SCHATTENSPIELE - aenorm.de
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<strong>SCHATTENSPIELE</strong>
<strong>SCHATTENSPIELE</strong><br />
EINE MODERNE REDEFINITION<br />
Dokumentation zur Diplomarbeit<br />
Lehrgebiet: Audiovisuelle Medien (AV)<br />
Inhaber <strong>de</strong>s Lehrgebiets und Prüfer:<br />
Prof. Björn Bartholdy<br />
Zweitprüfer: Andreas Wre<strong>de</strong><br />
2 3<br />
Anja Engelke<br />
Matrikelnummer 11024169<br />
Köln International School of Design<br />
Fachhochschule Köln<br />
Juni 2004
INHALT<br />
08<br />
10<br />
14<br />
16<br />
20<br />
Einleitung<br />
Der Schatten ist ein Phänomen <strong>de</strong>s Schemenhaften und ein Ort <strong>de</strong>r<br />
Phantasie.<br />
1. Allgemeines zum Schattendasein<br />
Die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Schattens als ständiger Begleiter <strong>de</strong>s Lichts.<br />
1.1 Schatten sind keine Einzelgänger<br />
O<strong>de</strong>r die erste Kommunikation zwischen Wesen und Dingen.<br />
1.2 Das Ur-Wissen um <strong>de</strong>n Schatten<br />
Ratio und Unterbewusstsein nehmen Stellung: Wahrnehmungsstudien an<br />
Kin<strong>de</strong>rn und Spekulationen aus <strong>de</strong>r Tierwelt.<br />
1.3 Führen uns die Schatten hinters Licht?<br />
Bewegte Schattengeschichten von Flammen, Sonnenuhren und<br />
Straßenlaternen.<br />
4 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT<br />
24<br />
28<br />
32<br />
38<br />
44<br />
<strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
2. Die metaphorischen Schattenseiten<br />
Der Schatten ist ein immaterielles Abbild <strong>de</strong>r dritten Dimension mit Zugang<br />
zur Psyche.<br />
2.1 Die Illusion im schattigen Winkel<br />
Wirklichkeit und Projektion.<br />
2.2 Mit <strong>de</strong>m Schatten untrennbar verbun<strong>de</strong>n?<br />
Und wenn nicht? Beispiele aus <strong>de</strong>r Literatur: A<strong>de</strong>lbert von Chamisso: Peter<br />
Schlemihl, Oscar Wil<strong>de</strong>: Der Fischer und seine Seele.<br />
2.3 Ein Ereignis wirft seine Schatten voraus<br />
Schattendramaturgie am Beispiel <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen expressionistischen Films<br />
2.4 Was <strong>de</strong>r Schatten verrät<br />
Beispiele aus Werbung, Film und Comic.<br />
Von Chanel bis Aquavit, von Lucky Luke bis Mad und von Nivea bis zum iPod.<br />
INHALT<br />
5
50<br />
60<br />
70<br />
84<br />
86<br />
88<br />
90<br />
3. Wenn <strong>de</strong>r Schatten zum Schatten seiner Selbst wird<br />
Schattentheater: Legen<strong>de</strong>n und Mythen um das Spiel mit <strong>de</strong>m Schatten.<br />
3.1 Ein Symptom wird zum Symbol<br />
Ein Anzeichen wird zum Kommunikator: Querschnitt durch verschie<strong>de</strong>ne<br />
Schatteninszenierungen.<br />
3.2 Über <strong>de</strong>n eigenen Schatten springen – Digitales Schattenspiel<br />
Praktische Arbeit: Die Filmkonserve begegnet <strong>de</strong>r Live-Aufführung. Ein Schat-<br />
tenspiel geht neue digitale Wege – eine alternative Form <strong>de</strong>r Aufführung.<br />
3.3 Ins rechte Licht gerückt – Resümee<br />
Die symbolische Farbigkeit befähigt zur Konzentration auf das Wesentliche.<br />
Quellen<br />
Dank<br />
Impressum<br />
6 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
7<br />
INHALT
EINLEITUNG<br />
Der Schatten ist ein Phäno-<br />
men <strong>de</strong>s Schemenhaften und<br />
ein Ort <strong>de</strong>r Fantasie. Schatten bil<strong>de</strong>n abstrakte Figuren und Bewegungen. Sie sind ein Abbild <strong>de</strong>r<br />
Er fin<strong>de</strong>t als Beiwerk von dreidimensionaler Gestaltung Beachtung, nicht<br />
Wirklichkeit und doch voll eigener Aussagekraft. In ihnen stecken visuell<br />
reizvolle Momente, die eingefangen wer<strong>de</strong>n können. Vieles kann synthe-<br />
tisch erschaffen wer<strong>de</strong>n, vieles liegt jedoch unmittelbar und real vor uns.<br />
Die unverwechselbaren Erscheinungen von Licht und Schatten haben seit<br />
jeher das Potential, Stimmungen und Aussagen zu transportieren.<br />
Die Techniken, die heute zur Verfügung stehen, ermöglichen es, die natür-<br />
liche Erscheinung <strong>de</strong>s Schattens verfügbar, implementierbar und erlebbar<br />
zu machen. Das traditionelle Schattenspiel inspirierte zu einer intuitiven<br />
Technik <strong>de</strong>r Animation, die live angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Die visuellen und interpretatorischen Möglichkeiten <strong>de</strong>s Schattens wer<strong>de</strong>n<br />
vorgestellt, sowie Argumente für die Reize, die in diesem Medium stecken.<br />
Der Schatten als Aspekt im Design bleibt bislang unterrepräsentiert.<br />
aber als eigenständige Disziplin.<br />
Dabei vermittelt er Stimmungen, nimmt <strong>de</strong>n Dingen ihre Gegenständlich-<br />
keit und macht aus ihnen Symbole und Sinnträger. Die im Schatten ver-<br />
borgenen Möglichkeiten <strong>de</strong>r Reduziertheit und Abstraktion machen ihn zu<br />
einem vielseitigen Ausdrucksmittel.<br />
Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit möchte wichtige Einsatzorte <strong>de</strong>s Schattens in Erin-<br />
nerung rufen. Sowohl für <strong>de</strong>n Philosophen Platon, wie für Literaten <strong>de</strong>r<br />
Romantik, als auch für die Regisseure <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen expressionistischen<br />
Films war er ein wichtiges Werkzeug. Und nicht zuletzt bewegt er sich seit<br />
mehr als 2000 Jahren auf <strong>de</strong>n Leinwän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schattentheater.<br />
Ihn zu einem möglichen Werkzeug <strong>de</strong>s Designs zu machen, ist die Heraus-<br />
for<strong>de</strong>rung, <strong>de</strong>r sich diese Arbeit stellt.<br />
8 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
9<br />
EINLEITUNG
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
Die Wahrnehmung <strong>de</strong>s<br />
Schattens als ständiger<br />
Begleiter <strong>de</strong>s Lichts.<br />
10 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
11<br />
1
1<br />
1 Casati, Roberto, Die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s<br />
Schattens. Berlin 2001, S. 66.<br />
Der größte Schatten ist die Nacht und die nächtliche Dunkelheit ist nichts<br />
an<strong>de</strong>res als <strong>de</strong>r Schattenkegel <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Die Nacht liegt auf <strong>de</strong>r zur Sonne<br />
abgewandten Seite – also im Schatten. Doch wür<strong>de</strong> man die Nacht wohl<br />
nicht als solchen bezeichnen.<br />
Wie verhält es sich mit <strong>de</strong>r zur Sonne abgewandten Seite eines Stuhls? Ist<br />
dort Nacht? In gewisser Weise vielleicht schon. Aber man wür<strong>de</strong> diesen<br />
lichtleeren Raum, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Stuhl das Sonnenlicht raubt, nicht als Nacht<br />
auffassen. Der Stuhl wirft einfach einen Schatten und <strong>de</strong>r ist unbeleuchtet<br />
– quasi die Kehrseite <strong>de</strong>s Lichts. Ein Schatten muss erkennbar zum Licht<br />
stehen, um als solcher wahrgenommen zu wer<strong>de</strong>n.<br />
„Mit <strong>de</strong>m Sonnenuntergang verschwin<strong>de</strong>t die Trennlinie zwischen Licht<br />
und Dunkelheit und somit auch die Möglichkeit, die Nacht als Schatten zu<br />
erkennen.“ 1 Für Roberto Casati sind Nacht und Schatten eins. Physikalisch<br />
betrachtet, sind bei<strong>de</strong> das Nichtvorhan<strong>de</strong>nsein von Licht.<br />
Die Nacht wird zum Schatten, wenn ein erkennbarer Kontrast zwischen<br />
Licht und Dunkelheit liegt – wenn <strong>de</strong>r Schatten eine Kontur hat.<br />
Damit ein Schatten entsteht, braucht es neben <strong>de</strong>m Licht einen Körper,<br />
<strong>de</strong>r das Licht vor einem Weiterstrahlen abhält. Der Schatten braucht <strong>de</strong>n<br />
Gegenstand, <strong>de</strong>r ihn vor <strong>de</strong>r Sonne schützt, und <strong>de</strong>r Gegenstand braucht<br />
<strong>de</strong>n Schatten, um im Raum wirken zu können. Das eine bedingt das an<strong>de</strong>re<br />
und bei<strong>de</strong> hängen voneinan<strong>de</strong>r ab. Ohne Schatten wäre unsere Umgebung<br />
konturlos und ohne Kontraste; die Dinge wür<strong>de</strong>n zu schweben scheinen.<br />
Der Schatten beschreibt im Gegensatz zum Licht eine Fläche – nicht einen<br />
Raum. Ungebün<strong>de</strong>ltes Licht strahlt in alle Richtungen, <strong>de</strong>r Schatten hinge-<br />
gen wird durch <strong>de</strong>n Gegenstand, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Licht im Weg ist, zielgerichtet auf<br />
einen Untergrund geworfen. Er beschreibt also zunächst die Form <strong>de</strong>s Ob-<br />
jekts, von <strong>de</strong>m er geworfen wird und weiter die Umgebung, in <strong>de</strong>r sich das<br />
Objekt befin<strong>de</strong>t. Man könnte also behaupten, <strong>de</strong>r Schatten ist die visuelle<br />
Verknüpfung eines Objektes mit seinem Bo<strong>de</strong>n. Der Schatten hat die Form<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
1 Casati, Roberto, Die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s<br />
Schattens. Berlin 2001, S. 66.<br />
12 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
13<br />
Thomas Malton, London 1788<br />
Hélène Binet
1.1 SCHATTEN SIND KEINE EINZELGÄNGER<br />
14<br />
1.1<br />
O<strong>de</strong>r die erste<br />
Kommunikation zwischen<br />
Wesen und Dingen.<br />
<strong>de</strong>s Objektes und die Beschaffenheit <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns – eine visuelle Mixtur sozu-<br />
sagen. Wirft ein Baum seinen Schatten auf eine Wiese, so sieht <strong>de</strong>r Schatten<br />
zwar wie <strong>de</strong>r eines Baumes aus, seine Beschaffenheit wird jedoch von <strong>de</strong>r<br />
Struktur <strong>de</strong>r Wiese bestimmt.<br />
Schatten sind keine Einzelgänger<br />
Der Schatten fungiert als visuelle Verknüpfung zwischen dreidimensiona-<br />
len Objekten und ihrer Umgebung. Hinzu kommt, dass so sehr sich alle<br />
Objekte und Körper in ihrem Aussehen unterschei<strong>de</strong>n, so ähnlich sind sie<br />
sich in ihren Schatten. Angenommen, zwei Menschen sitzen am Strand auf<br />
einem Felsen, Bäume im Hintergrund und die Sonne scheint ihnen in <strong>de</strong>n<br />
Rücken. Der Schatten, <strong>de</strong>r sich vor ihnen im Sand ausbreitet, wird keinen<br />
Unterschied machen zwischen ihnen als Menschen, <strong>de</strong>n Bäumen und <strong>de</strong>m<br />
Felsen. Der Schatten, als die Kehrseite <strong>de</strong>s Lichts, wird ein neues, in sich<br />
geschlossenes Abbild all dieser Dinge zusammen auf <strong>de</strong>n Sand werfen. Der<br />
Mensch als lebendiges Wesen verbin<strong>de</strong>t sich im Schatten mit <strong>de</strong>n Dingen<br />
<strong>de</strong>r Natur, um im Anschluss daran eine visuelle Symbiose mit <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n,<br />
auf <strong>de</strong>m alles steht, einzugehen.<br />
Zusammengefasst be<strong>de</strong>utet dies: Schatten können sich gegenseitig durch-<br />
dringen, sich verbin<strong>de</strong>n und neue Formen entstehen lassen. Schatten verei-<br />
nigen die Dinge auf einem gemeinsamen Untergrund.<br />
Roberto Casati<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
15
1.2 DAS UR-WISSEN UM DEN SCHATTEN<br />
16<br />
1.2<br />
Ratio und Unterbewusstsein<br />
nehmen Stellung:<br />
Wahrnehmungsstudien an<br />
Kin<strong>de</strong>rn und Spekulationen<br />
aus <strong>de</strong>r Tierwelt.<br />
Das Ur-Wissen um <strong>de</strong>n Schatten<br />
„Schatten sind wie Träume.“ 2 Sie sind flüchtig und nicht greifbar. Sie sind<br />
immateriell und gehören <strong>de</strong>nnoch in die physikalische Welt. Es gibt einige<br />
Grün<strong>de</strong>, das unterbewusste Wahrnehmen von Schatten nicht zu unter-<br />
schätzen.<br />
Kin<strong>de</strong>r versuchen mit Kies ihren Schatten zu be<strong>de</strong>cken<br />
Im Grun<strong>de</strong> tun Schatten alles, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Die<br />
jähen Verän<strong>de</strong>rungen von Helligkeit sind für unser Gesichtsfeld eigentlich<br />
nicht zu übersehen. Dennoch „spielen sie letztendlich nur eine winzige Ne-<br />
benrolle, sind beinahe nur Statisten auf <strong>de</strong>r Bühne <strong>de</strong>r Wahrnehmung, auf<br />
die wir schon eigens achten müssen, damit wir sie nicht übersehen.“ 3<br />
Roberto Casati<br />
Im Laufe <strong>de</strong>s Lebens entwickelt <strong>de</strong>r Mensch eine rationale Vorstellung vom<br />
Schatten. Er hat gelernt, das Phänomen Schatten einzuordnen. Mit seiner<br />
kognitiven Vorstellung nimmt er das Licht als Quelle <strong>de</strong>s Schattens wahr<br />
und sieht eine klare Beziehung zwischen <strong>de</strong>n Objekten und ihren Schatten.<br />
Kin<strong>de</strong>r hingegen neigen dazu, ihre Umwelt zu verdinglichen. Sie ordnen<br />
ihre Beobachtungen noch nicht einem Netzwerk kausaler Zusammen-<br />
hänge ein und sind folglich für die Bandbreite <strong>de</strong>s Schattenbegriffs sehr<br />
inspirierend.<br />
Kin<strong>de</strong>r haben eine an<strong>de</strong>re Sichtweise auf die Welt. Es wäre falsch zu sagen,<br />
ihre Vorstellungen seien naiv o<strong>de</strong>r unvollständig, sie sind vielmehr losge-<br />
löst von Erfahrungen und in ihrer offenen Wahrnehmung daher vielfach<br />
reicher. „Man kann davon ausgehen, dass <strong>de</strong>r Mensch bereits mit einer<br />
Theorie von <strong>de</strong>r Welt o<strong>de</strong>r auch mit einer ganzen Reihe von Minitheorien,<br />
eine für je<strong>de</strong> Art von Objekt, geboren wird.“ 4<br />
Jean Piaget 5 erforschte die kognitive Wahrnehmung bei Kin<strong>de</strong>rn und fand<br />
heraus, dass für sie praktisch alles eine Seele hat, bis sie sich <strong>de</strong>r Weltsicht<br />
<strong>de</strong>r Erwachsenen nähern und sich diese schließlich zu Eigen machen.<br />
Seine Theorien stammen aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts und sind<br />
heute umstritten. Seine Befragungen von Kin<strong>de</strong>rn zwischen fünf und zehn<br />
Jahren zum Thema „Schatten“ sind zwar nicht allgemeingültig, für ein all-<br />
gemeines Verständnis <strong>de</strong>nnoch interessant.<br />
So sagte eines <strong>de</strong>r von ihm befragten Kin<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r Schatten eines Stuhls<br />
unter jenem bleibt, weil er zwischen <strong>de</strong>n Stuhlbeinen eingeklemmt ist.<br />
Ein an<strong>de</strong>res Kind sah im Schatten das Portrait o<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Menschen,<br />
<strong>de</strong>r ihn warf.<br />
Ein weiteres behauptete, Gegenstän<strong>de</strong> werfen tagsüber ihre Schatten nur<br />
nach einer Seite, weil es auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite Nacht sei. Nachts wür<strong>de</strong>n die<br />
Gegenstän<strong>de</strong> nach bei<strong>de</strong>n Seiten Schatten werfen.<br />
O<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Schatten sei <strong>de</strong>shalb dunkel, weil das Licht ihn nicht sehe.<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
2 Brandi, Christoph u. Ulrike,<br />
Ein Spaziergang durch Schatten. In:<br />
Das Geheimnis <strong>de</strong>s Schattens. Hrsg. v.<br />
Deutsches Architekturmuseum, Berlin<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
17<br />
2002, S.11.<br />
3 Casati (2001), S. 286.<br />
4 Ebd., S. 57.<br />
5 Ebd., S. 48-51.
1.2 DAS UR-WISSEN UM DEN SCHATTEN<br />
18<br />
Piaget stellte eine Theorie auf, nach <strong>de</strong>r sich das Verständnis <strong>de</strong>s Schattens<br />
schrittweise entwickelt. In <strong>de</strong>r ersten Phase, ab fünf Jahren, geht <strong>de</strong>r Schat-<br />
ten eines Objekts aus <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>r Umgebung hervor. Die Schatten<br />
gehören zur nächtlichen Dunkelheit und entspringen aus ihr.<br />
Für Kin<strong>de</strong>r von sechs bis sieben Jahren ist <strong>de</strong>r Schatten schon nicht mehr<br />
ein Erzeugnis <strong>de</strong>r Nacht, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r ihn wirft. Aller-<br />
dings können die Kin<strong>de</strong>r dieses Alters noch nicht vorhersagen, in welche<br />
Richtung er fällt.<br />
Ab einem Alter von sieben bis acht Jahren kann das Kind ent<strong>de</strong>cken, dass<br />
<strong>de</strong>r Schatten in einer geometrischen Beziehung zur Lichtquelle steht. Es<br />
erkennt aber die kausale Beziehung zwischen <strong>de</strong>m einfallen<strong>de</strong>n Licht und<br />
<strong>de</strong>r Gestalt <strong>de</strong>s Schattens noch nicht.<br />
Im Alter von acht bis neun Jahren gibt das Kind, nach Meinung Piagets,<br />
die Erwachsenenvorstellung vom Schatten wie<strong>de</strong>r. Danach ist <strong>de</strong>r Schatten<br />
abhängig von einem Gegenstand, <strong>de</strong>r eine Lichtquelle abschirmt.<br />
Um das Thema „Schatten“ näher zu beleuchten, ist es sinnvoll, die Sicht<br />
von Kin<strong>de</strong>rn mit einzubeziehen. So stellt sich die Frage, inwieweit sich<br />
Neugeborene von Schatten beeinflussen lassen. Roberto Casati 6 stellt die<br />
These auf, dass Kin<strong>de</strong>r dieses Alters womöglich eine Art „kognitiven Filter“<br />
haben, <strong>de</strong>r es ihnen ermöglicht, <strong>de</strong>n Schatten nicht zu sehen, um sich von<br />
ihm nicht verwirren zu lassen.<br />
Er führt die Experimente von Gretchen van <strong>de</strong> Walle, Jayne Rubenstein und<br />
Elizabeth Spelke an, die jedoch zeigen, dass Kleinkin<strong>de</strong>r im Alter von fünf bis<br />
acht Monaten durchaus in <strong>de</strong>r Lage sind, Schatten zu erkennen, wenngleich<br />
sie diese womöglich für dunkle Flecken halten. In <strong>de</strong>n ersten Lebensmona-<br />
ten hat das Kind noch keine Theorie vom Schatten, die es anwen<strong>de</strong>n kann.<br />
Es wird angenommen, dass es <strong>de</strong>n Schatten wie ein Objekt wahrnimmt. Ein<br />
Kind vermag noch nicht, das Verhalten <strong>de</strong>s Schattens voraus zu sehen.<br />
Unsere Augen sind für <strong>de</strong>n Hell-Dunkel-Kontrast geschaffen und für Schat-<br />
ten empfänglich. Schatten sind Werkzeuge, um die Beschaffenheit <strong>de</strong>r Um-<br />
welt zu erfassen. Ihre Information ist ein wichtiges Hilfsmittel <strong>de</strong>s Sehens.<br />
Die Evolution <strong>de</strong>r Lebewesen habe in einer Welt voller Schatten stattgefun-<br />
<strong>de</strong>n, so Roberto Casati. 7 Er vertritt die Auffassung, dass die Evolution die<br />
biologischen Systeme durch Selektion an unterschiedliche Helligkeitsni-<br />
veaus angepasst habe. So seien zum Beispiel auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n leben<strong>de</strong> Tiere<br />
am Bauch heller als auf <strong>de</strong>m Rücken, weil das Licht in erster Linie von oben<br />
käme und <strong>de</strong>r helle Bauch <strong>de</strong>r unvermeidlichen Entstehung eines Schat-<br />
tens unter <strong>de</strong>m Körper entgegenwirke. Damit verliert das Tier an Kontrast<br />
und sei weniger leicht zu erkennen. Die Evolution hat, so meint Casati, auf<br />
<strong>de</strong>n Umstand gesetzt, dass das visuelle System <strong>de</strong>r Räuber vorwiegend nach<br />
Schatten Ausschau hält.<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
6 Casati (2001), S. 58.<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
19<br />
7 Ebd., S. 13.
1.3 FÜHREN UNS DIE SCHATTEN HINTERS LICHT?<br />
1.3<br />
Bewegte Schattengeschichten<br />
von Flammen, Sonnenuhren und<br />
Straßenlaternen. Führen uns die Schatten hinters Licht?<br />
Es gab eine Zeit, in <strong>de</strong>r sich Menschen noch für die Stun<strong>de</strong> verabre<strong>de</strong>ten, in<br />
<strong>de</strong>r ihre Schatten doppelt so lang waren wie sie selbst. Im Laufe eines Tages<br />
wan<strong>de</strong>rt die Sonne um die Er<strong>de</strong> und erzeugt mit ihren parallelen Strahlen<br />
sich unablässig bewegen<strong>de</strong> natürliche Schatten. Die Macht <strong>de</strong>r Ab- und Zu-<br />
nahme <strong>de</strong>r Schatten im Laufe eines Tages ist heute immer noch zu spüren.<br />
In je<strong>de</strong>r Sekun<strong>de</strong>, die vergeht, verän<strong>de</strong>rn sich die Schatten.<br />
Image Bank<br />
Lange vor Christus, als die Menschen anfingen, sich für die scheinbare Be-<br />
wegung <strong>de</strong>r Gestirne zu interessieren, wur<strong>de</strong> sie wahrscheinlich mehrfach<br />
erfun<strong>de</strong>n – die Sonnenuhr.<br />
Wo sie nun genau als erstes auftauchte, ob in China, Griechenland o<strong>de</strong>r<br />
Ägypten, ist zeitlich und auch räumlich nicht ein<strong>de</strong>utig bestimmbar.<br />
Vielleicht lag darin die erste technische und / o<strong>de</strong>r wissenschaftliche An-<br />
wendung <strong>de</strong>s Schattens.<br />
Vor 200 Jahren stand kein Schatten völlig still. Das Kerzenlicht und Feuer<br />
zauberte flackern<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r bewegte Schatten, die über die Zimmerwän<strong>de</strong><br />
huschten. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, sich auszumalen,<br />
welche Geschichten erfun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n, wenn nächtliche Gelage im Kerzen-<br />
schein stattfan<strong>de</strong>n und sich son<strong>de</strong>rbare Schattengestalten mit einfan<strong>de</strong>n<br />
(o<strong>de</strong>r: sich ein Schattenvolk mit ihnen gleichzeitig versammelte).<br />
Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts entstan<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Gasproduktion neue Mög-<br />
lichkeiten <strong>de</strong>r öffentlichen Beleuchtung. Die Bogenlampe wur<strong>de</strong> entwickelt<br />
und mit <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r Glühlampe 1880, bei <strong>de</strong>r Thomas Edison das<br />
erste Mal Strom durch einen abgebrannten Kohlefa<strong>de</strong>n schickte, wur<strong>de</strong> die<br />
Beleuchtung durch die Elektrizität revolutioniert.<br />
Doch die neuen Lichtquellen verbannten die mystischen Schattenbewegun-<br />
gen <strong>de</strong>r dunklen Ecken <strong>de</strong>s Mittelalters. Sie strahlten nicht nur viel heller,<br />
son<strong>de</strong>rn blieben in ihrer Leuchtkraft stabil. Kein Luftzug konnte ihre Inten-<br />
sität min<strong>de</strong>rn. Kein bewegter Schatten auf Straßen und Häuserwän<strong>de</strong>n war<br />
mehr zu fin<strong>de</strong>n.<br />
In einer Zeit, in <strong>de</strong>r die schattenlose Ausleuchtung erst ihren Anfang nahm,<br />
mögen sich die Menschen vom gleißen<strong>de</strong>n Licht gestört gefühlt haben.<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
20 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
21
1.3 FÜHREN UNS DIE SCHATTEN HINTERS LICHT?<br />
8 Binger, Lothar, Schattenwelten.<br />
Berlin 2001, S.28.<br />
So zitiert Lothar Binger: „Hier gibt es kein Dunkel, in das sich <strong>de</strong>r Gedan-<br />
ke zurückziehen, keinen schattigen Winkel, in <strong>de</strong>m die Einbildungskraft<br />
ihren Träumen nachhängen kann. In dieser Beleuchtung ist keine Illusion<br />
möglich. Unaufhörlich und unbarmherzig gemahnt sie an die Realität.“ 8<br />
Schatten können also auch Freiraum be<strong>de</strong>uten. Zumin<strong>de</strong>st bergen sie<br />
die Möglichkeit, sich zeitweise <strong>de</strong>r kontrollieren<strong>de</strong>n Aufmerksamkeit zu<br />
entziehen und unbehelligt seinen Gedanken nachzuhängen. Licht und<br />
Schattenlosigkeit können zu einer kontrollierten Öffentlichkeit führen.<br />
Der Schatten ermöglicht hier Schutz und Intimität.<br />
Das 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt erschuf neue Schatten, in einer Art, in <strong>de</strong>r sie zuvor<br />
nicht zu sehen waren: statisch, fixiert, klar, technisch und künstlich. Vor<br />
allem auch Orte, die so beleuchtet wur<strong>de</strong>n, dass sich eine bis dahin nicht<br />
vorhan<strong>de</strong>ne Form <strong>de</strong>r Schattenlosigkeit einstellte.<br />
ALLGEMEINES ZUM SCHATTENDASEIN<br />
22 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
23<br />
Mitsuo Matsuoka.jp
Der Schatten ist ein<br />
immaterielles Abbild <strong>de</strong>r<br />
dritten Dimension mit<br />
Zugang zur Psyche.<br />
24 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
25<br />
2<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN
2<br />
Die Erscheinung <strong>de</strong>s Schattens fasziniert nicht nur visuell. Mit ihm pas-<br />
sieren seltsame Dinge, die immer wie<strong>de</strong>r Fragen aufwerfen. Der Schatten<br />
ist ein Abbild <strong>de</strong>s Körpers, an <strong>de</strong>m die Merkmale seines Trägers wie<strong>de</strong>r-<br />
zuerkennen sind. Er agiert wie ein immaterielles Double – ein abstrakter<br />
Spiegel – und ist doch mehr: er geht eine optische Symbiose mit <strong>de</strong>m Unter-<br />
grund ein, auf <strong>de</strong>n er geworfen wird.<br />
Als Gegenstück <strong>de</strong>s Lichts, das die Erhellung von oben bewirkt, scheint <strong>de</strong>r<br />
Schatten die Verbindung nach unten, zum Bo<strong>de</strong>n, zu sein.<br />
Der Schatten hat keine Farbe und er ist flach. Er wird länger und kürzer,<br />
verschwin<strong>de</strong>t und taucht wie<strong>de</strong>r auf. Er hängt an einem Körper fest und<br />
lässt sich we<strong>de</strong>r fassen, noch fangen. Er wird zu einem Objekt, das sich<br />
<strong>de</strong>r uneingeschränkten Kontrolle entzieht. „Er ist unser Sklave, doch er<br />
gehorcht uns nicht blindlings; zuweilen lehnt er sich auf und hat also doch<br />
einen autonomen Willen, eine Seele.“ 9<br />
Der Schatten ist ein offensichtlicher Bestandteil unserer bewussten und<br />
unbewussten Wahrnehmung. Seine physikalische Herkunft und sein be-<br />
wegtes Wirken lassen sich erklären – sein schemenhaftes Auftreten und<br />
seine zuweilen unheimlichen Ausmaße jedoch nicht.<br />
Vielleicht ist es eine Form von Misstrauen, die Menschen im Unterbewusst-<br />
sein ereilt, wenn sie Dinge plötzlich zwei Mal sehen, wo diese doch eigent-<br />
lich nur einmal existieren können. Womöglich eröffnet sich darin eine<br />
zweite, unbeleuchtete fantastische Welt, die sich mal mehr, mal weniger in<br />
<strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund drängt.<br />
Eine Fülle von Mythen und Geschichten sind Zeugen dieses Zusammen-<br />
spiels von Urteils- und Einbildungskraft.<br />
Der Schatten wird zur Metapher, um schwer zu Formulieren<strong>de</strong>s zu benen-<br />
nen, um Be<strong>de</strong>utungen offen zu halten und um bildhaft Leerstellen auszufüllen.<br />
10<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
9 Casati (2001), S. 289.<br />
26 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
27<br />
10 Binger (2001), S.10.
2.1 DIE ILLUSION IM SCHATTIGEN WINKEL<br />
28<br />
2.1<br />
Wirklichkeit und<br />
Projektion.<br />
Die Illusion im schattigen Winkel<br />
Der griechische Philosoph Platon (427 – 347 v.Chr.) stellt in seinem „Höh-<br />
lengleichnis“ (aus <strong>de</strong>m 7. Buch <strong>de</strong>r Politeia, „Der Staat“) die Welt aus Schat-<br />
ten <strong>de</strong>r Erkenntnis über die Realität gegenüber.<br />
Das Höhlengleichnis ist ein Gedankenexperiment, in <strong>de</strong>m Platon die Er-<br />
scheinung von Schatten zur Wirklichkeit erhebt.<br />
Er bringt zum Ausdruck, dass die Wirklichkeit das sei, was <strong>de</strong>r Mensch mit<br />
seinen Augen sieht. Und wenn es Schatten sind – ausschließlich Schatten,<br />
„Höhlenwun<strong>de</strong>r“, Pieter Saenredam 1604<br />
die er sieht –, so können auch sie zur Wirklichkeit wer<strong>de</strong>n und für Men-<br />
schen eine Welt sein, in <strong>de</strong>r sie zu leben im Stan<strong>de</strong> sind.<br />
Platon sieht das Licht als Form <strong>de</strong>r Erhellung und die Sonne als Werkzeug<br />
<strong>de</strong>r Erkenntnis, weil sie Dinge beleuchtet, die zuvor im Dunkeln <strong>de</strong>r Un-<br />
kenntnis lagen.<br />
Die Schattenspiele, die die Höhlenbewohner zu sehen bekamen, sind nichts<br />
an<strong>de</strong>res als ein metaphorisches Bild einer an<strong>de</strong>ren Wirklichkeit. Sie ist<br />
nicht min<strong>de</strong>r wirklich als die Welt außerhalb <strong>de</strong>r Höhle, wo alles von <strong>de</strong>r<br />
Sonne erleuchtet wird.<br />
Nur strebt die Philosophie nach Erkenntnis. Und die Welt, in <strong>de</strong>r das Licht<br />
mehr Dinge zeigt, ist nach Platon für die Menschen erkenntnisreicher als<br />
die Welt, in <strong>de</strong>r Schatten bloß Abbil<strong>de</strong>r von Figuren zeigen, die ihrerseits<br />
wie<strong>de</strong>rum nur eine Installation sind, also auch nur ein Abbild <strong>de</strong>r Wirk-<br />
lichkeit.<br />
Der Schatten als solcher ist schon ein Spiegel o<strong>de</strong>r ein Abbild <strong>de</strong>r Wirklich-<br />
keit. Doch wird das Schattenerzeugen selbst zur Spielform, ist das sichtbare<br />
Schattenspiel wie in Platons Höhle im Grun<strong>de</strong> ein Abbild <strong>de</strong>s Abbil<strong>de</strong>s.<br />
Könnte <strong>de</strong>r Mensch sich in <strong>de</strong>r Höhle umdrehen und die Figuren (Mario-<br />
netten) sehen, die eine Dienerschaft im Graben hinter <strong>de</strong>m Feuer oberhalb<br />
einer Mauer trägt, wür<strong>de</strong> er die erste Abstraktion <strong>de</strong>r Wirklichkeit sehen.<br />
Die Projektion dieser gewollten Illusion – die Schatten, die danach an <strong>de</strong>r<br />
Wand vor <strong>de</strong>n Gefangenen zu sehen sind – sind noch eine Abstraktionsstufe<br />
mehr.<br />
Das Schattentheater ist nichts an<strong>de</strong>res (siehe Kapitel 3 „Wenn <strong>de</strong>r Schatten<br />
zum Schatten seiner Selbst wird“).<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
29
2.1 DIE ILLUSION IM SCHATTIGEN WINKEL<br />
30<br />
11 Flagge, Ingeborg, Der dunkle Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Lichts. In: Das Geheimnis <strong>de</strong>s Schattens.<br />
Hrsg. v. Deutsches Architekturmuseum,<br />
Und wenn nun <strong>de</strong>r Schatten in Platons Höhle und das Schattentheater<br />
Abstraktionen sind, so müsste im Schatten keine geringere Form <strong>de</strong>s Erken-<br />
nens liegen, wenn <strong>de</strong>r Mensch das Wesen <strong>de</strong>s Schattens erkennen könnte.<br />
Des weiteren hilft <strong>de</strong>r Schatten die Dinge zu rekonstruieren und die Be-<br />
schaffenheit <strong>de</strong>r Umwelt zu erfassen.<br />
„Der Schatten sei nicht Ursache, son<strong>de</strong>rn Wirkung, insofern er Gegen-<br />
stän<strong>de</strong> moduliere und <strong>de</strong>r Mensch sie so erst erfahre“, schreibt Ingeborg<br />
Flagge. 11<br />
Berlin 2002, S. 66. Hélène Binet<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
31
2.2 MIT DEM SCHATTEN UNTRENNBAR VERBUNDEN? DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
2.2<br />
Und wenn nicht? Beispiele<br />
aus <strong>de</strong>r Literatur:<br />
A<strong>de</strong>lbert von Chamisso:<br />
Peter Schlemihl, Oscar Wil<strong>de</strong>:<br />
Der Fischer und seine Seele.<br />
12 vgl. Casati (2001), S. 289.<br />
13 Chamisso, A<strong>de</strong>lbert von,<br />
Peter Schlemihls wun<strong>de</strong>rsame Geschichte.<br />
Frankfurt 1973, S.28.<br />
14 Chamisso (1973), S. 31.<br />
Mit <strong>de</strong>m Schatten untrennbar verbun<strong>de</strong>n?<br />
Der Schatten gehorcht uns nicht blindlings, son<strong>de</strong>rn lehnt sich zuweilen<br />
auf und hat einen autonomen Willen. 12 Die folgen<strong>de</strong>n Beispiele aus <strong>de</strong>r Li-<br />
teratur gehen noch einen Schritt weiter und ver<strong>de</strong>utlichen eine Loslösung<br />
<strong>de</strong>s Schattens von seinem Ursprung (Besitzer), hin zur Bildung einer eige-<br />
nen Schatteni<strong>de</strong>ntität.<br />
In „Peter Schlemihls wun<strong>de</strong>rsamer Geschichte“ von A<strong>de</strong>lbert von Chamisso<br />
(1781 – 1838) trifft <strong>de</strong>r junge Mann, Herr Schlemihl, in einer Gesellschaft<br />
auf einen merkwürdigen, unheimlichen Herren, <strong>de</strong>r alles aus seiner Hosen-<br />
tasche zaubern kann, was sich die Gäste <strong>de</strong>r Gesellschaft wünschen. Doch<br />
<strong>de</strong>r seltsame Herr hat eine so unheilvolle Ausstrahlung, dass Herr Schle-<br />
mihl bald das Weite sucht. Der merkwürdige Mann folgt ihm und fragt<br />
nach <strong>de</strong>ssen Schatten: „Ich habe einige Male – wirklich mit unaussprechli-<br />
cher Bewun<strong>de</strong>rung – <strong>de</strong>n schönen, schönen Schatten betrachten können,<br />
<strong>de</strong>n Sie in <strong>de</strong>r Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung,<br />
ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, <strong>de</strong>n herrlichen Schatten da<br />
zu Ihren Füssen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumutung. Sollten<br />
Sie sich wohl nicht abgeneigt fin<strong>de</strong>n, mir diesen Ihren Schatten zu über-<br />
lassen?“ 13 Als er Herrn Schlemihl einen sich immer wie<strong>de</strong>r füllen<strong>de</strong>n Sack<br />
voller Goldstücke zum Tausch vorschlägt, willigt dieser ein und verkauft<br />
seinen Schatten.<br />
„,Topp! Der Han<strong>de</strong>l gilt, für <strong>de</strong>n Beutel haben Sie meinen Schatten.‘ Er<br />
schlug ein, kniete dann ungesäumt vor mir nie<strong>de</strong>r, und mit einer bewun-<br />
<strong>de</strong>rnswürdigen Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf<br />
bis zu meinen Füssen, leise von <strong>de</strong>m Grase lösen, aufheben, zusammenrollen<br />
und falten und zuletzt einstecken.“ 14<br />
32 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
33<br />
Emil Preetorius, 1908
2.2 MIT DEM SCHATTEN UNTRENNBAR VERBUNDEN? DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
Doch einem Menschen ohne Schatten traut man nicht. Herr Schlemihl hat<br />
fortan soviel Geld, dass er alles er<strong>de</strong>nkliche erwerben kann. Doch sobald<br />
er in die Öffentlichkeit tritt, wird er verfolgt, verspottet und beschimpft.<br />
Die Menschen fühlen sich von seiner schattenlosen Erscheinung bedroht,<br />
fürchten sich o<strong>de</strong>r mei<strong>de</strong>n ihn. Seine Einsamkeit wiegt kein Geld <strong>de</strong>r Welt<br />
auf.<br />
Als er seine große Liebe fin<strong>de</strong>t, mit <strong>de</strong>r er sich nur in mondleeren Nächten<br />
zu treffen wagt, hält er beim Vater um ihre Hand an. Doch dieser ent<strong>de</strong>ckt<br />
<strong>de</strong>n Schwin<strong>de</strong>l: „Ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie sich<br />
nach einem Schatten umtun mögen, erscheinen Sie binnen drei Tagen vor<br />
mir mit einem wohlangepassten Schatten, so sollen Sie mir willkommen<br />
sein: am vierten Tage aber ist meine Tochter die Frau eines an<strong>de</strong>ren.“ 15 So<br />
geschieht es dann auch. Herr Schlemihl führt fortan ein fürchterlich trau-<br />
riges und einsames Leben in Abgeschie<strong>de</strong>nheit.<br />
Chamissos Werk, aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Romantik, beschreibt <strong>de</strong>n Schatten als<br />
lebensnotwendige Erscheinung, ohne die alles Geld <strong>de</strong>r Welt unnütz bleibt.<br />
Der Schatten dient <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung in die Normalität <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />
Herr Schlemihl braucht ihn zur Erfüllung seiner Liebe, zur Anerkennung<br />
unter <strong>de</strong>n Menschen.<br />
Der Schatten stellt, analog zur physikalischen Wirkung, die Verbindung<br />
zum Bo<strong>de</strong>n dar – zur Gesellschaft. Peter Schlemihl wird im Laufe <strong>de</strong>r Ge-<br />
schichte zu einem berühmten, reichen Mann, <strong>de</strong>m aber alles Bo<strong>de</strong>nständi-<br />
ge, Normale, wie die Liebe, verschlossen bleiben. Isoliert von <strong>de</strong>n Menschen<br />
erlebt er seinen sozialen Tod.<br />
Ähnlich ergeht es auch <strong>de</strong>m jungen Fischer in Oscar Wil<strong>de</strong>s (1854 – 1900)<br />
Kurzgeschichte „Der Fischer und seine Seele“. Der Fischer trennt sich von<br />
seinem Schatten, um von <strong>de</strong>r Welt und <strong>de</strong>r Gesellschaft losgelöst, im Meer<br />
mit einer Meerjungfrau sein Leben teilen zu können.<br />
15 Chamisso (1973), S. 68.<br />
34 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
35<br />
Emil Preetorius, 1908
2.2 MIT DEM SCHATTEN UNTRENNBAR VERBUNDEN? DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
Der junge Mann verliebt sich beim Fischen in die Meerjungfrau und möch-<br />
te mit ihr leben. „,Du hast eine Menschenseele,‘ erwi<strong>de</strong>rte sie. ,Nur wenn du<br />
<strong>de</strong>ine Seele aus dir verstießest, nur dann könnte ich dich lieben.‘“ 16<br />
Er bittet einen Priester um Rat, doch <strong>de</strong>r wen<strong>de</strong>t sich entsetzt ab. Er geht<br />
zu <strong>de</strong>n Kaufleuten: „Ich will dir meine Seele verkaufen. Ich bitte dich, kauf<br />
sie mir ab, <strong>de</strong>nn ich bin ihrer überdrüssig. Was nützt mir meine Seele? Ich<br />
kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht fühlen. Ich kenne sie nicht.“ 17 Doch<br />
dort will ihm niemand helfen. Eine junge Hexe mit Verbindung zum Bösen<br />
weiß Rat. Aber auch sie will ihm das Geheimnis nicht verraten, weil es zu<br />
fürchterlich ist, seine Seele zu verstoßen. Der junge Fischer bezwingt die<br />
Hexe und bekommt ein kleines Messer mit einem Heft aus grüner Vipern-<br />
haut, um sich damit von seinem Schatten zu trennen.<br />
„Was die Menschen <strong>de</strong>n Schatten ihres Leibes nennen, ist nicht <strong>de</strong>r Schatten<br />
<strong>de</strong>s Leibes, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Leib <strong>de</strong>r Seele.“ 18<br />
Sagt sie zu ihm und weint zuvor bitterlich. „Stell Dich ans Meeresufer, <strong>de</strong>n<br />
Rücken zum Mond gekehrt, und schnei<strong>de</strong> rund um <strong>de</strong>ine Füße <strong>de</strong>inen<br />
Schatten ab, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>iner Seele Leib ist, und heiße <strong>de</strong>ine Seele dich verlassen,<br />
und sie wird es tun.“ 19<br />
„Und seine Seele sprach zu ihm: ,Wenn du mich <strong>de</strong>nn wirklich von dir trei-<br />
ben musst, so verstoße mich nicht, ohne mir ein Herz mit auf <strong>de</strong>n Weg zu<br />
geben. Die Welt ist grausam, gib mir <strong>de</strong>in Herz, dass ich es mit mir nähme.‘<br />
Er schüttelte <strong>de</strong>n Kopf und lächelte. ,Womit soll ich meine Liebste lieben,<br />
wenn ich dir mein Herz weggäbe?‘ rief er. ,Darf ich nicht auch lieben?‘ frag-<br />
te die Seele. ,Hebe dich hinweg, <strong>de</strong>nn ich brauche dich nicht,‘ schrie <strong>de</strong>r<br />
junge Fischer und schnitt seine Seele ab. Der Schatten richtete sich auf und<br />
stand vor ihm und blickte ihn an, und bei<strong>de</strong> glichen einan<strong>de</strong>r, als wären<br />
sie eines.“ 20<br />
Fortan gehen die bei<strong>de</strong>n getrennte Wege: <strong>de</strong>r junge Fischer kann nur noch<br />
im Meer und nicht mehr an Land leben und sein Schatten geistert körper-<br />
los durch die Welt, aufgrund seiner Herzlosigkeit böse und gemein.<br />
Auch die Geschichte von Oscar Wil<strong>de</strong> macht <strong>de</strong>utlich, dass <strong>de</strong>r Schatten<br />
und sein Besitzer für das normale Leben zweifellos miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n<br />
sein müssen. Der Schatten bekommt eine eigenständige Rolle, die <strong>de</strong>r Seele.<br />
Hätte sich <strong>de</strong>r Fischer nicht absichtlich von seiner Seele getrennt, wäre sie<br />
vermutlich nach seinem Tod als gute Seele in <strong>de</strong>r Welt geblieben und nicht<br />
als Schatten. Durch das Abschnei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Schattens wur<strong>de</strong>, nach Oscar Wil-<br />
<strong>de</strong>, die Einheit von menschlichem Herz und geistiger Seele zerstört.<br />
16 Wil<strong>de</strong>, Oscar, Der Fischer und seine Seele.<br />
In: Sämtliche Märchen und Erzählungen.<br />
36 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
37<br />
Basel, 1970, S. 123.<br />
17 Wil<strong>de</strong> (1970), S. 125.<br />
18 Ebd., S. 134.<br />
19 Ebd., S. 134.<br />
20 Ebd., S. 135.
2.3 EIN EREIGNIS WIRFT SEINE SCHATTEN VORAUS<br />
2.3<br />
Schattendramaturgie am<br />
Beispiel <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
expressionistischen Films.<br />
21 Brockhaus, 2. Band. Wiesba<strong>de</strong>n 1958, S. 126.<br />
22 Gregor, Ulrich u. Patalas, Enno,<br />
Geschichte <strong>de</strong>s Films. Hamburg 1976, S. 49.<br />
23 vgl. Binger (2001), S.168.<br />
Ein Ereignis wirft seine Schatten voraus<br />
Schattenbil<strong>de</strong>r beflügeln die Phantasie. Bewegte Schattenbil<strong>de</strong>r sind eines<br />
<strong>de</strong>r Kennzeichen <strong>de</strong>s expressionistischen, <strong>de</strong>utschen Films zwischen 1919<br />
und 1924. Unter ihnen und allen voran: „Das Kabinett <strong>de</strong>s Dr. Caligari“<br />
von Robert Wiene, 1920 und „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau,<br />
1922.<br />
„Der Expressionismus ist eine Bewegung zu Anfang <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts,<br />
die im Gegensatz zum Impressionismus, als die Kunst <strong>de</strong>s sinnlichen Ein-<br />
drucks, eine Kunst <strong>de</strong>s seelischen Ausdrucks erstrebte.“ 21 An<strong>de</strong>rs gesagt: er-<br />
reichten die Impressionisten die Grenze <strong>de</strong>r objektiven Realität, so versuch-<br />
ten die Expressionisten die irreale, phantastische Welt <strong>de</strong>s Unterbewussten,<br />
die Träume zu ergrün<strong>de</strong>n und darzustellen. „Bereits die frühesten, künst-<br />
lerischen Versuche im <strong>de</strong>utschen Film zeigen die Neigung zur Darstellung<br />
innerseelischer Vorgänge und <strong>de</strong>ren symbolhafter Objektivierung.“ 22<br />
Zu keiner an<strong>de</strong>ren Zeit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schatten mit seinem mystischen Aus-<br />
druck und <strong>de</strong>r Verbindung zu scheinbar unsichtbaren Mächten filmisch<br />
so in <strong>de</strong>n Mittelpunkt gestellt. Der Schatten war Sinnbild für die Existenz<br />
eines möglichen Alter Egos. I<strong>de</strong>ntitätsspaltung, Entfremdung o<strong>de</strong>r das Aus-<br />
geliefertsein <strong>de</strong>s Menschen an frem<strong>de</strong>, höhere Mächte waren Themen <strong>de</strong>s<br />
expressionistischen Films. 23<br />
In nichts an<strong>de</strong>res konnte so viel projiziert wer<strong>de</strong>n wie in <strong>de</strong>n Schatten. Sein<br />
dunkler, schemenhafter Ausdruck, seine Fähigkeit Licht zu rauben, verlie-<br />
hen ihm oft boshafte und unheimliche Rollen.<br />
Er war im Stan<strong>de</strong>, die dunkle Seite <strong>de</strong>s menschlichen Unterbewusstseins zu<br />
zeigen, ein nicht zu steuern<strong>de</strong>s „Es“ zu bebil<strong>de</strong>rn, das plötzlich die Regie<br />
übernimmt und <strong>de</strong>n Menschen Dinge tun o<strong>de</strong>r erkennen lässt, die außer-<br />
halb seiner verstan<strong>de</strong>sgemäßen Wahrnehmung liegen. Der Schatten wird<br />
dabei teilweise selbst zum Akteur.<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
38 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
39<br />
„Nosferatu“, Murnau, 1922
2.3 EIN EREIGNIS WIRFT SEINE SCHATTEN VORAUS<br />
» Folgen<strong>de</strong> Bil<strong>de</strong>r aus „Das Kabinett <strong>de</strong>s Dr. Caligari“, Wiene, 1920<br />
So zum Beispiel <strong>de</strong>r Schatten <strong>de</strong>s Cesare. Cesare ist Patient <strong>de</strong>r Irrenanstalt<br />
und unter <strong>de</strong>r Kontrolle <strong>de</strong>s Direktors <strong>de</strong>r Anstalt Dr. Caligari. Cesare soll<br />
im Auftrag von Caligari Mor<strong>de</strong> begehen. Es macht <strong>de</strong>n Anschein, als befän-<br />
<strong>de</strong> sich Cesare permanent in einer Art Wachkoma; <strong>de</strong>r Zuschauer sieht ihn<br />
kaum in Aktion. Den Mord an einem jungen Mann begeht sein Schatten<br />
und nicht er. Bei einem Mordversuch bleibt es, als Cesares Schatten, fil-<br />
misch umgesetzt, auf eine Schlafen<strong>de</strong> fällt und diese entkommen kann.<br />
Der komplette Bühnenaufbau im Film beschreibt durch abstrakte, perspek-<br />
tivisch verzerrte Bauten und Malereien <strong>de</strong>n seelischen Kampf <strong>de</strong>n Cesare<br />
mit seinem Verstand und <strong>de</strong>r höheren Macht, die ihn beauftragt hat, im-<br />
mer während führt. Die innere Gefühlswelt wird sichtbar und manifestiert<br />
sich in <strong>de</strong>n bizarren Schattengestalten. Ein Kampf zwischen <strong>de</strong>m Licht<br />
(<strong>de</strong>m Verstand) und <strong>de</strong>m Schatten, <strong>de</strong>m Unterbewusstsein.<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
40 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
41
2.3 EIN EREIGNIS WIRFT SEINE SCHATTEN VORAUS DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
» Folgen<strong>de</strong> Bil<strong>de</strong>r aus „Nosferatu“, Murnau, 1922<br />
Auch bereits in <strong>de</strong>m Film „M“ von Fritz Lang, 1930, fällt <strong>de</strong>r sprechen<strong>de</strong><br />
Schatten <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rmör<strong>de</strong>rs auf ein argloses Mädchen, noch bevor <strong>de</strong>r<br />
Mann selbst ins Bild kommt. Drohen<strong>de</strong> Ereignisse und gefürchtete Perso-<br />
nen werfen ihre Schatten voraus.<br />
Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich wird dieser häufig verwen<strong>de</strong>te Effekt in Murnaus Film<br />
„Nosferatu“. Der Schatten <strong>de</strong>s Vampirs wird zum Vampir selber. Die Dun-<br />
kelheit <strong>de</strong>r Nacht, in <strong>de</strong>r Nosferatu sein Unwesen treibt, lässt alles wie Sche-<br />
men und Schatten aussehen. Das nicht erkennbare und in <strong>de</strong>r Handlung<br />
nicht gezeigte Geschehen könnte durch keine an<strong>de</strong>re Metapher <strong>de</strong>utlicher<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
Ein Gedanke <strong>de</strong>s Expressionismus war, die Grenze <strong>de</strong>s Wachseins zu über-<br />
schreiten und verdrängten Gedanken und unbewussten Gefühlen Raum zu<br />
geben – sie bewusst wahrnehmbar zu machen. Paul Klee sagte dazu: die<br />
Kunst gibt nicht das Sichtbare wie<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn macht sichtbar.<br />
Im Sinne dieses Kapitels kann man das Zitat auf die Funktion <strong>de</strong>s Schattens<br />
im expressionistischen Film anwen<strong>de</strong>n und sagen:<br />
Der Schatten ist hier nicht die wahrnehmbare dunkle Seite <strong>de</strong>s Sichtbaren,<br />
son<strong>de</strong>rn macht das Dunkle <strong>de</strong>r Seele o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Inneren sichtbar. Er wird zu<br />
einem selbständigen Motiv.<br />
Den Schatten zu einem Medium, zu einer Ausdrucksform <strong>de</strong>s Inneren zu<br />
machen, hat sich bis heute erhalten. Beispiele zu <strong>de</strong>n inneren Stärken und<br />
Schwächen, die <strong>de</strong>r Schatten über seinen Besitzer verrät, in Kapitel 2.4.<br />
In <strong>de</strong>n 40er Jahre entstand im Hollywood in Anlehnung an die Licht- und<br />
Schattendramaturgie im <strong>de</strong>utschen expressionistischen Film ein beson<strong>de</strong>-<br />
res Filmgenre: <strong>de</strong>r „Film noir“. Er zeichnete sich durch seine ungewöhn-<br />
lichen Beleuchtungsweisen aus und machte die kontrastreiche Schwarz-<br />
Weiß-Wirkung zu seinem Ausdrucksmittel. Dunkle Bil<strong>de</strong>rwelten und<br />
düstere Geschichten haben <strong>de</strong>n „schwarzen“ Film maßgeblich geprägt.<br />
Auch Fritz Lang ging zur Zeit <strong>de</strong>s Nazi-Deutschlands nach Amerika ins Exil<br />
und hinterließ dort weitere Werke.<br />
42 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
43<br />
Schatten aus einem „Film Noir“
2.4 WAS DER SCHATTEN VERRÄT DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
2.4<br />
Beispiele aus Werbung,<br />
Film und Comic.<br />
Von Chanel bis Aquavit,<br />
von Lucky Luke bis Mad und<br />
von Nivea bis zum iPod.<br />
Was <strong>de</strong>r Schatten verrät<br />
Alle Bil<strong>de</strong>r aus „Mad“ – Das<br />
vernünftigste Magazin <strong>de</strong>r Welt,<br />
Nr. 140, Hamburg 1980<br />
44 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
45
2.4 WAS DER SCHATTEN VERRÄT DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
Lucky Luke, <strong>de</strong>r Mann, <strong>de</strong>r seinen<br />
Revolver schneller zieht als sein<br />
„Star Wars“, Episo<strong>de</strong> I<br />
Schatten Werbung „Malteser Aquavit“<br />
Ehapa/ Werner Fuchs Lizenz Agentur<br />
46 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
47<br />
Werbung „Chanel Egoiste“
2.4 WAS DER SCHATTEN VERRÄT<br />
Bereits 1920 entwickelte Lotte Reiniger für Nivea einen Werbefilm aus Silhouetten Der aktuelle iPod Werbefilm von Apple – 84 Jahre später, aber vom Prinzip gleich geblieben<br />
DIE METAPHORISCHEN SCHATTENSEITEN<br />
48 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
49
Schattentheater:<br />
Legen<strong>de</strong>n und Mythen um<br />
das Spiel mit <strong>de</strong>m<br />
50 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
51<br />
3<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN<br />
SEINER SELBST WIRD<br />
Schatten.
3<br />
24 vgl. Reusch, Rainer, Schattentheater.<br />
Zeitschrift <strong>de</strong>s ISZ,<br />
Schwäbisch Gmünd 1994, S. 27.<br />
25 vgl. Hellemann, Susann, Schattenwelten.<br />
Berlin 2001, S.76.<br />
26 vgl. Dunkel, Peter F., Schattenfiguren,<br />
Schattenspiel. Köln 1984, S. 9.<br />
27 vgl. Paerl, Hetty, Schattenspiel.<br />
München 1981, S. 10.<br />
28 Hellemann (2001), S.78.<br />
Der Schatten ist eine Projektion. Zum Einen, weil er selbst projiziert wird –<br />
ihn ein vom Licht angestrahlter Gegenstand auf einen Untergrund proji-<br />
ziert; zum An<strong>de</strong>ren, weil Menschen ihre eigenen Gefühle, Wünsche und<br />
Vorstellungen in ihn hinein projizieren. Er ist nicht nur Licht-, son<strong>de</strong>rn<br />
auch Gedankenprojektion.<br />
Beispiele für die enge Beziehung zwischen Magie und Schatten fin<strong>de</strong>t man<br />
im Volksglauben vieler Völker. Das bestätigt die These, dass es eine Art Urglaube<br />
im Umgang mit Schatten geben muss. 24<br />
Eine berühmte Legen<strong>de</strong> zur Entstehung <strong>de</strong>s Schattenspiels in China berich-<br />
tet vom Kaiser Wu-ti (141 – 87 v.Chr.), <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Tod seiner Lieblingsfrau nicht<br />
verwin<strong>de</strong>n konnte. 25 Ein taoistischer Magier, Shao Wong, holte sie ihm aus<br />
<strong>de</strong>m Totenreich zurück, in<strong>de</strong>m er mit Hilfe einer Kerze ein Schattenbild auf<br />
einen sei<strong>de</strong>nen Vorhang warf. Der Kaiser glaubte seine Frau zu erkennen<br />
und war getröstet. 26<br />
Die Erinnerung an Verstorbene und ihre Gegenwart über <strong>de</strong>n Tod hinaus<br />
konnte in Form von Schatten am Leben erhalten wer<strong>de</strong>n. Im chinesischen<br />
Volksglauben wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schatten für die lebendige Seele <strong>de</strong>s Menschen<br />
gehalten. 27<br />
Die Chinesen trennen <strong>de</strong>s Nachts die auswechselbaren Köpfe ihrer Schat-<br />
tenspielfiguren ab, weil sie glauben, dass sie sonst lebendig wer<strong>de</strong>n und<br />
Unheil anrichten können. Das chinesische Schattentheater zeigt uralte<br />
religiöse, mythologische und historische Themen. „Taoistischer Zauber im<br />
Kampf gegen die Dämonen, die Lehren Buddhas und seine Wun<strong>de</strong>rtaten,<br />
die sadistischen Taten <strong>de</strong>r Höllengeister und die Qualen <strong>de</strong>r Verdammten,<br />
sowie überirdische Geschehnisse wer<strong>de</strong>n eindrucksvoll wie<strong>de</strong>rgegeben.“ 28<br />
Bereits um 1500 v. Chr. glaubten die Vorfahren <strong>de</strong>r Indonesier, dass die<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
52 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
53
29 vgl. Hellemann (2001), S.76.<br />
30 Reusch, Rainer, Vom Pergament zum<br />
Halogen. In: Schnitt. Das Filmagazin<br />
Nr. 34, Köln 2004, S. 20f.<br />
31 Hellemann (2001), S.80.<br />
Toten im Diesseits ihr Leben als Schatten weiter führen wür<strong>de</strong>n. Sie stell-<br />
ten, um die Verstorbenen zu ehren, Schattenfiguren her, die als Urform <strong>de</strong>r<br />
heutigen Schattentheaterfiguren gelten. 29 Dass das indonesische Schatten-<br />
theater aus <strong>de</strong>m Kult geboren wur<strong>de</strong>, ist heute noch <strong>de</strong>utlich erkennbar, so<br />
Rainer Reusch, Leiter <strong>de</strong>s Internationalen Schattentheater Zentrums. 30 Der<br />
indonesische Schattenspieler, Dalang genannt, hat eine ähnliche Stellung<br />
wie ein Priester, man holt ihn zur Geburt o<strong>de</strong>r Beschneidung eines Kin<strong>de</strong>s,<br />
zu einer Hochzeit o<strong>de</strong>r zur Bestattung eines Angehörigen. Zu Beginn eines<br />
Schattenspiels betet <strong>de</strong>r Dalang zu <strong>de</strong>n Göttern, bringt ihnen Opfer dar und<br />
spricht Mantras. Er bittet die Geister <strong>de</strong>r Verstorbenen beim Spiel anwesend<br />
zu sein. Die Ausbildung <strong>de</strong>r Schattenspieler in Indonesien beinhaltet Un-<br />
terricht in Sprachen, Religion, Psychologie, Philosophie, Geschichte und<br />
Staatskun<strong>de</strong>. Nur mit Lizenz und Examen ist es in Indonesien gestattet,<br />
Schattentheater aufzuführen.<br />
Auch in Taiwan dauert eine Ausbildung zum Schattenspieler Jahrzehnte, in<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Vater seinem Sohn ab <strong>de</strong>m zehnten Lebensjahr sein esoterisches<br />
Wissen und seine Spielkenntnisse vermittelt. Auch hier dient das Spiel we-<br />
niger <strong>de</strong>r Unterhaltung <strong>de</strong>s Publikums, son<strong>de</strong>rn wird vielmehr als Opfer<br />
zur Ehre <strong>de</strong>s Gottes <strong>de</strong>s Schattentheaters dargeboten. „So lange das Schattentheater<br />
in Taiwan dauert, solange sind Himmel und Er<strong>de</strong> vereint.“ 31<br />
In Indien, so lassen Quellen vermuten, existiert das Schattentheater eben-<br />
falls schon seit <strong>de</strong>m 2. Jahrhun<strong>de</strong>rt v. Chr. Das indische Schattentheater<br />
war ein einzigartiges Gesamtkunstwerk, das aus Götterepen, Musik, Tanz,<br />
Drama, Malerei, Kunsthandwerk, Spiel- und Beleuchtungstechnik geschaf-<br />
fen wur<strong>de</strong>. Dem Spiel mit <strong>de</strong>m Schatten wur<strong>de</strong> die Macht zugeschrieben,<br />
böse Geister, Unglücke und Epi<strong>de</strong>mien zu bannen. Auch <strong>de</strong>n In<strong>de</strong>rn waren<br />
die Figuren heilig, da sie glaubten, dass in ihnen Gestalten aus einer Welt<br />
lebten, die mit ihren verstorbenen Ahnen Kontakt aufnehmen konnten.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
China, Figuren mit ausgeschnittenen<br />
Gesichtern stehen für Personen mit<br />
54 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
55<br />
hohem Stand
32 Hellemann (2001), S.93.<br />
33 Dunkel (1984), S. 113.<br />
34 Reusch (2004), S.21.<br />
Indonesien, Wajang Puppen<br />
Das Schattenspiel könnte von Indien aus über China o<strong>de</strong>r Persien etwa<br />
im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt zu <strong>de</strong>n asiatischen Türken gelangt sein und sich mit<br />
<strong>de</strong>m Islam im Vor<strong>de</strong>ren Orient verbreitet haben. 32 Bis zum Beginn <strong>de</strong>s 20.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts erfreute es sich im gesamten Osmanischen Reich großer Be-<br />
liebtheit, vergleichbar mit <strong>de</strong>m Kaspertheater in Deutschland. „Das Schat-<br />
tenspiel als traditionelles Volkstheater ist im Konkurrenzkampf mit <strong>de</strong>n<br />
mo<strong>de</strong>rnen Unterhaltungsmedien lei<strong>de</strong>r immer mehr unterlegen.“ 33<br />
Aber auch das Schattentheater im Fernen Osten scheint von <strong>de</strong>r Übermacht<br />
alternativer Unterhaltungsmedien nicht verschont geblieben zu sein, insbeson<strong>de</strong>re<br />
in China ist es vom Aussterben bedroht. 34<br />
Aus <strong>de</strong>m türkischen Kulturkreis kam das Schattenspiel nach Griechenland.<br />
Dort wur<strong>de</strong> es wie in fast allen ehemals von <strong>de</strong>n Türken besetzten Län<strong>de</strong>rn<br />
heimisch. Mit Beginn <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts soll es aus <strong>de</strong>m türkischen Kultur-<br />
kreis und Griechenland bzw. über Tunesien nach Süditalien gelangt sein.<br />
In Rom und Neapel wur<strong>de</strong> es als eine Form <strong>de</strong>r Volksbelustigung auf Jahr-<br />
märkten und Volksfesten aufgeführt. Italienische Komödianten, Puppen-<br />
und Schattenspieler zogen über die Alpen und brachten das Schattenspiel<br />
nach Frankreich, Holland, England und Deutschland, die es zu kopieren<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
56 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
57<br />
versuchten.<br />
Die damalige Mo<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Silhouettenschnei<strong>de</strong>ns beeinflusste das Schatten-<br />
spiel. Die Figuren waren im Gegensatz zum asiatischen Schattentheater<br />
nicht durchscheinend, son<strong>de</strong>rn kompakt und undurchsichtig aus Pappe<br />
o<strong>de</strong>r Papier gefertigt und nur wenige von ihnen waren mit beweglichen<br />
Glie<strong>de</strong>rn versehen. Die Führungsstäbe <strong>de</strong>r Figuren blieben bei <strong>de</strong>n Europä-<br />
ern verborgen, weil diese Wert darauf legten, ein ausgeklügeltes System <strong>de</strong>r<br />
Illusion zu entwickeln.<br />
So verwun<strong>de</strong>rt es nicht, dass sie die Laterna Magica zu Hilfe nahmen, die<br />
ein <strong>de</strong>utscher Jesuit namens Kirchner im Jahr 1640 entwickelt hatte – ein<br />
Vorläufer <strong>de</strong>s Dia-Projektors. Man konnte damit bereits auf Glas bemalte Bil-<br />
<strong>de</strong>r an eine Wand projizieren. Es folgten mechanisch bewegte Silhouetten,<br />
<strong>de</strong>ren Schatten auf einen Schirm projiziert wur<strong>de</strong>n.<br />
Türkische und griechische Schattenfiguren
35 Wahl, Chris Dr., Licht Gestalten. In: Schnitt.<br />
Das Filmagazin Nr. 34, Köln 2004, S. 9.<br />
Für das europäische Schattentheater ist das „Chat Noir“, ein Cabaret<br />
und Künstlertreffpunkt in Paris, erwähnenswert, das gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts seinen Höhepunkt erlebte. Maler, Musiker und Dichter ent-<br />
wickelten dort Formen <strong>de</strong>s Schattenspiels, die alles bisher Gewesene an<br />
Illusion bei weitem übertrafen. Das technische und künstlerische Niveau<br />
beeindruckte die Zuschauer mit Landschaftsbil<strong>de</strong>rn, farbigen Sonnenun-<br />
tergängen, blauem Sternenhimmel, wogen<strong>de</strong>n Meeren und stürmischem<br />
Wetter. Die lyrischen und komisch-satirischen Schattenspiele, die oft auch<br />
gesellschaftliche Skandale kommentierten, wur<strong>de</strong>n weit über die Grenzen<br />
Frankreichs hinaus berühmt.<br />
Mit <strong>de</strong>m Ausbruch <strong>de</strong>s ersten Weltkriegs und <strong>de</strong>m Aufkommen <strong>de</strong>s Kinos<br />
verlor das Chat Noir seine Be<strong>de</strong>utung.<br />
„Es scheint so, als ob das Schattentheater durch seine Fusion mit europäi-<br />
scher Illusionskunst in eine Konkurrenzsituation mit an<strong>de</strong>ren, am Realis-<br />
mus orientierten Maschinen und damit in eine Sackgasse getrieben wur<strong>de</strong>.<br />
Gegen <strong>de</strong>n Film bzw. das Kino hatte es auf diesem Gebiet keine Chance.“ 35<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
Indische Figur, sie verkörpert Rollen in <strong>de</strong>n<br />
indischen Hel<strong>de</strong>nepen<br />
58 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
59
3.1 EIN SYMPTOM WIRD ZUM SYMBOL<br />
3.1<br />
Ein Anzeichen wird zum<br />
Kommunikator, Querschnitt<br />
durch verschie<strong>de</strong>ne<br />
Schatteninszenierungen. Ein Symptom wird zum Symbol<br />
Auch wenn das Schattentheater <strong>de</strong>s Morgenlan<strong>de</strong>s im Vergleich zu seiner<br />
früheren Be<strong>de</strong>utung zu versinken scheint, fin<strong>de</strong>t es schon seit einiger Zeit<br />
in <strong>de</strong>n westlichen Län<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>s Interesse. Das begrün<strong>de</strong>t Dr.<br />
Christoph Stölzl, Direktor <strong>de</strong>s Münchner Stadtmuseums, bereits Anfang<br />
<strong>de</strong>r 80er Jahre damit, dass die Perfektionierung <strong>de</strong>r optischen Illusionen,<br />
wie sie im Kino und Fernsehen stattfin<strong>de</strong>t, die Sehnsucht nach einfacher,<br />
technisch durchschaubarer Illusion weckt. 36<br />
Das europäische Schattentheater konnte aus seiner Versenkung geholt<br />
wer<strong>de</strong>n, weil es sich auf seine eigentlichen Stärken besann. Es fin<strong>de</strong>n neue<br />
Techniken und multimediale Bezüge statt. Der wesentliche Unterschied<br />
zum Film ist, dass es live und nachvollziehbar geschieht, während im Cabaret<br />
Chat Noir versucht wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Produktionsprozess zu verschleiern. 37<br />
Eine Son<strong>de</strong>rstellung bezieht in diesem Zusammenhang die für ihre Sil-<br />
houettenfilme bekannt gewor<strong>de</strong>ne <strong>de</strong>utsche Filmemacherin Lotte Reiniger<br />
(1899 – 1981). Ihr 90 Minuten langer Spielfilm „Die Abenteuer <strong>de</strong>s Prinzen<br />
Achmed“ ist wohl ihr bekanntestes Werk. Der Film hat fantasievoll die The-<br />
men von „1001 Nacht“ zum Inhalt. Seine Premiere hatte er 1926 in Berlin<br />
und Paris. Er gilt nicht nur als <strong>de</strong>r erste Animationsfilm <strong>de</strong>r Filmgeschich-<br />
te, son<strong>de</strong>rn stellt auch eine einzigartige Symbiose <strong>de</strong>s Genres Schattenspiel<br />
mit <strong>de</strong>m Film dar. Drei Jahre arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann<br />
Carl Koch an diesem Film. Er besteht aus einzelnen übereinan<strong>de</strong>r gelegten<br />
Schattenbil<strong>de</strong>rn und Figuren, die fotografiert und Stop-Motion animiert<br />
wur<strong>de</strong>n. Lotte Reiniger schnitt alle ihre Figuren selbst aus und entwickelte<br />
für „Die Abenteuer <strong>de</strong>s Prinzen Achmed“ visuelle Zitate im Stil verschie-<br />
<strong>de</strong>ner traditioneller Schattenspiele. So lassen sich optische Bezüge zu <strong>de</strong>n<br />
indonesischen, chinesischen und türkischen Figuren und Schattenumge-<br />
bungen fin<strong>de</strong>n. Gemeinsam mit Jean Renoir entwickelten Lotte Reiniger<br />
und Carl Koch über 40 weitere Scherenschnittfilme, die im Ausland mehr<br />
Anerkennung fan<strong>de</strong>n als in Deutschland. Sie emigrierte 1933 über Paris<br />
nach London; 1980 kehrte sie in ihr Heimatland zurück und starb 1981 in<br />
<strong>de</strong>r Nähe von Tübingen.<br />
Für Nivea erstellte sie bereits 1920 <strong>de</strong>n Werbefilm „Das Geheimnis <strong>de</strong>r<br />
Marquise“, <strong>de</strong>m in Kapitel 2.4 Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r aktuellen iPod-Werbung von Apple<br />
gegenübergestellt sind.<br />
Die nun folgen<strong>de</strong> Bildstrecke zeigt Ausschnitte aus <strong>de</strong>m Film „Die Aben-<br />
teuer <strong>de</strong>s Prinzen Achmed“. Im Anschluss stehen eigene Versuche, <strong>de</strong>n<br />
Schatten, <strong>de</strong>r eigentlich ein Anzeichen ist, zu einem selbstständigen Aus-<br />
drucksmittel zu machen.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
36 Stölzl, Christoph Dr., Vorwort.<br />
In: Schattenspiel. München 1981, S. 7.<br />
37 vgl. Wahl (2004) S. 9.<br />
60 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
61
3.1 EIN SYMPTOM WIRD ZUM SYMBOL<br />
62<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
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3.1 EIN SYMPTOM WIRD ZUM SYMBOL<br />
64<br />
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3.1 EIN SYMPTOM WIRD ZUM SYMBOL<br />
66<br />
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3.1 EIN SYMPTOM WIRD ZUM SYMBOL<br />
68<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
69
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
70<br />
3.2<br />
Praktische Arbeit:<br />
Die Filmkonserve begegnet<br />
<strong>de</strong>r Live-Aufführung.<br />
Ein Schattenspiel geht neue<br />
digitale Wege – eine alterna-<br />
tive Form <strong>de</strong>r Aufführung. Über <strong>de</strong>n eigenen Schatten springen – Digitales Schattenspiel<br />
Die zur theoretischen Abhandlung <strong>de</strong>s Themas entwickelte praktische Ar-<br />
beit lässt sich durch Worte und Bil<strong>de</strong>r nur begrenzt beschreiben. Ein grund-<br />
legen<strong>de</strong>s Merkmal ist die Echtzeit-Animation ein o<strong>de</strong>r mehrerer Schatten-<br />
figuren auf einer digitalen Bühne und das live Einspielen von filmischem<br />
Schattenmaterial in Kombination mit Musik und Geräuschen.<br />
Viele synthetische Bildwelten gehen in Richtung Konkretion und wer<strong>de</strong>n<br />
immer expliziter. Der „Preis“ ist eine gesteigerte Ein<strong>de</strong>utigkeit.<br />
Der Schatten ist ein Gestaltungsmittel, das bewusst auf die konkrete Zuord-<br />
nung verzichtet, um <strong>de</strong>r interpretatorischen Viel<strong>de</strong>utigkeit – <strong>de</strong>r Fantasie,<br />
wenn man so will – Raum zu geben.<br />
Die Ausgangsi<strong>de</strong>e war, das visuelle Erleben von Licht und Schatten, das die<br />
Menschen von alters her fasziniert und quasi vor ihren Füssen liegt, in sei-<br />
ner Verän<strong>de</strong>rlichkeit aufzunehmen und in einen neuen Kontext zu setzen,<br />
um damit Aussagen formulieren zu können. Das Spiel <strong>de</strong>s Schattens soll zu<br />
einem visuellen Ausdruckselement wer<strong>de</strong>n.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
71
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
72<br />
38 von <strong>de</strong>r Firma Macromedia<br />
Daraus entstan<strong>de</strong>n ist ein digitaler Schattenvi<strong>de</strong>o-Sound-Mixer, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r An-<br />
wen<strong>de</strong>r live bedienen kann. Vorbild und Inspirationsquelle ist <strong>de</strong>r Bühnen-<br />
wechsel bei Theater- o<strong>de</strong>r Schattenaufführungen, <strong>de</strong>r hier digital steuerbar<br />
gemacht wird.<br />
Im Grun<strong>de</strong> han<strong>de</strong>lt es sich um eine Art Baukasten, mit <strong>de</strong>m verschie<strong>de</strong>ne<br />
Schattenszenarien und Stimmungen erzeugt wer<strong>de</strong>n können. Dazu wur<strong>de</strong>n<br />
beson<strong>de</strong>rs reizvolle Schattenbewegungen gefilmt, nachbearbeitet und zu<br />
Loops umgebaut. Anschließend wur<strong>de</strong>n sie in das Multimedia Programm<br />
Director 38 eingefügt, mit Sound unterlegt und durch Tastenfunktionen<br />
bedienbar gemacht.<br />
Der Film- und Soundwechsel geht so ineinan<strong>de</strong>r über, dass auch kurzzeitige<br />
Einspielungen o<strong>de</strong>r schnelle Wechsel wirkungsvoll möglich sind.<br />
Der Vorteil eines solchen Baukastens liegt in seiner Erweiter- und Um-<br />
baufähigkeit. Einzelne Klänge o<strong>de</strong>r Musikstücke können als MP3-Dateien<br />
bequem, ohne Aufwand o<strong>de</strong>r Programmierkenntnis, <strong>de</strong>n Filmen neu zu-<br />
geordnet wer<strong>de</strong>n. Filmmaterial kann gegen statische Bil<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
Animationssequenzen im Quicktime-Format ausgetauscht o<strong>de</strong>r neu hin-<br />
zugefügt wer<strong>de</strong>n.<br />
Dieser Schattenfilm-Baukasten erzählt noch keine Geschichte. Die Schat-<br />
tenfilme geben durch ihre einzigartige Lichtsituation und Bewegungsform<br />
eine Dramaturgie vor. Sie sind allein genommen eine mögliche Ausdrucks-<br />
form für einen VJ (Vi<strong>de</strong>o Jockey) o<strong>de</strong>r zur Hintergrundbemalung einer Mu-<br />
sikperformance, Lesung etc. <strong>de</strong>nkbar.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
73
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
39 von <strong>de</strong>r Firma Kayzerfish, Ralf Hebecker<br />
Um eine Geschichte zu erzählen, braucht es einen Ort <strong>de</strong>r Handlung: die<br />
Bühne. So wie Lotte Reiniger mit ihren verschie<strong>de</strong>nen semitransparenten<br />
Schichten eine räumliche Tiefe erzeugen konnte, wer<strong>de</strong>n auch auf <strong>de</strong>r<br />
Bühne <strong>de</strong>s digitalen Schattenspiels zweidimensionale Flächen in einem<br />
dreidimensionalen Raum angeordnet. Dies geschieht mit Hilfe <strong>de</strong>r virtu-<br />
ellen Puppenbühne von Ether Puppets 39 , die auf Macromedia Director und<br />
Macromedia Shockwave basiert.<br />
Diese halbdurchscheinen<strong>de</strong>n Flächen entsprechen <strong>de</strong>n Folien, Stoffen o.ä.,<br />
welche bei manuellen Schattenspielen zwischen Lichtquelle und Schirm<br />
gehalten wer<strong>de</strong>n. Der einzige Unterschied ist die Lichtquelle, die bei einer<br />
digitalen Variante entwe<strong>de</strong>r von einem Beamer o<strong>de</strong>r Monitorlicht stammt.<br />
Die Bühne zeigt <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>s Geschehens, auf <strong>de</strong>m – wie sollte es an<strong>de</strong>rs sein<br />
– eine Schattenfigur ihr (Un-)Wesen treibt.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
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3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
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77
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
78<br />
Diese Figur soll, um die Live-Aufführbarkeit zu gewährleisten, in Echtzeit<br />
animierbar sein. Um das umzusetzen, habe ich zuerst eine Figur entworfen<br />
Experimentieren<br />
und sie anschließend, analog <strong>de</strong>r klassischen Schattenfiguren, in Einzelele-<br />
und<br />
mente (Glie<strong>de</strong>r) zerlegt, die anschließend beweglich wur<strong>de</strong>n. Diese Beweglichkeit<br />
wird im Rahmen von Ether Puppets durch eine Echtzeit-3D-Kinetik<br />
Präsentieren zum<br />
(„Havok“) umgesetzt, die <strong>de</strong>n einzelnen Elementen <strong>de</strong>r Figur bestimmte<br />
Alu,<br />
Bewegungsmöglichkeiten zuschreibt.<br />
aus<br />
Es gibt genauso wie bei einer klassischen Figur Gelenke und einen „Anfasser“,<br />
um die digitale Schattenfigur steuern zu können. Den klassischen<br />
Führungsstab, um <strong>de</strong>n Schatten-Darsteller in Position zu bringen, ersetzt<br />
„Figuren-Pendant“<br />
nun die Computer-Maus. (Bei mehreren Anfassern muss ein geeignetes<br />
analoge<br />
User-Interface, wie z.B. ein spezieller Joystick o.ä., entwickelt wer<strong>de</strong>n.) Das<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
79
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
80<br />
Die Schattenfigur ist neben ihrer eigenen Beweglichkeit in <strong>de</strong>r Lage, mit<br />
<strong>de</strong>n Bühnenelementen zu interagieren. Durch eine Kollisionsabfrage ist<br />
es weiter möglich, die Figur auf <strong>de</strong>m virtuellen Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bühne stehen,<br />
knien, sitzen o<strong>de</strong>r liegen zu lassen. Sie kann weiterhin in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
geholt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>mentsprechend größer erscheinen o<strong>de</strong>r immer klei-<br />
ner wer<strong>de</strong>nd in <strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>s Hintergrunds verschwin<strong>de</strong>n.<br />
Der gesamte Ablauf <strong>de</strong>s Schattenspiels kann durch eine Aufnahmefunktion<br />
aufgezeichnet wer<strong>de</strong>n. Neben <strong>de</strong>m Reiz <strong>de</strong>r Live-Aufführung gibt es so die<br />
Möglichkeit, das Schattenspiel vorzuproduzieren, um damit eine Serie,<br />
einen Trailer o.ä. herzustellen. Es könnte sowohl im Fernsehen als auch<br />
im Internet und als Einspieler auf DVDs o<strong>de</strong>r CD-ROMs eine Anwendung<br />
fin<strong>de</strong>n.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
81
3.2 ÜBER DEN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN – DIGITALES SCHATTENSPIEL<br />
82<br />
Interface zur Positionierung <strong>de</strong>r einzelnen<br />
Elemente innerhalb <strong>de</strong>r digitalen Schatten-<br />
bühne. Sind die halbtransparenten Schichten<br />
im Raum angeordnet und sind ihnen die<br />
Parameter (wie z.B. die Kollisionsabfrage)<br />
zugewiesen, kann es mit <strong>de</strong>m digitalen<br />
Schattenspiel losgehen. Es besteht die<br />
Möglichkeit <strong>de</strong>r Vorabaufzeichnung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Live-Einspielung.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
83
3.3 INS RECHTE LICHT GERÜCKT – RESÜMEE<br />
3.3<br />
Die symbolische Farbigkeit<br />
befähigt zur Konzentration<br />
auf das Wesentliche.<br />
Ins rechte Licht gerückt – Resümee<br />
Letztendlich geht es in dieser Arbeit um Wirkungsweisen <strong>de</strong>s Schattens,<br />
um seinen visuellen Ausdruck und um die Rollen, in die er zu schlüpfen im<br />
Stan<strong>de</strong> ist. Der Schatten ist ein Abbild <strong>de</strong>r Wirklichkeit. Das Spiel mit ihm<br />
ist ein Abbil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Abbil<strong>de</strong>s – eine doppelte Abstraktion <strong>de</strong>r Realität. Doch<br />
genau in dieser Abstrahiertheit können an<strong>de</strong>re Aussagen gemacht und an-<br />
<strong>de</strong>re Inhalte vermittelt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ein Symptom erhebt sich zum Symbol. Durch ein Weglassen von Details,<br />
durch die unkonkrete Form <strong>de</strong>r Darstellung wird das Bild einer bestimm-<br />
ten Person zur Silhouette eines Menschen, wird die scharfe Zeichnung einer<br />
Blume zum Archetyp einer Pflanze usw. Seine symbolische Aussagekraft<br />
hat <strong>de</strong>n Schatten berühmt gemacht. Er wur<strong>de</strong> zur Projektionsplattform<br />
zahlreicher Mythen und Geschichten und ist doch selbst eine Projektion<br />
<strong>de</strong>s Lichts – die an<strong>de</strong>re Wahrnehmungsform, die es ermöglicht, konzent-<br />
rierter auf das Wesentliche zu sehen.<br />
WENN DER SCHATTEN ZUM SCHATTEN SEINER SELBST WIRD<br />
84 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
85<br />
Mo<strong>de</strong>rnes Schattentheater „La Conica“, Spanien
QUELLEN<br />
Binger, Lothar und Hellemann, Susann,<br />
Schattenwelten. Zur Kulturgeschichte <strong>de</strong>s<br />
Schattens. Berlin 2001.<br />
Brandi, Christoph und Ulrike, Deutsches<br />
Architektur Museum Berlin, Ein Spazier-<br />
gang durch <strong>de</strong>n Schatten. In: Das Geheim-<br />
nis <strong>de</strong>s Schattens. Licht und Schatten in<br />
<strong>de</strong>r Architektur. Tübingen 2002.<br />
Brockhaus, F.A., Der neue Brockhaus.<br />
Album in fünf Bän<strong>de</strong>n. Wiesba<strong>de</strong>n 1958.<br />
Casati, Roberto, Die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s<br />
Schattens. Die faszinieren<strong>de</strong> Karriere einer<br />
rätselhaften Erscheinung. Berlin 2001.<br />
Chamisso, A<strong>de</strong>lbert von, Peter Schlemihls<br />
wun<strong>de</strong>rsame Geschichte. Frankfurt am<br />
Main 1973.<br />
Dunkel, Peter F., Schattenfiguren,<br />
Schattenspiel. Köln 1984.<br />
Flagge, Ingeborg, Deutsches Architektur<br />
Museum Berlin, Der dunkle Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Lichts. In: Das Geheimnis <strong>de</strong>s Schattens.<br />
Licht und Schatten in <strong>de</strong>r Architektur.<br />
Tübingen 2002.<br />
Gregor, Ulrich und Patalas, Enno,<br />
Geschichte <strong>de</strong>s Films. Hamburg 1976.<br />
Paerl, Hetty, Schattenspiel. Und das<br />
Spielen mit Silhouetten. München 1981.<br />
Reusch, Rainer, Internationales<br />
Schattenzentrum Schwäbisch Gmünd,<br />
Schattentheater. Band 2. Kunst und Tech-<br />
nik. Schwäbisch Gmünd 2001.<br />
86 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT<br />
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zentrum Schwäbisch Gmünd, Schatten-<br />
theater. Heft 2. Schwäbisch Gmünd 1994.<br />
Reusch, Rainer, Vom Pergament zum<br />
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Nr. 34. Köln 2004.<br />
Stölzl, Christoph Dr., Vorwort. In: Schatten-<br />
spiel. München 1981.<br />
Wahl, Chris Dr., Licht Gestalten. In: Schnitt.<br />
Das Filmmagazin. Nr. 34. Köln 2004.<br />
Wil<strong>de</strong>, Oscar, Der Fischer und seine Seele.<br />
In: Sämtliche Märchen und Erzählungen.<br />
Birsfel<strong>de</strong>n-Basel. 1970.<br />
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München 1994.<br />
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<strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
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Kytzler, Bernhard, Platons Mythen. Frank-<br />
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Moers 2002.<br />
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Platon, Sämtliche Werke. Band 2 –<br />
Politeia, Übers. v. Friedrich Schleiermacher.<br />
Tübingen 1994.<br />
QUELLEN<br />
87
DANK<br />
Ich möchte mich bei allen, die mir mit<br />
Rat und Tat zur Seite gestan<strong>de</strong>n haben,<br />
ganz herzlich bedanken. Ohne diese wäre<br />
meine Arbeit in dieser Form nicht möglich<br />
gewesen.<br />
Mein Dank gilt meinen Eltern, die mich<br />
während meines Studiums – und auch<br />
sonst – immer unterstützt haben.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re danke ich Kayzerfish, S.B..,<br />
Dorle und Michael Schmidt, Heike<br />
Haarmann, Christof Nakat, Peter Par<strong>de</strong>ike,<br />
Anne Andratzek, Ursula Gusenbauer und<br />
Knuth Hornbogen.<br />
88 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
89<br />
DANK
IMPRESSUM<br />
© 2004 Anja Engelke<br />
Kontakt: engelke@<strong>aenorm</strong>.<strong>de</strong><br />
Der Inhalt dieser Arbeit ist durch das<br />
Urheberrecht geschützt.<br />
Versicherung<br />
Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit<br />
selbstständig angefertigt habe und keine<br />
an<strong>de</strong>ren als die angegebenen und bei<br />
Zitaten kenntlich gemachten Quellen und<br />
Hilfsmittel benutzt habe.<br />
Köln, <strong>de</strong>n 24. Juni 2004<br />
90 DOKUMENTATION ZUR DIPLOMARBEIT <strong>SCHATTENSPIELE</strong> / ANJA ENGELKE / 2004<br />
91<br />
IMPRESSUM
Anja Engelke / Köln International School of Design / Diplom 2004