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typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen

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gen“. Weiter erging die Weisung, er soll „sich aber ehrlich<br />

den Artikeln gemäß halten und seine Dirne [Haushälterin]<br />

ehelichen.“ Ein Freund der Ehe scheint der gute Mann<br />

nicht gewesen zu sein, denn einige Wochen später wird<br />

über ihn berichtet: „Der Pfarrer zu Altenstadt hat seine<br />

Kellnerin noch immer zum Ärgernis bei sich und will sie<br />

nicht zur Kirche führen.“<br />

„In <strong>Geislingen</strong> sparet keine Mühe“<br />

In der Stadt <strong>Geislingen</strong> stieß der Ulmer Rat auf unerwartete<br />

Schwierigkeiten. Starke altgläubige Kräfte suchten<br />

dort die religiöse Neuordnung zu hintertreiben, ein<br />

Grund, dass sich die Reformation in der Stadt nicht<br />

sofort, sondern erst nach Ablauf vieler Jahre durchsetzte.<br />

Es war vor allem der hochgebildete und wortgewaltige<br />

Pfarrer Osswald – er hatte zwei Doktorgrade erworben –,<br />

der in einem leidenschaftlichen und polemischen Schriftwechsel<br />

mit dem Ulmer Rat verbissen um sein Amt<br />

kämpfte und auch die Bevölkerung zu mobilisieren wusste.<br />

Der Geislinger Widerstand erregte weithin Aufsehen.<br />

In einem Brief klagte der Reformator Martin Butzer, „die<br />

Geislinger seien ein hartnäckiges, jämmerlich verführtes<br />

Volk“, und selbst aus der Schweiz schaltete sich der<br />

Reformator Ulrich Zwingli ein, der schrieb: „In <strong>Geislingen</strong><br />

sparet keine Mühe, bis auch sie dem Wort des Allmächtigen<br />

weichen.“<br />

Es gelang dem Ulmer Rat zwar, Osswald zum Verzicht<br />

auf sein Amt zu zwingen, aber die Bevölkerung trotzte<br />

mehrheitlich weiterhin mit Ungehorsam. Der Besuch der<br />

<strong>evangelisch</strong>en Gottesdienste in der Stadtkirche ließ sehr<br />

zu wünschen übrig. Viele besuchten noch lange die<br />

katholischen Gottesdienste in Eybach. Dieser Ort gehörte<br />

nicht zum Ulmer Herrschaftsgebiet, sondern teils dem<br />

Stift Ellwangen, teils den Grafen von Degenfeld, die erst<br />

1607 in dem ihnen gehörigen Teil des Orts die Reformation<br />

einführten. So war Eybach der nächstgelegene Ort,<br />

wo noch katholische Messen gelesen wurden. Viele trugen<br />

ihre Kinder nach Eybach zur Taufe, ließen dort noch<br />

Wachs und Palmen weihen.<br />

Bilderkult und Bildersturm<br />

Auch der Bilderkult blühte noch lange Zeit nach. Nach<br />

Aussagen etlicher Frauen habe ein Marienbild in Altenstadt<br />

angefangen zu reden, so dass bald viele Menschen<br />

dahin zur Wallfahrt strömten. Der Ulmer Rat ließ sofort<br />

die Kirche schließen und stellte die Frage, was daraus<br />

wohl für ein Götzenspiel geworden wäre, wenn man dem<br />

Teufel nicht gewehrt hätte. In <strong>Geislingen</strong> erzählten sich<br />

alte Frauen, dass man zur Nacht die Muttergottes in<br />

einem weißen Mantel um die Stadtkirche gehen sehe.<br />

Bildwerke in den Kirchen wurden nach dem veränderten<br />

theologischen Verständnis als „Götzen“ betrachtet. Im<br />

Ulmer Land wurden daher Statuen, Gemälde und Altäre<br />

unnachsichtig aus den Kirchen entfernt, wobei die Beseitigung<br />

der Bilder emotionaler verlief wie in anderen Territorien,<br />

so dass damals viele mittelalterlichen Kunstwerke<br />

dem Bildersturm zum Opfer fielen. So ist in der Geislinger<br />

Stadtkirche, die einstmals etwa zwölf Altäre enthielt,<br />

heute nur noch als einziger der spätgotische Daniel-<br />

Mauch-Altar erhalten geblieben.<br />

Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 schuf klare<br />

Fronten, indem er festlegte: Wer die politische Herrschaft<br />

über ein Gebiet besitzt, soll auch die konfessionelle<br />

Zugehörigkeit seiner Untertanen bestimmen<br />

dürfen. Das Ulmer Land war am Ende der religiösen<br />

Wirren ein <strong>evangelisch</strong>es Territorium, und<br />

zwar lutherischer Prägung. Die Ulmer PROTESTANTISCHE VORBILDER<br />

Reformation hatte inzwischen ihre oberdeutschen<br />

Züge (Zwingli) ganz aufgegeben<br />

und sich vollständig dem Luthertum<br />

angeschlossen.<br />

<strong>Geislingen</strong> bleibt stur<br />

Aber auch jetzt waren die Verhältnisse in<br />

unserer Landschaft alles andere als stabil.<br />

Die heftigen konfessionellen Streitigkeiten<br />

hatten die einfachen Leute verunsichert;<br />

in ihren Köpfen lebte noch lange altkirchliches<br />

Glaubensgut fort. Noch 1572 stöhnte<br />

der Pfarrer an der Stadtkirche, „dass es nirgends<br />

so eine verfluchte, gotteslästerliche<br />

und teuflische Gemeinde gebe wie hier in<br />

<strong>Geislingen</strong>“.<br />

Einen Hort des alten Glaubens bildete<br />

immer noch die Klause der Franziskanerinnen<br />

(im heutigen <strong>evangelisch</strong>en Pfarrhaus<br />

neben der Stadtkirche). Die Nonnen<br />

wohnten dort unter der Leitung einer<br />

„Mutter“ in klosterähnlicher Gemeinschaft<br />

zusammen und versahen soziale Dienste an der ärmeren<br />

Stadtbevölkerung. Die Reformation hatte ihr beschauliches<br />

Dasein jäh erschüttert. Die Schwestern wollten aber<br />

katholisch bleiben und wichen dem Druck erst 1590,<br />

indem sie nach Wiesensteig zogen.<br />

Auch nach dem Wegzug der Nonnen ließ sich der Katholizismus<br />

nicht aus der Stadt vertreiben. Eine zweite Reformation<br />

wurde notwendig. 1593 mussten die Einwohner<br />

auf Geheiß des Ulmer Rates wieder an drei Sonntagen<br />

hintereinander Predigten besuchen. Doch die Katholiken,<br />

für die sie in erster Linie bestimmt waren, blieben den<br />

Predigten fern. Gegen diese „Unbelehrbaren“ ging man<br />

jetzt energisch vor. Man bestellte die katholischen Einwohner<br />

einzeln auf das Rathaus zu einer Aussprache.<br />

Danach gab es zwar zahlreiche Übertritte, aber ein Rest<br />

erwies sich als „halsstarrig“. Nach einer erneuten Belehrungspredigt<br />

blieben noch sieben Personen übrig, die den<br />

Übertritt verweigerten. Man zeigte sich ihnen gegenüber<br />

großzügig und ließ sie weiterhin in <strong>Geislingen</strong> wohnen<br />

und absterben. Der letzte Katholik starb erst kurz nach<br />

dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) als Evangelischer,<br />

weil man ihm als Katholiken eine Leichenpredigt verweigert<br />

hätte.<br />

Karlheinz Bauer war<br />

Stadtoberarchivrat<br />

und Leiter des<br />

Geislinger Kulturamtes<br />

von 1965 bis 1977<br />

Margot Käßmann, Landesbischöfin,<br />

Hannover:<br />

„Neidisch bin ich nur darauf,<br />

dass der Papst rote<br />

Schuhe tragen darf, ohne<br />

dass dies jemand kritisiert.<br />

Der Protestantismus zeichnet<br />

sich durch etwas ganz<br />

anderes aus: Bei uns herrscht<br />

inhaltliche Vielfalt.<br />

Wir sagen: Um die Wahrheit,<br />

um den richtigen Weg<br />

muss immer wieder gerungen<br />

werden. Das ist natürlich<br />

anstrengend und nicht<br />

so populär. Dennoch ist<br />

das für eine Kirche der<br />

richtige Weg, denke ich.“<br />

EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

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