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typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen

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Aus Kirche und Gesellschaft<br />

an den großen Kirchen und Höfen auch große<br />

Musiker angestellt waren, zu deren Aufgaben die Komposition<br />

gehörte. Für alle erdenklichen Anlässe entstanden<br />

Oratorien, Kantaten, Liedsätze, Motetten, Sologesänge,<br />

Singsprüche, groß besetzt und für die kleinen Verhältnisse,<br />

Orgelmusik en miniature und im großen Stil.<br />

Kirchenmusik ist Seelenmusik und Predigtmusik, Spruchund<br />

Evangelienmotetten machten den Chor zum Prediger<br />

und Seelsorger.<br />

Singen ist fühlen und handeln<br />

Die Grundlagen der Kirchenmusik und damit des Singens<br />

in der Kirche verstehen sich heute nicht mehr von selbst.<br />

Was das Singen in der Kirche anbelangt, sind wir heute<br />

alle vom Pietismus geprägt, denn im Singen drücken wir<br />

uns selbst aus, außerdem sind wir alle Romantiker, denn<br />

wir empfinden Singen und Musik als Sprache des Gefühls.<br />

„Was ich nicht fühlen kann, kann ich auch nicht singen“,<br />

sagt Herbert Grönemeyer. Heute tritt die Popularmusik an<br />

mit dem Anspruch, gerade in der Kirche am Musikgeschmack<br />

der jüngeren Generation anzuknüpfen, Selbstausdruck<br />

und Gefühl eine ansprechende Gestalt zu geben<br />

und die jungen Leute musikalisch zu beheimaten. „Wir<br />

müssen die Menschen doch da abholen, wo sie sind“,<br />

wird oft als Motivation genannt. Vorausgesetzt wir wissen,<br />

wo die Menschen sind, worüber man streiten<br />

könnte, habe ich manchmal den Eindruck, wir holen dann<br />

zwar die Menschen da ab, wo sie vermeintlich sind, wir<br />

gehen aber nirgendwo hin mit ihnen, drehen uns ein paar<br />

Mal, und bleiben am Ende da, wo wir angefangen haben.<br />

Dass wir im geistlichen Singen und Musizieren nicht nur<br />

wir selbst sind, sondern mehr, ist aus dem Blick geraten:<br />

geistliches Singen ist auch Rollenhandeln. Wer singt, geht<br />

immer über sich hinaus.<br />

Das Singen der Gemeinde ist der Mutterboden aller Kirchenmusik.<br />

Wo er nicht gebildet und gepflegt wird, hängen<br />

Passionen und Motetten von Heinrich Schütz oder<br />

ein Deutsches Requiem von Brahms, hängt die Kirchenmusik,<br />

die auf weite Strecken Liedbearbeitung ist, auf die<br />

Dauer in der Luft. Die Kirchenmusik macht einen großen<br />

Teil unseres kulturellen Erbes als <strong>evangelisch</strong>e Kirche aus.<br />

Zwei Drittel der Orgelwerke Bachs sind Choralbearbeitungen,<br />

die zur schönen Klangsoße werden, wenn wir die<br />

zugehörigen Lieder nicht mehr assoziieren und innerlich<br />

mithören können. Es gibt heute neue geistliche Lieder in<br />

unübersehbarer Zahl, deren größter Teil dazu dient,<br />

bestimmten Milieus stets neue Klangmittel zur Darstellung<br />

ihrer selbst an die Hand zu geben. Das ist schön.<br />

Musik allerdings, die ursprünglich dazu diente, Menschen<br />

miteinander zu verbinden, dient heute weithin dazu, sie<br />

voneinander zu unterscheiden. Das kann man bedauern,<br />

es führt aber nichts an dieser Feststellung vorbei.<br />

Bei Fulbert Steffensky lese ich den schönen Satz: „Die Kirche<br />

hat Traditionen und heilige Texte, die die Menschen<br />

davor bewahren, in der puren Gegenwart zu versinken.“<br />

Nicht zuletzt die kirchenmusikalischen Traditionen<br />

gehören zum Reservoir unserer Identität. Wenn wir sie<br />

selbst nicht ernst nehmen, wie wollen wir erwarten, dass<br />

wir damit ernst genommen werden?<br />

22 EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

PROTESTANTISCHE VORBILDER<br />

Dietrich Bonhoeffer, 4. Februar 1906 bis<br />

9. April 1945, <strong>evangelisch</strong>er Theologe.<br />

Bonhoeffer wollte kein Heiliger werden.<br />

1944 schreibt er „Ich erinnere mich eines<br />

Gesprächs mit einem französischen jungen<br />

Pfarrer vor 13 Jahren. Wir hatten uns<br />

ganz einfach die Frage gestellt, was wir<br />

mit unserem Leben eigentlich wollen. Da<br />

sagte er: ich möchte ein Heiliger werden ...;<br />

das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach<br />

ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen,<br />

indem ich so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuche...<br />

Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde,<br />

dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben<br />

lernt. Erst wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus<br />

sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder<br />

einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann…, dann<br />

wirft man sich Gott ganz in die Arme… und so wird man<br />

ein Mensch, ein Christ.“<br />

Er wollte kein Heiliger werden. Vielleicht ist er aber für<br />

manchen von uns ein Vorbild, ein Lehrer – oder hat doch<br />

auch etwas Heiliges?<br />

Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im<br />

KZ Flossenbürg durch die SS ermordet.<br />

30 Lieder für alle Gemeinden<br />

Der weiträumige Verlust einer gemeinsamen, generationenübergreifenden<br />

Liederkenntnis hat kürzlich zu der Initiative<br />

der „Kernliederliste“ geführt. In Württemberg und<br />

Baden wurde eine Liste von 30 Liedern und 3 Kanons erarbeitet<br />

und von beiden Kirchenleitungen allen Gemeinden<br />

empfohlen 6 . Inzwischen empfehlen sogar alle <strong>evangelisch</strong>en<br />

Kirchen in Deutschland ihren Gemeinden die Kernliederliste<br />

zur Übernahme, um langfristig wieder auf ein<br />

gemeinsames, generationenübergreifendes Liederrepertoire<br />

zuzugehen. Die Resonanz vor allem unter Religionslehrerinnen<br />

und -lehrern ist groß. Das Singen mit Kindern im<br />

Kindergarten und in der Grundschule, in Kinderchören und<br />

im Kindergottesdienst, die langfristig überlegte und wiederholte<br />

Verwendung dieser Lieder auch im Gottesdienst wird<br />

das künftige Bild der Kirchenmusik entscheidend prägen.<br />

Nicht nur zuhören, wie andere uns Lieder vorsingen, sondern<br />

selber singen, nicht sich im Stillen ärgern, wenn Lieder<br />

unbekannt sind, sondern fragen: wo können wir sie lernen,<br />

wenn sie interessant sind, das würde ich <strong>evangelisch</strong> nennen,<br />

die Mündigkeit der Christen an ihrer Mündlichkeit festmachen<br />

und sich inhaltlich nach wie vor daran orientieren,<br />

was Luther in seiner ersten Gesangbuchvorrede schrieb,<br />

„dass Christus unser Lob und Gesang sei“, auch wenn seit<br />

der Reformation im 16. Jahrhundert einiges Wasser die Elbe<br />

hinuntergeflossen ist.<br />

6 Zu finden bei: www.kirchenmusik.elk-wue.de; oder:<br />

www.gottesdienste.de/liturgische_projekte.php<br />

Prof. Bernhard Leube aus Süßen ist<br />

Pfarrer im Amt für Kirchenmusik,<br />

Stuttgart

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