typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen
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Aus Kirche und Gesellschaft<br />
18 EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />
Kleine Kirche im katholischen Umfeld<br />
Evangelisch sein ist Berufung – die Waldenserkirche in Italien<br />
Professor Dr. Paolo Ricca, Jahrgang 1936, ist emeritierter Professor für Kirchengeschichte und<br />
Praktische Theologie der Waldenserfakultät in Rom. Bei seinem Besuch in <strong>Geislingen</strong> konnten<br />
Dekanin Gerlinde Hühn und Anita Gröh, Geschäftsführerin im Dekanatsbüro in <strong>Geislingen</strong>,<br />
folgendes Interview mit ihm führen und ihn zur Situation der <strong>evangelisch</strong>en Waldenserkirche in<br />
Italien und zur Ökumene befragen.<br />
GERLINDE HÜHN · ANITA GRÖH<br />
Frage: Professor Dr. Ricca: Evangelisch aus<br />
gutem Grund ist das Thema dieser Ausgabe der<br />
Geislinger <strong>Kirchenbezirk</strong>s-Zeitung. Gibt es gute<br />
Gründe <strong>evangelisch</strong> zu sein?<br />
Ricca: Es gibt gute Gründe, Christ zu sein. Evangelisch<br />
zu sein ist nichts<br />
anderes, als eine besondere<br />
Art Christ zu sein.<br />
Warum ist jemand Christ?<br />
Es hängt nicht von uns ab,<br />
Christ zu sein. Die Entscheidung<br />
fällt zuerst bei<br />
Jesus. Nicht wir haben ihn<br />
gewählt, sondern er uns.<br />
Der gute Grund, Christ<br />
zu sein, liegt außerhalb unserer Entscheidung.<br />
Christ sein ist eine besondere Art und Weise des<br />
Menschseins. Luther sagte: Ein Christ ist ein<br />
Mensch, der nicht mehr in sich selbst und für sich<br />
selbst lebt, sondern in Christus durch den Glauben<br />
und durch die Liebe.<br />
Ein Leben, das im Glauben und in der Liebe gelebt<br />
wird, wird vermutlich ein gutes Leben sein,<br />
indem es zum Segen wird für die anderen Menschen<br />
und für die Umgebung. Andere Menschen<br />
werden sagen: „Wie froh war ich, einem solchen<br />
Menschen begegnet zu sein.“<br />
Frage: Wie ist es, <strong>evangelisch</strong> zu sein in einem<br />
katholischen Umfeld wie in Italien?<br />
Ricca: Evangelisch im konfessionellen Sinne ist<br />
die schlichteste Gestalt des Christentums.<br />
Schlicht heißt, auf das Wesentliche im Christentum<br />
konzentriert.<br />
Wesentlich ist Jesus, in ihm finden wir nicht nur<br />
die ganze Offenbarung Gottes, sondern auch die<br />
Erschließung dessen, was wir sind und wozu<br />
wir berufen sind. Heute ist Schlichtheit wichtig.<br />
Im Katholizismus gibt es vielerlei, was nicht<br />
wesentlich ist für den Glauben nicht wesentlich<br />
ist: Marienverehrung, Heilige, Hierarchie.<br />
Die <strong>evangelisch</strong>e Kirche hat eine Gestalt von<br />
Kirche zustande gebracht, die der grundsätzlichen<br />
geschwisterlichen Struktur der christlichen<br />
Gemeinde Rechnung trägt. Die katholische und<br />
die orthodoxe Kirche haben eine hierarchische<br />
Struktur. Dies entspricht nicht der evangeliumsgemäßen<br />
Form der Liebe, wie sich die Gemeinde<br />
Jesu im und aus dem NT entwickelt hat. Die<br />
Gestalt der Gemeinschaft, wie sie Jesus um sich<br />
geschart hatte, ist grundsätzlich eine geschwisterliche<br />
Gemeinde, in ihr sind alle Brüder und<br />
Schwestern.<br />
Frage: Wie ist man <strong>evangelisch</strong>?<br />
Ricca: Evangelisch ist nicht ein Titel, sondern<br />
eine Berufung. Man soll sein ganzes Leben als<br />
Berufung verstehen und versuchen, sie umzusetzen.<br />
Allerdings ist das Risiko der Freiheit für<br />
<strong>evangelisch</strong>e Christen hoch. Freiheit und Verantwortung<br />
zusammen zu halten ist schwer, und<br />
es macht Angst, wirklich frei zu sein. Im Katholizismus<br />
ist Gehorsam das Hauptanliegen.<br />
Frage: Wie ist die Situation einer Minderheits-<br />
Kirche, wie sie die Waldenserkirche in Italien ist?<br />
Ricca: In Italien ist das Papsttum zuhause. Die<br />
Macht der katholischen Kirche ist spürbar. Allerdings<br />
hat sich die Situation der Minderheits-<br />
Kirchen in Italien verändert. Die Gesellschaft ist