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typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen

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Aus Kirche und Gesellschaft<br />

Alles <strong>evangelisch</strong>, oder was?<br />

Die Vielzahl <strong>evangelisch</strong>er Gemeinden fordert uns heraus!<br />

ANNETTE KICK<br />

„Kann denn niemand mehr normal glauben?“ seufzte eine<br />

besorgte Großmutter, deren Enkelin in eine neu gegründete<br />

Gemeinde im Nachbarort geht. „Ist das wirklich eine <strong>evangelisch</strong>e<br />

Freikirche oder ist das eine Sekte?“ so lautet meist<br />

die Standardfrage. Die Antwort fällt aber nicht so einfach<br />

aus wie gewünscht. Denn die beiden Begriffe „Sekte“ und<br />

„Freikirche“ helfen uns nicht viel weiter. „Sekte“ wird unterschiedlich<br />

definiert und ist normalerweise zur Bezeichnung<br />

auch radikalerer Gruppen, die sich im protestantischen<br />

Spektrum bilden, nicht hilfreich. Des Weiteren ist weder der<br />

Begriff „<strong>evangelisch</strong>“ noch „Freikirche“ geschützt. Auch<br />

Gemeinden, die sich früher als überkonfessionell oder charismatisch<br />

oder pfingstlich bezeichnet haben, übernehmen<br />

jetzt gerne die Bezeichnung „<strong>evangelisch</strong>e Freikirche“.<br />

Die klassischen Freikirchen, wie die Methodisten, Baptisten,<br />

Mennoniten, die sich die Seriosität dieser Bezeichnung<br />

mühsam erarbeitet haben, sind eher unglücklich über die<br />

inflationäre Ausbreitung der Bezeichnung „<strong>evangelisch</strong>e<br />

Freikirche“. Die Verwechselbarkeit des Begriffes führt dann<br />

auch manchmal zu Vorwürfen von Betroffenen gegenüber<br />

mir als landeskirchlicher Beauftragter: „Ihr als Evangelische<br />

Landeskirche müsst doch dafür sorgen, dass eine so radikale<br />

Gruppe nicht unter dem Begriff „Evangelische (Frei-)Kirche<br />

segeln darf!“ Meine Antwort: „Dafür können wir nicht<br />

sorgen; aber dafür, dass wir informieren und auffordern,<br />

genau zu schauen, was da jeweils drin ist, wo Evangelisch<br />

drauf steht.“<br />

„Normal glauben“?<br />

Was die Anfragerin mit „normal glauben“ gemeint hat, ist<br />

das, woran man sich in Deutschland in Jahrhunderten<br />

gewöhnt hat. Gemeint ist, dass man zu einer der zwei<br />

großen Kirchen gehört. Seit etwa 20 Jahren lässt die Bindekraft<br />

und gesellschaftliche Bedeutung dieser großen Kirchen<br />

nach, ein ganz normaler Vorgang in einer modernen<br />

offenen Gesellschaft in einem neutralen Staat. Eine Vielzahl<br />

von religiösen Anbietern hat sich etabliert und stellt<br />

sich den Suchenden zur Wahl. Nicht einfach die religiöse<br />

Zugehörigkeit der Eltern zu übernehmen, sondern eine<br />

eigene Option zu treffen, wird mehr und mehr die Normalität.<br />

Für die Landeskirche und ihre Gemeinden führt<br />

das zu der ungewohnten Situation, dass auch sie nicht<br />

mehr einfach „das Normale“ sind, sondern dafür werben<br />

müssen, dass Menschen sich bewusst für sie entscheiden.<br />

Dazu müssen nun auch wir sagen, was drin ist, wenn bei<br />

uns „<strong>evangelisch</strong>“ drauf steht. So können wir in den<br />

neuen Freikirchen nicht nur die Gefahren sehen, z. B. die<br />

Gefahr der völligen Zersplitterung des Protestantismus.<br />

Sondern sie können uns zugleich auch Anlass sein, unser<br />

eigenes <strong>evangelisch</strong>es Profil zu überprüfen.<br />

Grob gesagt, mit einigen Ausnahmen, sind etwa zwei<br />

Drittel dieser neuen Gemeinden charismatisch-pfingstlich<br />

geprägt, darunter auch fremdsprachige aus Afrika oder<br />

20 EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

Lateinamerika. Ein Drittel ist bibelfundamentalistisch, darunter<br />

auch eine Anzahl von russlanddeutschen Gemeinden.<br />

Sie treten meist mit dem Anspruch auf, direkt an die<br />

Bibel und die biblische Gemeinde anzuknüpfen; wobei<br />

sie übersehen, dass es schon in der Bibel verschiedene<br />

Gemeindemodelle gibt. Die meisten dieser neuen Gemeinden<br />

sind hierarchisch geführt, in der Altersstruktur und<br />

Schichtzugehörigkeit ziemlich homogen. Sie erwarten von<br />

ihren Mitgliedern meist eine große Konformität. Organisatorisch<br />

teilen sie viele Kennzeichen mit den klassischen<br />

Freikirchen. Theologisch gibt es aber zwischen den<br />

meisten von ihnen und der Landeskirche gegenseitige<br />

Vorbehalte und deutliche Unterschiede.<br />

Fragen, zu denen die neuen Freikirchen uns herausfordern:<br />

Auf welche Stärken können wir uns besinnen?<br />

Von allen Schätzen, die wir aus der Vergangenheit und in<br />

der Gegenwart haben, will ich hier nur einen nennen: In<br />

einer Hinsicht sind wir als heutige Landeskirche vielleicht<br />

<strong>evangelisch</strong>er als alle anderen: Wir nehmen ganz ernst,<br />

dass der Mensch allein aus Glaube gerechtfertigt wird. Da<br />

kein Mensch diesen Glauben beurteilen kann, verzichten<br />

wir darauf, innerhalb unserer Mitglieder eine menschlich<br />

bestimmbare Grenze zwischen Christ und Nichtchrist zu<br />

ziehen. Wir verlangen nicht ein bestimmtes Maß an<br />

Engagement, an engen, angeblich biblischen Verhaltensnormen,<br />

an besonderen Erfahrungen mit dem Heiligen<br />

Geist. Wir erlauben es Menschen, ihren Abstand zur<br />

Gemeinde selbst zu bestimmen und ihr Christsein frei zu<br />

gestalten. Die Vielfalt von Glaubensstilen und Aktivitäten,<br />

die in einer <strong>evangelisch</strong>en Landeskirche Platz haben, darf<br />

nicht verwechselt werden mit Beliebigkeit, sondern sie ist<br />

Programm einer Kirche, die ernst nimmt, dass das Evangelium<br />

zu verschiedenen Menschen verschieden spricht. Der<br />

Beliebigkeit ist aber zu wehren, indem inhaltlich um Mitte<br />

und Grenze dessen gerungen werden muss, was in einer<br />

<strong>evangelisch</strong>en Gemeinde möglich ist.<br />

Was haben diese Gemeinden,<br />

was wir verloren haben?<br />

Die charismatisch-pfingstlichen Gemeinden erinnern uns<br />

vor allem daran, dass die Erfahrungs- und Erlebnisseite<br />

des Glaubens bei uns oft zu kurz kommt. Die fundamentalistischen<br />

Gemeinden erinnern uns daran, dass vor allem<br />

junge Menschen mehr klare Orientierung aus der Bibel<br />

suchen und Mitchristen, die einen Schritt weiter sind und<br />

mit ihnen den richtigen Weg suchen. Alle diese kleinen<br />

freien Gemeinden mit ihrem engen sozialen Zusammenhalt<br />

erinnern uns daran, dass wir neben den Außenbezirken<br />

mit distanzierten Mitgliedern, neben der Vielfalt mehr<br />

oder weniger verbindlicher Angebote in der Mitte der<br />

Gemeinde eine Gruppe brauchen, die sich insofern „freikirchlich“<br />

versteht, als hier Wärme, Geborgenheit, Verbindlichkeit<br />

und hohes Engagement in einem geistlichen<br />

Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen gelebt wird.

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