zwischen den Bvv. Corleis, Austmeyer 368<br />

und Lieberknecht 369 über den Unterricht der Berufsschule während der Arbeitszeit, in der die gegensätzlichen<br />

Anschauungen zum Ausdruck gebracht wurden.“ 370<br />

High tech für Gewerbeoberlehrer und Handelsoberlehrerin<br />

In einem Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe aus dem Jahre 1929 wurden neue<br />

Amtsbezeichnungen für Lehrpersonen an Berufsschulen eingeführt. Die LehrerInnen mit der<br />

Anstellungsfähigkeit als Gewerbe- oder HandelslehrerIn hatten dann die Amtsbezeichnung<br />

„GewerbeoberlehrerIn“ oder „HandelsoberlehrerIn“. 371<br />

In dieser Zeit hatte das Rundfunkwesen viele Neuerungen geschaffen, u. a. auch die<br />

Schulfunksendungen in Form von Vorträgen über Fachgebiete der gewerblichen<br />

Berufsschulen und die fremdsprachlichen Unterrichtsstunden für die kaufmännischen<br />

<strong>Schulen</strong>. Der Minister für Handel und Gewerbe gewährte bei der Anschaffung von<br />

hochwertigen Empfangsgeräten einmalige Zuschüsse in Höhe von 33% der<br />

Beschaffungskosten. Die Geräte boten auch die Möglichkeit, fremdsprachliche Schallplatten<br />

auf den Lautsprecher zu übertragen. 372<br />

364<br />

Schreiben des Schulleiters vom 10.5.30 an den Magistrat; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Rep. II, H XVI 3,3.<br />

365<br />

Schreiben des Magistrats vom 4.6.30 an Kindt; ebd.<br />

366<br />

Dr. Hans Urban war Bürgermeister von 1919 bis 1937.<br />

367<br />

Baumeister Christian Corleis hatte in <strong>Verden</strong> ein Baugeschäft, Architekturbüro und eine Zementwarenfabrik<br />

in der Nassen Straße.<br />

368<br />

Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Bürgerschaftsverordneten um den Maurer- und Zimmermeister<br />

Heinrich Austmeyer jr. (Bauunternehmung und Betonwerk, Hafenstraße 6, Brückstraße 18). Er wurde, wie oben<br />

beschrieben, 1923 als Zeichenlehrer eingestellt. Er wird sich vermutlich für die Belange der Schule eingesetzt<br />

haben.<br />

369<br />

Georg Lieberknecht war Zigarrenmacher und wurde am 9.11.1918 als Schriftleiter in den <strong>Verden</strong>er<br />

Arbeiterrat, der sich aus Mehrheitssozialdemokraten zusammensetzte, gewählt. Vgl. DRICHEL, o. J., S. 14ff; Das<br />

<strong>Verden</strong>er Adressbuch verzeichnet ihn noch 1934.<br />

370<br />

Artikel vom 3.7.30 im <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt; in: Protokollbuch; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong>.<br />

371<br />

Vgl. Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 17.9.29; ebd.<br />

372<br />

Vgl. Schreiben vom 16.8.29; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

93


Im Jahre 1929 waren wieder einige Kollegen neu in die Schule eingetreten: die Lehrer<br />

Kraike, Pralle 373 und M. Baumgarten 374 sowie der Zeichenlehrer Markgraf. Die technische<br />

Lehrerin Frl. Bultmann, der Obermeister der Stadtwerke Markgraf und der<br />

Buchdruckereibetriebsleiter Prestel kamen 1930 an die Schule.<br />

Pflege der Staatsgesinnung<br />

Die politische Radikalisierung im Jahre 1931 veranlasste den zuständigen Minister zu einem<br />

dringenden Erlass:<br />

„S o f o r t !<br />

Betrifft: Pflege der Staatsgesinnung in den Berufs- und Fachschulen.<br />

Die Auseinandersetzungen und Kämpfe der politischen Parteien, die in der letzten Zeit sehr an Schärfe<br />

zugenommen haben, beginnen auch in die mir unterstellten Berufs- und Fachschulen einzudringen und es<br />

besteht die Gefahr, daß durch Politisierung der Jugend Unruhe und Unzufriedenheit in die Schülerschaft<br />

getragen und dadurch die unterrichtliche und erzieherische Arbeit der <strong>Schulen</strong> gefährdet wird. Es muß daher<br />

verhütet werden, daß die Jugendlichen, die über politische Einsicht noch nicht verfügen können, zu früh in die<br />

parteipolitischen Kämpfe hineingezogen werden.<br />

Hiergegen hat die Schule alle ihr zu Gebote stehenden Erziehungsmittel einzusetzen. Die Pflicht zur<br />

Erhaltung des Staates und zur Bewahrung der Staatsordnung erfordert gerade in der jetzigen Zeit, daß die<br />

Jugend Verständnis gewinnt für die inneren und äußeren Schwierigkeiten, unter denen Staat und Wirtschaft zu<br />

leiden haben. Gründliche und vielseitige staatsbürgerliche Unterweisungen sind daher notwendig. [...] Die<br />

Lehrkräfte müssen sich ferner noch mehr als bisher der Jugend auch außerhalb der Schule annehmen und<br />

versuchen, bei Spiel und Sport, Wanderungen und Unterhaltungsabenden in ein kameradschaftliches Verhältnis<br />

zu ihr zu kommen. Sie müssen sich dabei stets bewußt sein, daß die Entwicklung und Pflege der<br />

Staatsgesinnung und des Gefühls für die Verbundenheit aller Volksgenossen eine der bedeutungsvollsten<br />

Aufgaben aller <strong>Schulen</strong> ist. Diese wichtige Aufgabe können die Berufs- und Fachschulen nur dann lösen, wenn<br />

ihre Lehrer innerlich selbst auf dem Boden unseres Staates und seiner Verfassung stehen und aus dieser<br />

Überzeugung heraus im Unterrichte wie im persönlichen Verkehr taktvoll auf die Schüler einwirken.<br />

Es kann nicht geduldet werden, daß Schüler und Schülerinnen für parteipolitische Vereine und<br />

Organisationen in der Schule oder auf dem Schulgrundstück in irgend einer Form werben. Ferner ist das<br />

Tragen von Abzeichen usw. in der Schule verboten.“ 375<br />

Bereits seit Mitte der zwanziger Jahre forderten Politiker, Wissenschaftler und Offiziere eine<br />

allseits geförderte Körperkultur, um den „Geist der wehrhaften Freiheitsliebe“ verbunden mit<br />

der Treue zum eigenen Volkstum „bis zum Tode“ zu pflegen. Zugleich sollte die Jugend<br />

gegen jede Form von Pazifismus immunisiert und ein freiwilliger Arbeitsdienst eingeführt<br />

werden. Dann, gegen Ende der Weimarer Republik, machte sich eine offene „Militarisierung<br />

des Geistes“ breit. Auf höchster Ebene wurden konkrete Entscheidungen getroffen, sicher<br />

auch verbunden mit dem Zweck, den Aktivitäten radikaler Organisationen entgegenzuwirken<br />

und einen Beitrag zur Befriedung des Reiches zu schaffen. Die Jugend sollte, wie oben<br />

angeführt, an den Staat heran geführt, zu tätiger Staatsgesinnung erzogen und körperlich wie<br />

geistig „gestählt“ werden. In <strong>Schulen</strong> wurden von pensionierten Offizieren so genannte Zwei-<br />

Wochen-Lehrgänge eingerichtet und wehrsportliche Übungen abgehalten. Bis Anfang 1933<br />

wurden über 200.000 junge Männer an „Manneszucht, Gehorsam und Unterordnung“<br />

gewöhnt. 1932 wurden dafür im Reichshaushalt 1,5 Millionen RM zur Verfügung gestellt. 376<br />

Eine weitere infrastrukturelle Maßnahme war die Einführung des Flugsports. Obwohl in den<br />

373 Pralle war hauptamtlicher Lehrer an der Nicolaischule.<br />

374 Baumgarten war bereits im September 1922 für den in den Ruhestand gegangenen Zeichenlehrer Beyer in<br />

die Schule eingetreten. Wegen Überarbeitung schied er aber zunächst im September 1926 aus.<br />

375 Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom 24.2.31 an die Regierungspräsidenten; ebd.<br />

376 JACOBSEN 1987, S. 360f.<br />

94


Versailler Abrüstungsbestimmungen der Aufbau einer Luftwaffe verboten worden war, wurde<br />

dieses Ziel mehr oder weniger heimlich in Angriff genommen. 377 Dies spiegelt sich auch in<br />

den Unterrichtsinhalten der <strong>Schulen</strong> wider.<br />

In einem Erlass des Ministers für Handel und Gewerbe vom April 1932 wird auf die<br />

Zuständigkeit des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bez. der<br />

„Einführung der Jugend in die Luftfahrt“ verwiesen. Folgende Aufgaben gehörten u. a. zum<br />

Geschäftsbereich dieses Ministeriums:<br />

– Einführung des Luftfahrtgedankens in den planmäßigen Unterricht<br />

(naturwissenschaftliche und mathematische Fächer, Geographie und Heimatkunde)<br />

– Veranstaltungen von Einführungslehrgängen in die Luftfahrt während der<br />

Sommerferien in Warnemünde<br />

– Modellflugwettbewerb für Schüler<br />

Zum Geschäftsbereich des Ministeriums für Handel und Gewerbe gehörte im Rahmen dieses<br />

Aufgabenkreises in der Hauptsache die Ausbildung von Lehrern im Segelflug (in der Rhön<br />

und im Riesengebirge) und die Förderung und Unterstützung der freiwilligen<br />

Einführungslehrgänge an den Fach- und gewerblichen Berufsschulen. 378<br />

100 Jahre Gewerbliche Berufsschule <strong>Verden</strong><br />

In der Lehrer-Konferenz vom März 1931 wurde der 4. August als Termin für die 100-Jahr-<br />

Feier der Berufsschule festgelegt. 379 Ein paar Tage später tagte die Konferenz der 13<br />

Zeichenlehrer, bei der der neue Lehrplan besprochen wurde. Als neuer Kollege wurde der<br />

Oberingenieur und Schlossermeister Cuhls begrüßt. Es wurde beschlossen, zur<br />

Jahrhundertfeier eine Ausstellung auszurichten. 380 Im Jubiläumsjahr 1931 wurden die 252<br />

SchülerInnen in 12 Klassen und 13 Zeichenabteilungen von 20 Lehrkräften unterrichtet. Die<br />

durchschnittliche Klassenstärke lag bei 21 SchülerInnen. In seiner Schulchronik schrieb der<br />

Schulleiter von Bergen:<br />

„100 Jahre ernster Arbeit vieler Lehrer liegen jetzt hinter uns. Bedeutende Männer haben ihre ganze Kraft<br />

eingesetzt für das Gedeihen der Schule und die damit verbundene Förderung des Handwerks.<br />

100 Jahre haben strebsame junge Leute in ihr den Keim zu ihrem späteren Können und Wohlstand gelegt<br />

und mancher Name in alten Listen ist vorhanden, der heute noch in der Stadt guten Klang hat. Generationen<br />

von Handwerkern haben der Gewerbeschule viel zu verdanken und dadurch erklärt es sich, daß sich die<br />

Ueberzeugung jetzt in allen Handwerkerkreisen durchgesetzt hat, daß ohne Berufsschule eine gediegene<br />

Lehrlingsausbildung nicht mehr möglich ist.“ 381<br />

Am 4. August um 15:30 Uhr war es dann so weit. Alle SchülerInnen und LehrerInnen<br />

versammelten sich zur Feier in Höltjes Garten. Die Jubiläumsausstellung in der Berufsschule<br />

wurde ein großer Erfolg. In der Presse wurde darüber berichtet:<br />

„Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Gewerblichen Berufsschule findet im Gebäude der Berufsschule an<br />

der Südstraße eine Jubiläumsausstellung statt, die einen Einblick in die Ausbildungsarbeit dieser technischen<br />

Lehranstalt gibt. Durch freundliche gärtnerische Anlagen hat im Laufe der letzten Jahre das Schulgebäude<br />

schon äußerlich ganz seinen ehemaligen nüchternen Kasernencharakter verloren. Ein aus Kupfer geschnittener<br />

Ausleger mit dem Wahrzeichen aller in der Schule vertretenen Gewerke ist jetzt an der Eingangstür der Schule<br />

377<br />

Der Reichsminister für Luftfahrt, Hermann Göring, hatte am 10.03.35 offiziell die Existenz einer Luftwaffe<br />

enthüllt.<br />

378<br />

Runderlass der beiden Ministerien vom 19.4.32; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

379<br />

Vgl. Protokollbuch vom 12.3.31; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

380<br />

Vgl. Protokollbuch vom 16.3.31; ebd.<br />

381 BERGEN 1931, S. 12f.<br />

95


angebracht. Das Schild wurde von Schülern der Anstalt entworfen, macht einen recht gefälligen Eindruck und<br />

gereicht dem Schulgebäude ebenso wie das von Glasermeister Carl Schwabe gestiftete große bunte<br />

Oberlichtfenster über der Eingangstür mit der Inschrift »<strong>1831</strong> Gewerbliche Berufsschule 1931« zur Zierde.<br />

In der Eingangshalle hat ein großes von Zimmerern, Tischlern und Bildhauern, die in der Schule ihre<br />

Ausbildung genießen, hergestelltes großes Holzmodell der St. Johanniskirche Aufstellung gefunden. [...] Auch<br />

das große niedersächsische Bauernhaus ist aus Anlaß der Ausstellung aus dem Heimatbundmuseum nach der<br />

Schule geschafft und wird viel bewundert. Ein Stück von bleibendem Wert ist auch der in dem Flur aufgehängte<br />

Beleuchtungskörper in Form eines großen Wagenrades. Hier haben Stellmacher und Elektriker mustergültig<br />

zusammengearbeitet. Und dann marschieren in den einzelnen Sälen alle die verschiedenen Gewerke mit ihren<br />

Zeichnungen und Modellierarbeiten auf. [...] Bäcker und Konditor haben sich, wie immer, in zeichnerischen<br />

Entwürfen und praktischen Modellierarbeiten für Torten betätigt. [...] So sind alle Gewerkzweige in der<br />

Ausstellung vertreten und, wie sich das für eine Jubiläumsschau auch so gehört, fehlt ebenfalls eine historische<br />

Abteilung nicht.“ 382<br />

Nach den Herbstferien 1931 wurde in einem Ministererlass geregelt, dass zukünftig keine<br />

Zensuren mehr in Betragen, Fleiß und Aufmerksamkeit gegeben werden durften. Dafür<br />

sollten über jede(n) Schüler/Schülerin schriftlich eine Charakteristik dargelegt werden. 383 Im<br />

Oktober traten die Kollegen Markgraf und Bunte aus dem Kollegium aus und folgende Lehrer<br />

ein: Heinbockel, Lenz, Ohlrogge, Pralle, Wolters und Wortmann. 384 Doch der nächste<br />

Wechsel ließ nicht lange auf sich warten.<br />

Vom Nebenamt zum Hauptamt<br />

Als durch die Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre in den größeren Berufsschulen mit<br />

hauptamtlichen Lehrkräften der oben aufgezeigte Schülerrückgang eintrat, verursacht durch<br />

die Arbeitslosigkeit und die schwachen Kriegsjahrgänge, mussten die dadurch frei<br />

gewordenen Gewerbe- und Handelslehrer anderweitig untergebracht werden. Die<br />

Schulaufsichtsbehörden wurden aufgrund einer Notverordnung ermächtigt, die entlassenen<br />

Berufsschullehrkräfte den kleineren bis dahin nebenamtlich betriebenen Berufsschulen<br />

zuzuweisen. Am 4. Januar 1932 übernahmen auf Einwirkung der Bezirksregierung in Stade<br />

die beiden Gewerbeoberlehrer Paul Maetz aus Aumund und Lange aus Wilhelmshaven<br />

nahezu den gesamten Unterricht an der Gewerblichen Berufsschule. 385 Maetz übernahm den<br />

Unterricht bei den Bauhandwerkern, Lange den in den Metallarbeiterklassen, in der<br />

Nahrungsmittel- und der Gärtnerklasse. Schulleiter, obwohl nur nebenamtlich angestellt,<br />

blieb Heinrich von Bergen. Er behielt den Zeichenunterricht der Tischler und Malermeister<br />

Meyer, Schneidermeister Pietzsch, Konditormeister Lehmann und Buchdruckermeister<br />

Prestel übernahmen auch im Nebenamt die Zeichen- und Modellierabteilungen ihrer<br />

Gewerbe. Frl. Bultmann übernahm auch weiterhin als technische Lehrerin den<br />

Handarbeitsunterricht der Mädchen. 386<br />

Das hier häufig zitierte Protokollbuch (1898 bis 1932), in das die Schulleiter 34 Jahre lang<br />

handschriftlich die Protokolle der Konferenzen eintrugen, endet mit den Eintragungen der<br />

Konferenz vom 19.02.1932. Die darauf folgenden Protokolle müssen in ein neues<br />

gebundenes Exemplar eingetragen worden sein. Dieses Protokollbuch, das natürlich auch<br />

die 12 Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ dokumentierte, ist offensichtlich so gut<br />

„weggelegt“ worden, dass es nicht mehr aufzufinden ist. Es ist auch nicht verwunderlich, war<br />

doch Schulleiter Heinrich von Bergen ein überzeugter Nationalsozialist!<br />

382<br />

<strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 4.8.31; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>.<br />

383<br />

Vgl. Protokollbuch vom 21.9.31; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

384<br />

Vgl. Protokollbuch vom 1.10.31; ebd.<br />

385<br />

Vgl. THIES 1962, S. 378.<br />

386<br />

Vgl. Protokollbuch vom 11.1.32; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

96


Anzeige zum Tode des ehemaligen Schulleiters Heinrich von Bergen.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 2./3.7.1938; Stadtarchiv <strong>Verden</strong>.<br />

Kapitel 5: Die Berufsschule im „Dritten Reich“ 387<br />

„Die Berufsschule [...] wird diese Jugend im Sinne unseres deutschen Führers zu den W e r t e n führen helfen<br />

– denn sie k a n n es, so gerne man auch hier und da ihren Beruf dazu bezweifelt –, sie wird h e l f e n , sie<br />

zur Gestaltung zu führen, das heißt: zum Dienen und Einordnen, zum Volksbewusstsein, zum Begreifen der<br />

Mächte Blut und Boden, der Tatsachen Volk und Staat.“ 388<br />

Eine Chronik über die „Städtische Berufsschule <strong>Verden</strong>“ während der 12-jährigen NS-<br />

Diktatur zu schreiben ist schwierig, da kaum Dokumente aus dieser Periode überliefert sind.<br />

Die Schulleitung muss beim „Zusammenbruch“ gründlich „aufgeräumt“ haben. Es soll<br />

deshalb hier hauptsächlich auf die allgemeine Situation des Berufsschulwesens im<br />

Deutschen Reich nach der „Machtübernahme“ am 30.01.1933 eingegangen werden. Der<br />

Versuch der Nazis, Einfluss auf die Jugendlichen zu nehmen, begann aber schon vor 1933.<br />

387 Die im heutigen Sprachgebrauch für den NS-Staat verbreitete Bezeichnung „Drittes Reich“ wurde nicht von<br />

Hitler und den Nationalsozialisten erfunden. Arthur Moeller an den Bruck veröffentlichte 1923 ein Buch über<br />

„Das Dritte Reich“, in dem er sich für die Schaffung eines neuen Staates einsetzte, der die verhasste<br />

Demokratie von Weimar ersetzen und an die Traditionen sowohl des Heiligen Römischen Reiches dt. Nation<br />

wie des Bismarck-Reiches anknüpfen sollte. Auch die Nazis kündigten schließlich an, ein „Drittes Reich“<br />

errichten zu wollen. Hitler verkündete dann offiziell am 1.9.33, dass der von ihm geführte Staat ein „Drittes<br />

Reich“ sei, dass „tausend Jahre“ dauern werde. Doch am 10.7.39 wies Goebbels die Presse an, künftig den<br />

Begriff „Drittes Reich“ zu meiden und statt dessen den Terminus „Großdeutsches Reich“ zu verwenden. Vgl.<br />

BENZ 1998, S. 435.<br />

388 DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE 1933, S. 243. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 569.<br />

97


Politische Auseinandersetzungen an den Berufsschulen vor der „Machtübernahme“<br />

Die Weimarer Republik wehrte sich heftig gegen die Angriffe von rechts. So wurde z. B. der<br />

nationalsozialistische Schülerbund verboten. In Bremervörde verteilte im August 1931 der<br />

Lehrling Karl B. unter seinen Mitschülern der kaufmännischen Berufsschule ein NS-Flugblatt,<br />

das sich an die „deutschen Schüler und deutschen Jugendgenossen“ richtete. Die<br />

Polizeiverwaltung konfiszierte die Flugblätter und lud den Lehrling, zusammen mit seinem<br />

Lehrherrn vor, um darauf hinzuwirken, „dass derartiges nicht wieder vorkommt.“ Außerdem<br />

erstattete die Polizei Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. 389 Der Inhalt des Flugblattes, das<br />

sich gegen die Verfassungsfeiern in der Weimarer Republik richtet, ist sehr aufschlussreich,<br />

spiegelt es doch die damaligen Machtkämpfe zwischen links und rechts wider:<br />

„A b s c h r i f t !<br />

A u f r u f !<br />

Gegen die Verfassungsfeiern!<br />

Deutsche Schüler! Deutsche Jugendgenossen!<br />

Im Juni fand in der Aula des Berliner Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in der<br />

Kochstraße eine Antifaschistische Kampfkundgebung der Roten Schülerbünde in<br />

Gemeinschaft mit der Sozialdemokratischen Jugend statt, zu deren Zweck die Schulaula mit<br />

roten Tüchern ´geschmackvoll´ dekoriert worden war. Die auf dem Podium stehende<br />

Bismarkbüste [sic!] hatte man taktvoll verhüllt.<br />

Ja, so haben wir uns ungefähr die Schule in Schönheit und Würde vorgestellt; dem<br />

weitaus größten Teil der nationalsozialistischen Jugend werden Turnhallen zur<br />

Körperertüchtigung, die Heime und staatlichen Jugendherbergen zur Pflege der<br />

Jugendgemeinschaft und alle sonstigen staatlichen Vergünstigungen, wie beispielsweise die<br />

Fahrpreisermäßigungen auf der Eisenbahn, versagt, weil diese Jugend angeblich<br />

staatsfeindlich eingestellt ist. Die Zahl der von den <strong>Schulen</strong> wegen nationalsozialistischer<br />

Gesinnung vertriebenen Schüler nähert sich bereits dem ersten Hundert! 390<br />

Deutsche Schüler! Diese Opfer sollen nicht umsonst gewesen sein! Vergesst nie, dass<br />

man euch wegen eurer Gesinnung verfolgt und schikaniert! Wehrt euch dagegen mit allen<br />

Mitteln, wo liberale und marcistische [sic!] Behörden, international-pazifistische Studienräte<br />

versuchen, sich der Welle des Erwachens entgegenzustemmen und euch unterdrücken<br />

wollen. Überall auf den <strong>Schulen</strong> versucht der Marcismus [sic!] und der Pazifismus seine<br />

Zerstörungsarbeit am deutschen Volke fortzuführen und schon den jungen Menschen von<br />

allem gesunden Denken und Fühlen fernzuhalten. Vergesst es nicht, dass man auch heute<br />

noch eine intensive Durchnahme des Versailler Schanddiktats und des Joungpaktes [sic!] im<br />

Geschichtsunterricht verbietet, dagegen Propaganda für Völkerversöhnung und Pazifismus<br />

offiziell befiehlt.<br />

Erinnert euch daran, wenn jetzt am 10./11. August ein sterbendes System euch<br />

zwingt, seine Verfassung zu feiern. Verlacht die Gesinnungslumpen, die euch von<br />

demokratischer Freiheit und republikanischen Fortschritten vorschwätzen. Ihr verspürt diese<br />

demokratische Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit doch am eigenen Leibe. [...]<br />

389 Vgl. Schreiben der städtischen Polizeiverwaltung vom 13.08.31 an den Regierungspräsidenten in Stade;<br />

Niedersächsisches Staatsarchiv Stade, Rep. 180 P, Nr. 1381.<br />

390 Der Preußische Minister für Wirtschaft und Arbeit erließ bereits am 29.4.33 einen Erlass, der bestimmte,<br />

dass alle Schulstrafen aufzuheben sind, die seit dem 1.1.25 gegen SchülerInnen der Fach- und Berufsschulen<br />

„wegen Handlungen aus nationalen Beweggründen“ verhängt worden waren. Vgl. Erlass (Nr. III B 3964 Hsm. I<br />

999 Boe); Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

98


Reiht auch ihr euch ein in diese Front! Steht nicht feige und lau beiseite! Auf jeden<br />

kommt es an! Wir wollen jeden!<br />

Jeder deutsche Schüler soll es sein!<br />

Fürchtet nicht die lächerlichen Verbote!<br />

Lasst euch nicht zu charakterlosen Konjunkturjünglingen heranzüchten!<br />

Seid Kämpfer für das kommende Reich! Lasst die anderen ihre Verfassung feiern. Es wird<br />

die letzte Feier sein.<br />

„Deutschland soll leben, und wenn wir sterben müssen!“<br />

Mit diesem Ruf auf den Lippen opfert die deutsche Vorkriegsjugend ihr Höchstes, ihr Leben<br />

für Volk und Vaterland. [...]<br />

Deutschlands Jugend ist im Anmarsch, um das Werk der gefallenen Freiheitskämpfer<br />

zu vollenden. Jeden deutschen Schüler brauchen wir! K o m m t !<br />

Der Gauführer H. O.<br />

des verbotenen National-Sozialistischen Schülerbundes.<br />

gez: Karl G r ä f i n g , Buchholz.<br />

- - - -<br />

N i c h t ö f f e n t l i c h v e r t e i l e n !”<br />

Der Preußische Minister für Handel und Gewerbe gab im Februar 1932 eine Verfügung über<br />

die „Pflege der Staatsgesinnung in den Berufs- und Fachschulen“ heraus:<br />

„Die Auseinandersetzungen und Kämpfe der politischen Parteien, die in der letzter Zeit sehr<br />

an Schärfe zugenommen haben, beginnen auch in die mir unterstellten Berufs- und<br />

Fachschulen einzudringen und es besteht die Gefahr, dass durch Politisierung der Jugend<br />

Unruhe und Unzufriedenheit in die Schülerschaft getragen und dadurch die unterrichtliche<br />

und erzieherische Arbeit der <strong>Schulen</strong> gefährdet wird. Es muss daher verhütet werden, dass<br />

die Jugendlichen, die über politische Einsicht noch nicht verfügen können, zu früh in die<br />

parteipolitischen Kämpfe hineingezogen werden. [...] Die Pflicht zur Erhaltung des Staates<br />

und zur Bewahrung der Staatsordnung erfordert gerade in der jetzigen Zeit, dass die Jugend<br />

Verständnis gewinnt für die inneren und äußeren Schwierigkeiten, unter denen Staat und<br />

Wirtschaft zu leiden haben. Gründliche und vielseitige staatsbügerliche Unterweisungen sind<br />

daher notwendig. [...] Es kann nicht geduldet werden, dass Schüler und Schülerinnen für<br />

parteipolitische Vereine und Organisationen in der Schule oder auf dem Schulgrundstück in<br />

irgend einer Form werben. Ferner ist das Tragen von Abzeichen usw. in der Schule<br />

verboten.“ 391<br />

Ausbildungspolitik in Industrie und Handwerk<br />

„Es gibt [...] im Grunde nur einen Weg, um die seelischen Voraussetzungen für eine restlose Auswertung der<br />

Körperkräfte der Arbeiterschaft zu schaffen. Er besteht in der Erziehung zu einem unbedingten Willen zur<br />

Arbeit. Diese Willensschulung ist das Kernstück der wirtschaftlichen Erziehung.“ 392<br />

391<br />

Erlass des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 24.2.32 an die Regierungspräsidenten;<br />

Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 3/15 a.<br />

392<br />

ABRAHAM 1937, S. 59f. Zitiert nach SEUBERT 1977, S. 186. Nach ABRAHAM sollte sich die Erziehung zur Arbeit<br />

in drei Ebenen vollziehen: „Der Einzelne muss Kenntnisse besitzen; er muss den festen Willen haben, diese<br />

Kenntnisse anzuwenden; und er muss ein klares und waches Gewissen haben, das ihn davor bewahrt, sein<br />

Wissen und seinen Willen für Dinge einzusetzen, die die Ordnung untergraben und damit die Gemeinschaft<br />

seines Betriebes und der gesamten Volkswirtschaft zerstören.“ Ebd., S. 122. Zitiert nach SEUBERT 1977, S. 186.<br />

Über zwei Jahrzehnte war dieser Lobredner der nationalsozialistischen Ordnung Hochschullehrer für<br />

Wirtschaftspädagogik an Hochschulen der Bundesrepublik.<br />

99


100<br />

Bevor die Nationalsozialisten Einfluss auf das Berufsschulsystem in Deutschland nehmen<br />

konnten, kam es zu ausbildungspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Industrie und<br />

Handwerk. Die Industrie wollte für ihre – anders ausgebildeten – Lehrlinge eigene<br />

Gesellenprüfungen durchführen. Die prüfungsrechtliche Abgrenzung industrieller<br />

Lehrlingsausbildung vom Handwerk wurde ab 1926 unterstützt von der Arbeit des<br />

„Deutschen Ausschusses für Technisches Schulwesen“ (DATSCH), einer Gründung des<br />

„Vereins deutscher Maschinenbau-Anstalten“ und des „Arbeitsausschusses für<br />

Berufsbildung“ (AfB). Vordringliche Aufgabe dieser beiden Institutionen war es, eine<br />

Abgrenzung und Systematisierung der unüberschaubaren Vielfalt der Industrieberufe<br />

vorzunehmen. Mit der Unterscheidung von Facharbeitern, angelernten und ungelernten<br />

Arbeitern, mit einer inhaltlichen Definition der Lehrberufe durch ein Berufsbild, sowie mit<br />

einheitlichen Berufsbezeichnungen und Ausbildungszeiten hatte der DATSCH im Rahmen<br />

des AfB im Jahre 1926 die erste Berufsabgrenzung in der Metallindustrie, im Schiffbau und in<br />

der chemischen Industrie vorgenommen. Bezüglich einer Entscheidung des Prüfungsstreites<br />

ergab sich 1935 die Chance für die Industrie, da das Wiederaufrüstungsprogramm deren<br />

Rolle stärkte. Die Industrie konnte schrittweise die alleinige Zuständigkeit der Industrie- und<br />

Handelskammern für die Facharbeiterprüfung sowie deren Gleichstellung mit der<br />

handwerklichen Gesellenprüfung durchsetzen. Mit einem Erlass des Reichs- und<br />

Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aus dem Jahre 1938<br />

wurde der Gleichstellungskampf offiziell abgeschlossen – das Prüfungsmonopol des<br />

Handwerks war gebrochen. Und, was noch wichtiger war, das industrielle Ausbildungsmodell<br />

hatte sich durchgesetzt, und mit dem Facharbeiter war ein neuer Qualifikationstyp, eine neue<br />

„Sozialfigur“ geboren. 393<br />

Neben dem DATSCH wurde für die Planung einer eigenen Facharbeiterausbildung das<br />

„Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung“ (DINTA) wichtig. Die Bestrebungen dieses<br />

Instituts zielten u. a. auf die Beseitigung der feindlichen Oppositionsstellung des Arbeiters<br />

und Unternehmers, um so eine „wirtschaftsfriedliche“ Arbeiterschaft zu erziehen, die den<br />

„schädlichen Klassenkampfgedanken“ überwunden hat. 394 Um dies zu erreichen,<br />

konzentrierte man sich auf die Lehrlingserziehung. Problematisch am DINTA war die<br />

Tendenz zur Werksgemeinschaft mit der Stoßrichtung gegen die Gewerkschaften, das<br />

„Führerprinzip“ der DINTA-Ingenieure und die Anlehnung der betrieblichen Ausbildung an<br />

militärische Vorbilder. Dies alles deckte sich mit der Ideologie des nationalsozialistischen<br />

Systems. Nach dem Januar 1933 gliederte sich das DINTA dann auch schnell in das NS-<br />

System ein. Bereits im Juli 1933 wurde es ein selbstständiges Institut („Amt für<br />

Berufserziehung und Betriebsführung“) der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) 395 , das der<br />

NSDAP unterstellt war. Doch die geplante Übernahme der Berufsbildung durch die NSDAP<br />

misslang. In harten Auseinandersetzungen gelang es der Unternehmerschaft, vertreten<br />

durch das Reichswirtschaftsministerium und die Kammern, die Kompetenzen für die<br />

Berufsausbildung weiter voranzutreiben. Im Jahre 1935 wurde der DATSCH per Erlass des<br />

Reichswirtschaftsministers zu dessen beratendem Organ bezüglich des technischen<br />

Schulwesens ernannt. Im Rahmen des so genannten „Vierjahresplans“ und der Einleitung<br />

zur so genannten „Wehrwirtschaft“ wurde die Wirtschaft gegenüber der NSDAP gestärkt. Ab<br />

1939 wurde der DATSCH in das „Reichsinstitut für Berufsbildung in Handel und Gewerbe“ 396<br />

umgewandelt und 1941 wurde das „Amt für Berufserziehung und Betriebsführung“ der DAF<br />

393 Vgl. GREINERT 1998, S. 62f.<br />

394 Zitiert nach ebd., S. 63.<br />

395 Am 2.5.33 wurden die Verwaltungen der Gewerkschaften besetzt, das Vermögen beschlagnahmt und<br />

führende Funktionäre der Gewerkschaften verhaftet. Acht Tage später wurde die DAF gegründet, in der die<br />

Arbeiterschaft zusammengefasst wurde. Sie war ein rechtlich angeschlossener Verband der NSDAP und die<br />

größte NS-Massenorganisation. Vgl. BENZ 1998, S. 418, 489.<br />

396 Es wurde auch als „Gemeinschaftsorgan der gewerblichen Wirtschaft und der DAF“ bezeichnet.


101<br />

in das neue Reichsinstitut eingegliedert. Damit war die zentrale Stelle, von der aus die<br />

gesamte Berufserziehung gesteuert werden sollte, geschaffen aber auch dem bestimmenden<br />

Einfluss der Privatwirtschaft unterworfen worden. 397<br />

Der Antrieb der Industrie, eine eigene Berufsbildung aufzubauen, ergab sich aus den<br />

veränderten Qualifikationsanforderungen, die das Handwerk nicht mehr erfüllen konnte. 398<br />

Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ nahm die Entwicklung der<br />

Lehrwerkstätten 399 einen gewaltigen Aufschwung. Das „Sinnbild und Kennzeichen<br />

nationalsozialistischer Berufserziehung“ stieg von 170 Einrichtungen im Jahre 1933 auf 3.304<br />

im Jahre 1940. 400 Seit den 30er Jahren wurden für verwandte Berufe gemeinsame<br />

Grundlehrgänge 401 entwickelt, die nach dem Krieg zur Stufenausbildung führten. Ab 1932<br />

akzeptierte der Deutsche Industrie- und Handelstag die öffentliche Berufsschule als zweiten<br />

Lernort außerhalb der betrieblichen Verfügungsmacht. Die Werkschulen, private<br />

Berufsschulen der Unternehmen, wurden 1942 abgeschafft, nachdem die Betriebe von den<br />

bis dahin üblichen Berufsschulbeiträgen befreit wurden. 402<br />

Trotz vielfältiger Regelungen zur Gewerbeordnung gab es bis zum Ende der Weimarer<br />

Republik keine rechtlich verbindliche Abgrenzung der Handwerke und keine fachlichinhaltlich<br />

geregelte Ordnung der handwerklichen Berufsausbildung. Nachdem der Versuch<br />

einer Verabschiedung einer „Reichshandwerksordnung“ in den 20er Jahren gescheitert war,<br />

gingen die Nationalsozialisten ab 1934 daran, dem Handwerk eine neue Rechtsstruktur zu<br />

geben. Mit der Einführung des „Großen Befähigungsnachweises“ von 1935 wurde die<br />

Berufsausbildung im Handwerk reichseinheitlich geregelt. Ab 1937 erfolgte die Formulierung<br />

von fachlichen Grundlagen für die Lehrlingsausbildung und die Gesellenprüfungen. Damit<br />

hatte sich das Handwerk den Ordnungsprinzipien industrieller Berufsausbildung angenähert.<br />

Trotzdem hielt es an seinen rückwärts gewandten Erziehungszielen und seiner antiquierten<br />

Ausbildungspraxis fest. 403<br />

Organisatorische Entfaltung der Pflicht-Berufsschule<br />

„Es ist kein Zweifel: Die Berufsschule wird ihren Beitrag zum Neubau des völkischen Lebens und Staates<br />

liefern.“ 404<br />

In der Weimarer Republik herrschte über die neue Funktion der Berufsschule, über alle<br />

Interessengruppen hinweg, doch Einigkeit. Sie sollte durch Ergänzung und Vertiefung der<br />

beruflichen Ausbildung ihrer SchülerInnen deren leistungsfähige Teilnahme am Arbeitsleben<br />

des Volkes fördern. Der Beruf bzw. die Lohnarbeit sollten daher den berufspädagogischdidaktischen<br />

Kern des neuen Schulkonzeptes bilden. Doch bereits ab 1923 bekam die<br />

Berufsschule eine ganz andere Aufgabe zugewiesen. Sie wurde massiv in die Politik zur<br />

Bekämpfung der dramatischen Jugendarbeitslosigkeit einbezogen. Jugendliche Arbeitslose<br />

397<br />

Vgl. GREINERT 1998, S. 64f.<br />

398<br />

Werner v. Siemens z. B. war daran gelegen, vom „Künstlerschlendrian“, also den handwerklich qualifizierten<br />

Arbeitern, endlich wegzukommen. Gegen die restriktiven Arbeitsbedingungen revoltierten sogar die „Künstler-<br />

Handwerker“ bei Siemens. Es ging also darum, sich von den Künstlermechanikern unabhängig zu machen, und<br />

an ihre Stelle „Hausknechte“ (Carl v. Siemens) zu setzen. Vgl. ebd., S. 61, 66.<br />

399<br />

NS-Slogan: „Die Lehrwerkstatt als Exerzierplatz des praktischen Lebens“. Zitiert nach PÄTZOLD 1987, S. 83.<br />

400<br />

Diese Zahl wurde in der Bundesrepublik nicht mehr erreicht. 1974: 1.720 Lehrwerkstätten. Vgl. ebd., S. 66.<br />

401<br />

Der berühmt-berüchtigte Grundlehrgang „Eisen erzieht“ war wohl die augenfälligste Verschmelzung von<br />

Nazi-Ideologie und Betriebsgemeinschaftsgedanken. Vgl. GREINERT 1998, S. 67.<br />

402<br />

Vgl. ebd.<br />

403<br />

Vgl. ebd., S. 68f.<br />

404<br />

DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE 1933, S. 22. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 568.


102<br />

konnten, wenn sie älter als 16 Jahre waren, zum Berufsschulbesuch gezwungen werden. Ab<br />

1926 wurden ausnahmslos alle arbeitslosen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren in die<br />

beruflichen Bildungsmaßnahmen der Berufsschulen einbezogen. Die Berufsschule hatte sich<br />

nun auch um die so genannten „Berufslosen“ – jugendliche Arbeitslose und Jungarbeiter – zu<br />

kümmern. In den Jahren 1930 - 1933 verschärfte die Weltwirtschaftskrise die<br />

Jugendarbeitslosigkeit und so degenerierte das Berufsschulwesen fast vollständig zu einem<br />

Instrument der Sozialpolitik. Die Berufsschulen waren mit der Doppelaufgabe, Durchführung<br />

der Berufsschulpflicht und Betreuung von arbeitslosen Jugendlichen sachlich und personell<br />

total überfordert. Hinzu kamen die radikalen Sparverordnungen der Länder Anfang der 30er<br />

Jahre. Somit war die Berufsschule ernsthaft in ihrem Bestand gefährdet, dokumentiert durch<br />

die Klagen der Berufsschullehrerverbände und der Kommunen. 405<br />

Der schlechte Organisationszustand des Berufsschulwesens und die aktuelle Notlage auf<br />

dem Arbeitsmarkt (ca. 1,3 Mio. jugendliche Arbeitslose) veranlassten die NS-Machthaber,<br />

den Kulturföderalismus abzuschaffen und ab 1. Mai 1934 eine zentrale Stelle, das<br />

„Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“, mit einer „Abteilung für<br />

berufliches Ausbildungswesen“ einzurichten. Trotzdem war die Haltung der Nazis zur<br />

Berufsschule zwiespältig. Sie realisierten zwar die Konstruktion der klassischen<br />

Pflichtberufsschule, aber sie versuchten auch, diese Schule wieder ins Abseits zu drängen:<br />

Neben der ideologischen Indienstnahme sollte ihre Verselbstständigung gegenüber der<br />

Wirtschaft rückgängig gemacht werden. Das Schicksal der Berufsschule im „Dritten Reich“<br />

kann, im Gegensatz zur betrieblichen Berufsausbildung, mit „Vernachlässigung“<br />

charakterisiert werden. Die Maßnahmen der Nazis, die nachwirkten, begannen 1937, als per<br />

Erlass die Lernbereiche „Berufsschule“, „Berufsfachschule“ und „Fachschule“ erstmalig<br />

verbindlich gegliedert wurden. Im Jahre 1938 folgte die allgemeine Berufsschulpflicht. Ziel<br />

der Machthaber war es, durch Steigerung des Berufsschulbesuchs endlich alle Jugendlichen<br />

zum Zwecke ideologischer Beeinflussung und Eingliederung in die Rüstungswirtschaft zu<br />

erfassen. Auch der Ausbau des land- und hauswirtschaftlichen Berufsschulwesens wurde<br />

aus ideologischen Motiven vorangetrieben. Obwohl sich die gleichgeschaltete<br />

Berufsschullehrerschaft ein umfassendes „Reichsberufsschulgesetz“ wünschte, wurde es nie<br />

verwirklicht. Geregelt wurden von der NS-Verwaltung 1937 die Trägerschaft, Finanzierung<br />

und Inhalte des Berufsschulunterrichtes, 1940 dessen zeitlicher Umfang und die<br />

Beschulungspflicht durch die Träger. 406<br />

Innerer Ausbau der Berufsschule<br />

„Und so gehen wir allezeit ans Werk, als die pädagogischen Vollstrecker des Führerwillens auch auf unserem<br />

Felde, der deutschen Berufserziehung.“ 407<br />

Die strikte Orientierung des Berufsschullehrplans am Ausbildungsprogramm der Betriebe<br />

kam in der Zeit des Nationalsozialismus voll zum Durchbruch. 1937 erging der Erlass des<br />

Reichserziehungsministers, die Berufsschullehrpläne reichsweit umzuarbeiten. Beteiligt<br />

waren daran der DATSCH, die DAF und neben zahlreichen Wirtschaftsverbänden auch die<br />

Reichsfachschaft VI (= Berufs- und Fachschulen) des „Nationalsozialistischen Lehrerbundes“<br />

(NSLB). 1940 wurden die ersten Reichslehrpläne für Maschinenschlosser und Maurer<br />

veröffentlicht. In den darauffolgenden Jahren folgten weitere Berufe, doch aus<br />

kriegsbedingten Gründen musste das Vorhaben abgebrochen werden. Die bereits gültigen<br />

Reichslehrpläne orientierten sich ausschließlich an der Betriebsausbildung, d. h. die<br />

405 Vgl. GREINERT 1998, S. 74f.<br />

406 Vgl. ebd., S. 76f.<br />

407 DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE 1933, S. 465. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 569.


Berufsschule geriet in dieser Zeit in nahezu totale curriculare Abhängigkeit der Wirtschaft und<br />

ihr Bildungsauftrag degenerierte zur „DIN-Pädagogik“. 408<br />

Soziale Lage der Berufsschullehrer<br />

„Wir wollen nichts für uns – wir wollen alles fürs Volk; wir sind nichts, das Volk ist alles: als Glieder aber dieses<br />

Volkes und als Mitarbeiter am nationalsozialistischen Staate stehen wir für die Sache, die uns übergeben ist,<br />

zur Pflege und Vollendung.“ 409<br />

103<br />

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die durch die Notverordnungen durchgesetzte<br />

Sparpolitik im Bildungssektor, die 30- bis 40%igen Gehaltskürzungen ab 1930, die zehn- bis<br />

zwölfjährige Dauerarbeitslosigkeit der Junglehrer und nationalistisch-völkische,<br />

berufsständische und autoritäre Grundeinstellungen bildeten den materiellen und ideellen<br />

Hintergrund von großen Teilen der Lehrer in NS-Organisationen. Fest steht, dass sich bis zur<br />

Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 nur ca. 5% der Lehrer im NSLB und in<br />

der NSDAP organisierten. Danach vollzog sich aber auch bei den Lehrern der für die<br />

Mittelschichten kennzeichnende Umschwung. Bis Mai 1933 beantragten etwa 25% aller<br />

Lehrer eine Mitgliedschaft in der Partei.<br />

Ausriss „Aufruf des Nat.-sozialist. Lehrerbundes“.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Neueste Nachrichten vom 3.5.1933.<br />

Anhand der Lehrerbesoldung kann aufgezeigt werden, dass sich die Beziehung der Lehrer<br />

zum Nationalsozialismus zwischen massenhafter illusionärer Hinwendung und schroffer<br />

Desillusionierung bewegte. Der Bruttoverdienst eines Studienrats (47 Jahre) betrug 800 RM,<br />

der eines Gewerbeoberlehrers (48 Jahre) 600 RM. 410 Ein Volksschullehrer (35 Jahre)<br />

verdiente 350 RM und eine Volksschullehrerin (41 Jahre) in nicht endgültiger Anstellung 250<br />

RM. Dagegen betrug der Durchschnittslohn eines Arbeiters ca. 200 RM brutto (50<br />

Arbeitsstunden). Die Besoldungssituation für Junglehrer, die in auftragsweiser Beschäftigung<br />

in den <strong>Schulen</strong> unterrichteten, war katastrophal: ein lediger Schulamtsbewerber erhielt im<br />

ersten und zweiten Beschäftigungsjahr in der Großstadt 177 RM, auf dem Dorf 162 RM<br />

brutto (ca. 22 Wochenstunden). Das Monatsgehalt für Ersatz- und Hilfslehrer lag bei 30<br />

Wochenstunden bei 130 RM brutto. Die Folge war, dass es ab 1937 zu einer „Berufsflucht“<br />

der Lehrer „in die Wirtschaft“ kam. Dadurch stieg die Zahl der Schüler von 43 auf 48 je<br />

Klasse. Auf der anderen Seite engagierte sich eine Anzahl Lehrer überdurchschnittlich in der<br />

408 Zitiert nach GREINERT 1998, S. 80.<br />

409 DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE, 1933, S. 388. Aus dem Leitartikel „Das Dritte Reich braucht die<br />

Berufsschule!“. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 569.<br />

410 In den Quellen variieren die Gehaltsangaben in Abhängigkeit von Alter, Familienstand, Eintrittsalter,<br />

Dienstalter, Sonderzuschlägen, etc. Nach WOLSING 1977, S. 665 verdiente ein Gewerbeoberlehrer<br />

einschließlich Wohngeldzuschuss monatlich brutto zwischen 242 RM und 456 RM (3% Sonderzuschlag,<br />

verheiratet, Eingangsstufe 11, nach 20 Dienstjahren).


Partei in den Gauen, wo ein Amtskollege Gauleiter war: Als politische Leiter in den Ämtern<br />

des NSDAP-Kreisleiters, NSDAP-Ortsgruppen- oder -Stützpunktleiters waren Lehrer dort<br />

überrepräsentiert. 411<br />

104<br />

Obwohl ab 1934 berufspädagogische Zeitschriften recht früh auf den<br />

Berufsschullehrermangel aufmerksam gemacht hatten („Der Beruf übt für den Nachwuchs<br />

keinen Anreiz aus“ und „die soziale Stellung des Berufsschullehrers steht nicht in Harmonie<br />

zu dem Aufwand und der Leistung“), wurde von Seiten der Regierung nicht darauf reagiert. 412<br />

Die Folgen des Lehrermangels waren: Nichteinschulung ganzer Jahrgänge, Herabsetzung<br />

der Wochenstundenzahl, Zusammenlegung berufsverwandter Klassen, Wegfall des<br />

Sportunterrichts und die übermäßige Inanspruchnahme der vorhandenen Lehrkräfte<br />

(Überstunden). Während in der schulpolitischen Propaganda die Leistungssteigerung der<br />

Berufsschulen proklamiert wurde und sie in den Dienst des Vierjahresplanes gestellt wurde,<br />

verschärfte sich der Lehrermangel mit der Dauer des Krieges. In den geheimen<br />

Lageberichten des Sicherheitsdienstes (SD) 413 der SS („Meldungen aus dem Reich“) wurde<br />

ausdrücklich betont, dass der Lehrermangel im Berufsschulwesen sich einschneidender<br />

auswirkte als bei den übrigen Schularten. Klassenstärken von 100 Schülern, durch<br />

Zusammenlegung entstanden, waren keine Seltenheit. Die drastische Einschränkung des<br />

Berufsschulunterrichts hing auch damit zusammen, dass Berufsschullehrer in weit stärkerem<br />

Maße zur Wehrmacht eingezogen wurden als betriebliche Ausbilder. Bereits 1939 lag<br />

reichsweit der Unterrichtsausfall bei ca. 50%. Die Folge war der auffallende Rückgang der<br />

Leistung der Berufsschüler. Die „Meldungen aus dem Reich“ vom 29.12.1942 berichteten<br />

über den Leistungsverfall und die ernstlichen Sorgen der Wirtschaft: „den Prüflingen fehle<br />

nicht jenes zusätzliche Wissen auf das man allenfalls verzichten könnte, sondern die<br />

Kenntnislücken erstrecken sich auch auf die unbedingt notwendigen Grundlagen ihrer<br />

künftigen Berufsausübung, so dass die Prüflinge praktisch nicht in der Lage seien, den Platz<br />

eines Facharbeiters oder Handwerkers ordentlich auszufüllen.“ 414<br />

Erziehung der Jugend zum Nationalsozialismus<br />

„Was der Berufsschule früher die Arbeit so sehr erschwerte, die gewollte und auch gehässige Gegenwirkung<br />

von draußen, die mit gutem Bedacht erstrebte Zerstörung der Autorität des Lehrers, wird wegfallen. Alle<br />

erzieherischen Einflüsse und Faktoren werden durch das alle verpflichtende Ziel von selbst innerlich<br />

gleichgeschaltet werden; diese erzieherische Gleichrichtung macht einen nachhaltigen Erfolg möglich.“ 415<br />

Der Wirkungsgrad der nationalpolitischen Erziehung in den Berufsschulen hing natürlich in<br />

großem Maße von der Einstellung der Lehrerschaft zum Nationalsozialismus ab. Die<br />

Berufsschullehrer hatten sich in Standesverbänden organisiert und standen der Weimarer<br />

Republik bestenfalls loyal gegenüber, ohne eine innere Bindung zur Demokratie. Die<br />

Berufsschullehrerschaft war die Verlängerung einer Bildungsschicht, die sich<br />

gewohnheitsmäßig manipulieren ließ. Als die Republik von Weimar beseitigt war, war der<br />

411 Vgl. BREYVOGEL/LOHMANN 1985, S. 256f.<br />

412 Dem sozialen Anstrich des NS-Staates widersprach auch die Studiengebühr, die für viele Studienbewerber<br />

eine hohe Belastung darstellte. Am Berufspädagogischen Institut in Frankfurt/M. betrug die Gebühr je<br />

Vorlesungsabschnitt 120 RM. Vgl. WOLSING 1977, S. 670.<br />

413 Der 1931 unter Reinhard Heydrich († 4.06.42 ermordet) eingerichtete Sicherheitsdienst war zur<br />

Überwachung gegnerischer Parteien und Organisationen und innerparteilicher Opposition eingerichtet worden.<br />

Seit 1937 war er damit befasst, Nachrichten über weltanschauliche Gegner zu sammeln und die Stimmung der<br />

Bevölkerung zu ermitteln und für die „Meldungen aus dem Reich“ auszuwerten. Vgl. BENZ, 1998, S. 728.<br />

414 Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 299.<br />

415 DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE 1933, S. 117. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 568. Mit dem<br />

verpflichtenden Ziel war „das bessere Deutschland“ gemeint.


Opportunismus die Forderung des Tages, der Drang zur politischen Anpassung. Die einen<br />

hofften, dass die Notverordnungen zurückgenommen werden würden, die anderen glaubten,<br />

die Selbstständigkeit der Berufsschullehrerorganisationen zu erhalten, und manche dachten<br />

einfach an Karriere. Solange die meisten Lehrer nicht ganz genau wussten, was es mit der<br />

nationalsozialistischen „Weltanschauung“ auf sich hatte, versuchte man, sich mit dem neuen<br />

Regime gut zu stellen. 416<br />

105<br />

Die Vermittlung von NS-Gedankengut konnte nur von solchen Personen vorgenommen<br />

werden, die sich zu dem neuen System bekannten. Um alle zu erfassen, ging man deshalb<br />

dazu über, die Lehrer umzuerziehen. Als Träger und Veranstalter der<br />

„Fortbildungsmaßnahmen“ fungierten zunächst die staatlichen Schulaufsichtsbehörden und<br />

in den nachfolgenden Jahren das „Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht“. Es gab sein<br />

fachlich orientiertes Schulungsprogramm auf und ersetzte es durch Volkskunde,<br />

Rassenkunde und Heimatkunde. Die Umerziehungsmaßnahmen wurden nicht als Seminar,<br />

sondern bewusst in Lagerform abgehalten, da man die emotionale Seite der Teilnehmer<br />

ansprechen wollte. Neben den Vorträgen („Nationalsozialistische Revolution“, „Bedeutende<br />

Männer“, „Bevölkerungs- und Rassenpolitik“) sahen die Schulungsprogramme die für die NS-<br />

Ideologie typischen gemeinschaftsfördernden Unternehmungen (z. B. Frühsport,<br />

Flaggenhissung, paramilitärischen Drill, Lagerdienst, Schlafen auf dem Strohsack) vor. Alles<br />

war auf Jugendlichkeit ausgerichtet, um das Lehrpersonal in die Erlebniswelt der Jugend<br />

hereinzuversetzen und dadurch die Voraussetzungen für einen möglichst lebendigen<br />

Berufsschulunterricht zu schaffen. 417<br />

Ein weit härteres Mittel zur Gleichschaltung der Lehrer schufen die Nazis mit dem „Gesetz<br />

zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Damit konnten<br />

missliebige Staatsdiener diszipliniert und entlassen werden. Besonders davon betroffen<br />

waren Lehrer jüdischen Glaubens, Kommunisten und, nach der Ausschaltung der SPD, auch<br />

Sozialdemokraten. Das Reichserziehungsministerium war 1936 der Ansicht, dass bei der<br />

Beschäftigung von Anwärtern im Berufs- und Fachschuldienst vorher keine Stellungnahme<br />

der zuständigen NSDAP-Gauleitung eingeholt werden müsste: „Mit Rücksicht darauf, dass<br />

die Anwärter durch die Hochschulen oder berufspädagogische Institute gegangen sind und<br />

diese Einrichtungen streng im nationalsozialistischen Sinne arbeiten, halte ich die Einholung<br />

einer derartigen Stellungnahme nicht für erforderlich. Die Gauleitung ist jedoch zu hören,<br />

wenn der endgültigen Übernahme der betreffenden Damen und Herren in den öffentlichen<br />

Dienst nähergetreten wird.“ 418<br />

Das berufsbildende Schulwesen beinhaltete in Bezug auf die Erziehung der Schüler zum<br />

Nationalsozialismus einige ungünstig wirkende Elemente in sich. Die Berufsschule erfasste<br />

den Lehrling in der Regel nur sechs bis max. acht Stunden pro Woche. So wurden die<br />

Jugendlichen letztlich stärker vom Betriebsgeschehen als vom Berufsschulunterricht geprägt.<br />

Außerdem lag im theoretischen Unterricht die Gefahr einer reinen Wissensvermittlung, die<br />

der NS-Ideologie eher abträglich denn förderlich war. Die ideologische Beeinflussung<br />

beschränkte sich in der Berufsschule auf das Gemeinschaftsgefühl und in der Werkstatt auf<br />

das Erlebnis einer konkreten Arbeitssituation. Aus diesem Grund konnte die Berufsschule<br />

keinen wesentlichen Beitrag zur NS-(Berufs-) Erziehung leisten, sondern nur im Kontext der<br />

praktischen Ausbildung und der erziehungspolitischen Aktivitäten der Hitler-Jugend tätig<br />

werden. 419 In der Jugenderziehung besaßen nach Ansicht der HJ charakterliche Schulung<br />

416 Vgl. SEUBERT 1977, S. 121f.<br />

417 Vgl. WOLSING 1977, S. 655-657.<br />

418 Schreiben des Ministers vom 2.1.36 an die Regierungspräsidenten; Nds. Staatsarchiv Stade, Rep. 80 G,<br />

Titel 290, Nr. 2b, Bd. III.<br />

419 Vgl. ebd., S. 546f.


106<br />

und körperliche Ertüchtigung einen weitaus höheren Stellenwert als geistige Bildung, als<br />

deren Ort man die Schule betrachtete. Und obwohl die Schule nach dem HJ-Gesetz 420 zu<br />

den Institutionen zählte, die die Jugend zu erziehen hatten, hörte die HJ nicht auf, der Schule<br />

ihre Zuständigkeit zu bestreiten. Den Berufsschulen stand die HJ ebenso ablehnend<br />

gegenüber wie den allgemeinbildenden <strong>Schulen</strong>. Zum einen wegen der Unvereinbarkeit der<br />

Erziehungskonzeptionen, zum anderen wegen der angeblich unzureichenden Qualität des<br />

Berufsschulunterrichts. Hierzu muss berücksichtigt werden, dass, wie bereits erwähnt, die<br />

Berufsschulen das Stiefkind der NS-Schulpolitik waren. Die einschränkende Finanzpolitik,<br />

der die Einschätzung zu Grunde lag, dass dem Problem des Facharbeitermangels durch<br />

praktische Ausbildung in den Unternehmen weitaus besser begegnet werden könne als<br />

durch eine Intensivierung des Theorieunterrichts an der Berufsschule, verschlechterte die<br />

Arbeitsbedingungen. Außerdem kam hinzu, dass durch die politische „Säuberung“ des<br />

Lehrkörpers und durch das Abwandern von Berufsschullehrern in die lukrative Wirtschaft mit<br />

besseren Arbeits- und Einkommensbedingungen, wie erwähnt, ein Mangel an Lehrkräften<br />

eingetreten war. Deshalb sah die HJ in erster Linie die Betriebe als Feld ihrer indoktrinären<br />

Arbeit an. Das hinderte sie aber nicht daran, gegen die Berufsschullehrer besonders<br />

boshafte Attacken zu richten. 421<br />

420 Die Jugendorganisation der NSDAP entwickelte sich ab 1933 und wurde mit dem Gesetz über die HJ vom<br />

Dezember 1936 sanktioniert. Die HJ war uniformiert und gliederte sich nach Altersgruppen und regionalen<br />

Gesichtspunkten. Das Deutsche Jungvolk in der HJ (DJ) erfasste die Jungen von 10-14 Jahren (Pimpfe), die<br />

eigentliche HJ die Jungen von 14-18, der Jungmädelbund in der HJ (JM) die Mädchen von 10-14 und der Bund<br />

Deutscher Mädel in der HJ (BDM) die Mädchen und jungen Frauen von 14-21 Jahren. Vgl. BENZ 1998, S. 513.<br />

421 Vgl. KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 255.


Titelseite Lehrerzeitung „Der Erzieher“ vom 23.8.1934.<br />

Quelle: Willenborg, Rudolf: Die Schule muss bedingungslos nationalsozialistisch sein: Erziehung und<br />

Unterricht im Dritten Reich, Vechta, 1986.<br />

So hatte u. a. der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann die eigenen Parteigenossen vom<br />

NSLB schon 1931 als „eine Bande organisierter Müßiggänger“ beschimpft und sie von der<br />

SS verprügeln lassen wollen! In den Akten des NSLB ist eine Fülle von Fällen öffentlicher<br />

Herabsetzung und Geringschätzung der Lehrerschaft verzeichnet. Fazit ist, dass der NS-<br />

Staat für die Lehrerschaft überhaupt wenig übrig hatte und allen Lehrern eine schlechte<br />

Behandlung zuteil wurde. 422 Neben der Verschlechterung der materiellen Lage der Lehrer<br />

war auch der Abbau ihrer Rechte seit 1933 (z. B. Verbot der Beamten, Einsicht in ihre<br />

Personalakte zu nehmen) Fakt. So war dann die Situation der Lehrer absurd und paradox.<br />

Immer redeten die Nazis davon, dass die Erziehung den „neuen deutschen Menschen“<br />

formen sollte. Aber das Ansehen derer, die erziehen sollten, sank auf einen bis dahin nie<br />

erreichten Tiefpunkt. Leiter der HJ, der DAF und der SA fühlten sich als die allein berufenen<br />

Erziehungstreuhänder und verunglimpften die „rückständigen Schulmeister“ in Reden,<br />

Witzen und Karikaturen. 423<br />

422 Vgl. SEUBERT 1977, S. 131.<br />

423 Vgl. ebd., S. 133 f.<br />

107


Staatsbürgerlicher Unterricht und Sachunterricht<br />

„Die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Geist bedingt es, dass nicht nur in der so genannten<br />

Staatsbürgerkunde das nationalsozialistische Gedankengut an die Jugend herangetragen wird, sondern der<br />

gesamte Unterricht muss davon durchdrungen sein.“ 424<br />

Der Unterricht im Fach Staatsbürgerkunde war das einzige Fach, dessen Inhalte die Nazis<br />

sofort dem neuen Herrschaftssystem anpassten. Bereits im April 1933 wandte sich der<br />

Preußische Minister für Wirtschaft und Arbeit an die Regierungspräsidenten: „Die nationale<br />

Erhebung, die unser Volk ergriffen hat, erheischt mit zwingender Notwendigkeit, den<br />

Unterricht in der Staatsbürgerkunde in den Berufs- und Fachschulen unverzüglich den<br />

veränderten Verhältnissen anzupassen. [...] Schon jetzt aber bestimme ich, dass im<br />

Unterricht alle Möglichkeiten, die dem einzelnen die Verbundenheit mit Heimat und Volk zum<br />

Bewusstsein bringen, in engster Verbindung mit dem Berufsgedanken voll ausgenutzt<br />

werden, weil dadurch die Voraussetzungen für eine Erziehung zum arteigenen Staat<br />

geschaffen werden.“ 425<br />

Den Richtlinien nach hatten die Berufs- und Fachschulen „in engster Anlehnung an die<br />

Berufsausbildung alle Möglichkeiten auszunutzen, die ihr anvertraute Jugend im Sinne der<br />

nationalsozialistischen Staatsidee zu erziehen. Ziel der Erziehung [...] (war) der in Blut und<br />

Boden wurzelnde, rassisch bewusste, seinem Staat und Volk durch den Beruf dienende<br />

deutsche Mensch, der sich organisch und willig in die überindividuelle Staatspersönlichkeit<br />

einordnet(e).“ 426 Dem Versuch der HJ, den staatspolitischen Unterricht an den Berufsschulen<br />

in die Hand zu bekommen, war in einigen Fällen von Erfolg beschieden. Der Einfluss blieb<br />

aber bescheiden, da der staatspolitische Unterricht nur einen Anteil von max. zwei<br />

Wochenstunden hatte. 427<br />

In den Richtlinien wurde aber noch unterschieden zwischen volksbürgerlicher und<br />

staatsbürgerlicher Erziehung. Hintergrund war, die bestehenden sozialen Gegensätze zu<br />

verschleiern und den Eindruck einer solidarischen Volksgemeinschaft zu erwecken. Der<br />

volksbürgerliche Unterricht operierte auf der irrationalen Ebene, um die Schüler von den<br />

realen politischen und wirtschaftlichen Tatsachen abzulenken und sie dennoch für die Ziele<br />

des NS-Systems einzusetzen. 428 Die staatsbürgerliche Erziehung als zweiter Bestandteil des<br />

nationalpolitischen Unterrichts setzte die mit der volksbürgerlichen Erziehung eingeleitete<br />

Unterordnung der Jugendlichen unter die NS-Herrschaft fort. Die Schüler sollten in der<br />

Berufsschule zu Pünktlichkeit, Ordnung, Arbeitsamkeit, Sauberkeit, Ehrlichkeit,<br />

Hilfsbereitschaft usw. angehalten werden. Folgende Themenkomplexe wurden für den<br />

gesamten staatsbürgerlichen Unterricht vorgegeben:<br />

„1. Der Anbruch der neuen Zeit<br />

a) Der Weltkrieg und das Fronterlebnis<br />

b) Der Freiheitskampf der NSDAP von 1919 bis zur Machtergreifung<br />

c) Die deutsche Revolution und ihr Führer<br />

424<br />

DIE DEUTSCHE BERUFSERZIEHUNG, Ausgabe A 52, 22.08.1937, S. 300. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP, 1995, S.<br />

311.<br />

425<br />

Abschrift vom 7.04.33 an die Regierungspräsidenten, die der Gemeindevorstand in Achim am 13.5.33 dem<br />

Leiter der Gewerblichen Berufsschule in Achim mit der Bitte um weitere Veranlassung vorlegte; Nds.<br />

Staatsarchiv Stade, Rep. 80 G, Titel 290, Nr. 2b, Bd. III.<br />

426<br />

Erlass des Preußischen Ministers für Wirtschaft und Arbeit betr. Staatsbürgerliche Erziehung und<br />

Staatsbürgerlicher Unterricht in den Berufs- und Fachschulen, 12.8.1933 – III B 8374 –, in: Technische<br />

Erziehung, H. 9, (09/1933), Berlin, S. 72. Zitiert nach WOLSING 1977, S. 610f.<br />

427<br />

Vgl. KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 255f.<br />

428 Vgl. WOLSING 1977, S. 642f.<br />

108


d) Die Hoheitszeichen der nationalen Erhebung<br />

e) Der Vernichtungskampf gegen den Marxismus und Liberalismus<br />

2. Neubau von Familie und Volk auf rassischer Grundlage<br />

a) Vererbung, Erbmasse und Erbbild<br />

b) Die Art des rassekundlichen Denkens und ihre Sinngebung für Familie und Volk<br />

c) Die nordische, fälische, westische, dinarische und ostische Rasse in ihren<br />

wesentlichen Merkmalen und ihrer Bedeutung für das deutsche Volk<br />

d) Die Judenfrage<br />

3. Das Auslanddeutschtum 429<br />

a) Seine Entstehung. Die nationalpolitische Bedeutung der Auswanderungsfrage<br />

b) Seine gegenwärtige Verbreitung<br />

c) Der Kampf um seine Erhaltung<br />

d) Seine Bedeutung für das Mutterland in völkischer, kultureller und wirtschaftlicher<br />

Hinsicht<br />

e) Die Minderheitenfrage<br />

4. Der staatliche Neuaufbau des Reiches<br />

a) Überwindung der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Gegensätze (Arbeitsfront,<br />

ständischer Aufbau)<br />

b) Überwindung der parteipolitischen Gegensätze (Auflösung der Parteien)<br />

c) Überwindung des Länderpartikularismus (Reichsstatthalterschaften, Beseitigung<br />

der Länderparlamente)<br />

d) Überwindung der konfessionellen Gegensätze (Konkordat, Bestrebungen zu einer<br />

evangelischen Volks- und Reichskirche<br />

e) Das neue Führertum<br />

5. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit<br />

a) Grundsätzliche Stellung des Führers zu dieser Frage<br />

b) Der erste Großangriff auf die Arbeitslosigkeit<br />

c) Unterstützung durch die öffentliche Hand, Arbeitsbeschaffung<br />

d) Hilfe für Handel, Handwerk und Gewerbe<br />

e) Der freiwillige Arbeitsdienst<br />

f) Die Mithilfe jedes einzelnen Verbrauchers<br />

g) Der bisherige Erfolg<br />

6. Die Wirtschaft des Ortes und der Landschaft<br />

[...]<br />

7. Die Rettung des deutschen Bauern<br />

a) Stützungs- und Entschuldungsmaßnahmen<br />

b) Maßnahmen zum Schutze und zur Belebung inländischer Erzeugung<br />

c) Erhaltung und Neubildung deutschen Bauerntums, Erbhofgesetz<br />

8. Das Diktat von Versailles<br />

a) Die Versailler Schuldlüge<br />

b) Die wichtigsten Bestimmungen des Diktats und ihre Auswirkungen in moralischer,<br />

territorialer, völkischer, kultureller, wirtschaftlicher und machtpolitischer Hinsicht<br />

c) Der Kampf gegen das Versailler Diktat<br />

d) Die Abrüstungsfrage<br />

9. Der Gemeinschaftsgedanke des Nationalsozialismus und seine Anwendung<br />

109<br />

429 Ab 1936 gehörte es nach der „Führerproklamation auf dem Parteitag der Ehre“ zu den Aufgaben der Schule,<br />

„das Verständnis für die kolonialen Bedürfnisse Deutschlands bei den Schülern und Studenten zu wecken und<br />

zu vertiefen.“ Vgl. Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung<br />

vom 19.10.36; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/27 a. Außerdem mussten an allen Berufs- und Fachschulen die<br />

SchülerInnen einmal im Schuljahr über die Aufgaben und die Tätigkeit des VDA (Volksbund für das Deutschtum<br />

im Auslande) aufgeklärt und auf bestehende Orts- und Schulgruppen aufmerksam gemacht werden. Vgl. Erlass<br />

des Preußischen Ministers für Wirtschaft und Arbeit vom 15.2.34; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 g.


a) auf Volk und Staat<br />

b) auf den Wirtschaftsorganismus von Volk und Staat (Volkswirtschaft)<br />

c) auf den Wirtschaftsorganismus der einzelnen Betriebe (Betriebswirtschaft)<br />

d) auf die übrigen Lebensformen in Staat, Volk und Gesellschaft.<br />

10. Führertum und Gefolgschaft.“ 430<br />

Als Reichspropagandaleiter Goebbels zu Ohren gekommen war, dass in der Bevölkerung<br />

auch Stimmen zu verzeichnen waren, die Kritik an einzelnen Bundesgenossen und deren<br />

Leistungen im Krieg übten, sah er sich veranlasst, dem Erziehungsministerium, den<br />

Regierungspräsidenten, den Schulräten und den Trägern der Berufs- und Fachschulen seine<br />

Gedankengänge mitzuteilen, damit sie in den <strong>Schulen</strong> weiter vermittelt würden: „Wir<br />

Nationalsozialisten wissen, dass auf Grund der rassischen Zusammensetzung die Stärke<br />

und der Schwerpunkt der Begabung der einzelnen Völker unterschiedlich sind und auf ganz<br />

verschiedenen Gebieten liegen. Es ist daher nicht gängig, Vergleiche zwischen den<br />

Leistungen einzelner Völker zu ziehen.“ 431<br />

Staatsbürgerkunde war aber nicht nur Lehrfach, sondern auch „allgemeiner<br />

Erziehungsgrundsatz“ bzw. „Unterrichtsprinzip“. Daher boten Fach- und Geschäftskunde<br />

ebenfalls Ansatzpunkte für eine Vermittlung von NS-Gedankengut. Man war z. B. bestrebt,<br />

die Geschichte des jeweiligen Berufes auf die jeweilige Region bzw. „Heimat“ abzustellen<br />

und von dort aus „Beziehungen an(zu)knüpfen zu bedeutenden Persönlichkeiten und<br />

wichtigen Begebenheiten vaterländischer Geschichte.“ Mit der Einführung des<br />

Vierjahresplans erhielt der Fachunterricht eine wichtige politische Funktion. Bei jeder<br />

Gelegenheit sollte im Unterricht das Augenmerk der Schüler auf die volkswirtschaftliche und<br />

nationale Bedeutung des Vierjahresplans gelenkt werden, z. B. „Rückführung der Altstoffe“<br />

oder „Schaffung der Wehrfreiheit“. 432<br />

Wichtig waren natürlich auch die festen Daten der NS-Feiergestaltung, die vermeintlich<br />

germanische Traditionen aufgreifen sollten. Zum jährlich stattfindenden „Deutschen<br />

Jugendfest“ (22. und 23.06.) hatte sich die gesamte 10- bis 18-jährige Jugend zu sportlichen<br />

Wettkämpfen und Sonn(en)wendfeiern zusammenzufinden. Die der HJ angehörenden<br />

SchülerInnen nahmen an der Sonn(en)wendfeier am Abend des 23. Juni bei ihrer HJ-Einheit<br />

teil. Die nicht der HJ angehörenden nichtjüdischen SchülerInnen wurden zur Teilnahme<br />

verpflichtet und durch die <strong>Schulen</strong> erfasst. In den Abendstunden wurden Lagerfeuer<br />

entzündet, in die Ehrenkränze – Parteimärtyrern 433 und Kriegshelden gewidmet – geworfen<br />

wurden. In der Regel schlossen sich danach Fackelzüge an. 434 Im Jahre 1939 wurde der<br />

Religionsunterricht, der in einigen Gebieten des Reiches ordentliches Lehrfach war,<br />

110<br />

430<br />

Erlass des Preußischen Ministers für Wirtschaft und Arbeit betr. Staatsbürgerliche Erziehung und<br />

staatsbürgerlicher Unterricht in den Berufs- und Fachschulen vom 31.01.1934 – III B 1042 Sü –, in: BOJUNGA, H.<br />

(Hg.): Zur Steigerung der Leistungen in den Berufs- und Fachschulen, S. 111. Zitiert nach WOLSING 1977, S.<br />

645-647.<br />

431<br />

Erlass Goebbels vom 30.09.41; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/139 h.<br />

432<br />

Vgl. WOLSING 1977, S. 620-622.<br />

433<br />

So z.B. Albert Leo Schlageter, der als Mitglied des NSDAP-Ablegers „Großdeutsche Arbeiterpartei“<br />

Sabotageakte gegen die französische Besatzung im Ruhrgebiet verübte. Spitzel in den eigenen Reihen<br />

verrieten ihn den frz. Behörden, die ihn 1923 zum Tode verurteilten. Der Preußische Minister für Wirtschaft und<br />

Arbeit forderte die Direktoren der Berufs- und Fachschulen auf, die SchülerInnen an einer Schlageter-<br />

Feierstunde im Rundfunk (Hörspiel) am 26.05.33 teilnehmen zu lassen, sofern ein Rundfunkgerät zur<br />

Verfügung stünde. Vgl. Erlass vom 22.5.33; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

434<br />

Vgl. Schreiben des Reichserziehungsministers vom 14.5.35 an die Regierungspräsidenten; Nds.<br />

Staatsarchiv Stade, Rep. 80 G, Titel 290, Nr. 2b, Bd. III.


abgeschafft, „um die kurze Berufsschulzeit ausschließlich in den Dienst der fachlichen und<br />

nationalpolitischen Erziehung unserer Jugend zu stellen.“ 435<br />

Die „Entjudung“ der Berufsausbildung<br />

„Die Berufsschule muss als völkische Schule in ihrem Aufbau ein völkisches Gepräge tragen und die gesunde,<br />

rassisch-völkische Erbmasse und die in ihr wurzelnden natürlichen und kulturellen Kräfte des Volkstums<br />

pflegen. [...] von diesem Standpunkt aus ist die Stellung zum Judentum völlig klargelegt. Das jüdische Volk ist<br />

ein Volk fremdrassiger Herkunft und damit anderartiger [sic!] Geisteshaltung.“ 436<br />

111<br />

Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (7.04.33) wurden aus<br />

dem Staatsdienst diejenigen Lehrer „nicht arischer Abstammung“ entfernt, sofern sie nicht<br />

bereits seit dem 1.08.1914 Beamte waren oder Weltkriegsteilnehmer waren oder Väter bzw.<br />

Söhne im Krieg verloren hatten. Als „Nichtarier“ wurden die Beamten betrachtet, die von<br />

jüdischen Eltern oder Großeltern abstammten. Dabei genügte es, wenn ein Elternteil oder ein<br />

Großelternteil nicht „arisch“ war. Die Beamten mussten einen Fragebogen ausfüllen und<br />

Auskunft erteilen über ihre Parteizugehörigkeit, politische Tätigkeit, berufliche Eignung und<br />

Abstammung. Es konnte nur derjenige Beamte befördert werden, der den urkundlichen<br />

Nachweis geführt hatte, dass er und sein Ehegatte „deutschen oder artverwandten Blutes“<br />

waren. Die Beamtenlaufbahn der Lehrer wurde kontrolliert und in Form von politischen<br />

Gutachten beurteilt. Die Gutachten wurden u. a. vom NS-Lehrerbund, dem 1937 97% der<br />

Lehrer aller Schularten angehörten, erstellt. Die Gau- und Kreisleiter des NSLB gaben bei<br />

jeder Anstellung oder Beförderung eine Beurteilung über die Zuverlässigkeit der Kandidaten<br />

ab. 437<br />

Juden war auch die Mitwirkung an der Berufsausbildung untersagt und sogar Personen, die<br />

mit einer Jüdin verheiratet waren, durften nicht als Ausbilder beschäftigt werden. Die<br />

„Entjudung“ der Berufsausbildung gelang zügig und effektiv. Durch einen Runderlass von<br />

1935 wurden Juden von der Ausbildung zu Gewerbelehrern ausgeschlossen. In den nichtakademischen<br />

Berufen fanden sich regional unterschiedliche Handhabungen rassistischer<br />

Berufsverbote. Obwohl im Jahre 1936 keine gesetzlichen Bestimmungen über den<br />

Ausschluss von Juden von Kaufmannsgehilfenprüfungen bestanden, hatte im gleichen Jahr<br />

die Badische IHK jüdische Lehrlinge von der Gehilfenprüfung ausgeschlossen. Nach den<br />

November-Pogromen 1938 wurden die antisemitischen Maßnahmen reichseinheitlich<br />

angeordnet. Am 9.12.1938 bestimmte der Reichswirtschaftsminister, zusammen mit dem<br />

Innenminister, dass Juden zu den gesetzlichen Prüfungen der Industrie- und<br />

Handelskammern sowie Handwerkskammern nicht mehr zugelassen wurden. Die<br />

„Entjudung“ der betrieblichen Berufsausbildung wurde im Oktober 1941 mit der „Verordnung<br />

zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden“ perfektioniert: „Juden<br />

dürfen nicht als Lehrlinge oder Anlernlinge vermittelt oder beschäftigt werden.“ 438 Das<br />

Herausdrängen jüdischer Lehrlinge aus der Berufsschule wurde ebenfalls vorangetrieben.<br />

Sie wurden zunächst mit einem Numerus clausus belegt, dann wurde die „Errichtung von<br />

Sonderklassen für jüdische Schüler an Berufsschulen“ empfohlen und schließlich wurden<br />

Juden vom Berufsschulbesuch ausgeschlossen. Dieser Ausschluss vollzog sich in zwei<br />

Phasen, deren erste durch Satzungsänderungen einzelner Schulträger eingeleitet und deren<br />

zweite dann reichseinheitlich angeordnet wurde. An der <strong>Verden</strong>er Berufsschule gab es keine<br />

SchülerInnen jüdischen Glaubens.<br />

435 Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 23.8.39; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>,<br />

6/139 h.<br />

436 BREITKOPF 1933, S. 513, 518.<br />

437 Vgl. WOLSING 1977, S. 660-663.<br />

438 Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 309.


Interessant ist, dass noch 1934 auf den Schulbesuch jüdischer und adventistischer 439 Kinder<br />

an den jüdischen Feiertagen und am Samstag Rücksicht genommen wurde: „Die jüdischen<br />

Schulkinder können am jüdischen Neujahr zwei Tage, am Versöhnungsfest einen Tag, am<br />

Laubhüttenfest zwei Tage, am Beschlussfest zwei Tage, am Passahfest zwei Tage dem<br />

Unterricht fernbleiben. An den gewöhnlichen Sonnabenden können die jüdischen und die<br />

adventistischen Schulkinder auf Ansuchen der Erziehungsberechtigten ganz oder für die<br />

Stunde des Gottesdienstes vom Schulbesuch befreit werden.“ Dieser Erlass wurde ab<br />

September 1935 auf die Berufs- und Fachschulen ausgedehnt. 440<br />

Mehr als ein Jahr vor der „Reichspogromnacht“ vom 9. zum 10. November 1938 erschien in<br />

der berufspädagogischen Zeitschrift „Die Deutsche Berufserziehung“ folgender Artikel:<br />

„Jüdische Lehrlinge in der Berufsschule.<br />

Die Stadt Herford i. W. hat eine Änderung der Satzung über die Berufsschulpflicht<br />

vorgenommen, nach welcher in Zukunft jüdische Schüler nicht mehr in der Berufsschule<br />

unterrichtet werden. In der Begründung hieß es: Es kann deutschen Jungen und Mädchen,<br />

die in der Berufsschule zu fast 100 Prozent der Hitler-Jugend bzw. BDM. angehören, nicht<br />

zugemutet werden, dass sie mit Juden in einer Klassengemeinschaft vereinigt am Unterricht<br />

teilnehmen. Ebenfalls kann den Lehrkräften an den <strong>Schulen</strong> nicht zugemutet werden, in<br />

ihrem Unterrichtsstoff und in der Art der Darstellung Rücksicht auf ein oder zwei Juden in der<br />

Klasse zu nehmen.“ 441<br />

Ungeklärt ist bislang, welche Rolle die „Judenfrage“ im Unterricht beruflicher <strong>Schulen</strong> und im<br />

Studium der Handels- und Gewerbelehrer spielte. Empfehlungen, wie „Die Judenfrage im<br />

Unterricht“ zu behandeln sei, finden sich 1940 in der Zeitschrift „Die Deutsche<br />

Berufserziehung“:<br />

112<br />

„Die Judenfrage im Unterricht.<br />

Das Judentum verschwindet immer mehr aus dem täglichen Leben unseres Volkes. Um so<br />

mehr liegt es nahe, seine Gefährlichkeit zu verkennen. In der Zeitschrift ´Volksaufklärung und<br />

Schule´ werden Hinweise gegeben, die die ´Kenntnis vom Feind´ wachhalten sollen. Die<br />

Anregungen erstrecken sich in erster Linie auf den Geschichts- und Biologieunterricht. Im<br />

Geschichtsunterricht ist jede Periode, die durch das Judentum beeinflusst worden war, zu<br />

behandeln. Die Schüler sollen die vielfältigen Wege des Judentums erkennen lernen vom<br />

Sklavenhändler der karolingischen Zeit über den Ankäufer von Diebesware und Wucherer im<br />

Mittelalter bis zum Hofjuden der beginnenden Neuzeit und bis zum Bankgewaltigen und<br />

Volksverführer der jüngsten Zeit. Im Erdkundeunterricht soll von den Schülern mindestens<br />

die Kenntnis der einzelnen jüdischen Siedlungsgebiete nachgewiesen werden. Der<br />

Deutschunterricht muss alle jüdelnden Formen, die Eingang in unsere Sprache gefunden<br />

haben, ausmerzen.“ 442<br />

439<br />

Adventisten (zu lat. Adventus = Ankunft, im Sinne von: Wiederkunft Christi) sind eine christliche<br />

Gemeinschaft, die zerfiel, als die 1843/44 „vorausberechnete“ Wiederkunft Christi ausblieb. Weltbedeutung<br />

erlangte die Seventh-Day-Adventists (dt. Siebenten-Tags-Adventisten) - Gruppe. Die Lehre deckt sich z. T. mit<br />

der der ev. Großkirchen. Die Sabbatheiligung wird als „wichtigstes Gebot“ herausgehoben. Vgl. Meyers<br />

Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, S. 305.<br />

440<br />

Erlass des Erziehungsministeriums vom 16.03.34; Nds. Staatsarchiv Stade, Rep. 80 G, Titel 290, Nr. 2b, Bd.<br />

III.<br />

441<br />

DIE DEUTSCHE BERUFSERZIEHUNG, Ausgabe A 52, 22.08.1937, S. 300. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP, 1995, S.<br />

310. Und ab dem Schuljahr 1942/43 wurden jüdische „Mischlinge 1. Grades“ nicht mehr in die Hauptschule,<br />

Mittelschule und Höhere Schule aufgenommen; vgl. „Keine jüdischen Mischlinge in weiterführenden <strong>Schulen</strong>“,<br />

<strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 16.10.42.<br />

442<br />

DIE DEUTSCHE BERUFSERZIEHUNG, Ausgabe A 55, 1940, S. 161. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 397f.


Die Lehrerbücherei<br />

113<br />

„Wir wollen das ´Diene im Ganzen´ immer wieder denen sagen, die es nötig haben, die nicht die Bescheidenheit<br />

aufbringen, sich dankbar und demütig zu sehen als die Werkzeuge großen Geschehens, dem Adolf Hitler mit<br />

seiner Bewegung die Gasse bahnt.“ 443<br />

Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gab 1942 einen weiteren<br />

Erlass 444 zur Überprüfung der Schulbüchereien heraus: „Der Chef der Kanzlei des Führers<br />

und Vorsitzende der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums,<br />

Reichsleiter Bouhler, 445 hat [...] Anweisung zu einer endgültigen Bereinigung der in der<br />

Schule benutzten Bücher gegeben und dabei den NSLB. mit der Erfassung der ungeeigneten<br />

Lern- und Lehrbücher und der untragbaren Werke in den Schulbüchereien sowie mit der<br />

Feststellung darüber beauftragt, ob die grundlegenden nationalsozialistischen Werke über<br />

Politik, Geschichte und Weltanschauung in den Schulbüchereien, insbesondere in den<br />

Lehrerbüchereien, in ausreichendem Maße vorhanden sind.“ 446<br />

Hier eine Auswahl von Büchern, die in dem angegebenen Jahr an der Berufsschule <strong>Verden</strong><br />

angeschafft wurden. Die kursiv gesetzten Titel mussten auf Anordnung der britischen<br />

Militärregierung im Mai 1945 aus der Lehrerbücherei entfernt werden. 447<br />

Stegmann Geschichte des Krieges 1917<br />

Auswärtiges Amt Amtliche Kriegsdepeschen 1930<br />

Endres Das Erbe unserer Ahnen 1931<br />

Fender Die Volksgemeinschaft und ich 1931<br />

Lehmann Rassenfibel 1934<br />

Rosenberg 448<br />

Der Mythos des 20. Jahrhunderts 1934<br />

ohne Autor Reichsparteitag in Nürnberg 1934 1934<br />

Hitler Mein Kampf 1934<br />

Sanden, v. Der Gleitflugzeugbau 1935<br />

Scharf Deutschland erwachet 1935<br />

Schlie Handbuch für den Luftfahrtunterricht 1936<br />

Bubnoff Geschichte und Bau des deutschen Bodens 1936<br />

Kapfer Deutschland erwachet 1936<br />

Leggerlotz Das Nibelungenlied 1936<br />

Dittrich Vererbung und Rasse 1936<br />

Berndt Gebt mir 4 Jahre Zeit! 1937<br />

Hitler Volk und Rasse 1937<br />

Sprenger Fluglehre mit einfachen Mitteln 1937<br />

443<br />

DIE DEUTSCHE BERUFSSCHULE, 1934, S. 631. Zitiert nach KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 569.<br />

444<br />

Der Preußische Minister für Wirtschaft und Arbeit hatte bereits in einem Erlass vom 26.4.33 verordnet, dass<br />

alle Bücher in Schüler- und Lehrerbüchereien, „die die Erziehung unserer Jugend zum deutschen Menschen<br />

und arteigenen Staat irgendwie beeinträchtigen, zu entfernen sind.“ Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 f.<br />

445<br />

Philipp Bouhler (*1899) war NSDAP-Reichsleiter und SS-Obergruppenführer und eines der ersten NSDAP-<br />

Mitglieder. Er war von Hitler 1939, zusammen mit K. Brandt, mit der Durchführung des Euthanasie-Programms<br />

beauftragt worden. Im Mai 1945 wurde er mit Göring gefangengenommen, vor Einlieferung ins<br />

Internierungslager Dachau beging er Selbstmord durch Gift. Vgl. BENZ 1997, S. 824f.<br />

446<br />

Erlass [E III a 2310, E II a (a)] vom 25.10.40, Amtliches Schulblatt für den Regierungsbezirk Stade, 30. Jg,<br />

Nr. 23, S. 110.<br />

447<br />

Vgl. Hauptverzeichnis Lehrerbücherei (1910-1988), Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

448<br />

Alfred Rosenberg († 16.10.46 in Nürnberg hingerichtet) war zunächst Chefredakteur des „Völkischen<br />

Beobachters“. Mit seinen Büchern (s. auch die beiden anderen Titel in der Liste) versuchte er, sich als NS-<br />

Chefideologe zu profilieren. 1934 wurde er „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten<br />

geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ und 1941 Reichsminister für die<br />

besetzten Ostgebiete. Vgl. BENZ 1998, S. 876.


Sengler Deutsche Waffenträger 1938<br />

Ripke Im neuen Reich 1938<br />

Gieskes Lebensraum und Wirtschaft 1938<br />

Paul Das Volksbuch unserer Kolonien 1938<br />

Gust Das Jungborn-Kochbuch 1939<br />

Höller Von der SPD zur NSDAP 1939<br />

Rosenberg Blut und Ehre 1940<br />

Auswärtiges Amt Die polnischen Greueltaten 1940<br />

Schilling Germanische Urgeschichte 1941<br />

Aldag Juden beherrschen die Welt 1941<br />

Hansen Nautilus 1941<br />

Rosenberg Tradition 1941<br />

Schmidt/Dreyhans Volk und Boden 1942<br />

Reichsberufswettkampf<br />

Der Reichsberufswettkampf wurde 1933 vom Leiter des Sozialamtes der<br />

Reichsjugendführung, Axmann 449 , gegründet. Er war ein Leistungsvergleich zur Kontrolle der<br />

Berufsausbildung, der gemeinsam mit der DAF jeweils im Frühjahr durchgeführt wurde.<br />

Jedes Jahr beteiligten sich daran über eine Million Jugendliche. Bei der Bewertung spielten<br />

der praktische und ideologische Teil die größte Rolle. Mädchen wurden auch<br />

hauswirtschaftliche Aufgaben gestellt. Im sportlichen Teil waren Mindestanforderungen zu<br />

bewältigen. Die Sieger erhielten eine besondere Förderung. 450 Von 1934 bis 1937 nahmen<br />

nur Jugendliche daran teil. In den Jahren 1938 und 1939 wurde der Wettkampf auch auf<br />

Erwachsene ausgedehnt. 1939 beteiligten sich 3,5 Mio. Jugendliche und Erwachsene der<br />

verschiedenen Altersklassen und Berufe. Es gab in diesem Jahr 40.000 Kreis-, 6.500 Gauund<br />

508 Reichssieger. Während des Krieges gab es lediglich 1944 einen<br />

„Kriegsberufswettkampf“, an dem nur Jugendliche teilnahmen. Da die Aufgaben<br />

reichseinheitlich gestellt wurden, boten die Ergebnisse einen aktuellen Überblick über den<br />

Stand der Berufsbildung im „Dritten Reich“. Die jährliche Durchführung und die daraus<br />

resultierende Kontrollmöglichkeit verstärkte den Druck auf die betrieblichen Ausbilder. Über<br />

den Reichsberufswettkampf gewannen DAF und HJ Einfluss auf die fachpraktische<br />

Ausbildung in den Unternehmen. Auch der Gewerbelehrernachwuchs beteiligte sich am<br />

Wettkampf. Im Jahre 1937 beteiligten sich erstmals Studierende des Staatlichen<br />

Berufspädagogischen Instituts Berlin. Sie bearbeiteten das Thema: „Aufgaben und<br />

Möglichkeiten der gewerblichen Berufsschule im zweiten Vierjahresplan.“ 451<br />

Berufsschule im Zweiten Weltkrieg<br />

114<br />

Besonderes Engagement für die Berufsschule zeigten die Nazis während des Krieges. Sie<br />

übertrugen den berufsbildenden <strong>Schulen</strong> große Aufgaben, ohne ihnen aber wesentliche<br />

Voraussetzungen für eine effektive Arbeit zu schaffen. Die Berufsschullehrer sollten<br />

Verbindung zum Elternhaus der Schüler halten, deren Väter in der Wehrmacht waren, um die<br />

Mütter „bei der Erziehung der werktätigen Jugend“ zu unterstützen. Außerdem sollten die<br />

449 Arthur Axmann († 1996) wurde 1940 Reichsjugendführer der NSDAP (Aufsicht über die HJ). 1949 wurde er<br />

zu drei Jahren Haft verurteilt. Von 1931 bis 1940 hatte Baldur von Schirach († 1974) das Amt inne. Bis<br />

Kriegsende war er Gauleiter in Wien und verantwortlich für die Deportation der Wiener Juden. 1946 wurde er zu<br />

20 Jahren Haft verurteilt, die er auch absaß. Vgl. ebd., S. 878.<br />

450 Vgl. ebd., S. 666.<br />

451 Vgl. KIPP/MILLER-KIPP 1995, S. 300 f.


115<br />

Berufsschulen die durch den Kriegsverlauf auftretenden Störungen der praktischen<br />

Berufsausbildung durch entsprechende Maßnahmen ausgleichen. Es wurde von den Lehrern<br />

der Spagat verlangt, die Arbeitsgebiete an den Berufsschulen zu erweitern – ohne dass der<br />

Berufsschulunterricht darunter zu leiden hatte. Dies war natürlich nicht zu erfüllen. Hinzu<br />

kam, dass die Berufsschulen selbst Störungen hinnehmen mussten. Während die Ausbildung<br />

in den Betrieben noch relativ lange aufrecht erhalten werden konnte, musste der<br />

Berufsschulunterricht bereits kurze Zeit nach Kriegsbeginn erheblich eingeschränkt werden,<br />

weil man Berufsschullehrer in weit stärkerem Maße einzog als Ausbilder. 452 Zusätzlich kam<br />

es zu Unterrichtsausfällen, bedingt durch Fliegeralarm. Der Vormittagsunterricht begann erst<br />

um 10 Uhr, wenn in der Nacht zuvor zwischen 20 und 6 Uhr Fliegeralarm gewesen war. Für<br />

die Berufs- und Fachschulen galt dann die Regelung, dass der Nachmittagsunterricht an den<br />

fraglichen Tagen entsprechend hinausgeschoben wurde. 453<br />

In den 12 Jahren NS-Herrschaft wurden zwar die Erwartungen an die Berufsschulen erhöht,<br />

aber sie konnten nicht erfüllt werden, da den <strong>Schulen</strong> die notwendige Unterstützung durch<br />

den Staat versagt blieb. Die Nazis änderten weder die finanzielle Situation der Berufsschulen<br />

noch die fachtheoretische Ausgestaltung sowie die Ausbildung und Arbeitsbedingungen der<br />

Lehrkräfte entscheidend. Hitler vertrat z. B. die Auffassung, „dass in den <strong>Schulen</strong> viel zu viel<br />

Unnötiges gelehrt würde“. Er wollte die (Berufs-)Schule „von diesem Ballast [...] in der<br />

jetzigen Zeit“ befreien. Und „im übrigen sei noch niemand an Dummheit gestorben“, erklärte<br />

er zu Bormann 454 anlässlich einer Besprechung über die Verlegung des Unterrichts nach<br />

Fliegerangriffen. 455 Die DAF, die sich mehr für die betriebliche Ausbildung einsetzte, und die<br />

Industrie waren der Ansicht, „dass die Berufsschule mehr und mehr versagte.“ 456 Ihre<br />

tatsächliche Einstellung zum Berufsschulwesen bewies die Wirtschaft auch, als sie sich<br />

gegen den Vorschlag der Berufsschullehrerverbände wehrte, die die Zulassung zum<br />

Ausbildungsabschluss von der Erreichung des Berufsschulzieles abhängig zu machen<br />

versuchten. Nur die Wehrmacht machte die Einstellung der jungen Männer von der Vorlage<br />

des Berufsschulzeugnisses abhängig. 457<br />

Entwicklung der Städtischen Berufsschule <strong>Verden</strong><br />

Von Ostern 1932 ab wurde bei der gewerblichen Berufsschule nach und nach der ganztägige<br />

Unterricht eingeführt. Für viele, nur mit nebenamtlichen Lehrkräften arbeitenden<br />

Berufsschulen bedeutete das Jahr 1932 insofern einen Wendepunkt, als damals bei den<br />

Schulträgern die Einstellung ordnungsmäßig ausgebildeter Berufsschulkräfte erzwungen<br />

wurde. Ab Januar 1932 übernahmen daher zwei Gewerbeoberlehrer, Paul Maetz und Karl<br />

Lange, den größten Teil an der gewerblichen Berufsschule. Am 15.01.1934 musste dann der<br />

nebenamtliche Leiter, Heinrich von Bergen, auf Anordnung der Regierung ausscheiden und<br />

Paul Maetz wurde Direktor der Berufsschule.<br />

452<br />

Vgl. WOLSING 1977, S. 682f.<br />

453<br />

Vgl. Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 23.9.40; Kreisarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, 6/139 h.<br />

454<br />

Martin Bormann († 2.05.45) war zunächst Chef des NSDAP-Parteibüros. Ab 1941 „Leiter der Parteikanzlei“.<br />

1943 wurde er „Sekretär des Führers“. Er gilt als fanatischer Vollstrecker des NS-Rassenprogramms. Vgl. BENZ<br />

1998, S. 824.<br />

455<br />

Zitiert nach WOLSING 1977, S. 686. Mit „in der jetzigen Zeit“ war die Kriegszeit gemeint.<br />

456 Zitiert nach ebd., S. 687.<br />

457 Vgl. ebd., S. 687f.


Ausriss „Berufsschulpflicht“.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 9.4.1935; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

116<br />

Bereits im Jahre 1935 waren durch den Ausbau des Dachgeschosses zwei neue<br />

Klassenräume gewonnen worden. In dem Schulgebäude an der Südstraße, in das 1928 die<br />

Berufsschule eingezogen war, war allerdings noch bis Herbst 1939 die Hilfsschule mit<br />

untergebracht. 1936 wurde die Ofenheizung auf Gasheizung umgestellt. Außerdem wurde<br />

durch Errichtung eines Anbaues für die Lehrer- und Schülertoiletten und durch Verlegung der<br />

Hausmeisterwohnung ins Dachgeschoss im Erdgeschoss Platz für eine Schulküche, eine<br />

Schulwaschküche und ein neues Lehrerzimmer geschaffen. Im Jahre 1938 sollte auf dem<br />

Schulhof ein Erweiterungsbau mit drei Klassenräumen, zwei Werkstätten und einer<br />

Hausmeisterwohnung errichtet werden. Infolge der „Westwallaktion“ 458 kam dieser Plan nicht<br />

zur Ausführung.<br />

Sofort nach Ausbruch des Krieges wurden zwei Handelslehrer und Paul Maetz eingezogen,<br />

letzterer aber von Oktober 1940 bis zum Kriegsende als „unabkömmlich“ („uk“) von der<br />

Wehrmacht freigestellt. Trotz des Krieges konnte die Schule weiter ausgebaut werden. Auf<br />

die Initiative des grafischen Gewerbes hin wurde eine grafische Bezirksfachklasse (Druckorte<br />

<strong>Verden</strong>, Achim, Nienburg, Hoya, Sulingen, Rotenburg, Visselhövede, Walsrode) ins Leben<br />

gerufen und für diese eine mit Schriften gut ausgestattete Setzerei und eine ausbaufähige<br />

Druckerei eingerichtet. Eine Fachklasse hatte bereits seit 1927 bestanden, die von einem<br />

458 Er war eine 630 km lange Befestigungslinie an der deutschen Westgrenze von der Schweiz bis in den Raum<br />

Kleve. Zwischen Mai 1938 und September 1939 wurden eine Betonhöckerlinie und über 14.000 Bunker<br />

errichtet. Er kostete rund 3,5 Mrd. RM und verschlang allein 20% der dt. Jahresproduktion an Zement. Vgl.<br />

BENZ 1998, S. 806.


<strong>Verden</strong>er Buchdruckermeister unterrichtet wurde. Im Jahre 1935 hatte der hauptamtliche<br />

Gewerbeoberlehrer Alfred Welkener die Leitung der Klasse übernommen. 459<br />

Zeugnis für den Malerlehrling Heinrich Lindhorst.<br />

Quelle: Frau Thieme, <strong>Verden</strong>.<br />

117<br />

459 Vgl. „Gutenbergs »Schwarze Kunst« in <strong>Verden</strong>. Die Entwicklung des Buchdruckgewerbes. Die graphische<br />

Fachklasse als Keimzelle der Nachwuchs-Ausbildung“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 14./15.2.42. Der Artikel wurde<br />

von A. Welkener verfasst, Zitat: „Wir alle kennen ja heute ganz besonders die hervorragende Stellung des<br />

gedruckten Wortes in der Propagandaarbeit eines modernen Staates. Haben wir es doch noch erleben müssen,<br />

welche Kübel des Hasses und der Gemeinheit, der Niedertracht und der Unmoral die früher im jüdischen Solde<br />

stehende Presse in das Volk hineintrug.“


118<br />

Zusätzlich wurde eine Klasse für Haushaltslehrlinge eröffnet. Im Laufe des Krieges wurden<br />

immer mehr Lehrer eingezogen. Um den Ausfall einigermaßen aufzufangen, wurden eine<br />

Gewerbelehrerin und eine Fachlehrerin für Kurzschrift und Maschinenschreiben eingestellt.<br />

Nachdem Ostern 1943 in die Handelsschule keine Neuaufnahmen mehr vorgenommen<br />

worden waren, musste sie im Herbst schließen, als auch der letzte Handelslehrer einberufen<br />

worden war. Auf Grund der Zusammensetzung des Lehrkörpers bestand aber die<br />

Möglichkeit, eine Haushaltungsschule ins Leben zu rufen. Am 1.10.43 wurde ein halbjähriger<br />

Lehrgang angeboten. Der Ostern 1944 aufgenommene Unterricht in der einjährigen<br />

Haushaltungsklasse musste aber im Herbst auf Grund einer Notverordnung durch<br />

Goebbels 460 eingestellt werden. Bis zur Beschlagnahme des Schulgebäudes als<br />

Krankenhaus für holländische und flämische Flüchtlinge im September 1944 konnte der<br />

Berufsschulunterricht während des Krieges unter Heranziehung nebenamtlicher Lehrkräfte<br />

im vollen Umfang weitergeführt werden. Bei den Flüchtlingen handelte es sich um die so<br />

genannten „Gäste des Führers“, Nazis niederländischer und belgischer Staatsbürgerschaft,<br />

die mit ihren Familien vor den Alliierten ins Reich flüchteten. Im Winterhalbjahr 1944/45<br />

musste jedoch der gesamte Unterricht in den gewerblichen Klassen ausfallen, da nur<br />

behelfsmäßige Unterrichtsräume zur Verfügung standen, in denen nur der Unterricht der<br />

kaufmännischen Klassen und der Klasse der Haushaltslehrlinge durchgeführt werden konnte.<br />

Auch wurden die beiden letzten männlichen Lehrkräfte im Laufe des Halbjahres noch<br />

einberufen. 461<br />

Schulformen Jahr Schüler Std. Lehrer<br />

Personalkosten<br />

Kosten<br />

gesamt<br />

Städt.<br />

Zuschuss<br />

Staatszuschuss<br />

Gastschulgeld<br />

u. andere<br />

Zuschüsse<br />

Gew. BS 1932 241 98 2 (8) - - - - -<br />

" 1933 220 88 2 (8) - - - - -<br />

Gew./Kaufm. BS 1934 334 98 3 (9) 11.724 15.534 9.937 4.600 996<br />

" 1935 332 125 4 (9) 17.030 22.696 17.474 4.700 521<br />

" 1936 448 155 6 (7) 17.518 34.888 23.388 11.000 500<br />

" 1937 519 164 7 (6) 20.359 31.703 25.485 5.500 718<br />

" 1938 512 166 7 (7) 23.253 39.232 30.318 5.166 3.747<br />

" 1939 483 175 8 (6) - - - - -<br />

In Klammern: Lehrkräfte im Nebenamt Quelle: P. MAETZ, Entwicklung, 1951, S. 3, 11 f<br />

460 Joseph Goebbels, seit 1926 Gauleiter von Berlin und seit 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und<br />

Propaganda, wurde 1944 auch noch Generalbevollmächtigter für den Totalen Kriegseinsatz.<br />

461 Vgl. MAETZ 1951, S. 2-4.


Schulische Setzerei für die grafische Bezirksklasse.<br />

Quelle: <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt vom 14./15.2.1942; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

Im Jahre 1938 arbeiteten an der Städtischen Berufsschule <strong>Verden</strong> hauptamtlich folgende<br />

Lehrkräfte: Direktor Paul Maetz (Maurer u. Zimmerer/Wagenschmiede, 14/20 Std.),<br />

Gewerbeoberlehrer Karl Lange (Metallgewerbe, 28/35 Std.), Gewerbeoberlehrer Alfred<br />

Welkener (Kunstgewerbe, 28/36 Std.), Gewerbelehrerin Thea Harries (Schneidern u.<br />

Putz/Hauswirtschaft, 26/26 Std.), Dipl. Handelsoberlehrer Fritz Ludwig (Englisch u.<br />

Deutsch/Betriebswirtschaft, 28/38 Std.) und Handelsoberlehrer Hans Sonnentag<br />

119


(Betriebswirtschaft/Technologie, 28/36 Std.). Bis auf Lange unterrichteten auch alle<br />

Pädagogen an der Handelsschule. 462<br />

Zeugnis für den Verkäuferlehrling Hermann Bormann.<br />

Quelle: Hermann Bormann, <strong>Verden</strong>.<br />

462 Vgl. Verzeichnis der hauptamtlichen Lehrkräfte; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/27 a. In Klammern:<br />

Hauptfach/Nebenfach, Pflichtstunden/tatsächlich erteilte Stunden.<br />

120


Auch das noch: Hausaufgaben für Berufsschulen<br />

121<br />

In dem Erlass vom 26.7.35 ordnete der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung an, dass nach den Sommerferien 1935 in allen<br />

Berufsschulklassen allwöchentlich Hausaufgaben gestellt werden: „Der Umfang der<br />

Hausaufgaben ist so zu wählen, dass der Durchschnittsschüler sie in etwa einstündiger<br />

Arbeit zu lösen vermag. [...] Von den Leitern und Leiterinnen erwarte ich sorgfältigste<br />

Überwachung der Durchführung dieses Erlasses. Über die mit der Einführung von<br />

Hausaufgaben gemachten Erfahrungen sehe ich Ihrem Bericht bis zum 1.4.36 entgegen.“ 463<br />

Der Erfahrungsbericht von Schulleiter Maetz vom 1.3.36 ging per Eilpost an den<br />

Regierungspräsidenten in Stade. Da in dem Schreiben sehr deutlich die Ausbildungssituation<br />

mit all ihren Problemen zu diesem Zeitpunkt charakterisiert wird, hier ein paar Auszüge:<br />

„Die mit dem Stellen von Hausaufgaben verbundenen Vorteile sind so naheliegend, dass<br />

allgemein die ministerielle Anordnung begrüßt wurde. War es doch auch bisher zweifelhaft,<br />

ob mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Schulzucht die Ausführung von<br />

Hausarbeiten erzwungen werden konnte. [...] Es ist z.B. auch leichter, von einem<br />

Kaufmanns- oder Schriftsetzerlehrling gute Hausarbeiten zu erhalten als von einem<br />

körperlich schwer arbeitenden Jugendlichen. In gewerblichen Klassen ist der zahlenmäßige<br />

Anteil der Schwachbegabten recht groß. Besonders dürfte dies in den Klassen der<br />

Ungelernten und der Bauberufe die Regel sein. Weiter kommt hinzu, dass für die meisten<br />

Handwerkslehrlinge der 8 Stundentag nur auf dem Papier steht. Da außerdem noch die<br />

gewerblichen Lehrlinge hier meistens vom Lande stammen, haben sie vor und nach der<br />

Arbeit noch Wege bis zu je 1 Stunde zurückzulegen. Die Bäckerlehrlinge z. B. sind<br />

besonders schlecht daran. Sie müssen morgens um 4 Uhr aufstehen. Zweimal wöchentlich<br />

ist bis 8 Uhr abends Unterricht und mindestens zweimal H-J.-Dienst. In günstigen Fällen<br />

findet man aber wieder, dass Hausaufgaben mit Begeisterung ausgeführt werden und auch<br />

mit peinlichster Sorgfalt. Dort wo der Lehrling bei dem Meister wohnt oder die häuslichen<br />

Verhältnisse so schlecht sind, dass die ganze Familie in der Küche als dem einzig geheizten<br />

Raum haust, stellen sich dem Jugendlichen bei oft gutem Willen Schwierigkeiten in den Weg.<br />

[...] Das Nachsehen der Hausarbeiten neben den in der Schule angefertigten Arbeiten bringt<br />

aber eine solche Mehrbelastung mit sich, dass hier die größten Schwierigkeiten auftreten.<br />

Dadurch, dass bei den einzelnen Kollegen neben der Schularbeit noch andere<br />

Verpflichtungen bestehen (S.A., SS., HJ., D.L.V., 464 D.A.F., Innungsarbeit usw.) fehlt es oft<br />

an der erforderlichen Zeit. [...] Die bisherigen Erfahrungen sind so, dass mehr Gründe für die<br />

Beibehaltung der Hausarbeiten sprechen als gegen sie.“ 465<br />

Die Entnazifizierung des Lehrkörpers<br />

Der Direktor der <strong>Verden</strong>er Berufsschule, Paul Maetz, war „Pg.“, also Parteigenosse der<br />

NSDAP. „Der öffentliche Kläger bei dem Entnazifizierungs-Ausschuss des Kreises <strong>Verden</strong>“<br />

behandelte seine „Spruchsache“ unter der Geschäftsnummer VE 1475/45/V. Er musste im<br />

Oktober 1945 einen Fragebogen der britischen Militärregierung ausfüllen. Anhand seiner<br />

Angaben lässt sich sein Lebenslauf und seiner Rolle, die er in der Partei hatte,<br />

nachvollziehen. Maetz wurde im Jahre 1900 in Weinheim (Bergstraße) geboren. Von 1927<br />

bis September 1931 war er als Gewerbelehrer beim Berufsschulverband Aumund (Bremen)<br />

tätig. Am 1. Januar 1932 erhielt er seine Anstellung an der Berufsschule in <strong>Verden</strong> und ab<br />

dem 15.01.1934 wurde er zum Direktor befördert, da der damalige Schulleiter, Heinrich von<br />

Bergen, im Hauptamt Volksschullehrer war (Nicolaischule) und wegen Doppelverdienstes<br />

463 Erlass (E IV Nr. 9093/35); Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/28f.<br />

464 DLV = Deutscher Luftschutzverband.<br />

465 Schreiben von Paul Maetz an den Regierungspräsidenten vom 24.2.36; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/28f.


122<br />

ausscheiden musste. Militärdienst leistete er als Unteroffizier von August 1939 bis Oktober<br />

1940 im Inf. Reg. 377. Danach wurde er bis März 1945 „uk“ gestellt. In den letzten<br />

Kriegswochen wurde er zu den Landesschützen eingezogen. Den Aufnahmeantrag zum<br />

Eintritt in die NSDAP stellte er 1938. Rückwirkend wurde er dann Mitglied ab dem 1. Mai<br />

1937. In der Partei übte er keinerlei Funktion aus. In seiner Eigenschaft als Parteimitglied<br />

hielt er auch keine Reden oder gab Veröffentlichungen heraus. Von 1934-1935 war er in der<br />

Hitlerjugend Sachbearbeiter für Berufsfragen und Jugendrecht als Mitglied des Städtischen<br />

Jugendamtes. Ab Juni 1934 wurde er Mitglied in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt<br />

(NSV) und ab November 1936 im NS-Lehrerbund. Zu seiner Entlastung gab er an, dass die<br />

Gestapo 1941 bei ihm eine Haussuchung durchführte wegen seiner früheren Mitgliedschaft<br />

in der Anthroposophischen Gesellschaft, die 1935 verboten worden war. Dabei wurden ca.<br />

20 Bücher beschlagnahmt. 466 Es dauerte noch drei Jahre, bis er die „Entnazifizierungs-<br />

Entscheidung im schriftlichen Verfahren“ erhielt: „Herr Paul Maetz, <strong>Verden</strong>, wird für entlastet<br />

erklärt und in die Kategorie V eingestuft (gemäß §§ 5 und 7, Abs. 1, Buchst. a der<br />

Rechtsgrundsätze der Entnazifizierung). Gründe: Herr Maetz ist seit dem 1. Mai 1937<br />

Mitglied der NSDAP und 1934 bis 1935 Mitglied der HJ gewesen. Letzteres war er nicht aus<br />

eigenem Antrieb sondern in seiner Eigenschaft als Mitglied des Städtischen Jugendamtes.<br />

Diese Mitgliedschaft kann ihm also als Belastung [sic!] angerechnet werden. In der Partei<br />

hatte Herr Maetz kein Amt. Er ist also lediglich dem Namen nach ohne Einfluss Mitglied der<br />

NSDAP gewesen und hat den Nationalsozialismus, abgesehen von den pflichtgemäßen<br />

Mitgliedsbeiträgen, nicht unterstützt und ist damit entlastet. Beweismittel: Fragebogen.“ 467 Mit<br />

der Zahlung einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 20 DM war dann sein Verfahren<br />

abgeschlossen. Zur Erinnerung: Sein Vorgänger, Heinrich von Bergen, war aktives NSDAP-<br />

Mitglied. 468<br />

466 Vgl. Spruchsache Paul Maetz; Niedersächsisches Staatsarchiv Stade, Rep. 275 II, Nr. 24020.<br />

467 Entscheidung des Entnazifizierungs-Hauptausschusses des Kreises <strong>Verden</strong> vom 10.12.48;<br />

Niedersächsisches Staatsarchiv Stade, Rep. 275 II, Nr. 24020.<br />

468 Vgl. WOOCK 2002, S. 328.


Ausriss aus dem Schülerverzeichnis 1936-1946. Man entnimmt, dass zwei Schüler zum<br />

Reichsarbeitsdienst (RAD) kamen und einer Luftwaffenhelfer wurde.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

123<br />

Zu Kriegsbeginn bestand das Kollegium der Berufsschule aus acht hauptamtlichen und<br />

sechs nebenamtlichen Lehrkräften. Von den hauptamtlichen Gewerbelehrern war nur Ernst<br />

Osterwald einfaches NSDAP-Mitglied (Eintritt 1938). Auch er wurde nach dem Krieg<br />

weiterbeschäftigt. 469 Einige Pädagogen an den allgemeinbildenden <strong>Schulen</strong> in <strong>Verden</strong> waren<br />

dagegen aktiv in der Partei bzw. ihren Gliederungen tätig. Der Rektor der Nicolaischule,<br />

Hermann Thies, war seit 1932 in der SA und zeitweilig Ortsgruppenleiter. Er erschien oft in<br />

der Schule in seiner SA-Uniform. 1936 und 1937, als zwei jüdische Mädchen vom Lyzeum an<br />

die Nicolaischule versetzt wurden, weil sie die „Höhere Töchterschule“ nicht mehr besuchen<br />

469 Vgl. Protokoll der Konferenz vom 3.4.51. Protokollbuch, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.


durften, wurden sie von Thies sehr diskriminierend behandelt. 470 In bedrückender Erinnerung<br />

ist es noch ehemaligen SchülerInnen, als er nach der „Reichspogromnacht“ 1938 seine<br />

Klasse zur brennenden Synagoge am Johanniswall führte, sie dort ein Lied singen und<br />

anschließend singend durch die Stadt marschieren mussten. 471 Oberstudiendirektor Walter<br />

Brandt, Leiter des Domgymnasiums von 1936-1945, war ein überzeugter Anhänger der<br />

Nazis und stellvertretender NSDAP-Kreisschulungsleiter. Er trat auch als Redner vor der<br />

Wehrmacht und Partei in Erscheinung, z. B. auf einer Tagung der Kreisgruppe <strong>Verden</strong> im<br />

NSLB mit dem Thema „Volkhafte Gegenwartsdichtung“. 472 Seine Kollegen Dr. Heinrich<br />

Oldecop 473 und Reinhard Goy waren ebenfalls „Pg.s“. Wilhelm Meinecke, Direktor des<br />

Lyzeums von 1939-1945, wurde bereits 1933 Mitglied der NSDAP. Er war ein häufiger<br />

Redner auf diversen Parteiveranstaltungen im Landkreis, z.B. anlässlich der Feierstunde<br />

zum Hitlerputsch am 9.11.1938 in München. 474 Sein Kollege Dr. Karl Ropers war NSDAP-<br />

Kulturwart. Und Richard Oelfke, Lehrer an der Nicolaischule, tauchte in der örtlichen Presse<br />

häufig als Redner in seiner Funktion als Kreiswalter des NS-Lehrerbundes auf. 475<br />

124<br />

Es gab aber auch Kollegen, die sich ambivalent oder sogar resistent gegenüber den Nazis<br />

verhielten. Obwohl der Leiter des Lyzeums, Dr. Karl Theodor Strasser, begeisterter<br />

Nationalsozialist war, wird er von Hanni Baumgarten, einer ehemaligen jüdischen Schülerin,<br />

als eine liberal gesinnte Persönlichkeit beschrieben, die jedem übertriebenen Nationalismus<br />

und jeder Art von Rassismus ablehnte. 476 Studiendirektor Dr. Menge, seit 1920 Schulleiter<br />

des Domgymnasiums, wollte sich nicht mit den neuen Machthabern arrangieren und als er<br />

sich schließlich weigerte, ein Hitlerbild in der Schule aufhängen zu lassen, wurde er im<br />

Februar 1935 abgesetzt und als Studienrat nach Hannover versetzt. 477 Der Sozialdemokrat<br />

und Rektor der Nicolaischule, Friedrich Baumgarten, wurde im September 1933 während des<br />

Unterrichts vor den Augen seiner Klasse von zwei Gestapo-Beamten abgeholt und danach<br />

vom Dienst suspendiert. 478 Alexander Rosenbrock, von 1922-1947 Leiter der <strong>Verden</strong>er<br />

Mittelschule, trat erst in den NS-Lehrerbund ein, als er vom NSDAP-Kreisleiter Brändel dazu<br />

gedrängt worden war – drei Monate vor seiner Auflösung im Jahre 1943. Trotzdem stellte<br />

Rosenbrock für Brändel einen „Persilschein“ 479 aus, in dem er ihm eine „erfreuliche<br />

Duldsamkeit gegenüber Andersdenkenden“ bescheinigte und feststellte, dass gelegentliche<br />

Beschwerden der HJ-Führung über ihn von Brändel stets in sachlicher Weise abgelehnt<br />

worden waren. 480<br />

470<br />

Vgl. NICOLAISCHULE 1993, S. 39f.<br />

471<br />

Vgl. ebd., S. 38.<br />

472<br />

Vgl. „Tagung der Kreisgruppe <strong>Verden</strong> im NS-Lehrerbund“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt (VAB), 6.07.41;<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong>, Mikrofilm VAB Nr. 70. Nach dem Krieg wurde er von den Briten verhaftet und in ein<br />

Entnazifizierungslager interniert. Danach kam er als Oberstudienrat an ein Gymnasium in Cuxhaven.<br />

473<br />

Dr. Oldecop führte ein Jahr lang (1935-1936) die Geschäfte des Domgymnasiums.<br />

474<br />

Vgl. „Die Feierstunde zum 9. November“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 9.11.42; ebd., Mikrofilm VAB Nr. 71.<br />

475<br />

Vgl. z. B. „Tagung der Kreisgruppe <strong>Verden</strong> im NS-Lehrerbund“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 6.7.41, ebd.,<br />

Mikrofilm VAB Nr. 70.<br />

476<br />

Vgl. STRASSER 2001, S. 249, 252.<br />

477<br />

Vgl. HENNING 2002, S. 197. Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und<br />

Volksbildung hatte in seinem Rundschreiben vom 25.2.35 darauf hingewiesen, repräsentative Amtsräume zur<br />

Ehrung des Führers und Reichskanzlers mit seinem Konterfei auszustatten. Vgl. Schreiben des<br />

Regierungspräsidenten in Stade vom 11.3.35 an die Landräte; Nds. Staatsarchiv Stade, Rep. 80 G, Titel 290,<br />

Nr. 2b, Bd. III.<br />

478<br />

Vgl. NICOLAISCHULE 1993, S. 39.<br />

479<br />

„Persilschein“ = Volksmund („Persil“ macht schwarze Westen wieder weiß) für Leumundszeugnisse, die den<br />

Betroffenen in den Entnazifizierungsverfahren entlasten sollten.<br />

480<br />

Vgl. Leumundszeugnis von Rosenbrock vom 24.5.47; Bundesarchiv Koblenz, Z 42 (Spruchgerichte in der<br />

britischen Zone, Nr. VII/272 Ernst Brändel. In dem Schreiben betont Rosenbrock, dass er weder dem NSV<br />

noch dem NSLB angehört hätte!


Wegen seiner demokratischen Haltung im „Dritten Reich“ wurde Rosenbrock von der<br />

Bezirksregierung in Stade in den Entnazifizierungsausschuss des Kreises <strong>Verden</strong> berufen. 481<br />

Kapitel 6: 60 Jahre berufliche Bildung in <strong>Verden</strong> (1945 – 2005)<br />

„Allgemeinbildung ist die Berufsbildung der Herrschenden. Berufsbildung ist die<br />

Allgemeinbildung der Beherrschten.“ 482<br />

Am 1. Januar <strong>2006</strong> wurden die „BBS <strong>Verden</strong>“ 175 Jahre alt. 483 Im Königreich Hannover<br />

wurden die ersten Gewerbeschulen im Jahre 1830 in Hannover, Osnabrück, Meppen und<br />

Nienburg ins Leben gerufen. <strong>1831</strong> folgten dann <strong>Verden</strong>, Stade, Hameln und Leer. Die<br />

einzelnen Teile, die im Heimatkalender 484 veröffentlicht wurden, bezogen sich ausschließlich<br />

auf die Gewerbeschule der Stadt <strong>Verden</strong>. Die Entwicklung der ländlichen<br />

Fortbildungsschulen, der Landwirtschaftsschule (ab 1893) bzw. der landwirtschaftlichen<br />

Berufsschulen (ab 1946), 485 der Handelsschule (ab 1894), 486 der hauswirtschaftliche<br />

Berufsschule und der Berufsschule in Achim (ab 1957 eigenes Gebäude) 487 wird hier in den<br />

Kapiteln 7 - 9 beschrieben.<br />

Die Städtische Berufsschule in <strong>Verden</strong> (1945 – 1951)<br />

Nach dem totalen „Zusammenbruch“ Deutschlands im Mai 1945 blieben alle <strong>Schulen</strong><br />

zunächst bis Ende September geschlossen. Da die Verkehrsverbindungen noch sehr<br />

schlecht waren, wurde die Berufsschule zunächst von den in <strong>Verden</strong> beschäftigten und<br />

wohnhaften Jugendlichen besucht. Bei der Wiederaufnahme des Unterrichts wurde auch die<br />

Berufsschulpflicht für alle Mädchen in der Stadt <strong>Verden</strong> eingeführt, so dass der 1. Oktober<br />

1945 als der Gründungstag der hauswirtschaftlichen Berufsschulpflicht anzusehen ist, wenn<br />

man von der während des Krieges eingerichteten Klasse für Haushaltslehrlinge und dem<br />

hauswirtschaftlichen Unterricht der weiblichen kaufmännischen Lehrlinge in den Jahren vor<br />

dem Kriege absieht. Als der Unterricht wieder aufgenommen wurde, fehlten noch vier<br />

Kollegen, von denen auch keinerlei Nachricht vorlag. Bis auf einen Handelslehrer, der noch<br />

im Mai 1945 gefallen war, sind dann nach und nach sämtliche Kollegen, der letzte im<br />

Frühjahr 1948, wieder zurückgekehrt. Die Schülerzahlen stiegen sogleich über das<br />

Vorkriegsmaß, so dass Flüchtlingslehrkräfte zum Teil auf Dauer, zum Teil vorübergehend<br />

eingestellt werden mussten. Die Handelsschule wurde Ostern 1946 mit einer Klasse<br />

wiedereröffnet. Die schwierigen Versorgungsverhältnisse auf dem Lebensmittel- und<br />

Textilienwarenmarkt ließen jedoch einen erfolgreichen Unterricht in der Haushaltungsschule<br />

125<br />

481<br />

Vgl. REDAKTIONSAUSSCHUSS DER KONFERENZ DER MITTELSCHULE 1960, S. 55, 67.<br />

482<br />

Diese einprägsame Definition von Arbeiterführer August Bebel wurde in der Veröffentlichung des Enquete-<br />

Ausschusses „Bildung 2000“ des Deutschen Bundestages 1990 zitiert. Das gilt zwar heute nicht mehr so wie im<br />

Kaiserreich und in der Weimarer Republik, aber Einiges von dieser Klassenzuordnung wirkt bis heute nach,<br />

gerade was den schulisch-hochschulischen Lernweg betrifft. Vgl. GREINERT 1998, S. 15.<br />

483<br />

Am 31.12.1951 erschien in der <strong>Verden</strong>er Aller-Zeitung ein Artikel zum 120-jährigen Bestehen der<br />

Berufsschule. Darin wurde der Gründungstag fälschlich mit dem 2. Januar 1832 angegeben, da die Schulleitung<br />

das entscheidende Dokument noch nicht entdeckt hatte. Erst im Rahmen der Recherchen zu dieser<br />

Schulchronik wurde das einzige Dokument, das den Gründungstag belegt, im Stadtarchiv <strong>Verden</strong> gefunden.<br />

Abgedruckt in WOOCK 1998, S. 278.<br />

484<br />

Ab „Heimatkalender für den Landkreis <strong>Verden</strong> 1999“.<br />

485<br />

Vgl. MISCHER 1988, S. 51-60.<br />

486<br />

Vgl. SCHMIDT 1979, S. 223 und WOOCK 2000, S. 294.<br />

487<br />

Vgl. MISCHER 1988, S. 61-66.


nicht zu. Erst nach der Währungsreform im Jahre 1948 konnte die Wiederaufnahme<br />

verantwortet werden.<br />

Anzeige im „Verordnungsblatt“ vom 9.4.1948. Ab dem Schuljahr 1967/68 begann das neue Schuljahr<br />

nach den Sommerferien.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

Die Entwicklung der Schülerzahlen, der erteilten Unterrichtsstunden und der vorhandenen<br />

Lehrkräfte an der Gewerblichen, Kaufmännischen und Hauswirtschaftlichen Berufsschule<br />

ergeben sich aus der Aufstellung. In den Zahlen der hauptamtlichen Lehrkräfte sind bis 1949<br />

die Lehrkräfte der Handelsschule und ab 1950 auch die der Haushaltungsschule<br />

eingeschlossen.<br />

Jahr Schülerzahl Stunden Lehrkräfte<br />

hauptamtlich nebenamtlich<br />

1946 624 196 8 7<br />

1947 863 255 11 6<br />

1948 1.081 276 11 14<br />

1949 954 296 10 14<br />

1950 1.049 288 14 4<br />

1951 1.115 298 16 4<br />

Die an der Schule vorhandenen 16 hauptamtlichen Lehrkräfte hatten folgende<br />

Fachrichtungen:<br />

Direktor Baugewerbe<br />

Gewerbelehrer (2) Metallgewerbe<br />

Gewerbelehrer Baugewerbe (ab 1948)<br />

Gewerbelehrer Kunstgewerbe<br />

Gewerbelehrer Bekleidungsgewerbe (ab 1951)<br />

Gewerbelehrer Ernährungsgewerbe (ab 1949)<br />

Gewerbelehrer Holzgewerbe (ab 1951)<br />

Gewerbelehrerinnen (2) Hauswirtschaft (davon eine ab 1948)<br />

Gewerbelehrerin Bekleidungsgewerbe (ab 1949)<br />

Handelslehrer Technologie und Wirtschaftserdkunde<br />

Handelslehrer Englisch und Wirtschaftserdkunde<br />

Handelslehrer Französisch (Direktor a. D., 20 Wochenstunden)<br />

Handelslehrer spezielle Betriebswirtschaft<br />

Fachlehrerin Kurzschrift und Maschineschreiben<br />

126


127<br />

Die Unterrichtsstundenzahl betrug, mit Ausnahme der Schlachter (6 Wochenstd.) und der<br />

hauswirtschaftlichen Berufsschule (5 Wochenstd.), in allen Klassen wöchentlich acht<br />

Stunden. In den gewerblichen Klassen wurden Maurer, Tischler, Maler, Metallhandwerker,<br />

Bäcker, Schlachter, Herrenschneider, Damenschneiderinnen, Zimmerer, Schmiede,<br />

Elektroinstallateure, Kraftfahrzeughandwerker, Klempner, Schuhmacher, Sattler, Polsterer,<br />

Müller, Setzer, Drucker und Wasserbauwerker unterrichtet. Die beiden grafischen Klassen für<br />

Setzer und Drucker waren Bezirksfachklassen für die Kreise <strong>Verden</strong>, Rotenburg und Soltau.<br />

Der Allgemeinunterricht teilte sich in Bürgerkunde, Geschäftskunde mit Schriftverkehr und<br />

Geschäftsrechnen auf. In den kaufmännischen Klassen wurde die übliche Aufgliederung in<br />

Verkäufer- und Kontorklassen nicht vorgenommen. Der allgemeine kaufmännische Unterricht<br />

umfasste fünf Wochenstunden, hinzu kam noch ein dreistündiger Fachunterricht, der sich je<br />

nach der Berufsrichtung auf die Gebiete Kurzschrift und Maschinenschreiben, Plakatschrift,<br />

Wirtschaftserdkunde, Verkaufskunde und Warenkunde erstreckte. In den<br />

hauswirtschaftlichen Klassen lag, abgesehen von den allgemeinen Fächern, der<br />

Unterrichtsschwerpunkt in der Unterstufe im Wäschenähen und Ausbessern, in der<br />

Mittelstufe im Schneidern und in der Oberstufe im Kochen. Die in der Stadt <strong>Verden</strong><br />

berufsschulpflichtigen Jugendlichen stellten im Schuljahr 1951/52 56% der Schülerzahl der<br />

Städtischen Berufsschule. Von dem Rest waren 42% im Kreis <strong>Verden</strong> und 2% in anderen<br />

Kreisen berufsschulpflichtig. Da der Landkreis <strong>Verden</strong> zu diesem Zeitpunkt keine<br />

Berufsschulen unterhielt, zahlte er einen Pauschalbetrag in Höhe von 6 DM je<br />

Jahreswochenstunde. Im Kreis <strong>Verden</strong> befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch zwei<br />

Fortbildungsschulen in Achim und Ottersberg.<br />

Die Raumverhältnisse im Berufsschulgebäude an der Südstraße waren nach einem Bericht<br />

des Schulleiters Maetz aus dem Jahre 1951 völlig unzureichend. Die gewerbliche,<br />

kaufmännische und hauswirtschaftliche Berufsschule, die Handelsschule (zwei Klassen) und<br />

die Haushaltungsschule (eine Klasse) mussten sich das Gebäude teilen. In den Jahren 1935-<br />

1937 wurden An- und Ausbauten vorgenommen, um der schon damals drängenden<br />

Raumnot abzuhelfen. Die Schülerzahl war aber inzwischen auf das Dreifache gestiegen. Die<br />

tägliche Belegung eines Klassenraumes schwankte zwischen acht und zehn Stunden. Um<br />

überhaupt zurechtzukommen, musste der Unterricht manchmal in Räumen abgehalten<br />

werden, die hierzu ungeeignet waren. Der Schreibmaschinenraum wurde z. B. für den<br />

Unterricht der Friseure, Klempner, Müller, Schlachter und Elektroinstallateure benutzt und die<br />

Küche für den Unterricht der Sattler und Polsterer. Trotzdem mussten noch nachmittags<br />

Klassenräume der Mittelschule sechsmal in Anspruch genommen werden. Der<br />

Fachunterricht für die Wasserbaulehrlinge wurde auf der Lehrbaustelle für Wasserwerker in<br />

<strong>Verden</strong> erteilt. Maetz stellte fest, dass mindestens vier Klassenräume fehlten, von dem<br />

dringenden Bedarf an Werkstätten (Metall- und Holzwerkstatt) ganz abgesehen. 488<br />

Die Kreisberufsschule am Meldauer Berg<br />

1954 übernahm der Landkreis <strong>Verden</strong> die Schulträgerschaft von der Stadt <strong>Verden</strong>. Die<br />

Schulräume in der Südstraße, in denen die Berufsschule seit 1928 untergebracht war,<br />

reichten bald nicht mehr aus. 1936 wurden Umbauten vorgenommen (Einbau einer<br />

Lehrküche, WC-Anbauten). Zwei Jahre später sollte auf dem Schulhof ein Erweiterungsbau<br />

errichtet werden, der aber nicht zur Ausführung kam. 489 1956 wurde dann mit der Planung<br />

einer neuen Kreisberufsschule am Nordhang des Meldauer Berges in <strong>Verden</strong> begonnen. Die<br />

488 Vgl. MAETZ 1951, S. 3-9.<br />

489 Vgl. WOOCK 2005, S. 235.


insgesamt vier Blöcke des Neubaues wurden in den Jahren 1957 bis 1962 abschnittsweise<br />

fertiggestellt. 1969 erwog der Landkreis <strong>Verden</strong> die Schaffung eines Erweiterungsbaues, da<br />

durch die unvorhergesehen starke <strong>Schulen</strong>twicklung an der Berufsschule schon wieder<br />

Raummangel herrschte. Die seinerzeit ca. 2.000 Schüler wurden z. T. in Kellerräumen und<br />

auf den Fluren unterrichtet. 1970 spitzte sich die Raumnot noch weiter zu. Für die Gebäude<br />

war ursprünglich eine Schülerzahl von 1.500 zugrunde gelegt worden. Jetzt wurden dort<br />

2.324 Schüler unterrichtet. Die Zahl der Klassen hatte sich in den letzten Jahren um etwa<br />

50% auf 102 Klassen erhöht. Ein Erweiterungsbau erschien nun nicht mehr zweckmäßig. Es<br />

wurde vom Landkreis beschlossen, möglichst schnell den Neubau eines<br />

Berufsschulzentrums zu betreiben. 490<br />

Neubau der Berufsschule am Meldauer Berg (Foto ca. 1962).<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

Das Protokollbuch (1951-1968)<br />

128<br />

Aus dem Protokollbuch von 1898 bis 1932 wurde bereits ausführlich zitiert. 491 Das<br />

Protokollbuch der Konferenzen während der NS-Diktatur ist offensichtlich vernichtet worden.<br />

Die Eintragungen in das neue Buch beginnen erst am 3.4.1951 mit dem Vermerk, dass eine<br />

Raucherecke vom Kollegium abgelehnt wurde. Im Jahre 1952 wurde eine Unterrichtsstunde<br />

mit 4 DM vergütet, nebenberufliche Lehrkräfte erhielten 3 DM pro Stunde. Im März 1953<br />

wurde dann die 45-Minutenstunde eingeführt und die Schulordnung geändert: Der Schulhof<br />

darf verlassen werden, um zum Bäcker gehen zu können. Zum Leidwesen der Schüler (und<br />

vermutlich zum Schutze der weiblichen Jugend) wurde das Schneeballwerfen auf dem Hof<br />

verboten. 1954 wurde beschlossen, dass die Tintenfässer nicht mehr aus der Vertiefung der<br />

Schulbänke genommen werden dürfen, damit beim Läuten keine Tintenfässer mehr umfallen.<br />

Ein Jahr später waren für viele Familien die wirtschaftlichen Verhältnisse immer noch so<br />

schlecht, dass an bedürftige und förderungswürdige Schüler insgesamt 850 DM (je 20 DM)<br />

490 Vgl. SCHMIDT 1979, S. 223f.<br />

491 Vgl. WOOCK 2002, S. 328.


129<br />

verteilt wurden. Jetzt wird das Verlassen des Schulhofes untersagt. In der Konferenz vom<br />

1.9.1957 verliest Direktor Maetz einen Erlass, der die körperliche Züchtigung von Mädchen<br />

untersagt! Er berichtet auch über seine Erfahrungen bei Ausflügen mit gemischten Klassen.<br />

Sie sollen in Zukunft nicht mehr länger als vier Tage unterwegs sein, da gegen Ende der<br />

Ausflüge immer die Pärchenbildung zu beobachten wäre. Im Oktober 1958 wird unter den<br />

Lehrkräften zum Thema Gemeinschaftskunde diskutiert. Man kommt zu dem Schluss, dass<br />

es sich dabei um „Gesinnungsunterricht“ handele und daher eine besondere Benotung in<br />

diesem Fach vorgenommen werden müsste: „mit sehr großem Interesse teilgenommen“, „mit<br />

großem Interesse teilgenommen“ und „mit Interesse teilgenommen“. Man ist sich auch<br />

darüber einig, dass die Schüler auf dem Schulhof Papier auflesen müssen. Im Jahre 1960,<br />

ein Jahr vor dem Mauerbau, wird den Kollegen die Teilnahme an „getarnten oder<br />

ungetarnten Veranstaltungen in der Ostzone“ untersagt. 1961 war dann die Raucherlobby so<br />

stark, dass man sich entschloss, eine Raucherecke auf dem Schulhof einzuführen. Allerdings<br />

kam 1962 ein Erlass, der den Lehrkräften verbot, während der Aufsicht zu rauchen. Hinzu<br />

kam, dass die Schulbehörde darüber benachrichtigt werden sollte, wenn Lehrkräfte wegen<br />

Übertretung der Verkehrsvorschriften bestraft werden würden. Der Protokollant vermerkte<br />

auch die Reaktion der Adressaten: „Das Verlangen löst allgemeines Befremden aus und wird<br />

von dem Kollegium nicht für berechtigt gehalten.“ Später werden noch die Erfahrungen eines<br />

betroffenen Kollegen wiedergegeben, aus denen hervorgeht, dass entsprechende<br />

Meldungen anscheinend bereits automatisch erfolgen. 1965 dann werden endlich alle<br />

Gewerbelehrer in die Besoldungsgruppe A 13 höher gruppiert; allerdings sind sie dadurch<br />

noch nicht ohne Weiteres Beamte des höheren Dienstes geworden. Auf Grund des<br />

Lehrermangels an Berufsschulen wird ein Erlass herausgegeben, nach dem Ingenieure als<br />

hauptamtliche Lehrkräfte im fachkundlichen Unterricht beschäftigt werden können, wenn sie<br />

nach der Ingenieurprüfung drei Jahre einschlägig tätig waren. Nach bestandener Lehrprobe<br />

erhielten sie eine Vergütung nach BAT IVa. Ein weiterer Erlass verpflichtete die Lehrkräfte,<br />

dem Direktor seine Urlaubsanschrift vor Antritt des Urlaubs mitzuteilen, damit sie jederzeit<br />

erreichbar sind: „Schulferien sind kein Urlaub!“ Ein Jahr später werden alle Kollegen<br />

aufgefordert, in ihren Klassen Sportunterricht zu erteilen, und zwar für die Fachschulen im<br />

Rahmen der Pflichtstunden und für die Berufsschule nebenamtlich. Im gleichen Jahr<br />

beteiligte sich im August die Schule zum ersten Mal an den Bundesjugendspielen. Das<br />

Stadion wurde für die Mädchen, der „Schlackenplatz“ für die Jungen reserviert. Die<br />

Laufwettbewerbe fanden für beide Geschlechter im Stadion statt. Pädagogische Grundwerte<br />

schrieb man sich ins Stammbuch bzw. ins Protokollbuch: „Die Aufgabe der Berufsschule ist<br />

eine Fundamentalbildung. Die Schüler sollen das Elementare begreifen lernen. Die Prüfung<br />

sei nicht Maßstab unseres Unterrichts.“ 492 Ab 1967 wurden die Unterrichtsbesuche an den<br />

Direktor delegiert. Er hatte ein so genanntes „Besuchsbuch“ ohne Wertung zu führen.<br />

Außerdem sollte in jeder zukünftigen Konferenz ein Referat über schulische und<br />

pädagogische Fragen gehalten werden. Man war auch der Meinung, dass die Schüler die<br />

Lehrkräfte besser grüßen müssten. Die Pausenaufsichten wurden neu geregelt. Zwei Lehrer<br />

übernahmen die Außenaufsicht, SchülerInnen der Ober- und Mittelstufe, ausgestattet mit<br />

gelben Armbinden, kontrollierten am Meldauer Berg die einzelnen Gebäudeteile, Toiletten<br />

und Durchgänge.<br />

Das Geheimnis der schönen Ingeborg<br />

Ingeborg B., verheiratet und 22 Jahre jung, arbeitete bei einem Rechtsanwalt und Notar in<br />

Nienburg als Sekretärin, als sie sich Anfang 1944 als Lehrerin für Stenografie und<br />

Maschinenschreiben an der Berufsschule in <strong>Verden</strong> bewarb. Sie hatte 1943 das<br />

492 Protokollbuch, Eintrag vom 16.8.1966; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.


130<br />

Staatsexamen für das Lehramt Stenografie und Machinenschreiben am Deutschen Institut<br />

für Stenografie und Maschinenschreiben abgelegt. Direktor Maetz setzte sich aufgrund ihrer<br />

guten Zeugnisse für sie ein und am 17.4.1944 trat sie ihren Dienst in <strong>Verden</strong> an. Im<br />

Dezember 1945 wurde sie auf Anordnung der Alliierten Militärregierung fristlos entlassen und<br />

ihr Gehaltskonto gesperrt. Dagegen erhob sie Einspruch mit der Begründung, dass sie<br />

seinerzeit lediglich BDM-Mädel gewesen sei und nach ihrem 18. Geburtstag automatisch in<br />

die NSDAP überwiesen wurde. Außerdem hätte sie nie Ortsgruppenversammlungen<br />

besucht. Als Beweis für ihre wahre politische Einstellung gab sie drei in <strong>Verden</strong> wohnende<br />

Personen an, die keine Parteigenossen waren. Paul Maetz unterstützte den Antrag unter<br />

dem Hinweis, dass Frau B. in keiner Weise politisch aktiv tätig gewesen wäre und sie auf<br />

ihren besonderen Fachgebieten Kurzschrift und Maschinenschreiben eine tüchtige und<br />

fleißige Lehrerin sei. Kurz darauf wurde sie wieder eingestellt, erhielt aber erst im Oktober<br />

1947 von der britischen Militärregierung ihr Entlastungszeugnis. Ende März 1952 endete<br />

dann ihre Tätigkeit an den Städtischen Berufs- und Berufsfachschulen in <strong>Verden</strong>. Die Gründe<br />

dafür bleiben im Dunkeln. In einem Schreiben der Stadtverwaltung an den Schulleiter vom<br />

31.3.1952 heißt es: „Zur Auswertung in der nächsten Sitzung des Personalausschusses bzw.<br />

der Schulkommission bitte ich mir einen – möglichst ausführlichen – Bericht über Frau B.<br />

Verhalten, das jetzt zu einer ausserordentlichen Kündigung ihres<br />

Beschäftigungsverhältnisses führte, vorzulegen.“ In der Personalakte fehlt leider der Bericht<br />

des Direktors. Allerdings gibt es ein Schreiben der Stadt an Ingeborg B., aus dem<br />

hervorgeht, dass sie noch finanzielle Verpflichtungen hätte und sie darüber noch einen<br />

besonderen Bescheid bekäme. Konkreter wird es in der Anfrage des Stadtdirektors an<br />

Schulleiter Maetz: „Ich bitte Sie mir mitzuteilen, wie hoch Frau B.s Schuld am Tage ihres<br />

Ausscheidens noch war (gemäss Ihrer mündlichen Meldung schuldete Frau B. nicht nur den<br />

in der Erklärung vom 12.2.1952 genannten Betrag von 594,05 DM, sondern noch eine<br />

weitere nicht unerhebliche Summe). Hat Frau B. inzwischen Beschäftigung gefunden? Hat<br />

sie Ihnen bestimmte Vorschläge zur Tilgung ihrer restlichen Schuld gemacht?“ Der Akte ist<br />

auch ein Zeitungsartikel beigeheftet, der als Vorlage für die folgende Geschichte diente.<br />

Die 33-jährige Ingeborg kam Anfang 1954 von Hannover nach Hildesheim. Mit glänzenden<br />

Zeugnissen und noch besseren Empfehlungen. Die Hildesheimer Handelslehranstalt, der es<br />

an Fachkräften mangelte, schätzte sich glücklich, einen guten Griff getan zu haben. Ingeborg<br />

sollte bald in das Beamtenverhältnis übernommen werden. Doch da kamen der Schulleitung<br />

merkwürdige Dinge zu Ohren: Die tüchtige Lehrerin sollte Betrügereien am laufenden Band<br />

verüben. Das war unglaublich. Es dauerte lange, bis sich die Leitung der Lehranstalt<br />

überzeugen lassen musste. Der hübschen Ingeborg war offensichtlich alle auf den Leim<br />

gegangen: der Lebensmittelkaufmann, der Buchhändler, der Gastwirt, der Hotelier,<br />

Zimmervermieterinnen und sogar Schüler und Schülerinnen. Sie alle fühlten sich von der<br />

Lehrerin betrogen.<br />

Inge war von einer wahren Kaufleidenschaft besessen gewesen. Aber bezahlt hatte sie<br />

entweder überhaupt nicht oder mit faulen Schecks. Begannen die Geschäfte vorsichtig zu<br />

mahnen – wechselte sie prompt den Laden. Sicheres Auftreten, die gute Erscheinung und<br />

die ebenso gute Stellung öffneten ihr alle Türen. Niemand fragte nach ihrem Einkommen.<br />

Niemand nach ihrer Kreditwürdigkeit. Bis einem der Gläubiger der Kragen platzte, es des<br />

ewigen Vertröstens müde wurde und der Schulleitung zuerst, dann der Polizei Meldung<br />

machte. Es stellte sich zu aller Verwunderung heraus: Ingeborg war nicht nur mit<br />

erstklassigen Zeugnissen, sondern auch mit einem dicken Schuldenpaket aus Hannover<br />

gekommen. In Hildesheim vergrößerte es sich ins Unwahrscheinliche. Unter einem<br />

vorläufigen Schlussstrich der Ermittlungen standen 30 Betrügereien. Die Lehrerin hatte<br />

zweifellos nicht aus Not gehandelt. Mit Garderobe und allen möglichen Sachen gefüllte, bei<br />

Zimmervermieterinnen zurückgelassene Schränke bewiesen es. Wo steckte des Rätsels


Lösung? Die polizeilichen Ermittlungen liefen in eine ganz bestimmt Richtung. Man<br />

mutmaßte, dass Frau B., ebenso hübsch wie anscheinend charakterschwach und von ihrem<br />

Mann geschieden, in die Fänge eines skrupellosen Ausbeuters geraten war und unter<br />

seinem unheilvollen Einfluss die Betrügereien beging, da die Lehrerin auch solche Sachen<br />

erschwindelte, für die nicht sie selbst, sondern ein Mann Verwendung hatte. „Wir haben in<br />

unserer Praxis kaum einen Parallelfall“, sagte der Kriminalkommissar und deutete an, dass<br />

noch eine geraume Zeit vergehen würde, ehe Staatsanwalt und Richter das Wort bekommen<br />

würden. 493 Ob sie später ihr Geheimnis gelüftet hat ist ihrer Personalakte, in der auch drei<br />

Fotos stecken (auf einem Bild posiert sie im Badeanzug!), nicht zu entnehmen. 494<br />

Die „<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>“ im Ortsteil Dauelsen<br />

Ende 1975 wurde in <strong>Verden</strong>-Dauelsen mit dem Bau des neuen Berufsschulzentrums<br />

begonnen. Im Mai 1977 erfolgte der Einzug in die Werkstatt (5.100 m²), und im August des<br />

gleichen Jahres konnte der Unterrichtstrakt des ersten Bauabschnittes bezogen werden.<br />

Dadurch wurden die Blöcke drei und vier sowie der größte Teil des zweiten Blockes am<br />

Meldauer Berg frei für andere <strong>Schulen</strong> in <strong>Verden</strong>. Mitte 1979 wurde der zweite Bauabschnitt<br />

in Dauelsen fertiggestellt – zusammen mit der dringend benötigten Sporthalle und den<br />

Außenanlagen. Bis zur Fertigstellung des dritten Bauabschnittes im Jahre 1981 wurden noch<br />

der gesamte Unterricht der landwirtschaftlichen Abteilung sowie ein Teil des<br />

hauswirtschaftlichen Unterrichts in den Gebäuden der Südstraße, der Eitzer Straße und im<br />

ersten Block am Meldauer Berg erteilt. Im Schuljahr 1979/80 wurden 3.473 Schüler in 152<br />

Klassen (darunter 36 Vollzeitklassen) von 125 Lehrern (darunter 28 stundenweise<br />

beschäftigte Lehrkräfte) unterrichtet. 495 25 Jahre später, im Schuljahr 2004/05 wurden 3.300<br />

Schüler in 171 Klassen (davon 70 Vollzeitklassen) von insgesamt 214 Lehrkräften (davon ca.<br />

39 stundenweise, bzw. nebenamtlich beschäftigte Kräfte) beschult.<br />

Neubau des Berufschulzentrums in <strong>Verden</strong>-Dauelsen. 1. Bauabschnitt, Blick auf den D- und F-Bereich,<br />

Foto ca. 1967.<br />

Quelle: Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

493 Vgl. „Das Geheimnis der schönen Ingeborg“, hp vom 18.8.1954.<br />

494 Vgl. Personalakte Ingeborg B., Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

495 Vgl. SCHMIDT, Berufsschulwesen, 1979, S. 224f.<br />

131


Die Leitung der Schule<br />

132<br />

Vom 15.1.1934 bis 30.9.65 leitete Paul Maetz die Berufsschule. 496 Seinen verdienten<br />

Ruhestand konnte er nicht lange genießen. Da er bereits seit längerer Zeit herzkrank war,<br />

fuhr er im Oktober nach Meran, um dort eine Kur zu beginnen. Am 3.11.65 erlag er dort<br />

überraschend einem Herzschlag. Sein Nachfolger wurde der 40-jährige Herbert Becker, der<br />

sich für die Schulleiterstelle beworben hatte und seinen Dienst am 1.1.1966 antrat. Er<br />

erreichte am 31.7.1988 die Altersgrenze. Ihm folgte am 8.5.1989 Werner Burfeind nach, der<br />

zuvor an den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> Lüneburg als Studiendirektor tätig war. Er leitete<br />

zwölf Jahre lang die Schule und wurde am 1.8.2001 pensioniert. Almut Lüpkes, die in <strong>Verden</strong><br />

ihr Abitur gemacht hatte und später an den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> Braunschweig tätig war,<br />

trat ihre neue Stelle als Schulleiterin am 1.8.2001 in <strong>Verden</strong> an.<br />

Berufsschuldirektor Paul<br />

Maetz (Foto 1950).<br />

Quelle: Elisabeth<br />

Brossmann, geb. Maetz,<br />

Kelkheim.<br />

Oberstudiendirektor<br />

Herbert Becker.<br />

Quelle: Archiv der<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong>.<br />

Oberstudiendirektor<br />

Werner Burfeind.<br />

Quelle: Archiv der<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong><br />

Kapitel 7: Das landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche<br />

Berufsschulwesen<br />

Entwicklung des landwirtschaftlichen Schulwesens<br />

Oberstudiendirektorin<br />

Almut Lüpkes.<br />

Quelle: Archiv der<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong>.<br />

Der technische Fortschritt, neue Methoden der Düngung, des Pflanzenschutzes und die<br />

langsam einsetzende Mechanisierung führten zu der Forderung, den Hoferben und anderen<br />

landwirtschaftlichen Nachwuchskräften eine geregelte Berufsausbildung zu ermöglichen. Im<br />

Landkreis <strong>Verden</strong> stand für die Aus- und Weiterbildung seit Ende des 19. Jahrhunderts die<br />

landwirtschaftliche Winterschule zur Verfügung. Allerdings war ihr Besuch freiwillig. Ab 1908<br />

wurden ländliche Fortbildungsschulen in den Gemeinden eingerichtet.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg glich man die Ausbildung in der Landwirtschaft der Ausbildung<br />

in der gewerblichen Wirtschaft an. Drei Lehrjahre wurden zur Pflicht gemacht mit<br />

gleichzeitigem Besuch der landwirtschaftlichen Berufsschule. Nur von der<br />

Landwirtschaftskammer anerkannte Lehrbetriebe bekamen die Erlaubnis zur Ausbildung von<br />

landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Lehrlingen. 497 Heute endet eine Ausbildung mit<br />

496 Über ihn wurde ausführlich berichtet in: WOOCK, Chronik, 2005, S. 240f.<br />

497 Vgl. MISCHER 1988, S. 51.


der Prüfung zum „Landwirt“ bzw. „Landwirtin“. 498 Die erfolgreich bestandene Prüfung<br />

berechtigt den jungen Landwirt zum Besuch der Einjährigen Fachschule Landwirtschaft.<br />

Nach zwei Jahren praktischer Arbeit in der Landwirtschaft ist es dann möglich, nach<br />

entsprechender Vorbereitung, die Meisterprüfung als Landwirt abzulegen.<br />

Die Landwirtschaftsschule in <strong>Verden</strong> – Einjährige Fachschule Landwirtschaft<br />

In <strong>Verden</strong> wurde die Landwirtschaftsschule 1893 gegründet. 499 Sie war zunächst im<br />

Gebäude der gerade fertig gestellten Nicolaischule in der Zollstraße untergebracht. Der<br />

Landkreis <strong>Verden</strong> war Gründer und Träger der Landwirtschaftsschule. Die Schulaufsicht lag<br />

bei der Landwirtschaftskammer Hannover, die sich auch an der Finanzierung beteiligte. Im<br />

Jahre 1907 zog die Schule dann in das vom Landkreis neu erbaute Gebäude in der Bremer<br />

Straße ein (ehemaliges Landratsamt, inzwischen abgerissen). 1921 wurde in der Eitzer<br />

Straße die Präparandenanstalt 500 aufgelöst. Das Haus wurde nun von der<br />

Landwirtschaftsschule übernommen. Gleichzeitig wurde diese aus der Trägerschaft des<br />

Landkreises entlassen und in die der Landwirtschaftskammer Hannover überführt, was bis<br />

zum 31.12.1975 andauerte. Die prekäre finanzielle Lage der Landwirtschaftskammer<br />

Hannover führte bereits ab 1972 zu einer entscheidenden Umorganisation. Beratung und<br />

Schule trennte man voneinander und legte die Einjährige Fachschule Landwirtschaft mit der<br />

Landwirtschaftlichen Berufs- und Berufsfachschule zusammen. Auch dies war nur ein<br />

Übergang, plante man doch bereits das Berufsschulzentrum in <strong>Verden</strong>-Dauelsen.<br />

133<br />

Die alte Landwirtschaftsschule war eine Winterschule, d. h. der Unterricht wurde im<br />

Winterhalbjahr erteilt von Lehrkräften, die außerdem die Aufgabe hatten, Landwirte bei der<br />

Betriebsführung und beim Aufbau neuer Produktionsverfahren zu beraten. Diese Schulform<br />

war notwendig, weil die Landwirtssöhne im Sommer und vor allem zur Ernte auf den Höfen<br />

benötigt wurden. Im Volksmund nannte man die landwirtschaftliche Winterschule darum auch<br />

Steckrübenschule, denn ihre Organisationsform unterschied sich grundlegend von der<br />

anderer <strong>Schulen</strong>.<br />

In seinem Bericht über das Winterhalbjahr 1904/05 vom 18. April 1905 gab Direktor Dr.<br />

Köster Hinweise zur Wiedereröffnung der Schule und Informationen für neu eintretende<br />

Schüler:<br />

„Das Winterhalbjahr 1905/06 beginnt Ende Oktober an einem noch festzusetzenden Tage Morgens 9 Uhr.<br />

Aufnahme finden junge Leute, welche die Volksschule mit Erfolg besucht haben.<br />

Wahl und Wechsel der Schülerwohnungen in der Stadt <strong>Verden</strong> bedürfen der Genehmigung des Direktors.<br />

Wohnung und Koste, einschl. Heizung und Licht, sind für 40 bis 50 Mk. Pro Monat erhältlich. Pensionen weist<br />

der Direktor bereitwillig nach; zur Erteilung von Rat und Auskunft ist er jederzeit gern bereit. (Wohnung:<br />

Promenade 11, Ecke der Südstraße.)<br />

Das Schulgeld beträgt:<br />

für den ersten Winter…………………….40 Mark,<br />

„ „ zweiten Winter………………......30 „<br />

Anmeldungen werden möglichst zeitig an den Direktor der Anstalt erbeten.“ 501<br />

498<br />

Die Ausbildung endete früher mit der Prüfung zum „Gehilfen“/„Gehilfin“ im Ausbildungsberuf<br />

Landwirt/Hauswirtschafterin.<br />

499<br />

Zur 100-Jahr-Feier am 3.12.1993 erschien eine Verlags-Sonderveröffentlichung der <strong>Verden</strong>er Aller-<br />

Zeitung/Achimer Kreisblatt vom 30.11.1993.<br />

500<br />

Im 19. Jahrhundert entstandene Einrichtung für Volksschulabsolventen zur Vorbereitung auf die<br />

Lehrerseminare. Nach 1921 im Zuge der Lehrerbildungsreform zusammen mit den Seminaren aufgehoben.<br />

501<br />

KÖSTER 1905, S. 11.


Ab 1945 gab es in Daverden, – ab 1950 dann in <strong>Verden</strong> – auch eine „Landwirtschaftsschule<br />

Abt. Hauswirtschaft“. 502 Im Jahre 1970 wurde die Winterschule abgeschafft. Aus der<br />

Unterklasse im 1. Halbjahr und der Oberklasse im 2. Halbjahr wurde die Einjährige<br />

Fachschule Landwirtschaft, mit Unterrichtsbeginn nach den Sommerferien. Im Jahre 1977<br />

wurde schließlich diese Schulform völlig in die Organisation der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong> eingefügt.<br />

Dies waren bis dahin alle Schulleiter:<br />

– Dir. Müller von 1893-1898<br />

– Dir. Paul Wolff von 1898-1902<br />

– Dir. Dr. Köster von 1902-1932<br />

– Landw. Oberrat Varenhorst von 1932-1962<br />

– Landw. Dir. Klose von 1962-1966<br />

– Landw. Dir. Tiedemann von 1966-1972<br />

– Studiendirektor Richter von 1972-1977<br />

134<br />

Seit der Gründung wurde die Winter- bzw. Einjährige Fachschule bis 1988 von 2.163<br />

Schülern besucht. Im Schuljahr 1987/88 sah die Stundentafel folgendermaßen aus:<br />

Betriebslehre (7 Std.), Tierproduktion (6 Std.), pflanzliche Produktion (8 Std.), Landtechnik<br />

und Arbeitslehre (4 Std.), Gemeinschaftskunde (3 Std.),Volkswirtschaftslehre (2 Std.) und<br />

Sport (2 Std.). Die 32 Wochenstunden wurden von Montag bis einschließlich Samstag<br />

unterrichtet. 503 Aber aufgrund des Rückganges der bäuerlichen Betriebe wurde die<br />

Fachschule mit dem Schuljahr 1992/93 aufgelöst. Einjährige Fachschulen Landwirtschaft gibt<br />

es nur noch in den Nachbarlandkreisen an den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> Nienburg und<br />

Rotenburg/Wümme.<br />

Die ländlichen Fortbildungsschulen 504<br />

Die Aufzeichnungen der ehemaligen Landkreise <strong>Verden</strong> und Achim über das<br />

landwirtschaftliche Berufsschulwesen begannen im Jahre 1908. In einem Rundschreiben des<br />

„Königlichen Herrn Landrats“ wurden damals ländliche Fortbildungsschulen gefordert. Die<br />

Gemeinden reagierten darauf, und so wurden zweimal wöchentlich mittwochs und samstags<br />

von 18.00 bis 20.00 Uhr von Volksschullehrern drei Fächer unterrichtet:<br />

– Naturkunde und Volkswirtschaftslehre<br />

– Deutsch mit „besonderem Gewicht auf Richtigschreiben“<br />

– Rechnen und Raumlehre 505<br />

In allen Gemeinden wurden gleichlautende Ortsstatute für diese Schulform erlassen, z. B.<br />

heißt es im „Orts-Statut betreffend die ländliche Fortbildungsschule in Achim:<br />

Auf Grund des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung zum Besuche ländlicher Fortbildungsschulen in der<br />

Provinz Hannover, vom 25. Januar 1909 wird durch Beschluss des Gemeindeausschusses vom 10. September<br />

1909 für den Gemeindebezirk Achim nachstehendes Ortsstatut erlassen.<br />

502<br />

Siehe die Ausführungen weiter unten unter dem Abschnitt „Die Entwicklung der schulischen Ausbildung in<br />

der ländlichen Hauswirtschaft“.<br />

503<br />

Vgl. MISCHER 1988, S. 51-53, 58f.<br />

504<br />

Vgl. auch MINISTERIUM FÜR LANDWIRTSCHAFT, DOMÄNEN UND FORSTEN 1904, „Zeitschrift für das ländliche<br />

Fortbildungsschulwesen in Preußen“ und die Zeitschrift „Die ländliche Fortbildungsschule“ (alle Kreisarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, 6/31 g).<br />

505<br />

Vgl. „Lehrplan und Pensenverteilung für die ländlichen Fortbildungsschulen des Kreises Achim“; Kreisarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, 6/31 g.


135<br />

§ 1. Alle im Gemeindebezirke wohnhaften oder dort nicht bloß vorübergehend beschäftigten, nicht mehr<br />

schulpflichtigen männlichen Personen unter 18 Jahren, gleichviel welchem Berufe sie angehören, sind<br />

verpflichtet, die hierselbst errichtete öffentliche ländliche Fortbildungsschule an den von dem<br />

Gemeindevorsteher festgesetzten und in ortsüblicher Weise bekannt gemachten Stunden an Wochentagen zu<br />

besuchen und an dem Unterrichte teilzunehmen. Der Umfang des Fortbildungsunterrichts wird auf mindestens 4<br />

Stunden in der Woche bemessen. Die Schulpflicht besteht für 3 aufeinander folgende Winterhalbjahre. Sie<br />

beginnt mit dem Anfange des ersten Winterhalbjahres nach Entlassung aus der Volksschule bezw. nach<br />

Erreichung des nicht mehr schulpflichtigen Alters und endigt spätestens mit dem Schlusse des letzten<br />

Winterhalbjahres vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Das Winterhalbjahr beginnt am 1. Oktober und endigt<br />

am 31. März.<br />

§ 2. Befreit von dieser Verpflichtung sind diejenigen Personen, welche<br />

a) die Berechtigung zum einjährigen-freiwilligen Militärdienst erworben haben,<br />

b) eine landwirtschaftliche Winterschule, Innungs-, Fach- oder andere Fortbildungsschule besuchen<br />

oder einen entsprechenden anderen Unterricht erhalten, sofern dieser Schulbesuch oder Unterricht<br />

von dem Regierungspräsidenten als ein ausreichender Ersatz des allgemeinen<br />

Fortbildungsschulunterrichts anerkannt ist. […]<br />

§ 4. Zur Sicherung des regelmäßigen Besuchs der Fortbildungsschule durch die dazu Verpflichteten, sowie zur<br />

Sicherung der Ordnung in der Fortbildungsschule und eines gebührlichen Verhaltens der Schüler werden<br />

folgende Bestimmungen erlassen: […]<br />

4. Sie müssen in die Schule mit gewaschenen Händen und in reinlicher Kleidung kommen.<br />

5. Sie dürfen den Unterricht nicht durch ungebührliches Betragen stören und die Schulgerätschaften<br />

und Lehrmittel nicht verderben oder beschädigen.<br />

6. Sie haben sich auf dem Wege zur Schule und von der Schule jedes Unfugs und Lärmens zu<br />

enthalten.“ 506<br />

Die sächlichen Kosten übernahm die Gemeinde Achim. Das „dem Lehrer zustehende<br />

Honorar übernehmen die Regierung zu 2/3, der Kreis Achim zu 2/9, so dass die Gemeinde<br />

hierzu 1/9 beizutragen habe.“ 507 Als Honorar für eine Schulstunde erhielt der Lehrer im Jahre<br />

1912 zwei Mark und für Lehrmittel wurden im gleichen Jahr insgesamt 14,75 Mark<br />

ausgegeben. Der Unterricht war praktisch ein verlängerter Volksschulunterricht;<br />

berufsschulkundlicher Unterricht im heutigen Sinne war damals noch unbekannt. So wurde z.<br />

B. mit Stolz aus dem Jahre 1913 berichtet, dass „Wilhelm Tell“ mit verteilten Rollen von den<br />

Schülern gelesen wurde. Für die zu gründende ländliche Fortbildungsschule in Bassen (ab<br />

1909) wurde ein Verzeichnis empfehlenswerter Bücher angelegt, Auszug:<br />

– Bonnet, J.: Feldschers Kriegsglück<br />

– Burnett: Der kleine Lord<br />

– Caspari: Christ und Jude<br />

– Caspari: Der Schulmeister und sein Sohn<br />

– Ehlers: Im Sattel durch Indo-China<br />

– Fries: Harte Zucht<br />

– Frommel: In des Königs Rock 508<br />

Die Anfangsschwierigkeiten, mit denen die Lehrer an den ländlichen Fortbildungsschulen zu<br />

kämpfen hatten, werden lebendig, wenn man die Berichte der Lehrer liest:<br />

„Die ländl. Fortbildungsschule zu Baden wurde am 9. November 1908 eröffnet. Es hatten sich 25 junge Leute im<br />

Alter von 14 bis 20 Jahren dazu eingefunden, die teils dem Arbeiter- und Handwerkerstande angehörten, teils in<br />

landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt waren. Anscheinend waren einige Schüler nicht freiwillig, nur auf<br />

Veranlassung ihrer Eltern, Lehr- oder Dienstherrn, gekommen. Ihnen fehlte von vornherein das nötige<br />

Interesse. Es war Unterzeichneten auch nicht möglich, ihnen durch den interessantesten Unterrichtsstoff Lust<br />

und Liebe zur Sache einzuflößen. Sie erschienen unregelmäßig und sehr oft zu spät zum Unterricht. Ernste<br />

Ermahnungen und Rücksprache des Lehrers mit den Eltern, bezw. Lehr- oder Dienstherrn der betreffenden<br />

506 Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/26 c.<br />

507 Vgl. RICHTER 1958, S. 2.<br />

508 Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/30 c.


136<br />

Schüler hatten zur Folge, dass sie ganz fern blieben. Einer hatte schon Nach dem ersten Unterrichtsabend den<br />

Mut verloren, als er sah, dass zu Hause auch noch für die Schule gearbeitet werden sollte.<br />

Etwa 16 bis 18 Schüler hielten bis zum Schluß aus. Sie kamen pünktlich und regelmäßig zum Unterricht und<br />

waren auch teilweise sehr eifrig. Voraussichtlich werden von diesen im kommenden Winterhalbjahr 10 bis 12<br />

die Schule wieder besuchen. Die Zahl der neu hinzukommenden Schüler konnte bislang noch nicht festgestellt<br />

werden. Laut Beschluß des Ortskuratoriums wurde die Fortbildungsschule am 1. März d. Js. Ohne<br />

Schlussprüfung geschlossen.<br />

Unterzeichneter erlaubt sich noch zu bemerken, dass für hiesige Verhältnisse ein Lesebuch für gewerbliche<br />

Fortbildungsschulen zweckmäßiger ist, da nur ein geringer Teil der Schüler der Landwirtschaft angehört. Auch<br />

Kollegen klagten verschiedentlich darüber, dass in dem Lesebuch von Gehrig, Helmkampf u. Krausbauer,<br />

Ausgabe B, das Gewerbliche zu sehr in den Hintergrund trete. Es wurde mehrfach der Wunsch ausgesprochen,<br />

der Herr Landrat möge einmal alle Lehrer an Fortbildungsschulen im Kreise Achim zu einer sich darauf<br />

beziehenden Besprechung zusammenkommen lassen.<br />

Grave, Lehrer.“ 509<br />

Grave erhielt als Honorar 2 Mark pro Unterrichtsstunde (60 Minuten). „Schwänzten“ die<br />

Schüler den Unterricht, dann wurde von der Gemeindeverwaltung aus hart durchgegriffen:<br />

Achim, den 7. November 1913.<br />

Vorgeführt durch Wachtmeister Hausmann erscheint der Dienstknecht Gerhard H ü s i n g , in Dienst<br />

bei Anbauer H. Meyer in Badenerholz und erklärt auf Vorhalt:<br />

Mir ist bekannt, dass ich zum Besuch der ländlichen Fortbildungsschule in Baden verpflichtet bin, ich<br />

gebe auch zu, zum Besuch der Schule aufgefordert worden zu sein. Da ich Nachmittags immer spät vom Felde<br />

nach Hause komme, bin ich von der Schule fortgeblieben. Mit meinem Dienstherrn Meier habe ich über die<br />

Fortbildungsschule nicht gesprochen. Ich habe ihm auch nicht gesagt, dass ich früher vom Felde<br />

hereinkommen müsse, um rechtzeitig nach Baden zum Unterricht zu gehen.<br />

Entschuldigungsgründe zum Versäumnis des Schulunterrichts kann ich nicht angeben.<br />

Zur Beglaubigung<br />

-Unterschrift-<br />

Kreissekretär.“ 510<br />

Handschriftlich wurde unter dem Datum vom 10.11.1913 vermerkt: Hüsing, der den<br />

Unterricht seit Beginn des jetzigen Winterhalbjahres gefehlt hat, ist mit 15 M, ev. 3 Tg. Haft<br />

zu bestrafen.“ 511<br />

Ein Jahr nach Ende des 1. Weltkrieges bestanden im Altkreis Achim 19 ländliche<br />

Fortbildungsschulen mit 353 Schülern. 512<br />

Nach einem Erlass der preußischen Staatsregierung vom 31.7.1923 gab es für die Kreise die<br />

Möglichkeit, Kreisberufsschulen einzurichten. In <strong>Verden</strong> und Achim blieben jedoch die<br />

Gemeinden Träger dieser <strong>Schulen</strong>. Der genannte Erlass sah auch die Einschulung der<br />

Mädchen vor. Die Durchführung scheiterte jedoch; es fehlten die notwendigen<br />

Fortbildungslehrerinnen. Als 1932 die Kreise Achim und <strong>Verden</strong> zum Landkreis <strong>Verden</strong><br />

zusammengelegt wurden, existierten 26 ländliche Fortbildungsschulen mit 747 Schülern<br />

vorhanden. Später wurden die Schüler in 17 Schulorten zusammengefasst. 513<br />

Der Revisor für gewerbliche Berufsschulen im Regierungsbezirk Stade stellte im September<br />

1933 fest, dass in den ländlichen Fortbildungsschulen im Kreis <strong>Verden</strong> größtenteils<br />

gewerbliche Lehrlinge beschult wurden, so z. B. in Dörverden mit 50, in Langwedel mit 45, in<br />

Blender mit 25, in Ottersberg mit 45 und in Oyten mit 30 gewerblichen Schülern. Da an<br />

diesen <strong>Schulen</strong> fast nur Volksschullehrer nebenamtlich unterrichteten und demnach<br />

509 Bericht des Lehrers Grave vom 24.03.1909 an den Vorsitzenden des Kreiskuratoriums Herrn Königlichen<br />

Landrat Roedenbeck Hochwohlgeboren zu Achim; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/30 b.<br />

510 Protokoll vom 7.11.1913; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/30 b.<br />

511 Gerhard Hüsing war zum Zeitpunkt der Anzeige 17 Jahre alt.<br />

512 Vgl. RICHTER 1958, S. 4.<br />

513 Vgl. ebd., S. 4f.


Doppelverdiener waren, beauftragte die Regierung den Revisor, stellungslose<br />

Gewerbeoberlehrer an den Berufsschulen seines Bezirkes unterzubringen. Ab sofort waren<br />

dann Gewerbeoberlehrer an den gewerblichen Abteilungen der ländlichen<br />

Fortbildungsschulen tätig. 514<br />

Die Landwirtschaftliche Berufsschule<br />

Am 6.7.1938 wurde dann das „Reichsschulpflichtgesetz“ erlassen. Dieses Gesetz bildete die<br />

Grundlage für die Entwicklung der landwirtschaftlichen Berufsschule bilden. 1946 wurden<br />

dann im Landkreis <strong>Verden</strong> die männlichen Jugendlichen der Landwirtschaft an 15 Schulorten<br />

(Achim, Armsen, Bassen, Bendingbostel, Blender, Dörverden, Kirchlinteln, Langwedel,<br />

Morsum, Ottersberg, Oyten, Posthausen, Quelkhorn, Stedebergen, Walle) unterrichtet.<br />

Anfangs von Volksschullehrern; aber schon im Jahre 1949 übernahmen der Dipl. Landwirt<br />

Dr. Hemprich aus Ottersberg und der Landwirtschaftliche Rat Häusler aus <strong>Verden</strong> den<br />

Unterricht 12 Klassen. 1953 unterrichte Dr. Hemprich an den Schulstandorten Achim,<br />

Bassen, Ottersberg, Oyten und Quelkhorn, Häusler an den <strong>Schulen</strong> in Armsen,<br />

Bendingbostel, Dörverden, Kirchlinteln und Walle, der Hauptlehrer Richter und der Lehrer<br />

Raabe in Morsum, der Hauptlehrer Alpers und der Lehrer Haar in Langwedel und der Lehrer<br />

Martens in Stedebergen. 515<br />

Am 14.9.1954 wurde das Reichsschulpflichtgesetz von 1938 in Niedersachsen durch das<br />

„Niedersächsische Schulgesetz“ abgelöst. Es verlangte den dreijährigen Besuch der<br />

landwirtschaftlichen Berufsschule für weibliche und männliche Jugendliche in 40<br />

Berufsschulwochen mit je einen Berufsschultag. Dieses Gesetz berücksichtigte die rasche<br />

Entwicklung der Landwirtschaft und kam dem Wunsch der Landwirte nach, gesetzlich die<br />

Grundlagen für die fachliche Ausbildung der ländlichen Jugend zu verankern. Die<br />

Personalkosten übernahm das Land Niedersachsen, während die sächlichen Kosten vom<br />

Landkreis als Schulträger getragen wurden. 1955 wurde ein dritter Fachlehrer, der<br />

Landwirtschaftliche Oberlehrer (LOL) Richter, angestellt. Unter seiner Leitung zentralisierte<br />

der Landkreis die landwirtschaftliche Berufsschule in den Schulorten <strong>Verden</strong>, Achim und<br />

Ottersberg. 1956 wurden also 450 Schüler von drei Fachlehrern unterrichtet. Die<br />

Zentralisierung brachte den Vorteil, dass die Jahrgänge unterteilt werden konnten in Unter-,<br />

Mittel- und Oberstufenklassen. Die Einrichtung von Parallelklassen ermöglichte auch die<br />

Trennung der Schüler nach ihrer Begabung, und diese Differenzierung führte zu einem weit<br />

besseren Unterrichtserfolg. Allerdings fand in Ermangelung eines eigenen Schulgebäudes<br />

der Unterricht am Nachmittag statt (13.30 bis 19.00 Uhr). In <strong>Verden</strong> geschah dies zum<br />

Beispiel im Domgymnasium.<br />

137<br />

Die Bemühungen des Landkreises, zunächst in Achim für die Landwirtschaftliche<br />

Berufsschule ein eigenes Schulgebäude zu schaffen, nahmen im Dezember 1954 feste<br />

Formen an. Es wurde geprüft, ob das Klappert´sche Schloss in Achim zu diesem Zweck<br />

umgebaut werden könnte. Das Gebäude, eine schlossähnliche Villa in einem parkähnlichen<br />

Gelände mit altem Baumbestand, war geeignet. 1957 konnte dann das erste eigene<br />

Schulgebäude eingeweiht werden. Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Gerken, <strong>Verden</strong>, der an der<br />

Pädagogischen Hochschule für landwirtschaftliche Lehrer in Wilhelmshaven maßgebend an<br />

der Ausbildung landwirtschaftlicher Fachlehrer beteiligt war. Prof. Gerken erläuterte unter<br />

anderem den Auftrag der landwirtschaftlichen Berufsschule, die aus dem Schatten der alten<br />

Fortbildungsschule herauszutreten habe. Nachdem ab Ostern 1956 planmäßig auch die<br />

514 Schreiben des Revisors Weidemann vom 22.9.1933 an den Landrat in <strong>Verden</strong>; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/28 c.<br />

515 Vgl. Verzeichnis der landwirtschaftlichen Berufsschule für Knabe im Rechnungsjahr 1953 (Schuljahr);<br />

Gemeindearchiv Dörverden, Ordner Gemeinde Westen (Hz. 2/22-1) Berufsschulwesen 1953-1954.


Einschulung der Mädchen begonnen hatte („Abt. Ländliche Hauswirtschaft“), 516 stellte sich<br />

die landwirtschaftliche Berufsschule folgendermaßen dar:<br />

Am 1.10.1958: 12 Jungenklassen mit 278 Schülern<br />

20 Mädchenklassen mit 397 Schülerinnen<br />

Das Lehrerkollegium: BSDir. Richter in Achim<br />

LOL Wild in Achim<br />

LOL Mischer in <strong>Verden</strong><br />

LOLin Peyer in Achim<br />

LOLin Mooslehner in Achim<br />

LOLin Wulff in Achim<br />

LOLin v. Bargen in <strong>Verden</strong><br />

LOLin Krome in Achim<br />

Herr Häusler und Herr Dr. Hemprich waren 1957 in den Ruhestand gegangen.<br />

138<br />

Ostern 1959 erhielt der Schulbezirk <strong>Verden</strong> ebenfalls ein eigenes Schulgebäude. Die<br />

gewerbliche Kreisberufsschule konnte ihr neu erbautes Domizil am Meldauer Berg beziehen<br />

und der landwirtschaftlichen Berufsschule wurde das alte Schulgebäude in der Südstraße<br />

überlassen. Nun hatten die Unannehmlichkeiten des Unterrichtens in anderen fremden<br />

<strong>Schulen</strong> am Nachmittag ein Ende und Lehrer und SchülerInnen konnten richtig an die Arbeit<br />

gehen. Nach einigen Umbauten und Neueinrichtungen standen in beiden Schulorten auch für<br />

die Mädchen Klassenräume, Lehrküchen, Nähräume und Hausarbeitsräume zur Verfügung.<br />

Ab Ostern 1959 wurde außerdem auf Antrag des Landkreises von der Bezirksregierung in<br />

Stade eine Klasse der „Ländlichen Hauswirtschaftsschule“ mit 20 Schülerinnen und einer<br />

hauptamtlichen Lehrkraft in Achim eingerichtet. Diese Schulform ähnelte in ihrem Aufbau der<br />

städtischen Haushaltungsschule. Die Stundentafel mit 34 Wochenstunden nahm allerdings<br />

mehr Bezug auf den ländlichen Lebenskreis mit den Fächern Vorratshaltung, Gartenbau und<br />

Kleintierhaltung. Durch den Besuch dieser einjährigen Berufsfachschule als Vollzeitschule<br />

konnten die Schülerinnen den dreijährigen wöchentlichen Berufsschulbesuch abgelten, wenn<br />

nicht später ein Ausbildungsverhältnis abgeschlossen wurde.<br />

Das Ende der 50er Jahre war gekennzeichnet durch das Absinken der Schülerzahlen. Die<br />

Folge des so genannten Wirtschaftswunders, Änderungen der Verzehrgewohnheiten der<br />

Verbraucher, steigende Stundenlöhne, sinkende Wochenarbeitszeiten und hohe<br />

Mechanisierungskosten führten zur Abwanderung aus der Landwirtschaft. Besonders die<br />

Besitzer kleinerer Betriebe waren nicht mehr bereit, ihre Söhne landwirtschaftlich ausbilden<br />

zu lassen. Kleinere landwirtschaftliche Betriebe wichen in den Nebenerwerb aus. Dazu<br />

kamen die geburtenschwachen Jahrgänge – die Schülerzahlen von ca. 500 Schülern<br />

1955/56 fielen auf 180 Schüler 1960/61. Nur in der Abteilung Hauswirtschaft hielten sich die<br />

Zahlen in etwa.<br />

Aus dem landwirtschaftlichen Berufsstand wurde in dieser Zeit der Wunsch nach einer<br />

besseren technischen Ausbildung des Nachwuchses immer lauter. Daraufhin wurde ein<br />

zweiter Berufsschultag eingeführt, und der Werkunterricht. Grundlegende Fertigkeiten bei der<br />

Holz- und Metallbearbeitung sollten vermittelt werden. Zur gleichen Zeit begannen für jeden<br />

Schüler landtechnische Lehrgänge an der neu eingerichteten Deula-Schule 517 in Nienburg.<br />

516 Die „Abt. Ländliche Hauswirtschaft“ musste von allen Mädchen besucht werden, die eine ländlichhauswirtschaftliche<br />

Lehre machten oder als Haustochter oder Hausgehilfin in ländlichen Haushalten arbeiteten.<br />

517 Deula-Schule = Deutsche Landmaschinen-Schule.


139<br />

Im Jahre 1979 wurde in Niedersachsen das Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) Agrar<br />

flächendeckend eingeführt. Dadurch wollte der Gesetzgeber eine Vereinheitlichung breiter<br />

Grundbildung im 1. Ausbildungsjahr erreichen. Darin werden im Berufsfeld XIII<br />

Agrarwirtschaft alle artverwandten Berufe (Landwirte, Gärtner) zusammengefasst und<br />

gemeinsam im BGJ-Agrar als einjährige Vollzeitschule von Fachlehrern unterrichtet. Von den<br />

36 Wochenstunden im Lehrplan sind 14 Wochenstunden praktische Arbeit und Erlernen von<br />

Fertigkeiten auf dem Praxisbetrieb, in der Schulwerkstatt, im Außengelände oder<br />

Gewächshaus der Schule. Nach erfolgreichem Besuch des BGJ, mit dem der<br />

Hauptschulabschluss nachgeholt werden kann, folgt dann die zweijährige Ausbildung im<br />

elterlichen bzw. Fremdbetrieb mit dem Besuch der Fachstufen I + II Landwirtschaft. Der<br />

Verband der Gärtner erreichte, dass ab 1.8.1985 auch gartenbauliche Fachklassen an den<br />

<strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong> eingerichtet wurden. 518 Heute, im Schuljahr 2005/06,<br />

werden angehende Landwirte/Landwirtinnen und Gärtner/Gärtnerinnen in jeweils zwei<br />

Fachklassen unterrichtet.<br />

Die Entwicklung der schulischen Ausbildung in der ländlichen Hauswirtschaft<br />

Erst relativ spät wurde nach und nach die Notwendigkeit einer Mädchenausbildung erkannt:<br />

1889 gründete Helene Lange das erste Mädchengymnasium. 1908 kam die erste offizielle<br />

Zulassung zum Studium. Zur gleichen Zeit begannen auch die Bemühungen um die<br />

Einrichtung von Fortbildungsschulen für Mädchen auf dem Lande, die eine berufliche<br />

Ausbildung der weiblichen Landjugend zur Bäuerin oder Hauswirtschafterin ermöglichen<br />

sollten. So gründete 1898 E. Boehm den Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein und um<br />

1900 entstand der Frauenbund. Auf dem Lande verhielt man sich diesen Entwicklungen<br />

gegenüber zunächst ablehnend. Durch den Einsatz der Hausfrauenvereine,<br />

Landwirtschaftlichen Frauenvereine und engagierter Frauen entstanden bald verschiedene<br />

Schultypen:<br />

1. Landwirtschaftliche Haushaltungsschulen<br />

Für die Provinz Hannover wurde 1897 die Landwirtschaftliche Haushaltungsschule in Celle<br />

eingerichtet. Weitere <strong>Schulen</strong> in Helmstedt, Hameln und Hildesheim wurden eröffnet. Der<br />

einjährige Unterricht richtete sich an schulentlassene Mädchen aus mittel- und<br />

großbäuerlichen Betrieben und kostete zunächst 550 Mark im Jahr (Wohnung, Kost,<br />

Lehrerhonorar) und stieg bis 1928 auf 90 Mark im Monat – zu teuer für viele<br />

Bauerntöchter! 519<br />

2. Landwirtschaftliche Wanderhaushaltungsschulen: Im Tanzsaal das Kochen gelernt<br />

Die ersten landwirtschaftlichen Wanderhaushaltungsschulen für alle Mädchen auf dem<br />

Lande entstanden 1890 und vermittelten in sechs bis acht Wochen die Grundkenntnisse des<br />

einfachen Hauswesens. Die Trägerschaft lag beim Landkreis. Im Altkreis Achim wurde 1925<br />

eine solche Schule eingerichtet. Der Unterricht fand in Gaststätten verschiedener Dörfer statt<br />

– er „wanderte“ also, und dauerte von November bis Januar bzw. Januar bis Mai. Die<br />

Lehrerin, Charlotte W. Sievers (*1891), erhielt von jeder Schülerin 20-40 Pfennige pro Tag.<br />

Das ergab etwa 200 Mark im Monat. In der unterrichtsfreien Zeit war die Lehrerin ohne<br />

Bezahlung und musste notfalls versuchen, Arbeit auf einem Bauernhof zu finden. Nach drei<br />

518 Vgl. MISCHER 1988, S. 61-66.<br />

519 Vgl.OSMERS 1990, S. 311 und Verfügung des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Berlin,<br />

20.2.1911, S. 81; Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.


Jahren wurde die Wanderhaushaltungsschule im Altkreis Achim wieder geschlossen da kein<br />

Bedarf mehr bestand. 520<br />

140<br />

Im Herbst 1926 hatte der Landkreis <strong>Verden</strong> die Einrichtung einer Wanderhaushaltungsschule<br />

beschlossen. Am 4.10.1926 bot sich den Kirchlintlern frühmorgens ein ungewöhnlicher<br />

Anblick: 18 junge Frauen, in Schürzen und wollene Strümpfen gekleidet, steuerten Richtung<br />

Dorfgasthaus. Wem der Gedanke an einen Frauenstammtisch oder Frühschoppen kam, irrte.<br />

Vielmehr verhinderte die Anwesenheit der 16 bis 18jährigen für mehrere Wochen<br />

ausgelassene Tanzabende in der Kneipe. Denn dort, wo sich sonst die Tanzpartner<br />

gegenseitig übers Parkett schoben, standen jetzt Herde, Backöfen, Fleischwölfe und<br />

Reibeisen. Schüsseln und Pfannen in aller Größe stapelten sich auf den hölzernen Tischen:<br />

Die erste Wanderhaushaltungsschule im Kreis <strong>Verden</strong> hatte unter Leitung der Lehrerin<br />

Elisabeth Wolff für drei Monate Einzug im Gasthof gehalten. Die jungen Frauen beschäftigten<br />

sich mit Ernährungslehre, Haushaltsführung, Gesundheits- und Kinderpflege, Textilkunde,<br />

Gartenbau, Geflügelhaltung, Rechnen und Buchführung. Und es war nicht unüblich, dass der<br />

jeweilige Pastor vor Ort eine Unterrichtseinheit in Lebensfragen wie Partnerschaft,<br />

Familienleben und Kindererziehung gab. 521 Danach führte die Wanderhaushaltungsschule<br />

die Kurse noch in den Orten Morsum, Neddenaverbergen, Intschede, Blender,<br />

Bendingbostel, Dauelsen, Westen, Langwedel, Dörverden, Otersen, Armsen, Wahnebergen<br />

und Daverden durch. In insgesamt 26 Kursen wurden 398 Teilnehmerinnen ausgebildet. Als<br />

Lehrkräfte waren von 1926-1929 Frl. Wolff, von 1929-1931 Frl. Thimey und von 1931-1934<br />

Frl. Pott tätig. 522<br />

Stundenplan (29 Std.) für den Haushaltungskursus vom 3.2.-5.4.1930: 523<br />

Zeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag<br />

8 - 9 ErnährungsGesundheitsErnährungsErnährungsGesundheitslehrelehrelehrelehrelehre 9 - 10 Kochen Ernährungsl. Kochen Kochen Hausarbeit<br />

10 - 11 Kochen Kochen Kochen Kochen Hausarbeit<br />

11 - 12 Kochen Kochen Kochen Kochen Hausarbeit<br />

12 - 13 Kochen Kochen Kochen Kochen Hausarbeit<br />

13 - 14 Kochen Kochen Kochen Kochen Hausarbeit<br />

Aufteilung der 29 Wochenstunden:<br />

4 Std. Ernährungslehre verbunden mit hauswirtschaftlicher Buchführung, Haushalts- und<br />

Kochlehre<br />

2 Std. Gesundheitslehre verbunden mit Kranken- und Säuglingspflege<br />

4 Std. Hausarbeit einschließlich Waschen und Plätten<br />

19 Std. Kochunterricht – Volksküche, bürgerliche Küche, feine Küche, vegetarische<br />

Küche, Krankendiät und Rohkost<br />

3. Bäuerliche Werkschule <strong>Verden</strong><br />

Im Jahre 1934 wurde von Seiten der Landesbauernschaft Hannover darüber nachgedacht,<br />

die ländlichen Wanderhaushaltungsschulen in ländliche Mädchenfortbildungsschulen<br />

umzuwandeln, da der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die<br />

allgemeine Einführung der Mädchenfortbildungsschulpflicht plante. Darüber hinaus hatte die<br />

Landesbauernschaft begonnen, die Berufsbildung der Jungbäuerinnen durch die Gründung<br />

520 Vgl. ebd., S. 312.<br />

521 Vgl. <strong>Verden</strong>er Nachrichten vom 17.05.1989.<br />

522 Vgl. TACKE 1988, S. 67.<br />

523 Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 8/17 i.


von Mädchenklassen an Landwirtschaftsschulen, gegenüber der damaligen Ausbildung an<br />

den Wanderhaushaltungsschulen zu verbreitern und zu vertiefen. 524 Die Landesbauernschaft<br />

Hannover, die per Zwangsmitgliedschaft dem nationalsozialistischen Reichsnährstand („Blut<br />

und Boden“), der ständischen Organisation der NS-Agrarpolitik, 525 gleichgeschaltet wurde,<br />

wandte sich an die Schulträger (Landkreise) der Wanderhaushaltungsschulen:<br />

„Die vom Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung geplante Errichtung von<br />

Mädchenfortbildungsschulen wird von uns, soweit sie in tragbarer Form durchgeführt wird, lebhaft begrüsst. Es<br />

ist jedoch nicht zu verkennen, dass die Fortbildungsschulen keine Fachschulen sind. Dem Reichsnährstand<br />

liegt die Pflicht ob, auch die weibliche Landjugend fachlich für die grossen Aufgaben der Bäuerin im<br />

nationalsozialistischen Staate zu erziehen. Das soll dadurch geschehen, dass die bisherigen<br />

Wanderhaushaltungsschulen in Mädchenklassen der Landwirtschaftsschulen umgebildet werden. Dabei wird<br />

darauf Bedacht genommen werden, dass der neue Schultyp den Jungbäuerinnen den Besuch der<br />

Mädchenklassen möglichst leicht macht. Als Schulträger der Mädchenklasse kommt nur die<br />

Landesbauernschaft in Frage. Wir sind bereit, die bestehenden Wanderhaushaltungsschulen in<br />

Mädchenklassen umzuwandeln und zu übernehmen, soweit dort der Wunsch nach Erhaltung einer<br />

Fachausbildung für die weibliche Landjugend besteht.“ 526<br />

Daraufhin wurde zwischen dem Kreis <strong>Verden</strong> und der Landesbauernschaft am 26.10.1935<br />

folgender Vertrag geschlossen:<br />

141<br />

„§ 1. Der Kreis <strong>Verden</strong> übergibt die Wanderhaushaltungsschule als Jungbäuerinnen-Abteilung an der<br />

Bäuerlichen Werkschule (früher Mädchenklasse der Landwirtschaftsschule) in <strong>Verden</strong> mit allen<br />

Einrichtungsgegenständen und Lehrmitteln der Landesbauernschaft Hannover zur Unterhaltung des<br />

Schulbetriebes. […] § 3. Der Kreis leistet für die Jungbäuerinnen-Abteilung eine jährliche Beihilfe an die<br />

Landesbauernschaft in Höhe von 1.000 RM, die ausschliesslich für die Zwecke der Jungbäuerinnenabteilung an<br />

der Bäuerlichen Werkschule <strong>Verden</strong> verwandt werden muss.“ 527<br />

4. Ländliche Mädchenfortbildungsschulen<br />

Das Berufs- und Fortbildungspflichtgesetz von 1923 änderte auch die Situation auf dem<br />

Lande. Es sollten allen unverheirateten Mädchen eine Ausbildung in ländlichen<br />

Mädchenfortbildungsschulen angeboten werden. Als Lehrerinnen kamen „geeignete<br />

Landfrauen oder andere Persönlichkeiten, die über reiche praktische Erfahrung,<br />

Lehrgeschick und soziales Verständnis verfügen“ (Ministererlass von 1924), in Frage. Der<br />

Widerstand auf dem Lande war groß, da die Kosten gegenüber den männlichen<br />

Fortbildungsschulen viel höher lagen: Nähmaschinen, Kücheneinrichtungen etc. mussten<br />

angeschafft und ein Schulgarten angelegt werden.<br />

In Achim wurde 1929 schließlich eine Haushaltungsschule in den gemieteten Räumen von<br />

Gesine Krühne, Haus Nr. 424 im 1. Stock (hinter Kaufhaus Heilbronn in der Brückenstraße)<br />

eingerichtet. Die Schule hatte drei Küchen (Kohle-, Elektrische- und Gasküche), einen<br />

Theorieraum, Plätte, Speisekammer, Garderobe und Nebenzimmer, Waschküche, Flur und<br />

Abort. Die Miete betrug 80 RM im Monat. Als Lehrerin war Frl. Winter aus Hemelingen tätig.<br />

Für die etwa achtwöchigen Haushaltungskurse, die werktags außer samstags stattfanden,<br />

mussten als Schulgeld 50 RM bezahlt und Naturalien mitgebracht werden.<br />

524 Vgl. Schreiben der Landesbauernschaft Hannover vom 29.03.1934 an den preußischen Minister für<br />

Wissenschaft, Kunst und Volksbildung; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/139 a.<br />

525 Der Reichsnährstand wurde am 13.9.1933 ins Leben gerufen. In ihm wurden sämtliche an der Erzeugung<br />

und dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte beteiligten Personen per Zwangsmitgliedschaft gleichgeschaltet;<br />

vgl. BENZ 1997, S. 686.<br />

526 Rundschreiben der Landesbauernschaft Hannover von 1934 an die Schulträger der<br />

Wanderhaushaltungsschulen; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/139 a.<br />

527 Vertrag vom 26.10.1935; ebd.


In den Räumen fand auch der – nach Hemelinger Muster eingeführte –<br />

Haushaltungsunterricht für die älteren Mädchen aller <strong>Schulen</strong> statt. Zur Teilnahme waren alle<br />

Mädchen bis zum 18. Lebensjahr verpflichtet, es sei denn, sie besuchten einen<br />

gleichwertigen Haushaltungsunterricht. In der Regel meldeten die Lehrer der jeweiligen<br />

Volks- und Realschulen die in Frage kommenden Mädchen an. Zweimal wöchentlich gingen<br />

die Schülerinnen nach Achim zum Unterricht, der von 11.00 – 15.00 Uhr dauerte. Die<br />

Landkinder (Volksschule Land) brauchten nur von 12.00 – 15.00 Uhr zu kommen, da sie<br />

einen weiteren Schulweg hatten. Ein Antrag zur Übernahme der Fahrtkosten für den Hinweg<br />

aus Mahndorf, Uphusen, Baden und Uesen wurde mit dem Vermerk abgelehnt, die Kinder<br />

könnten zu Fuß gehen. Der Mietvertrag für die Haushaltungsschule endete 1933. Vermutlich<br />

wurde die Schule aufgrund der schlechten Finanzlage der Kommunal- und Kreiskasse<br />

geschlossen – wie so viele Fortbildungsschulen in dieser Zeit. Wie bereits oben erwähnt,<br />

bestand von 1959-1972 in Achim schon eine Klasse der einjährigen Berufsfachschule<br />

„Ländlichen Hauswirtschaftsschule“. 528 Im Nachbarkreis Rotenburg/Wümme besteht heute<br />

noch eine Ländliche Hauswirtschaftsschule.<br />

5. Landwirtschaftsschule Abt. Hauswirtschaft<br />

„Seit Jahren strebe ich danach, vom 1. April bis zur Heuernte den Landwirtstöchtern Unterricht in Deutsch,<br />

Rechnen, Naturwissenschaften, Tierzucht, Garten- und Obstbau, Buchführung, Gesundheitspflege usw. an<br />

meiner Schule zu verschaffen. Es besteht da zweifellos in unserem Schulwesen eine Lücke. Wie unseren<br />

Bauernsöhnen der reine theoretische Unterricht gut tut, so würde er auch unseren Bauerntöchtern helfen. Alles<br />

bekommt heute Fortbildungsunterricht, nur unsere Landwirtstöchter nicht, die später als Frauen in der<br />

Produktion und Konsumtion eine große Rolle spielen.“<br />

Dies schrieb 1923 Dr. Köster, Direktor der Landwirtschaftsschule in <strong>Verden</strong> in einem privaten<br />

Brief. Es dauerte noch zwei Jahre, ehe er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, und 45<br />

interessierte Bauerntöchter – allerdings nur Frühjahr 1925 und 1926 – am Theorieunterricht<br />

der Landwirtschaftsschule teilnahmen. 529<br />

142<br />

Voraussetzung für die Aufnahme in die Landwirtschaftsschule war der Besuch der<br />

Landwirtschaftlichen Berufsschule. Vor 1956 mussten stattdessen zwei Praxisjahre in einem<br />

ländlichen Haushalt nachgewiesen werden (mit Hausarbeitsprüfung). Im Sommer 1945 war<br />

die „Mädchenabteilung“ aus Dannenberg, die spätere Landwirtschaftsschule „Abt.<br />

Hauswirtschaft“, in den Kreis <strong>Verden</strong> verlegt worden. Am 1.2.1947 begann dann der erste<br />

Lehrgang mit 18 Schülerinnen in der Gaststätte „Gütersloh“ in Daverden. Die beiden<br />

Lehrerinnern aus Dannenberg, Frau Wallis und Frau Quest, sorgten nicht nur für den guten<br />

Fachunterricht in Theorie und Praxis, sondern beschafften in der schweren Nachkriegszeit<br />

auch Unterkunft in Daverden für die weiter entfernt wohnenden Schülerinnen. Bis zum Herbst<br />

1948 wurden jährlich Lehrgänge von fünfmonatiger Dauer durchgeführt. Ab Herbst 1948<br />

wurde die Unterrichtszeit auf das Winterhalbjahr verlegt. Das Schulgeld betrug 20 Mark im<br />

Monat. Da die Beschaffung von Brennmaterial und Lebensmitteln für den Kochunterricht<br />

schwierig war, bezahlten viele Mädchen mit Eiern, Kartoffeln, Hühnern und Torf.<br />

Mit Hilfe des Landkreises und der Landwirtschaftskammer Hannover wurde dann die<br />

Verlegung der Mädchenabteilung nach <strong>Verden</strong> geplant. Im August 1950 zog die<br />

Landwirtschaftsschule nach <strong>Verden</strong> in die Bahnhofstraße 23 (das Haus gegenüber der<br />

ehemaligen Post). In den folgenden 16 Jahren konnte an der Mädchenabteilung der<br />

Landwirtschaftsschule kontinuierlich gearbeitet werden. Der Theorieunterricht umfasste die<br />

Fächer Ernährungslehre, Haushaltsführung, Gesundheits- und Kinderpflege, Textilkunde,<br />

528 Vgl. OSMERS 1990, S. 312.<br />

529 Vgl. TACKE 1988, S. 67.


143<br />

Staatsbürgerkunde, Hausarbeitslehre, Geflügelhaltung, Tierzucht, Gartenbau und<br />

Familienpflege. In der Praxis wurde Koch- und Handarbeitsunterricht erteilt sowie Haus- und<br />

Wäschepflege geübt. Singen, Sport, eine gemeinsame Fahrt und die Ausgestaltung von<br />

festlichen Veranstaltungen rundeten den Lehrplan ab. Zu Beginn der sechziger Jahre ließ die<br />

Schülerinnenzahl nach, und 1966 musste die inzwischen als „Landwirtschaftsschule Abt.<br />

Hauswirtschaft“ geführte Bildungsstätte in <strong>Verden</strong> ihre Tore schließen. Im Bereich der<br />

Landwirtschaftskammer Hannover bestehen noch die <strong>Schulen</strong> in Nienburg und in Uelzen, die<br />

die Unterrichtszeit von fünf Monaten auf ein Jahr erweitert haben und mit der staatlichen<br />

Prüfung zur „ländlich-hauswirtschaftlichen Wirtschafterin“ abschließen. In <strong>Verden</strong> nahmen<br />

von 1947-1966 415 Schülerinnen an 23 Lehrgängen unter der Leitung von Frau Tacke teil.<br />

Ihr zur Seite standen von 1947-1957 Frau Hirth, von 1957-1960 Frau Reichel und von 1960-<br />

1966 Frau v. Stegmann. 530<br />

Kapitel 8: Die gewerblichen Berufsschulen im Landkreis <strong>Verden</strong><br />

Wie bereits im Kapitel 4 beschrieben, entwickelte sich die gewerbliche Fortbildungsschule in<br />

<strong>Verden</strong> hin zu einer gewerblichen Berufsschule. Auf dem Lande mussten die gewerblichen<br />

Lehrlinge die ländlichen Fortbildungsschulen besuchen, die extra Abteilungen an den<br />

Schulstandorten Blender, Dörverden, Kirchlinteln, Langwedel und Otterstedt eingerichtet<br />

hatten. 531 Aufgrund der hohen Schülerzahlen entwickelte sich in Achim eine selbstständige<br />

Berufsschule mit einer gewerblichen und ländlich/hauswirtschaftlichen Abteilung, über deren<br />

Entwicklung in Kapitel 10 berichtet wird.<br />

Und es gab darüber hinaus Gemeinden, die in den 20er Jahren eigene gewerbliche<br />

Berufsschulen eingerichtet haben. Im August 1923 wurde z. B. in Fischerhude eine solche<br />

Schule ins Leben gerufen. Es wurde ein Ortsstatut verabschiedet, aus dem u. a. hervorging,<br />

dass auch Gastschüler aus Quelkhorn die Schule kostenlos besuchen könnten,<br />

vorausgesetzt, dass die Schüler aus Fischerhude, die die landwirtschaftliche<br />

Fortbildungsschule in Quelkhorn besuchten, dort kein Schulgeld zahlen müssten. 532 Hier ein<br />

Auszug aus der damaligen Schulordnung:<br />

„§3. Die Schüler sind zu anständigem Verhalten in und ausser der Schule, namentlich auf dem Schulwege, zum<br />

Fleiss und zu willigem Gehorsam gegen die Lehrer verpflichtet. […]<br />

§ 5. Für alle Verunreinigungen und Schäden an Schulgeräten und Lehrmitteln, welche von einem Schüler<br />

verschuldet sind, haftet der Täter.<br />

§ 6. Zuwiderhandlungen gegen die Schulordnung werden bestraft: […]<br />

c) durch Verweis vor dem Lehrkörper und Eintragung in die Strafliste.<br />

d) Durch Arrest bis zu 6 Stunden in der schul- und arbeitsfreien Zeit.“ 533<br />

In schwereren Fällen von Zuwiderhandlungen konnte die Gemeinde nach § 150 der<br />

Gewerbeordnung Geldstrafen bis zu 20.000 Mark oder im Unvermögensfall eine Haft bis zu<br />

drei Tagen verhängen.<br />

Für das Sommerhalbjahr 1926 sah der Stundenplan am Montagnachmittag von 13.00 bis<br />

17.00 Uhr Berufskunde, Buchführung und Rechnen vor. Von 17.00 bis 19.00 Uhr wurde das<br />

Fach Zeichnen unterrichtet. 534<br />

530<br />

Vgl. ebd., S. 68.<br />

531<br />

Siehe die Hinweise im vorangegangenen Kapitel und vgl. RICHTER 1958, S. 5.<br />

532<br />

Vgl. Ortsstatut betreffend die gewerbliche Berufsschule in Fischerhude vom 2.8.1923; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>,<br />

6/28 d.<br />

533<br />

Schulordnung für die gewerbliche Berufsschule in Fischerhude vom 2.8.1923; ebd.


Als im Jahre 1928 die Schülerzahlen in Fischerhude und Quelkhorn zurückgingen,<br />

entschlossen sich mehrere Meister, ihre Lehrlinge nach Bremen in die dortige Berufsschule<br />

zu schicken. Es wurde bestimmt, die restlichen Schüler den ländlichen Fortbildungsschulen<br />

in Fischerhude und Quelkhorn einzugliedern. Damit war der Betrieb der gewerblichen<br />

Berufsschule in Fischerhude beendet. 535<br />

Kapitel 9: Die Handelsschulen in <strong>Verden</strong><br />

Die Handelsschule des Kaufmännischen Vereins<br />

Am 17. Januar 1894 setzte der Händler Gustav Diekmann im Auftrag des Kaufmännischen<br />

Vereins in <strong>Verden</strong> folgende Einladung auf: „Untenstehende Herren werden zu einer<br />

Versammlung am Donnerstag, den 18. d. M., Abends 81/2 Uhr, im Himmelskamp´schen<br />

Locale, behufs Gründung einer Handelsschule, ergebenst eingeladen. Das Erscheinen<br />

sämmtlicher [sic!] Interessenten ist unbedingt erforderlich.“<br />

Im Verteiler sind die Gründungsmitglieder aufgeführt: Friedrich Wolff, F. Walther (Drogerie),<br />

Ernst Bennigsen (Kohlenhandlung), Heinrich Schnackenberg (Kolonialwarenhandlung),<br />

Albert Schlüter (Kolonialwarenhandlung), Joh. P. Pohlmann (Eisenwaren, Kohlenhandlung,<br />

Baustoffe), J. Bokemeyer, Carl Scheele (Manufakturwaren), Heinrich Behrmann<br />

(Kohlenhandlung), Ad. Euling, Carl Müller (Großhandlung Eisenwaren), Geb. Baumgarten<br />

(Kaufmann), R. Wüppesahl (Geschäftsinhaber), Gustav Wolkenhauer<br />

(Kolonialwarenhandlung und Zigarrengeschäft), H. Görte und Dietrich Oelfke<br />

(Schlachterei). 536 Die Fortbildungsschule für die kaufmännischen Lehrlinge trug die<br />

Bezeichnung „Handelsschule des Kaufmännischen Vereins in <strong>Verden</strong>“. Als Unterrichtsräume<br />

dienten die 1893 von der gewerblichen Fortbildungsschule geräumten drei Räume in der<br />

Neuen Schule (Mittelschule) am Nikolaiwall. Ab 1931 musste sich die Schule<br />

„Kaufmännische Berufsschule des Kaufmännischen Vereins“ nennen.<br />

Die Unterrichtszeiten lagen außerhalb der Arbeitszeit von 7-8 Uhr und von 19-21 Uhr. Die<br />

Schulzeit betrug zwei Jahre. Die Lehrkräfte waren durchweg Lehrer der Mittelschule. Der<br />

Revisor der gewerblichen Fortbildungsschulen im Regierungsbezirk Stade, der auch die<br />

Aufsicht über die kaufmännische Fortbildungsschule in <strong>Verden</strong> ausübte, bemängelte 1912<br />

den vorgelegten Lehrplan:<br />

„Der Plan ist sehr eingehend und gut durchgearbeitet. Es ist nur zu befürchten, dass in der Handelskunde, im<br />

Rechnen und in der Wirtschaftsgeographie sowie in der Bürgerkunde an vielen Stellen der Stoff so reich<br />

bemessen ist, dass er in der am linken Rande jeder Seite angegebenen Zeit kaum zu bewältigen sein dürfte.<br />

[…] M. E. müsste angestrebt werden, den Besuch der Fortbildungsschule auf mindestens 3 Jahre<br />

auszudehnen, weil die Mindestdauer der Lehrzeit für die Handlungslehrlinge doch jedenfalls 3 Jahre beträgt.<br />

Ferner ist es auffällig, und damit steht die Schule im Regierungsbezirk wohl einzig da, dass es für den<br />

Kaufmannsstand nicht für nötig erachtet wird, an der Schule die doppelte Buchführung zu lehren.“ 537<br />

534<br />

Vgl. Stundenplan und Ferienordnung vom 11.05.1926; Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/29 d.<br />

535<br />

Vgl. Schreiben des Bürgermeisters Böckmann vom 19.9.1928 an die Regierung in Stade; Kreisarchiv<br />

<strong>Verden</strong>, 6/28 d.<br />

536<br />

Vgl. Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>.<br />

537<br />

Bericht des Revisors Zander vom 15.6.1912 an den Regierungspräsidenten in Stade; Staatsarchiv Stade,<br />

Rep. 80 G, Titel 291, Nr. 1a.<br />

144


Auf diese Kritik hin reagierte der Kaufmännische Verein in <strong>Verden</strong> umgehend. Es wurde der<br />

Beschluss gefasst, ab Ostern 1913 den dreijährigen Unterricht einzuführen und auch die<br />

doppelte Buchführung in den Lehrplan mit aufzunehmen. 538<br />

145<br />

Der gesamte Unterricht (18 Wochenstunden) der kaufmännischen Berufsschule war bereits<br />

Ostern 1932 von dem Handelslehrer Herbert Hein übernommen worden, der auch für den<br />

kaufmännischen Unterricht an der Gewerblichen und Kaufmännischen Berufsschule in Achim<br />

eingesetzt war. 539 In der Gemeinderatssitzung vom 22.2.1935 wurde beschlossen, die<br />

Handelsschule des Kaufmännischen Vereins der Berufsschule anzugliedern, da sie mit ihren<br />

nebenamtlichen Lehrkräften keine Existenzberechtigung mehr hatte. 540 Die Berufsschulpflicht<br />

wurde dann auch auf weibliche kaufmännische Auszubildende ausgedehnt. 541<br />

Die städtische Handelsschule: nur gegen Bezahlung<br />

In <strong>Verden</strong> wurde zusätzlich noch von der Industrie- und Handelskammer ein Handelslehrkurs<br />

angeboten. In der Gemeinderatssitzung von Dezember 1935 wurde die Errichtung einer<br />

städtischen Handelsschule von Paul Maetz, dem Direktor der Gewerblichen Berufsschule,<br />

dringend gefordert:<br />

„Ein Bedürfnis, diese Schule einzurichten, liegt vor, schon aus dem Grunde, da jetzt eine ganze Reihe junger<br />

Leute Bremer Handelsschulen besuchen und <strong>Verden</strong> als eine Schulstadt eine gewisse Verpflichtung habe, den<br />

Schülern Gelegenheit zu geben, die Ausbildung auch hier zu genießen. Übrigens werden durch die Schule<br />

zunächst keine wesentlichen Kosten entstehen. Bei einer Zahl von 20 Schülern und einem Schulgeld von<br />

monatlich 15 RM für hiesige und 18 RM für auswärtige erfordert die Schule einen Zuschuß von 150 RM im<br />

Jahre. Als Fremdsprache ist Englisch vorgesehen. Der Leiter des jetzigen Handelslehrkursus der Industrie- und<br />

Handelskammer soll übernommen werden. […] Ratsherr Woltersdorf 542 regte an, als Fremdsprache auch<br />

Spanisch zu wählen, da der deutsche Export nach Gebieten der spanischen Sprache gerade von Bremen aus<br />

sehr bedeutend sei. Dem Vorschlage wurde allgemein zugestimmt.“ 543<br />

Zum 1. April 1936 konnte dann mit 30 Schülern die zweijährige Handelsschule eröffnet<br />

werden, die der Gewerblichen Berufsschule in der Südstraße angegliedert worden war. Die<br />

Gewerbliche Berufsschule trug nunmehr den Namen „Städtische Berufsschule <strong>Verden</strong>“. Die<br />

Handelsschule nahm nur solche Jugendliche auf, die eine abgeschlossene gute<br />

Volksschulbildung besaßen oder die 4. Klasse einer höheren Lehranstalt oder einer<br />

preußischen Mittelschule besucht hatten. Über die endgültige Aufnahme entschied eine<br />

Aufnahmeprüfung. Die wöchentliche Unterrichtszeit betrug etwa 32 Stunden.<br />

Unterrichtsfächer waren Englisch, Deutsch, Handelsbetriebslehre mit Schriftverkehr,<br />

Maschineschreiben, Volkswirtschaftslehre, nationalpolitische Erziehung, Turnen,<br />

Hauswirtschaft (nur für Mädchen) und als Wahlfach Spanisch. 544<br />

Anlässlich der feierlichen Entlassung der kaufmännischen Lehrlinge im Jahre 1938 ergriff<br />

Ortsgruppenleiter Bruno Woltersdorf das Wort:<br />

538<br />

Schreiben des Magistrats der Stadt <strong>Verden</strong> vom 7.9.1912 an den Regierungspräsidenten in Stade; ebd.<br />

539<br />

Vgl. THIES 1962, S. 378. Die Stadt Achim konnte sich nicht zur Anstellung von hauptamtlichen Lehrkräften<br />

entschließen. Bis zum Aufgehen der Achimer Berufsschule 1954 in der Kreisberufsschule unterrichteten dort<br />

nur nebenamtliche Lehrer. Vgl. auch „120 Jahre Berufsschulwesen in <strong>Verden</strong>“, <strong>Verden</strong>er Aller-Zeitung vom<br />

31.12.1951.<br />

540<br />

Vgl. „Aus der Stadt <strong>Verden</strong>“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 23.2.1935.<br />

541<br />

Vgl. „Berufsschulpflicht“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 9.4.1935.<br />

542<br />

Der Buchhändler Bruno Woltersdorf (*1893), war NSDAP-Ortsgruppenleiter in <strong>Verden</strong> (1932, 1939-1944)<br />

und Ratsherr.<br />

543<br />

„<strong>Verden</strong> bekommt eine Handelsschule“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 4.12.35.<br />

544<br />

Vgl. „Die Städt. Handelsschule in <strong>Verden</strong>“, Amtliches Anzeigenblatt für den Kreis <strong>Verden</strong>-Achim, 1.1.36.


146<br />

„Wir sind ein Volk ohne Raum, geknechtet von einer Macht, die Deutschland auf die Knie zwingen will. Wenn<br />

einmal die Frontgeneration abtritt, dann muß die Jugend das Ziel des Vaterlandes fortsetzen. Im Reiche Adolf<br />

Hitlers hat der Handel große Aufgaben zugewiesen bekommen. Der Jude ist als früherer Diktator des Handels<br />

ausgeschaltet. Dem Handel ist das Unehrenhafte genommen. Der Vierjahresplan soll uns die wirtschaftliche<br />

Unabhängigkeit bringen, wo uns der Krieg gezeigt hat, welche katastrophale Folgen eine wirtschaftliche<br />

Abhängigkeit hat. Die von unseren Erfindern geschaffenen neuen deutschen Werkstoffe haben sich als besser<br />

als die Urstoffe erwiesen. Aufgabe des Kaufmanns ist es nun, aufklärend zu wirken, Berater der Käuferschaft<br />

für den Staat zu sein. Die Prüfungen haben ergeben, dass die Jugend weltanschaulich schon gefestigt ist. Kein<br />

Mensch kommt eben mehr vorwärts, wenn er nicht für den nationalsozialistischen Staat arbeitet. Früher erhielt<br />

der angehende Kaufmann nicht die Förderung, die heute gegeben wird. Kameradinnen und Kameraden, Ihr<br />

geht einer Zukunft entgegen, wie sie noch keiner deutschen Jugend beschieden gewesen ist! Im Lande herrscht<br />

Ruhe in unserm eisern gefestigten Staate. Das wäre nie möglich gewesen, wenn uns nicht Adolf Hitler, der<br />

unbekannte Gefreite des Weltkrieges, den Glauben an Deutschland gegeben hätte. Diesem Manne haben wir<br />

alles zu verdanken.“ 545<br />

Im September 1943 musste die Handelsschule den Betrieb einstellen, da auch der letzte<br />

Handelslehrer einberufen worden war. Und 1969 wurde ein zweiter Zug der zweijährigen<br />

Handelsschule eingerichtet, da die Zahl der Anmeldungen aus dem Umland deutlich die<br />

Anzahl der vorhandenen Plätze überstieg. Bis heute wird nach erfolgreichem Abschluss das<br />

Zeugnis der „Mittleren Reife“ erteilt. Dieses befreit vom Besuch der Berufsschule, wenn man<br />

anschließend noch eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich macht.<br />

Die Höhere Handelsschule<br />

Die Höhere Handelsschule wurde am 1.4.1960 mit einer Klasse eingerichtet. Der zweite Zug<br />

wurde 1978 und der dritte Zug ein Jahr später eröffnet. Im Gegensatz zur zweijährigen<br />

Handelsschule kann die einjährige „Berufsfachschule Wirtschaft für Realschulabsolventen<br />

und Realschulabsolventinnen“ nur von SchülerInnen besucht werden, die die 10. Klasse<br />

einer Realschule oder eines Gymnasiums erfolgreich besucht haben.<br />

Kapitel 10: Die Berufsschule in Achim<br />

Die Entwicklung der ländlichen Fortbildungsschulen im Altkreis Achim und der Aufbau der<br />

Ländlichen Berufsschule in Achim sind bereits in Kapitel 7 beschrieben worden. An dieser<br />

Stelle soll die Entwicklung der dortigen späteren gewerblichen und kaufmännischen<br />

Berufsschule dargestellt werden.<br />

Als im Jahre 1887 die gesetzliche Grundlage für den Erlass von Ortsstatuten zur Gründung<br />

von Fortbildungsschulen geschaffen wurde, kam es auch im Anschluss an diese<br />

gesetzgeberische Maßnahme zur Gründung einer Fortbildungsschule in Achim und dem<br />

damals noch zum Kreis Achim gehörigen Hemelingen. 546 In Achim wurde die gewerbliche<br />

Fortbildungsschule 1895 gegründet und ein Ortsstatut erlassen. Der Unterricht fand immer<br />

abends von 20 bis 22 Uhr statt:<br />

Dienstag: Rechnen und Deutsche Sprache<br />

Donnerstag: Zeichnen<br />

Freitag: Deutsche Sprache und Rechnen<br />

545 „Gutes Prüfungsergebnis im Handelskammerbezirk <strong>Verden</strong>. Feierliche Entlassung der kaufmännischen<br />

Lehrlinge“, <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, Anfang März 1938. Artikel wurde freundlicherweise von Herrn Karl Fasthoff<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

546 Vgl. THIES 1962, S. 377f.


Unterrichtet wurden die Schüler von den Volksschullehrern Schliecker und Oetting und dem<br />

Architekten Joh. Meislahn, der den Zeichenunterricht übernommen hatte. 547<br />

Um Staatszuschüsse aus Hannover zu erhalten, musste sich die Schule einer Inspektion<br />

unterziehen lassen. Am 15. Mai 1897 fand die Überprüfung des Zeichenunterrichts statt:<br />

„Der Lehrplan der gewerblichen Fortbildungsschule zu Achim giebt insbesondere für den Zeichenunterricht<br />

Anlaß zu vielen Bedenken. Sowohl der Lehrgang als die zur Verwendung vorgeschlagenen Lehrmittel<br />

entsprechen nicht den Anforderungen, wie sie an die Anstalt zu stellen sind. Wenn daher eine fortdauernde<br />

Staatsunterstützung meinerseits befürwortet werden soll, muß der Lehrplan für das Zeichnen geändert werden.<br />

Das Einfachste und Richtigste wäre, wenn der den Zeichenunterricht ertheilende Lahrer in Achim zu dem<br />

diesjährigen Zeichenlehrerkursus einberufen würde. Er kann sich dann mit der Lehrmethode und den<br />

Lehrmitteln vertraut machen und dementsprechend den Lehrplan ändern.“ 548<br />

Am 10. Januar 1898 fand die nächste Überprüfung statt. Revisor Eckert aus Stade besuchte<br />

die Zeichenklasse, zu der 17 Schüler gehörten. Insgesamt hatte die Fortbildungsschule 56<br />

Schüler. Im Sommer wurde am Sonntagvormittag von 7 bis 9 Uhr und im Winter am<br />

Montagabend von 20 bis 22 Uhr in einem Klassenzimmer der Landwirtschaftlichen<br />

Winterschule unterrichtet. Inspektor Eckert stellte fest, dass das Tageslicht und auch das<br />

abendliche Petroleumlicht im Klassenzimmer den Ansprüchen genügten. Zu den Leistungen<br />

der Schüler vermerkte er:<br />

„Es wird Freihandzeichnen und Linearzeichnen getrieben. Im Freihandzeichnen werden Blattformen und<br />

Ornamentmotive in Blei gezeichnet und in Tusche ausgezogen. Im Linearzeichnen werden Maßstäbe<br />

gezeichnet und einfache geometrische Flächenmotive dargestellt. Die Leistungen im Freihandzeichnen sowie<br />

im Linearzeichnen sind ziemlich gut und steigerungsfähig, wenn der Unterricht in richtiger und methodischer<br />

Weise ertheilt wird.“<br />

Da Eckert feststellen musste, dass der Zeichenlehrer immer noch nicht zur Fortbildung<br />

gewesen war, stellte er Anträge:<br />

„1.) Die Schulleitung muß in die Hand einer Person gelegt werden.<br />

2.) Der im Zeichnen unterrichtende Lehrer Architekt Meislahn muß an einem Informationskursus für<br />

Zeichenlehrer theilnehmen.<br />

3.) Der von der Inspektion des Zeichenunterrichts aufgestellte Lehrplan für die staatlich unterstützten<br />

Fortbildungsschulen der Provinz Hannover ist einzuführen und die dazu erforderlichen Lehrmittel sind<br />

zu beschaffen.<br />

4.) Der Zeichenunterricht ist thunlichst auf 4 Stunden wöchentlich auszudehnen.“ 549<br />

An Schulgeld für die Fortbildungsschule mussten die Schüler 1908 im ersten<br />

Unterrichtshalbjahr drei Mark und für das zweite Unterrichtshalbjahr zwei Mark zahlen.<br />

Auswärtige Schüler hatten den anderthalbfachen Satz des Schulgeldes zu entrichten. Das<br />

Honorar der Lehrer betrug in diesem Jahr 1,50 Mark für eine Schulstunde (60 Minuten). Am<br />

Schluss eines jeden Unterrichtshalbjahres wurde eine öffentliche Schlussprüfung<br />

abgehalten. 550<br />

Am 20. Februar 1920 wurde das Ortsstatut der gewerblichen Berufsschule verabschiedet.<br />

Aus den Akten geht hervor, dass im Jahre 1922 die Gewerkschaften versuchten, einen<br />

ganzen Berufsschultag an den gewerblichen Fortbildungsschulen einzuführen:<br />

547<br />

Vgl. Stundenplan der gewerblichen Fortbildungsschule in Achim von 1897; Niedersächsisches Staatsarchiv<br />

Stade, Rep. 80 G, Titel 291, Nr. 12.<br />

548<br />

Bericht des Inspektors Direktor Lahner vom 18.5.1897; ebd.<br />

549<br />

Bericht des Revisors Eckert vom 11.1.1898; ebd.<br />

550<br />

Vgl. Bestimmungen über Errichtung und Verwaltung der Fortbildungs-<strong>Schulen</strong> im Kreise Achim.<br />

Kreisausschuss-Beschluss vom 6.10.1908.<br />

147


„Achim, den 6. Februar 1922<br />

Es erschienen im Auftrage der Gewerkschaftskommission die Arbeiter Seekamp und Frankenfeld und erklärten<br />

folgendes: In der hiesigen gewerblichen Fortbildungsschule werden die Stunden stets abends abgehalten. Da<br />

an denselben auch Lehrlinge aus den umliegenden Dörfern teilnehmen /Baden, Uesen, Uphusen/ so sind diese<br />

gezwungen den Rückweg in der Dunkelheit zurückzulegen. Wir bitten, dahin wirken zu wollen, dass die<br />

Abhaltung der Stunden zu einer anderen Tageszeit erfolgt, da in der Dunkelheit leicht Unfälle vorkommen<br />

können. In Bremen werden die Stunden beispielsweise am Vormittag abgehalten, der Nachmittag ist sodann<br />

den Lehrlingen zur Bearbeitung ihrer Schulaufgaben zur Verfügung gestellt.“ 551<br />

148<br />

Als Leiter der Berufsschule wurde Konrektor Rudolf Schliecker eingesetzt, der die Fächer<br />

Deutsch und Rechnen unterrichtete. Ihm zur Seite standen Volksschullehrer Brüns (Deutsch,<br />

Rechnen), Volksschullehrer Albert Hahnenfeld (Deutsch, Rechnen), Volksschullehrer Rathje<br />

(Rechnen), Mittelschullehrer Seidensticker (Deutsch, Zeichnen) und Reichsbahnbauinspektor<br />

Joh. Plate (Zeichnen). 552 Anfang der 30er Jahre war Konrektor Brüns Leiter der Schule und<br />

von 1935 bis 1938 Gewerbelehrer Voß<br />

Stundenplan aus dem Schuljahr 1936: 553<br />

Wochentag Uhrzeit Unterrichtsfächer Lehrer<br />

Dienstag 14-17 Zeichnen, Fachkunde, Fachrechnen für die schmückenden Berufe, Mittelschullehrer<br />

2.-4.Lehrjahr<br />

Seidensticker<br />

14-17 Zeichnen, Fachkunde, Fachrechnen für die Tischler,<br />

Innenarchitekt<br />

2.-4.Lehrjahr<br />

Borchers<br />

14-17 Zeichnen und angeschlossenes Rechnen für das 1. Lehrjahr aller Volksschullehrer<br />

Berufe<br />

Wrede<br />

17-20 Gemeinschaftskunde, Schriftverkehr und Rechnen für das 1. Volksschullehrer<br />

Lehrjahr aller Berufe<br />

Geffert<br />

17-20 Gemeinschaftskunde, Schriftverkehr und Rechnen für das 3. Volksschullehrer<br />

Lehrjahr aller Berufe<br />

Wrede<br />

Donnerstag 14-16 Kurzschrift und nationalsozialistischer Gesinnungsunterricht für die Mittelschullehrer<br />

kaufmännische Abteilung<br />

Seidensticker<br />

16-20 Kaufmännisches Rechnen, Handelskunde und Buchführung für die Volksschulrektor<br />

kaufmännische Abteilung<br />

Richter<br />

Freitag 14-17 Gemeinschaftskunde, Schriftverkehr und Rechnen für das 2. Volksschullehrer<br />

Lehrjahr aller Berufe<br />

Hoppenberg<br />

14-17 Gemeinschaftskunde, Schriftverkehr und gewerbliche Buchführung Mittelschulrektor<br />

für das 4. Lehrjahr aller Berufe<br />

Göhrs<br />

17-20 Zeichnen, Fachkunde und Fachrechnen für das Baugewerbe, 2.-4. Bahnbauinspektor<br />

Lehrjahr<br />

Plate<br />

17-20 Zeichnen, Fachkunde und Fachrechnen für das Metallgewerbe, 2.- Diplom-Ingenieur<br />

4. Lehrjahr<br />

Gercke<br />

Ab 1938 war Bruno Seidensticker Leiter der Berufsschule. Im gleichen Jahr machte er<br />

statistische Angaben über die Gewerbliche Berufsschule in Achim. Untergebracht war die<br />

Schule im Gebäude der Volks- und Mittelschule in Achim, in der „Straße der Erhebung“. Im<br />

Jahr umfasste der Unterricht 40 Wochen mit 6-8 Unterrichtsstunden pro Woche. Zu diesem<br />

Zeitpunkt waren 18 Klassen vorhanden die von zehn nebenamtlichen Lehrern unterrichtet<br />

wurden, von denen sechs im Hauptamt an allgemeinbildenden <strong>Schulen</strong> tätig waren.<br />

Schulgeld wurde nur von den auswärtigen Schülern in Höhe von 8,50 RM im Halbjahr<br />

erhoben. 554<br />

551 Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/28 a.<br />

552 Vgl. Stundenplan der gewerblichen Berufsschule Achim (1928); Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/29 e.<br />

553 Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/28 f<br />

554 Vgl. Kreisarchiv <strong>Verden</strong>, 6/27 a.


Zahl der Schüler (1938):<br />

Schüler in gewerblichen in kaufmännischen Wohnen am Wohnen außerhalb<br />

Betrieben Betrieben<br />

Schulort des Schulortes<br />

männl. weibl. Summe männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl.<br />

163 37 200 140 6 22 31 56 19 106 18<br />

Politische Gliederung der Schüler (1938):<br />

Jungvolk HJ, BDM SA, SS, NSKK 555<br />

männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl.<br />

3 – 145 33 4 –<br />

Entwicklung der Schule:<br />

Jahr Zahl der Schüler hauptamt. nebenamtl.<br />

Lehrkräfte Lehrkräfte<br />

m w zus. männlich männlich<br />

1929 134 3 137 – 6<br />

1930 119 5 124 – 8<br />

1931 116 4 120 – 7<br />

1932 120 14 134 – 5<br />

1933 89 10 99 – 3<br />

1934 99 17 116 1 1<br />

1935 116 19 135 2 1<br />

1936 126 22 148 – 10<br />

1937 130 31 161 – 10<br />

1938 162 37 199 1 10<br />

Klassenzusammensetzung:<br />

Zahl<br />

der Berufsart oder Gewerbezweig Wochen- Zahl der Schüler<br />

Klassen<br />

stunden männlich weiblich zusammen<br />

1 Gew. Lehrlinge, 4. Lehrjahr 3 23 – 23<br />

2 Gew. Lehrlinge, 3. Lehrjahr 3 43 3 46<br />

1 Gew. Lehrlinge, 2. Lehrjahr 3 32 1 33<br />

2 Gew. Lehrlinge, 1. Lehrjahr 3 43 2 45<br />

1 Fachklasse für schmückende<br />

Berufe<br />

3 9 5 14<br />

1 Fachklasse für Tischler 3 18 – 18<br />

1 Fachklasse für Baugewerbe 3 11 – 11<br />

2 Fachklasse für Metallarbeiter 3 42 – 42<br />

1 Fachklasse für Bäcker 1 15 – 15<br />

1 Klasse für Kaufleute u. Handel<br />

1.Lehrjahr<br />

6 8 7 15<br />

1 Klasse für Kaufleute u. Handel<br />

2.Lehrjahr<br />

6 6 15 21<br />

1 Klasse für Kaufleute u. Handel<br />

3.Lehrjahr<br />

6 8 9 17<br />

1 Klasse für Maschinenschreiben,<br />

Anfänger<br />

1½ 5 2 7<br />

1 Klasse für Maschinenschreiben,<br />

Fortgeschrittene<br />

1½ 4 3 7<br />

1 Klasse für Plakatschrift 1 5 5 10<br />

555 NSKK = Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps.<br />

149


150<br />

Im Januar 1946 konnte die Gewerbliche und Kaufmännische Berufsschule in Achim wieder in<br />

der früheren Weise den nebenamtlichen und nebenberuflichen Berufsschulunterricht in der<br />

Schule am Markt (dort bis 1956, danach Bahnhofstraße) aufnehmen. Auf Betreiben der<br />

Regierung in Stade wurde ab Ostern 1948 auch der hauswirtschaftliche Berufsschulunterricht<br />

eingeführt. Die Berufsschule Achim war vor und während des Krieges auch von<br />

Auszubildenden aus dem Raum Ottersberg besucht worden, soweit diese nicht als<br />

Gastschüler nach Bremen fuhren. Nachdem in den letzten Kriegsjahren aber alle<br />

Berufsschulgebäude in Bremen zerstört worden waren, kam in den ersten Jahren nach 1945<br />

ein Besuch der Bremer Berufsschulen nicht in Betracht. Vor der Währungsreform gab es<br />

infolge von Verkehrsschwierigkeiten auch keine Möglichkeit zu einem Schulbesuch in Achim.<br />

Daher wurden ab Ostern 1948 in Ottersberg zwei gewerbliche Berufsschulklassen für<br />

Auszubildende aus dem dortigen Bereich eingerichtet. Nach Behebung der<br />

Verkehrsschwierigkeiten lösten sich diese gemischtberuflichen Klassen wieder auf.<br />

Im Schuljahr 1954/55 wurden 15 Klassen von 13 nebenamtlichen Lehrern unterrichtet:<br />

Mittelschuldirektor a. D. Friedrich Göhrs (Rechnen, Betriebskunde, Gemeinschaftskunde,<br />

Plakatschrift), Volksschuldirektor Ernst Richter (Buchführung), Mittelschulkonrektor Wilhelm<br />

Petersen (Theoretischer Unterricht/gewerbl. Abt.), Mittelschullehrer Hermann Bunke (Steno<br />

und Maschinenschreiben/kaufm. Abt., Bäcker), Mittelschullehrer Dr. Wolfgang Schöttler<br />

(Theoretischer Unterricht/hausw. Abt.), Volksschullehrer Bernhard Kraushaar (Theoretischer<br />

Unterricht/gew. Abt.), Volksschullehrer Heinz Grähn (Theoretischer Unterricht/gew., kaufm.,<br />

hausw. Abt.), Volksschullehrer Kurt Fündeling (Theoretischer Unterricht/gew. Abt.), Ingenieur<br />

Hinrich Warnke (Metall, praktisch), Tischler- und Werkmeister Georg von Horn (Tischler,<br />

praktisch), Bau-Ingenieur und Maurermeister Hermann Wahlers (Bau, praktisch),<br />

Gewerbeoberlehrer Gottfried Fechner 556 (Fleischer, praktisch), Volksschullehrerin Magdalene<br />

Wrede (Hauswirtschaft). 557<br />

Nach Inkrafttreten des Niedersächsischen Schulverwaltungsgesetzes am 1.4.1954 kam es<br />

auf dem Gebiet des Berufsschulwesens zu umwälzenden Änderungen. Das Gesetz sah als<br />

Regelfall die Landkreise als Träger des Berufs- und Berufsfachschulwesens vor, weil nur<br />

durch einen größeren Einschulungsbereich die Aufgliederung in Fachklassen durchführbar<br />

war. Der Landkreis <strong>Verden</strong>, bereits Träger der landwirtschaftlichen Berufsschulen, übernahm<br />

ab 1.10.1954 auch die gewerblichen, kaufmännischen und hauswirtschaftlichen<br />

Berufsschulen in <strong>Verden</strong> und Achim sowie die zweijährige Handelsschule und die einjährige<br />

Haushaltungsschule in <strong>Verden</strong>. Da es an der Berufsschule in Achim keine hauptamtlichen<br />

Lehrkräfte gab und die Stadt Achim auch keine Planstellen für solche zur Verfügung hatte,<br />

mussten die Lehrkräfte der Berufsschule <strong>Verden</strong> den gesamten Unterricht für die bisher in<br />

Achim eingeschulten Berufsschulpflichtigen mit übernehmen. Der größte Teil der<br />

gewerblichen Auszubildenden in Achim wurde nach <strong>Verden</strong> eingeschult. Die SchülerInnen<br />

der kaufmännischen Berufsschule verblieben zunächst in Achim. Die jeweilig zum<br />

Ostertermin neu aufzunehmenden SchülerInnen kamen dann jedoch nach <strong>Verden</strong> in die neu<br />

aufgegliederten Fachklassen der kaufmännischen Berufsschule. 558<br />

Im Jahre 1958 befanden sich in Achim noch drei Klassen der Kreisberufsschule<br />

„Fachrichtung Bau und Holz“ mit 56 Schülern, eine Klasse der kaufmännischen Berufsschule<br />

mit 31 Schülern und drei Klassen der hauswirtschaftlichen Berufsschule mit 56 Schülern. 559<br />

Ein Jahr später schloss die Außenstelle der Kreisberufsschule <strong>Verden</strong> in Achim ihre Pforten.<br />

556 Fechner war hauptamtlich an der Berufsschule in <strong>Verden</strong> tätig.<br />

557 Vgl. Stundenverteilungsplan der Städtischen Berufsschule Achim, Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

<strong>Verden</strong>, Schnellhefter „Schriftverkehr u. Vorgeschichte betr. Errichtung der Kreisberufsschule 1934-55“.<br />

558 Vgl. THIES 1962, S. 380.<br />

559 Vgl. THIES 1958, S. 35


Kapitel 11: Entwicklungsphasen dualer Berufsausbildung<br />

Die Konsolidierungsphase (1945 - 1970)<br />

Das Reichserziehungsministerium hatte ein Reichsberufsschulrecht entworfen, dessen<br />

endgültige Durchsetzung der Krieg verhinderte: „Dreijährige Berufsschulpflicht mit acht<br />

Wochenstunden Unterricht, Beschulungspflicht der Schulträger, reichseinheitliche Lehrpläne,<br />

engste Anlehnung der Berufsschule an die betriebliche Ausbildung, Schulträgerschaft im<br />

wesentlichen durch die Stadt- oder Landkreise, Berufsschulbeiräte aus Wirtschaftsvertretern<br />

zur Beratung der einzelnen Berufsschulen, Berufsschullehrer als reichsunmittelbare<br />

Beamte.“ 560 Damit war schulrechtlich das Modell der klassischen Pflicht-Berufsschule fixiert,<br />

wie sie dann auch nach 1945 flächendeckend in Westdeutschland realisiert wurde. Ähnlich<br />

wie nach dem Ersten Weltkrieg gab es nach 1945 eine kurze schulpolitische Debatte über<br />

die „reformierte, demokratische Einheitsschule“, in die die Berufsschule integriert werden<br />

sollte. Im Zuge der allgemeinen Restauration festigte sich jedoch schnell das alte<br />

dreigliedrige Schulwesen – gegen den Willen der Besatzungsmächte. Und die<br />

Berufsschulentwicklung knüpfte konzeptionell und personell nahtlos an die Regelungen und<br />

Strukturen der 20er und 30er Jahre an. Die pädagogische Legitimation der Berufsschule<br />

knüpfte wieder bei den „Klassikern“ Georg Kerschensteiner, Eduard Spranger und Aloys<br />

Fischer an.<br />

151<br />

Um Berufsschülern – um 1950 waren dies ausschließlich Volksschulabgänger – den Weg zu<br />

den Ingenieur- und anderen Höheren Fachschulen zu öffnen, wurde schon Ende der 40er<br />

Jahre die Einrichtung eines „Zweiten Bildungsweges“ gefordert. Die ab 1949 eingerichtete<br />

„Berufsaufbauschule“ erfüllte zunächst diese Forderung. Ende der 60er Jahre, nach dem<br />

Abdriften der Höheren Fachschulen in den Hochschulsektor, verlor sie ihre Funktion an die<br />

neu eingerichtete „Fachoberschule“. Große Auseinandersetzungen gab es um die Einführung<br />

des 9. Pflichtschuljahres. Die Vertreter der Berufsschulen forderten das neu einzurichtende<br />

Schuljahr als Basisjahr für die nachfolgende Berufsausbildung – als „Gelenkstück“ zwischen<br />

allgemeiner und beruflicher Bildung. Doch das 9. Schuljahr wurde der Volksschule<br />

zugeschlagen, die zur „Hauptschule“ aufstieg. Trotzdem waren die Debatten insofern für die<br />

Berufsschule wichtig, als sich in ihrem Rahmen das Konzept eines<br />

„Berufsgrundbildungsjahres“ festigte, das dann allerdings erst in den 70er Jahren eingeführt<br />

wurde. Bereits vor 1950 stand die Neuordnung der Berufsschullehrerausbildung zur<br />

Diskussion, da die Ausbildung der Handelslehrer schon vor dem Kriege an Hochschulen<br />

etabliert worden war. Die Gewerbelehrerausbildung wurde seit den 20er Jahren an so<br />

genannten „Berufspädagogischen Instituten“ durchgeführt. Mitte der 60er Jahre erfolgte dann<br />

die Ausbildung der gewerblichen Lehrkräfte an wissenschaftlichen Hochschulen. Sie hatte<br />

nicht nur für die Berufsschullehrer eine standes- und besoldungspolitische Anhebung auf das<br />

Niveau von Studienräten zur Folge, sie war auch ein Zeichen für den erstaunlichen<br />

quantitativen und qualitativen Aufstieg eines beruflichen Schulwesens, von dem die<br />

Pflichtberufsschule nur mehr den Kern bildete.<br />

Als am 1.9.1969 das Berufsbildungsgesetz in der Bundesrepublik in Kraft trat, ging eine<br />

Epoche ausbildungspolitischer Auseinandersetzungen zu Ende, die genau 50 Jahre gedauert<br />

hatte. Nachdem im November 1918 die Gewerkschaften von den Arbeitgebern als<br />

Tarifpartner anerkannt worden waren, forderten sie auch Mitwirkungsrechte bei der<br />

Ausbildung des beruflichen Nachwuchses. Auf dem Gewerkschaftskongress im Jahre 1919<br />

wurden Beschlüsse zur Regelung des Lehrlingswesens gefasst, die zur Aufnahme von<br />

560 GRÜNER 1986, S. 651.


152<br />

Beratungen einer Studienkommission (bestehend aus Gewerkschaften, Arbeitgebern,<br />

Berufspädagogen und Ministerialbeamten) führten. Wegen der allgemeinen politischen und<br />

ökonomischen Situation kam es erst 1927 zu einem offiziellen Gesetzesvorschlag. Doch der<br />

Versuch, Berufsbildung als öffentliche Aufgabe gesetzlich zu verankern, rief den einhelligen<br />

Widerstand von Handwerk und Industrie hervor. Die Folge war, dass der Gesetzentwurf im<br />

Beratungsgestrüpp des Reichstages hängen blieb. Auch die Nationalsozialisten brachten es<br />

nicht fertig, eine Einigung herbeizuführen. 1937 legte der Reichswirtschaftsminister – von<br />

Hitler explizit beauftragt – einen Entwurf vor, den die Deutsche Arbeitsfront (DAF), fixiert auf<br />

die Vereinnahmung der gesamten Berufsausbildung, sofort als völlig indiskutabel ablehnte.<br />

Die Konfrontation blieb ohne Entscheidung. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es wiederum<br />

die Gewerkschaften, die erste Forderungen nach einem umfassenden<br />

Berufsausbildungsgesetz erhoben. Doch die 1953 gegen den Widerstand der<br />

amerikanischen Besatzungsmacht und gegen die Bedenken von SPD und Gewerkschaften<br />

verabschiedete Handwerksordnung (HWO), die die berufsständische Tradition der<br />

handwerklichen Ausbildung nahtlos fortschrieb, blockierte jeglichen Anlauf für gesetzliche<br />

Regelungsversuche. Erst der Entwurf des Deutschen Gewerkschaftsbundes für ein<br />

Berufsbildungsgesetz aus dem Jahre 1959, der dem Bundestag zur Beratung zugeleitet<br />

wurde, brachte wieder Bewegung in die festgefahrenen Fronten. 1962 stellte die SPD im<br />

Bundestag einen Antrag, einen Gesetzesentwurf zur Berufsausbildung vorzulegen. Aber erst<br />

1964 verlautbarte der Wirtschaftsminister im Bundestag, dass ein umfassender Entwurf<br />

angesichts der schwierigen Materie, noch nicht möglich sei. 1966 legte die SPD-Fraktion, der<br />

Vertröstungen der Bundesregierung überdrüssig, einen eigenen Gesetzentwurf vor, der<br />

einen konkurrierenden Entwurf der Regierungsparteien nach sich zog. Die „Große Koalition“<br />

von CDU/CSU und SPD beschleunigte dann den Abstimmungsprozess. Am 14.8.1969 wurde<br />

das „Berufsbildungsgesetz“ (BBiG) verkündet. 561<br />

Die Ausbauphase (1970-1995)<br />

Seit Anfang der 50er Jahre begann in den westeuropäischen Ländern das Bildungswesen zu<br />

expandieren, d. h. die „höheren“ Bildungsgänge stiegen mit z. T. enormen Zuwachsraten. So<br />

wuchs z. B. der Anteil der Studienanfänger zwischen 1950 und 1970 in der Bundesrepublik<br />

von 6,2% auf 15,4%, in Frankreich von 8,5% auf 28,5% und in Schweden von 6% auf 37,6%.<br />

In der Bundesrepublik wurde dieser Anstieg des Gymnasial- und Universitätsbesuches seit<br />

Mitte der 60er Jahre begleitet von einer leidenschaftlichen öffentlichen Debatte über die<br />

„deutsche Bildungskatastrophe“, in der das Zurückbleiben der Bildungsentwicklung in der<br />

Bundesrepublik gegenüber derjenigen in vergleichbaren Industrienationen als<br />

zukunftsbedrohendes bildungspolitisches Versäumnis verurteilt wurde. Die strukturellen<br />

Veränderungen, die dann in den 70er Jahren vorgenommen wurden, zielten vor allem auf die<br />

Erweiterung des Hochschulzugangs. Nichtsdestoweniger geriet Ende der 60er Jahre auch<br />

das Berufsbildungswesen in den Sog der Reformdiskussion. Zum einen wurde der breiten<br />

Öffentlichkeit bewusst, dass die traditionelle Spaltung des deutschen Bildungswesens in<br />

einen „allgemeinbildenden“ und in einen „berufsbildenden“ Teil ein hervorstechendes<br />

Zeichen sozialer Klassenspaltung darstellte. Das alte Verdikt August Bebels,<br />

„Allgemeinbildung ist die Berufsbildung der Herrschenden, Berufsbildung ist die<br />

Allgemeinbildung der Beherrschten“, wurde in jenen Jahren zum geflügelten Wort. Die<br />

Beseitigung der pädagogischen, organisatorischen und curricularen Unterschiede zwischen<br />

den beiden Bildungsbereichen, die „Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung“, war<br />

daher eine der Kernforderungen der Bildungsdebatte.<br />

561 Vgl. GREINERT 1998, S. 77-87.


153<br />

Der zweite kritische Einwand gegen das duale Berufsausbildungssystem richtete sich gegen<br />

dessen mangelhafte qualifikatorische Leistungsfähigkeit. Die technologische und<br />

ökonomische Anpassung des Handwerks, des Handels, der bäuerlichen Landwirtschaft und<br />

der Hauswirtschaft an den industriell-marktwirtschaftlichen Sektor erforderte eine<br />

anspruchsvollere Qualifikationsausstattung der dort beschäftigten Arbeitskräfte, die die<br />

überkommene Ausbildungspraxis jedoch nicht mehr vermitteln konnte. Sie war, wie<br />

zahlreiche Untersuchungen vom Anfang der 70er Jahre zweifelsfrei belegen, weitgehend zu<br />

einem bloßen Ausbeutungsinstrument verkommen, gegen das sich u. a. auch die<br />

Betroffenen selbst in einer spontanen und autonomen „Lehrlingsbewegung“ erhoben. Dieser<br />

doppelte Angriff auf das duale System der Berufsausbildung Mitte der 70er Jahre, erzeugte<br />

einen politischen Druck, dem sich anfangs niemand – auch die Unternehmerschaft nicht – zu<br />

widersetzen wagte. Die Folge war eine Fülle von Vorschlägen für massive Eingriffe in das<br />

etablierte Ausbildungssystem, deren Realisierungschancen indes von der 1974 einsetzenden<br />

Weltwirtschaftskrise und der drohenden Ausbildungskatastrophe – der ansteigenden<br />

Nachfrage nach Ausbildungsplätzen bei rückläufigem Angebot – weitgehend zunichte<br />

gemacht wurden. Übrig blieb das „Ausbildungsplatzförderungsgesetz“ (APlFG) von 1976, das<br />

nur noch zwei Punkte regelte: Struktur und Aufgaben eines „Bundesinstituts für<br />

Berufsbildung“ und die Erhebung einer Berufsbildungsabgabe von größeren Betrieben im<br />

Falle nicht ausreichender Lehrstellen (im Schnitt beteiligten sich nur 30-35% an der<br />

Ausbildung). Trotz objektiven Bedarfs wurde auf diese Möglichkeit in den folgenden Jahren<br />

nie zurückgegriffen. Das AplFG wurde 1980 vom Bundesverfassungsgericht für nichtig<br />

erklärt, das ein Jahr später vom Bundestag als Ersatz verabschiedete „Gesetz zur Förderung<br />

der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz –<br />

BerBiFG)“ lehnte sich in wesentlichen Teilen an das kassierte AplFG an, enthielt aber kein<br />

Finanzierungsinstrumentarium mehr. Damit war der zweite Versuch einer Neufassung des<br />

BBiG gescheitert; ein dritter wurde nicht mehr unternommen.<br />

Noch weit dramatischer und verwickelter gestaltete sich die politische Abwehrschlacht gegen<br />

die verbindliche Einführung eines Berufsgrundbildungsjahres (BGJ). In seinem 1970<br />

vorgelegten „Strukturplan für das Bildungswesen“ hatte der Deutsche Bildungsrat die<br />

allgemeine Einführung eines Berufsbildungsjahres vorgeschlagen. Das erste Jahr der<br />

Berufsausbildung sollte als ein von der Produktion getrenntes Bildungsjahr gestaltet werden,<br />

eine möglichst umfassende berufliche Grundbildung auf Berufsfeldbreite vermitteln und<br />

zugleich die allgemeinen Fächer der Sekundarstufe I fortführen. Bundesregierung und<br />

Kultusministerkonferenz schufen mit der so genannten „Anrechnungsverordnung“ 1972 die<br />

Voraussetzungen für die Einführung der neuen Schulform und für die Anrechnung ihres<br />

Besuchs auf die Ausbildungszeit. Die neue Schulform wuchs schnell: im Schuljahr 1973/74<br />

zählte das BGJ bereits ca. 12.500 Schüler, zehn Jahre später ca. 103.500. Mit der<br />

Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt gingen indes die Zahlen rapide zurück. Die<br />

Gewerkschaften favorisierten das schulische Berufsgrundbildungsjahr (BGJ/s) 562 , weil es bei<br />

flächendeckender Einführung zwei Schwachpunkte des dualen Systems zu mindern<br />

versprach: (1.) das regional, berufsstrukturell und zeitlich variierende Angebot an<br />

Ausbildungsplätzen, und (2.) die von gesellschaftspolitischen Anforderungen nicht<br />

beschränkte Rekrutierungs- und Selektionspraxis der privaten Betriebe. Die Unternehmer<br />

waren von Anfang an gegen das BGJ/s, da sie ihm eine „Praxislücke“ anlasteten. Die<br />

Abwehrstrategie der Arbeitgeber gegen das BGJ/s bestand im Wesentlichen aus zwei sich<br />

ergänzenden Maßnahmen: (1.) aus einem breit angelegten Versuch der Betriebe, die<br />

Anrechnungsverordnung zu unterlaufen und die weitere Ausbildung von BGJ-Absolventen zu<br />

562 Schulrechtlich ist das BGJ/s eine Vollzeitform der Berufsschule und ersetzt das erste Jahr der<br />

Berufsausbildung in Betrieb und Schule. Es untersteht der Aufsicht der Kultusminister der Länder. Es werden<br />

sowohl allgemeine Inhalte und berufstheoretische Grundlagen als auch die berufspraktischen Grundfertigkeiten<br />

in der Schule vermittelt.


verweigern, und (2.) im Gegenzug zur Realisierung des schulischen BGJ ein so genanntes<br />

„kooperatives“ BGJ 563 aufzubauen. 1978 verbuchten die Arbeitgeber einen beachtlichen<br />

Teilerfolg: die Anrechnungsverordnung wurde in entscheidenden Punkten geändert. Es<br />

erfolgte, vor allem durch Einführung so genannter „Schwerpunkte“ in wichtigen Berufsfeldern<br />

– eine Aufweichung des für das BGJ zentralen Prinzips der berufsfeldbreiten Grundbildung,<br />

eine Beschränkung der Anrechnungspraxis und indirekt, durch eine Verlängerung der<br />

Ausbildungszeit wichtiger Berufe, eine Halbierung der Anrechnungsdauer des BGJ.<br />

154<br />

Reformvorhaben in der Betriebsausbildung waren der Aufbau überbetrieblicher<br />

Berufsbildungsstätten (ÜBS) und der Komplex „Neuordnung der Ausbildungsberufe“.<br />

Diejenigen Betriebe, die ausbildeten, aber das Ausbildungsprogramm nicht im vollen Umfang<br />

anbieten konnten, mussten sich verpflichten, ergänzende Ausbildungsmaßnahmen<br />

außerhalb der Ausbildungsstätte vorzusehen. Auf Grund dieser gesetzlichen Verpflichtung<br />

der Betriebe stellte die Bundesregierung von 1973 an erhebliche Fördermittel für die<br />

Kapazitätsausweitung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten zur Verfügung. Doch trotz<br />

der Erfolge mit dem ÜBS-Programm blieb diese ausbildungspolitische Maßnahme weiter<br />

umstritten. Dies hängt einmal damit zusammen, dass die ÜBS trotz fast vollständiger<br />

Finanzierung durch die öffentliche Hand keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen. Träger der<br />

ÜBS sind in erster Linie Kammern, Innungen oder Kreishandwerkerschaften, in deren<br />

Vermögen das investierte Kapital nach einiger Zeit übergeht. Eine Mitbestimmung seitens<br />

der Gewerkschaften und der Berufsschule wurde aber bislang strikt abgelehnt. Die<br />

Gewerkschaften betrachten die ÜBS mit Misstrauen. Diese stellen nach ihrer Meinung nur<br />

eine Form verdeckter mittelständisch orientierter Subventionen dar.<br />

Vorreiter der Neuordnung waren die industriellen Metallberufe. 1978 wurden in den so<br />

genannten „Eckdaten zur Neuordnung der industriellen Metallberufe“ der<br />

Arbeitgebervereinigung Gesamtmetall und der Industriegewerkschaft Metall gemeinsame<br />

Positionen niedergelegt. Ein Jahr später wurden die industriellen Elektroberufe in das<br />

Verfahren einbezogen. Als Kompromiss kamen 1987 die „Ausbildungsordnungen für die<br />

industriellen Metall- und Elektroberufe“ heraus. Dieses Neuordnungsverfahren<br />

- setzte hinsichtlich seines Umfanges neue Maßstäbe. Es wurden nicht einzelne Berufe,<br />

sondern ganze Berufsfelder neu geordnet. Im Falle der Metalltechnik wurden 42<br />

Ausbildungsberufe einbezogen;<br />

- bekräftigte das neue Abstimmungskonzept zwischen den betrieblichen<br />

Ausbildungsplänen und den Rahmenplänen der Berufsschule;<br />

- veränderte den bislang üblichen Ausbildungs-Monoberuf in Richtung breit angelegter,<br />

flexibler Grundberufe mit gestuftem Qualifizierungsprogramm;<br />

- formuliert für die Berufsausbildung einen neuartigen Qualifikationsbegriff, der fachliche,<br />

personale und soziale Kompetenz einschließt und auf eine berufliche Handlungsfähigkeit<br />

im Sinne selbstständigen Planens, Durchführens und Kontrollierens zielt.<br />

Die Schwerfälligkeit des Verfahrens, in dem Ausbildungsordnungen dem technischen<br />

Wandel angepasst werden, wird oft als entscheidender Mangel des dualen Systems beklagt.<br />

Nach einer Absprache von 1995 zwischen Bundesregierung, Arbeitgeberverbänden und<br />

Gewerkschaften soll das Neuordnungsverfahren einerseits bedarfsgerecht differenziert und<br />

gestrafft werden, andererseits sollen die konkreten Ausbildungsordnungen langlebiger<br />

gestaltet werden. 564<br />

563 Beim Berufsgrundbildungsjahr in kooperativer Form (BGJ/k) wirken, wie im dualen System, Betrieb und<br />

Schule zusammen. Die Schüler haben Ausbildungsverträge und erhalten ihre berufspraktische Ausbildung in<br />

den Betrieben, die berufstheoretische und allgemeine Bildung in der Schule.<br />

564 Vgl. GREINERT 1998, S. 93-102.


Zukunftsperspektiven<br />

Die Teilzeitberufsschule war lange Zeit eine Schule, die keinerlei Bildungsberechtigungen<br />

verlieh, also eine „Bildungssackgasse“. Dies hat sich geändert: seit 1976 kann die<br />

Berufsschule in allen Bundesländern nachträglich den Hauptschulabschluss verleihen. Und<br />

Berlin, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erkennen den<br />

erfolgreichen Berufsschulabschluss als mittleren Schulabschluss an. Als traditionelles<br />

Problem der Berufsschule kann die organisatorische und curriculare Abstimmung mit dem<br />

Lernort Betrieb gelten. Heute steht die Berufsschule aber vor grundsätzlicheren Problemen:<br />

- Vor der wachsenden Heterogenität ihrer Schülerschaft bezüglich deren Herkunft, deren<br />

Vorbildung und deren Bildungsinteressen. Zum Beispiel waren 1994 nur noch 27,8% der<br />

Berufsschüler Absolventen der Hauptschule.<br />

- Rekrutierungsschwierigkeiten und Ausbildungsverzicht bei Klein- und Mittelbetrieben.<br />

- Vor dem massiven Abbau von Ausbildungsstellen in den industriellen Großbetrieben. Der<br />

starke Anstieg der Ausbildungsvergütungen, die Verlängerung der Abwesenheitszeiten<br />

infolge erweiterten Berufsschulunterrichts und vorgeschriebener überbetrieblicher<br />

Unterweisung, lange Prüfungszeiten und die allgemeine Arbeitszeitverkürzung haben die<br />

betriebliche Ausbildung stark verteuert, und zwar nicht nur für die Großbetriebe, bei<br />

denen eine Facharbeiterausbildung inzwischen mit Kosten zu Buche schlägt, die denen<br />

eines Studienplatzes an der Hochschule gleichen.<br />

- Vor dem Anstieg systemfremder Ausbildung für lernschwache Randgruppen mit<br />

beschränkten Arbeitsmarktchancen. Die reine Aufbewahrungsfunktion von überflüssiger<br />

Arbeitskraft wird in Deutschland immer mehr staatlich subventionierten Trägern<br />

zugeschoben, deren systemfremde Einrichtungen nicht durchgängig in der Lage sind,<br />

eine bedarfsgerechte berufliche Qualifikation zu vermitteln.<br />

- Vor der zunehmenden Erosion des traditionellen Bildungsauftrages der Berufsschule. Die<br />

klassische Aufgabenverteilung zwischen Betrieb (Vermittlung der Berufspraxis) und<br />

Berufsschule (Vermittlung der Berufstheorie) lässt sich in zunehmendem Maße immer<br />

weniger aufrechterhalten. Der Einbruch der Mikroelektronik (z. B. Computertechnik, CNC-<br />

Steuerung 565 und Speicherprogrammierung) in die Arbeitswelt sowie die<br />

wettbewerbsbedingten Umstellungen in der Arbeitsorganisation haben zumindest bei der<br />

Industrie zu völlig neuen Ausbildungsformen geführt. Es wurden Konzepte entwickelt, die<br />

neben fachspezifischen Qualifikationen auch soziale und personenbezogene Fähigkeiten<br />

(Planungskompetenz, Teamfähigkeit, Selbstständigkeit) vermitteln sollen, und zwar in<br />

einem ganzheitlich strukturierten Lernprozess. Diese so genannten<br />

„handlungsorientierten“ Lernformen kennen keine Aufteilung in Theorie und Praxis mehr.<br />

Sie zeichnen sich durch eine Vielzahl von Lernorten aus, die indes nur institutionell<br />

gebündelt wirksam werden können – nämlich im Betrieb. Eine rechtlich wie didaktisch<br />

abgekoppelte Berufsschule erscheint daher nur noch als überflüssig, die entsprechende<br />

Schulpflicht als lästig.<br />

- Nimmt man hinzu, dass das Durchschnittsalter der Berufsschüler auf 19 Jahre<br />

angestiegen ist, so ergibt sich das Bild einer relativ inhomogenen<br />

Erwachsenenbildungsanstalt, deren Pflichtcharakter und Lehrprogramm dringend der<br />

Überprüfung bedürfen.<br />

Die Chance einer Modernisierung des dualen Systems durch Einführung einer allgemein<br />

verbindlichen berufsfeldspezifischen Grundbildung ist nach GREINERT wohl vertan. Das trifft<br />

vor allem die Berufsschule, die als prinzipiell verantwortliche Institution in Sachen<br />

565 CNC = Computer Numerical Control; durch Computer numerisch gesteuerte (codierte) Werkzeugmaschinen.<br />

155


156<br />

Grundbildung eine neue umfassende Aufgabe hätte finden können, nachdem die<br />

lernortspezifische Trennung von Theorie und Praxis in zunehmendem Maße obsolet zu<br />

werden beginnt. 566 Die Zielperspektive liegt bei der „Universalisierung der dualen<br />

Qualifizierungsform“, d. h. die institutionelle und didaktische Durchsetzung des Prinzips von<br />

kombiniertem Lernen in öffentlichen <strong>Schulen</strong> und privaten Betrieben von der Sekundarstufe II<br />

bis in den Hochschulbereich. Schon weitgehend realisiert zeigt sich dieses Ziel bei den<br />

Berufsakademien, vielversprechende Ansätze finden sich bei einigen Fachhochschulen. Eine<br />

wichtige Rolle könnte in diesem Zusammenhang eine umsichtig eingeleitete formale<br />

Organisation der beruflichen Weiterbildung spielen. Ihre Einbeziehung in das Prinzip dualer<br />

Lernorganisation mit anerkannten Zertifikaten würde kontinuierliche Berufsverläufe von der<br />

Erstausbildung bis zur Fachhochschule garantieren. Eine so verstandene Universalisierung<br />

des dualen Systems würde seine historischen Hypotheken, die die gegenwärtige Krise<br />

weitgehend bestimmen, endgültig ablösen: neben dem gymnasial-akademischen<br />

Ausbildungsgang entstünde eine gleichwertige – an der Praxis orientierte – Alternative des<br />

Lernens von hoher Anziehungskraft für die Mehrheit der Jugendlichen. 567<br />

566 Vgl. GREINERT 1998, S. 129f, 133.<br />

567 Vgl. ebd., S. 193f.


Statistiken<br />

1. Entwicklung der Lehrer- und Schülerzahlen (<strong>1831</strong>-<strong>2006</strong>)<br />

Anzahl der<br />

Anzahl der<br />

Anzahl der<br />

Jahr<br />

Lehrkräfte<br />

SchülerInnen<br />

Klassen<br />

1) HauptNeben- Gesamt Teilzeit Vollzeit Gesamt Teilzeit Vollzeit<br />

amtamt <strong>1831</strong> – 5 5 28 – 28 1 –<br />

1833 – 5 5 15 – 15 1 –<br />

1835 – 3 3 38 – 38 1 –<br />

1837 – 3 3 9 – 9 1 –<br />

1862 – 3 3 26 – 26 1 –<br />

1870 – 4 4 36 – 36 1 –<br />

1875 – 4 4 61 – 61 1 –<br />

1877 – 4 4 40 – 40 2 –<br />

1884 – 4 4 35 – 35 1 –<br />

1886 – 4 4 18 – 18 1 –<br />

1899 – 9 9 144 – 144 3 –<br />

1903 – 9 9 145 – 145 3 –<br />

1910 – 13 13 176 – 176 3 –<br />

1923 – 12 12 2142) – 214 9 –<br />

1926 – 15 15 301 – 301 9 –<br />

1929 – 20 20 334 – 334 9 –<br />

1931 – 20 20 252 – 252 9 –<br />

1932 2 8 10 241 – 241 9 –<br />

1934 3 9 12 334 – 334 9 –<br />

1939 8 6 14 483 – 483 12 –<br />

1946 8 7 15 624 – 624 12 –<br />

1948 11 14 25 1.081 – 1.081 12 –<br />

1950 14 4 18 1.049 – 1.049 12 –<br />

1951 16 4 20 1.115 – 1.115 12 –<br />

1956 17 3) 1.597 110 1.707 3) –<br />

1960 24 3) 1.688 147 1.835 3) 2<br />

1965 25 3) 1.731 105 1.836 3) 3)<br />

1970 35 3) 1.870 209 2.079 102 3)<br />

1975 40 3) 2.028 530 2.558 3) 3)<br />

1978 3) 3) 120 2.663 810 3.473 116 27<br />

1979 3) 3) 147 2.722 948 3.670 66 92<br />

1980 104 161 2.630 1.178 3.808 116 40<br />

1983 127 176 2.977 1.309 4.286 115 51<br />

1984 133 181 3.154 1.371 4.525 145 57<br />

1985 146 189 3.337 1.454 4.791 154 57<br />

1986 154 198 3.344 1.378 4.722 162 57<br />

1987 158 202 3.213 1.154 4.367 156 55<br />

1988 156 197 3.138 1.139 4.277 150 52<br />

1989 161 198 3.011 1.055 4.066 149 50<br />

1990 162 196 2.782 934 3.716 144 40<br />

157


Anzahl der<br />

Anzahl der<br />

Anzahl der<br />

Jahr<br />

Lehrkräfte<br />

SchülerInnen<br />

Klassen<br />

HauptNeben- Gesamt Teilzeit Vollzeit Gesamt Teilzeit Vollzeit<br />

amtamt 1991 204 2.665 865 3.530 143 49<br />

1992 209 2.508 864 3.372 135 41<br />

1993 195 1.959 1.413 3,.372 97 55<br />

1994 197 1.849 1.420 3.269 92 56<br />

1995 200 1.780 1.388 3.168 89 55<br />

1996 192 1.811 1.462 3.273 84 54<br />

1997 3) 1.818 1.275 3.093 85 67<br />

1998 192 2.093 994 3.087 101 53<br />

1999 203 2.114 1.015 3.129 110 56<br />

2000 194 2.099 1.105 3.204 108 55<br />

2001 205 2.084 1.115 3.199 108 55<br />

2002 206 1.961 1.226 3.187 106 61<br />

2003 213 1.873 1.346 3.219 107 68<br />

2004 214 1.866 1.434 3.219 101 70<br />

1) Jahr, in dem das Schuljahr begann.<br />

2) Davon neun Mädchen der 1921 gegründeten Mädchen-Fortbildungsschule.<br />

3) Es konnten keine Zahlen ermittelt werden.<br />

2. Entwicklung der Schulformen an den <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong><br />

158<br />

Handelsschule (2-jährige BFS-W) 01.04.1938 1. Zug<br />

01.04.1968 2. Zug<br />

01.04.1975 3. Zug<br />

Haushaltungsschule (1-jährig) 01.04.1944 Kl. I<br />

Umwandlung in 2-jährige Berufsfachschule-Haushalt (BFS-H) 01.04.1974 Kl. II<br />

01.08.1978 2. Zug<br />

Berufsaufbauschule (BAS)-Technik (Teilzeitform) 01.11.1959<br />

Berufsaufbauschule (BAS)-Technik (Vollzeitform) 01.04.1971<br />

Frauenfachschule 01.04.1960<br />

Umwandlung in die 1-jährige BFS-H für Realschulabsolventinnen 01.08.1969 1. Zug<br />

01.08.1980 2. Zug<br />

Höhere Handelsschule (1-jährige BFS-W für Realschulabsolventen) 01.04.1960 1. Zug<br />

01.08.1978 2. Zug<br />

01.08.1979 3. Zug<br />

1-jährige gewerbliche Berufsfachschule-Elektro 01.04.1969<br />

Umwandlung in Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Elektro 01.04.1972<br />

1-jährige gewerbliche Berufsfachschule-Metall 01.04.1972<br />

Umwandlung in Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Metall 01.04.1973


159<br />

2-jährige gewerbliche Berufsfachschule (2-jährige BFS-T) 01.04.1971 1. Zug<br />

01.04.1975 2. Zug<br />

Fachoberschule (FOS) – Ingenieurwesen/Technik 01.10.1971 1. Zug<br />

01.08.1972 2. Zug<br />

Fachoberschule (FOS) – Wirtschaft 01.08.1973<br />

Gymnasium der Aufbauform 01.08.1973<br />

– hauswirtschaftswissenschaftlicher Typ<br />

(fachgebundene Hochschulreife)<br />

Gymnasium der Aufbauform 01.08.1974<br />

– wirtschaftswissenschaftlicher Typ (volle Hochschulreife)<br />

Gymnasium – Technik 01.08.1976<br />

Lehrgang zur Förderung der Berufsreife 01.04.1974 1. Zug<br />

01.08.1977 2. Zug<br />

Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Bautechnik 01.08.1978<br />

Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Agrarwirtschaft 01.08.1979<br />

Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Holztechnik 01.08.1979<br />

Berufsgrundbildungsjahr (BGJ)-Farbtechnik und Raumgestaltung 01.08.1983<br />

Ländliche Hauswirtschaftsschule 01.08.1980 Kl. I<br />

BFS-Wirtschaftsassistent – Fremdsprachen und Korrespondenz 01.08.1983<br />

BFS-Wirtschaftsassistent – Sekretariat und Korrespondenz 01.08.1983<br />

BFS-Wirtschaftsassistent – Informatik 01.08.1988<br />

Fachoberschule (FOS) – Wirtschaft (Klasse 12) 01.08.1988<br />

1-jährige BFS-Sozialpflege für Realschulabsolventen 01.08.1989<br />

Fachoberschule (FOS) – Gestaltung (Klasse 12) 01.08.1989<br />

Berufsvorbereitungsjahr – Ausländer (BVJ-A) 01.08.1992<br />

2-jährige Fachschule – Maschinentechnik 01.08.1992<br />

(Schwerpunkt CNC-Anlagentechnik)<br />

2-jährige Fachschule – Maschinentechnik 01.08.1992<br />

(Schwerpunkt Betriebstechnik) in Teilzeitform<br />

Berufsfachschule Sozialassistenten 01.08.1996<br />

Berufsfachschule Technik für RealschulabsolventInnen (BFS-TR) 01.08.1997<br />

Fachoberschule (FOS) – Gestaltung (Klasse 11) 01.08.1999<br />

Berufsfachschule Nahrungsmittelhandwerk 01.08.2003<br />

Berufsfachschule Fahrzeugtechnik 01.08.20


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NICOLAISCHULE VERDEN (Hg.): 100 Jahre Nicolaischule <strong>Verden</strong> an der Zollstraße 1893-1993,<br />

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OBERSCHELP, Reinhard (Hg.): Beiträge zur niedersächsischen Preisgeschichte des 16. bis 19.<br />

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REDAKTIONSAUSSCHUß DER KONFERENZ DER MITTELSCHULE: 100 Jahre Neue Schule - Mittelschule, <strong>Verden</strong><br />

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STEITZ, Walter (Hg.): Quellen zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Reichsgründung<br />

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WILLENBORG, Rudolf: Die Schule muss bedingungslos nationalsozialistisch sein: Erziehung und Unterricht im<br />

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Heimatkalender für den Landkreis <strong>Verden</strong> 2001, <strong>Verden</strong>, 2000, S. 294-301<br />

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Heimatkalender für den Landkreis <strong>Verden</strong> 2002, <strong>Verden</strong>,2001, S. 209-235<br />

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Heimatkalender für den Landkreis <strong>Verden</strong> 2005, <strong>Verden</strong>, 2004, S. 209-244<br />

WOOCK, Joachim: Chronik der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong> <strong>Verden</strong>, Teil 7, in: LANDKREIS VERDEN (Hg.):<br />

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ZOPPKE, Hans-Walter: Vorläufer der Berufsschule in <strong>Verden</strong>/Aller in der Zeit von <strong>1831</strong> bis 1887.<br />

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Zeitungsartikel<br />

– <strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt, 100 Jahre Berufsschule. Jubiläumsausstellung, 4.08.1931<br />

– <strong>Verden</strong>er Aller-Zeitung, 120 Jahre Berufsschulwesen in <strong>Verden</strong>, 31.12.1951<br />

– <strong>Verden</strong>er Nachrichten, Im Tanzsaal das Kochen gelernt. Vor rund 60 Jahren: Mädchen-Weiterbildung<br />

in der Wanderhaushaltsschule, 17.5.1989<br />

– <strong>Verden</strong>er Aller-Zeitung, 100 Jahre Landwirtschaftsschule <strong>Verden</strong>, 30.11.1993<br />

Zeitschriften<br />

– Die ländliche Fortbildungsschule, Leipzig 1905<br />

– Zeitschrift für das ländliche Fortbildungsschulwesen in Preußen, Verlag der Deutschen Landbuchhandlung,<br />

Berlin 1909<br />

Quellen<br />

Niedersächsisches Staatsarchiv Stade<br />

- Rep. 80 G, Titel 290, Nr. 2b, Bd. III (Gewerbesachen, Gewerbeschulen, Allgemeines, Statistik der<br />

Berufsschulen, Sammlung)<br />

- Rep. 80 G, Titel 291, Nr. 1a<br />

- Rep. 80 G, Titel 291, Nr. 12<br />

- Rep. 180 P, Nr. 1381<br />

- Rep. 275 II, Nr. 24020 (Entnazifizierungsakte Paul Maetz)<br />

162<br />

Kreisarchiv <strong>Verden</strong><br />

3/15 a, 6/25 b, 6/26 c, 6/26 e, 6/26 f, 6/26 g, 6/27 a, 6/27 d, 6/28 a, 6/28 c, 6/28 d, 6/28 f, 6/28 h, 6/29 a,<br />

6/29 d, 6/29 e, 6/30 b, 6/30 c, 6/31 g, 6/139 a, 6/139 h, 8/17 i, 28/34<br />

Stadtarchiv <strong>Verden</strong><br />

- Microfilme „<strong>Verden</strong>er Anzeigenblatt“, Nr. 70, 71<br />

- Rep. II, H XVI 1,1; Rep. II, H XVI 1,2; Rep. II, H XVI 1,3; Rep. II, H XVI 3,1; Rep. II, H XVI 3,3;<br />

Rep. II, H XVI 4,1; Rep. II, H XVI 4,5; Rep. II, H XVI 5,2; Rep. II, H XVI 8,1; Rep. II, H XVI 9,1;<br />

Rep. II, H XVI 10,1; Rep. II, H XVI 11,1; Rep. II, H XVI 12,1; Rep. II, H XVI 12,1; Rep. II, H XVI 12,2;<br />

Rep. II, H XVI 12,4<br />

Archiv der <strong>Berufsbildende</strong>n <strong>Schulen</strong><br />

- Protokollbuch 1951-1969<br />

Bundesarchiv Koblenz<br />

- Z 42 (Spruchgerichte in der britischen Zone), Nr. VII/272 Ernst Brändel


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