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Ist der Traum zu Ende bevor er begann? - Andreas Meusch

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– Gesundheitspolitische Analysen –<br />

09 / 2012<br />

Qualitätswettbew<strong>er</strong>b durch Selektivv<strong>er</strong>träge<br />

<strong>Ist</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>Traum</strong> <strong>zu</strong> <strong>Ende</strong> <strong>bevor</strong> <strong>er</strong> <strong>begann</strong>?<br />

von <strong>Andreas</strong> <strong>Meusch</strong>


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– Gesundheitspolitische Analysen –<br />

Qualitätswettbew<strong>er</strong>b durch Selektivv<strong>er</strong>träge<br />

<strong>Ist</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>Traum</strong> <strong>zu</strong> <strong>Ende</strong> <strong>bevor</strong> <strong>er</strong> <strong>begann</strong>?<br />

von <strong>Andreas</strong> <strong>Meusch</strong><br />

Ernücht<strong>er</strong>ung: Das ist die Bilanz von einem vi<strong>er</strong>tel Jahrhun<strong>d<strong>er</strong></strong>t selektiven<br />

Kontrahi<strong>er</strong>ens in <strong>d<strong>er</strong></strong> gesetzlichen Krankenv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung. Angefangen hatte es<br />

mit den Seehof<strong>er</strong>schen Neuordnungsgesetzen. Diese hatten 1997 mit dem § 63<br />

SGB V die Möglichkeit für die einzelnen Krankenkassen geschaffen, Modellvorhaben<br />

<strong>zu</strong>r Weit<strong>er</strong>entwicklung <strong>d<strong>er</strong></strong> V<strong>er</strong>sorgung durch<strong>zu</strong>führen. Ziel war es, den<br />

Qualitätswettbew<strong>er</strong>b <strong>zu</strong> stimuli<strong>er</strong>en und die Grenzen <strong>d<strong>er</strong></strong> Leistungssektoren<br />

<strong>zu</strong> üb<strong>er</strong>winden. Inzwischen sind nicht nur die Möglichkeiten des § 63 SGB V<br />

weit<strong>er</strong> gefasst, es gibt eine ganze Reihe von gesetzlichen Bestimmungen, die<br />

das selektive Kontrahi<strong>er</strong>en beför<strong>d<strong>er</strong></strong>n sollen:<br />

• die hausarztzentri<strong>er</strong>te V<strong>er</strong>sorgung (§ 73b SGB V),<br />

• die beson<strong>d<strong>er</strong></strong>e ambulante ärztliche V<strong>er</strong>sorgung (§ 73c SGB V),<br />

• die integri<strong>er</strong>ten V<strong>er</strong>sorgungsformen (§ 140a-d SGB V) sowie<br />

• formal auch die strukturi<strong>er</strong>ten Behandlungsprogramme (§ 137f-g SGB V),<br />

die de facto ab<strong>er</strong> üb<strong>er</strong>wiegend von allen Krankenkassen gemeinsam<br />

und einheitlich umgesetzt w<strong>er</strong>den.<br />

Die weitv<strong>er</strong>breitete Desillusioni<strong>er</strong>ung hat <strong>d<strong>er</strong></strong> Sachv<strong>er</strong>ständigenrat Gesundheit in seinem<br />

jüngsten Son<strong>d<strong>er</strong></strong>gutachten auf den Punkt gebracht: „Während es <strong>zu</strong>nächst gelang mit<br />

Hilfe dies<strong>er</strong> V<strong>er</strong>sorgungsformen eine integrative und wettbew<strong>er</strong>bliche Bewegung in<br />

die Gesundheitsv<strong>er</strong>sorgung <strong>zu</strong> bringen, setzte inzwischen eine gewisse Ernücht<strong>er</strong>ung<br />

ein. Diese liegt nicht nur an möglich<strong>er</strong>weise <strong>zu</strong> hohen Erwartungen, son<strong>d<strong>er</strong></strong>n auch an<br />

den Schwachstellen <strong>d<strong>er</strong></strong> jeweiligen Rahmenordnungen, die Effizienz- und Effektivitätsv<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>ungen<br />

entgegenstehen.“ 1 D<strong>er</strong> Rat for<strong>d<strong>er</strong></strong>t deshalb mehr Anreize für einen<br />

Wettbew<strong>er</strong>b, insbeson<strong>d<strong>er</strong></strong>e um eine bess<strong>er</strong>e V<strong>er</strong>sorgungsqualität. Auß<strong>er</strong>dem for<strong>d<strong>er</strong></strong>t <strong>d<strong>er</strong></strong><br />

Rat, die ambulante spezialärztliche V<strong>er</strong>sorgung (§ 116b SGB V) wettbew<strong>er</strong>blich aus<strong>zu</strong>gestalten<br />

wie das 2004 bis 2007 schon einmal <strong>d<strong>er</strong></strong> Fall war.<br />

Wie das Amen <strong>d<strong>er</strong></strong> Gemeinde in <strong>d<strong>er</strong></strong> Kirche <strong>d<strong>er</strong></strong> Predigt des Priest<strong>er</strong>s/Pfarr<strong>er</strong>s folgt, so folgt<br />

im profanen Alltag <strong>d<strong>er</strong></strong> Ernücht<strong>er</strong>ung die Suche nach dem Schuldigen. Jens Spahn von<br />

<strong>d<strong>er</strong></strong> CDU sieht den Schwarzen Pet<strong>er</strong> bei den Krankenkassen, die von den Möglichkeiten<br />

<strong>d<strong>er</strong></strong> integri<strong>er</strong>ten V<strong>er</strong>sorgung „g<strong>er</strong>ade<strong>zu</strong> fahrlässig wenig“ Gebrauch machten. 2 Klaus<br />

Jacobs vom WIdO bezieht sich direkt auf Spahn und kont<strong>er</strong>t: „Doch dabei behin<strong>d<strong>er</strong></strong>t <strong>d<strong>er</strong></strong><br />

Gesetzgeb<strong>er</strong> sie (die Einzelv<strong>er</strong>träge, A.M.) eh<strong>er</strong>, als dass <strong>er</strong> sie unt<strong>er</strong>stützt“ und beklagt<br />

den gesetzgeb<strong>er</strong>ischen „Stillstand in dies<strong>er</strong> Legislaturp<strong>er</strong>iode“. 3<br />

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Tatsächlich ist es nach Erhebungen des Sachv<strong>er</strong>ständigenrates Gesundheit unbestreitbar,<br />

dass die Möglichkeit von Einzelv<strong>er</strong>trägen nach § 140a-d SGB V – die mit 6339 V<strong>er</strong>trägen<br />

in 2011 die am häufigsten genutzt Einzelv<strong>er</strong>tragsoption – für die Krankenkassen als<br />

Instrument <strong>zu</strong>r Kostensenkung nur unt<strong>er</strong> f<strong>er</strong>n<strong>er</strong> liefen rangi<strong>er</strong>t: Platz 13 von 18 Optionen<br />

<strong>zu</strong>r Kostensenkung. 4 Die befragten 84 Krankenkassen v<strong>er</strong>weisen auß<strong>er</strong>dem auf eine<br />

Vielzahl reguli<strong>er</strong>ungsbedingt<strong>er</strong> Hemmnisse beim Abschluss von V<strong>er</strong>trägen:<br />

Quelle: SVR-Gesundheit<br />

Tatsächlich wurde <strong>d<strong>er</strong></strong> Aufwand für das Ausrollen von sektorüb<strong>er</strong>greifenden V<strong>er</strong>sorgungsv<strong>er</strong>trägen<br />

in <strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>er</strong>sten Euphorie dramatisch unt<strong>er</strong>schätzt. So ist man auch bei<br />

<strong>d<strong>er</strong></strong> Technik<strong>er</strong> Krankenkasse davon ausgegangen, dass <strong>zu</strong>nächst hohe V<strong>er</strong>waltungsaufwände<br />

g<strong>er</strong>echtf<strong>er</strong>tigt seien wie ja ein Prototyp im Automobilbau nicht <strong>zu</strong> marktgängigen<br />

Preisen gebaut w<strong>er</strong>den könne. Hohe V<strong>er</strong>waltungsaufwände wurden deshalb <strong>zu</strong>nächst als<br />

Zukunftsinvestitionen akzepti<strong>er</strong>t. Von den relativ einfachen Integrationsv<strong>er</strong>trägen z.B.<br />

in <strong>d<strong>er</strong></strong> Endoprothetik abgesehen hat es sich ab<strong>er</strong> als enorm aufwendig und <strong>zu</strong>m Teil als<br />

nicht realisi<strong>er</strong>bar <strong>er</strong>wiesen, einmal <strong>er</strong>arbeitete Konzepte einfach aus<strong>zu</strong>rollen. Wo dies<br />

gelingt, ist ein <strong>er</strong>heblich<strong>er</strong> Aufwand notwendig, um V<strong>er</strong>tragspartn<strong>er</strong> von Projekten <strong>zu</strong><br />

üb<strong>er</strong>zeugen und/o<strong>d<strong>er</strong></strong> diese an die jeweiligen regionalen Gegebenheiten an<strong>zu</strong>passen.<br />

Den folgenden Aussagen von Wissenschaftl<strong>er</strong>n des Greifswal<strong>d<strong>er</strong></strong> Instituts für Community<br />

Medicine, die innovative Konzepte für regionale V<strong>er</strong>sorgung unt<strong>er</strong>sucht haben, ist deshalb<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>stimmen:<br />

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„Die Organisation ein<strong>er</strong> regionalen V<strong>er</strong>sorgung ist somit abhängig von den regionalen<br />

Bedingungen, speziell davon, welche Akteure vorhanden sind und wie diese sich<br />

geografisch, üb<strong>er</strong> die Sektoren, üb<strong>er</strong> Professionen, üb<strong>er</strong> private und öffentliche Träg<strong>er</strong><br />

etc. v<strong>er</strong>teilen. Qualifikationen, Kapazität und Erreichbarkeit sind wichtige Randbedingungen“.<br />

5<br />

Für einen Praktik<strong>er</strong> aus den Krankenkassen ist dies ab<strong>er</strong> ein deutliches Warnschild: Hi<strong>er</strong><br />

drohen enorme Kosten an Zeit und Geld mit sehr unsich<strong>er</strong>em return on investment.<br />

Helmut Hildebrandt droht <strong>zu</strong>m Sysiphos des deutschen Gesundheitswesens <strong>zu</strong> w<strong>er</strong>den,<br />

<strong>d<strong>er</strong></strong> wi<strong>d<strong>er</strong></strong> diese Erfahrungen imm<strong>er</strong> wie<strong>d<strong>er</strong></strong> den Stein aufnimmt und den B<strong>er</strong>g hinan wälzt,<br />

sprich: v<strong>er</strong>sucht, die Erkenntnisse aus „seinem“ Kinzigtal-Projekt auf an<strong>d<strong>er</strong></strong>e deutsche<br />

Regionen <strong>zu</strong> üb<strong>er</strong>tragen. Camus beschreibt zwar die Glücksgefühle, die beim v<strong>er</strong>geblichen<br />

Rollen eines Steins auf den B<strong>er</strong>g entstehen in <strong>d<strong>er</strong></strong> sich<strong>er</strong>en Erkenntnis, dass <strong>er</strong><br />

wie<strong>d<strong>er</strong></strong> hinabrollt. Üb<strong>er</strong> die betriebswirtschaftliche Seite des Unt<strong>er</strong>fangens äuß<strong>er</strong>t <strong>er</strong> sich<br />

nicht.<br />

Die Probleme bei <strong>d<strong>er</strong></strong> Implementi<strong>er</strong>ung von selektivv<strong>er</strong>traglichen Regelungen sind damit<br />

ab<strong>er</strong> noch nicht abschließend beschrieben:<br />

• Wie v<strong>er</strong>meidet man Mitnahmeffekte? Die Frage ist nicht trivial, denn sie<br />

entscheidet in hohem Maße üb<strong>er</strong> Erfolg und Miss<strong>er</strong>folg eines V<strong>er</strong>trages. D<strong>er</strong> richtige<br />

Ein- bzw. Ausschluss von Patienten ist ein wissenschaftlich anspruchsvolles<br />

Vorhaben. W<strong>er</strong>den <strong>zu</strong> viele leichte Fälle eingeschlossen, freut sich <strong>d<strong>er</strong></strong> Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong><br />

üb<strong>er</strong> gutes Geld, für die Krankenkasse wird es ab<strong>er</strong> <strong>zu</strong> teu<strong>er</strong>. Umgekehrt<br />

muss eine gute V<strong>er</strong>tragspartn<strong>er</strong>schaft ab<strong>er</strong> auch sich<strong>er</strong>stellen, dass sich ein<br />

Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong> nicht ruini<strong>er</strong>t, wenn <strong>er</strong> schwi<strong>er</strong>ige Fälle behandelt. Dau<strong>er</strong>haft<br />

wird die V<strong>er</strong>tragspartn<strong>er</strong>schaft nur sein, wenn <strong>d<strong>er</strong></strong> Patientennutzen im Vor<strong>d<strong>er</strong></strong>grund<br />

steht, ab<strong>er</strong> Kasse wie Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong> die wirtschaftliche V<strong>er</strong>nunft des<br />

jeweils an<strong>d<strong>er</strong></strong>en respekti<strong>er</strong>en. Auß<strong>er</strong>dem muss sich<strong>er</strong>gestellt w<strong>er</strong>den, dass nur die<br />

Patienten eingeschlossen sind, die davon profiti<strong>er</strong>en können und wollen. Die<br />

fehlende Zielgenauigkeit von Steu<strong>er</strong>ungsansätzen wie den DMP-Programmen ist<br />

ein bislang nur unbefriedigend gelöstes Problem.<br />

• Um neue V<strong>er</strong>gütungselemente <strong>zu</strong> implementi<strong>er</strong>en und den Erfolg entsprechend<br />

<strong>zu</strong> evalui<strong>er</strong>en, braucht es exorbitantes Know-How und ausreichend<br />

Fallzahlen. Die Erhebung von statistisch signifikanten Daten <strong>er</strong>for<strong>d<strong>er</strong></strong>t große<br />

V<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>tenpopulationen. Dies können nur Marktteilnehm<strong>er</strong> ab ein<strong>er</strong> gewissen<br />

Größe leisten. Auß<strong>er</strong>dem gilt: D<strong>er</strong> Aufwand ist hoch, <strong>d<strong>er</strong></strong> Nutzen ist keineswegs<br />

sich<strong>er</strong>. 6 Das Datenproblem ist kein spezifisches Problem <strong>d<strong>er</strong></strong> sektorüb<strong>er</strong>greifenden<br />

V<strong>er</strong>träge, nicht einmal ein spezifisch deutsches. So kommt die Boston<br />

Consulting Group <strong>zu</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> Einsicht: „Translating concept into practice, howev<strong>er</strong>,<br />

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can be challenging. Gen<strong>er</strong>ally, the biggest hurdle is obtaining the necessary data,<br />

which must be in the right format and of sufficient quality for decision mak<strong>er</strong>s<br />

to disc<strong>er</strong>n critical relationships between investment and results.“ 7 Was int<strong>er</strong>national<br />

gilt, gilt unt<strong>er</strong> den Beson<strong>d<strong>er</strong></strong>heiten des Sozialdatenschutzes in <strong>d<strong>er</strong></strong> GKV in<br />

beson<strong>d<strong>er</strong></strong>em Maße.<br />

• Wie hoch darf <strong>d<strong>er</strong></strong> V<strong>er</strong>waltungs- und Controlling-Aufwand sein? Wie viel Zeit und<br />

Geld notwendig ist, um einen V<strong>er</strong>trag <strong>zu</strong> schließen, wurde oben b<strong>er</strong>eits ang<strong>er</strong>issen.<br />

Damit ist <strong>d<strong>er</strong></strong> Aufwand ab<strong>er</strong> noch nicht <strong>zu</strong> <strong>Ende</strong>. Zunächst ist Klaus Jacobs<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>stimmen, <strong>d<strong>er</strong></strong> auf die Dehnbarkeit von Diagnosen und unkontrolli<strong>er</strong>bare<br />

Mengen<strong>zu</strong>wächse als Problem hinweist, Selektivv<strong>er</strong>träge wirtschaftlich <strong>zu</strong><br />

gestalten. 8 Wie aufwendig die V<strong>er</strong>waltung und das Controlling von V<strong>er</strong>trägen<br />

sind, soll hi<strong>er</strong> am Beispiel <strong>d<strong>er</strong></strong> als unintelligent diffami<strong>er</strong>ten V<strong>er</strong>träge <strong>zu</strong>m<br />

Ambulanten Op<strong>er</strong>i<strong>er</strong>en beschrieben w<strong>er</strong>den. Diese müssen praktisch jährlich an<br />

sich än<strong>d<strong>er</strong></strong>nde Op-Kataloge angepasst w<strong>er</strong>den. Auß<strong>er</strong>dem führt <strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>er</strong>freulich<br />

schnelle medizinische Fortschritt da<strong>zu</strong>, dass heute sehr viele Op<strong>er</strong>ationen üb<strong>er</strong><br />

den EBM hinreichend finanzi<strong>er</strong>t sind, die vor kurzem nur durch finanzielle Incentives<br />

aus <strong>d<strong>er</strong></strong> stationären in die ambulante V<strong>er</strong>sorgung üb<strong>er</strong>führt w<strong>er</strong>den konnten.<br />

Die entsprechenden V<strong>er</strong>träge nach § 140a-d haben da<strong>zu</strong> einen wichtigen Beitrag<br />

geleistet. Eine Krankenkasse, die noch den gleichen Katalog von stations<strong>er</strong>setzenden<br />

Op<strong>er</strong>ationen <strong>zu</strong> den gleichen Konditionen wie vor fünf Jahren bedient,<br />

riski<strong>er</strong>t, V<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>tengel<strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>zu</strong> v<strong>er</strong>untreuen. D<strong>er</strong> Aufwand in <strong>d<strong>er</strong></strong> Pflege und im<br />

Controlling von V<strong>er</strong>trägen ist deshalb unv<strong>er</strong>meidlich, das setzt den break even<br />

ab<strong>er</strong> noch weit<strong>er</strong> in die Zukunft im Lebenszyklus eines V<strong>er</strong>trages und kann in<br />

V<strong>er</strong>bindung mit den übrigen Kostentreib<strong>er</strong>n da<strong>zu</strong> führen, dass sich ein V<strong>er</strong>trag<br />

nicht rechnet.<br />

• Aus <strong>d<strong>er</strong></strong> P<strong>er</strong>spektive <strong>d<strong>er</strong></strong> Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong> stellt sich nicht <strong>zu</strong> Unrecht die Frage,<br />

wie <strong>zu</strong> v<strong>er</strong>hin<strong>d<strong>er</strong></strong>n ist, dass eine Krankenkasse mit einem Mitbew<strong>er</strong>b<strong>er</strong> einen<br />

attraktiven V<strong>er</strong>trag schließt und nicht mit ihm. D<strong>er</strong> Ruf nach streng<strong>er</strong>en v<strong>er</strong>gab<strong>er</strong>echtlichen<br />

V<strong>er</strong>fahren ist deshalb nachvollziehbar. Auf eines sei ab<strong>er</strong> hingewiesen:<br />

das kostet Zeit und Geld.<br />

• Nachdem Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong>, Kassenhandl<strong>er</strong>, Statistik<strong>er</strong>, Controll<strong>er</strong> und Juristen<br />

also mit ein<strong>er</strong> gewissen B<strong>er</strong>echtigung ihre Rolle im selektiv-Kontrahi<strong>er</strong>en-Business<br />

reklami<strong>er</strong>en, können die Wissenschaftl<strong>er</strong> nicht abseits bleiben. Völlig <strong>zu</strong> Recht<br />

bedau<strong>er</strong>t deshalb <strong>d<strong>er</strong></strong> Sachv<strong>er</strong>ständigenrat Gesundheit, dass die V<strong>er</strong>träge nicht<br />

wissenschaftlich evalui<strong>er</strong>t w<strong>er</strong>den. Ordnungspolitisch ist das in <strong>d<strong>er</strong></strong> Tat <strong>zu</strong><br />

bedau<strong>er</strong>n. Neben dem cet<strong>er</strong>um censeo „das kostet Zeit und Geld kostet“ sei hi<strong>er</strong><br />

noch auf einen an<strong>d<strong>er</strong></strong>en ordnungspolitischen Effekt hingewiesen: Um entsprechende<br />

Fallzahlen <strong>zu</strong> bekommen, sind große V<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>tenpopulationen notwendig.<br />

Die obligatorische, wissenschaftliche Evaluation führt zwangsläufig auf eine<br />

albring & albring<br />

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Konzentration auf die großen Volkskrankheiten und auf die großen Krankenkassen.<br />

Regionale Play<strong>er</strong> auf Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong> wie auf Kassenseite w<strong>er</strong>den damit faktisch<br />

von dies<strong>er</strong> V<strong>er</strong>tragsform ausgeschlossen. <strong>Ist</strong> das ordnungspolitisch sinnvoll?<br />

• Die Hürden für den Abschluss von sektorüb<strong>er</strong>greifenden V<strong>er</strong>trägen w<strong>er</strong>den auch<br />

vom Bundesv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ungsamt (BVA) nach oben getrieben. Die sein<strong>er</strong> Aufsicht<br />

unt<strong>er</strong>stehenden Krankenkassen <strong>er</strong>hielten am 6. März 2012 ein Schreiben, in dem<br />

seine Anfor<strong>d<strong>er</strong></strong>ungen an genehmigungsfähige V<strong>er</strong>träge formuli<strong>er</strong>t w<strong>er</strong>den:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

„B<strong>er</strong>eits mit Üb<strong>er</strong>sendung des Selektivv<strong>er</strong>trages (ist) dar<strong>zu</strong>legen, auf<br />

welche Weise die stationäre V<strong>er</strong>gütung gesenkt wird. Ggf. v<strong>er</strong>einbarte<br />

Min<strong>d<strong>er</strong></strong><strong>er</strong>löse (§ 12 BPflV) bitten wir <strong>zu</strong> beziff<strong>er</strong>n.“<br />

„Anstieg <strong>d<strong>er</strong></strong> V<strong>er</strong>gütung (ist) lediglich um die V<strong>er</strong>än<strong>d<strong>er</strong></strong>ungsrate <strong>zu</strong>lässig.<br />

Mehrausgaben (sind) nur (<strong>zu</strong>lässig), wenn durch v<strong>er</strong>traglich abgesich<strong>er</strong>te<br />

o<strong>d<strong>er</strong></strong> b<strong>er</strong>eits <strong>er</strong>folgte Einsparungen in an<strong>d<strong>er</strong></strong>en Leistungsb<strong>er</strong>eichen<br />

ausgeglichen w<strong>er</strong>den“.<br />

„in <strong>d<strong>er</strong></strong> Regelv<strong>er</strong>sorgung inhaltlich und institutionell getrennte Behandlungen<br />

müssen unt<strong>er</strong> Zugrundelegung eines funktionalen Ansatzes miteinan<strong>d<strong>er</strong></strong><br />

v<strong>er</strong>zahnt w<strong>er</strong>den“.<br />

D<strong>er</strong> Aufwand für Krankenkassen, die unt<strong>er</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> Aufsicht des BVA stehen, und für<br />

Leistungs<strong>er</strong>bring<strong>er</strong> als V<strong>er</strong>tragspartn<strong>er</strong> wird so nach oben getrieben und langfristige<br />

Investitionen w<strong>er</strong>den unmöglich gemacht.<br />

• Warum sind die Ärzte nicht Motoren dies<strong>er</strong> Entwicklung, wenn die Kassen sie laut<br />

Spahn schon fahrlässig v<strong>er</strong>spielen? Den Grund lief<strong>er</strong>t <strong>d<strong>er</strong></strong> stellv<strong>er</strong>tretende Chefredakteur<br />

<strong>d<strong>er</strong></strong> Ärzte Zeitung, Helmut Laschet: „Unt<strong>er</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> Hand wird von V<strong>er</strong>tragsspezialisten,<br />

die insbeson<strong>d<strong>er</strong></strong>e Erfahrung mit dem Abschluss von Selektivv<strong>er</strong>trägen<br />

haben, <strong>zu</strong>gegeben, dass das finanzielle Sättigungsniveau <strong>d<strong>er</strong></strong> meisten<br />

Ärzte ein solches Ausmaß <strong>er</strong>reicht hat, dass Ärzte <strong>er</strong>st dann <strong>zu</strong> Leistungs- und<br />

Qualitätsanstrengungen b<strong>er</strong>eit sind, wenn das <strong>zu</strong> <strong>er</strong>wartende Honorarplus eine<br />

Größenordnung von etwa 20 Prozent <strong>er</strong>reicht“. 9<br />

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass <strong>d<strong>er</strong></strong> Aufwand für die Implementi<strong>er</strong>ung<br />

und Pflege von V<strong>er</strong>trägen <strong>zu</strong>r sektorüb<strong>er</strong>greifenden V<strong>er</strong>sorgung deutlich höh<strong>er</strong> ist als<br />

ursprünglich angenommen. Trotzdem ist die Tendenz ungebrochen, die notwendigen<br />

Aufwände weit<strong>er</strong> <strong>zu</strong> <strong>er</strong>höhen statt ab<strong>zu</strong>bauen. V<strong>er</strong>gab<strong>er</strong>echtlich saub<strong>er</strong>e V<strong>er</strong>fahren<br />

und wissenschaftliche Evaluation sind unbestreitbar wichtig, w<strong>er</strong>den ab<strong>er</strong> da<strong>zu</strong> führen,<br />

dass in Zukunft nur noch große Play<strong>er</strong> für große Volkskrankheiten solche V<strong>er</strong>träge<br />

machen können. Selbst da wird <strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>zu</strong> leistende Aufwand in vielen Fällen da<strong>zu</strong> führen,<br />

albring & albring<br />

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dass V<strong>er</strong>träge nicht geschlossen und V<strong>er</strong>sorgungsideen aus Kostengründen frühzeitig<br />

v<strong>er</strong>worfen w<strong>er</strong>den. Es sieht nicht gut aus für den Qualitätswettbew<strong>er</strong>b durch Selektivv<strong>er</strong>träge<br />

in Deutschland.<br />

Déjà vu? Die integri<strong>er</strong>te V<strong>er</strong>sorgung wie <strong>d<strong>er</strong></strong> dritte Stand im vorrevolutionären Frankreich sollen<br />

mehr Lasten tragen als sie <strong>zu</strong> tragen in <strong>d<strong>er</strong></strong> Lage sind. Hilft da nur noch eine Revolution? Vielleicht<br />

lassen sich Revolutionen v<strong>er</strong>meiden, wenn man l<strong>er</strong>nt, miteinan<strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>zu</strong> kommunizi<strong>er</strong>en. Einen<br />

V<strong>er</strong>such sollte es w<strong>er</strong>t sein. Sonst behält am <strong>Ende</strong> Karl Marx Recht, <strong>d<strong>er</strong></strong> feststellte, dass Tragödien<br />

in <strong>d<strong>er</strong></strong> Geschichte, wenn sie sich wie<strong>d<strong>er</strong></strong>holen, dies als Farce tun.<br />

albring & albring<br />

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Frage an Klaus Jacobs: Wie stellt <strong>er</strong> sich eine gesetzliche Regelung vor, die diese<br />

Probleme löst?<br />

Frage an Jens Spahn: <strong>Ist</strong> es wirklich fahrlässig, dass in den Krankenkassen mehr<br />

betriebswirtschaftliche V<strong>er</strong>nunft als v<strong>er</strong>sorgungspolitisch<strong>er</strong> Idealismus h<strong>er</strong>rschen?<br />

Warum wirft sich dann ein so gut<strong>er</strong> Kenn<strong>er</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> Mat<strong>er</strong>ie wie Klaus Jacobs so für die<br />

Einzelv<strong>er</strong>träge ins Zeug wie <strong>er</strong> das mit seinem Aufsatz üb<strong>er</strong> den Wettbew<strong>er</strong>b in Fesseln<br />

getan hat? Natürlich hat das etwas mit dem <strong>bevor</strong>stehenden Bundestagswahlkampf<br />

und <strong>d<strong>er</strong></strong> Hoffnung auf ein SPD-geführtes Gesundheitsminist<strong>er</strong>ium <strong>zu</strong> tun. Seinen Beitrag<br />

darauf <strong>zu</strong> reduzi<strong>er</strong>en, griffe ab<strong>er</strong> <strong>zu</strong> kurz. Sein Bild von ein<strong>er</strong> <strong>zu</strong>künftigen Wettbew<strong>er</strong>bsordnung<br />

ist konsistent, losgelöst von politischen Konstellationen auf Bundesebene.<br />

Sein Engagement ist v<strong>er</strong>blüffend einfach <strong>er</strong>klärt: Die von ihm skizzi<strong>er</strong>te Wettbew<strong>er</strong>bsordnung<br />

nutzt <strong>d<strong>er</strong></strong> AOK am meisten. Nicht <strong>er</strong>wähnt in seinem Aufsatz ist eine Fessel<br />

des Wettbew<strong>er</strong>bs: Wenn Krankenhäus<strong>er</strong> üb<strong>er</strong>legen, mit ein<strong>er</strong> an<strong>d<strong>er</strong></strong>en Krankenkasse als<br />

dem „Hauptbeleg<strong>er</strong>“ einen Selektivv<strong>er</strong>trag ab<strong>zu</strong>schließen, müssen sie selbstv<strong>er</strong>ständlich<br />

ins Kalkül ziehen, wie <strong>d<strong>er</strong></strong> Hauptbeleg<strong>er</strong> reagi<strong>er</strong>en wird. Die Rechnungszahlung auch<br />

nur 24 Stunden <strong>zu</strong> v<strong>er</strong>zög<strong>er</strong>n o<strong>d<strong>er</strong></strong> die MDK-Prüfquoten <strong>zu</strong> steig<strong>er</strong>n, allein das Risiko<br />

ist für den einen o<strong>d<strong>er</strong></strong> die an<strong>d<strong>er</strong></strong>e V<strong>er</strong>waltungsleit<strong>er</strong>in ein<strong>er</strong> Klinik schon ein Argument,<br />

den int<strong>er</strong>essanten Selektivv<strong>er</strong>trag dann doch nicht ab<strong>zu</strong>schließen. Die economies of<br />

scale sind Erkenntnisse aus <strong>d<strong>er</strong></strong> betriebswirtschaftlichen Propädeutik. Klaus Jacobs hat<br />

einfach eine v<strong>er</strong>nünftige Vorstellung davon, wem ein solch<strong>er</strong> Wettbew<strong>er</strong>b am meisten<br />

nutzen wird. Die Marktmacht <strong>d<strong>er</strong></strong> AOK ist also ein Hin<strong>d<strong>er</strong></strong>nis für die Weit<strong>er</strong>entwicklung<br />

des Einzelv<strong>er</strong>tragswettbew<strong>er</strong>bs.<br />

<strong>Ist</strong> das also <strong>d<strong>er</strong></strong> Abgesang auf den selektivv<strong>er</strong>traglichen Qualitätswettbew<strong>er</strong>b? Das muss<br />

nicht sein. Es ist eine Standortbestimmung, die auffor<strong>d<strong>er</strong></strong>t, die Realität im deutschen<br />

Gesundheitswesen <strong>zu</strong>r Kenntnis <strong>zu</strong> nehmen und daraus Schlüsse <strong>zu</strong> ziehen. Da<strong>zu</strong> gehört,<br />

dass es jenseits von Rabattv<strong>er</strong>trägen lediglich Nischen gibt, in denen sektorüb<strong>er</strong>greifende<br />

V<strong>er</strong>sorgung funktioni<strong>er</strong>t. Die Hoffnungen, üb<strong>er</strong> sektorüb<strong>er</strong>greifende V<strong>er</strong>träge Kostenvorteile<br />

<strong>zu</strong> gen<strong>er</strong>i<strong>er</strong>en, sind angesichts <strong>d<strong>er</strong></strong> faktischen und rechtlich gebotenen Aufwände<br />

auf ausgewählte Aspekte begrenzt. Es spricht einiges dafür, dass die Einführung von<br />

Managed Care Elementen in das deutsche Gesundheitswesen nicht <strong>zu</strong> den Einspareffekten<br />

wie in an<strong>d<strong>er</strong></strong>en Län<strong>d<strong>er</strong></strong>n führt. Ob dies <strong>zu</strong> bedau<strong>er</strong>n o<strong>d<strong>er</strong></strong> <strong>zu</strong> begrüßen ist, bleibt<br />

dahingestellt mit Blick auf die Rationi<strong>er</strong>ungseffekte, die im stringenten Gatekeeping von<br />

Managed Care inhärent sind. Wenn man v<strong>er</strong>sorgungspolitisch z.B. die V<strong>er</strong>sorgungsdefizite<br />

an den Sektorengrenzen lösen will, dann ist dies eine an<strong>d<strong>er</strong></strong>e Diskussion. Dann<br />

geht es wenig<strong>er</strong> um Anschubfinanzi<strong>er</strong>ungen, dann muss dau<strong>er</strong>haft mit höh<strong>er</strong>en Kosten<br />

g<strong>er</strong>echnet w<strong>er</strong>den. Will man analog <strong>zu</strong>r Programmkostenpauschale bei den DMPs eine<br />

V<strong>er</strong>zahnungspauschale, um die Aufwände bei <strong>d<strong>er</strong></strong> Üb<strong>er</strong>windung <strong>d<strong>er</strong></strong> Sektorengrenzen <strong>zu</strong><br />

finanzi<strong>er</strong>en? Man darf auf eine entsprechende Diskussion gespannt sein.<br />

albring & albring<br />

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Zweifel darf man auch daran haben, dass durch die V<strong>er</strong>än<strong>d<strong>er</strong></strong>ung von Paragrafen - auch<br />

wenn dies <strong>zu</strong> Schaffung eines ordnungspolitischen Rahmens stilisi<strong>er</strong>t wird - das Problem<br />

nachhaltig gebess<strong>er</strong>t wird. Seit dem <strong>er</strong>sten Kostendämpfungsgesetz von 1977 wird seit<br />

nunmehr üb<strong>er</strong> 35 Jahren durch Paragrafen v<strong>er</strong>zahnt, v<strong>er</strong>netzt und integri<strong>er</strong>t. Das neuste<br />

Son<strong>d<strong>er</strong></strong>gutachten des Sachv<strong>er</strong>ständigenrates Gesundheit macht deutlich, wie wenig wir<br />

hi<strong>er</strong> vorangekommen sind. Die Steu<strong>er</strong>ungsfähigkeit des Rechts üb<strong>er</strong> die Realität <strong>d<strong>er</strong></strong><br />

V<strong>er</strong>sorgung ist offenkundig begrenzt. O<strong>d<strong>er</strong></strong> um es mit Watzlawik <strong>zu</strong> sagen: W<strong>er</strong> nur<br />

einen Hamm<strong>er</strong> hat, dem ist jedes Problem ein Nagel. Deswegen sollte man wenig<strong>er</strong> mit<br />

imm<strong>er</strong> neuen Paragrafen auf das Gesundheitswesen einhämm<strong>er</strong>n als das Problem dort<br />

an<strong>zu</strong>gehen, wo es auch <strong>d<strong>er</strong></strong> Sachv<strong>er</strong>ständigenrat Gesundheit v<strong>er</strong>ortet: In den Mau<strong>er</strong>n<br />

in den Köpfen <strong>d<strong>er</strong></strong> Ärzte. 10<br />

Wie schw<strong>er</strong> es ist, <strong>er</strong>folgreiche Kommunikation z.B. zwischen ambulant und stationär<br />

tätigen Ärzten <strong>zu</strong> organisi<strong>er</strong>en, das <strong>er</strong>leben auch die Kliniken und Klinikketten, die<br />

üb<strong>er</strong> eine bess<strong>er</strong>e Zusammenarbeit zwischen den Sektoren sich neue Marktchancen<br />

<strong>er</strong>schließen wollen.<br />

All<strong>er</strong>dings greift es <strong>zu</strong> kurz, die Mau<strong>er</strong>n in den Köpfen nur bei den Ärzten wahr<strong>zu</strong>nehmen:<br />

Die Üb<strong>er</strong>for<strong>d<strong>er</strong></strong>ung durch die Komplexität <strong>d<strong>er</strong></strong> Kommunikationssituationen gilt<br />

für alle Akteure. „Von <strong>d<strong>er</strong></strong> Unfähigkeit <strong>zu</strong> kommunizi<strong>er</strong>en“ gilt als Diagnose für das<br />

gesamte Gesundheitswesen trotz sein<strong>er</strong> enormen Geschwätzigkeit. 11<br />

Fazit:<br />

Es ist so banal in <strong>d<strong>er</strong></strong> Diagnose wie bislang ungelöst in <strong>d<strong>er</strong></strong> Praxis: Wie lässt sich die<br />

Chance auf <strong>er</strong>folgreiche Kommunikation v<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>n, wenn die Vorgaben in <strong>d<strong>er</strong></strong> Form von<br />

Paragrafen gemacht w<strong>er</strong>den, es imm<strong>er</strong> ums liebe Geld geht und <strong>d<strong>er</strong></strong> Patient sitzt da und<br />

hat Schm<strong>er</strong>zen. Hi<strong>er</strong> liegen die individuellen wie institutionellen Üb<strong>er</strong>for<strong>d<strong>er</strong></strong>ungen, die<br />

alle Akteure und Akteursgruppen im Gesundheitswesen betreffen. Die Unfähigkeit <strong>zu</strong><br />

kommunizi<strong>er</strong>en ist mindestens eine so große Ursache für Steu<strong>er</strong>ungsdefizite im Gesundheitswesen<br />

wie die Defizite in den Anreizstrukturen und den wettbew<strong>er</strong>blichen Rahmenbedingungen.<br />

Die Unfähigkeit <strong>zu</strong> kommunizi<strong>er</strong>en kann krank machen: „D<strong>er</strong> Psychoanalytik<strong>er</strong><br />

könnte von <strong>d<strong>er</strong></strong> repeat p<strong>er</strong>formance sprechen, ein<strong>er</strong> zwanghaft wie<strong>d<strong>er</strong></strong>holten<br />

Realitätsv<strong>er</strong>weig<strong>er</strong>ung. Das ist jedenfalls <strong>d<strong>er</strong></strong> Eindruck, <strong>d<strong>er</strong></strong> sich in letzt<strong>er</strong> Zeit öft<strong>er</strong>s<br />

angesichts des V<strong>er</strong>haltens <strong>d<strong>er</strong></strong> politischen Klasse in <strong>d<strong>er</strong></strong> Bundesrepublik aufdrängt.“ D<strong>er</strong><br />

Satz stammt zwar aus völlig an<strong>d<strong>er</strong></strong>em Kontext 12 , beschreibt ab<strong>er</strong> <strong>zu</strong>treffend, dass an<br />

eingeschlagenen Wegen weit<strong>er</strong> festgehalten wird, obwohl es keine Plausibilität gibt, dass<br />

damit das Problem üb<strong>er</strong>haupt v<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>t wird. Seit üb<strong>er</strong> 35 Jahren wird v<strong>er</strong>sucht, üb<strong>er</strong><br />

imm<strong>er</strong> neue Paragrafen die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen <strong>zu</strong> v<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>n. Die<br />

Ergebnisse sind <strong>er</strong>nücht<strong>er</strong>nd. Dennoch wird es weit<strong>er</strong> Paragrafen geben, die genau das<br />

v<strong>er</strong>suchen. Es hilft bei ein<strong>er</strong> Virusinfektion auch wenig, die Antibiotika-Dosis <strong>zu</strong> <strong>er</strong>höhen<br />

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– Gesundheitspolitische Analysen –<br />

o<strong>d<strong>er</strong></strong> auf ein an<strong>d<strong>er</strong></strong>es Antibiotikum um<strong>zu</strong>stellen. Wenn die Probleme in <strong>d<strong>er</strong></strong> Unfähigkeit<br />

<strong>zu</strong> <strong>er</strong>folgreich<strong>er</strong> Kommunikation liegen, dann helfen auch neue Paragrafen nichts. Wie<br />

die Falsch- und Üb<strong>er</strong>anwendung von Antibiotika die Resistenzen steigen lässt und so<br />

mehr Schaden als Nutzen stiften, so gilt dies auch für neue Paragrafen: Das Risiko ist<br />

groß, dass die Akteure im Gesundheitswesen durch imm<strong>er</strong> neue Rechtsän<strong>d<strong>er</strong></strong>ungen<br />

z<strong>er</strong>mürbt, „resistent“ w<strong>er</strong>den und die Bindungswirkung des Rechts weit<strong>er</strong> <strong>zu</strong>rückgeht.<br />

Wie schaffen wir es, die Chancen auf <strong>er</strong>folgreiche Kommunikation im Gesundheitswesen<br />

<strong>zu</strong> v<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>n, zwischen Arzt und Patient, zwischen Ärzten und Ihren Funktionären,<br />

zwischen diesen allen sowie mit <strong>d<strong>er</strong></strong> Politik und den Krankenkassen? - Das wird eine<br />

Schlüsselfrage für die Zukunftsfähigkeit nicht nur uns<strong>er</strong>es Gesundheitswesens sein.<br />

Dr. <strong>Andreas</strong> <strong>Meusch</strong><br />

Mühlenkamp 33<br />

22303 Hamburg<br />

mail@andreas-meusch.de<br />

Bitte besuchen Sie uns auch unt<strong>er</strong> www.implicon.de. Hi<strong>er</strong> finden Sie unt<strong>er</strong> <strong>d<strong>er</strong></strong> Rubrik<br />

„News“ die wichtigsten gesundheitspolitischen Nachrichten des letzten Monats.<br />

Impressum:<br />

H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong><br />

Dr. med. Manfred Albring<br />

Tel.: 030/431 02 95<br />

Redaktion<br />

Helmut Laschet (v<strong>er</strong>antwortlich)<br />

Anschrift<br />

Warnau<strong>er</strong> Pfad 3<br />

13503 B<strong>er</strong>lin<br />

Layout<br />

Dr. r<strong>er</strong>. nat. Kai Albring<br />

albring & albring<br />

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– Gesundheitspolitische Analysen –<br />

1<br />

Sachv<strong>er</strong>ständigenrat <strong>zu</strong>r Begutachtung <strong>d<strong>er</strong></strong> Entwicklung im Gesundheitswesen: Son<strong>d<strong>er</strong></strong>gutachten<br />

2012 (Wettbew<strong>er</strong>b an <strong>d<strong>er</strong></strong> Schnittstelle zwischen ambulant<strong>er</strong> und stationär<strong>er</strong><br />

Gesundheitsv<strong>er</strong>sorgung), Rz 184 http://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=378<br />

2<br />

Jens Spahn im Int<strong>er</strong>view mit <strong>d<strong>er</strong></strong> Ärzte Zeitung vom 21. Juli 2012<br />

3 Jacobs, Klaus: Wettbew<strong>er</strong>b in Fesseln, in: Gesundheit und Gesellschaft, Ausgabe 7-<br />

8/2012, S. 25-29<br />

3<br />

Wille, Eb<strong>er</strong>hard; Thüsing, Gregor: Wettbew<strong>er</strong>b an <strong>d<strong>er</strong></strong> Schnittstelle zwischen ambulant<strong>er</strong><br />

und stationär<strong>er</strong> Gesundheitsv<strong>er</strong>sorgung, Folie 9 Antworten von 87 befragten Krankenkassen<br />

http://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/us<strong>er</strong>_upload/Aktuelles/2012/Vortrag_Wille_<br />

Thuesing.pdf<br />

4<br />

Hoffmann, Wolfgang; van den B<strong>er</strong>g, Neeltje: Gesundheitliche V<strong>er</strong>sorgung in <strong>d<strong>er</strong></strong> Region,<br />

in: Klein, Bodo; Well<strong>er</strong> Michael (Hrsg.): Mast<strong>er</strong>plan Gesundheitswesen 2020, Baden-<br />

Baden 2012; S. 87-103, S. 102<br />

5<br />

Beispiel für V<strong>er</strong>suche hi<strong>er</strong><strong>zu</strong> finden sich z.B.: Klusen, Norb<strong>er</strong>t; <strong>Meusch</strong>, <strong>Andreas</strong>; Piesk<strong>er</strong>,<br />

Juliane: Pay for P<strong>er</strong>formance – we<strong>d<strong>er</strong></strong> Königs- noch Holzweg, in: Klusen/<strong>Meusch</strong>/Thiel<br />

(Hrsg.): Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Baden-Baden 2011, S. 89-116,<br />

insb. S. 99-115<br />

6<br />

Rexin, Burkhard: „Arztnetze sind Leuchttürme <strong>d<strong>er</strong></strong> V<strong>er</strong>sorgung“. Int<strong>er</strong>view mit dem<br />

Vorsitzenden <strong>d<strong>er</strong></strong> Agentur Deutsch<strong>er</strong> Arztnetze, Veit Wambach, in: Gesundheit und<br />

Gesellschaft, Ausgabe 9/2012, S. 38-41<br />

7<br />

Kennedy, Simon; Larsson, Stefan; Lawy<strong>er</strong>, Pet<strong>er</strong>: Information Strategy for Value-<br />

Based Health Care, in: bcg.p<strong>er</strong>spectives vom 30. August 2012 https://www.bcgp<strong>er</strong>spectives.com/content/articles/information_technology_strategy_health_care_pay<strong>er</strong>s_<br />

provi<strong>d<strong>er</strong></strong>s_information_strategy_value_based_health_care/<br />

8<br />

Jacobs, Klaus: Wettbew<strong>er</strong>b in Fesseln, in: Gesundheit und Gesellschaft, Ausgabe 7-<br />

8/2012, S. 28<br />

9<br />

Laschet, Helmut: Honorarpolitik ohne Konsistenz, in: Implicon. Gesundheitspolitische<br />

Analysen Nr. 8/2012, S. 6f<br />

10<br />

s. da<strong>zu</strong>: Ärzte Zeitung vom 21. Juli 2012<br />

11<br />

weit<strong>er</strong>führend da<strong>zu</strong>: <strong>Meusch</strong>, <strong>Andreas</strong>: Moral Hazard in <strong>d<strong>er</strong></strong> gesetzlichen Krankenv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung<br />

in politikwissenschaftlich<strong>er</strong> P<strong>er</strong>spektive, Baden-Baden 2011, s. insb. S. 57-61<br />

sowie 440-442<br />

12<br />

Wehl<strong>er</strong>, Hans-Ulrich: Sarazzin-Debatte: Ein Buch trifft ins Schwarze, in: Die Zeit vom<br />

7. Oktob<strong>er</strong> 2010.<br />

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