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typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen

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pluralistischer, niemand<br />

fragt nach der Zahl der<br />

Mitglieder, sondern<br />

danach, was man zu<br />

sagen oder beizutragen<br />

hat. Die Sache zählt. Die<br />

Säkularisierung hat die<br />

Situation der Minderheiten<br />

gegenüber früher<br />

verbessert.<br />

Selbst die katholische Kirche bezeichnet sich<br />

mittlerweile als Minderheit. Der Mailänder Kardinal<br />

Martini meint, nur 9 bis 10 % der Katholiken<br />

in Italien seien streng gläubig, und höchstens<br />

25 bis 30 % fühlen sich zur katholischen Kirche<br />

zugehörig. Politisch und diplomatisch ist die<br />

katholische Kirche allerdings noch eine Macht.<br />

Frage: Warum hat Papst Benedikt der XVI. den<br />

Protestanten abgesprochen, Kirche zu sein?<br />

Ricca: Mit dieser Erklärung des Papstes sollten<br />

wir dasselbe tun wie einst Luther mit der Bannbulle:<br />

sie verbrennen. Gott wird sagen, ob die<br />

<strong>evangelisch</strong>e Kirche eine Kirche ist, das heißt,<br />

ob wir mit unserem Leben ausfüllen, was Kirche<br />

bedeutet. Mich hat immer beeindruckt, dass im<br />

NT Jesus die Jünger als „kleingläubig“ bezeichnet<br />

hat. Mit Kleinglauben kann man nicht<br />

Kirche sein. Wir sollten das sehr ernst nehmen.<br />

Gott entscheidet, wer Kirche ist oder nicht.<br />

Frage: Warum hat Ihrer Einschätzung nach der<br />

Papst diese Erklärung abgegeben?<br />

Ricca: In der katholischen Kirche wächst an der<br />

Basis die Überzeugung, dass die Protestanten<br />

Kirche sind. Gegen diese Überzeugung will der<br />

Papst ankämpfen. Viele Katholiken in Italien sind<br />

über die Erklärung des Papstes betrübt. Sie riefen<br />

bei mir an oder schickten bedauernde E-Mails.<br />

Ich denke, der Papst wollte damit ein klares Wort<br />

gegen diese wachsende Überzeugung innerhalb<br />

der katholischen Kirche sagen.<br />

Frage: Welche Rolle haben die Protestanten in<br />

der EU? Wie sieht die Waldenserkirche dies?<br />

Ricca: Für die Waldenser ist es gut, dass Europa<br />

wichtiger wird und einheitlicher denkt. Dadurch<br />

ist auch in Italien der Protestantismus kein Fremdkörper<br />

mehr. Die katholische Auffassung über die<br />

Waldenser war Jahrhunderte lang die einer „importierten<br />

Ware“. Das ist jedoch völlig falsch.<br />

Die Waldenser gibt es seit Anfang des 13. Jahrhunderts<br />

in Italien, als es „Italien“ noch gar nicht<br />

gab. Je mehr die Italiener Europäer werden, desto<br />

weniger fremd wird der Protestantismus für sie.<br />

Allerdings wird über die Medien ein anderes Bild<br />

vermittelt: Päpste, Kardinäle werden bevorzugt<br />

befragt und zunehmend als Sprecher der Christenheit<br />

betrachtet. Das halte ich für problematisch.<br />

Ottopermille = 8 pro Mille = 8 %0<br />

Mit „8 %0“ bezeichnet man die so genannte Kultussteuer,<br />

die jeder Steuerzahler in Italien entrichten<br />

muss. Er kann dabei auf seiner Steuererklärung ankreuzen,<br />

welcher Institution er sein Geld zufließen<br />

lassen will: dem Staat, der Katholischen Kirche,<br />

den Waldensern, den Lutheranern, der jüdischen<br />

Glaubensgemeinde u.v. a.<br />

Innerhalb der Waldenserkirche hatte es lang anhaltende<br />

Diskussionen darüber gegeben, ob man aus<br />

theologischen Gründen überhaupt die Gelder des<br />

Ottopermille annehmen dürfe. Die Synode hat sich<br />

endlich dafür entschieden, allerdings werden die Einnahmen<br />

nur für diakonische und kulturelle Zwecke<br />

verwendet, nicht aber für die Kernaufgabe der Kirche,<br />

die Verkündigung des Evangeliums und auch<br />

nicht für die Pfarrerbesoldung.<br />

Da nur ein Bruchteil der Italiener überhaupt bei der<br />

Rubrik Ottopermille ankreuzt, werden die restlichen<br />

Einnahmen im Verhältnis der übrigen Ankreuzungen<br />

verteilt.<br />

Bisher hat die Waldenserkirche dieses zusätzliche<br />

Geld nicht angenommen. Es setzt sich aber immer<br />

mehr die Auffassung durch, dass es besser sei, das<br />

Geld für Diakonie und kirchliche Entwicklungshilfe<br />

zu verwenden, als es dem Staat für Irakeinsätze zu<br />

überlassen.<br />

Die Waldenserkirche ist die einzige Institution, die<br />

über die Verwendung der Ottopermille-Gelder völlig<br />

transparent berichtet. Dazu lässt sie einmal im Jahr<br />

in einer großen Tageszeitung die Bilanz veröffentlichen.<br />

Das trägt sehr zu ihrer Glaubwürdigkeit bei.<br />

Frage: Wie groß ist die Waldenserkirche in Italien?<br />

Ricca: Die Waldenserkirche hat etwa 20.000 Mitglieder.<br />

Durch die zurückgehende Geburtenrate<br />

wird die Zahl kleiner. Bei der Verteilung des „8%0<br />

(Ottopermille, siehe Kasten), der Steuer für kirchliche<br />

oder soziale Aufgaben in Italien, entscheiden<br />

sich mehr als 200.000 Steuerzahler dafür, die Waldenserkirche<br />

zu unterstützen, das sind zehn mal<br />

mehr als die Waldenserkirche Steuerpflichtige hat.<br />

Die Lutherische Kirche in Italien hat rund 5000 bis<br />

6000 Mitglieder. Sie beginnt jetzt allmählich damit,<br />

ihre Gottesdienste auch ab und zu in italienischer<br />

Sprache zu halten, denn die jungen Gemeindeglieder<br />

sprechen nicht mehr Deutsch. Aber es<br />

wird noch zwei bis drei Generationen dauern, bis<br />

die Lutherische Kirche Italiens eine italienische<br />

Kirche sein wird.<br />

Frage: Gibt es in Italien ökumenische Gottesdienste?<br />

Ricca: Ökumenische Gottesdienste finden nur in<br />

der „Gebetswoche für die Einheit der Christen“<br />

statt. Bei gesellschaftlichen Anlässen ist in der<br />

Regel die einzig eingeladene Kirche die katholische.<br />

Sie ist so viel größer als die anderen<br />

Kirchen, dass unter kirchlicher Präsenz immer nur<br />

die der katholischen Kirche verstanden wird.<br />

PROTESTANTISCHE VORBILDER<br />

Johannes Rau,<br />

Bundespräsident,<br />

* 16. Januar 1931;<br />

† 27. Januar 2006:<br />

Von 1965 bis 1999 gehörte<br />

Johannes Rau der Landessynode<br />

der Evangelische<br />

Kirche im Rheinland an<br />

und war stellvertretendes<br />

Mitglied der Kirchenleitung<br />

der Evangelischen Kirche im<br />

Rheinland; dem Deutschen<br />

Evangelischen Kirchentag<br />

war Rau eng verbunden;<br />

von 1966 bis 1974 war er<br />

Mitglied des Präsidiums und<br />

nahm auch danach regelmäßig<br />

am Kirchentag in<br />

offizieller Funktion und als<br />

Privatmann teil. Seine Art,<br />

den christlichen Glauben<br />

öffentlich zu leben, trug<br />

Rau die Bezeichnung<br />

„Bruder Johannes“ ein,<br />

aber auch satirische<br />

Wertung als „gefürchteter<br />

Kirchentagsschwätzer“.<br />

EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

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