typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen
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P O R T R A I T<br />
8 EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />
Ulrike Voigt<br />
GERLINDE HÜHN<br />
Wer ist Ulrike Voigt? Wir begegnen einer brandenburgischen<br />
Theologin, 45 Jahre alt. Sie ist<br />
verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.<br />
Seit 17 Jahren ist sie Gemeindepfarrerin in<br />
Schlepzig; seit 8 Jahren Superintendentin des<br />
Evangelischen Kirchenkreises Lübben im Spreewald,<br />
bekannt durch seinen berühmtesten<br />
Pfarrer, Paul Gerhardt. Wie lebt und arbeitet<br />
Ulrike Voigt in einem Kirchenkreis und in einer<br />
Landeskirche mit den Erfahrungen von 40 Jahren<br />
atheistischem Staat? Wie ist das Verhältnis der<br />
Bevölkerung zur Kirche? Warum ist Ulrike Voigt<br />
Theologin geworden?<br />
Warum Theologin?<br />
Ulrike Voigt ist die Enkelin von Bischof Albrecht<br />
Schönherr, der Vorsitzender des Bundes der<br />
Evangelischen Kirchen in der DDR war. Auch ihr<br />
Vater war Pfarrer.<br />
Haben der Großvater und der Vater sie beeinflusst?<br />
Eigentlich sei eher ihre Großmutter Annemarie<br />
Schönherr ihr weibliches Vorbild als<br />
Theologin gewesen, meint sie. Theologie studiert<br />
habe sie aus dem Gefühl heraus,<br />
„da müssen mehr Frauen rein“. Unter<br />
2 Schwestern und 19 Cousinen und Cousins<br />
ist sie als einzige ihrer Generation<br />
in der Familie Theologin geworden. Die<br />
großen männlichen Vorbilder empfand<br />
sie lange als hinderlich. Sie musste sich<br />
auseinandersetzen mit der Theologie der<br />
Väter. Dadurch hat sie sich frei geschwommen<br />
und ist zu eigenen Themen<br />
gelangt. Es prägten sie die Feministische<br />
Theologie von der Großmutter her, und<br />
von der Mutter her die Seelsorgebewegung.<br />
Ihre Mutter war eine der ersten<br />
ausgebildeten Krankenhausseelsorgerinnen<br />
in der DDR. Mit einem Wort: Ulrike<br />
Voigt musste sich an den Vätern abarbeiten,<br />
um zu dem zu gelangen, was von<br />
den Müttern her kam.<br />
Ihr Dienst<br />
Das Amt der Superintendentin entspricht dem<br />
einer Dekanin in Württemberg. Ulrike Voigt ist<br />
Dienstvorgesetzte für Pfarrerinnen und Pfarrer<br />
und Angestellte. Sie leitet den Kirchenkreis Lübben.<br />
40 % ihrer Tätigkeit füllt der Pfarrdienst<br />
aus. Da macht sie alles einschließlich Konfirmandenunterricht,<br />
Beerdigungen, Frauenkreis<br />
und vieles mehr. Verantwortlich ist sie auch für<br />
die theologische Arbeit im Kirchenkreis und für<br />
die Visitationen der Gemeinden. Zur finanziellen<br />
Struktur erklärt sie, dass die Haushalte der<br />
Kirchenkreise mit einem festen Budget auskommen<br />
müssen, ähnlich wie in Württemberg die<br />
<strong>Kirchenbezirk</strong>e.<br />
Der Kirchenkreis Lübben ist von der Fläche her<br />
beinahe so groß wie die Stadt Berlin. Er hat<br />
17,5 Pfarrstellen und 90 Kirchen, davon sind<br />
89 denkmalgeschützt. 23.500 Gemeindeglieder<br />
leben in 52 rechtlich selbständigen Gemeinden,<br />
die aber zusammenarbeiten. Ein Pfarrer muss<br />
bis zu zwölf Gemeinden versorgen und entsprechend<br />
viele Predigtstellen.<br />
Kirche im nichtchristlichen Umfeld<br />
Kirche im nichtchristlichen Umfeld ist eine<br />
große Herausforderung. „Unter den Nicht-Christen<br />
herrscht eher eine große Gleichgültigkeit als<br />
kämpferischer Atheismus“ meint die Superintendentin.<br />
„Man begegnet der Kirche mit Misstrauen<br />
und Ablehnung. Es gibt viele Leute, die<br />
nie eine Kirche betreten würden. Jeder, der das<br />
DDR-Schulsystem durchlaufen hat, ist an<br />
folgende drei Sätze gewöhnt: Die Kirche ist<br />
Opium des Volkes. Sie ist rückwärts gewandt<br />
und unglaubwürdig. Die Pfarrer predigen Wasser<br />
und trinken Wein. So kommt die Kirche mit<br />
vielen Leuten gar nicht ins Gespräch. Deshalb<br />
muss man als Pfarrerin Familienfeste wahrnehmen,<br />
denn dort trifft man auch diese Leute.“<br />
Wichtig ist Ulrike Voigt, dass die Kasualien, also<br />
Taufen, Trauungen und Beerdigungen, insgesamt<br />
gut gemacht sein müssen. Nur so könne ein<br />
positiver Eindruck von Kirche vermittelt werden.<br />
Die kirchliche Situation in der Nach-DDR fasst<br />
Ulrike Voigt mit einem Zitat des Theologen<br />
Wolf Krötke zusammen: „Die Kirche hat die<br />
Menschen in Massen verloren, und wir können<br />
sie nur einzeln zurückgewinnen.“<br />
Kirche auf dem Land<br />
Die Situation der Kirche auf dem Lande beschreibt<br />
Ulrike Voigt pragmatisch. Nicht überall<br />
kann alles angeboten werden. Der Grundsatz<br />
ihrer Arbeitet lautet: „In einer Gemeinde<br />
geschieht, was die Gemeinden selber erfinden.“<br />
Dabei begleiten die Hauptamtlichen die Ehrenamtlichen,<br />
helfen, die Arbeitsprozesse zu strukturieren,<br />
greifen bei Konflikten ein, üben Seelsorge<br />
in besonderen Fällen und führen die<br />
Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen<br />
durch.<br />
Ulrike Voigt stellt fest, dass die Gemeinden sehr<br />
unterschiedlich sind. Es gibt Gemeinden, die die<br />
kirchliche Arbeit bewusst in die Hand nehmen<br />
und es gibt Gemeinden, die (noch!) gar nichts tun.<br />
Als Beispiel erzählt sie von einem Miteinander<br />
von 15 Gemeinden, die nur noch zwei Pfarrstellen<br />
haben. Dort wurde ein Gemeindeberatungsprozess<br />
begonnen, um den Neuanfang vorzu-