Die Botschaft der Wellen
Seemannsgarn, Spökenkiekerei, Fantasie? - Eine Kurzgeschichte über einen Mann am Meer und das Wasser...
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Maruschya Markovic<br />
<strong>Die</strong> <strong>Botschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Wellen</strong><br />
- eine Geschichte -<br />
© 2011 Maruschya Markovic<br />
Bild: www.pixabay.com<br />
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Peter und die <strong>Botschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Wellen</strong><br />
Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein kleiner Schatten direkt<br />
links vor seinen Augen zur Erde sauste. Blitzschnell drehte er<br />
den Kopf herunter und sah – einen Klecks Möwenschiet, <strong>der</strong><br />
unmittelbar vor seiner linken Fußspitze leuchtend weiß ins<br />
Gras geklatscht war.<br />
Peter lachte. „Na, Emma, da hab ich ja gerade noch mal Glück<br />
gehabt, dass du nicht besser gezielt und meinen Kopf<br />
getroffen hast!“ Und dann suchte er die Übeltäterin, die<br />
schon längst weitergesegelt war und nun zusammen mit<br />
einigen an<strong>der</strong>en Möwen über <strong>der</strong> Mole des kleinen Hafens<br />
durch die Luft glitt. <strong>Die</strong> Krabbenkutter, die eben von <strong>der</strong> Fahrt<br />
zurückgekommen waren, und nun anfingen, ihren Fang<br />
auszuladen, lockten immer mehr <strong>der</strong> futtersuchenden weißen<br />
Vögel an. Gellende Schreie begleiteten ihre Sturzflüge, wenn<br />
sie auf eine vermeintliche Beute herabstießen.<br />
Gelassen beobachtete Peter ein Weilchen das geschäftige<br />
Treiben um die bunten Kutter, sah zu, wie die Kisten mit<br />
ihrem rosa glänzenden Inhalt von den dickbäuchigen kleinen<br />
Schiffen in große, auf dem Kai wartende LKWs verladen<br />
wurden, schmunzelte über die Touristen, die, wie er vor<br />
einigen Tagen, neugierig den Fischern Fragen stellten und<br />
Fotos von <strong>der</strong> malerischen Kulisse machten. Er freute sich mit<br />
den zufrieden strahlenden Leuten, die dann mit prallen<br />
Plastiktüten voll frischer Krabben, o<strong>der</strong> auch „Granat“, wie<br />
man hier sagte, von dannen zogen.<br />
Ja, das alles hatte ihn zu Anfang seines Urlaubs hier an <strong>der</strong><br />
„Costa Granata“ auch mächtig interessiert. Nun war seine<br />
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Wissbegierde über den Krabbenfang erst mal gestillt, und er<br />
genoss entspannt die ruhigen Tage zu Ende des Oktobers, den<br />
blauen Himmel, die weite Landschaft, die Ruhe, und den<br />
steifen Wind, <strong>der</strong> ihm um die Ohren fegte. Trotz des klaren<br />
Wetters war es ganz schön kalt hier oben auf dem Deich, und<br />
er zog noch mal seine schwarze Wollmütze fester auf die<br />
Ohren.<br />
Heute zog ihn <strong>der</strong> kleine Leuchtturm am Ende des Hafens wie<br />
magisch an. Seine breiten schwarzen und weißen Ringe<br />
leuchteten klar und irgendwie verheißungsvoll in <strong>der</strong> hellen<br />
Sonne und schienen ihm zu signalisieren „Na, nun komm<br />
schon her!“<br />
Peter folgte dem stillen Ruf, ja, ihm war so, als könne er gar<br />
nicht an<strong>der</strong>s. Seine Füße schienen wie an Schnüren<br />
angebunden zum Leuchtturm hingezogen zu werden. Als er<br />
näher gekommen war, ließ er seine Augen an dessen dickem<br />
Körper nach oben wan<strong>der</strong>n, zur Reling um die schmale<br />
Aussichtsplattform ganz oben. Von dort oben musste man ja<br />
einen herrlichen Blick aufs Meer und die Küste haben – es<br />
wäre eine echte Perspektiverweiterung! Von einer<br />
unerklärlichen Spannung erfüllt wan<strong>der</strong>te er um den Turm<br />
herum, und sah zu seiner Freude, dass unten einladend die<br />
feste Stahltür offen stand.<br />
Ein wettergegerbter, windzerzauster Mann lehnte rauchend<br />
daneben an <strong>der</strong> Wand. Aha, das war wohl <strong>der</strong><br />
Leuchtturmwärter! Peter begrüßte ihn mit einem kurzen<br />
„Moin“ und bat ihn um Feuer, dann standen sie eine Weile<br />
schweigend und rauchend nebeneinan<strong>der</strong> und blickten auf<br />
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die See hinaus. Es war Flut, und das Wasser schwappte träge<br />
gegen die braungrünen Steine <strong>der</strong> Deichbefestigung. „Is ´n<br />
scheuener, friedlicher Dag heute, hast Glück!“ unterbrach <strong>der</strong><br />
Leuchtturmwärter die Stille. „Willst mol mit hoch kommen?“<br />
Peter traute seinen Ohren kaum, als er durch das Pfeifen des<br />
Windes hindurch diese Einladung hörte! Der wortkarge Mann<br />
hatte wohl seinen stillen Wunsch erraten. Er nickte nur, und<br />
einvernehmlich machten die beiden Männer ihre Kippen aus.<br />
Dann stiegen sie die schmale eiserne Wendeltreppe hoch und<br />
traten nach draußen auf das Gitter <strong>der</strong> Plattform.<br />
Peter stemmte sich gegen den schneidenden Wind und hielt<br />
sich am Gelän<strong>der</strong> fest – Mensch, zerrte <strong>der</strong> Wind hier an<br />
einem! Man gut, dass er eine Mütze auf hatte!<br />
Und wie<strong>der</strong> schauten sie beide wortlos lange Zeit auf den<br />
diesigen Horizont, auf die verschwommenen Konturen <strong>der</strong><br />
großen, weit draußen vorbeiziehenden Schiffe, und auf das<br />
graue, in langen Wogen in die Hafeneinfahrt flutende Wasser.<br />
Peter leckte sich über die Lippen, die von <strong>der</strong> Meeresluft ganz<br />
salzig schmeckten, und überließ sich einfach den Geräuschen<br />
des Windes und dem grandiosen Ausblick.<br />
Das monotone Sausen des Windes und die graue Weite <strong>der</strong><br />
See, die sich unergründlich und teilnahmslos vor ihm<br />
ersteckte und an <strong>der</strong> Kim milchig in den Himmel überging,<br />
nahmen ihn gefangen und lullten ihn ein. Er vergaß den Mann<br />
an seiner Seite, und versank in seinen äußeren und inneren<br />
Bil<strong>der</strong>n.<br />
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Plötzlich verän<strong>der</strong>te sich das Meer! Er sah rund um sich<br />
herum tosende Brecher, die sich hoch auftürmten zu<br />
nachtdunklen Wasserwänden. Fahl schimmernde,<br />
grünlichweiße Gischtfetzen tanzten einen tödlichen Reigen<br />
auf ihnen, bevor sie wie<strong>der</strong> zusammenbrachen und sich in<br />
bedrohliche Schwärze auflösten. <strong>Die</strong> See tobte, hohe,<br />
fauchende Wasserberge stürzten in abgründige <strong>Wellen</strong>täler,<br />
das Meer war ein einziges, brodelndes und drohendes<br />
Ungeheuer! Ein heftiger Sturm jagte am Himmel schwarze<br />
Wolkenmassen vor sich her, dröhnte und wütete über den<br />
schäumenden Fluten. Weiter draußen kämpften Kutter gegen<br />
die Attacken des Sturmes, taumelten hilflos auf den Wogen,<br />
und verschwanden hin und wie<strong>der</strong> völlig in den tiefen Tälern<br />
<strong>der</strong> gierigen Brecher, als seien sie Spielzeug in den Händen<br />
von Untieren aus <strong>der</strong> Tiefe.<br />
Wie in einem Alptraum gefangen, drehte Peter sich um, und<br />
schaute zurück zur Küste. Küste? Auch da, wo eben noch <strong>der</strong><br />
Hafen, die Mole, <strong>der</strong> Deich gewesen war, sah er nur Wasser!<br />
Überall hin hatten sich die gefräßigen Wassermassen<br />
ergossen! Er erschau<strong>der</strong>te, lehnte sich vorsichtig, die Hände<br />
fest um das Gelän<strong>der</strong> geklammert, ein kleines Stück vor, und<br />
lugte am Leuchtturm hinab. – Er stand auf einer winzigen<br />
grasbedeckten Insel, die von allen Seiten von<br />
gischtbrodelnden Brechern angegriffen wurde!<br />
„Mein Gott, was ist das??“ fragte er sich angstvoll, „Eben<br />
noch war doch alles ganz friedlich!“ Da zuckte er zusammen:<br />
im alles verdunkelnden Sturm sah er mitten im kochenden,<br />
brüllenden Meer plötzlich etwas hell schimmern. Er kniff die<br />
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Augen zusammen und versuchte, sich auf die Stelle im<br />
Wasser zu konzentrieren. Da schien ein Stück Holz auf den<br />
Wogen zu reiten. Und es schien zu leuchten… Angespannt<br />
verfolgte er dessen wirbelnden Weg, <strong>der</strong> immer näher zum<br />
Leuchtturm hinführte. Dann erspähte er, dass auf dieser<br />
hilflos den Gewalten ausgesetzten Planke ein kleines Bündel<br />
lag. Von ihm ging das Leuchten aus! Und er konnte erkennen,<br />
dass sich das Bündel bewegte… Ein Schrei entfuhr ihm.<br />
Da spürte er eine Hand auf seinem Arm, und schrak aus<br />
seiner alptraumhaften Vision auf. Noch ganz benommen<br />
zwinkerte er heftig mit den Augen, fuhr sich mit <strong>der</strong> Hand<br />
übers Gesicht, und seufzte dann erleichtert auf. Es war kein<br />
Meeresgeist, <strong>der</strong> ihn da berührt hatte - <strong>der</strong> Leuchtturmwärter<br />
hatte besorgt seinen Arm ergriffen!<br />
Peter blickte verstört in dessen fragende Augen. Bevor er<br />
irgendetwas zu ihm sagte, ließ er, total verunsichert, schnell<br />
seinen Blick prüfend über Meer und Küste gleiten – alles war<br />
wie<strong>der</strong> friedlich, <strong>der</strong> Himmel leuchtete blau über ihnen, kleine<br />
<strong>Wellen</strong> klatschten spielerisch gegen den Deich,<br />
Möwenschwärme zogen über den Hafen. Son<strong>der</strong>bar, dies<br />
alles!!!<br />
Der Leuchtturmwärter beugte sich nun näher zu ihm rüber<br />
und schrie ihm gegen den Wind zu: „Was issn los, Jung? Siehst<br />
ja aus, als ob du den Düvel hast lachen hörn!“<br />
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Peter winkte ihm zur Antwort nur kraftlos mit dem Arm, um<br />
ihm zu bedeuten, sie mögen wie<strong>der</strong> runtergehen.<br />
Beide stapften die Wendeltreppe wie<strong>der</strong> hinab, <strong>der</strong><br />
Leuchtturmwärter voran, verließen unten den Turm, und<br />
setzten sich auf eine Bank. Der wettergegerbte Mann zog<br />
schweigend seine Zigaretten heraus, reichte Peter sein<br />
Sturmfeuerzeug, wartete, bis auch <strong>der</strong> seinen ersten Zug tief<br />
inhaliert hatte, und brummelt dann: „So, mien Jung, nu vertell<br />
man!“<br />
Nach ein paar tiefen Zügen an seiner Zigarette hatte sich<br />
Peter wie<strong>der</strong> soweit beruhigt, dass er dieser Auffor<strong>der</strong>ung<br />
nachkommen konnte, und erzählte stockend dem stumm und<br />
geduldig wartenden Mann, was er da oben auf dem Turm<br />
erlebt hatte.<br />
Der Leuchtturmwärter hörte sich alles an, ohne Peter zu<br />
unterbrechen, nickte nur ab und zu. Dann brummte er nur,<br />
wie zu sich selbst: „Da waren denn wohl Jan Rasmus, Holgelis<br />
und Neptun ganz kräftig zugange, so wie damals!“<br />
Nun war es an Peter, fragend zu gucken: „Neptun kenn ich ja,<br />
aber Jan Rasmus und Holgelis, wer sind denn die?“<br />
„Oh, Jan Rasmus ist <strong>der</strong> Gott des Sturmes, und Holgelis, dat is<br />
<strong>der</strong> Geist des Nordwindes! Wenn die beiden zusammen mit<br />
Neptun beschließen, mal `n büschn Spaß zu haben, dann<br />
treibt´s uns hier dat Water gräsig op de Küste zu!“<br />
„Ach so! Ja, <strong>der</strong>en „Spaß“ hatte ich eben deutlich vor Augen!<br />
Aber sag mal, was meintest du mit „damals“? Und kannst du<br />
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dir erklären, was es mit diesem leuchtenden, sich<br />
bewegenden Bündel auf <strong>der</strong> treibenden Planke im Wasser auf<br />
sich hat?“ In <strong>der</strong> vertraulichen Atmosphäre, die durch das<br />
Erlebte zwischen ihnen entstanden war, hatte Peter ganz<br />
automatisch das „Du“ übernommen, denn alles Fremde<br />
zwischen ihm und dem Leuchtturmwärter hatte sich verloren.<br />
„Jou, dat is `ne alte Geschichte. Hör to.“<br />
Bei <strong>der</strong> folgenden Erzählung des Leuchtturmwärters vergaß<br />
Peter, dass es hier draußen auf <strong>der</strong> Bank in den um den Turm<br />
pfeifenden Böen auf die Dauer ordentlich kalt geworden war.<br />
Gefesselt lauschte er <strong>der</strong> alten Geschichte, bei <strong>der</strong> sich <strong>der</strong><br />
Mann neben ihm um Hochdeutsch bemühte, damit Peter<br />
auch ja alles verstand.<br />
„Dat Bündel, wat du da gesehn hest – dat wor´n Baby! Wir<br />
hier oben kennen sie als Beeke Lüchtenholt, den Namen hat<br />
man ihr gegeben, weil sie damals in <strong>der</strong> groten<br />
Wiehnachtsflut 1717 ebenso leuchtend auf einem Stück Holz<br />
im Meer trieb, als ob sie von Gottes Engeln beschirmt wurde,<br />
und so mit knapper Not gerettet werden konnte. Ihren<br />
wirklichen Namen, und wer ihre Eltern waren, wusste man ja<br />
nicht! Allns war damals Land unter hier, dat Meer hatte die<br />
Deiche zerschlagen. Schiffe wurden von den Brechern hilflos<br />
bis weit in die Marschen hinein geschleu<strong>der</strong>t und blieben<br />
zerschmettert liegen. Häuser, Ställe, Tiere und Menschen –<br />
allns fiel den Fluten zum Opfer. Es gab Hun<strong>der</strong>te von Toten,<br />
lange Zeit versuchte man immer wie<strong>der</strong>, die Deiche zu<br />
reparieren o<strong>der</strong> ganz neu zu bauen. Aber neue Fluten<br />
machten auch Anfang des neuen Jahres das Werk immer<br />
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wie<strong>der</strong> zunichte. <strong>Die</strong> Menschen hier warn am Ende ihrer<br />
Kraft, harrten in den wenigen, einigermaßen heil gebliebenen<br />
Behausungen eng zusammengedrängt aus, teilten sich die<br />
immer knapper werdenden Vorräte und das wenige<br />
Trinkwasser. Viele starben noch lange nach <strong>der</strong> großen<br />
Weihnachtsflut an Hunger o<strong>der</strong> Krankheiten.<br />
Dass Beeke Lüchtenholt, ein ganz frisch geborenes Baby, dies<br />
alles überlebt hatte, wurde damals als ein Zeichen Gottes<br />
gesehen. Sie brachte den leidenden Menschen die Hoffnung,<br />
dass Gott seine Kin<strong>der</strong> nicht ganz vergessen hatte! Beeke<br />
schien ihr Leben lang unter Gottes Schutz zu stehen, und sie<br />
starb im Alter von 67 Jahren. Nach damaligen Verhältnissen<br />
wurde sie also sehr alt!“<br />
Peter unterbrach den lebhaften Redefluss des ansonsten eher<br />
einsilbigen Mannes mit einer Frage: „Beeke – das ist aber ein<br />
seltsamer Name. Was bedeutet er, weißt du das?“<br />
„Jou, schon… Dat kümmt von Rebecca, und ik glöw, dat heet<br />
„<strong>Die</strong> Verbindung Schaffende“. Kümmt ook inne Bibel vor!<br />
Verbindung zwischen ihrer Zeit und den folgenden Zeiten<br />
hergestellt hat sie jedenfalls, die Beeke: seitdem hat sie sich<br />
Menschen, die so was wie dat zweite Gesicht hatten, im<br />
Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te immer mal wie<strong>der</strong> gezeigt. Jedesmal<br />
hat sich ihr Erscheinen als `ne Warnung herausgestellt, dat´n<br />
böses Wetter sich ankündigt…“<br />
Lange Minuten blieb Peter schweigsam und nachdenklich<br />
zusammengesunken auf <strong>der</strong> Bank neben dem<br />
Leuchtturmwärter sitzen. Das Grauen des damaligen<br />
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Geschehens konnte er sich nach den beängstigenden Bil<strong>der</strong>n<br />
in seinem Alptraum nur zu lebhaft vorstellen!<br />
Es schüttelte ihn tief von innen heraus, er wandte sich seinem<br />
Nachbarn zu und fragte verunsichert: „Meinst du denn, dass<br />
ich so ein Mensch bin? Dass ich „Ahnungen“ habe? Bedeutet<br />
mein Erlebnis etwa, dass hier eine schwere Sturmflut ins Haus<br />
steht???“ Bei dieser Vorstellung kroch es ihm eiskalt den<br />
Rücken herauf, und er fühlte unter seinen dicken Klamotten<br />
Gänsehaut auf den Armen. „Ich kann das gar nicht glauben –<br />
es ist doch eine stabile, durch und durch freundliche<br />
Wetterlage, seit Tagen schon! Und <strong>der</strong> Wetterdienst hat auch<br />
keine Ankündigung in so einer Richtung losgelassen! Wenn<br />
jemand von einer drohenden Sturmflut wissen müsste, dann<br />
ja wohl die!!“<br />
Der Leuchtturmwärter zuckte mit den Schultern. Er wirkte<br />
wohl betroffen, aber ihn, <strong>der</strong> schon viele schwere Sturmfluten<br />
miterlebt hatte, konnte dies alles nicht wirklich aus <strong>der</strong> Ruhe<br />
bringen!<br />
„Ach, mien Jung, Recht hest du wohl, aber de Düütsche<br />
Wetterdienst, de weet ook nich allns! Wenn de 3<br />
Düvelsbraten Neptun, Hogelis und Rasmus meinen, dat wär<br />
nu mol wed<strong>der</strong> Tied for so´n richtigen kräftigen Storm und<br />
bannig veel Water, und uns´ Herrgott beschließt, se mol<br />
wed<strong>der</strong> klor to mooken, wer de Chef is – dann is dat eben<br />
recht so!<br />
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Und wenn He dann sien Boten, de lütte Beeke Lüchtenholt<br />
schickt, dann soll´n wir Menschen dat man ook ernst nehm´n!<br />
So isses nu mol! Nimm du man nun folgsam deine Rolle als<br />
Seher und Überbringer <strong>der</strong> schlimmen <strong>Botschaft</strong> an! Dat is<br />
dien Opgaav, daarüm wurdest du zu uns geschickt um düsse<br />
Tied!“<br />
Nach diesen freundlich mahnenden Worten zündete er sich<br />
eine neue Zigarette an, verfiel wie<strong>der</strong> in Schweigen und<br />
rauchte vor sich hin. Nicht nur er war ruhig geworden, alles<br />
um die zwei Männer war nun in völlige Stille getaucht, nur<br />
untermalt vom Rauschen des Windes und vereinzelten<br />
Möwenschreien.<br />
Der im Innersten aufgewühlte Peter hockte mit hängenden<br />
Schultern neben dem Mann mit <strong>der</strong> Zigarette. Nicht einmal<br />
nach Rauchen war ihm selbst jetzt! Er fühlte sich einfach nur<br />
wie betäubt von all dem, was er gesehen und gehört hatte.<br />
Was sollte, könnte er denn nun unter <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> ihm<br />
zugedachten Mission tun? Er presste die Hände an die<br />
schmerzenden Schläfen, als könnte das ihm helfen, die<br />
tausend sich überschlagende Gedanken zu sortieren.<br />
Nach einer langen Zeit knuffte ihn <strong>der</strong> Leuchtturmwärter<br />
gutmütig in die Seite und knurrte aufmunternd: „So, nu<br />
komm, mien Jung! Is an de Tied! Nu lass uns losgahn, wi wüllt<br />
de Börgermeester un de Paster Bescheed geven. Düsse twee<br />
uprechte Mannslüd warn di glöven. Wat mut, dat mut! Dann<br />
hest du dien Plicht doon… Un mook di man keen Kopp: Ook<br />
wenn de Wetterdienst noch nix vonne Stormflut seggt – se<br />
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wird wohl kommen, aber Beeke warnt de Lüüd jümmers so<br />
früh, dat se noch veel Tied hebbt, sik to rüsten!“<br />
Peter seufzte tief durch, dehnte die Schultern, schlug sich<br />
klatschend auf die Oberschenkel, und stand dann<br />
entschlossen auf. „Ok, recht hast du! Wat mut, dat mut! Ich<br />
füge mich dem, was unser Herrgott mir offensichtlich<br />
auferlegt hat. Das bin ich den Menschen und dem Land hier<br />
wohl schuldig, hier darf nicht erneut alles dem Meer zum<br />
Opfer fallen…“<br />
Und so stapften schließlich Peter und <strong>der</strong> Leuchtturmwärter<br />
den Deich entlang auf den Ort zu, einer ungewissen Zeit<br />
entgegen. Denn was die Menschen aus <strong>der</strong> Warnung<br />
machten, was kommen o<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>t werden würde – das<br />
konnten sie nicht wissen.<br />
Sie hörten nicht, dass hinter ihrem Rücken ein leises,<br />
schauerliches Grollen über das Meer ging, als Jan Rasmus,<br />
Holgelis und Neptun boshaft lachten: „Na, mal sehn, wie<br />
diesmal das Spiel ausgeht!“<br />
Und sie sahen nicht den sanften Lichtschein, <strong>der</strong> sich gleich<br />
darauf wie von Engeln hingehaucht über die weite See<br />
ausbreitete, ein Licht, das die hämische Vorfreude <strong>der</strong> drei<br />
diabolischen Spieler verstummen ließ ….<br />
© Maruschya, 08. November 2011<br />
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