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Springer-Lehrbuch


Peter Kappeler<br />

Verhaltensbiologie<br />

2., überarbeitete und korrigierte Auflage<br />

123


Prof. Dr. Peter M. Kappeler<br />

Abt. Soziobiologie/Anthropologie<br />

Universität Göttingen<br />

Berliner Str. 28<br />

37073 Göttingen<br />

pkappel@gwdg.de<br />

ISBN 978-3-540-68776-4 e-ISBN 978-3-540-68792-4<br />

DOI 10.1007/978-3-540-68792-4<br />

Springer-Lehrbuch ISSN 0937-7433<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

c○ 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg<br />

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der<br />

Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung,<br />

der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in<br />

Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung<br />

dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der<br />

gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September<br />

1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen<br />

unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.<br />

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt<br />

auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der<br />

Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann<br />

benutzt werden dürften.<br />

Satz: Druckfertige Vorlage des Autors<br />

Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg<br />

Gedruckt auf säurefreiem Papier<br />

987654321<br />

springer.de


Vorwort zur 2. Auflage<br />

Verhalten ist das herausragende charakterisierende Merkmal von Tieren.<br />

Pflanzen, Viren und Bakterien teilen mit Tieren zwar alle grundlegenden<br />

Eigenschaften des Lebens, aber sie verhalten sich nicht. Für Tiere ist Verhalten<br />

dagegen ein umfassendes Merkmal, das in vielfältiger Weise zu deren<br />

Überlebens- und Fortpflanzungserfolg beiträgt. Daher stellt die Verhaltensbiologie<br />

das integrative Element der organismischen Biologie dar, mit<br />

zahlreichen Berührungspunkten mit anderen Disziplinen, wie Ökologie,<br />

Genetik, Physiologie, Populations- und Evolutionsbiologie. Dementsprechend<br />

hat die Verhaltensforschung zahlreiche Spezialisierungen erfahren.<br />

All diesen Strömungen und Entwicklungen in einem Buch gerecht zu werden,<br />

ist inzwischen unmöglich, da es für einen Einzelnen (zumindest für<br />

mich) unmöglich ist, alle Entwicklungen auf diesen Gebieten im Detail zu<br />

verfolgen. Der Inhalt und die Gliederung des vorliegenden Lehrbuches reflektieren<br />

daher teilweise persönliche Interessen und Schwerpunktsetzungen<br />

und in keinem Fall die komplette Spannbreite der aktuellen Verhaltensforschung.<br />

Entsprechend der Hauptausrichtung der aktuellen Verhaltensbiologie hat<br />

dieses Buch eine explizit evolutionäre Ausrichtung. Eines meiner Anliegen<br />

bestand darin, durch bewusste Organisation zu verdeutlichen, dass das<br />

Verhalten von Tieren in seiner atemberaubenden Vielfalt den zentralen<br />

Schlüssel zum Verständnis ihrer Biologie und evolutionären Anpassungen<br />

darstellt. Ein weiteres Anliegen bestand für mich darin, große Zusammenhänge<br />

und Grundprinzipien in den Vordergrund zu stellen und damit ein<br />

theoretisches Grundgerüst zur Einordnung der täglich neu erscheinenden<br />

Fallbeispiele und Detailuntersuchungen anzubieten.<br />

Der rasche Ausverkauf der ersten Auflage hat gezeigt, dass es für dieses<br />

Buch einen Markt gibt. Mich hat besonders gefreut, dass es zahlreiche<br />

Rückmeldungen von KollegInnen und Studierenden gab, die es ermöglicht<br />

haben, die 2. Auflage noch besser an die Bedürfnisse der Leserschaft anzupassen.<br />

Mein besonderer Dank in diesem Zusammenhang gilt Jutta<br />

Schneider, Fritz Trillmich, Jürgen Tautz, Hynek Burda und Bernd Kramer<br />

für ihre vorbildliche Kollegialität und Kooperation sowie allen, die den<br />

Fragebogen des Verlags ausgefüllt haben. Diese Auflage ist jetzt hoffentlich<br />

weitestgehend frei von Tippfehlern und anderen Fehlerteufeln, die sich


VI<br />

Vorwort zur 2. Auflage<br />

der finalen Kontrolle der 1. Auflage entzogen haben. Außerdem ist diese<br />

Ausgabe üppiger illustriert und enthält als neues Element Kästchen, in denen<br />

einzelne Studien mit ihren Orginaldaten vorgestellt werden, um die<br />

wichtigsten theoretischen Inhalte anschaulicher zu präsentieren. Außerdem<br />

habe ich alle Kapitel mit neuen Ideen und Beispielen, die seit der Publikation<br />

der 1. Auflage erschienen sind, aktualisiert sowie einige neue Unterkapitel<br />

hinzugefügt.<br />

Mein ganz herzlicher Dank gilt den folgenden Personen, die es durch<br />

die Bereitstellung von Fotos oder Abbildungen ermöglicht haben, diese<br />

Auflage sehr viel lebendiger zu gestalten: Gary Alpert, Nils Anthes, Stevan<br />

Arnold, Jesse Barber, Behavioral Ecology Research Group Oxford<br />

University, Laura Bimson, Carl Dennis Buell, Dale Burzacott, Silvain<br />

Charlat, Tim Clutton-Brock, Melanie Dammhahn, Perry van Duijnhoven,<br />

Manfred Eberle, Doug Emlen, Anna Fabiani, Marco Festa-Bianchet, Claudia<br />

Fichtel, Julia Fischer, Diane Fisher, GNU Free Documentation License,<br />

Christina M. Gomez, Robert Groß, Günter Hahn, Roland Hilgartner,<br />

Geoff Hill, Pharaoh Hound, Adam Jones, Pimpelmees Jongen, Andras<br />

Keszei, Andreas Klein (www.naturfan.de), Barbara König, Sybille<br />

Krutzsch (www.fdz-ferienhaus.de), Martine Maan, Tetsuro Matsuzawa,<br />

Stefan Merker, Manfred Milinski, Peter Müller, Alberto Munoz, Dick<br />

Mudde, Stefan Nessler, Dietmar Nill, Fanie Pelletier, Adrian Pingstone,<br />

PLoS (doi:10.1371/journal.pbio.0040421), Martin Pot, Andy Radford,<br />

Crazy Renee, Lukas Riebling, Colette Rivault, Robek, Peter Rosen, William<br />

Ruggles, Salimfadhley, Jakob Schmalzriedt, Klaus Schmidt-Koenig,<br />

Carsten Schradin (www.stripedmouse.com), Walter Schön (www.schmetterling-raupe.de),<br />

Joanna Setchell, Björn Siemers, Slawomir Staszczuk,<br />

Brian Stone, Andrew Syred, Marek Szczepanek, Jürgen Tautz, Detlef Teiwes,<br />

BS Thurner, Malene Thyssen, Fritz Trillmich, Klaus van de Weyer,<br />

Andreas Vermeulen, Luc Viatour, Otto von Helversen, Ulrike Walbaum,<br />

David Watts, Klaus Weißmann (naturfilm), Alan Wilson (www.naturespicsonline.com),<br />

Jerry Wilkinson, Roswitha & Wolfgang Wiltschko, Matthias<br />

Wittlinger, www.similan.net und Dietmar Zinner.<br />

Mein Dank gilt Stefanie Wolf für ihre begleitende Unterstützung dieses<br />

Projekts. Ulrike Walbaum hat schon die rechtzeitige Publikation der ersten<br />

Auflage durch ihre Akribie, Zuverlässigkeit und ihren Sinn für Perfektion<br />

bei der Formatierung von Text und bei der Herstellung von Abbildungen<br />

überhaupt erst möglich gemacht. Was Du diesmal noch draufgesetzt hast –<br />

trotz „der Lütten“ an der Backe – ist unbeschreiblich – Danke Ulli!! Mein<br />

Dank gilt auch Janna Etz und Henning Lahmann für hilfreiche Verbesserungs-<br />

und Korrekturvorschläge. Claudia Fichtel hat alle Kapitel Korrektur<br />

gelesen und dabei zahlreiche entscheidende Hinweise zur verständlicheren<br />

Darstellung geliefert. Außerdem hat sie beim Schreiben für meine Homö-


Vorwort zur 2. Auflage VII<br />

ostase gesorgt, mir den Rücken frei gehalten, die langen Arbeitswochenenden<br />

mit Apfelkuchen erträglich gemacht, mir nachts um 1h noch einen<br />

Kaffee für die Nachtschicht gekocht und bei der einen oder anderen Flasche<br />

Kaapzicht dafür gesorgt, dass auch die wichtigen Dinge des Lebens<br />

nicht zu kurz kommen. Für eine gebührende Danksagung müsste ich noch<br />

mal ein Buch schreiben! Die Liebe von Theresa und Jakob sowie ihre Begeisterung<br />

für Pferde und Spinnen ;-) bzw. Pandas und Tierfilme haben<br />

mir schließlich immer wieder die notwendige Kraft zum Weitermachen<br />

gegeben. Vielen Dank für Euer Verständnis dafür, dass ich schon wieder<br />

ein Buch schreibe, das ich doch eigentlich schon geschrieben habe?!<br />

Peter M. Kappeler Göttingen, im Juli 2008


Inhaltsverzeichnis<br />

I GRUNDLAGEN................................................................................ 1<br />

1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte .............................. 3<br />

1.1 Was ist Verhalten? ............................................................... 3<br />

1.2 Warum Verhaltensforschung?.............................................. 6<br />

1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie: ein kurzer Überblick ... 8<br />

1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie................. 15<br />

1.4.1 Klassische Methoden .............................................. 16<br />

1.4.2 Moderne Konzepte .................................................. 19<br />

1.5 Verhalten und Fitness: die vier Probleme ............................ 31<br />

1.6 Zusammenfassung................................................................ 34<br />

Literatur.......................................................................................... 36<br />

2 Life histories, Ökologie und Verhalten ....................................... 39<br />

2.1 Diversität der Life histories und ihre Ursachen.................... 41<br />

2.2 Evolution von Life histories................................................. 44<br />

2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale ............................... 46<br />

2.3.1 Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung......... 47<br />

2.3.2 Anzahl und Größe der Nachkommen...................... 52<br />

2.3.3 Fortpflanzungsstrategien und Lebensdauer............. 59<br />

2.4 Zusammenfassung................................................................ 66<br />

Literatur.......................................................................................... 67<br />

II ÜBERLEBENSSTRATEGIEN........................................................ 71<br />

3 Grundfunktionen und Verhalten................................................ 73<br />

3.1 Homöostasis......................................................................... 74<br />

3.1.1 Energie und Stoffwechsel........................................ 74<br />

3.1.2 Wasserhaushalt........................................................ 76<br />

3.1.3 Thermoregulation.................................................... 77<br />

3.1.4 Stress ....................................................................... 79<br />

3.1.5 Parasiten und Krankheiten ...................................... 81<br />

3.1.6 Schlaf....................................................................... 83


X<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

3.2 Einteilung von Zeit und Energie .......................................... 86<br />

3.2.1 Optimale Effizienz .................................................. 87<br />

3.2.2 Maximierung der Energiegewinnrate...................... 89<br />

3.2.3 Kontrolle von Energie:<br />

interne und externe Speicher................................... 90<br />

3.3 Zusammenfassung................................................................ 92<br />

Literatur.......................................................................................... 93<br />

4 Orientierung in Zeit und Raum .................................................. 99<br />

4.1 Sinnesphysiologie ................................................................ 100<br />

4.1.1 Sehen....................................................................... 100<br />

4.1.2 Hören....................................................................... 102<br />

4.1.3 Mechanorezeption ................................................... 104<br />

4.1.4 Chemorezeption ...................................................... 104<br />

4.1.5 Thermorezeption ..................................................... 105<br />

4.1.6 Elektro- und Magnetorezeption............................... 105<br />

4.2 Orientierung in der Zeit........................................................ 107<br />

4.2.1 Circadiane Rhythmen.............................................. 108<br />

4.2.2 Gezeitenrhythmen ................................................... 112<br />

4.2.3 Lunarperiodik.......................................................... 114<br />

4.2.4 Circannuale Periodik............................................... 115<br />

4.3 Orientierung im Raum ......................................................... 116<br />

4.3.1 Kinesen und Taxien................................................. 117<br />

4.3.2 Navigation............................................................... 120<br />

4.3.3 Wanderungen .......................................................... 130<br />

4.4 Zusammenfassung................................................................ 135<br />

Literatur.......................................................................................... 136<br />

5 Habitat- und Nahrungswahl........................................................ 145<br />

5.1 Habitatwahl und Einnischung .............................................. 146<br />

5.1.1 Bedeutung der Habitatwahl..................................... 147<br />

5.1.2 Mechanismen der Habitatwahl................................ 148<br />

5.2 Nahrungssuche..................................................................... 153<br />

5.2.1 Determinanten des Fressverhaltens......................... 154<br />

5.2.2 Mechanismen der Nahrungssuche........................... 155<br />

5.3 Nahrungswahl ...................................................................... 160<br />

5.3.1 Optimale Nahrungswahl.......................................... 161<br />

5.3.2 Nahrungsqualität ..................................................... 164<br />

5.4 Nahrungskonkurrenz............................................................ 166<br />

5.4.1 Ultimate Aspekte..................................................... 167<br />

5.4.2 Formen und Ursachen der Nahrungskonkurrenz..... 167<br />

5.4.3 Ideal freie Verteilung .............................................. 170


Inhaltsverzeichnis XI<br />

5.5 Territorialität ........................................................................ 173<br />

5.5.1 Ursachen von Territorialität .................................... 175<br />

5.5.2 Ökonomie der Territorialität ................................... 176<br />

5.5.3 Mechanismen der Territorialität.............................. 178<br />

5.6 Tier-Pflanze-Interaktionen ................................................... 182<br />

5.6.1 Evolution von Herbivorie........................................ 183<br />

5.6.2 Tier-Pflanze-Mutualismus....................................... 184<br />

5.7 Zusammenfassung................................................................ 186<br />

Literatur.......................................................................................... 187<br />

6 Prädation....................................................................................... 197<br />

6.1 Evolutionäre Wettrennen ..................................................... 198<br />

6.2 Räuberstrategien................................................................... 203<br />

6.2.1 Ansitz- vs. Suchjäger .............................................. 204<br />

6.2.2 Solitäre vs. Gruppenjäger........................................ 206<br />

6.2.3 Giftige Räuber......................................................... 207<br />

6.3 Beutestrategien..................................................................... 208<br />

6.3.1 Krypsis .................................................................... 209<br />

6.3.2 Aposematismus ....................................................... 210<br />

6.3.3 Mimikry................................................................... 213<br />

6.3.4 Wehrhaftigkeit......................................................... 215<br />

6.3.5 Wachsamkeit ........................................................... 217<br />

6.3.6 Alarmsignale ........................................................... 221<br />

6.3.7 Gruppenbildung....................................................... 223<br />

6.4 Zusammenfassung................................................................ 224<br />

Literatur.......................................................................................... 225<br />

III FORTPFLANZUNG......................................................................... 231<br />

7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen............................ 233<br />

7.1 Sexuelle und natürliche Selektion........................................ 234<br />

7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie .............................. 237<br />

7.2.1 Asexualität............................................................... 237<br />

7.2.2 Evolution der Sexualität.......................................... 238<br />

7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen .................................... 242<br />

7.4 Geschlechterverhältnis......................................................... 248<br />

7.5 Zusammenfassung................................................................ 250<br />

Literatur.......................................................................................... 251<br />

8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren.............. 255<br />

8.1 Partnerfindung und Sensorik................................................ 257<br />

8.1.1 Partnerfindung......................................................... 258<br />

8.1.2 Sensorische Mechanismen ...................................... 258


XII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

8.2 Größe, Stärke und Waffen ................................................... 262<br />

8.2.1 Physische Merkmale ............................................... 263<br />

8.2.2 Verteidigung............................................................ 264<br />

8.2.3 Kosten der intrasexuellen Selektion........................ 264<br />

8.2.4 Grundlagen des Fortpflanzungserfolges.................. 266<br />

8.2.5 Evolution sekundärer Geschlechtsmerkmale .......... 268<br />

8.3 Ornamente............................................................................ 270<br />

8.3.1 Visuelle Ornamente................................................. 272<br />

8.3.2 Akustische Ornamente ............................................ 274<br />

8.4 Dominanz............................................................................. 275<br />

8.4.1 Dominanz und Fortpflanzung.................................. 276<br />

8.4.2 Reproduktive Unterdrückung.................................. 279<br />

8.5 Spermienkonkurrenz ............................................................ 281<br />

8.5.1 Mechanismen .......................................................... 281<br />

8.5.2 Verhaltensanpassungen an Spermienkonkurrenz.... 286<br />

8.5.3 Anatomische Anpassungen<br />

an Spermienkonkurrenz........................................... 289<br />

8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz ........................................... 292<br />

8.6.1 Bruce-Effekt............................................................ 292<br />

8.6.2 Infantizid ................................................................. 293<br />

8.6.3 Infantizid und Life history....................................... 297<br />

8.7 Strategien und Taktiken ....................................................... 299<br />

8.7.1 Alternative Strategien.............................................. 300<br />

8.7.2 Konditionale Strategien........................................... 302<br />

8.8 Partnerwahl durch Männchen .............................................. 306<br />

8.9 Zusammenfassung................................................................ 307<br />

Literatur.......................................................................................... 308<br />

9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen .......................... 317<br />

9.1 Arterkennung ....................................................................... 319<br />

9.1.1 Mechanismen der Arterkennung ............................. 319<br />

9.1.2 Speziation................................................................ 324<br />

9.1.3 Wahl von artfremden Männchen............................. 326<br />

9.2 Inzestvermeidung................................................................. 327<br />

9.2.1 Mechanismen der Inzestvermeidung....................... 328<br />

9.2.2 Verwandtenerkennung ............................................ 331<br />

9.3 Mechanismen der Partnerwahl............................................. 335<br />

9.3.1 Selektivität der Weibchen ....................................... 336<br />

9.3.2 Erhebungstaktiken................................................... 337<br />

9.3.3 Proximate Grundlagen der Wahl............................. 340<br />

9.3.4 Kryptische Weibchenwahl ...................................... 343


Inhaltsverzeichnis XIII<br />

9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl ......................................... 345<br />

9.4.1 Effekte auf Fertilität und Fekundität ....................... 346<br />

9.4.2 Vaterqualitäten ........................................................ 348<br />

9.4.3 Andere Qualitäten der Männchen ........................... 350<br />

9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl....................................... 352<br />

9.5.1 Sexy Söhne durch den Fisher-Prozess .................... 353<br />

9.5.2 Besserer Nachwuchs durch gute Gene .................... 357<br />

9.5.3 Genetische Kompatibilität....................................... 366<br />

9.6 Polyandrie ............................................................................ 368<br />

9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen.......................................... 373<br />

9.7.1 Reproductive skew................................................... 373<br />

9.7.2 Weibliche Ornamente.............................................. 378<br />

9.8 Sexueller Konflikt................................................................ 380<br />

9.8.1 Theorie sexueller Konflikte..................................... 381<br />

9.8.2 Beispiele für sexuellen Konflikt.............................. 384<br />

9.8.3 Konsequenzen sexuellen Konflikts ......................... 386<br />

9.8.4 Sexuelle Nötigung................................................... 386<br />

9.9 Zusammenfassung................................................................ 388<br />

Literatur.......................................................................................... 389<br />

IV JUNGENAUFZUCHT...................................................................... 403<br />

10 Elterliche Fürsorge....................................................................... 405<br />

10.1 Life history und Fürsorge ..................................................... 406<br />

10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge ......................................... 411<br />

10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt ...................................... 418<br />

10.3.1 Sexueller Konflikt über elterliches Investment....... 419<br />

10.3.2 Eltern-Kind-Konflikt............................................... 422<br />

10.3.3 Geschwister-Konflikt .............................................. 437<br />

10.3.4 Brutparasitismus...................................................... 439<br />

10.4 Fürsorge und Kooperation ................................................... 442<br />

10.4.1 Eusozialität und reproduktiver Altruismus.............. 442<br />

10.4.2 Helfersysteme.......................................................... 449<br />

10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens ......................... 457<br />

10.5.1 Gene und Verhalten................................................. 457<br />

10.5.2 Umwelt, Erfahrung und Verhalten .......................... 463<br />

10.6 Zusammenfassung................................................................ 471<br />

Literatur.......................................................................................... 472


XIV<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

V SOZIALE EVOLUTION.................................................................. 487<br />

11 Sozialsysteme ................................................................................ 489<br />

11.1 Soziale Organisation ............................................................ 492<br />

11.1.1 Sozioökologie.......................................................... 492<br />

11.1.2 Organisationsformen ............................................... 495<br />

11.1.3 Abwanderung und Philopatrie................................. 509<br />

11.2 Paarungssysteme .................................................................. 512<br />

11.2.1 Diversität der Paarungssysteme .............................. 512<br />

11.2.2 Konsequenzen ......................................................... 524<br />

11.3 Sozialstruktur ....................................................................... 527<br />

11.3.1 Kommunikation....................................................... 529<br />

11.3.2 Koordination ........................................................... 535<br />

11.3.3 Konkurrenz.............................................................. 538<br />

11.3.4 Kooperation............................................................. 544<br />

11.3.5 Kognition................................................................. 550<br />

11.3.6 Kultur ...................................................................... 557<br />

11.4 Zusammenfassung................................................................ 560<br />

Literatur.......................................................................................... 561<br />

Sachverzeichnis.................................................................................... 581<br />

Tierverzeichnis..................................................................................... 595


I GRUNDLAGEN


1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

1.1 Was ist Verhalten?<br />

1.2 Warum Verhaltensforschung?<br />

1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie: ein kurzer Überblick<br />

1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie<br />

1.4.1 Klassische Methoden<br />

1.4.2 Moderne Konzepte<br />

1.5 Verhalten und Fitness: die vier Probleme<br />

1.6 Zusammenfassung<br />

Was versteht man unter Verhalten? Warum ist ein Verständnis der Mechanismen,<br />

der Entwicklung, Funktion und Evolution von Verhalten wichtig?<br />

Welchen Verlauf nahm die wissenschaftliche Erforschung des Verhaltens<br />

bislang und welche Ansätze haben sich dabei durchgesetzt? Wie kann man<br />

Verhalten überhaupt untersuchen und welche Methoden, Konzepte und<br />

Hilfsmittel kommen in der Verhaltensforschung zur Anwendung? Im Einführungskapitel<br />

werden diese Fragen besprochen, um so eine Grundlage<br />

für die inhaltliche Behandlung von Fragen, Konzepten und Fakten in den<br />

folgenden Kapiteln zu schaffen.<br />

1.1 Was ist Verhalten?<br />

Die Verhaltensbiologie ist eine Disziplin der Biologie, die mit wissenschaftlichen<br />

Methoden das Verhalten von Tieren und Menschen untersucht.<br />

Was aber genau ist „das Verhalten“? Jeder hat vermutlich eine konkrete,<br />

ganz persönliche Vorstellung davon. Ein knurrender Hund, ein<br />

singender Vogel, eine jagende Fledermaus – diese anschaulichen Beispiele<br />

haben vermutlich viele vor Augen, wenn sie spontan an das Verhalten von<br />

Tieren denken. Verhalten lässt sich aber nicht einfach mit Bewegung oder<br />

Aktivität gleichsetzen, denn auch Pflanzen bewegen sich – aber niemand<br />

erforscht das Verhalten der Pflanzen! Andererseits können sich auch ver-


4 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

meintlich inaktive Tiere verhalten: Motten und Geckos zum Beispiel, die<br />

durch ihre Körperfärbung perfekt mit dem Muster einer Baumrinde verschmelzen,<br />

verringern dadurch ihr Risiko, von einem Räuber entdeckt und<br />

gefressen zu werden; oder regungslose Weibchen eines Nachtfalters können<br />

Duftstoffe abgeben, mit deren Hilfe sie von Männchen gefunden werden.<br />

Bei diesen Beispielen von Tarnung bzw. Paarungsverhalten, also zwei<br />

zentralen Themen der Verhaltensforschung, besteht das Verhalten aus dem<br />

Entsenden von Signalen. Signale sind neben Aktionen und Interaktionen<br />

also wichtige Aspekte des Verhaltens. Eine der wenigen publizierten Definitionen<br />

konzentriert sich auf funktionale Aspekte des Verhaltens im<br />

Rahmen der innerartlichen Kommunikation: „[…] unter Verhalten versteht<br />

man […] in der Regel Bewegungen, Lautäußerungen und Körperhaltungen<br />

eines Tieres, sowie diejenigen äußerlich erkennbaren Veränderungen, die<br />

der gegenseitigen Verständigung dienen […]“ (Immelmann 1982). In Inhaltsverzeichnissen<br />

von einschlägigen Lehrbüchern finden sich aber auch<br />

Einträge wie „Appetenz“, „Aversion“ oder „Neugier“, die offenbar auch in<br />

die Zuständigkeit der Verhaltensforschung fallen. Es ist daher gar nicht<br />

leicht, eine Definition von Verhalten zu finden, die über das Triviale „alles<br />

was Tiere tun“ oder „das, was tote Tiere nicht mehr tun“ (Hall u. Halliday<br />

1998) hinausgeht. Das Verhalten von Tieren, so wie ich den Begriff<br />

gebrauchen werde, bezieht sich daher auf die Kontrolle und Ausübung von<br />

Bewegungen oder Signalen, mit denen ein Organismus mit Artgenossen<br />

oder anderen Komponenten seiner belebten und unbelebten Umwelt interagiert<br />

sowie Aktivitäten, die der Homöostase ( Kap. 3.1) eines Individuums<br />

dienen.<br />

Diese abstrakte Definition wird sehr viel anschaulicher, wenn man sich<br />

vergegenwärtigt, wie komplex die Aktionen eines Tieres sind und auf welchen<br />

Ebenen sie beschrieben werden können. Der Nobelpreisträger Nikolaas<br />

Tinbergen hat 1963 in diesem Zusammenhang als erster explizit darauf<br />

aufmerksam gemacht, dass sich vier logisch eindeutig trennbare<br />

Ebenen der Beschreibung und Analyse des Verhaltens unterscheiden lassen.<br />

Die inzwischen legendären vier Fragen Tinbergens in Bezug auf die<br />

Erklärung von Verhalten beziehen sich auf:<br />

• Die unmittelbaren oder proximaten Ursachen des Verhaltens.<br />

Welche internen und externen Faktoren kontrollieren eine Verhaltensweise<br />

mit Hilfe welcher Mechanismen? Zu diesen Mechanismen<br />

gehören Neurone, Hormone und Muskeln.<br />

• Die Entwicklung des Verhaltens. Wie entsteht eine Verhaltensweise<br />

in der Ontogenese eines Individuums? Welche Faktoren be-


1.1 Was ist Verhalten? 5<br />

einflussen die Entwicklung des Verhaltens und wie interagieren<br />

genetische und externe Einflüsse dabei?<br />

• Die evoluierte oder ultimate Funktion des Verhaltens. Welche<br />

Konsequenzen hat eine Verhaltensweise letztendlich für den<br />

Überlebens- und Fortpflanzungserfolg eines Individuums? Was ist<br />

die adaptive Bedeutung einer Verhaltensweise?<br />

• Den phylogenetischen Ursprung des Verhaltens. Wie ist eine<br />

Verhaltensweise im Laufe der Stammesgeschichte einer Art entstanden?<br />

Auf die simple Frage „Warum singt eine männliche Amsel?“ gibt es also<br />

mehrere richtige Antworten. Dieses Männchen singt, „weil seine Larynxmuskulatur<br />

durch daran ansetzende Motorneurone aktiviert wird“ oder<br />

„weil es im April einen besonders hohen Testosterongehalt hat“ (proximate<br />

Ursachen). Es singt aber auch, „weil es diese Gesangsstrophen als Jungtier<br />

während einer sensiblen Phase von einem männlichen Artgenossen gelernt<br />

hat“ (ontogenetische Ursache). Mit seinem Gesang „lockt das<br />

Männchen aber auch paarungsbereite Weibchen an und/oder hält Rivalen<br />

aus seinem Territorium fern“ (ultimate Ursachen). Schließlich singt ein<br />

Amselmännchen auch genau so, „weil Amseln von einer Art abstammen,<br />

deren Männchen ganz ähnlich gesungen haben“ (phylogenetische Ursache).<br />

An diesem einfachen Beispiel wird bereits deutlich, wie sehr Verhalten<br />

den integrativen Charakter der kompletten Biologie eines Organismus<br />

widerspiegelt. Physiologie, Genetik, Entwicklung und Evolution sind<br />

hier auf das Engste aufeinander abgestimmt, um das Überleben und die<br />

Fortpflanzung eines Individuums zu gewährleisten.<br />

Verhalten ist demnach ein zentraler Mechanismus zur Anpassung eines<br />

Organismus an seinen Lebensraum. Die wichtigsten dieser Anpassungen<br />

betreffen die Suche nach Nahrung, das Vermeiden von Räubern, das Finden<br />

und die Auswahl von Fortpflanzungspartnern sowie die Aufzucht der<br />

Jungen ( Kap. 1.5; Abb. 1.1). Die bei der Lösung dieser Probleme beteiligten<br />

Verhaltensweisen können zwischen Arten sowie in Abhängigkeit<br />

von sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen variieren und werden<br />

oft durch individuelle Erfahrungen modifiziert. Verhalten unterliegt damit<br />

der Evolution, kann aber auch den Verlauf der Evolution mit beeinflussen,<br />

da es, evolutionär gesehen, flexibler ist als viele morphologische oder physiologische<br />

Merkmale. Um dieser Bedeutung des Verhaltens gerecht zu<br />

werden, liegt der inhaltliche Schwerpunkt dieses Buches auf der adaptiven<br />

Funktion von Verhalten.


6 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Abb. 1.1a–d. Verhaltensforschung beschäftigt sich mit einem vielseitigen Phänomen.<br />

Tiere interagieren mit ihrer Umwelt, Mitgliedern anderer Arten sowie mit<br />

Artgenossen. Verhaltensweisen, die dem Nahrungserwerb (a Waldameise, Formica<br />

rufa), der Räubervermeidung (b Blattschwanzgecko, Uroplatus guentheri), der<br />

Fortpflanzung (c Frosch, hier Aglyptodactylus securifer) oder der Jungenaufzucht<br />

(d Huhn, Gallus gallus) dienen, spielen dabei bei allen Arten eine wichtige Rolle<br />

1.2 Warum Verhaltensforschung?<br />

Warum mühen wir uns mit der Untersuchung des Verhaltens ab, wenn es<br />

doch so komplex und variabel ist? Wäre es da nicht besser, die molekularen<br />

und zellulären Grundlagen des Verhaltens zu erforschen, um so die<br />

zugrunde liegenden Mechanismen und Prozesse einfacher und genauer zu<br />

bestimmen? Der technische Fortschritt auf dem Gebiet der Neurobiologie<br />

macht es ja inzwischen möglich, die chemische und elektrische Aktivität<br />

bestimmter Gehirnregionen und sogar einzelner Neurone zu messen. Zudem<br />

werden die genetischen Grundlagen mancher Verhaltensweisen nach<br />

der kompletten Genomsequenzierung auf der molekularbiologischen Ebene<br />

gesucht. Mit anderen Worten, ist es also überhaupt notwendig oder<br />

noch zeitgemäß, sich mit Verhaltensbiologie zu beschäftigen?


1.2 Warum Verhaltensforschung? 7<br />

Diese, leider nicht für alle, rhetorische Frage lässt sich am besten mit einer<br />

Analogie beantworten. Buchstaben, die kleinste Informationseinheit<br />

einer für uns wichtigen Kommunikationsform, können ganz genau in ihrer<br />

Zahl und Reihenfolge bestimmt werden. Allein mit dieser Information<br />

weiß man jedoch noch gar nichts über deren Bedeutung. Erst wenn die<br />

Buchstaben zu einzelnen Wörtern zusammengefügt werden, gewinnt man<br />

ein entscheidendes Maß an zusätzlicher Information. Dasselbe gilt für die<br />

Bildung von ganzen Sätzen aus eben diesen Wörtern. D. h. jede höhere<br />

Organisationsebene hat Eigenschaften, die nicht aus der Kenntnis der niederen<br />

Organisationsebenen heraus vorhergesagt werden können. Auf die<br />

Eingangsfrage übertragen bedeutet dies, dass ein Verständnis des Verhaltens<br />

des ganzen Organismus nicht aus der Kenntnis der neuro- oder molekularbiologischen<br />

Mechanismen allein gewonnen werden kann und dass<br />

umgekehrt ein Verständnis dieser Mechanismen Kenntnis über das Verhalten<br />

des gesamten Organismus voraussetzt. Aus diesen Gründen sollte Verhaltensbiologie<br />

ein essentieller Bestandteil biologischer Grundlagenforschung<br />

sein und bleiben.<br />

Welche anderen Gründe gibt es, sich mit dem Verhalten von Tieren zu<br />

beschäftigen (Tabelle 1.1)? Wie schon dargelegt, sind Kenntnisse über das<br />

Verhalten für das Verständnis von Evolution notwendig. Verhalten ist auch<br />

an sich interessant, d. h. zu verstehen, wie beispielsweise Bienen miteinander<br />

kommunizieren, trägt zu einem besseren Verständnis natürlicher Prinzipien<br />

bei. Verhaltensstudien an Tieren können auch wichtige Prozesse<br />

und Motivationen, wie Lernen oder Aggression, aufklären und somit<br />

grundlegende vergleichende Beiträge zum Verständnis der Funktion, Mechanismen<br />

und Kontrolle menschlichen Verhaltens liefern.<br />

Tabelle 1.1. Theoretische und praktische Gründe, Verhaltensforschung zu betreiben<br />

Warum Verhaltensforschung?<br />

• Verständnis der funktionalen Integration von Organismen<br />

• Verständnis von Evolution<br />

• Verhalten ist an sich interessant<br />

• Allgemeine Prinzipien von Funktion, Mechanismen und Kontrolle<br />

• Vorteile bei Jagd und Domestikation<br />

• Schädlingsbekämpfung, Nutztierhaltung<br />

• Grundlagen für fundierten Artenschutz<br />

• Spaß


8 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Neben diesen Überlegungen aus dem akademischen Elfenbeinturm gibt<br />

es aber noch eine Vielzahl von praktischen Gründen, sich für das Verhalten<br />

von Tieren zu interessieren. Den ältesten und pragmatischsten Grund<br />

liefern die Überlebensvorteile im Laufe unserer Stammesgeschichte. Das<br />

Verhalten von für uns gefährlichen Tieren einschätzen zu können, bei der<br />

Jagd das Verhalten des Beutetiers richtig vorherzusagen oder auch bei der<br />

Domestikation von Haustieren die Zucht und Haltung zu optimieren, waren<br />

und sind unschätzbare Vorteile beim mühseligen Kampf ums tägliche<br />

Überleben (Diamond 1997). Heutzutage ist es zusätzlich von Bedeutung,<br />

bei der Bekämpfung von Schädlingen Informationen über deren Fortpflanzungsverhalten<br />

einzusetzen oder die natürlichen Bedürfnisse von intensiv<br />

gehaltenen Nutztieren zu kennen. Eine neue und immer wichtiger werdende<br />

praktische Bedeutung gewinnt das Verhalten von Tieren bei der Planung<br />

und Umsetzung von Projekten zu deren Schutz und Erhalt. Nur mit<br />

Informationen über ihr natürliches Sozial- und Paarungssystem, ihre Nahrungs-<br />

und Habitatwahl können vom Aussterben bedrohte Tiere erfolgreich<br />

in Gefangenschaft gehalten und gezüchtet werden (Gosling u. Sutherland<br />

2000). Kenntnisse über Migrations- und Dispersionsmuster, über Raumansprüche<br />

und die ökologische Rolle als Beute und/oder Räuber für andere<br />

Arten sind zudem notwendig, um geeignete Schutzgebiete zu identifizieren.<br />

Schließlich macht es schlichtweg Spaß, Tiere zu beobachten. Warum<br />

sonst gäbe es all die Haustiere, Millionen von Zuschauern bei Tiersendungen<br />

im Fernsehen oder immer mehr Ökotouristen, die in ihrem Urlaub<br />

wilde Tiere in ihren verbleibenden Lebensräumen beobachten wollen?<br />

Verhaltensforschung ist also eine wissenschaftliche Disziplin, die Erkenntnisse<br />

in vielen Bereichen biologischer Grundlagenforschung erbringt<br />

und integriert, die wichtige praktische Nutzanwendungen mit enormen<br />

ökonomischen Konsequenzen eröffnet und die über die Medien wichtige<br />

Interessensbedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten bedient.<br />

1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie:<br />

ein kurzer Überblick<br />

Das Verhalten von Tieren ist schon seit prähistorischen Zeiten für Menschen<br />

faszinierend und wichtig gewesen, aber die systematische wissenschaftliche<br />

Verhaltensforschung hat ihre Wurzeln erst in den letzten 150<br />

Jahren ausgetrieben. In dieser relativ kurzen Zeit haben bereits mehrere<br />

verschiedene Konzepte, die bis heute erkennbar sind, die Erforschung des<br />

Verhaltens geleitet. Ein historischer Überblick über die wichtigsten dieser


1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie: ein kurzer Überblick 9<br />

Ansätze und ihre Protagonisten hilft daher, die Komplexität aktueller Fragestellungen<br />

besser zu verstehen und einzuordnen.<br />

Charles Darwin (1809–1882) war nicht nur der Begründer<br />

der modernen Evolutionsbiologie, sondern auch<br />

einer der ersten systematischen Verhaltensforscher, der<br />

die Funktion bestimmter Verhaltensweisen klar analysierte.<br />

Aus der Zeit vor Darwin gibt es, beginnend mit<br />

Aufzeichnungen von Aristoteles, vor allem Beschreibungen<br />

verschiedener Tiere und ihrer Aktivitäten durch<br />

Naturforscher und Philosophen (Klopfer 1974). Darwin hingegen erkannte,<br />

dass manche Verhaltensweisen entscheidende Mechanismen evolutionsrelevanter<br />

Prozesse darstellen und gab damit der Untersuchung des Verhaltens<br />

als erster eine wissenschaftliche Legitimation. So interpretierte er<br />

zum Beispiel die spektakulären Balzrituale männlicher Paradiesvögel als<br />

Versuche, die Partnerwahl der Weibchen zu beeinflussen (Darwin 1859;<br />

Kap. 9.3).<br />

George Romanes (1848–1894), ein Freund und Zeitgenosse<br />

Darwins, versuchte dessen Evolutionstheorie zu<br />

unterstützen, indem er eine Theorie der Diskontinuität<br />

und Hierarchie mentaler Prozesse entwickelte. Er versuchte<br />

dabei zu zeigen, dass sich Arten in ihren mentalen<br />

Fähigkeiten unterscheiden und dass die Komplexität<br />

dieser Fähigkeiten parallel zu der phylogenetischen<br />

Entwicklungsstufe zunimmt. Seine Darstellung dieser Theorie kann als das<br />

erste moderne, rein verhaltensbiologische Werk angesehen werden (Romanes<br />

1882).<br />

Um die Jahrhundertwende wurden in der Zoologie und<br />

Psychologie Europas und Nordamerikas die Grundsteine<br />

weiterer Ansätze der Verhaltensforschung gelegt. Zoologen<br />

begannen systematisch und gezielt, das Verhalten<br />

verschiedenster Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen<br />

zu beschreiben und zu klassifizieren. Ein amerikanischer<br />

Morphologe aus diesem Kreis, Charles Whitman<br />

(1842–1910), wird als einer der Gründerväter der späteren „klassischen<br />

Ethologie“ betrachtet, da er forderte „Instinkte und Organe müssen aus der<br />

gemeinsamen Sichtweise der phylogenetischen Abstammung studiert werden“<br />

(Whitman 1898). Den Begriff des „Instinkts“ hatte Whitman übrigens<br />

selbst eingeführt, um stereotype Verhaltensmuster von Tauben zu beschreiben.


10 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

In Europa war Oskar Heinroth (1871–1945), Gründer<br />

des Aquariums des Berliner Zoos und herausragender<br />

Ornithologe, der bedeutendste Vertreter dieser Richtung,<br />

der „den Stein ins Rollen brachte, den Lorenz und seine<br />

Schüler zu einer Lawine werden ließen“ (Weißpflug<br />

1998). Seine in diesem Zusammenhang wichtigste Arbeit<br />

beschäftigte sich mit der frühen Entwicklung der<br />

Entenvögel, in deren Rahmen er den Begriff der Prägung definierte (Heinroth<br />

1910; Kap. 10.5). Der historisch wichtige Beitrag der Naturbeobachtungen<br />

dieser Schule von Verhaltensforschern bestand darin, zu<br />

zeigen, dass es invariable arttypische Verhaltensweisen gibt, die für phylogenetische<br />

Analysen genauso verwendet werden können wie anatomische<br />

Merkmale.<br />

Des Weiteren entwickelten amerikanische Psychologen zur selben Zeit<br />

einen neuen Ansatz zur Erforschung des Verhaltens, der in gewisser Weise<br />

eine Gegenreaktion zu den hauptsächlich auf Anekdoten basierenden Arbeiten<br />

Romanes darstellte. Als erste Reaktion darauf hatte schon Lloyd<br />

Morgan (1852–1936) eine „Regel der Parsimonie“ formuliert, wonach eine<br />

Verhaltensweise immer auf der einfachsten möglichen Ebene erklärt werden<br />

sollte (Morgan 1896).<br />

Der aus dieser Einstellung hervorgehende Behaviorismus<br />

wurde von John Watson (1878–1958) endgültig<br />

etabliert. Der Behaviorismus geht davon aus, dass alle<br />

Organismen als tabula rasa geboren werden und dass<br />

jegliches Verhalten das Ergebnis früherer Erfahrungen<br />

darstellt. Verhalten von Tieren besteht demnach nur aus<br />

Reaktionen auf externe Reize, die als „bedingte Reflexe“<br />

ständig neu angelegt werden, und wird von keinerlei Emotionen beeinflusst.<br />

Der bedingte Reflex war vom russischen Psychologen Ivan Pavlov<br />

(1849–1936) erstmals in Versuchen mit Hunden demonstriert worden. Dabei<br />

wurde ein arbiträrer Reiz (Laut) so lange mit dem Anblick von Futter<br />

gekoppelt, bis der Laut alleine ausreichend war, um den Speichelfluss bei<br />

Hunden auszulösen ( Kap. 10.5). Der enge postulierte Zusammenhang<br />

zwischen spezifischer Reaktion und dem vorausgegangenen Reiz hatte<br />

auch Konsequenzen für den methodischen Ansatz der Behavioristen. Ihre<br />

Untersuchungen fanden unter streng kontrollierten Bedingungen in Gefangenschaft<br />

statt und konzentrierten sich auf verschiedene Aspekte des Lernens<br />

bei einigen wenigen Arten, insbesondere Tauben und Laborratten. Bis<br />

heute sind davon die Arbeiten von Edward Thorndike (1874–1949) und<br />

Burrhus Skinner (1904–1990) bekannt.


1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie: ein kurzer Überblick 11<br />

In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts begann in<br />

Europa der Aufschwung der klassischen Ethologie. Der<br />

inhaltliche und methodische Ansatz dieser Richtung lag<br />

auf der ausführlichen Beschreibung von Verhaltensmustern<br />

und -abläufen bei einer Vielzahl von Taxa in ihrem<br />

natürlichen Habitat. Dieser Katalog arttypischer Verhaltensweisen,<br />

das Ethogramm, bildete die Grundlage für<br />

vergleichende phylogenetische Analysen und für die Entwicklung von<br />

Fragen nach dem Anpassungswert einzelner Elemente. Untersuchungen<br />

zur Kontrolle des Verhaltens stellten einen weiteren Schwerpunkt der klassischen<br />

Ethologie dar. Wichtige Grundlagen dazu lieferten Arbeiten von<br />

Jakob von Uexküll (1864–1944) mit seinen Überlegungen über die selektive<br />

Wahrnehmung der Umwelt durch Tiere (von Uexküll 1909) und Wallace<br />

Craig (1876–1954), der verschiedene Klassen von Verhaltensweisen<br />

danach unterschied, wie stereotyp sie ablaufen und welcher vermeintlichen<br />

Motivation sie unterliegen.<br />

Konrad Lorenz (1903–1989) brachte diese Konzepte<br />

erstmals in einem umfassenden Modell zusammen (Lorenz<br />

1937) und wird daher zu Recht als Begründer der<br />

vergleichenden Verhaltensforschung angesehen (Lorenz<br />

1939). Lorenz gründete nach dem 2. Weltkrieg die Station<br />

für vergleichende Verhaltensforschung in Altenberg,<br />

bevor er ab 1961 das Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie<br />

in Seewiesen leitete. Er arbeitete im Laufe seiner langen<br />

Karriere mit einer Vielzahl von Arten, aber es sind vor allem seine Arbeiten<br />

über die Prägung bei Entenvögeln und die Verhaltensentwicklung im<br />

Allgemeinen, die ihm neben den phylogenetisch-vergleichenden Arbeiten<br />

1973 den Nobelpreis für Medizin einbrachten.<br />

Lorenz teilte den Nobelpreis mit zwei weiteren Ethologen,<br />

die mit ihren persönlichen Arbeitsschwerpunkten<br />

innerhalb der Ethologie die Grundlage für noch heute<br />

erfolgreiche Teildisziplinen legten. Karl von Frisch<br />

(1886–1982) gilt als Mitbegründer der modernen Verhaltensphysiologie,<br />

welche die physiologischen und regulatorischen<br />

Grundlagen des Verhaltens untersucht.<br />

Schon im 19. Jahrhundert hatten andere Pionierarbeit auf dem Gebiet der<br />

Sinnesphysiologie geleistet. So erarbeitete Herrmann von Helmholtz<br />

(1821–1894) Grundlagen des Verständnisses der Nervenimpulsleitung und<br />

des Farbensehens. Wilhelm Wundt (1832–1920) untersuchte physiologische<br />

Grundlagen der Gefühlswahrnehmung und gilt als Vater der moder-


12 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

nen Psychologie. Von Frisch demonstrierte in seinen frühen Arbeiten, dass<br />

Fische Farben wahrnehmen und einen Hörsinn besitzen (von Frisch 1923).<br />

Geehrt wurde er für seine späteren Arbeiten, in denen er den Bienentanz<br />

entdeckte und dabei zeigte, dass Honigbienen einen Sonnenkompass zur<br />

Orientierung benutzen (von Frisch 1965; Kap. 4.3).<br />

Die beiden Österreicher Lorenz und von Frisch teilten<br />

sich den Nobelpreis mit dem Niederländer Nikolaas<br />

Tinbergen (1907–1988). Dieser hatte im Freiland begonnen,<br />

die Mechanismen und Funktionen bestimmter<br />

Verhaltensweisen mit Hilfe einfacher, aber genialer experimenteller<br />

Manipulationen zu erforschen. So untersuchte<br />

er auf diese Weise unter anderem die Orientierung<br />

bei Bienenwölfen, das Balzverhalten von Stichlingen und die Funktion des<br />

Entfernens von Eischalen vom Nest bei Lachmöwen (Tinbergen 1951,<br />

1977). Dieser Ansatz war sowohl methodisch als auch konzeptionell neu,<br />

da er das Augenmerk auf den evolutiven Anpassungswert des Verhaltens<br />

lenkte. Damit lieferte Tinbergen wichtige Grundlagen für die nachfolgende<br />

Entwicklung der Verhaltensökologie in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

(Abb. 1.2).<br />

Während des Aufschwungs der klassischen Ethologie in Europa war in<br />

Nordamerika die „vergleichende Psychologie“ die dominierende Disziplin<br />

der Verhaltensforschung (Dewsbury 1989). Aufgrund ihrer Wurzeln im<br />

Behaviorismus konzentrierte sich die vergleichende Psychologie auf die<br />

Untersuchung proximater Fragen an wenigen Arten (Laborratte und Taube),<br />

die unter kontrollierten Bedingungen im Labor gehalten wurden.<br />

Daneben gab es aber auch andere einflussreiche Strömungen, die sich<br />

mit dem Verhalten verschiedenster Arten unter natürlichen Bedingungen<br />

beschäftigten. Im Rückblick waren dabei Robert Yerkes (1875–1956) und<br />

sein Student Ray Carpenter (1905–1975) als Begründer der Verhaltensforschung<br />

an Primaten, Theodore Schneirla (1902–1968) als Pionier von<br />

Freilandstudien an Ameisen, Frank Beach (1911–1988) als Begründer der<br />

systematischen Untersuchung der Kontrolle des Fortpflanzungsverhaltens<br />

und der Entwicklungspsychologe Harry Harlow (1905–1981) die einflussreichsten.<br />

Aus der amerikanischen zoologischen Schule dieser Zeit<br />

zwischen den Weltkriegen ist noch besonders Warder Allee (1885–1955)<br />

hervorzuheben, der als einer der ersten das Sozialverhalten verschiedener<br />

Wirbeltiere systematisch untersuchte und dessen zahlreiche Studenten die<br />

Nachkriegsentwicklung der amerikanischen Verhaltensforschung ganz entscheidend<br />

mitgestalteten. Trotz der zahlreichen und diversen Arbeiten an


1.3 Geschichte der Verhaltensbiologie: ein kurzer Überblick 13<br />

Abb. 1.2. Schematische Übersicht über die Beziehungen zwischen den wichtigsten<br />

Ansätzen der Verhaltensbiologie<br />

verschiedenen Fragen der Verhaltensbiologie fehlte der Disziplin in Nordamerika<br />

in dieser Zeit aber eine synthetische Theorie.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einer langsamen Annäherung zwischen<br />

den europäischen Ethologen und den amerikanischen Psychologen,<br />

die unter anderem durch die Gründung einer ersten spezifischen internationalen<br />

Fachzeitschrift („Behaviour“ 1948) und eines regelmäßigen Kongresses<br />

(„International Ethological Conference“; erstmals 1952 in Buldern<br />

bei Münster) vorangebracht wurde (Franck 2008). In einer aufsehenerregenden<br />

Arbeit kritisierte der amerikanische Psychologe Daniel Lehrman<br />

(1953) zentrale Punkte der Instinkttheorie von Lorenz und definierte damit<br />

klare Unterschiede zwischen verschiedenen Ansätzen der Verhaltensbiologie<br />

der damaligen Zeit, womit er wesentlich zum inhaltlichen Diskurs und<br />

damit zu einer graduellen Annäherung beitrug.<br />

Aus der Ethologie gingen in den 1970er Jahren zwei Schwerpunkte hervor,<br />

welche die aktuelle Verhaltensbiologie wesentlich prägen (Abb. 1.2).<br />

Die Verhaltensökologie beschäftigt sich vor allem mit dem Überlebenswert<br />

des Verhaltens unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen<br />

ökologischen Rahmenbedingungen, wobei ultimate Faktoren und proximate<br />

Mechanismen gleichermaßen bedeutsam sind. Die Art und Weise, wie<br />

Verhalten zum Überleben und Fortpflanzungserfolg beiträgt, ist stark von<br />

der Ökologie der Tiere abhängig. Diese Einsicht gab es schon lange, aber<br />

sie ging nicht über die Beschreibung von Korrelationen und plausiblen In-


14 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

terpretationen hinaus. Erst mit Hilfe der Methoden und Fragestellungen<br />

Tinbergens und der Einführung mathematischer und ökonomischer Konzepte<br />

( Kap. 1.4) wurde es möglich, präzise Vorhersagen mit quantitativen<br />

Daten, die oft experimentell gewonnen werden, zu überprüfen. Eine<br />

weitere wichtige Methode, Hypothesen über den Anpassungswert von<br />

Verhalten zu untersuchen, stellen Vergleiche zwischen Arten dar. John<br />

Crook (1964) war der Erste, der mit dieser Methode Unterschiede in der<br />

sozialen Organisation von Webervögeln mit deren Ökologie in Zusammenhang<br />

setzte, und wird daher zu Recht als einer der Pioniere der Verhaltensökologie<br />

betrachtet. Die zahlreichen und vielfältigen Arbeiten auf dem<br />

Gebiet der Verhaltensökologie wurden von Beginn an in einer einflussreichen<br />

Bücherserie von John Krebs und Nicholas Davies zusammengefasst<br />

(z. B. Krebs u. Davies 1978, 1981).<br />

Die zweite moderne Teildisziplin der Verhaltensbiologie, die Soziobiologie,<br />

untersucht die evolutionsbiologischen Funktionen des Sozialverhaltens.<br />

Sie stellt daher ein konzeptionelles Bindeglied zwischen dem Verhalten<br />

von Tieren und ihrer Populationsbiologie dar. Die Soziobiologie<br />

untersucht die Vor- und Nachteile von Verhaltensunterschieden für die individuelle<br />

Fitness, ohne die zugrunde liegenden Mechanismen selbst klären<br />

zu wollen. Ein in diesem Zusammenhang gängiges Missverständnis<br />

und Vorurteil gegenüber der Soziobiologie besagt, dass sie einen genetischen<br />

Determinismus propagiert, d. h. dass die Gene eines Individuums<br />

die Entwicklung und Ausprägung seiner Verhaltensweisen kontrollieren<br />

und bestimmen. Soziobiologen vertreten aber weder diesen absurden Determinismus<br />

noch interessieren sie sich für die proximaten Beziehungen<br />

zwischen DNA und ihrer Kaskade an Produkten ( Kap. 10.5), sondern<br />

allein dafür, ob bestimmte Verhaltensweisen den genetischen Erfolg von<br />

Individuen beeinflussen (Alcock 2001).<br />

Der Beginn der Soziobiologie ist eng mit der Publikation eines gleichnamigen<br />

Buches des amerikanischen Ameisenforschers Edward Wilson<br />

(1975) gekoppelt, der evolutionsbiologische Prinzipien erstmals umfassend<br />

mit Verhaltensmechanismen in Beziehung setzte. Seine Synthese beruht<br />

zum Teil auch auf Arbeiten von William Hamilton (1964), George<br />

Williams (1966) und Robert Trivers (1971, 1972), die wichtige Grundlagen<br />

zum Verständnis der Evolution von Sozialverhalten etablierten. In<br />

neuerer Zeit hat der soziobiologische Ansatz auch einen wichtigen Einfluss<br />

bei der Analyse menschlichen Sozialverhaltens genommen und gewinnt als<br />

„evolutionäre Psychologie“ zunehmend an Einfluss (Buss 1999).<br />

Durch immer stärker werdende Spezialisierung, zum Teil verbunden mit<br />

technischem und methodischem Fortschritt, existieren heute viele Teildisziplinen<br />

der Verhaltensbiologie nebeneinander (Abb. 1.3). Aufgrund<br />

des biologisch integrativen Charakters des Verhaltens kommt es zudem


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 15<br />

Abb. 1.3. Verhaltensbiologie ist die integrative Kraft der organismischen Biologie.<br />

Sie vereinigt Konzepte und Methoden vieler Nachbardisziplinen<br />

verstärkt zu Interaktionen und Kooperationen mit anderen Disziplinen, wie<br />

Genetik, Neurobiologie oder Ökonomie. So finden sich in einem zufällig<br />

ausgewählten Band einer Fachzeitschrift (Animal Behaviour 63(3) 2002)<br />

nebeneinander Arbeiten über non-lineare Phänomene in der Lautproduktion<br />

von Säugetieren, die Wahrnehmung von Objektrelationen bei Primaten,<br />

Vorteile des Gruppenlebens bei kolonialen Spinnen, ökologische Einflüsse<br />

auf das Gesangslernen bei Vögeln, die Reaktion von Gottesanbeterinnen<br />

auf computergenerierte visuelle Reize, strategische Kopulationen bei Dungfliegen<br />

und vieles andere mehr. Diese Vielfalt wird besonders deutlich,<br />

wenn man sich vergegenwärtigt, mit welchen unterschiedlichen Methoden<br />

Verhaltensbiologen arbeiten.<br />

1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie<br />

Wie kann der kontinuierliche Strom aus Bewegungen, Ereignissen und Interaktionen,<br />

den wir als Verhalten operationalisieren können, beschrieben<br />

und gemessen werden? Dazu ist es zunächst notwendig, klar zu definieren,<br />

was mit welchen Methoden gemessen werden kann. Um einen besseren<br />

Eindruck der Komplexität, aber auch der Faszination der Verhaltensforschung<br />

zu geben, werde ich nachfolgend einige wichtige praktische Methoden<br />

diskutieren.


16 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

1.4.1 Klassische Methoden<br />

Die Beschreibung des Verhaltens kann prinzipiell auf zwei Ebenen erfolgen.<br />

Auf der einfachsten Ebene wird die Struktur des Verhaltens aufgezeichnet,<br />

indem man Bewegungen, Körperhaltungen und gegebenenfalls<br />

deren zeitliche Abfolge mit relativ großer Genauigkeit beschreibt. Dieser<br />

Ansatz erfordert sehr genaue Beobachtungen, resultiert aber oft in unnötigen<br />

Details. Daher ist es meist einfacher und ökonomischer, Verhalten in<br />

Bezug auf seine Konsequenzen zu beschreiben. Damit ist der Effekt einer<br />

Verhaltensweise auf die Umwelt, auf ein anderes Individuum oder auf das<br />

ausführende Tier selbst gemeint. In diesem Fall ist es nebensächlich, wie,<br />

d. h. mit Hilfe welcher Aktionen, dieser Effekt erzielt wurde. Es kann also<br />

zum Beispiel durchaus von Interesse sein, dass ein Gorilla seinen rechten<br />

Arm 20 cm nach vorne bewegt, durch eine ruckartige Bewegung mit der<br />

Hand die Stängel mehrerer Pflanzen abbricht, die Stiele mit den Blättern<br />

an die Nase führt, sie kurz beriecht, dann mit der anderen Hand einen davon<br />

nimmt, zum Mund führt und in die geöffnete Mundhöhle schiebt und<br />

nach 13 Kaubewegungen mit geschlossenem Mund schluckt (Struktur).<br />

Meist ist es aber ausreichend festzuhalten, dass der Gorilla Blätter frisst<br />

(Konsequenz).<br />

Für die wissenschaftliche Untersuchung von Verhalten ist es zunächst<br />

notwendig, messbare Einheiten zu definieren (Tabelle 1.2). Dazu ist es<br />

hilfreich, sich die beiden Enden eines Kontinuums vor Augen zu führen,<br />

zwischen denen man Verhaltensweisen kategorisieren kann. Auf der einen<br />

Seite gibt es Ereignisse, die durch ihre kurze Dauer charakterisiert sind.<br />

Ereignisse sind zeitlich so begrenzt und oft so stereotyp, dass sie leicht erkennbar<br />

sind und durch ihre Häufigkeit beschrieben werden können. Bellen,<br />

Picken, Schlagen und Markieren sind Beispiele dafür. Auf der anderen<br />

Seite des Kontinuums liegen die Zustände. Hier handelt es sich um ausgedehnte<br />

Aktivitäten, bestimmte Körperhaltungen oder Assoziationsmaße.<br />

Zustände sind vor allem durch ihre Dauer charakterisiert. Beispiele sind<br />

Schlafen, Wiederkäuen, Säugen oder Sich-Putzen. Die natürlichen Einheiten<br />

des Verhaltens, die als Ereignisse oder Zustände beschrieben werden<br />

können, bezeichnet man als Verhaltenskategorien. Für manche Arten existiert<br />

ein Ethogramm, also ein Katalog mit Beschreibungen der diskreten<br />

arttypischen Verhaltenskategorien, die das grundlegende Verhaltensrepertoire<br />

einer Art ausmachen.<br />

Von jeder definierten Verhaltenskategorie können maximal vier Arten<br />

von Informationen erhoben werden: Latenz, Häufigkeit, Dauer und Intensität.<br />

Die Latenz wird in Zeiteinheiten gemessen und repräsentiert die Zeit<br />

zwischen einem bestimmten Ereignis und dem ersten Auftreten der betreffenden<br />

Verhaltensweise oder den Abstand zwischen zwei Verhaltenswei-


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 17<br />

Tabelle 1.2. Übersicht der wichtigsten Methoden und Entscheidungen beim Beobachten<br />

von Verhalten<br />

Methoden der Verhaltensforschung<br />

• Unterscheidung und Definition von Ereignissen und Zuständen<br />

• Ethogramm: Zusammenfassung der Verhaltensdefinitionen<br />

• Quantifizierbare Informationen<br />

o Latenz<br />

o Häufigkeit<br />

o Dauer<br />

o Intensität<br />

• Aufnahmeregeln<br />

o Fokustier<br />

o Zensus<br />

o Fokusverhalten<br />

o Ad libitum<br />

• Aufzeichnungsregeln<br />

o Kontinuierlich<br />

o Zeitabhängig<br />

sen. Die Häufigkeit beschreibt, wie oft eine Verhaltensweise pro Zeiteinheit<br />

auftritt. Ihre Einheit ist also die reziproke Zeiteinheit. Die Dauer, mit<br />

der eine Verhaltensweise auftritt, wird ebenfalls in Zeiteinheiten gemessen<br />

und beschreibt den Zeitraum zwischen dem Beginn und Ende einer definierten<br />

Verhaltenskategorie. Manchmal ist es auch wünschenswert, die Intensität<br />

einer Verhaltensweise aufzuzeichnen. Dafür gibt es allerdings keine<br />

generelle Definition. In manchen Fällen wird es möglich sein, die<br />

Intensität über die Berechnung der lokalen Häufigkeit als die Anzahl der<br />

Anteile einer Verhaltensweise, die pro Zeiteinheit auftreten, zu bestimmen.<br />

Bei anderen Verhaltenskategorien wie z. B. „Kämpfen“ oder „Balzen“<br />

kann man Intensität durch Unterkategorien quantifizieren. Mit diesen vier<br />

Einheiten kann also alles Messbare an Verhalten erfasst werden.<br />

Als Letztes muss man noch festlegen, mit welchen Erhebungsmethoden<br />

und -strategien Verhalten gemessen wird. Prinzipiell müssen zwei Entscheidungen<br />

getroffen werden. Erstens gilt es zu entscheiden, wer wann<br />

beobachtet wird, und zweitens, wie das Verhalten aufgezeichnet wird. Bei<br />

der Entscheidung darüber, wer und wann beobachtet wird (Aufnahmeregel),<br />

gibt es vier Möglichkeiten. Bei der Fokustiermethode wird ein Tier<br />

für einen bestimmten Zeitraum beobachtet und die entsprechenden Details<br />

der definierten Verhaltenskategorien aufgezeichnet. Bei der Zensusmetho-


18 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

de werden alle beobachteten Tiere in regelmäßigen Abständen einem raschen<br />

visuellen Zensus unterworfen und dabei das momentane Verhalten<br />

aller sichtbaren Tiere aufgezeichnet. Die dritte Methode wird als Fokusverhaltensmethode<br />

bezeichnet. Dabei versucht man ebenfalls, alle Tiere<br />

ständig im Auge zu behalten, aber diesmal, um jedes Auftreten bestimmter<br />

Verhaltensweisen oder Interaktionen zu dokumentieren. Beim Ad-libitum-<br />

Verfahren gibt es schließlich keinerlei exakte Vorschriften darüber, was<br />

wann aufgezeichnet wird. Die Datenaufnahme beschränkt sich eher auf<br />

das, was sichtbar oder relevant ist.<br />

Wenn geklärt ist, wer oder was wann beobachtet wird, bleibt noch zu<br />

klären, wie das Verhalten aufgezeichnet wird (Aufzeichnungsregel). Man<br />

kann Verhalten entweder kontinuierlich oder mit bestimmten zeitabhängigen<br />

Regeln aufzeichnen. Bei der kontinuierlichen Aufzeichnung werden<br />

exakte und detaillierte Aufzeichnungen über Häufigkeit, Beginn und Dauer<br />

aller ausgewählten Verhaltenskategorien angefertigt. Im Falle einer zeitabhängigen<br />

Methode wird eine Beobachtungssitzung in Intervalle mit einer<br />

bestimmten Länge eingeteilt. Jedes Mal, wenn das Ende eines Intervalls erreicht<br />

ist, kann Information über mehrere Verhaltenskategorien aufgezeichnet<br />

werden. Ein fundiertes Verständnis dieser methodischen Grundregeln<br />

ist sowohl für das eigene Arbeiten als auch für die Bewertung der<br />

Arbeiten anderer unabdingbar. Naguib (2006) und Martin u. Bateson<br />

(2007) geben ausführliche Einführungen in diese Thematik.<br />

Zur Aufzeichnung der Daten stehen mehrere Methoden und Hilfsmittel<br />

zur Verfügung. Die ältesten und immer noch am weitesten verbreiteten<br />

Medien zur Datenerfassung sind Papier und Bleistift. Mit einem gut organisierten<br />

Datenblatt kann man erstaunlich viele Informationen korrekt aufzeichnen.<br />

Film oder Video eignen sich besonders für die Aufzeichnung<br />

schneller Verhaltensweisen oder Interaktionen, da man solche Sequenzen<br />

wiederholt in Zeitlupe analysieren kann. Unter bestimmten Umständen<br />

kann es auch angebracht sein, für solche Probleme ein Diktaphon zu benutzen.<br />

Vor allem bei Laboruntersuchungen werden häufig automatische<br />

Aufzeichnungsmethoden verwendet. Ähnliche Vorteile bieten eventrecorder,<br />

tragbare Aufzeichnungsgeräte oder palm tops, in die Verhaltensweisen<br />

kodiert über eine Tastatur eingegeben werden.<br />

Obwohl sich das Vorurteil vom typischen Verhaltensforscher in Gummistiefeln<br />

mit Papier, Bleistift und Fernglas hartnäckig hält, sind die meisten<br />

Forscher auf diesem Gebiet inzwischen extrem vielfältige und flexible<br />

Generalisten, die je nach Fragestellung physiologische oder immunologische<br />

Kenngrößen messen, schwankende Hormontiter erfassen, mit Hilfe<br />

von DNA-Analysen Verwandtschaftsverhältnisse bestimmen, über Peiloder<br />

GPS-Sender erhobene räumliche Daten auswerten, mit Mikrophonen,<br />

digitalen Kameras und anderem Gerät bislang unzugängliche Signale und


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 19<br />

Bewegungen auflösen, Nahrungsverfügbarkeit und Klimaänderungen<br />

quantifizieren oder mit Hilfe von phylogenetischen Rekonstruktionen die<br />

Koevolution von Merkmalen in einer taxonomischen Gruppe ermitteln.<br />

Nicht wenige Verhaltensforscher setzen mehrere Methoden gleichzeitig<br />

ein, um so ein Problem aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.<br />

Wenn man sich zusätzlich vor Augen führt, welche zusätzlichen Möglichkeiten<br />

und Erfordernisse sich aus der Kombination von reinen Beobachtungen<br />

oder Experimenten einerseits und Arbeiten in Gefangenschaft oder<br />

im Freiland andererseits ergeben, wird die Diversität der methodischen<br />

Möglichkeiten und Notwendigkeiten der modernen Verhaltensbiologie<br />

deutlich.<br />

1.4.2 Moderne Konzepte<br />

Die moderne Verhaltensbiologie wird, insbesondere im Bereich der Verhaltensökologie,<br />

durch vier Konzepte in ihren Fragestellungen und analytischen<br />

Methoden geleitet. Dazu gehören (1) ein konsequent vergleichender<br />

Ansatz, um evolutionäre Grundprinzipien zu identifizieren, (2) die Analyse<br />

von Kosten und Nutzen einer Verhaltensweise, die in manchen Fällen Fragen<br />

nach (3) deren optimalem Verhältnis aufwirft, sowie (4) die Untersuchungen<br />

von bestimmten Verhaltensstrategien. Die Prinzipien dieser Ansätze<br />

werden nachfolgend kurz vorgestellt, wobei die nachfolgenden<br />

Kapitel eine Vielzahl von Beispielen aus den unterschiedlichsten Bereichen<br />

des Verhaltens enthalten.<br />

(1) Vergleiche zwischen Arten. Eine wichtige Methode, Hypothesen über<br />

den Anpassungswert von Verhalten zu untersuchen, stellen Vergleiche<br />

zwischen Arten dar. Verhaltensweisen unterscheiden sich in den meisten<br />

Fällen mehr zwischen Arten als zwischen den Individuen einer Art. So<br />

sind die meisten Mitglieder mancher Arten zum Beispiel gruppenlebend<br />

oder polygam oder tagaktiv, wohingegen die meisten Mitglieder anderer<br />

Arten solitär oder monogam oder nachtaktiv sind. Bei Vergleichen zwischen<br />

Arten wird Variation in einer abhängigen Variablen, also z. B. im<br />

Sozialsystem, Paarungssystem oder der Aktivitätsphase, in Bezug zu einer<br />

unabhängigen Variablen, wie Körpergröße, Nahrungs- oder Habitattyp, gesetzt<br />

und deren Kovariation untersucht. Auf diese Weise können sowohl<br />

diskrete als auch kontinuierliche Variablen miteinander in Beziehung gesetzt<br />

sowie deren Evolution rekonstruiert werden (Harvey u. Pagel 1991;<br />

Abb. 1.4).<br />

Die Logik des Artvergleichs beruht auf dem Konzept der Konvergenz<br />

oder Homoplasie. Solche spektakulären Ähnlichkeiten in Bau und Funk-


20 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Abb. 1.4. Phylogenetische Beziehungen zwischen vier hypothetischen Arten (A,<br />

B, C und D). Für jede Art kann die Ausprägung von interessierenden Merkmalen<br />

(0 = fehlt, 1 = vorhanden) bestimmt und verglichen werden<br />

tion zwischen nur weitläufig miteinander verwandten Taxa aufgrund ähnlicher<br />

Selektionskräfte wurden auf unterschiedlichsten Organisationsebenen<br />

in vielen Pflanzen- und Tiergruppen beschrieben. In vergleichenden Untersuchungen<br />

werden also gewissermaßen die Ergebnisse natürlicher Experimente,<br />

die von der Evolution angesetzt wurden, ausgewertet.<br />

John Crook (1964) untersuchte mit dieser Methode Unterschiede in der<br />

sozialen Organisation von Webervögeln und brachte sie in Zusammenhang<br />

mit deren Ökologie. In seiner Arbeit über „Die Evolution der sozialen Organisation<br />

und visuellen Kommunikation bei Webervögeln“ hat er erstmals<br />

systematisch nach Korrelationen zwischen ökologischen Faktoren und Variabilität<br />

in der sozialen Organisation von über 90 Arten gesucht, eine Fragestellung,<br />

die der damals dominierenden klassischen Ethologie eher<br />

fremd war.<br />

Crooks Analysen zeigten, dass sich die Vielfalt der sozialen Organisation<br />

in zwei Klassen einteilen lässt (Abb. 1.5), die durch ökologische Variablen<br />

definiert sind: 1. Waldlebende Arten sind meist solitär, bauen versteckte<br />

Nester, ernähren sich von Insekten, sind territorial, monogam und<br />

weisen keinen Sexualdimorphismus auf. 2. Arten, die in Savannen leben,<br />

gehen dagegen in Gruppen auf Nahrungssuche, bauen Nester in großen<br />

Kolonien, ernähren sich von Samen und haben auffällig gefärbte Männchen.<br />

Crook argumentierte, dass unterschiedliche Nahrung und Räuberdruck,<br />

also ökologische Faktoren, für diese Unterschiede im Sozial- und<br />

Paarungssystem verantwortlich sind. Diese Analyse war so beeindruckend,<br />

dass sie später auch auf andere Taxa, wie Primaten und Paarhufer, angewandt<br />

wurde (Crook u. Gartlan 1966, Jarman 1974).


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 21<br />

Abb. 1.5. Webervögel sind entweder solitäre, territoriale, monogame, kryptisch<br />

gefärbte, insektivore Waldbewohner (links) oder koloniale, polygame, auffällig<br />

gefärbte, Samen fressende Savannenbewohner (rechts). Der Sakalava-Weber (Ploceus<br />

sakalava) gehört zur zweiten Kategorie<br />

Dieser vergleichende Ansatz hat zu vielen Ideen und Aktivitäten inspiriert,<br />

aber er hat auch potentielle Schwachpunkte. So sind zum Beispiel<br />

viele der Interpretationen plausibel, aber es gibt manchmal auch alternative<br />

oder widersprüchliche Erklärungen. Alternative Erklärungen sind besonders<br />

dann wahrscheinlich, wenn es sich ursprünglich nur um eine im<br />

Nachhinein entwickelte adaptive Geschichte handelt, d. h. eine logische<br />

Hypothese über einen Zusammenhang ungeprüft als Erklärung akzeptiert<br />

wird. Dieses Problem wird besonders bei widersprüchlichen Erklärungen<br />

deutlich: Bei Webervögeln sollen z. B. geklumpte Nahrungsressourcen die<br />

Bildung von Gruppen fördern, wohingegen sie bei Antilopen zu einer solitären<br />

Organisation führen sollen.<br />

Es ist daher für diesen Ansatz besonders wichtig, die Grundregel des<br />

quantitativen wissenschaftlichen Arbeitens zu beherzigen, nämlich überprüfbare<br />

Vorhersagen vor der Datenerhebung zu formulieren (Abb. 1.6).<br />

Dabei steht eine Frage am Anfang einer Untersuchung. In der Regel gibt es<br />

aufgrund theoretischer Überlegungen und/oder empirischer Befunde mehrere<br />

plausible Antworten auf diese Frage: die Hypothesen. Aus diesen Hypothesen<br />

müssen sich mit quantitativen Daten und statistischen Verfahren<br />

überprüfbare Vorhersagen formulieren und überprüfen lassen. Nur wenn<br />

solche logisch entwickelten Vorhersagen getestet werden, wird die Gefahr<br />

vermieden, im Nachhinein eine plausible, aber ungeprüfte Erklärung für<br />

beobachtete Zusammenhänge entwickeln zu müssen.<br />

Ein zweites grundsätzliches Problem mit diesem Ansatz besteht darin,<br />

dass Ursache und Wirkung mit dieser korrelativen Methode des Ver-


22 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Abb. 1.6. Schematische Übersicht der einzelnen Schritte des wissenschaftlichen<br />

Arbeitens. Ausgangspunkt ist immer eine Frage<br />

gleichs nicht eindeutig bestimmt werden können. Bei den Webervögeln<br />

hieß es, dass die Nahrungsverteilung in Savannen die Bildung von Gruppen<br />

fördert. Es könnte aber auch sein, dass Räuberdruck für die Gruppenbildung<br />

verantwortlich ist und dass diese Arten dann gezwungen sind,<br />

Nahrung zu wählen, die in Flecken (patches) vorkommt, die für diese<br />

Gruppen groß genug sind. Aus einem Artvergleich kann also keine Kausalität<br />

abgeleitet werden, da immer nur die Art und die Richtung der<br />

Veränderung der Beziehung zwischen zwei Variablen über evolutionäre<br />

Zeiträume beschrieben werden. Kausalität lässt sich daher nur durch gezielte<br />

und kontrollierte Experimente nachweisen.<br />

Ein weiteres Problem der vergleichenden Methode, wie aller Korrelationen,<br />

besteht darin, dass manche Korrelationen durch den Effekt einer<br />

dritten Variablen, der Störvariablen, zustande kommen. So hat z. B. Körpermasse<br />

über Stoffwechselrate und Energiebedarf einen wichtigen Einfluss<br />

auf die Nahrungswahl und kann daher bestimmten Korrelationen<br />

zwischen Nahrung und Verhalten zugrunde liegen. Diese Störvariablen<br />

können aber mit geeigneten Verfahren statistisch kontrolliert werden. In<br />

der Mehrzahl solcher Untersuchungen ist es daher üblich, den Effekt unterschiedlicher<br />

Körpergrößen auf den interessierenden Zusammenhang<br />

durch Regressionsverfahren zu kontrollieren. Dazu wird eine interessierende<br />

Variable, wie Trächtigkeitsdauer oder Gehirnmasse, gegen die Körpermasse<br />

aufgetragen und der durchschnittliche Effekt der Größe in Form<br />

einer linearen Regression beschrieben. Indem man nur die Residuen für


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 23<br />

Abb. 1.7. Durch die Berechnung von Residuen mit Regressionsverfahren wird der<br />

Einfluss der unabhängigen Variablen (X) auf eine abhängige Variable (Y) statistisch<br />

kontrolliert. Die Residuen können dann beispielsweise zwischen Gruppen<br />

von Arten verglichen werden<br />

den eigentlichen Vergleich benutzt, ist automatisch dafür korrigiert, dass<br />

z. B. Elefanten längere Tragzeiten und größere Gehirne haben als Mäuse<br />

(Abb. 1.7).<br />

Schließlich ist es auch nicht zwingend notwendig, dass alle beobachteten<br />

Unterschiede zwischen Arten auf Anpassungen zurückzuführen sind.<br />

So haben die Männchen mancher Paarhufer Hörner oder Geweihe, die in<br />

Kämpfen mit Artgenossen eingesetzt werden. Hörner entspringen der Haut<br />

und wachsen kontinuierlich, wohingegen Geweihe aus Knochen bestehen<br />

und regelmäßig abgeworfen werden. Beide erfüllen aber dieselbe Funktion,<br />

so dass es sich eigentlich um ein schönes Beispiel für konvergente<br />

Evolution handelt. Da aber alle Schafe Hörner und alle Hirsche Geweihe<br />

haben, gibt es offensichtlich auch Merkmalsursachen, die keine spezifische<br />

Anpassung darstellen. Solche gemeinsamen Merkmale nahverwandter Arten<br />

werden auch als phylogenetischer Ballast (phylogenetic inertia) oder<br />

Homologien bezeichnet.<br />

Ähnlichkeiten in qualitativen und quantitativen Merkmalen zwischen<br />

nahverwandten Arten, die auf deren gemeinsame Abstammung zurückzuführen<br />

sind, stellen auch ein Problem bei der statistischen Auswertung<br />

dar. Die betreffenden Datenpunkte sind nicht voneinander unabhängig,<br />

wodurch eine Grundvoraussetzung aller statistischer Tests verletzt wird.<br />

Für dieses Problem wurde die Methode der unabhängigen Kontraste<br />

(Abb. 1.8) entwickelt.<br />

Diese Methode geht davon aus, dass Unterschiede zwischen Schwesterarten,<br />

die sich seit der Trennung vom letzten gemeinsamen Vorfahren ent-


24 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Abb. 1.8. Unabhängige Kontraste. Die Unterschiede in den kontinuierlichen Variablen<br />

X und Y zwischen den Arten A und B, C und D sowie zwischen den gemeinsamen<br />

Vorfahren von (AB) und (CD) sind unabhängig voneinander. Für die<br />

Vorfahren wird angenommen, dass sie die durchschnittliche Merkmalsausprägung<br />

ihrer Tochtertaxa hatten<br />

wickelt haben, unabhängig voneinander entstanden sind. Das heißt, der<br />

Unterschied in einem Merkmal zwischen den Arten A und B ist unabhängig<br />

vom Unterschied zwischen den Arten C und D. Diese beiden Kontraste<br />

können also für konkrete Vergleiche verwendet werden. Wenn diese Kon-<br />

Abb. 1.9. Regression durch den Ursprung zeigt, ob die evolutionären Änderungen<br />

in den kontinuierlichen Merkmalen X und Y (berechnet als unabhängige Kontraste)<br />

über evolutionäre Zeiträume korreliert sind. In diesem Beispiel existiert<br />

eine positive Korrelation


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 25<br />

traste für alle Paare von Arten in einem Stammbaum für zwei Variablen<br />

bestimmt wurden, können diese miteinander korreliert werden, um zu überprüfen,<br />

ob sie sich unabhängig voneinander entwickelt haben (Abb. 1.9).<br />

Um die Stichprobe zu erhöhen, gibt es auch einige Verfahren, mit denen<br />

man die Werte für die jeweiligen Vorfahren rekonstruieren kann. Es ist<br />

möglich, diese Kontraste bis an die Wurzel des Stammbaums zu berechnen.<br />

Die Entwicklung und Anwendung dieser Methode der unabhängigen<br />

Kontraste, die für viele evolutionäre Fragestellungen, nicht nur aus dem<br />

Bereich der Verhaltensbiologie, relevant ist, war eine der wichtigsten<br />

Entwicklungen der Evolutionsbiologie der letzten Jahre (Harvey u. Pagel<br />

1991).<br />

(2) Kosten-Nutzen-Analysen. Ein anderer konzeptioneller Ansatz der<br />

Verhaltensökologie fokussiert auf die Individuen einer Art bzw. auf Verhaltensunterschiede<br />

zwischen diesen Individuen. Im Hinblick auf die ultimate<br />

Funktion von Verhaltensweisen werden dabei die potentiellen Kosten<br />

und Nutzen einer Verhaltensweise gemessen und verglichen. Diese Kosten<br />

und Nutzen werden allgemein zunächst hinsichtlich ihrer Konsequenzen<br />

für die individuelle Gesamtfitness analysiert. Welche Überlebens- oder<br />

Fortpflanzungsvorteile hat ein Individuum, das sich so oder so verhält,<br />

bzw. welche Nachteile bringt dies mit sich? Da sich im Laufe der Evolution<br />

nur Verhaltensweisen durchgesetzt haben, die eine positive Nutzen-<br />

Kosten-Bilanz haben, geht es bei diesem Ansatz nicht darum, zu zeigen,<br />

dass der unmittelbare Nutzen größer ist als die Kosten. Vielmehr bietet<br />

dieser Ansatz die Möglichkeit, zunächst einzelne Faktoren zu identifizieren,<br />

welche die Bilanz in der einen oder anderen Weise beeinflussen. Diese<br />

Variablen können dann experimentell manipuliert werden, und so können<br />

vorhersagbare Effekte auf das Verhalten von Individuen überprüft werden.<br />

Dieser Ansatz wurde von Nikolaas Tinbergen eingeführt, und seine<br />

klassischen Versuche liefern ein anschauliches Beispiel für die Möglichkeiten<br />

und Limitationen dieses Ansatzes. Bei seinen Untersuchungen an<br />

Lachmöwen (Larus ridibundus, Tinbergen 1953) fiel ihm beispielsweise<br />

auf, dass die Eltern die innen weißen Eischalen ihrer geschlüpften Jungen<br />

vom Nest mit den getarnten Jungen und anderen Eiern wegtragen. Tinbergen<br />

nahm an, dass dadurch das Entdecken des Nests durch Räuber erschwert<br />

wird. Dieses Verhalten, das nur wenige Minuten in Anspruch<br />

nimmt und daher geringe Kosten hat, könnte andererseits den gesamten reproduktiven<br />

Aufwand einer Saison retten; es hat also einen sehr hohen potentiellen<br />

Nutzen. Tinbergen testete diese Hypothese, indem er Hühnereier<br />

mit einer ähnlichen Tarnfärbung versah und in der Brutkolonie verteilte.<br />

Neben manche dieser künstlichen Gelege platzierte er eine zerbrochene<br />

Eierschale, neben andere nicht. Bei der späteren Kontrolle der künstlichen


26 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Gelege stellte sich heraus, dass die Präsenz der Eierschalen das Risiko,<br />

dass ein Gelege zerstört wurde, signifikant erhöhte. Solche Kosten-Nutzen-<br />

Analysen ermöglichen also funktionale Interpretationen des Verhaltens,<br />

aber auf diesem Niveau machen sie nur qualitative und damit schwer zu<br />

testende Vorhersagen.<br />

(3) Optimalitätsmodelle. Durch aus der Ökonomie übernommene Optimalitätsmodelle<br />

wurden einfache Kosten-Nutzen-Analysen konsequent<br />

weiterentwickelt und halfen der jungen Verhaltensökologie zum Durchbruch<br />

(MacArthur u. Pianka 1966). Ein Optimalitätsmodell versucht vorherzusagen,<br />

bei welchem Verhältnis von Kosten und Nutzen der Nettogewinn<br />

einer Verhaltensweise für das betreffende Individuum maximiert<br />

wird. Es macht damit exakte, quantitative Vorhersagen, die durch Daten<br />

aus Verhaltensbeobachtungen oder experimenteller Manipulation überprüft<br />

werden können. Bei der Anwendung von Optimalitätsmodellen geht es<br />

nicht darum zu zeigen, dass Tiere perfekt an jedes Problem angepasst sind.<br />

Stattdessen geht es darum zu testen, ob man die wichtigsten Faktoren, die<br />

ein bestimmtes Verhalten beeinflussen, erkannt und richtig bewertet hat.<br />

Das Prinzip der Optimalitätsmodelle lässt sich gut am Beispiel der optimalen<br />

Territoriumsgröße erläutern (Abb. 1.10; Kap 5.5). Viele Tiere<br />

verteidigen ihren exklusiven Zugang zu Nahrung oder anderen für sie<br />

wichtigen Ressourcen gegen Artgenossen. Damit erfahren sie die Vorteile<br />

des Ressourcenzugangs, müssen dafür aber erhöhten Energieverbrauch<br />

sowie möglicherweise ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (Kosten der Verteidigung,<br />

erhöhte Auffälligkeit gegenüber Räubern) in Kauf nehmen. Die Fra-<br />

Abb. 1.10. Optimale Territoriumsgröße als ein Beispiel von Optimalitätsmodellen.<br />

Kosten und Nutzen werden zueinander in Beziehung gesetzt und deren Differenz<br />

ermittelt. Bei der größten positiven Differenz wird eine Variable optimiert. Minimale<br />

und maximale Werte können analog ermittelt werden


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 27<br />

Abb. 1.11. Das Grenzertragstheorem stellt eine Methode dar, die optimale investierte<br />

Zeit (I opt) graphisch zu ermitteln. An dem Punkt, an dem der Fitnessgewinn<br />

unter die maximale Gewinnrate fällt, sollte eine Ressource aufgegeben und eine<br />

neue aufgesucht werden<br />

ge ist nun, wie groß ein Revier sein sollte. Dazu kann man sich prinzipiell<br />

überlegen, dass die Kosten der Territoriumsverteidigung mit steigender<br />

Territoriumsgröße zunehmen und dass die sich daraus ergebenden Vorteile<br />

zunächst zunehmen, dann aber rasch nachlassen, weil eine zusätzliche Territoriumsvergrößerung<br />

keinen zusätzlichen Gewinn mehr erbringt. Wenn<br />

man die Differenz zwischen Nutzen und Kosten bildet, findet man eine<br />

Reviergröße, bei welcher der maximale Nettogewinn realisiert wird; das ist<br />

die optimale Territoriumsgröße. Man sieht außerdem, dass ein Territorium<br />

nur in einem bestimmten Bereich ökonomisch verteidigbar ist, d. h. wenn<br />

die Nutzen größer sind als die Kosten. Wenn man die richtige „Währung“<br />

zur Messung von Kosten und Nutzen gefunden hat, lässt sich so konkret<br />

vorhersagen, zwischen welchen Größenbereichen man Territorien finden<br />

sollte und welche Größe am häufigsten sein sollte. Dies ist z. B. bei Nektarvögeln<br />

(Nectarinia reichenowi) eindrucksvoll im Einzelnen durchgerechnet<br />

worden (Gill u. Wolf 1975; Kap. 5.3).<br />

In vielen dieser Untersuchungen spielt das Grenzertragstheorem eine<br />

zentrale Rolle bei der Bewertung der Kosten und Nutzen einer Verhaltensweise<br />

(Abb. 1.11). Es wurde unabhängig von Charnov (1976) sowie<br />

von Parker u. Stuart (1976) entwickelt. Das Grenzertragstheorem beschäftigt<br />

sich mit dem grundlegenden Problem, dass eine Ressource mit zunehmender<br />

Dauer der Ausbeutung in ihrem Wert sinkt und sich für das betreffende<br />

Individuum die Frage nach der optimalen Verweildauer stellt. Diese<br />

hängt von der Verteilung und Dichte der konkreten Ressourceneinheiten


28 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

(patches) ab. Wenn der Aufwand zum Auffinden und/oder Aufsuchen des<br />

nächsten patch groß ist, lohnt es sich, länger zu bleiben und die Ressource<br />

gründlicher auszubeuten, weil der zu erwartende Nutzen pro Zeiteinheit<br />

mit zunehmender Transitzeit geringer wird ( Kap. 3.2).<br />

Man muss also die Kosten und Nutzen von „Bleiben“ und „Weiterziehen“<br />

zueinander in Beziehung setzen. Die Kosten für die Ausbeutung der<br />

Ressource ist in diesem Fall die investierte Zeit (I). In dieser Zeit wird ein<br />

absoluter Fitnessgewinn (G) gemacht, der sich kumulativ gegen I auftragen<br />

lässt, dabei rasch zunimmt und dann aber zunehmend geringer wird.<br />

Die Frage ist nun, zu welchem Zeitpunkt ein Tier die Ressource verlassen<br />

sollte oder wann die zu erwartende Fitness ( Kap. 1.5) bei weiterem<br />

Investment am momentanen Ort kleiner wird als die zu erwartende Fitness<br />

an einem anderen Ort unter Berücksichtigung der dafür notwendigen Suchund<br />

Transitkosten. Wenn die Suchkosten mit einbezogen werden, ergibt<br />

sich die maximale Gewinnrate als die Tangente der Gewinnfunktion, die<br />

auf der x-Achse von der Suchzeit ausgeht. Dort, wo die Tangente die Fitnesskurve<br />

berührt, befindet sich der optimale Zeitpunkt zum Ortswechsel,<br />

weil dann der Grenzertrag erreicht ist, also der Punkt, an dem der lokale<br />

Fitnessgewinn dem Durchschnitt im Habitat entspricht und das Tier im<br />

Durchschnitt damit rechnen kann, anderswo einen höheren Ertrag zu erzielen.<br />

Wie man sich auch intuitiv gut vorstellen kann, verkürzt sich die optimale<br />

Verweildauer mit kürzeren Suchdauern und umgekehrt. Natürlich hat<br />

auch die Qualität der Ressource einen Einfluss auf die optimale Verweildauer.<br />

Bei einer gegebenen Suchzeit sollte man entsprechend weniger Zeit<br />

an ergiebigen Ressourcen verbringen bzw. länger an schlechten Ressourcen<br />

bleiben.<br />

Dieser Optimalitätsansatz hat also den Vorteil, dass man mit denselben<br />

Grundprinzipien unterschiedlichste Entscheidungen analysieren kann. Diese<br />

Modelle machen eindeutige, quantitative Vorhersagen. Sie erlauben, die<br />

für die Tiere wichtigen Variablen zu identifizieren, sowohl im Hinblick<br />

darauf, was sie zu maximieren suchen, als auch in Bezug auf die Faktoren,<br />

die sie dabei einschränken. Zudem müssen eindeutige Annahmen gemacht<br />

werden, die oft auf Beobachtungen und Messungen (z. B. Suchzeiten) beruhen,<br />

so dass die Identität und Beziehungen der Variablen in einem Optimalitätsmodell<br />

klar definiert sind.<br />

Wenn sich keine (gute) Übereinstimmung zwischen vorhergesagtem<br />

und beobachtetem Verhalten findet, kann es sein, dass entweder die Variable,<br />

die vom Tier maximiert wird, falsch eingeschätzt wurde oder dass<br />

nicht alle Zwänge und Störvariablen identifiziert wurden. In diesem Fall<br />

kann man nur durch Versuch und Irrtum mit weiteren Abschätzungen ans<br />

Ziel gelangen.


1.4 Methoden und Konzepte der Verhaltensbiologie 29<br />

(4) Verhaltensstrategien. Oftmals gibt es keine unabhängige optimale<br />

Lösung eines Problems oder es gibt mehrere gleichwertige Lösungen, die<br />

manchmal davon abhängen, was die anderen Mitglieder einer Population<br />

machen. Tiere, die unterschiedliche adaptive Mechanismen zur Lösung bestimmter<br />

Probleme einsetzen, verwenden unterschiedliche Strategien. Eine<br />

Verhaltensstrategie besteht also aus einem Satz an Verhaltensregeln mit<br />

einer eigenständigen genetischen Grundlage. Im Unterschied zum sonst<br />

üblichen Gebrauch impliziert der Ausdruck Strategie keine Rolle des Bewusstseins;<br />

es handelt sich lediglich um einen genetisch basierten, koordinierten<br />

Anpassungsmechanismus, der das betreffende Individuum in Bezug<br />

auf eine bestimmte Problemlösung festlegt (Gross 1996). Wenn es<br />

unterschiedliche, im Durchschnitt gleichwertige Lösungen gibt, handelt es<br />

sich um alternative Strategien. Es gibt auch weniger starre Strategien, die<br />

unter verschiedenen Bedingungen unterschiedliche Reaktionen ermöglichen.<br />

Solche konditionalen Strategien beinhalten also zwei oder mehr<br />

Taktiken, die in ihrer Ausprägung von Umwelteinflüssen und individuellen<br />

Lernerfahrungen abhängen. Viele Beispiele für Strategien und Taktiken<br />

stammen aus dem Bereich des Fortpflanzungsverhaltens ( Kap. 8.7).<br />

In der Literatur wird die Unterscheidung zwischen Strategien und Taktiken<br />

leider nicht immer streng beachtet.<br />

Welche Strategien sich im Laufe der Evolution durchsetzen, hängt oft<br />

davon ab, was die anderen Mitglieder der Population tun, d. h. sie sind<br />

frequenzabhängig. Wenn eine Strategie, die von den meisten Mitgliedern<br />

einer Population eingesetzt wird, so erfolgreich ist, dass sie von keiner anderen<br />

mehr verdrängt werden kann, handelt es sich um eine evolutionär<br />

stabile Strategie (ESS). Individuen, die eine ESS einsetzen, haben also im<br />

Durchschnitt den höchsten Überlebens- und/oder Fortpflanzungserfolg.<br />

Dieser Ansatz lässt sich mit einer spieltheoretischen Vorgabe verdeutlichen<br />

und modellieren (Abb. 1.12). Zum Beispiel kann es bei der Konkurrenz<br />

um Ressourcen zwei Strategien geben: So genannte Falken greifen<br />

immer an und eskalieren einen Kampf bis zum Sieg, wohingegen Tauben<br />

nur drohen, aber niemals kämpfen. Je nachdem ob zwei Falken, zwei Tauben<br />

oder je ein Falke und eine Taube aufeinander treffen, variieren die<br />

Kosten und Nutzen für die Beteiligten. Diese Kosten und Nutzen können<br />

in einem spieltheoretischen Ansatz in Punkten ausgedrückt werden. Bei einer<br />

Auseinandersetzung soll der Gewinner 50 und der Verlierer 0 Punkte<br />

bekommen. In den eskalierenden Kämpfen zwischen zwei Falken soll sich<br />

der Verlierer verletzen und bekommt dafür minus 100 Punkte; wenn zwei<br />

Tauben sich androhen, bekommen sie wegen Zeitverschwendung minus 10<br />

Punkte.<br />

Wenn also zwei Falken aufeinander treffen, hat jeder eine 50%ige<br />

Chance zu gewinnen oder sich zu verletzen, d. h. im Durchschnitt ergeben


30 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Abb. 1.12. Spieltheoretischer Ansatz zur Untersuchung evolutionär stabiler Strategien.<br />

Falken und Tauben repräsentieren Individuen derselben Art mit unterschiedlichen<br />

Konkurrenzstrategien; Zahlen repräsentieren hypothetische Punkte,<br />

welche die Vor- und Nachteile der Strategien in allen möglichen Situationen ausdrücken<br />

sich für einen Falken in dieser Situation 25 Minuspunkte. Wenn dagegen<br />

ein Falke auf eine Taube trifft, gewinnt er 50 Punkte, wohingegen die Taube<br />

nichts bekommt. Wenn zwei Tauben aufeinander treffen, hat jede eine<br />

50%ige Chance zu gewinnen oder zu verlieren, wobei die Kosten des Drohens<br />

in jedem Fall anfallen, so dass im Durchschnitt für jede 15 Punkte übrig<br />

bleiben. Welche Strategie setzt sich in diesem Fall durch? Wenn es nur<br />

Tauben gäbe, würde sich eine Falken-Mutante rasch ausbreiten, da sie<br />

mehr als dreimal so viel gewinnt wie die Tauben. Umgekehrt, wenn es nur<br />

Falken gäbe, würden sich Tauben ausbreiten können, weil sie im Durchschnitt<br />

mehr Punkte (weniger Minuspunkte) ansammeln würden. Diese<br />

beiden reinen Strategien sind also keine ESS, weil sie von einer anderen<br />

Strategie zumindest teilweise verdrängt werden könnten.<br />

In diesem Fall gibt es aber eine stabile Mischung von Falken und Tauben,<br />

nämlich dann, wenn der durchschnittliche Gewinn für beide gleich ist.<br />

Diese Situation ist aber eindeutig von der relativen Häufigkeit der beiden<br />

Strategien abhängig. In diesem Fall lässt sich berechnen, dass dies bei einem<br />

Verhältnis von 7 Falken zu 5 Tauben der Fall wäre. Der durchschnittliche<br />

Gewinn in diesem Fall beträgt nur 6,25, also weniger als wenn alle<br />

Taube spielen würden. Da „alle Taube“ keine ESS darstellt, kann Evolution<br />

daher auch zu suboptimalen Lösungen führen, die aber stabil sind. Da<br />

sich die exakten Kosten und Nutzen nur in den seltensten Fällen bestimmen<br />

lassen, besteht der praktische Wert des spieltheoretischen Ansatzes<br />

vor allem darin, die bedeutsamen Variablen und ihr Verhältnis zueinander<br />

zu klären.


1.5 Verhalten und Fitness: die vier Probleme 31<br />

1.5 Verhalten und Fitness: die vier Probleme<br />

Durch die enge Integration des Verhaltens im Evolutionsgeschehen liefert<br />

die moderne Evolutionstheorie einen klaren theoretischen Rahmen für die<br />

Analyse einzelner Verhaltensweisen. Wenn wir in diesem Rahmen die<br />

Konsequenzen des Verhaltens für die individuelle Fitness untersuchen<br />

wollen, ist es zunächst notwendig, Fitness zu definieren und die evolutionären<br />

Mechanismen, die sie beeinflussen, näher zu charakterisieren.<br />

Die Fitness eines Individuums beschreibt dessen Gesamtfortpflanzungserfolg<br />

(Tabelle 1.3). Eine Grundannahme der Darwin’schen Evolutionstheorie<br />

besteht darin, dass die individuelle Fitness zwei Komponenten<br />

hat: eine Überlebens- und eine Fortpflanzungskomponente. Das heißt, ein<br />

Individuum muss zunächst bis zur Geschlechtsreife überleben, um überhaupt<br />

mit der Fortpflanzung beginnen zu können. Danach ist erfolgreiches<br />

Überleben weiterhin Voraussetzung für Fortpflanzung; nur wer länger<br />

(über-)lebt, kann sich häufiger fortpflanzen. Die Fortpflanzungskomponente<br />

hat zwei Bestandteile: die direkte Fitness, die durch eigene Fortpflanzung<br />

erreicht wird, und die indirekte Fitness, die durch die Fortpflanzung<br />

von Verwandten zustande kommt, da diese ebenfalls abstammungsgleiche<br />

Allele in die nächste Generation weitergeben.<br />

Diese Differenzierung zeigt, dass Gene und nicht deren kurzlebige Träger<br />

die entscheidende Zielebene natürlicher Selektion darstellen. Dies wird<br />

deutlich, wenn man sich die Grundprinzipien der natürlichen Selektion<br />

vergegenwärtigt: die Mitglieder einer Art unterscheiden sich in Aspekten<br />

ihrer Morphologie, Physiologie und ihres Verhaltens, wobei ein Teil dieser<br />

Variabilität eine genetische Grundlage hat. Die meisten Gene existieren<br />

daher in zwei oder mehr unterschiedlichen Allelen, die leicht unterschiedliche<br />

Formen desselben Proteins codieren. Jedes Allel kommt in einer Population<br />

mit einer bestimmten Häufigkeit vor und konkurriert mit den anderen<br />

Allelen um einen Platz auf dem jeweiligen Chromosom.<br />

Tabelle 1.3. Die Hauptkomponenten der individuellen Fitness<br />

Fitness: Gesamtfortpflanzungserfolg<br />

• Überlebenskomponente<br />

• Fortpflanzungskomponente<br />

o Direkte Fitness<br />

o Indirekte Fitness (durch Verwandte)


32 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Da von den Individuen einer Art zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr<br />

viel mehr Nachkommen produziert werden als schließlich zur Fortpflanzung<br />

kommen, muss es zwischen ihnen Konkurrenz um diejenigen Ressourcen<br />

geben, die das Überleben und die Fortpflanzung begrenzen. Als<br />

Folge dieser Konkurrenz werden Individuen mit bestimmten Eigenschaften,<br />

denen teilweise unterschiedliche Allele zugrunde liegen, besser und<br />

länger überleben und mehr Nachkommen hinterlassen als Individuen mit<br />

anderen Merkmalskombinationen. Diese Nachkommen erben die genetischen<br />

Grundlagen dieser Vorteile von ihren Eltern und geben sie ebenfalls<br />

häufiger an die nächste Generation weiter. So kommt es durch natürliche<br />

Selektion zur differenziellen Weitergabe und somit zur relativen Zunahme<br />

von den Allelen, die unter den jeweiligen Bedingungen die besten Selektionseigenschaften<br />

besitzen. Diesen Prozess nennt man Anpassung.<br />

Wenn sich bestimmte Allele in einer Population ausbreiten, bedeutet<br />

dies notwendigerweise, dass manche Individuen dasselbe Allel eines Gens<br />

besitzen. Individuen, die abstammungsgleiche Allele teilen, sind miteinan<br />

der verwandt. Bei diploiden Organismen hat jedes Allel eine 50%ige<br />

Wahrscheinlichkeit, die Kopie des entsprechenden Allels der Mutter oder<br />

des Vaters zu sein. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch den Verwandtschaftskoeffizienten<br />

(r) ausgedrückt. Zwischen Eltern und Kindern beträgt<br />

er 0,5 und nimmt mit jeder weiteren Generation um die Hälfte ab.<br />

Verwandtenselektion ist ein Evolutionsmechanismus, der die Weitergabe<br />

von abstammungsgleichen Allelen in verwandten Tieren fördert. Dadurch<br />

wird ein zusätzlicher Sektor der Fitness definiert, nämlich die indirekte<br />

Fitness, die durch die Weitergabe abstammungsgleicher Allele durch<br />

Verwandte (außer den eigenen Nachkommen) definiert ist. Die indirekte<br />

Fitness trägt damit, zusammen mit der direkten Fitness, zur Gesamtfitness<br />

oder inklusiven Fitness eines Individuums bei. Demnach geht in die Bestimmung<br />

der individuellen Gesamtfitness nicht nur die Anzahl der Allele<br />

ein, die ein Individuum selbst in die nächste Generation bringt, sondern<br />

auch die Kopien, die durch Verwandte, mit denen sie mit einer berechenbaren<br />

Wahrscheinlichkeit geteilt werden, weitergegeben werden.<br />

Aus der Sicht der Verhaltensbiologie lassen sich vier evolutionäre<br />

Probleme identifizieren, die jedes Individuum erfolgreich lösen muss, um<br />

seine Gesamtfitness zu maximieren (Tabelle 1.4). Das erste Problem besteht<br />

darin, in jedem Lebensabschnitt genügend Nahrung zu finden bzw.<br />

erfolgreich darum zu konkurrieren, um die alters- und größenspezifischen<br />

energetischen Bedürfnisse von Erhaltungsfunktionen, Wachstum und Fortpflanzung<br />

zu befriedigen ( Kap. 2 u. 3). Diese Grundvoraussetzung lässt<br />

sich auch auf andere essentielle Aspekte des Überlebens ausdehnen, also<br />

die Wahl eines geeigneten Habitats mit entsprechenden Fress-, Schutz- und<br />

Brutmöglichkeiten ( Kap. 5), sowie die erfolgreiche Orientierung in


1.5 Verhalten und Fitness: die vier Probleme 33<br />

Tabelle 1.4. Die wichtigsten fitnessrelevanten Verhaltenskontexte<br />

„Die vier Probleme“<br />

• Ressourcenzugang<br />

o Nahrung, Habitatwahl, Orientierung<br />

• Räubervermeidung<br />

o Diverse Mechanismen, Parasitenabwehr<br />

• Fortpflanzung<br />

o Partnersuche, Auswahl, Geschlechterkonflikt<br />

• Jungenaufzucht<br />

o Brutpflege<br />

Raum und Zeit ( Kap. 4). Damit wird mit Hilfe von Verhaltensweisen,<br />

die zwischen Arten und Individuen variabel ausgeprägt sind und flexibel<br />

eingesetzt werden, eine notwendige Voraussetzung für das Überleben geschaffen<br />

und somit die Überlebenskomponente der Fitness beeinflusst.<br />

Neben dem Problem, genügend Nahrung zu finden, muss jedes Individuum<br />

auch dafür sorgen, selbst nicht gefressen zu werden. Eine Vielzahl<br />

von Anpassungen zur Räubervermeidung sind dabei im Laufe der Evolution<br />

entstanden, von denen viele mit dem Verhalten entweder der Räuber<br />

oder der Beute zu tun haben ( Kap. 6). Natürlich gibt es auch noch andere<br />

Schutzmechanismen wie Panzer, Stacheln oder Gifte, die nicht unmittelbar<br />

mit dem Verhalten zu tun haben. Viele Arten sind auch gleichzeitig<br />

Räuber und Beute und müssen daher zum Teil gegenläufige Anpassungen<br />

miteinander vereinbaren. In diesem Zusammenhang stellt auch die erfolgreiche<br />

Abwehr von Parasiten und anderen Krankheitserregern einen weiteren<br />

wichtigen Teil der Überlebensstrategien dar. Auch hier ist oft das<br />

Verhalten von Wirt und Parasit für den Ausgang dieses evolutionären<br />

Wettrennens entscheidend.<br />

Nur Individuen, die all diese Probleme erfolgreich gelöst haben, können<br />

damit beginnen, die Fortpflanzungskomponente ihrer Fitness zu erhöhen.<br />

Wenn ein geeignetes Mitglied der eigenen Art gefunden und als solches<br />

identifiziert wurde, besteht das nächste Problem darin, unter mehreren potentiellen<br />

Paarungspartnern einen bestimmten auszuwählen, Konkurrenten<br />

von der erfolgreichen Fortpflanzung auszuschließen sowie Konflikte mit<br />

dem Paarungspartner zur Durchsetzung der eigenen Fortpflanzungsinteressen<br />

auszutragen ( Kap. 8 u. 9).


34 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

Selbst wer sich erfolgreich verpaart hat, insbesondere als Männchen, hat<br />

noch lange keinen Fortpflanzungserfolg erzielt. Da das Überleben und die<br />

erfolgreiche Fortpflanzung des eigenen Nachwuchses das letztendlich entscheidende<br />

Kriterium für die Bewertung des eigenen Fortpflanzungserfolgs<br />

darstellen, stellt sich für jeden Elter die Frage, ob er sich an der<br />

Brutpflege und Aufzucht der Jungen beteiligt oder nicht. Die Antwort auf<br />

diese Frage hat weitreichende Konsequenzen für die Beziehungen zwischen<br />

den Geschlechtern sowie für ihre jeweiligen Fortpflanzungsstrategien<br />

( Kap. 10). Für manche Tiere stellt sich in diesem Zusammenhang<br />

auch die Frage, ob sie Verwandten bei der Jungenaufzucht helfen und dabei<br />

möglicherweise auf eigene Fortpflanzung verzichten. Manche Arten<br />

vermeiden die Kosten, aber nicht die Vorteile der Brutpflege, indem sie<br />

andere Arten mit ihrem Nachwuchs parasitieren. Auch hier werden die<br />

meisten fitnessrelevanten Entscheidungen auf der Verhaltensebene getroffen.<br />

Diese grobe Übersicht soll verdeutlichen, welche entscheidende Rolle<br />

dem Verhalten in der Evolution zukommt. Diese vier Fragen bilden daher<br />

auch das Gerüst für den Großteil dieses Buches, um letztendlich die Evolution<br />

verschiedener Sozialsysteme zu verstehen ( Kap. 11).<br />

1.6 Zusammenfassung<br />

Verhalten kann definiert werden als die Kontrolle und Ausübung von<br />

Bewegungen oder Signalen, mit denen ein Organismus mit Artgenossen<br />

oder anderen Komponenten seiner belebten und unbelebten<br />

Umwelt interagiert. Verhalten ist ein wichtiger Mechanismus bei den<br />

Anpassungen eines Organismus an seine Umwelt; Erkenntnisse über<br />

Kontrolle und Funktion von Verhalten sind daher für ein Verständnis<br />

von Evolution notwendig. Außerdem liefert die Verhaltensbiologie<br />

wichtige Erkenntnisse über Grundprinzipien menschlichen Verhaltens<br />

sowie notwendige Grundlagen zur erfolgreichen Nutzung und Kontrolle<br />

von Tieren. Für erfolgreiche Natur- und Artenschutzprogramme<br />

sind Informationen über Verhaltensansprüche unverzichtbar. Durch<br />

praktische Anwendungen der Verhaltensbiologie werden schließlich<br />

auch wichtige Interessensbedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten<br />

bedient.<br />

Verhaltensbiologie ist heute eine methodisch und konzeptionell diverse<br />

Disziplin, die ihre wissenschaftlichen Wurzeln in den Arbeiten


1.6 Zusammenfassung 35<br />

von Charles Darwin hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden bereits<br />

physiologische Grundlagen des Verhaltens (Verhaltensphysiologie),<br />

Mechanismen des Lernens bei im Labor gehaltenen Wirbeltieren<br />

(Behaviorismus) sowie das Repertoire, die Entwicklung und Phylogenie<br />

des Verhaltens freilebender Tiere (klassische Ethologie) untersucht.<br />

Aus dem Behaviorismus ging in Nordamerika die vergleichende<br />

Psychologie hervor, die nach dem 2. Weltkrieg mit der klassischen<br />

Ethologie teilweise verschmolz. Die europäische Ethologie entwickelte<br />

auch experimentell bearbeitbare Fragen nach dem Anpassungswert<br />

von Verhaltensweisen und bereitete damit den Boden für die Entwicklung<br />

der Verhaltensökologie, in deren Rahmen seit den 1970er Jahren<br />

die Beziehung zwischen Verhalten und ökologischen Rahmenbedingungen<br />

untersucht wird. Seit Beginn der 1960er Jahre wird in der Soziobiologie<br />

intensiv nach dem Anpassungswert von Sozialverhalten<br />

bei Mensch und Tier geforscht.<br />

Um Verhalten zu untersuchen, werden zumeist seine Konsequenzen<br />

bestimmt und quantifiziert. Von jeder definierten Verhaltenskategorie<br />

kann prinzipiell deren Dauer, Häufigkeit, Intensität sowie die<br />

Latenz zu anderen Ereignissen gemessen werden. Mit Hilfe geeigneter<br />

Aufnahme- und Aufzeichnungsregeln kann das Verhalten im<br />

Rahmen von Beobachtungen oder Experimenten im Freiland oder unter<br />

kontrollierten Bedingungen quantifiziert werden. In der modernen<br />

Verhaltensbiologie kommen zunehmend Methoden aus anderen biologischen<br />

Disziplinen zum Einsatz, so dass Verhaltensforscher methodisch<br />

und konzeptionell flexibel und breit ausgebildet sein müssen.<br />

Viele Fragestellungen der aktuellen Verhaltensbiologie versuchen,<br />

Grundprinzipien des Verhaltens durch quantitative Artvergleiche zu<br />

ermitteln oder mit Hilfe von Kosten-Nutzen-Analysen die Identität<br />

und relative Bedeutung verschiedener Selektionsfaktoren zu bestimmen.<br />

Bei einer konsequent evolutionsbiologischen Betrachtung können<br />

vier Grundprobleme der Fitnessmaximierung identifiziert werden, bei<br />

deren Lösung das Verhalten eine zentrale Rolle darstellt: Fressen,<br />

Überleben, Fortpflanzung und Jungenaufzucht.


36 1 Verhaltensbiologie: Inhalte und Geschichte<br />

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2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

2.1 Diversität der Life histories und ihre Ursachen<br />

2.2 Evolution von Life histories<br />

2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale<br />

2.3.1 Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung<br />

2.3.2 Anzahl und Größe der Nachkommen<br />

2.3.3 Fortpflanzungsstrategien und Lebensdauer<br />

2.4 Zusammenfassung<br />

Wie sollten Sie Ihren Lebensfortpflanzungserfolg maximieren? Stellen Sie<br />

sich vor, Sie sind eine flexible Zygote, die das zukünftige Leben uneingeschränkt<br />

planen kann. Werden Sie nur ein paar Millimeter groß oder mehrere<br />

hundert Kilogramm schwer? Wie lange wollen Sie wachsen, bevor Sie<br />

mit welchem Alter und bei welcher Größe anfangen, sich fortzupflanzen?<br />

Fangen Sie relativ früh an sich fortzupflanzen und leben dafür kürzer oder<br />

investieren Sie weniger und später in die Fortpflanzung und leben dafür<br />

länger? Setzen Sie alles auf ein Fortpflanzungsereignis oder reproduzieren<br />

Sie sich mehrmals? Wie viel der verfügbaren Energie stecken Sie dann in<br />

die Fortpflanzung, wie viel in die Aufrechterhaltung Ihrer Lebensfunktionen<br />

und wie viel in weiteres Wachstum? Produzieren Sie wenige große<br />

Nachkommen von hoher Qualität oder besser viele kleine, die aber nicht so<br />

gut überleben? Produzieren Sie gleich viele Söhne und Töchter oder machen<br />

Sie diese Entscheidung von ökologischen oder sozialen Bedingungen<br />

abhängig? Das sind nur einige der Life history- (oder Lebenslaufstrategie-)<br />

Entscheidungen, für die jeder Organismus eine evolutionäre Antwort gefunden<br />

hat.<br />

Die Theorie der Life history-Evolution sucht Erklärungen für die Vielfalt<br />

an Lebenslaufstrategien. Sie ist damit das integrative Konzept der organismischen<br />

Biologie und damit auch der Verhaltensbiologie. Die Life<br />

history beschreibt die Lebenszyklen verschiedener Organismen in Bezug<br />

auf Variabilität in den Merkmalen, welche die Wahrscheinlichkeiten des<br />

Überlebens und der erfolgreichen Fortpflanzung direkt beeinflussen. Die<br />

wichtigsten dieser Merkmale sind Größe bei der Geburt, Dauer und Ge-


40 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Life history<br />

Körpergröße<br />

Wachstum<br />

Alter bei der Geschlechtsreife<br />

Semelparie - Iteroparie<br />

Erhaltung - Wachstum - Reproduktion<br />

Größe und Anzahl Nachkommen<br />

Geschlechterverhältnis<br />

Ökologie<br />

Verhalten<br />

Abb. 2.1. Die grundlegenden Life history-Entscheidungen, denen jeder Organismus<br />

gegenübersteht, betreffen Merkmale der Entwicklung, der Fortpflanzung und<br />

des Erhalts der Grundfunktionen. Variabilität in diesen Merkmalen stellt Anpassungen<br />

an ökologische Rahmenbedingungen dar und hat auch weitreichende Konsequenzen<br />

für das Verhalten<br />

schwindigkeit des Wachstums, Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung,<br />

Anzahl und Größe der Nachkommen, Häufigkeit von Fortpflanzungsereignissen<br />

sowie die Dauer der Lebensspanne (Abb. 2.1; Stearns<br />

1976). Diese Merkmale unterscheiden sich vor allem zwischen Arten und<br />

höheren Taxa, aber es gibt auch eine gewisse Flexibilität zwischen Populationen<br />

und Individuen einer Art, die eng mit der Ökologie und dem Verhalten<br />

der betroffenen Tiere verknüpft sind.<br />

Ich möchte in diesem Kapitel die wichtigsten dieser Life history-Entscheidungen<br />

näher beleuchten und dabei deren Verbindungen mit dem<br />

Verhalten der Tiere betonen. Dieser umfassende Ansatz ist notwendig, um<br />

zu verstehen, wie eng einzelne Verhaltensmerkmale im Lauf des Lebens<br />

eines Individuums mit anderen Aspekten der Physiologie, Anatomie und<br />

Ökologie eines Organismus verzahnt und mit diesen funktionell verknüpft<br />

sind. Ausgezeichnete ausführlichere Darstellungen der hier vorgestellten<br />

Konzepte finden sich unter anderem bei Clutton-Brock (1991), Stearns<br />

(1992) und Roff (2001).


2.1 Diversität der Life histories und ihre Ursachen 41<br />

2.1 Diversität der Life histories und ihre Ursachen<br />

Alle Tiere mit sexueller Fortpflanzung beginnen ihr Leben als Zygote und<br />

sterben irgendwann danach. Dazwischen liegt die faszinierende Diversität<br />

von Life history-Strategien, mit denen Individuen versuchen, ihren Überlebens-<br />

und Fortpflanzungserfolg zu maximieren. Da es im Tierreich eine<br />

unüberschaubare Anzahl von Kombinationen von Life history-Merkmalen<br />

gibt, scheint es keine oder zumindest nicht nur eine optimale Life history-<br />

Strategie zu geben. Warum es die eine optimale Strategie gar nicht geben<br />

kann, wird deutlich, wenn man sich die theoretisch optimale Strategie<br />

ausmalt.<br />

Um die maximale Fitness zu erzielen, sollte ein idealer Organismus, den<br />

man als Darwin’schen Dämon bezeichnen könnte, sofort nach der eigenen<br />

Geburt beginnen, für ewige Zeiten unendlich viele Nachkommen zu<br />

produzieren (Leimar 2001). Einen solchen (weiblichen) Organismus gibt<br />

es bekanntlich aber nicht, weil er aufgrund der Konservierung von Masse<br />

pro Fortpflanzungsereignis nicht mehr als seine eigene Masse an Nachwuchs<br />

produzieren kann und weil er wie alle Lebewesen sterblich ist. Zudem<br />

sind die für das Überleben und die Fortpflanzung notwendigen Ressourcen<br />

begrenzt, so dass sich jeder Organismus mit dem Problem<br />

konfrontiert sieht, die verfügbaren Ressourcen optimal zwischen Wachstum,<br />

Fortpflanzung und Erhalt der basalen Grundfunktionen aufzuteilen<br />

(Abb. 2.2). Es existiert also ein fundamentales Allokationsproblem, für<br />

das jedes Individuum eine Lösung finden muss.<br />

Neben diesem Grundproblem komplizieren verschiedene Zwänge und<br />

negative Verknüpfungen (Trade-offs) zwischen Merkmalen in faszinierender<br />

Weise die Ausprägung verschiedener Life history-Strategien (Stearns<br />

1989a). Ein Trade-off existiert immer dann, wenn ein Vorteil, der durch<br />

Abb. 2.2. Für limitiert zur Verfügung stehende Energie gibt es für jeden Organismus<br />

ein fundamentales Allokationsproblem. Diese Entscheidung, Energie in<br />

Wachstum, Fortpflanzung oder den Erhalt der Grundfunktionen zu investieren, beschreibt<br />

den allgemeinsten Trade-off, dem sich Organismen gegenüber sehen


42 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

die Veränderung eines Merkmals entsteht, automatisch mit einem Nachteil<br />

durch die Änderung eines anderen Merkmals verbunden ist. Der allgemeinste<br />

Trade-off besteht zwischen den Grundfunktionen (Zera u. Harshman<br />

2001). Wenn zum Beispiel die Grundversorgung an Energie für die<br />

Erhaltung der basalen Lebensfunktionen zugunsten der Fortpflanzung eingeschränkt<br />

wird, ist der erhöhte reproduktive Erfolg mit einem erhöhten<br />

Mortalitätsrisiko und damit einer Verkürzung der Lebensspanne erkauft.<br />

Männliche Dickhornschafe (Ovis canadensis) sehen sich beispielsweise<br />

im Lauf ihrer Entwicklung mit diesem Trade-off konfrontiert, wenn sich<br />

bei wechselnder Ressourcenverfügbarkeit die Frage stellt, ob Energie aus<br />

limitierter Nahrung besser in das Wachstum ihrer Körper oder ihrer Hörner<br />

investiert werden soll (Festa-Bianchet et al. 2004; Abb. 2.3). Bei Letzterem<br />

handelt es sich um eine indirekte Investition in den Fortpflanzungserfolg,<br />

da die Hörner eine wichtige Rolle bei der Konkurrenz zwischen Männchen<br />

um Zugang zu Weibchen spielen ( Kap. 8.2). Je nach Alter und Körperkondition<br />

der Dickhornschafe wird bei hoher oder geringer Ressourcenverfügbarkeit<br />

unterschiedlich viel Energie in das Körper- bzw. Hornwachstum<br />

investiert. Bei Nahrungsknappheit investieren junge Männchen zum Beispiel<br />

mehr in das Körperwachstum, um das kurzfristige Überleben zu garantieren,<br />

und nehmen dafür möglicherweise Einbußen im langfristigen<br />

Fortpflanzungserfolg in Kauf.<br />

Trade-offs existieren auch zwischen Life history und Verhaltensmerkmalen,<br />

bzw. Verhaltensweisen vermitteln die Trade-offs zwischen Life<br />

history-Merkmalen. Männliche Singvögel müssen zum Beispiel die Vorund<br />

Nachteile ihres Gesangs gegeneinander abwägen. Männchen, die jeden<br />

Tag viel Zeit mit Singen verbringen, locken damit im Durchschnitt zwar<br />

mehr Weibchen an und halten Rivalen effektiver aus ihrem Territorium<br />

fern, aber gleichzeitig verbleibt ihnen dadurch weniger Zeit für die<br />

Abb. 2.3. Männliche Dickhornschafe<br />

(Widder) unterscheiden<br />

sich in der Größe ihrer<br />

Hörner, da sie alters- und<br />

konditionsabhängig unterschiedlich<br />

viel Energie in<br />

deren Wachstum investieren.<br />

Die Hörner spielen eine wichtige<br />

Rolle bei den Kämpfen<br />

der Widder und können bis zu<br />

14 kg schwer werden


2.1 Diversität der Life histories und ihre Ursachen 43<br />

Box 2.1<br />

Trade-off zwischen Erhalt der Grundfunktionen und Investition in die<br />

Fortpflanzung<br />

• Frage: Hat die Häufigkeit des Singens bei Vögeln (hier Rotkehlchen,<br />

Erithacus rubecula) einen Einfluss auf die körperliche Verfassung?<br />

• Hintergrund: Zeit ist limitiert. Wenn es deswegen einen Trade-off zwischen<br />

Singen und Fressen gibt, sollte es einen negativen Zusammenhang<br />

zwischen der Zeit, die für Singen aufgewendet wird, und der Gewichtszunahme<br />

geben.<br />

• Methode: Vergleich der Beziehung zwischen diesen beiden Variablen<br />

aufgrund von Messungen des natürlichen Verhaltens in Kombination mit<br />

einem Playback-Experiment, bei dem durch das Abspielen von fremdem<br />

Gesang eine Erhöhung der Gesangsrate ausgelöst wurde.<br />

Gewichtsänderung (g/h)<br />

1.4<br />

1.2<br />

1.0<br />

.8<br />

.6<br />

.4<br />

.2<br />

-.0<br />

-.2<br />

-.4<br />

-.6<br />

0 10 20 30 40 50<br />

Gesangsrate (min/h)<br />

• Ergebnis: Gesangsrate und Gewichtszunahme männlicher Rotkehlchen<br />

sind negativ korreliert (•). Nach playbacks () erhöht sich die Gesangsrate<br />

und die Gewichtszunahme ist signifikant reduziert*.<br />

• Schlussfolgerung: Singen ist mit Kosten verbunden und unterliegt dem<br />

vorhergesagten Trade-off.<br />

Thomas et al. 2003<br />

* Gewichtsveränderung als Funktion der Gesangsrate vor und nach playback<br />

Nahrungsaufnahme. In diesem Fall kann man den Gesang als eine Investition<br />

in die Fortpflanzung interpretieren, die zu Lasten der Grundfunktionen<br />

geht. Männchen, die jeden Tag sehr lange singen, haben also möglicherweise<br />

einen kurzfristigen Vorteil (erhöhten Fortpflanzungserfolg), der sich<br />

langfristig aber in einen Nachteil (verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit)<br />

verkehren kann (Box 2.1).


44 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

2.2 Evolution von Life histories<br />

Eine Grundannahme der Evolutionsbiologie besteht darin, dass die Life<br />

histories verschiedener Organismen durch Selektion so geformt wurden,<br />

dass für ihre jeweiligen Baupläne und Umweltbedingungen der Nettogewinn<br />

aus Vor- und Nachteilen der verschiedenen Ausprägungen ihrer Life<br />

history-Merkmale maximiert wird. Demnach werden die im Genotyp eines<br />

Individuums enthaltenen Informationen in einen Phänotyp mit einem bestimmten<br />

Bauplan umgesetzt (Abb. 2.4). Der Phänotyp muss sich in seiner<br />

Umwelt bewähren, wobei ökologische Faktoren einen Einfluss auf den individuellen<br />

Überlebens- und Fortpflanzungserfolg haben. Über den Mechanismus<br />

der Dichteabhängigkeit gibt es auch eine Rückkoppelung zwischen<br />

der Populationsstruktur und der Umwelt (z. B. Räuber- oder Ressour<br />

cendichte; Kap. 6.1). Unterschiedlicher Erfolg einzelner Individuen<br />

schlägt sich letztendlich in der Demographie der betreffenden Population<br />

nieder. Die unterschiedliche Fitness einzelner Phänotypen wird also von<br />

natürlicher Selektion bewertet, welche dadurch die Zusammensetzung des<br />

Genpools der nächsten Generation bestimmt. Interaktionen zwischen verschiedenen<br />

Bauplänen und der Vielfalt an Lebensräumen, in denen Organismen<br />

mit identischen Bauplänen leben, erklären daher einen Großteil der<br />

Diversität an Life history-Strategien.<br />

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Evolution von Life history-<br />

Merkmalen im Einzelfall mit Informationen aus vier Bereichen erklären<br />

(Abb. 2.5).<br />

Abb. 2.4. Schematische Darstellung wichtiger Aspekte bei der Evolution von Life<br />

history-Merkmalen. Der differentielle Erfolg von Phänotypen wird von natürlicher<br />

Selektion in der jeweiligen Umwelt bewertet, so dass eine Anpassung an lokale<br />

Bedingungen erfolgt (Ricklefs u. Wikelski 2002)


2.2 Evolution von Life histories 45<br />

Abb. 2.5. Die Diversität von Life history-Strategien kann durch die Betrachtung<br />

von vier Faktoren erklärt werden. Die meiste Variation findet sich dabei zwischen<br />

Arten und höheren Taxa<br />

1. Durch altersspezifische Krankheiten oder größenspezifische Prädation<br />

können zum Beispiel die Mortalitätsraten für eine bestimmte Klasse von<br />

Individuen erhöht werden. Da jetzt alle Individuen eine geringere Wahrscheinlichkeit<br />

haben, diese Alters- oder Größenklasse zu überleben,<br />

werden Individuen dieser Klassen einen geringeren Beitrag zu ihrer jeweiligen<br />

Gesamtfitness erbringen. Natürliche Selektion wird daher dazu<br />

führen, dass der Fortpflanzungsaufwand in früheren Alters- oder Größenklassen<br />

erhöht wird, da Individuen mit diesem Merkmal im Durchschnitt<br />

einen größeren Fortpflanzungserfolg aufweisen. Demographie<br />

reflektiert also die Stärke der natürlichen Selektion, indem sie altersund<br />

größenabhängige Variation in Überlebensraten sowie in der Fruchtbarkeit<br />

dokumentiert.<br />

2. Life history-Merkmale haben auch eine genetische Basis, so dass deren<br />

quantitative Genetik mitberücksichtigt werden muss. Von Bedeutung ist<br />

dabei vor allem die additive genetische Varianz, also derjenige Anteil<br />

der genetischen Variation eines Merkmals, der dessen Reaktion auf<br />

Selektion in messbarer Weise beeinflusst. Viele Life history-Merkmale<br />

weisen eine phänotypische Plastizität auf, die innerhalb einer bestimmten<br />

Reaktionsnorm ausgeprägt ist (Stearns 1989b). Derjenige Anteil der<br />

phänotypischen Variation, der durch additive genetische Variation beigesteuert<br />

wird, wird als Heritabilität bezeichnet. Die Heritabilität der<br />

meisten untersuchten Life history-Merkmale liegt zwischen 0,05 und<br />

0,4; wenn die Heritabilität 1,0 beträgt, hat ein Merkmal genau dieselbe<br />

Ausprägung wie bei den Eltern des betreffenden Individuums, wenn sie<br />

gleich 0 ist, kann das Merkmal nicht auf Selektion reagieren.<br />

3. Life history-Merkmale sind untereinander durch Trade-offs verbunden.<br />

Trade-offs haben eine genetische und eine physiologische Komponente.


46 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Die erste Komponente beschreibt die genetische Korrelation zwischen<br />

zwei Merkmalen, die positiv oder negativ – in Bezug auf die gemeinsame<br />

Änderung – sein können. Die physiologische Komponente beschreibt<br />

dagegen die tatsächlichen Kosten. Diese können je nach Umweltbedingungen,<br />

Entwicklungsgeschichte und individueller genetischer<br />

Ausstattung zwischen Individuen variieren (Zera u. Harshman 2001).<br />

Außerdem können physiologische Zwänge die Variationsmöglichkeiten<br />

von Life history-Merkmalen erheblich einschränken (Ricklefs u. Wikelski<br />

2002).<br />

4. Life history-Merkmale haben auch eine phylogenetische Geschichte,<br />

die eng mit dem Bauplan einer Art bzw. ihrer höheren taxonomischen<br />

Gruppe verknüpft sind. Diese phylogenetischen Faktoren wirken zumeist<br />

als Zwänge, indem sie die Reaktionsnormen der Merkmale scharf<br />

eingrenzen (Blomberg u. Garland 2002). Aufgrund der phylogenetischen<br />

Wurzel des Menschen im Stammbaum der Menschenaffen oder<br />

Altweltaffen können wir zum Beispiel nicht nach 4 Monaten Schwangerschaft<br />

einen Wurf von 10 kleinen, wenig entwickelten Nachkommen<br />

produzieren.<br />

Bei der Erklärung der Life history einer Art müssen diese Faktoren als<br />

wichtige Grundlagen berücksichtigt werden. Durch entsprechende Vergleiche<br />

oder Experimente kann die relative Bedeutung der einzelnen Faktoren<br />

ermittelt werden. So kann man die relative Bedeutung von genetischen<br />

Faktoren dadurch bestimmen, dass man genetisch ähnliche oder<br />

nahezu identische Individuen unter verschiedenen Umweltbedingungen<br />

aufwachsen lässt. Die Bedeutung demographischer Faktoren kann durch<br />

experimentelle Manipulation der Populationsstruktur oder des Räuberdrucks<br />

untersucht werden, und durch Vergleiche von nahverwandten Arten<br />

kann man die Einschränkungen, die durch den Grundbauplan gegeben<br />

sind, identifizieren.<br />

2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale<br />

Vor diesem Hintergrund werde ich im Folgenden die wichtigsten Life<br />

history-Merkmale, also diejenigen mit der größten und direktesten Wirkung<br />

auf die Fitness, im Einzelnen besprechen. Dabei möchte ich insbesondere<br />

darauf eingehen, wie eng Variationen in diesen Merkmalen mit<br />

unterschiedlichen Verhaltensanpassungen verknüpft sind.


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 47<br />

2.3.1 Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung<br />

Die erste Fortpflanzung ist das prägnanteste Life history-Merkmal. Sie<br />

teilt das Leben in zwei Abschnitte: die Zeit des Wachstums und der Entwicklung<br />

bis zur ersten Fortpflanzung sowie die anschließende Phase der<br />

Reproduktion (Abb. 2.6). Das Alter bei der ersten Fortpflanzung hat daher<br />

einen besonders großen Einfluss auf den Gesamtfortpflanzungserfolg eines<br />

Individuums. Für jeden Organismus stellt sich daher, evolutionär gesprochen,<br />

die Frage, wie lange und bis zu welcher Größe er wachsen soll, bevor<br />

er mit der Fortpflanzung beginnt. Da sowohl eine relativ frühe, als<br />

auch eine relativ verzögerte erste Fortpflanzung mit jeweils entgegengesetzten<br />

Vor- und Nachteilen verbunden sind, ist die Frage nach dem optimalen<br />

Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung nicht trivial.<br />

(1) Evolution der ersten Fortpflanzung. Der wichtigste Vorteil der frühen<br />

Fortpflanzung liegt in der verkürzten Generationsdauer. Durch einen<br />

relativ frühen Beginn der Fortpflanzung wird die Juvenilphase verkürzt,<br />

d. h. der Organismus verbringt weniger Zeit als kleines, von Räubern und<br />

Konkurrenten bedrohtes Individuum und hat damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit,<br />

den Beginn der Fortpflanzung überhaupt zu erleben. Dieser<br />

Vorteil wird aber unter Umständen durch erhöhte Mortalitätsraten der<br />

kleineren Nachkommen aufgehoben. Die verzögerte Fortpflanzung hat<br />

ebenfalls eine Reihe von Vorteilen, die gleichzeitig Kosten der frühen<br />

Fortpflanzung darstellen. Erstens ist bei der Mehrzahl der Organismen die<br />

potentielle Fortpflanzungskapazität (Fekundität) positiv mit der Größe<br />

Abb. 2.6. Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung teilen einen Lebenszyklus<br />

in die Phasen des Wachstums und der Fortpflanzung. Frühe und verzögerte Geschlechtsreife<br />

haben gegenläufige Vor- und Nachteile, welche Generationsdauer,<br />

Fekundität, Überlebenswahrscheinlichkeit und Nachwuchsqualität beeinflussen


48 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

korreliert, d. h. große Weibchen können mehr und/oder größere Eier oder<br />

Junge produzieren. Die Größe als geschlechtsreifes Individuum ist aber<br />

zumeist direkt von der Dauer des Wachstums abhängig. Daraus folgt, dass<br />

Individuen mit verzögerter erster Fortpflanzung mit erhöhter Fekundität<br />

belohnt werden. Zweitens kann verzögerte Fortpflanzung mit einer erhöhten<br />

Qualität des Nachwuchs (d. h. weniger, aber größere Eier oder Junge)<br />

und intensiverer Brutpflege einhergehen ( Kap. 10.1), so dass die Mortalitätsrate<br />

der Jungen vergleichsweise geringer ist. Aufgrund der negativen<br />

Verknüpfungen zwischen den Vor- und Nachteilen früher bzw. verzögerter<br />

Fortpflanzung findet daher in vielen Fällen offensichtlich eine Anpassung<br />

an einen intermediären Wert statt.<br />

Im Vergleich zwischen Arten ist der Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung<br />

eng mit der Körpergröße korreliert. Das ist zu erwarten, da man länger<br />

wachsen muss, um eine bestimmte Größe zu erreichen; ein Elefant braucht<br />

dafür absolut länger als eine Maus. Aber auch wenn Unterschiede in der<br />

Körpergröße statistisch kontrolliert werden (Abb. 1.7), ist das Alter der<br />

ersten Fortpflanzung negativ mit der Fekundität und positiv mit der Lebenserwartung<br />

korreliert (Abb. 2.7). Wer also später mit der Fortpflanzung<br />

beginnt, produziert weniger Nachkommen, lebt dafür aber länger. Das<br />

heißt, Unterschiede in der Körpergröße allein können Variabilität im Zeitpunkt<br />

der ersten Fortpflanzung nicht erklären. Unabhängig von der Größe<br />

gibt es also schnelle und langsame Lebenszyklen (Promislow u. Harvey<br />

1990).<br />

Abb. 2.7a–c. Korrelate und Konsequenzen unterschiedlicher Zeitpunkte der ersten<br />

Fortpflanzung. a Das Alter der ersten Fortpflanzung ist positiv mit der Körpergröße<br />

korreliert. b Das für Unterschiede in der Körpergröße korrigierte Alter der ersten<br />

Fortpflanzung ist negativ mit der Fekundität und c positiv mit der Lebensspanne<br />

korreliert


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 49<br />

Dieser Gradient der Lebenslaufgeschwindigkeiten findet sich sowohl<br />

zwischen als auch innerhalb höherer Taxa. Innerhalb der Säugetiere sind<br />

zum Beispiel Wale oder Primaten größer und haben absolut langsamere<br />

Lebenszyklen als Nager und Fledermäuse. Diese Ordnungen unterscheiden<br />

sich aber auch in ihrem Bauplan, ihrer Ökologie und ihrer evolutionären<br />

Geschichte, die zusammen phylogenetische Effekte zur jeweiligen Life<br />

history beitragen. Diese phylogenetischen Effekte sind unabhängig von<br />

Größeneffekten – Wale haben beispielsweise für ihre Größe relativ schnelle<br />

und Fledermäuse für ihre Größe relative langsame Life histories (Gaillard<br />

et al. 1997). Allerdings gibt es beim Vergleich innerhalb der Säugetiere<br />

einen zusätzlichen größenunabhängigen Effekt auf taxonspezifische<br />

Life histories, der die Anzahl und Größe der Jungen reflektiert (Bielby<br />

et al. 2007).<br />

Ein größenunabhängiges Spektrum von relativ schnellen zu relativ langsamen<br />

Life histories findet sich auch innerhalb der einzelnen Ordnungen.<br />

Im Vergleich zu allen anderen Säugetieren haben Primaten beispielsweise<br />

relativ langsame Life histories. Innerhalb der Primaten gibt es diesbezüglich<br />

aber auch eine interessante Variabilität (Abb. 2.8). So wird ein 60 g<br />

schweres Mausmaki-Weibchen (Microcebus murinus) mit ungefähr 10<br />

Monaten geschlechtsreif und produziert jedes Jahr mindestens einen Wurf<br />

von 2 bis 3 Jungen. Ein tausendmal schwereres Gorilla-Weibchen (Gorilla<br />

gorilla) beginnt dagegen erst mit 6 bis 8 Jahren mit der Fortpflanzung,<br />

Abb. 2.8. Mausmakis und Gorillas unterscheiden sich in der Geschwindigkeit ihrer<br />

Life histories, obwohl beides Primaten mit, im Vergleich zu anderen Säugetieren,<br />

langsamen Geschwindigkeiten ihrer Life histories sind


50 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

wobei die einzelnen Jungen im Abstand von mehreren Jahren geboren<br />

werden (Kappeler et al. 2003).<br />

Auch innerhalb von Arten gibt es Variabilität im Alter der ersten Fortpflanzung,<br />

welche oft entlang von Habitatgradienten orientiert ist, aber<br />

auch teilweise genetisch festgelegte Reaktionsnormen aufweist. In einem<br />

Experiment mit Wühlmäusen (Microtus agrestis) wurden diese Ursachen<br />

von Variation im Alter und der Größe beim Erreichen der Geschlechtsreife<br />

vergleichend untersucht (Ergon et al. 2001). Populationen, die nur wenige<br />

Kilometer getrennt leben, unterscheiden sich erheblich in diesen Merkmalen,<br />

wobei in diesem Fall Weibchen in wachsenden Populationen früher<br />

mit der Fortpflanzung begannen als Weibchen in schrumpfenden Populationen.<br />

Ob diese Unterschiede durch Umwelt- oder intrinsische Faktoren,<br />

also eher als Reaktion auf Interaktionen mit lokaler Nahrung, Räubern und<br />

Pathogenen oder eher durch physiologische, genetische oder demographische<br />

Variablen verursacht werden, wurde in einem Translokations-Experiment<br />

untersucht. Die umgesetzten Wühlmäuse behielten dabei nicht die<br />

Merkmale ihrer Ausgangspopulation bei, sondern passten sich an die offenbar<br />

so kleinräumig unterschiedlichen Umweltbedingungen an. Die Größe<br />

und das Alter bei der ersten Fortpflanzung können daher wie in diesem<br />

Fall innerhalb der durch Größe und Phylogenie vorgegebenen Grenzen<br />

rasch durch natürliche Selektion an lokale Bedingungen angepasst werden.<br />

Mäuse und andere Nagetiere liefern auch in anderer Hinsicht gute Beispiele<br />

für phänotypische Plastizität in der ersten Fortpflanzung. Früh im<br />

Jahr geborene Kohorten der Ährenmaus (Mus spicilegus) werden noch im<br />

Jahr der Geburt geschlechtsreif, wohingegen später geborene erst im darauf<br />

folgenden Frühjahr mit der Fortpflanzung beginnen (Gouat et al.<br />

2003).<br />

(2) Erste Fortpflanzung und Verhalten. Eine wichtige funktionale Verbindung<br />

zwischen diesem Life history-Merkmal und Aspekten des Verhaltens<br />

wird bei der Betrachtung geschlechtsspezifischer Fortpflanzungsstrategien<br />

deutlich. Bei Arten mit polgynen Paarungssystemen, bei denen<br />

Männchen untereinander direkt um den Zugang zu rezeptiven Weibchen<br />

kämpfen, sind Merkmale wie Größe, Stärke und Erfahrung wichtige Determinanten<br />

des männlichen Fortpflanzungserfolgs ( Kap. 8.2). Bei diesen<br />

Arten ist es für Männchen vorteilhaft, die erste Fortpflanzung so lange<br />

zu verzögern, bis sie ernsthaft konkurrieren können, so dass ein sexueller<br />

Bimaturismus entsteht, die Geschlechter sich also im durchschnittlichen<br />

Alter der ersten Fortpflanzung und, aufgrund des längeren Wachstums, oft<br />

auch in der Körpergröße unterscheiden (Badyaev 2002). Umgekehrt findet<br />

man in Arten, in denen Männchen aufgrund unterschiedlicher Faktoren


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 51<br />

Abb. 2.9. Sexueller Bimaturismus und Paarungssysteme. Bei Arten mit verzögerter<br />

männlicher Geschlechtsreife (blau) kommt es zu Polygynie. Promiskuität findet<br />

sich bei Arten, bei denen die Weibchen später geschlechtsreif werden (rot).<br />

Jeder Datenpunkt repräsentiert die entsprechenden Durchschnittswerte fiktiver Arten;<br />

die Gerade beschreibt den Fall, bei dem das Alter der 1. Fortpflanzung beider<br />

Geschlechter identisch ist<br />

den Zugang zu mehreren Weibchen nicht monopolisieren können (z. B.<br />

wegen externer Fertilisation, Paarbildung), dass Männchen früher geschlechtsreif<br />

werden oder die Geschlechter sich in dieser Hinsicht nicht<br />

unterscheiden (Abb. 2.9).<br />

Das Alter bei der ersten Fortpflanzung hängt eng mit der jeweiligen<br />

Wachstums- und Entwicklungsgeschwindigkeit zusammen. Da unterschiedliche<br />

Entwicklungsmuster unterschiedliche Energiezufuhr verlangen,<br />

muss sich das Nahrungsverhalten an dieses Life history-Merkmal anpassen.<br />

Rasch wachsende Individuen mit einem entsprechenden geringen<br />

Alter bei der ersten Fortpflanzung müssen dementsprechend mehr Risiken<br />

in Kauf nehmen, um ihren erhöhten Energiebedarf zu decken. Die sich da<br />

raus ergebende Vorhersage, dass diese Individuen höhere Aktivität und Risikobereitschaft<br />

zeigen, konnte unter anderem experimentell bei Forellen<br />

gezeigt werden (Box 2.2).


52 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Box 2.2<br />

Alter bei der ersten Fortpflanzung und Verhalten<br />

• Frage: Haben Tiere (hier Regenbogenforellen, Oncorhynchus mykiss) mit<br />

höheren Wachstumsraten ein höheres Mortalitätsrisiko?<br />

• Hintergrund: Bei Nutztieren wird oft auf rasches Wachstum und frühe<br />

Fortpflanzungsfähigkeit selektiert. Aufgrund des damit verbundenen erhöhten<br />

Nahrungsbedarfs sollte die Risikobereitschaft bei der Nahrungssuche<br />

und damit letztendlich die Sterbewahrscheinlichkeit erhöht sein.<br />

• Methode: Auf hohe Wachstumsraten gezüchtete Regenbogenforellen<br />

wurden zusammen mit Wildtypen in Seen ausgesetzt und regelmäßig beobachtet<br />

und gefangen. Die Präsenz von Eistauchern (Gavia immer) definierte<br />

Seen mit erhöhtem Prädationsrisiko.<br />

• Ergebnis: In Seen mit Räubern wurden tagsüber hauptsächlich gezüchtete<br />

Tiere gefangen*.<br />

• Schlussfolgerung: Individuen mit höherem Energiebedarf sind wesentlich<br />

risikofreudiger und aktiver, auch in der Präsenz von Räubern. Unter natürlichen<br />

Bedingungen gibt es durch Prädation vermittelte Selektion gegen<br />

hohe Entwicklungsraten.<br />

Biro et al. 2004<br />

* Anteil gezüchteter Forellen am Tag und am Abend, ohne (links) und mit Prädatoren (rechts)<br />

2.3.2 Anzahl und Größe der Nachkommen<br />

Manche marine Invertebraten und große Fische legen mehrere Millionen<br />

Eier auf einmal. Viele Säugetiere und manche Vögel haben dagegen immer<br />

nur ein Junges pro Fortpflanzungsereignis. Beim Blauwal hat das einzelne<br />

Neugeborene die Größe eines ausgewachsenen Elefanten, wohingegen<br />

die vielen Eier einer Muschel oder eines Störs winzig sind. Auf<br />

dieser Betrachtungsebene sind Anzahl und Größe der Nachkommen also


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 53<br />

negativ miteinander korreliert (Smith u. Fretwell 1974). Wie kommt es zu<br />

diesem Zusammenhang?<br />

(1) Evolution des Fortpflanzungsaufwandes. Die für ein bestimmtes Individuum<br />

optimale Wurf- oder Gelegegröße wird von mehreren ultimaten<br />

und proximaten Faktoren bestimmt. Bei den ultimaten Faktoren handelt es<br />

sich um durch natürliche Selektion geformte Anpassungen, die vom jeweiligen<br />

Bauplan abhängige Trade-offs sowie genetische, ökologische und<br />

demographische Rahmenbedingungen reflektieren. Die auffälligsten Unterschiede<br />

in der Größe und Anzahl der Nachkommen finden sich zwischen<br />

Arten und höheren Taxa. Auf dieser Ebene ist zum Beispiel genetisch<br />

festgelegt, ob und in welchem Ausmaß Energie für die Fortpflanzung<br />

gespeichert werden kann, ob das Wachstum zeitlich begrenzt oder unbegrenzt<br />

ist, ob die Fortpflanzung einmalig (Semelparie) oder mehrfach<br />

(Iteroparie) erfolgt, in welchem Entwicklungsstadium die Jungen geboren<br />

werden (z. B. Ovoparie oder Viviparie) und wie viele weitere Stadien<br />

sie gegebenenfalls bis zum Erreichen der Geschlechtsreife durchlaufen<br />

müssen.<br />

Innerhalb dieser Grenzen gibt es Reaktionsnormen, innerhalb derer proximate<br />

Faktoren Variabilität in der Anzahl und Größe der Jungen bestimmen<br />

können. Die bekannteste Ausprägung einer solchen Reaktionsnorm<br />

stellt geografische Variation entlang der Längengrade dar. Zwischen<br />

Äquator und den Polen ändern sich Klima und Lebensbedingungen systematisch<br />

und viele Tiere mit entsprechender Verbreitung haben ihre Fortpflanzung<br />

an die lokalen Bedingungen angepasst; die Gelegegröße vieler<br />

Vogelarten nimmt zum Beispiel mit zunehmender Entfernung vom Äquator<br />

zu (Griebeler u. Böhning-Gaese 2004). Allerdings kann es, wie zum<br />

Beispiel bei Kohlmeisen (Parus major), auch zwischen benachbarten Subpopulationen<br />

genetisch bedingte Unterschiede in der durchschnittlichen<br />

Gelegegröße geben (Postma u. van Noordwijk 2005).<br />

Innerhalb lokaler Populationen können zusätzliche proximate Faktoren<br />

Investitionen in die Fortpflanzung beeinflussen. Dazu zählen die Dichte<br />

der eigenen oder der jeweiligen Räuber- oder Beutepopulationen, aktuelle<br />

oder zukünftige Nahrungsverfügbarkeit und, bei vielen Wirbellosen und<br />

Kaltblütern, die aktuelle Umgebungstemperatur. Schließlich wird Fruchtbarkeit<br />

auch noch von Größe, Alter, individuellen genetischen Prädispositionen<br />

und aktueller Kondition (Parasitenbefall, Gesundheitsstatus, Effekte<br />

der vorangegangenen Fortpflanzung) der Mutter bestimmt. Durch die<br />

gleichzeitige Berücksichtigung aller ultimaten und proximaten Faktoren<br />

lässt sich prinzipiell erklären, warum ein Weibchen wie viele und wie große<br />

Nachkommen produziert.


54 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Abb. 2.10. Abweichungen zwischen der maximalen und beobachteten Gelegegröße<br />

können durch Berücksichtigung der Kosten der Fortpflanzung über das gesamte<br />

Leben erklärt werden. Die negativen Effekte experimenteller Gelegevergrößerung<br />

auf die Fitness der Eltern zeigen, dass Fortpflanzung mit Kosten<br />

verbunden ist. Die beobachtete Gelegegröße weicht von der theoretisch optimalen<br />

Zahl an Eiern ab, da Selektion die Gelegegröße über das gesamte Leben, und nicht<br />

nur über eine Saison, anpasst<br />

Zwei theoretische Erklärungsansätze für die beobachtete Diversität und<br />

Variabilität in der Anzahl und Größe der Nachkommen werden derzeit<br />

verfolgt (Stearns 1992). Der erste Ansatz versucht das „Allgemeine Life<br />

history-Problem“ zu lösen. Dieses Problem besteht darin, den optimalen<br />

reproduktiven Aufwand über die komplette Lebensspanne zu bestimmen.<br />

Dabei wird nicht nur die optimale Gelegegröße, die per Definition pro<br />

Fortpflanzungsereignis im Durchschnitt die meisten überlebenden und<br />

rekrutierten Jungen ergibt, betrachtet, sondern zum Beispiel auch, welche<br />

nachhaltigen Effekte sich daraus für die Überlebenswahrscheinlichkeit der<br />

Mutter (oder ggf. beider Eltern) und deren Fortpflanzungsaufwand bei nachfolgenden<br />

Fortpflanzungsereignissen ergeben. Den Kern dieses Problems<br />

stellt also letztendlich der Trade-off zwischen aktueller und zukünftiger<br />

Fortpflanzung dar (Abb. 2.10). Die Existenz dieses Trade-offs erschließt<br />

sich aus der Feststellung, dass beobachtete Wurf- oder Gelegegrößen oft<br />

unter der maximal möglichen liegen.<br />

Die Faktoren, die den Gesamtfortpflanzungserfolg über die gesamte Lebensspanne<br />

bestimmen, können aus der Analyse der maximal produktiven


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 55<br />

Gelegegröße, die nach dem englischen Ornithologen David Lack auch als<br />

Lack-clutch bezeichnet wird (Lack 1947), identifiziert werden. Bei Vögeln<br />

lässt sich die Gelegegröße leicht experimentell manipulieren. In den<br />

meisten derartigen Experimenten fand man, dass die häufigste natürliche<br />

Gelegegröße unter derjenigen experimentell vergrößerten Gelegegröße<br />

liegt, bei der die meisten überlebenden Jungen entstehen. Warum produziert<br />

ein Vogelpaar pro Fortpflanzungsereignis also weniger Junge als eigentlich<br />

möglich wären?<br />

Ein naheliegendes Experiment zur Beantwortung dieser Frage besteht<br />

darin, die Gelegegröße durch den Austausch von Eiern zu manipulieren,<br />

und den Effekt auf das Verhalten der Eltern, die zukünftige Fortpflanzungsinvestition<br />

der Eltern, sowie die Überlebenschancen der Eltern und<br />

der Jungen zu dokumentieren. Der zusätzliche elterliche Aufwand für die<br />

Versorgung eines größeren Geleges schlägt sich offenbar an anderer Stelle<br />

als fitnessreduzierend nieder. So kann zum Beispiel bei Blaumeisen (Cyanistes<br />

caeruleus) im Vergleich zu Kontrollpaaren bei Eltern mit experimentell<br />

erhöhter Gelegegröße die Zeit bis zum nächsten Gelege verlängert,<br />

die Größe des nächsten Geleges oder die Überlebenswahrscheinlichkeit der<br />

Jungen im nächsten Gelege reduziert oder das Mortalitätsrisiko der Eltern<br />

erhöht sein (Nur 1984a, b; Abb. 2.11). Offenbar hat die natürliche Selektion<br />

eine Lösung gefunden, die diese Trade-offs berücksichtigt und den<br />

Fortpflanzungserfolg über die gesamte Lebensspanne optimiert. Bei der<br />

Kolonisation von neuen Lebensräumen wird die Gelegegröße dynamisch<br />

angepasst, so dass sich durchaus Selektion für eine andere Gelegegröße<br />

nachweisen lässt (Tinbergen u. Sanz 2004).<br />

Die Manipulation von Eiern oder geschlüpften Jungen berücksichtigt<br />

aber die Investition in die Eiproduktion und das Brüten nicht. Wenn man<br />

Kohlmeisen-Weibchen (Parus major) durch die Entnahme von Eiern zum<br />

Legen zusätzlicher Eier bewegt, sie zusätzliche, fremde Eier ausbrüten<br />

lässt oder ihnen zusätzliche Jungvögel ins Nest legt, lassen sich diese Investitionen<br />

ebenfalls quantifizieren (Visser u. Lessels 2001). Mit zunehmender<br />

zusätzlicher Investition nimmt die Überlebensrate der betreffenden<br />

Weibchen ab, d. h. jede zusätzliche Investition in die aktuelle Fortpflanzung<br />

reduziert die Fähigkeit, in zukünftige Fortpflanzung zu investieren.<br />

Dass selbst die Eigröße einen zusätzlichen Effekt hat, wurde ebenfalls experimentell<br />

gezeigt. Wenn man nämlich Zebrafinken-Weibchen (Taeniopygia<br />

guttata) während der Eiproduktion mit einem Östrogen-Blocker behandelt,<br />

kann man dadurch die Größe der Eier um bis zu 8% verringern<br />

(Williams 2001). Die betroffenen Weibchen kompensieren diese Reduktion<br />

mit einer Erhöhung der Gelegegröße; im Durchschnitt legen sie zwei<br />

zusätzliche Eier. Das heißt, zwischen Eigröße und Anzahl besteht tatsächlich<br />

ein negativer Trade-off.


56 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Abb. 2.11. Blaumeisen legen relativ viele Eier pro Gelege (hier 9). An der raschen<br />

Entwicklung der Jungen wird das enorme Investment der Eltern deutlich. Die optimale<br />

Gelegegröße unterliegt daher genauer Bewertung durch natürliche Selektion<br />

Insgesamt gibt es also zahlreiche Hinweise aus Beobachtungen natürlicher<br />

Variation, aber vor allem auch aus gezielten Experimenten, die gezeigt<br />

haben, dass das Konzept des allgemeinen Life history-Problems viele<br />

Anpassungen in Life history-Merkmalen erklären und voraussagen kann.<br />

Der zweite, alternative Erklärungsansatz betrachtet die Gelegegröße als<br />

Resultat eines evolutionären, genetischen Konflikts zwischen Eltern und<br />

Nachkommen ( Kap. 10.3). Er geht davon aus, dass Eltern ein bestimmtes<br />

Maß an elterlichem Investment, das sich unter anderem in einer bestimmten<br />

Gelegegröße ausdrückt, bevorzugen, wohingegen Nachkommen<br />

ein anderes, generell größeres Maß an elterlicher Investition bevorzugen.<br />

Nachkommen sollten demnach aus ihrer egoistischen Sicht versuchen,<br />

das ihnen zuteil werdende elterliche Investment zu maximieren, was immer<br />

mit einer Reduktion der Gelegegröße, im Extremfall auf 1, verbunden<br />

ist. Einzelne Junge wären keiner Konkurrenz mit Geschwistern ausgesetzt


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 57<br />

und hätten das gesamte elterliche Investment für sich allein. Eltern können<br />

aber in den meisten Fällen mehr als ein Junges gleichzeitig aufziehen und<br />

haben mit größeren Wurf- oder Gelegegrößen einen höheren Fortpflanzungserfolg.<br />

Theoretische Analysen haben gezeigt, dass ein solcher Konflikt<br />

zwischen Eltern und Nachkommen tatsächlich existieren kann (Godfray<br />

1995), aber wer ihn gewinnt, ist von zusätzlichen Faktoren wie zum<br />

Beispiel dem durchschnittlichen Verwandtschaftsgrad zwischen den Jungen<br />

abhängig und generell noch nicht gut verstanden (Mock u. Parker<br />

1998).<br />

Aufgrund des Trade-offs zwischen der Größe und Anzahl der Eier ist ein<br />

Konflikt zwischen Mutter und Nachwuchs auch über die Größe der Eier zu<br />

erwarten. Bei atlantischen Lachsen (Salmo salmar) wurde diese Frage experimentell<br />

untersucht (Einum u. Fleming 2000). Große und kleine Eier<br />

von acht Weibchen wurden von einem Männchen befruchtet und die sich<br />

daraus entwickelnden Jungfische verglichen. Aus kleinen Eiern schlüpften<br />

früher kleinere Fische, und dieser Größenunterschied war auch noch nach<br />

mehr als 100 Tagen nachweisbar. Außerdem hatten Lachse, die sich aus<br />

kleineren Eiern entwickelten, höhere Mortalitätsraten. Die Größe eines Eies<br />

hat also direkte Konsequenzen für die Fitness des sich daraus entwickelnden<br />

Nachkommen. Mütter produzieren also auch kleine Eier, obwohl<br />

dies den egoistischen Interessen der Nachkommen widerspricht.<br />

(2) Fortpflanzungsaufwand und Verhalten. Die Anzahl und Größe<br />

der Nachkommen, die ein Organismus produziert, hat vielfältige und weitreichende<br />

Konsequenzen für das Verhalten von Eltern und Jungen<br />

( Kap. 10.3). Zunächst ist das Ausmaß elterlicher Brutpflege grundsätzlich<br />

negativ mit der Anzahl der Nachkommen korreliert. Die Tausende<br />

oder sogar Millionen von Eiern, die von manchen Tieren freigesetzt werden,<br />

erfahren meist keinerlei weitere elterliche Fürsorge, wohingegen am<br />

anderen Ende des Spektrums die einzelnen Jungen großer Säugetiere über<br />

Jahre gestillt und versorgt werden. Vergleichbare Konsequenzen finden<br />

sich auch bei Fischen, Amphibien und Reptilien entlang des Gradienten<br />

von Ovoparie zur Viviparie, d. h. verschiedenen Entwicklungsstadien bei<br />

der Geburt (z. B. Shine 2003). Noch bekannter sind die entsprechenden<br />

Unterschiede zwischen Nesthockern und Nestflüchtern bei Vögeln und<br />

Säugern (Derrickson 1992). Nesthocker sind bei der Geburt nackt, blind<br />

und können noch keine Thermoregulation betreiben, wohingegen Nestflüchter<br />

vom ersten Tag an selbständig laufen oder fliegen und sich zum<br />

Teil schon selbständig warm halten und sogar ernähren können (Abb. 2.12).<br />

Da Nesthocker und Nestflüchter unterschiedliche Anforderungen an elterliche<br />

Fürsorge haben, ergeben sich aus diesem Life history-Merkmal letztendlich<br />

weitreichende Konsequenzen für geschlechtsspezifische Fortpflan-


58 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Abb. 2.12. Neugeborene Ratten (links) und Meerschweinchen repräsentieren innerhalb<br />

der Nagetiere Beispiele für Nesthocker und Nestflüchter<br />

zungsstrategien ( Kap. 7.3) und Paarungssysteme ( Kap. 11.2; Temrin<br />

u. Tullberg 1995).<br />

Unterschiede in der Größe der Nachkommen können ebenfalls Konsequenzen<br />

für deren späteres Verhalten haben. Bei Eidechsen konnte zum<br />

Beispiel durch experimentelle Reduktion der Eigröße eine reduzierte<br />

Fluchtgeschwindigkeit bei den sich daraus entwickelnden Erwachsenen<br />

induziert werden (Sinervo et al. 1992).<br />

Der Konflikt zwischen Eltern und Nachkommen liefert schließlich<br />

auch ein weites Feld für zahlreiche interessante Verhaltensphänomene<br />

( Kap. 10.3). So liefert er ein theoretisches Gerüst zur Untersuchung von<br />

ansonsten schwer zu erklärenden Phänomenen wie Geschwistertötung oder<br />

die Überproduktion von Zygoten (Legge 2000). Ein weiterer, direkter<br />

Konflikt zwischen Eltern und Nachkommen besteht unter akutem Prädationsrisiko.<br />

Sollten Eltern in diesem Fall versuchen, auf Kosten ihrer Jungen<br />

zu überleben, so dass sie weiterhin die Gelegenheit zur Fortpflanzung<br />

haben, oder sollten sie sich opfern, um ihre Jungen in einer solchen Situation<br />

zu retten? Zu dieser Frage macht die Theorie der Life history-<br />

Evolution klare Vorhersagen unter Berücksichtigung der altersspezifischen<br />

Überlebensraten sowie der Wurfgröße. So sollten Arten mit geringer Gelegegröße<br />

und hohen Überlebensraten von adulten Eltern gegebenenfalls<br />

ein erhöhtes Mortalitätsrisiko ihrer Jungen in Kauf nehmen, da deren Fortpflanzungswert<br />

geringer ist. Der Fortpflanzungswert bezeichnet dabei den<br />

altersabhängigen Beitrag von Individuen zur nächsten Generation. In dieser<br />

Hinsicht gibt es systematische Unterschiede zwischen Vögeln der nördlichen<br />

und südlichen Hemisphäre, die in entsprechenden Prädationsexperimenten<br />

gemäß dieser Vorhersagen reagierten (Ghalambor u. Martin


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 59<br />

2001). Unterschiede im Fortpflanzungsaufwand sind also auf vielfältiger<br />

Weise und unterschiedlichen Ebenen mit dem Verhalten der Eltern und<br />

Jungen verbunden.<br />

2.3.3 Fortpflanzungsstrategien und Lebensdauer<br />

Wenn das Alter der ersten Fortpflanzung erreicht ist, könnten sich Organismen<br />

theoretisch unendlich lange fortpflanzen. Jedoch sind bekanntlich<br />

alle Tiere mit differenziertem Soma und Gameten sterblich, wobei die<br />

Dauer der Lebensspanne von ein paar Tagen bis über 200 Jahre (manche<br />

Muscheln) reicht. Nur Organismen, bei denen die Keimbahn nicht vom<br />

Soma getrennt ist (Prokaryoten, viele Protozooen und Arten mit ungeschlechtlicher<br />

Teilung), altern nicht und sind potentiell unsterblich. Außerdem<br />

pflanzen sich Individuen mancher Arten nur ein einziges Mal im Leben<br />

fort, auch wenn sie viele Jahre alt werden (z. B. Lachse, Zikaden),<br />

wohingegen andere regelmäßig, manchmal über Jahrzehnte, Nachkommen<br />

produzieren. Was sind die evolutionären Ursachen dieser Variabilität, und<br />

welche Konsequenzen haben diese Unterschiede in Lebensdauer und Fortpflanzungsstrategien<br />

für das Verhalten?<br />

(1) Evolution von Fortpflanzungsstrategien. Lebensdauer und Fortpflanzung<br />

sind in gewisser Weise eng miteinander verbunden (Abb. 2.13).<br />

Organismen mit sehr kurzen Lebensspannen pflanzen sich in der Regel nur<br />

einmal fort; sie werden als Annuelle bezeichnet. Andere Organismen leben<br />

lange genug, um sich mehrfach zu reproduzieren (Iteroparie). Wieder andere<br />

Tiere haben allerdings für ihre Körpergröße eine relativ lange Lebensspanne<br />

von 3 bis 6 (Lachse: Oncorhynchus spp.) oder sogar 17 Jahren<br />

Abb. 2.13. Beziehung zwischen Lebensdauer und Fortpflanzungsstrategien. Iteroparie<br />

kommt bei langlebigen Organismen sehr viel häufiger vor als bei kurzlebigen


60 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

(manche Zykaden: Magicicada spp.) und pflanzen sich trotzdem nur einmal<br />

fort, obwohl sie lange genug für mehrere Paarungszeiten leben, und<br />

sterben danach. Dieser einmalige extreme Fortpflanzungsaufwand mit Todesfolge<br />

(Semelparie) weist also den größten theoretischen Erklärungsbedarf<br />

auf.<br />

Die Fortpflanzungsaktivität eines Individuums wird durch den Tod beendet,<br />

welcher zwei Ursachen haben kann. Zum einen wird Mortalität<br />

Box 2.3<br />

Die Kosten der Fortpflanzung<br />

• Frage: Haben Individuen mit erhöhter Fekundität eine reduzierte Lebenserwartung?<br />

• Hintergrund: Dieser Trade-off repräsentiert einen der grundlegendsten<br />

Trade-offs und spielt eine wichtige Rolle bei evolutionären Erklärungen<br />

des Alterns.<br />

• Methode: In einer Gefangenschaftspopulation von Ansells Graumullen<br />

(Cryptomys anselli), bei denen die Fortpflanzung von einem Paar monopolisiert<br />

wird, wurde die Lebenserwartung von züchtenden und nichtzüchtenden<br />

Männchen und Weibchen verglichen.<br />

Anteil überlebender Individuen<br />

1.0<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22<br />

Alter (Jahre)<br />

züchtende Weibchen ( n = 24)<br />

züchtende Männchen ( n = 21)<br />

nicht-züchtende Weibchen ( n = 22)<br />

nicht-züchtende Männchen ( n = 28)<br />

• Ergebnis: Reproduktiv aktive Männchen und Weibchen leben ungefähr<br />

doppelt so lange wie sich nicht reproduzierenden Tiere*.<br />

• Schlussfolgerung: Entgegen der theoretischen Vorhersagen führt hier<br />

Reproduktion zu einer Verlängerung der Lebensspanne. Dieser Effekt war<br />

bislang nur von Hymenopteren-Königinnen bekannt. Die Gründe für die<br />

Abweichungen sind in beiden Fällen unklar.<br />

Dammann u. Burda 2006<br />

* Anteil überlebender Individuen als Funktion von Alter, Geschlecht und Reproduktionsstatus


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 61<br />

durch extrinsische Faktoren verursacht, die ihren Ursprung in der Umwelt<br />

haben, also z. B. Prädation, Krankheit und extreme klimatische Bedingungen.<br />

Diese Faktoren werden nicht direkt durch Fortpflanzungsentscheidungen<br />

des Individuums beeinflusst. Zum anderen gibt es davon unabhängig<br />

intrinsische Ursachen von Mortalität, die durch den Zerfall und Verschleiß<br />

körpereigener physiologischer und biochemischer Systeme verursacht<br />

wird, wobei Zellschädigungen durch freie Radikale eine wichtige Ursache<br />

darstellen. Das intrinsische Mortalitätsrisiko ist daher auch vom bereits betriebenen<br />

Fortpflanzungsaufwand abhängig (Reznick 1985). So altern beispielsweise<br />

Rothirschkühe (Cervus elaphus), die in jungen Jahren mehr<br />

Kälber hatten, schneller als andere Individuen mit geringeren Fortpflanzungsraten<br />

(Nussey et al. 2006). Allerdings gibt es auch bislang unerklärte<br />

Ausnahmen von diesem generellen Zusammenhang (Box 2.3).<br />

Extrinsische und intrinsische Mortalität sind auch direkt aneinander gekoppelt.<br />

Wenn nämlich extrinsische Mortalitätsraten zunehmen, wird dadurch<br />

die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Alter zu erreichen, verringert.<br />

Damit wird der reproduktive Aufwand früher im Leben verstärkt und<br />

so die intrinsische Mortalitätsrate erhöht. Diese Zusammenhänge konnten<br />

in Experimenten mit Drosophila bestätigt werden (Stearns et al. 2000).<br />

Die tatsächliche Lebensdauer ergibt sich letztendlich aus der Balance<br />

zwischen extrinsischen Faktoren einerseits, die den relativen Wert der Lebensspanne<br />

für die individuelle Fitness in Abhängigkeit von altersspezifischer<br />

Mortalität bestimmen, sowie intrinsischen Trade-offs zwischen<br />

Überleben und Fekundität andererseits (Abb. 2.14). Altersspezifische Mortalität<br />

ist entscheidend dafür, wann und wie lange sich ein Organismus<br />

fortpflanzt. Wenn Adulte ein geringes extrinsisches Mortalitätsrisiko haben,<br />

wirkt natürliche Selektion dahin, die Dauer der reproduktiven Lebens-<br />

Abb. 2.14. Die Balance von extrinsischen und intrisischen Mortalitätsfaktoren bestimmt<br />

die optimale Lebensspanne. M = Mortalität; ad = adult; juv = juvenil


62 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

spanne zu verlängern, und umgekehrt. Unterschiedliche extrinsische Mortalität<br />

der Juvenilen kann ebenso die reproduktive Lebensspanne beeinflussen.<br />

Wenn es eine hohe Mortalitätsrate unter Juvenilen gibt, wird natürliche<br />

Selektion ebenfalls eine Verlängerung der Lebensspanne der<br />

Überlebenden fördern. Diese an die altersabhängige Mortalitätsrate gekoppelten<br />

Prozesse wirken also dahin, die Anzahl der Fortpflanzungsereignisse<br />

über die gesamte Lebensspanne zu maximieren. Die Bedeutung der<br />

extrinsischen Mortalität für die Lebensspanne wurde durch einen Vergleich<br />

zwischen eusozialen und solitären Insekten nachgewiesen: Königinnen<br />

von Termiten, Bienen und Ameisen, die sich in gut geschützten Nestern<br />

befinden, leben 100-mal länger als solitäre Insekten, wobei sie auch<br />

eine extrem hohe Fekundität an den Tag legen (Keller u. Genoud 1997).<br />

Eine entgegengesetzte Kraft, die sich aus der Zunahme der intrinsischen<br />

Mortalitätsursachen mit zunehmendem Alter ergibt, wirkt auf eine Verkürzung<br />

der Lebensspanne hin. Die Zunahme intrinsischer Mortalität ergibt<br />

sich dabei aus der Verknüpfung von Merkmalen, die früh und spät im Leben<br />

ausgeprägt werden. Eine wichtige Komponente sind dabei die (physiologischen)<br />

Kosten der Fortpflanzung; Fortpflanzung früh im Leben kann<br />

unter Umständen die spätere Überlebenswahrscheinlichkeit verringern. Einen<br />

ähnlichen Effekt haben antagonistische Pleiotropien von bestimmten<br />

Genen, die Life history-Merkmalen zugrunde liegen. Dabei handelt es sich<br />

um Gene, die zwei oder mehr Merkmale in entgegengesetzter Weise beeinflussen;<br />

speziell solche, die den Fortpflanzungserfolg früh im Leben auf<br />

Kosten des Überlebens später im Leben erhöhen. Zudem können sich<br />

schädliche Mutationen, die erst spät im Leben aktiviert werden, leichter<br />

anhäufen (Abb. 2.15). Mit diesen Mechanismen können auch relativ geringe<br />

Unterschiede im Beginn der einsetzenden Seneszenz erklärt werden,<br />

bei Lachsen (Oncorhynchus nerka) sogar zwischen Weibchen einer Art<br />

(Hendry et al. 2004).<br />

Das Altern beginnt mit der Fortpflanzung als Nebenprodukt schleichender<br />

Erosion physiologischer Funktionen und genetischer Nachteile,<br />

die erst spät im Leben wirksam werden; Altern an sich ist also keine Anpassung<br />

(Kirkwood u. Austad 2000). Die Lebensdauer stellt daher letztendlich<br />

ein intermediäres Optimum dar, das durch die Interaktion zwischen<br />

Selektion auf den relativen Fortpflanzungswert von Adulten sowie den<br />

Konsequenzen des intrinsischen Trade-offs zwischen Überleben und Fortpflanzung<br />

bestimmt wird. Die Effekte des Alterns sind dabei nicht nur auf<br />

langlebige Organismen beschränkt. Auch bei Insekten mit einer mittleren<br />

Lebensdauer von sechs Tagen lassen sich nachteilige Effekte des Alters<br />

auf Überlebens- und Fortpflanzungsraten feststellen (Bonduriansky u.<br />

Brassil 2002).


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 63<br />

Abb. 2.15a–c. Evolutionäre Theorien des Alterns. a Extrinsische Mortalität unter<br />

natürlichen Bedingungen (rot) ist altersabhängig und viel höher (geringere Überlebensraten)<br />

als in optimalen Gefangenschaftsbedingungen (blau); es gibt also<br />

keine Gene für das Altern. b Ein Selektionsschatten (orange) im Alter erlaubt die<br />

Anhäufung von Mutationen, die spät im Leben schädlich sind, da nur wenige Individuen<br />

von dieser Selektion betroffen sind. c Gene, die früh im Leben vorteilhaft<br />

sind, setzen sich durch, auch wenn sie spät im Leben nachteilige pleiotrope Effekte<br />

haben (nach Kirkwood u. Austad 2000)<br />

Die generellen Zusammenhänge zwischen Mortalitätsraten und dem optimalen<br />

Fortpflanzungsaufwand wurden in einem Freiland-Experiment mit<br />

Guppies (Poecilia reticulata) in Trinidad innerhalb einer Art elegant bewiesen<br />

(Reznick et al. 1990). Eine wilde Population war durch einen Wasserfall<br />

getrennt (Abb. 2.16). Eine Teil-Population lebte mit einem Räuber<br />

(Buntbarsch, Crenicichla alta), der große, geschlechtsreife Guppies bevorzugt,<br />

die andere mit einem Räuber (Riesenbachling, Rivulus hartii), der<br />

vorwiegend kleine, juvenile Guppies frisst. In der Teil-Population mit der<br />

hohen Adult-Mortalität (Crenicichla) wurden Guppies, wie vorhergesagt,<br />

früher geschlechtsreif und produzierten mehr und kleinere Junge als Guppies<br />

mit einer hohen Juvenilen-Sterblichkeit (Rivulus). Bewiesen wurde<br />

die Kausalität dieser Zusammenhänge mit einem Austausch der Guppies<br />

zwischen einem Crenicichla und einem Rivulus-Gebiet. Innerhalb von 11<br />

Jahren (30–60 Generationen) wurden die vorhergesagten Änderungen in<br />

Alter und Größe bei der ersten Fortpflanzung und der Anzahl und Größe<br />

der Jungen beobachtet. Diese Merkmalsunterschiede blieben bei isolierter<br />

Haltung im Labor stabil, was die genetische Basis dieser veränderten<br />

Merkmalsausprägung unter Beweis stellt. Allerdings wurden die vorhergesagten<br />

Unterschiede zwischen diesen Teil-Populationen für das Einsetzen<br />

des Alterns nicht bestätigt (Reznick et al. 2004), vermutlich weil andere<br />

Faktoren neben dem extrinsischen Mortalitätsrisko den Alterungsprozess<br />

beeinflussen. Diese Untersuchung liefert trotzdem einen der überzeugendsten<br />

Beweise für die Life history-Theorie, die Existenz von Evolution sowie<br />

für die Verknüpfung zwischen Life history, Verhalten und Ökologie.


64 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

Abb. 2.16. Life history-Evolution von Guppies mit unterschiedlichen Prädatoren<br />

(Reznick et al. 1990) und experimenteller Nachweis der Effekte altersspezifischer<br />

Prädation auf deren Life history<br />

(2) Fortpflanzungsstrategien und Verhalten. Unterschiede in der Lebensspanne<br />

und in der Fortpflanzungsstrategie interagieren ebenfalls in<br />

vielfältiger Weise mit dem Verhalten. Eine lange Lebensspanne ist zum<br />

Beispiel eine Voraussetzung für die Ausbildung von differenzierten Sozialbeziehungen;<br />

nur Individuen, die Jahre oder Jahrzehnte zusammenleben,<br />

können individuelle Beziehungen untereinander etablieren. Die Entwicklung<br />

von sozialer Intelligenz und anderen Aspekten kognitiven<br />

Verhaltens wird ebenfalls in diesem Zusammenhang erklärt (Dunbar 1998;<br />

Kap. 11.3). Erfahrung, Traditionen und deren kulturelle Weitergabe haben<br />

auch in Arten mit langer Lebensspanne eine viel größere Bedeutung<br />

(van Schaik u. Pradhan 2003).<br />

Extrinsische Mortalität als evolutionäre Schlüsseldeterminante der Lebensspanne<br />

wird in vielfältiger Weise durch Verhaltensmechanismen modifiziert<br />

( Kap. 6.3). Durch die Bildung von Gruppen wird beispielsweise<br />

das extrinsische Mortalitätsrisko gesenkt. Das Leben in Gruppen ermöglicht<br />

seinerseits eine Vielzahl von zusätzlichen sozialen Verhaltensweisen<br />

( Kap. 11.1). Verhalten ändert sich auch altersabhängig, und insbesondere<br />

in Bezug auf Fortpflanzungsstrategien ergeben sich für Individuen beim<br />

Einsetzen der Seneszenz interessante Probleme ( Kap. 10.5). Männliche


2.3 Die wichtigsten Life history-Merkmale 65<br />

Abb. 2.17. Die Gewöhnliche<br />

Eierfliege ist ein tropischer<br />

Edelfalter, dessen Männchen<br />

kleine Waldlichtungen verteidigen,<br />

um sich dort mit Weibchen<br />

zu verpaaren. Ältere<br />

Männchen mit einer kurzen<br />

verbleibenden Lebenserwartung<br />

zeigen bei Kämpfen um<br />

solche Lichtungen größeres<br />

Durchhaltevermögen als jüngere<br />

Männchen<br />

Eierfliegen (Hypolimnas bolina; Abb. 2.17) geben beispielsweise mit zunehmendem<br />

Alter seltener in Kämpfen um Paarungsgelegenheiten mit Rivalen<br />

auf (Kemp 2002); hier werden also aktuelle und zukünftige Fortpflanzungschancen<br />

alters- und risikoabhängig miteinander verrechnet.<br />

Die Art der Fortpflanzungstrategie hat schließlich auch Konsequenzen<br />

für die Art der Jungenfürsorge. Albatrosse (Diomedeidae) sind zum Beispiel<br />

außergewöhnlich langlebige Vögel (> 50–70 Jahre). Beim Vergleich<br />

demographischer Daten von 12 Arten zeigte sich, dass diejenigen Arten,<br />

die sich nur jedes zweite Jahr fortpflanzen, im Durchschnitt länger leben<br />

als solche, die sich jedes Jahr fortpflanzen und so vermutlich über die gesamte<br />

Lebensspanne betrachtet einen höheren Gesamtfortpflanzungserfolg<br />

aufweisen (Jouventin u. Dobson 2002). Schließlich gibt es über 300 Vogelarten,<br />

bei denen geschlechtsreife Individuen auf die eigene Fortpflanzung<br />

verzichten und Artgenossen (meist den eigenen Eltern) bei der Aufzucht<br />

von deren Jungen helfen ( Kap. 10.4). Bei diesen Arten wurde vermutet,<br />

dass, im Unterschied zu anderen Vögeln, eine geringe Mortalitätsrate in<br />

Verbindung mit einer langen Lebensdauer dazu geführt hat, dass pro Zeiteinheit<br />

wenig geeignete Brutplätze frei werden und die Möglichkeiten der<br />

nachrückenden Generationen entsprechend beschränkt werden (Arnold u.<br />

Owens 1999).<br />

Schließlich gibt es auch Hinweise dafür, dass Abwägungen zwischen<br />

aktueller und zukünftiger Fortpflanzung, die mit der altersspezifischen Lebenserwartung<br />

verbunden sind, einen Einfluss auf die Persönlichkeit von<br />

Tieren haben. In diesem Fall erwartet man, dass Unterschiede im Ausmaß<br />

zukünftiger Fitnesserwartungen sich im aktuellen Risikoverhalten widerspiegeln.<br />

Individuen mit hohen zukünftigen Fitnesserwartungen, die also<br />

viel zu verlieren haben, sollten weniger Risikobereitschaft zeigen als Indi-


66 2 Life histories, Ökologie und Verhalten<br />

viduen mit geringen Erwartungen (Wolf et al. 2007). Dieser Zusammenhang<br />

mag Variation in Merkmalen wie „Kühnheit“ (boldness) oder Aggressivität<br />

erklären. Fortpflanzungsstrategien und Lebensdauer haben also<br />

auch nachhaltige Konsequenzen für viele Aspekte des Verhaltens, sowohl<br />

für einzelne Individuen als auch für die Evolution von Artunterschieden.<br />

2.4 Zusammenfassung<br />

Individueller Fortpflanzungserfolg wird durch Life history-Merkmale<br />

bestimmt und umgesetzt. Die wichtigsten dieser Merkmale bestimmen,<br />

wie groß ein Organismus ist, wie lange er lebt und wie viele<br />

Nachkommen er produziert. Variation zwischen Individuen in diesen<br />

und anderen Life history-Merkmalen liefert die Ansatzpunkte für natürliche<br />

Selektion und damit Evolution. Durch die enge Verknüpfung<br />

mit Fortpflanzungsparametern wird durch die grundlegenden Life<br />

history-Merkmale auch die Dynamik von Populationen beeinflusst. Da<br />

jede Art mit ihrer Verbreitung und Abundanz mit anderen als Konkurrent,<br />

Räuber, Beute, Parasit, Wirt oder Symbiont interagiert, werden<br />

die Strukturen einzelner biologischer Gesellschaften mehr oder weniger<br />

direkt durch die Life histories der sie zusammensetzenden Arten<br />

mitbestimmt. Da Individuen mit ihren Fortpflanzungsentscheidungen<br />

zudem flexibel auf sich ändernde Umweltbedingungen wie Nahrungsverfügbarkeit<br />

oder Räuberdruck reagieren, sind Life histories<br />

und ihre Evolution auf mehreren Ebenen eng mit lokalen ökologischen<br />

Bedingungen verknüpft. Gleichzeitig sind unterschiedliche<br />

Life history-Strategien mit zum Teil weitreichenden und grundlegenden<br />

Konsequenzen für das Verhalten verbunden. Durch Interaktionen<br />

zwischen Individuen kann der Gang der Life history-Evolution mitbestimmt<br />

werden. Für die Analyse des Verhaltens lassen sich aus diesen<br />

Zusammenhängen vier große Fragen identifizieren, die sich mit dem<br />

Fressen und Gefressen-Werden sowie der Fortpflanzung und der Jungenaufzucht<br />

beschäftigen.


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Zera AJ, Harshman LG (2001) The physiology of life history trade-offs in animals.<br />

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II ÜBERLEBENSSTRATEGIEN<br />

Überleben ist ein tägliches Anliegen aller Organismen. Um Überleben zu<br />

gewährleisten, haben Tiere eine Reihe von Anpassungen entwickelt, von<br />

denen viele das Verhalten mit einbeziehen oder sogar reine Verhaltensstrategien<br />

darstellen. Diese Anpassungen können unterteilt werden in solche,<br />

die mit Hilfe diverser physiologischer Mechanismen einen Erhalt der<br />

Grundfunktionen des Organismus gewährleisten, sowie andere, die dazu<br />

dienen, extrinsische Mortalitätsrisiken zu minimieren. Die wichtigsten<br />

Probleme, die sich einem Organismus im Zusammenhang mit seiner Homöostasis<br />

stellen, betreffen ausreichende Versorgung mit Energie, Nährstoffen<br />

und Wasser, Thermoregulation, die optimale Einteilung und Nutzung<br />

von Zeit und Energie sowie die Abwehr von Parasiten und<br />

Krankheitserregern. Die Fähigkeit, sich in Raum und Zeit zu orientieren,<br />

stellt eine weitere Grundvoraussetzung für das Überleben dar. Von zentraler<br />

Bedeutung beim Kampf ums Überleben sind schließlich Anpassungen,<br />

die der Vermeidung und Abwehr von Räubern dienen. Bei diesem evolutionären<br />

Wettlauf zwischen Räubern und ihrer Beute steht auf beiden Seiten<br />

das Verhalten im Mittelpunkt zahlreicher Anpassungen. Diese Faktoren,<br />

die in den nächsten vier Kapiteln im Einzelnen besprochen werden,<br />

beeinflussen zusammen die Überlebenskomponente der Gesamtfitness.


3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

3.1 Homöostasis<br />

3.1.1 Energie und Stoffwechsel<br />

3.1.2 Wasserhaushalt<br />

3.1.3 Thermoregulation<br />

3.1.4 Stress<br />

3.1.5 Parasiten und Krankheiten<br />

3.1.6 Schlaf<br />

3.2 Einteilung von Zeit und Energie<br />

3.2.1 Optimale Effizienz<br />

3.2.2 Maximierung der Energiegewinnrate<br />

3.2.3 Kontrolle von Energie: interne und externe Speicher<br />

3.3 Zusammenfassung<br />

Verhalten und Physiologie eines Organismus sind eng aufeinander abgestimmt,<br />

um ein Tier in einem regulierten Gleichgewichtszustand zu halten.<br />

Ein geregelter Energie- und Wasserhaushalt oder die Thermoregulation<br />

stellen wichtige Aspekte des Wohlergehens und der Überlebensfähigkeit<br />

dar, die einen qualitativ großen Anteil des Verhaltens eines Tieres in Anspruch<br />

nehmen können. Allerdings sind diese Verhaltensweisen selten<br />

spektakulär und werden daher bei der Diskussion der physiologischen<br />

Grundlagen in den entsprechenden Arbeiten oder Lehrbüchern oft vernachlässigt.<br />

Ähnliches gilt für Verhaltensaspekte der Stressverminderung oder<br />

Pathogenabwehr. In diesem Zusammenhang ist auf der Ebene des Organismus<br />

auch die Budgetierung von Ruhe- und Aktivitätsphasen sowie die<br />

strategische Einteilung von Zeit und Energie für bestimmte Aktivitäten relevant.<br />

Welche Rolle das Verhalten in diesen Kontexten spielt, ist in diesem<br />

Kapitel dargestellt.


74 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

3.1 Homöostasis<br />

Regulierte Gleichgewichte im Organismus, die durch koordinierte physiologische<br />

Prozesse gesteuert werden, werden als Homöostasis bezeichnet.<br />

Zur Beibehaltung des Gleichgewichts einzelner regulierter Zustände, wie<br />

Energie- und Wasserhaushalt oder Körpertemperatur, setzen viele Tiere<br />

neben physiologischen Mechanismen ihr Verhalten mit ein. Die Existenz<br />

und Bedeutung einzelner Verhaltensanpassungen in diesem Zusammenhang<br />

variieren allerdings sehr stark zwischen Tiergruppen mit unterschiedlichen<br />

Lebensräumen und ökologischen Spezialisierungen, so dass diese<br />

Anpassungen auf Verhaltensebene nur in allgemeiner Weise besprochen<br />

werden können. Eine sehr viel ausführlichere Darstellung, vor allem auch<br />

der physiologischen Mechanismen, findet sich in Heldmaier u. Neuweiler<br />

(2004).<br />

3.1.1 Energie und Stoffwechsel<br />

Alle Tiere benötigen Nahrung, um daraus Energie, Mineralien und Vitamine<br />

zu beziehen. Diese Nahrungsbestandteile verwendet der Organismus<br />

für die Aufrechterhaltung der Grundfunktionen, als Grundlage für Wachstum<br />

und Fortpflanzung, zur Abwehr von Parasiten und Krankheitserregern<br />

sowie gegebenenfalls zum Anlegen von Speicherreserven. Nahrungsquellen,<br />

die von Tieren erschlossen werden, sind in ihrer Art, Verteilung, Dichte,<br />

Verfügbarkeit und Monopolisierbarkeit fast so divers wie die verschiedenen<br />

Tierarten selbst ( Kap. 5.2). Die Reaktionen und Anpassungen<br />

von Individuen an diese Variabilität von Ressourceneigenschaften stellen<br />

per Definition einen Schwerpunkt von verhaltensökologischen Untersuchungen<br />

dar.<br />

Verhalten im funktionalen Zusammenhang des Energiestoffwechsels<br />

wird auch durch mehrere intrinsische Variablen moduliert. Die Grundstoffwechselrate,<br />

welche ihrerseits stark von der Körpermasse und Gehirngröße<br />

abhängt, definiert den absoluten Energiebedarf und damit indirekt<br />

auch, wie viel Zeit ein Tier für die Nahrungssuche aufwenden muss. Herbivore<br />

sind beispielsweise auf Gras und Blätter mit geringerem Nährwert<br />

spezialisiert als Früchtefresser und müssen daher mehr Nahrung aufnehmen<br />

sowie mehr Zeit für die Nahrungsaufnahme investieren (McNab<br />

1986). Bei poikilothermen Tieren hat auch die Umgebungstemperatur einen<br />

wichtigen Einfluss auf die Stoffwechselrate, welche von aufgenommener<br />

Energie und Sauerstoff angetrieben wird. Ein Fisch in warmen, tropischen<br />

Gewässern verbraucht beispielsweise sechsmal mehr Sauerstoff<br />

als ein Fisch derselben Größe im Polarmeer (Clarke u. Johnston 1999).


3.1 Homöostasis 75<br />

Abb. 3.1. Viele Kleinsäuger<br />

besitzen die Fähigkeit, spontan<br />

in kurzfristige Torporzustände<br />

zu verfallen und<br />

durch die dabei reduzierten<br />

Stoffwechselraten Energie zu<br />

sparen. Diese Fähigkeit findet<br />

sich auch bei madagassischen<br />

Grauen Mausmakis, Microcebus<br />

murinus<br />

Wie viel Energie ein Individuum im Ruhestoffwechsel verbraucht, hängt<br />

auch positiv mit dem maximalen Stoffumsatz während der Aktivität zusammen.<br />

Fliegende Insekten verbrauchen zum Beispiel mehr Energie als<br />

solche mit einer anderen Art der Fortbewegung, und Insektenarten, die<br />

aufwändige „Werbegesänge“ ( Kap. 8.3) produzieren, haben einen höheren<br />

Energiebedarf als nahverwandte Arten ohne dieses Verhalten (Reinhold<br />

1999).<br />

Diverse anatomische Spezialisierungen des Verdauungstrakts erhöhen<br />

andererseits die Effizienz der Energiegewinnung. Termiten können so beispielsweise<br />

mit Hilfe von Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt Zellulose<br />

aufschließen (Breznak u. Brune 1994). Andere anatomische Spezialisierungen,<br />

wie die ontogenetische Veränderung der Mundwerkzeuge der<br />

verschiedenen Stadien holometaboler Insekten (Miles u. Booker 1998)<br />

oder metamorphierender Amphibien (Deban u. Marks 2002), führen dazu,<br />

dass die Art der Nahrung, die genutzt werden kann, eingeschränkt ist oder<br />

sich im Laufe des Lebens ändert. Die Raupen vieler Motten und Schmetterlinge<br />

sind beispielsweise Blattfresser, wohingegen die Adulten sich von<br />

Nektar ernähren. Schließlich gibt es vielfältige physiologische Mechanismen,<br />

wie die Fähigkeit mancher Kleinsäuger, in kurzfristigen Torpor (Kältestarre)<br />

zu verfallen (Heldmaier et al. 1999, Schmid 2001; Abb. 3.1) oder<br />

Energiespeicher für längere Winterschlafepisoden anzulegen (Humphries<br />

et al. 2003), sowie Besonderheiten der Stoffwechselrate, die verschiedenen<br />

Tierarten entweder erlaubt, lange ohne Nahrung auszukommen (z. B.<br />

Schlangen: Secor u. Diamond 2000), oder sie zwingt, ständig neue Energie<br />

aufzunehmen (z. B. Kolibris, Trochilidae: Suarez u. Gass 2002). Diese Unterschiede<br />

zwischen Arten haben starken Einfluss darauf, wie häufig verschiedene<br />

Individuen unterschiedliche Typen von Nahrung oder Nährstoffe<br />

suchen und erschließen müssen, was wiederum einen Großteil des


76 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

täglichen Aktivitätsbudgets bestimmt. Im Bereich der Energiegewinnung<br />

werden grundlegende Aspekte des Verhaltens also stark von anatomischen<br />

und physiologischen Vorgaben des Bauplans bestimmt, bzw. das Verhalten<br />

ist auf dieser Ebene funktional mit diesen Merkmalen koordiniert.<br />

3.1.2 Wasserhaushalt<br />

Alle Tiere benötigen Wasser, um ihre Stoffwechselfunktionen aufrechtzuerhalten.<br />

Wasserverlust und -zufuhr müssen sich also die Waage halten.<br />

Wasserverlust erfolgt hauptsächlich auf zwei Wegen. Bei der Exkretion<br />

von Urin und Fäzes gibt es unvermeidliche Wasserverluste, da Stoffwechselabfallprodukte<br />

den Körper verlassen müssen. Außerdem sind die Organe<br />

des Gasaustausches aufgrund der dafür notwendigen feuchten Membranen<br />

eine Quelle des Wasserverlustes durch Verdunstung. Die meisten<br />

Tiere nehmen Wasser durch Trinken auf; manche Amphibien und Insekten<br />

können es aber auch über die Haut resorbieren, andere können durch<br />

entsprechendes Aufschließen von Nahrung Wasser gewinnen.<br />

Aufgrund seiner Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen<br />

wird der Wasserhaushalt innerhalb enger Grenzen, vor allem durch<br />

Hormone, geregelt. Physiologie und Verhalten sind auch hier eng aufeinander<br />

abgestimmt, um entweder Wasserverluste zu minimieren, z. B.<br />

durch reduzierte Nahrungsaufnahme und Aktivität, oder die Aufnahme zu<br />

erhöhen. Dieser scheinbar einfache Regelkreis muss aber mit anderen<br />

grundlegenden Bedürfnissen wie Nahrungs- und Mineralbedarf sowie der<br />

Thermoregulation koordiniert werden, so dass Verhaltensweisen im Zusammenhang<br />

mit der Regulation des Wasserhaushalts nicht immer einfach<br />

zu interpretieren sind.<br />

Der Regulation des Wasserbedarfs können zum Teil recht spektakuläre<br />

Verhaltensweisen dienen. Manche Säugetiere in saisonalen Habitaten unternehmen<br />

ausgedehnte Wanderungen, um Zugang zu Wasser zu gewinnen.<br />

Manche Gruppen einer katzengroßen Lemurenart (Rotstirnmaki, Eulemur<br />

fulvus rufus) wandern während der Trockenzeit regelmäßig hunderte<br />

von Metern aus ihren angestammten Streifgebieten zu den verbleibenden<br />

Wasserlöchern, wohingegen andere Gruppen, die mehr als 2 km wandern<br />

müssten, ihr Streifgebiet während der Trockenzeit komplett in die Nähe<br />

der Wasserlöcher verlagern (Scholz u. Kappeler 2004; Abb. 3.2). Wasserverknappung<br />

mit einsetzender Trockenzeit in Kombination mit einer dramatischen<br />

Verschlechterung der Qualität des verbleibenden Wassers verursachen<br />

auch die saisonalen Wanderungen von Millionen von herbivoren<br />

Savannenbewohnern im südlichen Afrika (Bergström u. Skarpe 1999). Die<br />

Wanderungen dieser großen Säuger haben ihrerseits Auswirkungen auf die


3.1 Homöostasis 77<br />

Abb. 3.2. In Zeiten von Wasserknappheit wandern manche Tiere über beträchtliche<br />

Distanzen, um an eine Wasserquelle zu gelangen. So wird das Verhalten von<br />

Rotstirnmakis (Eulemur fulvus rufus) im madagassischen Trockenwald während<br />

der Trockenzeit maßgeblich vom Zugang zu Wasser bestimmt<br />

Aktivität ihrer Räuber, wie zum Beispiel Löwen (Panthera leo, Ogutu u.<br />

Dublin 2004). Die Notwendigkeit, limitierte Wasserquellen aufzusuchen,<br />

erhöht schließlich auch das individuelle Prädationsrisiko, da Wasserstellen<br />

für Räuber Orte vorhersagbarer Beuteansammlungen darstellen. Australische<br />

Flinkwallabys (Macropus agilis) reduzieren ihr Risiko, an Wasserstellen<br />

von Salzwasserkrokodilen erbeutet zu werden, daher dadurch, dass<br />

sie sich etliche Meter vom Wasserrand entfernt kleine Trinkgruben graben<br />

(Doody et al. 2007).<br />

3.1.3 Thermoregulation<br />

Die meisten Tiere haben eine optimale Körpertemperatur, bei der sie am<br />

effizientesten funktionieren. Bei einer niedrigeren Temperatur verringert<br />

sich die Stoffwechsel- und Muskelaktivität, so dass irgendwann eine Kältestarre<br />

einsetzt. Über der optimalen Temperatur erhöhen sich die Stoffwechselkosten<br />

und ab ca. 47 °C sind viele physiologische Prozesse gestört.<br />

Die Thermoregulation ist funktionell auch eng mit dem Wasser- und Energiehaushalt<br />

verbunden; durch eine Erhöhung der Körpertemperatur können<br />

Vögel in Wüsten beispielsweise ihren Wasserverlust reduzieren (Tieleman<br />

u. Williams 1999). Schließlich kann Thermoregulation auch dazu eingesetzt<br />

werden, durch gezielte Erhöhung der Körpertemperatur Pathogene<br />

abzuwehren. So erhöhen mit einem tödlichen Pilz infizierte Wanderheuschrecken<br />

(Locusta migratoria) durch entsprechende Ortswahl in einem


78 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Temperaturgradienten ihre Körpertemperatur und verbessern dadurch ihre<br />

Überlebenschancen (Ouedraogo et al. 2004). Die Körpertemperatur wird<br />

daher durch verschiedene Mechanismen reguliert, wobei dem Verhalten in<br />

vielen Fällen eine wichtige Funktion zukommt.<br />

Die Körpertemperatur kann auf vier Arten reduziert werden. Konduktion<br />

beschreibt den passiven Temperaturausgleich zwischen Medien unterschiedlicher<br />

Temperatur. Sie erfolgt innerhalb des Körpers, aber auch zwischen<br />

dem Körper und der Umwelt. Hitzeverlust aufgrund von Konduktion<br />

wird vor allem durch anatomische Anpassungen wie isolierende Fett-,<br />

Haar- oder Federschichten reduziert. Konduktion kann durch morphologische<br />

Anpassungen zur Thermoregulation beitragen, indem beispielsweise<br />

die Austauschoberfläche vergrößert wird (Beispiel: Elefantenohren). Das<br />

Verhalten spielt in diesem Zusammenhang bei großen poikilothermen Tieren<br />

(Krokodile, Dinosaurier) eine Rolle, wenn sie durch Ortswechsel zwischen<br />

Land und Wasser das Ausmaß der Konduktion beeinflussen können<br />

(Ruxton 2001). Durch unterschiedliche Körperhaltungen oder durch Aufplustern<br />

kann das Ausmaß der Konduktion durch zusätzliche Verhaltensmechanismen<br />

beeinflusst werden.<br />

Konvektion beschreibt den Wärmetransport in Flüssigkeiten. Bei Tieren<br />

erfolgt er dadurch, dass warme Körperflüssigkeiten an die kältere Körperoberfläche<br />

transportiert werden. Radiation beinhaltet Wärmeaustausch<br />

unabhängig vom Medium. Der Effekt der Radiation ist abhängig vom<br />

Temperaturunterschied zwischen Körper- und Außentemperatur. Durch<br />

Radiation kann Wärme sowohl zu- als auch abgeführt werden. Durch Zusammenrollen<br />

oder durch die Bildung von Schlafgruppen wird der Wärmeverlust<br />

durch Radiation über Verhaltensmechanismen verringert. Murmeltiere<br />

(Marmota marmota) verbringen den Winterschlaf zum Beispiel in<br />

kleinen Gruppen, wodurch ein energetischer Gewinn, besonders während<br />

der euthermischen Phasen, erzielt wird (Arnold 1988).<br />

Durch Verdunstung von feuchten Körperoberflächen kann die Körpertemperatur<br />

nach unten reguliert werden. Verdunstungskälte entsteht vor allem<br />

bei der Atmung und kann durch Hecheln oder Maulaufsperren (z. B.<br />

Reptilien) intensiviert werden. Manche Tiere können ihren Körper auch<br />

mit Speichel oder durch Baden befeuchten und so zusätzliche Verdunstungskälte<br />

erzeugen. Säugetiere (außer Hasen- und Nagetieren) haben zudem<br />

Schweißdrüsen, die durch Thermorezeptoren im Gehirn (nicht in der<br />

Haut) gesteuert werden.<br />

Die Wärmeerzeugung kann passiv oder aktiv sein. Tiere, die Wärme<br />

primär von externen Quellen aufnehmen, sind exotherm. Bei ihnen erfolgt<br />

die Wärmeaufnahme durch Radiation, deren Effizienz durch dunkle Körperoberflächen<br />

verbessert wird. Da exotherme Tiere vor allem durch Sonnenbaden<br />

ihre optimale Körpertemperatur erreichen, spielt bei ihnen auch


3.1 Homöostasis 79<br />

Abb. 3.3. Exotherme Tiere<br />

wie dieser Dornschwanz-<br />

Leguan (Oplurus cuvieri)<br />

regulieren ihre Körpertemperatur<br />

mit Hilfe von<br />

Sonnenbaden<br />

das Verhalten eine wichtige Funktion bei der Thermoregulation (Abb. 3.3).<br />

Bei manchen kolonielebenden Insekten, wie Termiten, wird durch entsprechende<br />

Konstruktion des Baus die Umgebungstemperatur durch die Tiere<br />

aktiv mit beeinflusst (Korb u. Linsenmair 2000).<br />

Tiere, die ihre Wärme primär durch interne Prozesse erzeugen, sind<br />

endotherm und können eine Körpertemperatur, die über der Umgebungstemperatur<br />

liegt, aufrechterhalten. Vögel und Säuger haben die thermale<br />

Homöostasis perfektioniert. Sie erzeugen Hitze durch ihre hohe Stoffwechselrate<br />

oder Muskelzittern und sind durch Federn bzw. Fell gegen<br />

Wärmeverlust isoliert. Allerdings nutzen manche Säugetiere auch Umgebungswärme,<br />

um ihre Körpertemperatur ergänzend zu erhöhen (Geiser<br />

et al. 2002). Bei Arten, die Nesthocker produzieren, sind diese Fähigkeiten<br />

zunächst nur unvollkommen entwickelt, so dass ein Teil der elterlichen<br />

Fürsorge der Thermoregulation der Jungen gilt; ein weiteres Beispiel für<br />

die Verschränkung von Life history und Verhalten.<br />

3.1.4 Stress<br />

Das physiologische und emotionale Gleichgewicht von Tieren kann durch<br />

eine Reihe interner und externer Faktoren gestört werden. Diese Faktoren<br />

heißen Stressoren und führen zu einer adaptiven Gegenreaktion des Organismus,<br />

die als Stress bezeichnet wird. Die Stressreaktion des Organismus<br />

besteht in einer Aktivierung von Teilen des autonomen Nervensystems und<br />

einer neuroendokrinologischen Kaskade, die mit der vermehrten Ausschüttung<br />

von adrenokortikotrophem Hormon (ACTH) verbunden ist (von Holst<br />

1998). Dadurch werden von der Nebennierenrinde vermehrt Kortikosteroide<br />

und vom Nebennierenmark vermehrt Adrenalin ausgeschüttet.


80 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Durch das Adrenalin wird das „Kampf- oder Flucht-Syndrom“ ausgelöst,<br />

das Tiere in einen Zustand versetzt, der eine effiziente Reaktion auf<br />

die Stressoren erlaubt. Wenn der Stressor dadurch vermieden oder eliminiert<br />

werden kann, erfolgt eine rasche Regulierung der neuronalen und<br />

endokrinen Aktivität auf das Ausgangsniveau. Der Prozess der Wiederherstellung<br />

des homöostatischen Zustandes wird als Allostasis bezeichnet<br />

(McEwen u. Wingfield 2003). Bei anhaltender Einwirkung der Stressoren<br />

kann es zu chronischem Stress mit pathologischen Konsequenzen kommen.<br />

Neben physiologischen Anpassungen kann eine Stressreaktion auch<br />

Verhaltensaspekte wie Vermeidung des Stressors beinhalten (von Holst<br />

1998). Mehrere Faktoren können als soziale Stressoren wirken. Dazu zählen<br />

die Präsenz von dominanten Tieren, instabile soziale Beziehungen mit<br />

häufigen Kämpfen, hohe Populationsdichte, die Präsenz von Räubern sowie<br />

die Trennung von Mutter und Kind. Die Präsenz von Dominanten oder<br />

Rivalen kann bei manchen Arten dramatische Stressreaktionen bis hin zum<br />

Tod auslösen (Sapolsky 2005). In weniger dramatischen Fällen erfolgt in<br />

solchen Situationen eine Reduktion oder Unterdrückung von Fortpflanzungsfunktionen<br />

unter gleichgeschlechtlichen Kontrahenten (Wingfield u.<br />

Sapolsky 2003). Eine rangniedere Position in einer Dominanzhierarchie ist<br />

aber nicht notwendigerweise mit erhöhtem Stress verbunden; dieser Effekt<br />

zeigt sich vor allem in Situationen sozialer Instabilität (Sachser et al.<br />

1998). Zudem wird die Unterdrückung der Fortpflanzungsaktivität durch<br />

Dominante bei Arten mit kooperativer Jungenaufzucht nicht durch Stress<br />

vermittelt, da die Glukokortikoid-Werte bei Dominanten häufig höher sind<br />

(Creel 2001). Bei Wölfen (Canis lupus) haben die dominanten Männchen<br />

und Weibchen die höchsten Stresswerte; erhöhte Glukokortikoid-Konzentrationen<br />

können also auch als Kosten der Dominanz betrachtet werden<br />

(Sands u. Creel 2004). Die relative allostatische Belastung (allostatic<br />

load) von Dominanten und Subordinierten muss also betrachtet werden,<br />

um deren physiologische Veränderungen zu erklären (Goymann u. Wingfield<br />

2004). Haltung von Versuchstieren unter Gefangenschaftsbedingungen<br />

in untypischen sozialen Konstellationen führt ebenfalls nicht notwendigerweise<br />

zu auffälligen Stressreaktionen (Künzl et al. 2003). In Bezug<br />

auf Fragen der artgerechten Haltung von Haustieren hat dieser Aspekt<br />

wichtige praktische Bedeutung (von Borell 2001).<br />

Die Präsenz von Räubern kann ebenfalls nachhaltige Effekte auf die<br />

Fortpflanzungsphysiologie und das Verhalten ihrer Beute ausüben. Bei<br />

Schwarzkehlchen (Saxicola torquata) in Gebieten mit einem für sie wichtigen<br />

Räuber (Fiskalwürger, Lanius collaris) wurden teils seltener zweite<br />

Brutversuche, teils Verzögerungen des Beginns der zweiten Brut registriert<br />

(Scheuerlein et al. 2001). Diese reproduktiven Einbußen können als Kon-


3.1 Homöostasis 81<br />

sequenz des durch den Räuber verursachten Stresses interpretiert werden,<br />

denn in der Präsenz dieses Räubers zeigten männliche Schwarzkehlchen<br />

außerdem erhöhte Kortikosteron-Werte und erhöhtes Alarmverhalten. Die<br />

Präsenz von Räubern interagiert außerdem mit dem Nahrungsangebot bei<br />

der Ausbildung von Stresssymptomen. Singammern (Melospiza melodia),<br />

die experimentell hohem Räuberdruck und starkem Nahrungsmangel ausgesetzt<br />

waren, zeigten die stärksten Stresssymptome im Vergleich zu Tieren,<br />

die den anderen Kombinationen dieser Faktoren ausgesetzt waren<br />

(Clinchy et al. 2004). Singammern mit viel Futter und keinen Prädatoren<br />

hatten fast doppelt so hohe Fortpflanzungsraten wie die am stärksten gestressten<br />

Tiere. Es existieren also zahlreiche enge funktionelle Verknüpfungen<br />

zwischen Verhalten und Stress sowohl in Bezug auf dessen Auslösung<br />

als auch auf seine Bewältigung.<br />

3.1.5 Parasiten und Krankheiten<br />

Infektionen durch Parasiten und andere Krankheitserreger stellen eine<br />

wichtige Störungsquelle der Homöostasis eines Organismus dar. Infektionen<br />

führen zu einer Erhöhung der physiologischen und energetischen<br />

Kosten, die der betroffene Organismus zu deren Eindämmung oder Beseitigung<br />

aufwenden muss. Infektionen stellen zudem eine wichtige Ursache<br />

extrinsischer Mortalität dar, und parasitierte oder kranke Tiere werden häufig<br />

als Paarungspartner diskriminiert ( Kap. 9.3). Parasiten und Pathogene<br />

können sogar die Life history ihrer Wirte nachhaltig beeinflussen;<br />

experimentelle Infektionen von Wasserflöhen (Daphnia magna) führte<br />

beispielsweise zu einer Beschleunigung der Fortpflanzung, da die Lebenserwartung<br />

durch die Infektion reduziert wird ( Kap. 2.3; Chadwick u.<br />

Little 2005). Es ist daher zu erwarten, dass im Laufe der Evolution effiziente<br />

Mechanismen zur Verhinderung und Beseitigung von Infektionen<br />

entstanden sind. Da Parasiten aber auch Selektion unterliegen, entstehen<br />

oft evolutionäre Wettrennen zwischen Pathogenen und ihren Wirten, bei<br />

denen neben immunphysiologischen Prozessen auch das Verhalten eine<br />

Rolle spielt. Einerseits modifizieren Wirte mit verschiedensten sozialen<br />

Mechanismen ihr Infektionsrisiko (Loehle 1995); andererseits versuchen<br />

manche Pathogene das Verhalten ihres Wirts zu beeinflussen (Dobson<br />

1988).<br />

Die primäre Abwehr von Parasiten und Infektionen erfolgt mit Hilfe des<br />

Immunsystems (Schmid-Hempel 2003). Artunterschiede in der Dichte von<br />

Pathogenen in verschiedenen Habitaten und das Risiko verletzt zu werden,<br />

haben dabei zu unterschiedlichen spezifischen Anpassungen im Immunsystem<br />

geführt (Semple et al. 2002). Das Verhalten spielt eine wichtige


82 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Abb. 3.4. Neben seiner<br />

sozialen Bedeutung hat<br />

die gegenseitige Fellpflege<br />

(grooming) wie<br />

bei diesen Sanfordmakis<br />

(Eulemur fulvus<br />

sanfordi) auch eine<br />

wichtige hygienische<br />

Funktion, da dabei<br />

Ektoparasiten entfernt<br />

werden<br />

vorbeugende Rolle bei der Vermeidung von Infektionen (Hart 1990). Verschiedene<br />

Verhaltensweisen wie Lausen (grooming, Abb. 3.4), Sand- oder<br />

Schlammbaden haben eine hygienische Funktion und tragen zur Reduktion<br />

der Parasitenbelastung bei (Mooring et al. 1996), wobei dem Lausen auch<br />

wichtige soziale Funktionen zukommen (Dunbar 1991). Die Vermeidung<br />

von offensichtlich infizierten Artgenossen oder Aspekte der Mikrohabitatwahl<br />

( Kap. 5.1), wie das regelmäßige Wechseln von Schlafplätzen,<br />

können außerdem das Infektionsrisiko mit Ektoparasiten vermindern (Reckardt<br />

u. Kerth 2007). Vergleichende Untersuchungen an mittelamerikanischen<br />

Fledermäusen haben beispielsweise gezeigt, dass sich zwischen Arten<br />

mit unterschiedlichen Schlafplätzen (Höhlen oder Kronendach) sowohl<br />

die Dichte an Ektoparasiten als auch die Häufigkeit des Lausens unterscheiden<br />

(ter Hofstede u. Brock Fenton 2005).<br />

Bei manchen Infektionen, besonders bei Geschlechtskrankheiten, ist<br />

aber eine komplette Reduktion des Übertragungsrisikos nicht möglich, da<br />

andere Selektionsfaktoren dem entgegenstehen. Individuen in Arten mit<br />

interner Fertilisation müssen dieses Risiko eingehen, um sich überhaupt<br />

fortzupflanzen. Zur Reduktion dieses Risikos sollten Mechanismen entstanden<br />

sein, die es erlauben, kranke Individuen zu erkennen und zu vermeiden<br />

( Kap. 8.3). Neben der immunologischen Abwehr gibt es zudem<br />

eine Reihe von anderen Verhaltensmechanismen, wie postkopulatorisches<br />

Genitallecken und Urinieren, die das Übertragungsrisiko von Geschlechtskrankheiten<br />

reduzieren können (Nunn 2003).<br />

Ein erhöhtes Infektionsrisiko mit Pathogenen, die durch sozialen Kontakt<br />

übertragen werden, ist zum Beispiel auch ein unvermeidliches Risiko<br />

des Gruppenlebens ( Kap. 11.1). Über viele verschiedene Taxa existiert<br />

eine positive Korrelation zwischen der Gruppengröße und der Infektionsprävalenz<br />

(Côté u. Poulin 1995). Allerdings kann die Gruppierung von


3.1 Homöostasis 83<br />

Individuen auch dazu führen, dass das individuelle Infektionsrisiko mit<br />

mobilen Ektoparasiten reduziert wird. Galapagos-Meerechsen (Amblyrhynchus<br />

cristatus), die experimentell über Nacht gruppiert wurden, hatten<br />

danach weniger mobile Zecken als Artgenossen, die alleine schliefen, vermutlich<br />

aufgrund eines Verdünnungseffekts (Wikelski 1999).<br />

3.1.6 Schlaf<br />

Schlaf ist charakterisiert durch reduzierte Aktivität und Aufmerksamkeit<br />

und kann, im Unterschied zu anderen Inaktivitätszuständen (Torpor, Winterschlaf),<br />

leicht durch externe Reize unterbrochen werden. Vergleichende<br />

Untersuchungen haben gezeigt, dass Säuger und Vögel in ähnlicher Weise<br />

schlafen (Siegel et al. 1998), aber ob und wie andere Wirbeltiere und Wirbellose<br />

schlafen, ist noch nicht umfassend untersucht (Shaw et al. 2000).<br />

Beim Schlafen schließen Tiere ihre Augen und nehmen eine typische<br />

Körperhaltung ein (Abb. 3.5). Man kann Arten danach unterscheiden, ob<br />

sie allein oder in Gruppen schlafen, unabhängig davon, wie sie während<br />

ihrer Aktivitätsphase organisiert sind; während ihrer Aktivitätsphase solitäre<br />

Tiere wie z. B. Bechstein-Fledermäuse (Myotis bechsteinii) können auch<br />

zu Schlafgruppen zusammenkommen (Abb. 3.6; Kerth et al. 2001a).<br />

Schlafgruppen, insbesondere die von Säugern, haben den Vorteil, dass<br />

energetische Kosten durch individuell reduzierte Thermoregulation verringert<br />

werden können (Arnold 1988); andererseits kann dadurch die Auffälligkeit<br />

gegenüber Räubern und die Übertragung von manchen Parasiten<br />

und Krankheitserregern erhöht werden (Beauchamp 1999).<br />

Aufgrund der beim Schlafen reduzierten Wachsamkeit ist es besonders<br />

für Tiere mit einem hohen Räuberdruck wichtig, einen sicheren Schlaf-<br />

Abb. 3.5. Beim Schlafen<br />

nehmen viele Tiere typische<br />

Körperhaltungen ein. Vögel<br />

schlafen nur mit einer Gehirnhälfte<br />

(unihemisphärischer<br />

Schlaf), wodurch ein Grundmaß<br />

an Aufmerksamkeit erhalten<br />

bleibt


84 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Abb. 3.6. Bei Bechstein-Fledermäusen<br />

bilden<br />

15–40 miteinander<br />

verwandte Weibchen<br />

stabile Schlafgruppen<br />

(Kerth et al. 2008)<br />

platz aufzusuchen. In vielen Fällen handelt es sich um geschützte Strukturen<br />

wie Baue und Höhlen, die zum Teil für diesen Zweck gebaut werden.<br />

Andere natürliche Strukturen wie hohle Bäume oder Felsspalten werden<br />

ebenfalls zum Schlafen aufgesucht (Abb. 3.7). Diese geschützten Schlafplätze<br />

werden vielmals auch zur Jungenaufzucht benutzt und haben daher<br />

eine doppelte Funktion (Kappeler 1998). Die Auswahl von Schlafplätzen<br />

kann sehr selektiv mit spezifischen Anforderungen an Isolationseigenschaften,<br />

Feuchtigkeit und Höhe sein. Der Fortpflanzungszustand kann die<br />

Anforderungen an einen Schlafplatz zusätzlich modulieren; so haben<br />

Bechstein-Fledermäuse (Myotis bechsteinii) vor und nach der Geburt ihrer<br />

Jungen unterschiedliche Präferenzen in Bezug auf die Temperatur ihrer<br />

Schlafplätze (Kerth et al. 2001b).<br />

Bei manchen Arten gibt es daher eine begrenzte Zahl an Schlafplätzen,<br />

die regelmäßig abwechselnd genutzt werden, wobei die Rotationshäufig-<br />

Abb. 3.7. Zahlreiche Tiere wie dieser<br />

Wieselmaki (Lepilemur ruficaudatus)<br />

nutzen selbst gebaute oder natürliche<br />

Höhlen oder Bauten zum Schlafen und,<br />

wie in diesem Fall, auch zur Jungenaufzucht


3.1 Homöostasis 85<br />

keit sowohl vom Prädations- als auch dem Parasitenrisiko abhängt. Nachdem<br />

ein Schlafplatz mehrere Tage hintereinander genutzt wurde, erhöhen<br />

sich theoretisch nämlich die Wahrscheinlichkeiten, dass ein Räuber darauf<br />

aufmerksam wird und dass sich vermehrt Ektoparasiten ansammeln.<br />

Männliche Raufußkäuze (Aegolius funereus), denen experimentell ein gekäfigter<br />

Mink (Mustela vision) präsentiert wurde, wechselten tatsächlich<br />

häufiger ihren Schlafplatz als Kontrollvögel (Hakkarainen et al. 2001).<br />

Fledermäuse der Art Antrozous pallidus mit hoher Parasitenbelastung<br />

wechseln ihren Schlafplatz ebenfalls häufiger als Individuen mit geringerem<br />

Befall, möglicherweise um so den Fortpflanzungszyklus derjenigen<br />

Ektoparasiten zu unterbrechen, die einen Teil dieses Zyklus auf den<br />

Schlafplatzsubstraten verbringen (Lewis 1996).<br />

Manche Vögel und Säuger schlafen nicht in Bauten, Höhlen oder Nestern,<br />

sondern suchen bestimmte Schlafbäume oder -felsen auf, die entweder<br />

besonders hoch und damit schlecht zugänglich sind oder andere strukturelle<br />

Schutzfaktoren wie dichte Belaubung aufweisen (Anderson 1998).<br />

Die Nutzung wiederholt aufgesuchter Schlafbäume weist ebenfalls häufig<br />

ein unregelmäßiges Muster auf, vermutlich um das Prädationsrisiko zu verringern.<br />

Javaneraffen (Macaca fascicularis), denen an einem Schlafbaum<br />

das Modell einer Python präsentiert wurde, vermieden diesen Baum anschließend<br />

für mehrere Tage (van Schaik u. Mitrasetia 1990). Schließlich<br />

gibt es auch Tiere wie zum Beispiel große Herbivoren, die keine spezifischen<br />

Ruheplätze aufsuchen, sondern sich zu Beginn der Ruhe- und Erholungsphase<br />

am jeweiligen Aufenthaltsort niederlassen.<br />

Aquatische Säugetiere haben Schlaf und Aktivität entkoppelt, das heißt<br />

sie schlafen, während sie sich weiter bewegen. Da diese Tiere auch im<br />

Schlaf regelmäßig zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen müssen,<br />

schlafen sie nur mit einer Hälfte des Gehirns, wohingegen die andere Hälfte<br />

wach und aktiv bleibt (Rattenborg et al. 2000). Dieser unihemisphärische<br />

Schlaf findet sich auch bei vielen Vögeln und vermutlich sogar Reptilien,<br />

wodurch die frühzeitige Entdeckung von Räubern und anderen<br />

Gefahren im Schlaf ermöglicht wird (Lima et al. 2005).<br />

Da die nicht-aquatischen Säugetiere den unihemisphärischen Schlaf<br />

aufgegeben haben, kann man davon ausgehen, dass die Vorteile aus der<br />

gleichzeitigen Ruhe beider Gehirnhälften die Nachteile der wegfallenden<br />

Räuberentdeckung übertreffen (Rattenborg et al. 1999). Die Funktion und<br />

Bedeutung von Schlaf für das Gehirn ist allerdings zu wenig bekannt, um<br />

diese Frage abschließend zu beantworten (Siegel 2005). Eine Hypothese<br />

geht davon aus, dass mit zunehmenden sensorischen Fähigkeiten im Lauf<br />

der Evolution immer mehr Informationen aufgenommen und verarbeitet<br />

werden mussten und Schlaf als eine Gelegenheit zur Verarbeitung dieser<br />

Information bei gleichzeitiger Unterdrückung zusätzlicher Reizaufnahme


86 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Abb. 3.8. Das Schlafbedürfnis variiert<br />

nicht nur zwischen Arten,<br />

sondern auch als Funktion des<br />

Alters; junge Tiere schlafen in der<br />

Regel mehr als Adulte<br />

entstanden ist (Kavanau 1997). Auf alle Fälle stellt Schlaf für den Körper<br />

eine Ruhe- und Erholungsphase dar, die somit der Homöostasis dienen<br />

kann.<br />

Allerdings variiert die Bedeutung von Schlaf beträchtlich zwischen Taxa,<br />

da manche Arten mit sehr viel weniger Schlaf auskommen als andere.<br />

Elefanten schlafen zum Beispiel nur 2–4 h pro Tag, wohingegen Fledermäuse<br />

oder Opossums bis zu 18 h pro Tag schlafen. Außerdem variiert das<br />

Schlafbedürfnis innerhalb von Arten in Abhängigkeit von Alter oder Entwicklungszustand<br />

(Abb. 3.8). Zudem muss man noch zwischen zwei Typen<br />

von Schlaf unterscheiden, die möglicherweise in ihrer Funktion differieren.<br />

REM-Schlaf ist durch schnelle Augenbewegungen (Rapid Eye<br />

Movements), Träume und hohe Gehirnaktivität charakterisiert, wohingegen<br />

beim nicht-REM-Schlaf Gehirn- und Augenaktivität sowie vegetative<br />

Funktionen wie Herzschlag und Blutdruck reduziert sind. Bei einer gegebenen<br />

Schlafdauer unterscheiden sich auch die Anteile des REM-Schlafs<br />

zwischen Arten und Individuen, aber die Ursachen und Bedeutung dieser<br />

Unterschiede sind noch wenig verstanden (Hobson 2005).<br />

3.2 Einteilung von Zeit und Energie<br />

Alle Verhaltensweisen nehmen Zeit und Energie in Anspruch. Dies betrifft<br />

in besonderem Maße Verhaltensweisen, die der Aufrechterhaltung der<br />

Homöostasis dienen, da es sich dabei zumeist um Zustände ( Kap. 1.4)<br />

mit einer ausgeprägten Zeitkomponente handelt. Aufgrund der Limitierung<br />

von Zeit und Energie unterliegt jede Verhaltensweise jedoch einem<br />

Trade-off mit anderen Aktivitäten. Wann sollte ein Tier zum Beispiel wie


3.2 Einteilung von Zeit und Energie 87<br />

lange fressen? Wenn es ein Energiedefizit hat? Wenn Nahrung gerade verfügbar<br />

ist? Wenn das Prädationsrisiko oder die Nahrungskonkurrenz am<br />

geringsten sind? Wenn es keine anderen wichtigen Dinge zu tun gibt? Zur<br />

analytischen Lösung solcher Probleme bieten sich Optimalitätsmodelle<br />

( Kap. 1.4) an, da sie die Kosten und Nutzen verschiedener Verhaltensweisen<br />

und Strategien mit ökonomischen Prinzipien analysieren (Cuthill u.<br />

Houston 1997).<br />

Optimalitätsmodelle zur Analyse von Zeit- und Energiebudgets versuchen<br />

die Konsequenzen von Verhaltensweisen für die individuelle Fitness<br />

zu bestimmen, da nur sie ein einheitliches Maß für alle Aktivitäten darstellt.<br />

Da die Fitnesskonsequenzen einer Verhaltensweise, wie zum Beispiel<br />

eines einzelnen Fressvorgangs, in der Regel aber schwierig abzuschätzen<br />

sind, verwendet man einfachere Einheiten, die einfach zu messen<br />

und mit der Fitness korreliert sind, so dass durch deren Maximierung auch<br />

die Gesamtfitness maximiert wird. Bei der Untersuchung von Optimalitätsstrategien<br />

wurden zwei Maximierungsprinzipien entdeckt: Entweder<br />

die Effizienz oder die Energiegewinnrate werden optimiert.<br />

3.2.1 Optimale Effizienz<br />

Ein klassisches Beispiel der Verhaltensökologie verdeutlicht, wie strategische<br />

Aspekte der Zeit- und Energieeinteilung interagieren und sowohl<br />

das unmittelbare Verhalten von Individuen als auch deren Überlebenschancen<br />

nachhaltig beeinflussen. Dieses Beispiel betrifft central place<br />

foragers, also Tiere, die gesammelte Nahrung an einen fixen Punkt wie ein<br />

Nest mit Jungen oder einen Stock mit Artgenossen transportieren. Honigbienen<br />

(Apis mellifera) sammeln bekanntlich auf ihren Flügen Nektar, den<br />

sie zum Stock zurückbringen. Mit zunehmender Beladung mit Nektar erhöhen<br />

sich ihre energetischen Kosten des Fliegens, so dass schwerer beladene<br />

Bienen einen zunehmenden Anteil des Nektars auf dem Heimflug als<br />

Energiequelle selbst verbrauchen. Als Folge davon verringert sich die Nettorate<br />

des Energieeintrags in den Stock mit zunehmender Nektaraufnahme<br />

(Abb. 3.9). Es stellt sich daher die Frage, wann Bienen zum Stock zurückfliegen<br />

sollen, um möglichst viel an gesammeltem Nektar abzuladen.<br />

Schmid-Hempel und Kollegen (Schmid-Hempel et al. 1985, Kaczelnik<br />

et al. 1986) untersuchten in eleganten Experimenten, welcher Faktor von<br />

Bienen bei der Lösung dieses Problems optimiert wird. Sie präsentierten<br />

künstliche Blüten mit einer fixen Menge an Nektar und variierten durch<br />

entsprechendes Training die Zeit, welche die Tiere zwischen einzelnen<br />

Blüten fliegen mussten. Bienen flogen dabei mit einer geringeren Nek-


88 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Abb. 3.9. Optimale Energieeffizienz beim Nektarsammeln von Honigbienen (Apis<br />

mellifera). Mit zunehmender Beladung (blau) nehmen die Flugkosten (rot) nichtlinear<br />

zu, so dass sich die Nettorate des Energieeintrags (grün) zunehmend verringert<br />

tarmenge nach Hause, wenn sie gezwungen wurden, beim Suchen mehr<br />

Energie aufzuwenden. Bienen optimieren also beim Nektarsammeln ihre<br />

Energieeffizienz, d. h. das Verhältnis von Energiegewinn und -verbrauch.<br />

Ganz ähnlich verhalten sich manche Vögel, die mit Futter zu ihrem Nest<br />

mit Jungen fliegen. Sie könnten durch Erhöhung der Fluggeschwindigkeit<br />

über eine gegebene Distanz zwar die Fütterungsrate erhöhen, aber gleichzeitig<br />

werden dadurch auch die energetischen Kosten der Fortbewegung<br />

erhöht. Dieser vermehrte Energieaufwand muss durch zusätzliche eigene<br />

Nahrungsaufnahme, die ebenfalls Zeit beansprucht, kompensiert werden,<br />

so dass die optimale Fluggeschwindigkeit letztendlich durch eine Minimierung<br />

beider Zeiten erreicht wird, wobei bei Kohl- und Blaumeisen (Parus<br />

major und Cyanistes caeruleus) auch die Dichte der Beute und die Entfernung<br />

zum Nest von Bedeutung sind (Naef-Daenzer 2000). Es wird also<br />

auch in diesem Fall die Gesamteffizienz unter Berücksichtigung anderer<br />

Faktoren optimiert. Auch bei der Bewegung zwischen einzelnen Nahrungsquellen<br />

innerhalb ihres Territoriums oder Streifgebiets scheinen Informationen<br />

über Entfernung und Ergiebigkeit der Ressourcen bei der Planung<br />

von Wanderrouten miteinbezogen zu werden (Cunningham u. Janson<br />

2007), so dass die Effizienz der Bewegungen dadurch verbessert wird.


3.2 Einteilung von Zeit und Energie 89<br />

3.2.2 Maximierung der Energiegewinnrate<br />

In anderen Fällen, in denen Zeit- und Energieeinsatz abgewogen werden<br />

müssen, wird die Rate des Netto-Energiegewinns maximiert. Bei der<br />

Analyse des Fressverhaltens kann man die Rate des Energiegewinns<br />

bestimmen, indem man die energetischen Kosten und Gewinne einzelner<br />

Verhaltenskomponenten misst oder schätzt. Turmfalken (Falco tinnunculus)<br />

jagen zum Beispiel im Flug oder von einer Warte aus, wobei die energetischen<br />

Aufwendungen für die Jagd im Flug ungefähr 9-mal höher sind.<br />

Diese Form der Jagd ist aber auch circa 10-mal ergiebiger in Hinblick auf<br />

den durchschnittlichen Energiegewinn, so dass Turmfalken die meiste Zeit<br />

tatsächlich im Flug jagen (Masman et al. 1988).<br />

Stare (Sturnus vulgaris), die ihre Jungen mit Tipuliden-Larven füttern,<br />

haben in Bezug auf ihren Fortpflanzungserfolg (nicht in Bezug auf ihre<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit) ein vergleichbares Problem ähnlich gelöst.<br />

Da sie mehrere dieser kleinen Larven in ihrem Schnabel halten können,<br />

sich mit zunehmender Anzahl von gefangenen Larven aber das Fangen von<br />

weiteren Larven zunehmend schwieriger gestaltet, stehen sie vor dem<br />

Problem, zusätzliche Kosten in Form von Suchzeit und -aufwand gegen<br />

den Vorteil, eine weitere Larve mit ans Nest zu bringen, gegeneinander<br />

abzuwägen (Abb. 3.10). Das Verhalten eines Stars bei der Lösung dieses<br />

Problems hängt von zwei Faktoren ab: der Zeit, die er für das Zurücklegen<br />

Abb. 3.10. Bei Futtereintrag ans Nest optimieren Stare (Sturnus vulgaris) die Anzahl<br />

der Larven, die gleichzeitig gesammelt werden, als Funktion der Suchzeit und<br />

dem Abstand vom Nest. Bei größerer Entfernung zum Nest (blau) wird die Suchzeit<br />

verlängert und mehr Larven pro Rückflug mitgenommen als bei kürzeren Entfernungen<br />

(grün). Die kumulative Anzahl der gefundenen Larven (orange) nimmt<br />

mit zunehmender Suchzeit ab


90 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

der Strecke zwischen Nest und dem Ort der Nahrungssuche verbraucht und<br />

der Gewinn-Kurve, die das Verhältnis von Suchzeit zu Sucherfolg beschreibt.<br />

Aus der Kombination dieser beiden Faktoren ergibt sich die optimale<br />

Anzahl von Larven, die auf dem Rückflug mitgenommen werden<br />

sollten. Durch diese optimale Anzahl an Larven wird auch die maximale<br />

Netto-Fütterungsrate der jungen Stare erreicht.<br />

Diese Zusammenhänge wurden von Kacelnik (1984) eindrucksvoll<br />

nachgewiesen. Er trainierte Stare dazu, Mehlwürmer an einem Fressnapf<br />

aufzunehmen, wobei er die Mehlwürmer über ein langes Plastikrohr in zunehmenden<br />

Abständen vom Nest zuführte. Damit konnte er die Gewinn-<br />

Kurve für diese Tiere kontrollieren. Die bekannten und kontrollierten Gewinn-Kurven<br />

konnte er somit in unterschiedlicher Entfernung vom Nest<br />

präsentieren und damit auch die Reisezeit der Stare manipulieren. Wie<br />

vorhergesagt erhöhten die Stare mit zunehmendem Abstand vom Nest die<br />

Zahl der mitgenommenen Larven.<br />

3.2.3 Kontrolle von Energie: interne und externe Speicher<br />

Eine gewisse Befreiung von unmittelbaren Zwängen bei der Gestaltung<br />

des Zeit- und Energiebudgets kann durch das Anlegen von Energiereserven<br />

erfolgen. Diese Energiespeicher können extern oder im Körper in<br />

Form von Fettreserven angelegt werden und sind mit verschiedenen Vorund<br />

Nachteilen verbunden. Beide Formen von Energiereserven sind grundsätzlich<br />

vorteilhaft, da eine permanente Nahrungsaufnahme zur Deckung<br />

der aktuellen Bedürfnisse in der Regel nicht möglich ist. Die Größe der<br />

Reserven und die Zeit, die damit überdauert werden kann, sind aber sehr<br />

variabel und können innerhalb artspezifischer Grenzen entsprechend flexibel<br />

angelegt werden. Sie beinhalten Reserven, die das Überleben einer<br />

Nacht oder eines kompletten Winterschlafes gewährleisten. Manche dieser<br />

Bedürfnisse sind vorhersagbar, aber kurzfristige Variationen in Wetterbedingungen<br />

oder Nahrungsverfügbarkeit können den aktuellen Fresserfolg<br />

wesentlich beeinträchtigen, so dass ein ungeplantes Zurückgreifen auf Reserven<br />

notwendig und vorteilhaft ist.<br />

Für Tiere in gemäßigten Breiten stellt der Winter eine Zeit der erschwerten<br />

Nahrungsaufnahme dar. Die Tageslänge, und damit die Zeit für die<br />

Nahrungsaufnahme, ist verkürzt und gleichzeitig müssen längere Nächte<br />

überdauert werden. Bei geringeren Temperaturen erhöhen sich Stoffwechselkosten,<br />

aber gleichzeitig erhöht sich die Varianz im Erfolg der Nahrungsaufnahme<br />

(Pravosudov u. Lucas 2001). Eine kurzfristige Reaktion<br />

auf diese Umweltänderungen ist für manche Arten möglich. Durch experimentelle<br />

Änderungen der Umgebungstemperatur, der Tageslänge oder


3.2 Einteilung von Zeit und Energie 91<br />

der Dauer der Futterverfügbarkeit konnte zum Beispiel bei mehreren Singvogelarten<br />

eine Zunahme der Körpermasse mit abnehmenden Temperaturen<br />

oder zunehmender Verkürzung der Fütterungsdauer ausgelöst<br />

werden (Cuthill u. Houston 1997). Die meisten einem strengen Winter<br />

ausgesetzten Arten bereiten sich aber schon Wochen oder Monate vorher<br />

darauf vor und legen entsprechende Fettreserven an. Ihnen liefern Änderungen<br />

in der Tageslänge ( Kap. 4.2) das Signal für Änderungen des<br />

Fressverhaltens.<br />

Da Tiere im Winter am schwersten sind und vor längeren Wanderungen<br />

an Masse zunehmen (Bairlein 2002), ist die Größe von Energiereserven<br />

nicht nahrungslimitiert. Daraus ist zu schließen, dass das Speichern von<br />

Energiereserven auch mit Kosten verbunden ist, da es sonst keine solchen<br />

individuellen Variationen in der Körpermasse gäbe. Die offensichtlichsten<br />

Kosten haben mit dem Erwerb der Nahrung zu tun, da diese gesucht und<br />

bearbeitet werden muss. Zudem sind nahrungsuchende Tiere aktiver und<br />

dadurch in ihrer Aufmerksamkeit beeinträchtigt, so dass sie einem erhöhten<br />

Prädationsrisiko ausgesetzt sind. Dieses Risiko wird generell, wie zum<br />

Beispiel von fouragierenden Pavianen (Papio ursinus), bei der Habitatnutzung<br />

mit berücksichtigt (Cowlishaw 1997).<br />

Es gibt auch direkte Kosten der beiden Arten der Energiespeicherung.<br />

Wenn die Energiebedürfnisse die Speicherkapazität übersteigen, sind manche<br />

Tiere gezwungen, gefundene Nahrung in externen Speichern zu verstecken.<br />

Diese externen Energiespeicher sind aber mit dem Risiko der<br />

Plünderung behaftet (Bugnyar u. Kotrschal 2002). Es wird zusätzlich<br />

Energie benötigt, um sie aufzusuchen, es muss zusätzlich in neuronale<br />

Strukturen investiert werden, um sich an ihren Ort zu erinnern (Clayton<br />

1998), oder sie können gar nicht mehr lokalisiert werden (Pravosudov u.<br />

Clayton 2001).<br />

Die Alternative besteht in der Speicherung im Körper (Abb. 3.11), die<br />

aber mit anderen Kosten verbunden ist (Witter u. Cuthill 1993). Erhöhte<br />

Fettleibigkeit kann auch bei Tieren verschiedene pathologische Konsequenzen<br />

wie Herzkrankheiten, Gallensteine oder Arthritis nach sich ziehen.<br />

Die erhöhte Gesamtmasse führt außerdem zu erhöhten Stoffwechselkosten<br />

und insbesondere zu einer energetischen Verteuerung der Fortbewegung.<br />

Davon sind besonders Vögel betroffen, obwohl erste direkte Messungen<br />

gezeigt haben, dass diese zusätzlichen Kosten bei Langstreckenziehern effektiv<br />

kompensiert werden können (Kvist et al. 2001). Schwerere Tiere<br />

sind unter Umständen auch in ihren natürlichen Bewegungsabläufen behindert<br />

und aufgrund dieser Schwerfälligkeit einem erhöhten Prädationsrisiko<br />

ausgesetzt (Lind et al. 2002). Schwerere Rotkehlchen (Erithacus<br />

rubecula) haben beispielsweise verringerte Abflugwinkel, wenn sie von<br />

einem Greifvogel angegriffen werden, und können diesen schlechter an


92 3 Grundfunktionen und Verhalten<br />

Abb. 3.11. Zur Vorbereitung<br />

auf Zeiten mit Nahrungsknappheit,<br />

des Winterschlafs<br />

(Säuger) oder<br />

langer Wanderungen (Vögel)<br />

legen manche Tiere<br />

(wie dieses Eichhörnchen,<br />

Sciurus vulgaris) interne<br />

Energiespeicher an.<br />

den Angriffswinkel des Greifs anpassen (Lind et al. 1999). Vögel, die vor<br />

ihren Zugwanderungen Fettreserven anlegen, müssen dieses Risiko aber<br />

wohl in Kauf nehmen.<br />

Das Problem der Optimierung von Zeit- und Energiebudgets ist am Beispiel<br />

der Nahrungsaufnahme am gründlichsten untersucht. Es lässt sich<br />

aber auch auf viele andere Verhaltensweisen anwenden. Bei der genaueren<br />

Analyse wird deutlich, wie sehr Verhalten die Integration verschiedenster<br />

interner und externer Faktoren auf der Ebene des Organismus widerspiegelt<br />

und wie eng das Verhalten mit Ökologie und Physiologie verbunden<br />

ist. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnis,<br />

dass ökonomische Ansätze zur Erklärung einer Verhaltensweise nur ultimate<br />

Faktoren identifizieren, welche die Ausprägung des Verhaltens offensichtlich<br />

beeinflussen. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass die Tiere<br />

eine bestimmte Variable maximieren, und eine solche Analyse sagt nichts<br />

darüber aus, mit welchen sensorischen Mechanismen ein Tier Variablen<br />

wie „Maximale Energiegewinnrate“ misst und wie es die entsprechenden<br />

Informationen verarbeitet.<br />

3.3 Zusammenfassung<br />

Der Überlebenserfolg von Tieren wird tagtäglich mit davon beeinflusst,<br />

wie erfolgreich sie ihre physiologischen Grundfunktionen innerhalb<br />

vorgesehener Gleichgewichte halten. Verhaltensmechanismen<br />

spielen dabei einerseits eine wichtige proximate Rolle bei der Versorgung<br />

des Organismus mit ausreichend Energie und Wasser, beim Er-


Literatur 93<br />

halt einer vorteilhaften Körpertemperatur sowie bei der Abwehr von<br />

Pathogenen und Stressoren. Schlaf als wichtiger Regenerationsmechanismus<br />

kann in diesem Zusammenhang als eigenständiger Verhaltenszustand<br />

betrachtet werden. Bei der Ausübung anderer Verhaltensweisen<br />

können durch Optimierung der Energieeffizienz oder des<br />

Energiegewinns entscheidende Beiträge zum stabilen Erhalt der<br />

Grundfunktionen geleistet werden. Energiebudgets können außerdem<br />

durch physiologische oder verhaltensbiologische Mechanismen der<br />

Energiespeicherung über mittelfristige Zeiträume hinweg positiv beeinflusst<br />

werden. Diese diversen und zum Teil miteinander inkompatiblen<br />

Anforderungen an die Unterstützung der Grundfunktionen des<br />

Organismus können andererseits das Verhalten von Tieren auch nachhaltig<br />

beeinflussen. Insgesamt stellen die Lösungen dieser Überlebensprobleme<br />

herausragende Beispiele dafür dar, wie sehr physiologische,<br />

ökologische und soziale Faktoren in komplexer Weise mit<br />

dem Verhalten interagieren, wobei die betreffenden Verhaltensweisen<br />

in diesem Funktionskreis größtenteils unauffällig und wenig spektakulär<br />

sind.<br />

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4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

4.1 Sinnesphysiologie<br />

4.1.1 Sehen<br />

4.1.2 Hören<br />

4.1.3 Mechanorezeption<br />

4.1.4 Chemorezeption<br />

4.1.5 Thermorezeption<br />

4.1.6 Elektro- und Magnetorezeption<br />

4.2 Orientierung in der Zeit<br />

4.2.1 Circadiane Rhythmen<br />

4.2.2 Gezeitenrhythmen<br />

4.2.3 Lunarperiodik<br />

4.2.4 Circannuale Periodik<br />

4.3 Orientierung im Raum<br />

4.3.1 Kinesen und Taxien<br />

4.3.2 Navigation<br />

4.3.3 Wanderungen<br />

4.4 Zusammenfassung<br />

Das tagtägliche Überleben von Tieren basiert zu einem wichtigen Teil auf<br />

ihrer Fähigkeit, sich mit Hilfe des Verhaltens an wechselnde soziale und<br />

ökologische Bedingungen anzupassen. Diese Verhaltenskapazitäten ergänzen<br />

relevante physiologische und anatomische Anpassungen und sind<br />

funktional eng mit diesen verbunden. Im Unterschied zu Pflanzen haben<br />

die meisten Tiere die Möglichkeit, sich zumindest in einem Lebensstadium<br />

(z. B. als Larve) aktiv in Relation zu fitnessrelevanten Faktoren wie Nahrung,<br />

Räubern oder Paarungspartnern zu bewegen. Diese Orientierung im<br />

Raum kann vielfältige Formen annehmen und reicht von Körperbewegungen<br />

in Relation zu einzelnen Sinnesreizen bis hin zu Wanderungen zwischen<br />

Arktis und Antarktis. Zudem sind die allermeisten Tiere zeitlichen<br />

Schwankungen überlebensrelevanter Aspekte ihrer Umwelt ausgesetzt. Ein<br />

Großteil der Schwankungen in dieser Dimension ist gut vorhersagbar, wie<br />

der Wechsel zwischen Tag und Nacht oder zwischen verschiedenen Jah-


100 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

reszeiten, woran viele Aspekte des Verhaltens angepasst sind. Die artspezifische<br />

Ausstattung mit unterschiedlichen Sinnesorganen ermöglicht es<br />

Tieren, Änderungen verschiedener Komponenten ihrer Umwelt wahrzunehmen<br />

und entsprechend darauf zu reagieren. Da diese sinnesphysiologischen<br />

Fähigkeiten auch in anderen Domänen eine wichtige Grundlage<br />

des Verhaltens darstellen (z. B. Nahrungssuche Kap. 5.2, Räubervermeidung<br />

Kap. 6.3, Kommunikation Kap. 11.3), ist ein fundiertes<br />

physiologisches Grundlagenwissen für ein komplettes Verständnis dieser<br />

Anpassungen notwendig. Da es dazu sehr kompetente und ausführliche<br />

Darstellungen gibt (z. B. Heldmaier u. Neuweiler 2003), möchte ich die<br />

wichtigsten Sinnessysteme im Nachfolgenden nur in ganz allgemeiner<br />

Form umreißen.<br />

4.1 Sinnesphysiologie<br />

Diese einführende Übersicht über die wichtigsten sinnesphysiologischen<br />

Grundlagen hat zwei Ziele. Zum einen soll sie ein Bewusstsein dafür<br />

schaffen, dass Tieren die unterschiedlichsten Informationen zur Verfügung<br />

stehen, die sich zum Teil unserer eigenen Wahrnehmung entziehen. Zum<br />

anderen möchte ich die Diversität artspezifischer Anpassungen betonen<br />

und verdeutlichen, dass praktisch jede Art auf den für sie relevanten Gebieten<br />

sensorische Höchstleistungen vollbringt.<br />

4.1.1 Sehen<br />

Sehen beschreibt die Fähigkeit, elektromagnetische Strahlung innerhalb<br />

eines bestimmten Wellenlängenbereichs zu perzipieren. Die dafür notwendigen<br />

Photorezeptoren finden sich bei der großen Mehrzahl der Tiere zumeist<br />

konzentriert und aufeinander abgestimmt in Form von Augen. Insgesamt<br />

sind acht verschiedene Augentypen, darunter neben einfachen<br />

Becheraugen auch zusammengesetzte Augen und Linsenaugen, mehr als<br />

40-mal unabhängig voneinander entstanden (Abb. 4.1; Fernald 2000).<br />

Trotz dieser Diversität der optischen Apparate verwenden alle dieselbe<br />

molekulare Strategie, um Photonen mit Hilfe von Opsinen einzufangen.<br />

Außer Intensität und Richtung können in Abhängigkeit vom Photorezeptortyp<br />

auch Farben wahrgenommen werden. Das für uns sichtbare Spektrum<br />

elektromagnetischer Strahlung wird von manchen Tieren in den ultravioletten<br />

bzw. infraroten Bereich ausgedehnt (Shi et al. 2001), manche<br />

nehmen sogar polarisiertes Licht wahr (Wehner 1989).


4.1 Sinnesphysiologie 101<br />

Abb. 4.1a–d. Sehen ist die wichtigste Sinnesmodalität für die Mehrzahl der Tiere.<br />

Insgesamt acht verschiedene Augentypen sind im Laufe der Evolution entstanden,<br />

wobei die einzelnen Typen sich an unterschiedliche Bedürfnisse wie Tag- oder<br />

Nachtaktivität angepasst haben (a Koboldmaki Tarsius lariang, b Chamäleon<br />

Furcifer labordi, c Schmeißfliege Calliphora vicina, d Zwergohreule Otus rutilus)<br />

Die Sehschärfe ist vom Augentyp und von der Dichte der Photorezeptoren<br />

abhängig und variiert ebenfalls stark zwischen Arten. Ein Linsenauge<br />

einer Springspinne (Salticidae) hat zum Beispiel eine 10- bis 100fach<br />

bessere Auflösung als ein vergleichbares zusammengesetztes Auge eines<br />

Insekts, wohingegen Insektenaugen aufgrund ihrer konvexen Form sehr<br />

viel größere Sehfelder ermöglichen (Wehner 1997). Bei Vögeln und Säugetieren<br />

ist die Sehschärfe positiv mit der Augen- und Körpergröße korreliert<br />

(Kiltie 2000). Fixe Verschaltungen von Photorezeptoren können bestimmte<br />

rezeptive Felder definieren, die erste Filter visueller Information<br />

darstellen und auf besondere Bewegungen ansprechen oder Mustererkennung<br />

ermöglichen. Je nach Anordnung der Augen am Körper wird außerdem<br />

ein unterschiedliches Maß an räumlichem Sehen ermöglicht.<br />

Durch verschiedene strukturelle Anpassungen können visuelle Systeme<br />

an unterschiedliche Umweltbedingungen angepasst werden, so dass sie ihre<br />

Leistungsfähigkeit auch unter erschwerten Bedingungen beibehalten.<br />

Meeresfische haben zum Beispiel mit zunehmender Tiefe ihrer Lebensräume<br />

zunehmend größere Linsen und mit reflektierenden Schichten unter-


102 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

legte Photorezeptoren, um die Lichtempfindlichkeit ihrer Augen zu steigern.<br />

Ab Tiefen von ca. 1000 m ist die Lichtausbeute dann so gering, dass<br />

Fische, die in diesen Tiefen leben, gar keine Augen mehr haben. Andere<br />

Merkmale wie die spektrale Sensitivität des Photopigments Rhodopsin<br />

bleiben dagegen unter allen Bedingungen konstant, was darauf hindeutet,<br />

dass molekulare Zwänge die Leistungsfähigkeit von Sinnen beschränken<br />

können (Wehner 1997).<br />

Das Sehen liefert Tieren die genauesten räumlichen Informationen über<br />

ihre Umwelt und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Orientierung in<br />

Raum und Zeit. Visuelle Signale über den Stand und relativen Gang von<br />

Sonne und Mond liefern wichtige Zeitinformationen ( Kap. 4.2), und visuelle<br />

Landmarken sind bei der Orientierung auf verschiedenen räumlichen<br />

Ebenen wichtig ( Kap. 4.3).<br />

4.1.2 Hören<br />

Für die Wahrnehmung von Schall ist im Tierreich eine Vielzahl von Organen<br />

entstanden, wobei die Hörorgane der Wirbeltiere einander vergleichsweise<br />

ähnlich sind (Fay u. Popper 2000). Die meisten Hörorgane enthalten<br />

einen Mechanismus, der Schalldruck in Vibrationsbewegungen umsetzt,<br />

welche wiederum elektrische Änderungen an Mechanorezeptoren auslösen.<br />

Die Amplitude der Schallwellen enthält Information über die Lautstärke.<br />

Die Frequenz der von verschiedenen Tieren wahrnehmbaren<br />

Schallwellen reicht vom Ultraschall bis in den Infraschallbereich, wobei<br />

Wirbellose generell viel engere Frequenzbereiche besitzen, in denen sie<br />

Frequenzen unterscheiden können, als die meisten Wirbeltiere. Durch die<br />

paarige Anordnung der Hörorgane wird zudem richtungsabhängiges Hören<br />

ermöglicht (z. B. Gilbert u. Elsner 2000).<br />

Manche Tiere, die im Wasser leben oder nachtaktiv sind, haben akustische<br />

Orientierungssysteme entwickelt, da das Sehen unter diesen Bedingungen<br />

nur über sehr kurze Distanzen effektiv ist. Die Auswertung von<br />

akustischen Signalen spielt bei der räumlichen Orientierung mancher Tiere<br />

wie der Fledermäuse und Zahnwale eine herausragende Rolle. Delfine<br />

(Tursiops truncatus) können mit ihrem Sonarsystem unter anderem die<br />

Form und Größe von Gegenständen erfassen (Harley et al. 2003) und passen<br />

die Amplitude ihrer Echoortungssignale an die Entfernung zum Ziel an<br />

(Au u. Benoit-Bird 2003). Andere Zahnwale können mit akustischen Signalen<br />

über große Entfernungen miteinander kommunizieren; Pottwal-Weibchen<br />

(Physeter macrocephalus) lassen beispielsweise ihre abhängigen Jungen<br />

während ihrer ausgedehnten Nahrungstauchgänge an der Oberfläche<br />

zurück, treffen aber mehrere Kilometer entfernt beim Auftauchen wieder


4.1 Sinnesphysiologie 103<br />

Abb. 4.2. Fledermäuse<br />

(Microchiroptera) benutzen<br />

ein Echoortungssystem,<br />

um sich im Raum zu<br />

orientieren und um Beute<br />

zu detektieren. Sie verarbeiten<br />

dazu das Echo von<br />

hochfrequenten Schallimpulsen,<br />

die sie selbst<br />

erzeugen<br />

mit ihnen zusammen (André u. Kamminga 2000). Bei manchen Zugvögeln<br />

scheint Infraschall eine Rolle bei der Langstrecken-Orientierung zu spielen;<br />

Brieftauben (Columba livia), die während Wettflügen vom Infraschall<br />

von Concorde-Flugzeugen desorientiert wurden, lieferten den Hinweis auf<br />

die Existenz und Bedeutung dieses Reiztyps (Hagstrum 2000).<br />

Fledermäuse benutzen ein Echoortungssystem, um sich im Raum zu orientieren<br />

und um damit ihre Beute zu lokalisieren (Abb. 4.2). Vergleichende<br />

Untersuchungen an den Sonarsystemen von Fledermäusen, die möglicherweise<br />

zweimal unabhängig voneinander entstanden sind (Teeling et al.<br />

2000), haben in eindrucksvoller Weise gezeigt, wie die physikalischen<br />

Eigenschaften dieser Systeme durch ökologische Faktoren beeinflusst werden<br />

(Jones u. Holderied 2007). Fledermausarten, die hoch über der Baumkrone<br />

jagen, verwenden nämlich relativ nieder-frequente Signale mit großer<br />

Reichweite aber geringer Auflösung, wohingegen Arten, die in den<br />

dreidimensionalen Straten der Wälder jagen, relativ höher-frequente Signale<br />

einsetzen und so eine bessere strukturelle Auflösung ihrer Umwelt bewerkstelligen<br />

(Neuweiler 1990). Selbst innerhalb von Gilden, also Gruppen<br />

von Tieren von morphologisch ähnlichen Arten, die in derselben Nische<br />

nach Nahrung suchen, finden sich strukturelle Unterschiede in den Echolauten,<br />

welche zu Spezialisierungen auf unterschiedliche Beutetypen beitragen<br />

(Siemers u. Schnitzler 2004). Zusätzliche artspezifische Anpassungen<br />

finden sich in Bezug auf die Intensität der Laute, die je nach<br />

Nahrungstyp um das Zehnfache variieren kann, um einen frequenzabhängigen<br />

einheitlichen Bereich zu erzeugen, in dem die jeweiligen Beutetiere<br />

wahrgenommen werden können (Surlykke u. Kalko 2008).


104 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

4.1.3 Mechanorezeption<br />

Für die Wahrnehmung von taktilen Reizen werden Mechanorezeptoren benutzt,<br />

die auf direkte mechanische Reizung, welche oft durch Tasthaare<br />

oder ähnliche Strukturen verstärkt wird, reagieren. Neben der Intensität eines<br />

mechanischen Reizes kann über die entsprechende Anordnung der Rezeptoren<br />

am Körper auch Richtungsinformation gewonnen werden. Das<br />

am weitesten verbreitete Mechanorezeptororgan stellt das Seitenlinienorgan<br />

der Knochenfische (Osteichthyes) dar. Mit ihm werden unter anderem<br />

Beutetiere lokalisiert, der Abstand zu Schwarmgenossen reguliert und<br />

Strömungen gemessen (Engelmann et al. 2002). Die Vibrissen in der<br />

Schnauzenregion der meisten Säugetiere stellen ein weiteres Beispiel für<br />

die konzentrierte Wahrnehmung von mechanischen Reizen dar. Seehunde<br />

(Phoca vitulina) können damit sogar in der Dunkelheit Turbulenzen, die<br />

durch Fische oder andere schwimmende Objekte verursacht werden, detektieren<br />

(Dehnhardt et al. 2001). Für die betreffenden Tiergruppen stellen<br />

diese Mechanorezeptoren einen wichtigen Mechanismus bei der Kurzstrecken-Orientierung<br />

und der Koordination des Abstands zu Artgenossen<br />

dar. Eine zweite wichtige Klasse von Mechanorezeptoren ist für die Wahrnehmung<br />

von Schwerkraft und Beschleunigungskräften zuständig. Bei höheren<br />

Wirbeltieren sind diese Rezeptoren zu einem Organ in Innenohr zusammengefasst<br />

und steuern wichtige Informationen über die räumliche<br />

Lage des Individuums bei, die für die Orientierung des Körpers wichtig<br />

sind (Rinkwitz et al. 2001).<br />

4.1.4 Chemorezeption<br />

Die Identität und Konzentration von chemischen Substanzen wird durch<br />

Chemorezeptoren festgestellt, an deren Zellmembran bestimmte Moleküle<br />

binden und dadurch elektrische Signale auslösen. Die Wahrnehmung von<br />

chemischen Signalen in der Umwelt wird durch die Organsysteme des<br />

Riechens und Schmeckens vermittelt. Beim Riechen werden relativ geringe<br />

Konzentrationen chemischer Signale in der Luft detektiert, wohingegen<br />

beim Schmecken direkter Kontakt relativ hoher Konzentrationen der Reizmoleküle<br />

mit den Rezeptoren notwendig ist. Bei aquatischen Tieren ist<br />

diese Unterscheidung allerdings nicht immer einfach bzw. nur über die Betrachtung<br />

der nervösen Verbindungen mit verschiedenen Gehirnregionen<br />

möglich. Chemische Signale können sowohl bei Wirbellosen (Mondor u.<br />

Roitberg 2003) als auch bei Wirbeltieren (Kristensen u. Closs 2004) als<br />

Schreckstoffe eingesetzt werden und so die Überlebenschancen von dadurch<br />

gewarnten Artgenossen verbessern ( Kap. 6.3). Sie dienen aber


4.1 Sinnesphysiologie 105<br />

auch der Orientierung über unterschiedliche Distanzen und Medien; beispielsweise<br />

bei aquatischen Krebsen (Keller et al. 2003), bei Säugetieren,<br />

die Urin und Drüsensekrete zur Markierung ihrer Lebensräume einsetzen,<br />

oder bei Zugvögeln, die olfaktorische Informationen zur Navigation heranziehen<br />

(Able 1996). Die überragende Rolle für das Verhalten haben chemische<br />

Signale als Pheromone in der innerartlichen Kommunikation<br />

(Wyatt 2003), zum Beispiel bei der Erkennung von (individuellen) Artgenossen<br />

(Ozaki et al. 2005).<br />

4.1.5 Thermorezeption<br />

Die Rezeptoren zur Wahrnehmung der Außentemperatur bestehen zumeist<br />

aus freien Nervenendigungen mit einer entsprechenden Sensitivität. Manche<br />

Schlangen (Grubenottern, Crotalidae) haben einen Teil ihrer Thermorezeptoren<br />

gebündelt und können über die Wahrnehmung der Infrarotstrahlung<br />

Informationen über ihre Beutetiere wahrnehmen (Shine u. Sun 2003).<br />

Wenn kalifornische Ziesel (Spermophilus beecheyi) einer Klapperschlange<br />

(Crotalus) gegenüber stehen, können sie einem visuellen Signal in Form<br />

von Schwanzwedeln auf noch nicht verstandene Art und Weise ein Infrarotsignal<br />

beigeben, welches die Ziesel offenbar größer erscheinen lässt und<br />

den Räuber einschüchtert (Rundus et al. 2007). Die meisten anderen Tiere<br />

haben dagegen ihre Thermorezeptoren am ganzen Körper verteilt; nur bei<br />

Vögeln sind sie auf die Zunge und den Schnabel konzentriert. Informationen<br />

über die lokale Außentemperatur können auch die Orientierung im<br />

Habitat mit beeinflussen, da viele Tiere eine bestimmte, relativ enge Temperaturpräferenz<br />

haben ( Kap. 5.1).<br />

4.1.6 Elektro- und Magnetorezeption<br />

Manche Rezeptoren sind darauf spezialisiert, elektrische Felder wahrzunehmen.<br />

Aufgrund der Leitungseigenschaften von elektrischem Strom sind<br />

Ausdifferenzierungen entsprechender Organe auf aquatisch lebende Tiere<br />

beschränkt. Solche paarigen Organe an den weit auseinander liegenden<br />

Kopfenden erlauben es zum Beispiel Hammerhaien (Sphyrna mokarran),<br />

die elektrischen Reize, die durch die Aktivität der Kiemenmuskeln von im<br />

Sand versteckten Plattfischen ausgelöst werden, zu detektieren und so ihre<br />

Beute zu lokalisieren. Solche passiven Elektrorezeptionsfähigkeiten finden<br />

sich aber auch bei zahlreichen anderen aquatischen Wirbeltieren (Collin u.<br />

Whitehead 2004). Elektrische Fische (Familie Gymnotidae und Mormyridae)<br />

bauen dagegen selber ein elektrisches Feld auf, dessen Störungen<br />

durch entsprechende Rezeptororgane wahrgenommen und zur Orientierung


106 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

in trüben Gewässern benutzt werden. Damit können elektrische Fische die<br />

Entfernung von Objekten unterschiedlicher Größe und Form genau bestimmen<br />

(von der Emde et al. 1998). Außerdem werden die elektrischen Sig-<br />

Box 4.1<br />

Wahrnehmung des Magnetfelds bei Rotkehlchen<br />

• Frage: Ist die Wahrnehmung des Magnetfelds auf ein Auge beschränkt?<br />

• Hintergrund: Die Wahrnehmung des Magnetfelds ist lichtabhängig.<br />

Brieftauben, die nur das rechte Auge zur Verfügung hatten, orientierten<br />

sich bei bewölktem Himmel besser als Tauben, die nur das linke Auge<br />

benutzten.<br />

• Methode: Gemessen wurde die Vorzugsrichtung von Rotkehlchen (Erithacus<br />

rubecula) in einem Rundkäfig. Den Tieren wurde nacheinander<br />

das linke, das rechte oder kein Auge abgedeckt.<br />

• Ergebnis: Die durchschnittliche Vorzugsrichtung* unterscheidet sich<br />

nicht, wenn die Tiere beide Augen (a) oder nur das rechte Auge (b) zur<br />

Verfügung haben. Wenn nur das linke Auge (c) benutzt wird, gibt es dagegen<br />

keine einheitliche Vorzugsrichtung.<br />

• Schlussfolgerung: Die Wahrnehmung von Magnetfeldern für die Kompassorientierung<br />

ist eng an das visuelle System gekoppelt und stark lateralisiert<br />

(rechtes Auge/linke Gehirnhälfte).<br />

Wiltschko et al. 2002<br />

* Pfeil beschreibt die mittlere Richtung und die Übereinstimmung der einzelnen Vögel<br />

()


4.2 Orientierung in der Zeit 107<br />

nale zur innerartlichen Kommunikation, unter anderem im Kontext des<br />

Fortpflanzungsverhaltens, eingesetzt (Bratton u. Kramer 1989).<br />

Das Magnetfeld der Erde ist ein Vektorfeld, dessen Feldlinien die<br />

Erde am nördlichen Magnetpol verlassen, um die Erde herum laufen und<br />

am südlichen Magnetpol wieder in die Erde eintreten. Prinzipiell stehen<br />

also die Richtung (Polarität) und Neigung (Inklination) der Feldlinien<br />

als Informationen zur Verfügung. Da die Inklination mehr oder weniger<br />

der geographischen Breite entspricht, enthält dieser Aspekt des Magnetfeldes<br />

Ortsinformation, die bei ausgedehnten Wanderungen benutzt wird<br />

( Kap. 4.3). Magnetische Felder werden von Vögeln zum Teil über Photorezeptoren<br />

(Wiltschko u. Wiltschko 2002), aber auch in einem zweiten,<br />

unabhängigen System über eisenhaltige Rezeptoren im Bereich des oberen<br />

Schnabels wahrgenommen (Stapput et al. 2008). Im Auge erfolgt die<br />

Magnetperzeption über Photopigmente, die durch Lichtabsorption angeregt<br />

werden und in Abhängigkeit der Ausrichtung der Moleküle relativ zur<br />

Richtung des Magnetfelds in einen weiteren angeregten Zustand übergehen<br />

können. Damit könnte die Magnetfeldrichtung wahrgenommen und für<br />

einen Kompass genutzt werden. Interessanterweise wird bei Rotkehlchen<br />

(Erithacus rubecula) die magnetische Richtungsinformation ausschließlich<br />

über das rechte Auge wahrgenommen (Wiltschko et al. 2002). Wie diese<br />

für uns nicht wahrnehmbare Modalität mit einfachen Verhaltensexperimenten<br />

untersucht werden kann, ist in Box 4.1 dargestellt.<br />

4.2 Orientierung in der Zeit<br />

Mit wenigen Ausnahmen, wie in der Tiefsee oder in Höhlen, sind Tiere<br />

mehreren, einander überlagerten zyklischen Änderungen ihrer Umwelt<br />

ausgesetzt. Die ökologisch wichtigsten exogenen Rhythmen, an die Tiere<br />

ihr Verhalten angepasst haben, betreffen den Wechsel zwischen Tag und<br />

Nacht, zwischen Ebbe und Flut, zwischen verschiedenen Mondphasen sowie<br />

unterschiedlichen Jahreszeiten mit ihren Schwankungen in Temperatur<br />

und Nahrungsverfügbarkeit. Anpassungen an diese sich verändernden<br />

Umgebungsbedingungen erfolgen entweder als direkte Reaktion auf Reize<br />

der Umwelt und/oder sie basieren auf endogenen Rhythmen, die das Verhalten<br />

von Tieren mit periodischen Umweltänderungen synchronisieren.<br />

Die durch die Erddrehung verursachte periodische Änderung des Sonnenstandes<br />

und der Sonneneinstrahlung bzw. die damit verbundenen Helligkeitsänderungen<br />

sind die wichtigsten externen Zeitgeber, die Tieren das<br />

Kalibrieren ihrer inneren Uhren und das Messen von Zeit erlauben.


108 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

4.2.1 Circadiane Rhythmen<br />

Seit Beginn des Lebens gab es circa 10 15 Sonnenauf- und -untergänge.<br />

Dieser tägliche Wechsel zwischen Tag und Nacht stellt für die meisten<br />

Tiere aufgrund der unterschiedlichen Lichtintensitäten eine große ökologische<br />

Herausforderung an das Überleben dar. Aufgrund der unterschiedlichen<br />

Anforderungen an optimal an unterschiedliche Lichtintensitäten<br />

angepasste visuelle Systeme sind die meisten Tiere mehr oder weniger<br />

strikt tag- oder nachtaktiv. Bei Tagaktivität sind Fähigkeiten wie Sehschärfe,<br />

Farbensehen und Entfernungseinschätzung wichtig und mit erhöhter<br />

Lichtempfindlichkeit, die bei Nacht vorteilhaft ist, nicht vereinbar, da sich<br />

zum Beispiel auf der begrenzten Fläche einer Retina nur eine begrenzte<br />

Anzahl von Stäbchen und/oder Zapfen unterbringen lässt. Tiere, bei denen<br />

das visuelle System eine dominierende Rolle bei der Nahrungssuche<br />

und/oder der Räubervermeidung spielt, sind daher zumeist tagaktiv. Nachtaktive<br />

Tiere verlassen sich dagegen eher auf akustische und olfaktorische<br />

Reize, um Nahrung zu finden oder Räubern auszuweichen.<br />

Man unterscheidet vier Aktivitäts-Typen: strikte Tag- oder Nachtaktivität,<br />

Kathemeralität und Dämmerungsaktivität (Abb. 4.3). Diese Aktivitäts-<br />

Abb. 4.3. Vier Typen circadianer Aktivität können unterschieden werden. Sie sind<br />

hier schematisch über einen Zeitraum von 24 h dargestellt


[%]<br />

Tage<br />

4.2 Orientierung in der Zeit 109<br />

Box 4.2<br />

Circadiane Aktivität bei Lemuren<br />

• Frage: Wie unterscheiden sich Aktivitätsmuster von kathemeralen und<br />

tagaktiven Lemuren im Freiland?<br />

• Hintergrund: Sympatrische Arten haben unterschiedliche Aktivitätsmuster.<br />

Direkte Verhaltensbeobachtungen sind über 24 h nicht möglich.<br />

• Methode: Die Aktivität von Rotstirnmakis (Eulemur fulvus rufus) und<br />

Verreaux’s Sifakas (Propithecus verreauxi) wurde kontinuierlich mit Hilfe<br />

eines Aktimeters aufgezeichnet.<br />

[%] Tage<br />

1<br />

10<br />

20<br />

30<br />

40<br />

50<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0,0<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0,0<br />

0 6 12 18 0 6 12 18 0 0 6 12 18 0 6 12 18 0<br />

Tageszeit<br />

120<br />

130<br />

140<br />

150<br />

160<br />

170<br />

Tageszeit<br />

Rotstirnmaki<br />

Verreaux's Sifaka<br />

• Ergebnis: Die über 5-Minuten-Zeiträume summierte Aktivität ist im oberen<br />

Diagramm gegen die Zeit aufgetragen; jede Zeile zeigt die Werte von<br />

zwei aufeinander folgenden Tagen. Im unteren Diagramm wurde die Aktivität<br />

über 60 Tage summiert und als prozentualer Anteil der durchschnittlichen<br />

täglichen Gesamtaktivität dargestellt. Rotstirnmakis (links)<br />

haben Aktivitätsspitzen am frühen Morgen und Abend, aber auch mitten<br />

in der Nacht. Sifakas (rechts) sind über den ganzen Tag, aber nicht bei<br />

Nacht aktiv.<br />

• Schlussfolgerung: Aktivitätsmuster von ökologisch ähnlichen, sympatrischen<br />

Arten können sich grundlegend unterscheiden.<br />

Kappeler u. Erkert 2003 und Erkert u. Kappeler 2004


110 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

formen entstehen dadurch, dass die Tiere ihre wichtigsten Verhaltensweisen<br />

wie Nahrungssuche und -aufnahme in einer täglichen Routine ausprägen,<br />

die den Überlebenswert maximiert. Bei kathemeraler Aktivität sind<br />

Ruhe- und Aktivitätsphasen ungleichmäßig über den ganzen 24-Stunden-<br />

Tag verteilt (Box 4.2).<br />

Tagesperiodische Aktivität wird von zwei Faktoren kontrolliert: der inneren<br />

Uhr und äußeren Einflüssen (Maskierungseffekten). Zur proximaten<br />

Steuerung von Aktivitäts- und Ruhephasen sowie zur internen Koordination<br />

der zahlreichen physiologischen Tagesrhythmen des Organismus oder<br />

auch von manchen Entwicklungsvorgängen (Schultz u. Kay 2003) haben<br />

alle Tiere eine innere Uhr entwickelt. Als circadian bezeichnet man<br />

endogene Rhythmen, die eine ungefähr 24-stündige Periodenlänge haben.<br />

Die Existenz einer circadianen Uhr lässt sich unter konstanten Laborbedingungen<br />

nachweisen; bei der Taufliege Drosophila melanogaster wurde<br />

dies beispielsweise in einem Experiment über 600 Generationen gemacht<br />

(Sheeba et al. 2002). Durch Haltung und Fortpflanzung von Tieren unter<br />

konstanten Bedingungen über viele Generationen sowie durch Kreuzungsversuche<br />

von Mutanten mit unterschiedlicher Periodik konnte außerdem<br />

gezeigt werden, dass die circadiane Uhr angeboren ist (Aschoff 1960). Eine<br />

natürliche Mutation eines Gens aus diesem funktionalen Komplex breitet<br />

sich derzeit in europäischen Drosophila-Populationen aus und führt zu<br />

Änderungen im Zeitpunkt der Diapause, so dass es über diesen Mechanismus<br />

zu lokalen Anpassungen in Life history-Strategien kommen kann<br />

(Tauber et al. 2007).<br />

Unter konstanten Laborbedingungen laufen die meisten circadianen<br />

Rhythmen mit einer Periodenlänge von circa, aber nicht genau 24 h weiter,<br />

Abb. 4.4. Phasenverschiebung. Wenn ein circadianer Rhythmus eine Periodenlänge<br />

< 24 h hat, verschiebt sich unter konstanten Lichtbedingungen im Experiment<br />

die Aktivitätsphase (rot) im Laufe der Zeit nach vorne (Phasenverkürzung). Untereinander<br />

stehende Zeilen repräsentieren aufeinander folgende Tage


4.2 Orientierung in der Zeit 111<br />

so dass es über längere Zeiträume zu einer immer stärkeren Phasenverschiebung<br />

gegenüber dem äußeren Solartag kommt (Abb. 4.4). Diese freilaufenden<br />

Zyklen mit einer Periodenlänge von beispielsweise 23 oder 25 h<br />

bewirken, dass die Aktivitäts- und Ruhephasen der Tiere schon nach wenigen<br />

Wochen unter konstanten Experimentalbedingungen gegenüber der<br />

äußeren Normalzeit um viele Stunden früher oder später auftreten. Die innere<br />

Uhr muss daher mit Hilfe bestimmter externer Zeitgeber mit den lokalen<br />

Bedingungen synchronisiert werden. Der Tag-/Nachtwechsel bzw.<br />

die starken Beleuchtungsänderungen in der Morgen- und Abenddämmerung<br />

sind dabei der wichtigste Zeitgeber für die circadiane Rhythmik.<br />

Wenn bei arktischen Rentieren (Rangifer tarandus) während der Mitternachtssonne<br />

dieser Zeitgeber wegfällt, verlieren sie die Rhythmizität ihrer<br />

Aktivität (van Oort et al. 2005).<br />

Bei verschiedenen Tiergruppen konnte der Sitz der inneren Uhr im Nervensystem<br />

lokalisiert und deren genetische Kontrolle entschlüsselt werden.<br />

Der Schrittmacher (pacemaker) der circadianen Uhr befindet sich bei den<br />

meisten Insekten in einem Bereich der optischen Loben; er besteht also aus<br />

einer bilateral symmetrischen funktionellen Einheit (Tomioka u. Abdelsalam<br />

2004). Bei anderen Insekten befinden sich circadiane Schrittmacher<br />

(auch) im zentralen Nervensystem (Helfrich-Förster et al. 1998), wo unabhängige,<br />

aber funktional gekoppelte Oszillatoren die Aktivität steuern<br />

(Stoleru et al. 2004).<br />

Bei Säugetieren befindet sich der Schrittmacher der circadianen Uhr in<br />

einem paarigen Kerngebiet des vorderen Hypothalamus, den suprachiasmatischen<br />

Nuclei (Hofman 2004). Diese innervieren unter anderem die<br />

Epiphyse, wo in Abhängigkeit vom nervösen Input die Sekretion von<br />

Melatonin induziert wird. Dieses Hormon scheint seinerseits an der Regulation<br />

der circadianen Rhythmen verschiedener anderer physiologischer<br />

Subsysteme beteiligt zu sein und beeinflusst auch die Aktivität des Hypothalamus.<br />

Es gibt also eine Art Zentraluhr, welche die Rhythmen der verschiedenen<br />

Funktionen hauptsächlich steuert (Reppert u. Weaver 2002;<br />

Abb. 4.5). Bei Vögeln scheint das circadiane Schrittmacher-System aus<br />

mindestens drei autonomen Teilen zu bestehen: Retina, Pinealorgan und<br />

einem Teil des Hypothalamus (Gwinner u. Brandstätter 2001). Die rhythmische<br />

Aktivierung durch zeitverzögerte Feedback-Hemmung einiger weniger<br />

Gene (PER, period genes) stellt den molekularen Schrittmacher der<br />

inneren Uhren dar (Albrecht 2002). Verhaltensgenetische Untersuchungen<br />

bei Drosophila und Mäusen haben diese genetische Kontrolle eindeutig<br />

gezeigt. So ist beispielsweise die Tageszeit, zu der sich Taufliegen verpaaren,<br />

genetisch festgelegt (Sakai u. Ishida 2001).<br />

Die Effekte der circadianen Uhr können durch verschiedene ökologische<br />

oder soziale Faktoren überlagert werden; es kommt zu Maskierungseffek-


112 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

Abb. 4.5. Schematische Darstellung der Kontrolle circadianer Aktivität. Der Tag-/<br />

Nachtwechsel und andere äußere Reize wirken auf die innere Uhr mit einem genetischen<br />

Schrittmacher, welche verschiedene physiologische Rhythmen steuert. Details<br />

s. Text<br />

ten. Bei Drosophila melanogaster kann zum Beispiel die Präsenz von Artgenossen<br />

zu einer Verschiebung von zeitlichen Aktivitätsmustern führen<br />

(Levine et al. 2002). Bei manchen Kleinsäugern führt die Notwendigkeit,<br />

in kurzen Abständen Nahrung aufzunehmen, zu polyphasischer kathemeraler<br />

Aktivität, d. h. sie sind alle paar Stunden aktiv, um zu fressen (Halle u.<br />

Stenseth 1994). Aspekte der Thermoregulation können ebenfalls einen<br />

dominierenden Einfluss auf Aktivitätsmuster ausüben; so sind vor allem<br />

ektotherme Tiere in ihrer Aktivität an die Verfügbarkeit von Sonnenenergie<br />

angepasst (Winne u. Keck 2004). Die Intensität der Aktivität kann auch<br />

durch Lichtverfügbarkeit moduliert werden. Viele nachtaktive Säugetiere<br />

verringern oder erhöhen je nach vorherrschender Beleuchtungsstärke ihre<br />

Aktivität in Voll- und Neumondnächten. Andere externe Faktoren wie<br />

Feuchtigkeit und Nahrungsverfügbarkeit können den circadianen Aktivitätsverlauf<br />

ebenfalls erheblich beeinflussen (Körtner u. Geiser 2000).<br />

4.2.2 Gezeitenrhythmen<br />

Durch Änderungen der kombinierten Anziehungskraft von Sonne und<br />

Mond auf die Wassermassen der Weltmeere kommt es zum Gezeiten-


4.2 Orientierung in der Zeit 113<br />

rhythmus. Die Anziehungskraft von Mond und Erde sowie die Fliehkraft<br />

der Erde bewegen das Meerwasser, wobei auf der mondnahen Seite der<br />

Erde die Anziehungskraft des Mondes stärker als die Fliehkraft der Erde<br />

ist. Dadurch wird auf dieser Seite der Erde das Meerwasser zum Mond<br />

hingezogen und es entsteht Flut. Auf der vom Mond abgekehrten Seite der<br />

Erde ist aber die Fliehkraft der Erde größer als die Anziehungskraft des<br />

Mondes, wodurch dort auch eine Flut entsteht. In den dazwischen liegenden<br />

Gebieten herrscht Ebbe, da das Wasser fortfließt. Wenn Sonne, Mond<br />

und Erde in einer Linie stehen, addieren sich die Anziehungskräfte und es<br />

kommt zu besonders hohen Springfluten. Umgekehrt fällt die Flut als<br />

Nippflut geringer aus, wenn Sonne, Mond und Erde in einem rechten Winkel<br />

zueinander stehen, da die Anziehungskräfte von Sonne und Mond in<br />

unterschiedliche Richtungen wirken. Dieser Wechsel im Gang zwischen<br />

Ebbe und Flut wiederholt sich alle 12,4 Stunden.<br />

Für in der Gezeitenzone lebende Tiere ändern sich daher die Mikrohabitatsbedingungen<br />

in grundsätzlicher, aber vorhersagbarer Weise. Mit Überflutung<br />

und Trockenfallen ändern sich dort auch Temperatur, Druck, Salzgehalt<br />

und Nahrungsverfügbarkeit zweimal am Tag. Bewohner dieses<br />

Bereichs besitzen daher Anpassungen ihrer Physiologie und des Verhaltens<br />

an diese Rhythmen (Abb. 4.6). Die Aktivität von Bewohnern der Gezeitenzone<br />

kann entweder durch proximate Faktoren wie Salinität oder Turbulenz<br />

oder durch eine endogene Gezeitenuhr (circatidale Uhr) gesteuert<br />

werden (Welch u. Forward 2001). So zeigen Krebse, die unter konstanten<br />

Laborbedingungen gehalten werden, weiterhin einen ungefähren Gezeitenrhythmus<br />

(Saigusa u. Kawagoye 1997). Allerdings ist dieser Rhythmus<br />

bei manchen Arten auch lichtsensitiv, so dass eine Verbindung zur circadianen<br />

Uhr und/oder zu einer Monduhr (Periodenlänge ca. 24,8 h) postuliert<br />

wurde (Palmer 2000). Pelagische Larven von sympatrischen Krabbenarten<br />

Abb. 4.6. Strand- und<br />

Mangrovenbewohner wie diese<br />

Schlammspringer (Periophthalmus<br />

spp.) sind dem<br />

regelmäßigen Wechsel von Ebbe<br />

und Flut ausgesetzt, die ihre<br />

Aktivität maßgeblich bestimmen


114 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

unterscheiden sich beispielsweise in ihrem vertikalen Wanderungsverhalten<br />

in Abhängigkeit der Lichtintensität und experimentell veränderter Periodizität<br />

des Gezeitenrhythmus, was auf diese unterschiedliche Kontrolle<br />

des Rhythmus hindeutet (Morgan u. Anastasia 2008).<br />

4.2.3 Lunarperiodik<br />

Die periodische Abschattung der Mondoberfläche im Durchlauf der verschiedenen<br />

„Mondphasen“ alle 29,5 Tage hat bei einer Reihe von Tieren<br />

zu spezifischen Anpassungen an diese Lunarperiodik geführt. Bei manchen<br />

Arten gibt es auch Hinweise auf die Existenz einer semilunaren Periodik<br />

(14,8 Tage), d. h. die Synchronisation von bestimmten Verhaltensweisen<br />

mit Voll- und Neumond. Der markanteste Aspekt der Lunarperiodik besteht<br />

in der Variabilität der nächtlichen Lichtverfügbarkeit zwischen Neumondbedingungen<br />

mit rund 0,0005 lx und Vollmond mit rund 0,3 lx bei<br />

klarem Nachthimmel. Da der Mond zudem täglich 50 Minuten später aufgeht,<br />

ändern sich die Lichtverhältnisse im Lauf der Nacht ebenfalls von<br />

Tag zu Tag. Damit verändern sich die visuellen Bedingungen bei der Fortbewegung,<br />

Nahrungssuche und Räubervermeidung nachtaktiver Tiere innerhalb<br />

eines Mondzyklus beträchtlich.<br />

Circalunare Uhren sind noch vergleichsweise wenig untersucht. Die<br />

deutlichsten Hinweise auf die Existenz einer endogenen Monduhr stammen<br />

von Beobachtungen an einem marinen Polychäten, dem Palolowurm<br />

(Eunice viridis), dessen Individuen bei der Kombination einer bestimmten<br />

Mond- (letztes Viertel) und Tidenphase (Springflut) zu einer bestimmten<br />

Jahreszeit (Oktober/November) ihre Gameten (zusammen mit ihrer vorderen<br />

Körperhälfte) freisetzen und sich auf diese Weise mit anderen Individuen<br />

synchronisieren und gleichzeitig Räuber dieser Gametenpakete übersättigen.<br />

Es handelt sich hierbei um ein Beispiel der Überlagerung von<br />

mehreren Rhythmen (Yamahira 2004). Bei einigen anderen meeresbewohnenden<br />

Wirbellosen sind Mondphasen-abhängige Schwankungen von Aktivität,<br />

Fortpflanzungsverhalten oder Häutungsvorgängen beschrieben, die<br />

aber zum Teil ebenfalls durch anderen Rhythmen überlagert sind (Naylor<br />

2001).<br />

Auch die Aktivität von nachtaktiven Wirbeltieren hängt häufig von der<br />

Mondphase bzw. der Lichtverfügbarkeit ab. Hinweise auf eine Steuerung<br />

dieses Verhaltens durch eine Monduhr gibt es aber nicht. Vielmehr scheint<br />

eine direkte Beeinflussung der Aktivität durch die jeweilige Helligkeit<br />

(Luminosität) zu erfolgen, wobei verschiedene Arten unterschiedliche<br />

Muster ausbilden. So jagen nachtaktive Ziegenmelker (Caprimulgidae) ihre<br />

Insektenbeute vorwiegend in der Abenddämmerung; die Jagdaktivität


4.2 Orientierung in der Zeit 115<br />

später in der Nacht ist positiv mit der verfügbaren Lichtmenge korreliert<br />

(Jetz et al. 2003). Viele Fledermäuse reduzieren dagegen in hellen Mondnächten<br />

ihre Flugaktivität oder verlagern sie in den Schatten von Büschen<br />

und Bäumen (Erkert 2002). Buschschwanzratten (Neotoma cinerea) sind<br />

dagegen bei intermediären Lichtverhältnissen am aktivsten (Topping et al.<br />

1999). Manche nachtaktiven Primaten sind in hellen Mondnächten aktiver<br />

als bei Neumond (Gursky 2003). Die während einer Mondfinsternis beobachtete<br />

abrupte Einstellung der Aktivität durch Rotstirnmakis (Donati et al.<br />

2001) und sprunghafte Aktivitätszunahme verschiedener Fledermausarten<br />

(Usman et al. 1980) haben bislang am deutlichsten gezeigt, dass die proximate<br />

Kontrolle der Aktivität hier tatsächlich rein exogen durch die Beleuchtungsstärke<br />

erfolgt.<br />

4.2.4 Circannuale Periodik<br />

Jahreszeitliche Schwankungen in den Umweltbedingungen nehmen vom<br />

Äquator zu den Polen hin in ihrer Intensität zu und manifestieren sich in<br />

unterschiedlichen Jahreszeiten. Aber auch in Äquatornähe gibt es in vielen<br />

Gebieten jahreszeitlich vorhersagbare Wechsel zwischen Regen- und<br />

Trockenzeiten. Solche sich grundlegend verändernden Umweltbedingungen<br />

haben für die betroffenen Tiere vor allem Konsequenzen für die Nahrungsverfügbarkeit,<br />

aber auch für die Thermoregulation.<br />

Aufgrund der Vorhersagbarkeit jahreszeitlicher Veränderungen der<br />

Umweltbedingungen verlassen sich davon betroffene Tiere auf eine endogene<br />

circannuale Uhr, die entsprechende verhaltens- und stoffwechselphysiologische<br />

Mechanismen steuert. Die Existenz dieser Uhr lässt sich<br />

unter konstanten Laborbedingungen oder durch experimentelle Änderung<br />

der Photoperiode (Verhältnis Tag zu Nacht) nachweisen. So zeigen unter<br />

konstanten Bedingungen gehaltene Zugvögel alljährlich zwei Phasen erhöhter<br />

lokomotorischer Aktivität, die in Intensität und Dauer der Zeit und<br />

der Strecke der Wanderung zwischen Winter- und Sommerquartier entspricht,<br />

oder sie zeigen anhaltende Zyklen von Körpermasse, Gonadenaktivierung<br />

und Mauser (Gwinner 1996). Zahlreiche Vögel (Bairlein 2002)<br />

und Säuger (Pereira et al. 1999) behalten auch unter konstanten Bedingungen<br />

über mehrere Jahre circannuale Schwankungen ihrer Körpermasse bei.<br />

Die Lage und Mechanismen der endogenen Jahresuhr sind noch nicht<br />

im Detail bekannt. Aktuelle Hypothesen gehen davon aus, dass Änderungen<br />

der Photoperiode im Jahresverlauf von der circadianen Uhr gemessen<br />

und verarbeitet werden. Von den suprachiasmatischen Nuclei aus synchronisiert<br />

diese Uhr dann vermutlich über modulierte Melatoninausschüttung


116 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

die circannuale Uhr, welche die endogenen Jahresrhythmen steuert (Oster<br />

et al. 2002).<br />

Die mit der Änderung der Jahreszeiten verbundenen ökologischen<br />

Herausforderungen haben zu einer Reihe von Anpassungen geführt, die<br />

den Überlebens- und Fortpflanzungserfolg unter diesen wechselnden Bedingungen<br />

gewährleisten. Manche Tiere können Zeiten widriger Umgebungsbedingungen<br />

„aussitzen“, indem sie in ausgedehnte Inaktivität verfallen.<br />

Dies kann sowohl bei hohen (Ästivation) als auch niederen<br />

Außentemperaturen geschehen (z. B. durch Winterschlaf bei Säugern,<br />

Winterstarre bei Amphibien und Reptilien oder Diapause bei Insekten).<br />

Kürzere Inaktivitätszeiten werden bei den endothermen Vögeln und Säugern<br />

als Torpor bezeichnet. Physiologische Anpassungen in diesem Zusammenhang<br />

umfassen Absenkungen der Stoffwechselaktivität und der<br />

Körpertemperatur. Das Verhalten spielt bei der Vorbereitung dieser Inaktivitätszustände<br />

eine wichtige Rolle, zum Beispiel beim Anlegen interner<br />

oder externer Energiespeicher ( Kap. 3.2) oder der Suche und Präparation<br />

geeigneter Schutzräume.<br />

Eine weitere Möglichkeit, saisonalen Änderungen der Umweltbedingungen<br />

auszuweichen, besteht darin, Wanderungen zu unternehmen und<br />

so ungünstige Zeiten aktiv zu überbrücken, indem man das Gebiet verlässt.<br />

Bei manchen Arten, wie Wanderheuschrecken, erfolgen diese Wanderungen<br />

als direkte Reaktion auf lokale Bedingungen; bei anderen, wie bei vielen<br />

Zugvögeln und einigen Fledermäusen, sind sie über eine circannuale<br />

Uhr endogen verankert ( Kap. 4.3).<br />

Schließlich haben jahresperiodische Schwankungen der Lebensbedingungen<br />

auch zur Entwicklung saisonaler Fortpflanzungsmuster geführt,<br />

selbst bei tropischen Vögeln (Hau 2001) oder Primaten (Di Bitetti u. Janson<br />

2000). Unabhängig von der jeweiligen Dauer der prä- und postnatalen<br />

Entwicklung bei verschiedenen Taxa sind deren Fortpflanzungsmuster<br />

zeitlich oft so eingestellt, dass die Jungen zu Zeiten ausreichender oder<br />

größter Nahrungsverfügbarkeit geboren oder selbständig werden und damit<br />

die größten Überlebenschancen besitzen.<br />

4.3 Orientierung im Raum<br />

Tiere mit einem wie auch immer differenzierten Bewegungsapparat können<br />

ihren Körper durch aktives Ausrichten in Bezug auf eine strukturierte<br />

Umwelt räumlich so orientieren, dass sie die für sie möglichst optimalen<br />

Lebensbedingungen aufsuchen. Optimale Lebensbedingungen können in<br />

diesem Zusammenhang durch hohe Nahrungsverfügbarkeit ( Kap. 5.2),


4.3 Orientierung im Raum 117<br />

geringes Räuberrisiko ( Kap. 6.3), Verfügbarkeit von Paarungspartnern<br />

( Kap. 9.3) oder die Homöostasis der basalen Grundfunktionen<br />

( Kap. 3.1) charakterisiert sein. Vertrautheit mit einem Gebiet scheint in<br />

diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion zu spielen, da sehr viele<br />

Tiere eine gewisse Ortstreue aufweisen und immer wieder zu bestimmten<br />

Fress-, Brut- oder Ruheplätzen zurückkehren. Bei manchen Arten mit intensiver<br />

Jungen- oder Brutfürsorge, wie nesthockenden Vögeln oder Honigbienen,<br />

wird der Fortpflanzungserfolg auch dadurch beeinflusst, wie erfolgreich<br />

sie von verschiedenen Punkten ihres Streifgebiets mit Nahrung<br />

zu ihrem Nest zurückfinden.<br />

Diese Orientierungsleistungen sind proximat als Regelkreise vorstellbar,<br />

bei denen von einem Sinnesorgan ein bestimmter Reiz wahrgenommen<br />

und an das zentrale Nervensystem weitergeleitet wird, wo er dann mit einem<br />

Sollwert verglichen wird und dadurch entsprechende Kommandos an<br />

das Bewegungssystem ausgelöst werden. Die wichtigsten Reize, die Tiere<br />

als Grundlage ihrer Orientierungsleistungen verwenden, sind Licht, Laute,<br />

Gerüche, Strömungen, Schwerkraft, elektrische und magnetische Felder,<br />

Temperatur, Luft- und Wasserdruck, Winkel- und Linearbeschleunigung<br />

sowie die Stellung von Körperteilen zueinander. Artspezifische Orientierungsleistungen<br />

sind von der jeweiligen Ausstattung mit Sinnesorganen<br />

und der ökologischen Notwendigkeit bestimmt. Bei der Beschreibung und<br />

Analyse der Vielfalt der räumlichen Orientierungsbewegungen lassen sich<br />

drei große Klassen von Leistungen unterscheiden: Kinesen, Taxien und<br />

Navigation.<br />

4.3.1 Kinesen und Taxien<br />

Für verschiedene Formen nicht zufälliger Bewegungen, die in Kinesen und<br />

Taxien unterschieden werden können, hat sich eine eigene Nomenklatur<br />

entwickelt (Tabelle 4.1). Eine Kinese wird grundsätzlich durch Stärkeänderungen<br />

eines Reizes ausgelöst. Die Bewegungsrichtung oder -reaktion<br />

des Tieres bezieht sich dabei aber nicht auf den Reiz, sondern ist ungerichtet.<br />

Bei einer Orthokinese beeinflusst der Reiz die Bewegungsgeschwindigkeit.<br />

Kellerasseln (Porcellio spp.) laufen z. B. bei trockener Umgebung<br />

schnell und ungerichtet umher und werden bei zunehmender Feuchtigkeit<br />

langsamer, wenn sie für sie vorteilhafte Umgebungsbedingungen gefunden<br />

haben. Orthokinesen sind daher ein wichtiger Mechanismus der Mikrohabitatwahl<br />

( Kap. 5.1), insbesondere bei einzelligen und kleinen Tieren.<br />

Ameisen der Art Decamorium decem finden auf diese Weise feuchte Stellen<br />

in der Laubstreu, an denen sie nach Nahrung suchen (Durou et al.<br />

2001). Bei einer Klinokinese bestimmt der Reiz die Zahl oder Stärke der


118 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

Tabelle 4.1. Taxonomie nicht-zufälliger Bewegungen<br />

Präfix Suffix Definition<br />

• Anemo-<br />

• Chemo-<br />

• Geo-<br />

• Klino-<br />

• Magneto-<br />

• Meno-<br />

• Mnemo-<br />

• Phono-<br />

• Photo-<br />

• Rheo-<br />

• Telo-<br />

• Tropho-<br />

• Tropo-<br />

• -kinese<br />

• -taxis<br />

• ungerichtete Bewegung infolge der<br />

Stärkeänderung eines Reizes<br />

• gerichtete Bewegung in Bezug auf<br />

einen spezifischen Reiz<br />

• Wind<br />

• Chemikalie<br />

• Erde; Anziehungskraft<br />

• Steigung; Gradient<br />

• Magnetismus<br />

• Winkel; Monate<br />

• Erinnerung<br />

• Geräusch<br />

• Licht<br />

• Strömung<br />

• Ziel<br />

• Futter<br />

• Hinwendung<br />

Wendungen. Bei schwarmbildenden Mücken orientieren sich die Individuen<br />

zum Beispiel an einer aufsteigenden Luftsäule und können durch entsprechende<br />

Wendungen den Zusammenhalt des Schwarmes gewährleisten.<br />

Große pelagische Fischschwärme können sich in ähnlicher Weise in Wassersäulen<br />

präferierter Temperaturen kristallisieren (Humston et al. 2000;<br />

Abb. 4.7). Manche Trematoden und andere Parasiten finden mit Hilfe dieses<br />

Mechanismus ihre Wirte (Sukhedo u. Sukhedo 2004).<br />

Eine Taxis beschreibt eine gerichtete Orientierung in Bezug auf einen<br />

spezifischen Reiz. Eine Klinotaxis ist eine gerichtete Orientierung in einem<br />

Reizgradienten, bei der durch vergleichende Messungen an verschiedenen<br />

Orten eine grobe Richtung beibehalten wird. Diese Form der Orientierung<br />

findet sich zum Beispiel bei Ameisen, die sich entlang einer<br />

olfaktorisch markierten Ameisenstraße bewegen. Mit diesem Mechanismus<br />

finden auch winzige aquatische Copepoden (Temora longicornis) ihre<br />

Paarungspartner, die Tausende von Körperlängen entfernt chemische Signale<br />

abgeben (Weissburg et al. 1998). Bei einer Tropotaxis erfolgt die Bewegung<br />

geradlinig in Bezug auf einen Reiz durch Beibehaltung eines Erregungsgleichgewichts<br />

von paarigen Sinnesorganen. Eine Ausrichtung des<br />

Körpers entlang der Achse, aus welcher der Reiz einwirkt, führt bei


4.3 Orientierung im Raum 119<br />

Abb. 4.7. Manche Fischschwärme<br />

nehmen durch<br />

klinokinetische Bewegungen<br />

eine charakteristische<br />

Gestalt an<br />

Beibehaltung des Reizgleichgewichts zu einer Zuwendung zur Reizquelle.<br />

Verschiedene Crustaceen orientieren sich so in aquatischen Duftwolken<br />

(Vickers 2000).<br />

Wenn ein Reiz Gestaltcharakteristika besitzt und eine Wendereaktion<br />

auslöst, bei der das Tier sich in Richtung des Zielobjekts bewegt und dieses<br />

auf einer Fixierstelle des Rezeptororgans festhält, handelt es sich um<br />

eine Telotaxis. Amphibien oder Chamäleons, die ein Beuteinsekt entdeckt<br />

haben, bedienen sich zum Beispiel dieses Mechanismus bei der Jagd. Bei<br />

einer Menotaxis orientiert ein Tier sich in eine nicht-symmetrische Richtung<br />

zum Reiz und kann sich damit in einem schiefen Winkel zur Reizquelle<br />

geradlinig fortbewegen. Wichtige Mechanismen der menotaktischen<br />

Orientierung sind der Sonnen-, Sternen- und Magnetkompass (siehe 4.3.2).<br />

Idiothetische Orientierung ist dadurch gekennzeichnet, dass ebenfalls<br />

eine bestimmte Richtung beibehalten werden kann; die Information zur<br />

Orientierung stammt aber aus der Integration von vorhergehenden Körperbewegungen<br />

bzw. den von diesen ausgelösten propriozeptiven Signalen.<br />

Tausendfüßler (Myriapoda) oder Spinnen (Araneae), die durch ein Hindernis<br />

zu einem Umweg gezwungen werden, können hinter dem Hindernis die<br />

ursprüngliche Richtung wieder aufnehmen (Seyfarth et al. 1982). Winkerkrabben<br />

(Uca spp.) bestimmen ebenfalls über Propriorezeptoren, wie viele<br />

Schritte sie in welche Richtung gemacht haben, und können bei Gefahr<br />

direkt in ihre Höhle zurückkehren (Layne et al. 2003). Solche lokalen Bewegungen<br />

von Winkerkrabben können im Feld schwer von einer Mnemotaxis<br />

unterschieden werden, bei der die Orientierungsleistung auf individuellen<br />

Erfahrungen über lokale Landmarken basiert.<br />

Durch Erinnerung und Zusammenfügen markanter Landmarken können<br />

manche Tiere sich allein anhand einer Karte orientieren; sie pilotieren.<br />

Bienen benutzen optische Landmarken, um an ihren Stock zurückzu-


120 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

kehren (Warrant et al. 2004), Brieftauben benutzen Landmarken bei der<br />

Heimorientierung (Burt et al. 1997) und Kiefernhäher (Nucifraga columbiana)<br />

finden von ihnen angelegte Nahrungsvorräte mit Hilfe von Landmarken<br />

(Kamil u. Cheng 2001). Allerdings besitzen diese Vögel auch<br />

mindestens einen Kompass ( Kap. 4.3.2: Sonnenkompass), mit dem sie<br />

navigieren können, so dass nicht klar ist, ob die Landmarken unabhängig<br />

benutzt werden (Holland 2003). Die Schlupfwespe Hyposoter horticola,<br />

die ihre Eier in Schmetterlingseier ablegt, findet dagegen allein mit Hilfe<br />

von optischen Landmarken über mehrere Wochen hinweg zu allen Wirtseiern<br />

in ihrem Aktionsraum (van Nouhuys u. Kaartinen 2008).<br />

Ob sich Tiere diese räumlichen Informationen zu einer kognitiven<br />

Karte zusammenfügen, ist teilweise umstritten (Bennett 1996), aber zahlreiche<br />

Experimente sprechen dafür, dass Informationen über Landmarken<br />

eine Art Karte bilden. So können blinde Höhlenfische (Astyanax fasciatus)<br />

die Reihenfolge von verschiedenen Landmarken lernen (Burt de Perrera<br />

2004). Wüstenameisen (Cataglyphis fortis) können getrennt gelernte Landmarken<br />

sinnvoll kombinieren (Bisch-Knaden u. Wehner 2003). Honigbienen<br />

(Apis mellifera) speichern Erinnerungen an Landmarken in lockerer<br />

Assoziation ab (Fry u. Wehner 2002) und können diese Information nach<br />

Verfrachtungen einsetzen, da sie in diesem Fall von jedem Punkt in ihrem<br />

vertrauten Gebiet zu einem gewählten Ziel fliegen (Menzel et al. 2005).<br />

Verschiedene Primatenarten nutzen Ressourcen in ihrem Streifgebiet so<br />

ökonomisch, dass sie ebenfalls auf eine mentale Repräsentation zurückzugreifen<br />

scheinen (Janson 2007). Der Einsatz kognitiver Karten ist aufgrund<br />

der unterschiedlichen Baupläne dieser Tiere nicht von den absoluten kognitiven<br />

Fähigkeiten abhängig ( Kap. 11.3).<br />

4.3.2 Navigation<br />

Navigation beschreibt eine besondere Orientierungsfähigkeit, nämlich die<br />

eigene Position in Bezug zu einem Zielpunkt mit Hilfe unterschiedlicher<br />

Reize bestimmen zu können und dieses Ziel von überall ansteuern zu können,<br />

ohne dabei auf Landmarken zu vertrauen. Um navigieren zu können,<br />

benötigen Tiere eine Karte und einen Kompass. Aus welchen Informationen<br />

sich Tiere eine Karte ihres Lebensraumes zurechtlegen, ist nicht<br />

bekannt.<br />

Offensichtlich müssen wichtige Aspekte einer Karte zunächst gelernt<br />

werden. Stare (Sturnus vulgaris) aus dem Ostseeraum, die in Nord-<br />

Frankreich und Süd-England überwintern, wurden in Holland gefangen<br />

und in die Schweiz verfrachtet. Von dort aus flogen adulte Stare in die eigentlichen<br />

Überwinterungsgebiete, wohingegen die juvenilen Stare in Süd-


4.3 Orientierung im Raum 121<br />

Frankreich und Nord-Spanien wieder gefangen wurden (Perdeck 1958).<br />

Die jungen Stare haben bei der ersten Wanderung also nur Informationen<br />

über die Richtung und Entfernung des Zuges, aber noch keine Karte, mit<br />

der sie wie ihre älteren Artgenossen wirklich navigieren können. Analoge<br />

Experimente mit jungen Trauerschnäppern (Ficedula hypoleuca) haben<br />

gezeigt, dass sie ebenfalls beim ersten Zug Verfrachtungen nicht kompensieren<br />

und daher wohl nur mit einem Kompass und einer inneren Uhr, aber<br />

ohne Karte ziehen (Mouritsen u. Larsen 1998).<br />

Mit einem Kompass kann unabhängig vom jeweiligen Standort eine bestimmte<br />

Richtung gewählt und ohne Bezug zu Landmarken beibehalten<br />

werden. Natürliche Selektion sollte dafür Bezugssysteme ausgewählt haben,<br />

die überall verfügbar sind und Information über Richtung und Geografie<br />

enthalten. Je nach Tageszeit steht Tieren aus dem Stand von Sonne,<br />

Mond, Sternen und dem Muster polarisierten Lichts Richtungsinformation<br />

zur Verfügung, die aufgrund ihrer ubiquitären Verfügbarkeit zusammen<br />

mit dem Erdmagnetfeld die Grundlagen der Kompasse im Tierreich darstellen.<br />

(1) Sonnenkompass. Der Sonnenkompass ist dabei am weitesten bei Wirbellosen<br />

und Wirbeltieren verbreitet. Er wird vor allem bei der Orientierung<br />

im Nahbereich eingesetzt, da sich bei großen Ortsveränderungen der<br />

Sonnenstand zu stark ändert. Die Tiere orientieren sich dabei am Azi-<br />

Abb. 4.8. Grundlagen des Sonnenkompasses. Der Azimutstand der Sonne, also<br />

deren senkrechte Projektion auf den Horizont, gibt die Richtungsinformation für<br />

den Kompass (hier: Winkel zum Baum), die circadiane Uhr die korrespondierende<br />

Zeitinformation


122 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

mutstand der Sonne, also an deren senkrechter Projektion auf den Horizont<br />

(Abb. 4.8). Da sich die Position der Sonne im Lauf des Tages um 15° pro<br />

Stunde ändert, ist der Besitz einer circadianen Uhr notwendig, um zu einer<br />

bestimmten Tageszeit einen bestimmten Winkel zur Sonne einzuschlagen.<br />

Die Beziehung zwischen Tageszeit, Sonnenstand und Richtung, auf welcher<br />

der Sonnenkompass beruht, wird während einer sensiblen Phase individuell<br />

erlernt und damit an die jeweilige geografische Breite angepasst<br />

(Dyer u. Dickinson 1996).<br />

Diese Verknüpfung mit der inneren Uhr wurde in eleganter Weise eingesetzt,<br />

um die Existenz des Sonnenkompasses experimentell zu beweisen.<br />

Brieftauben, denen die circadiane Uhr um sechs Stunden verstellt wurde,<br />

zeigten eine Abweichung in der Orientierungsrichtung von 90° (Schmidt-<br />

Koenig 1960; Abb. 4.9). Ähnliche Experimente, bei denen die innere Uhr<br />

verstellt wurde, haben gezeigt, dass Nacktschnabelhäher (Gymnorhinus<br />

cyanocephalus) und andere Rabenvögel (Corvidae), die versteckte Nahrungsspeicher<br />

anlegen ( Kap. 3.2), ebenfalls einen Sonnenkompass benutzen,<br />

um diese Verstecke wiederzufinden (Wiltschko et al. 1999).<br />

Abb. 4.9. Experiment zum Nachweis der Koppelung des Sonnenkompasses an die<br />

circadiane Uhr (Schmidt-Koenig 1960). Die Richtungswahl von Brieftauben in einem<br />

Rundkäfig ist in ein Kreisdiagramm eingetragen; ein roter Punkt entspricht<br />

einer Taube. Tauben, deren innere Uhr experimentell um 6 h vor (links),<br />

6 h nach (rechts) oder 12 h (Mitte) in Bezug auf mitteleuropäische Zeit (CET) verstellt<br />

wurde, änderten ihre Heimflugrichtung im Durchschnitt um 15° pro Stunde<br />

Zeitumstellung in die vorhergesagte Richtung. Untere Abbildungen: unbehandelte<br />

Kontrolltauben (grüne Punkte)


4.3 Orientierung im Raum 123<br />

(2) Sonnenkompass und Bienentanz. Der Sonnenkompass wurde zuerst<br />

bei Honigbienen (Apis mellifera) entdeckt, wo er Bestandteil eines der am<br />

besten untersuchten Orientierungs- und Kommunikationssysteme ist: des<br />

Bienentanzes. Karl von Frisch (1967) beobachtete, dass Bienen, die eine<br />

ergiebige Nahrungsquelle entdeckt haben, zum Stock zurückkehren und<br />

mit Hilfe von verschiedenen Tänzen die Entfernung und/oder Richtung der<br />

Nahrungsquelle an ihre Stockgenossinnen kommunizieren. Der Rundtanz<br />

enthält keine Richtungsinformation und wird bei Futterquellen in kurzer<br />

Entfernung (< 70 m) eingesetzt. Mit steigendem Abstand zwischen Stock<br />

und Futterplatz geht der Rundtanz über Mischformen der Tanzbewegung<br />

in den Schwänzeltanz über. Im Schwänzeltanz wird die Angabe der im<br />

Flug als Winkel zur Sonne gemessenen Richtung zur Futterstelle auf der<br />

senkrechten Wabe als Richtung der Schwänzelphase zur Schwerkraft wiedergegeben<br />

(Abb. 4.10).<br />

Wenn Honigbienen in der Umgebung des Stocks nach Nahrung suchen,<br />

bestimmen sie die Richtungen und Entfernungen, die sie fliegen müssen,<br />

per Pfadintegration (siehe unten), benutzen dabei den Sonnenkompass, um<br />

gewählte Richtungen einzuhalten, und verwenden zusätzlich vertraute<br />

Landmarken sowie Informationen über deren Relation zueinander (Menzel<br />

et al. 2000). Bevor junge Bienen beginnen, als Arbeiterinnen Nahrung zu<br />

suchen, machen sie eine Reihe von Erkundungsflügen in jeweils unterschiedliche<br />

Sektoren der Umgebung des Stocks; vermutlich, um so graduell<br />

eine Karte der Umgebung zu lernen (Capaldi et al. 2000).<br />

Abb. 4.10. Der Schwänzeltanz der Honigbienen stellt eine der komplexesten Orientierungs-<br />

und Kommunikationsleistungen im Tierreich dar. Damit werden Richtungs-<br />

und Entfernungsinformation an Artgenossinnen übertragen


124 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

Wenn eine Arbeiterin eine Nahrungsquelle gefunden hat, deren Existenz<br />

sie Stockgenossinnen mitteilen möchte, stellt sich die Frage, mit welchem<br />

Mechanismus die Entfernungsmessung bewerkstelligt wird. Zur Untersuchung<br />

dieser Frage wurden Bienen trainiert, am Eingang eines 6 m langen<br />

schmalen Tunnels Futter zu finden. Wenn dieser Tunnel 35 m vom Stock<br />

entfernt aufgestellt wurde, tanzten die allermeisten heimkehrenden Arbeiterinnen<br />

einen Rundtanz. Wenn die Futterquelle ans Ende des Tunnels, der<br />

innen mit einem Zufallsmuster dekoriert war, verschoben wurde, tanzten<br />

90% der heimkehrenden Arbeiterinnen einen Schwänzeltanz und zwar mit<br />

einer Intensität, die eine Entfernung von mehreren hundert Metern anzeigte!<br />

Srinivasan und Kollegen (2000) konnten zeigen, dass der Flug durch<br />

den engen Tunnel einen erhöhten optischen Fluss von Bildern über die<br />

Augen auslöste, der einen viel längeren Flug unter natürlichen Bedingungen<br />

(d. h. mit viel größerem Abstand der Augen zu den sich vorbei bewegenden<br />

Bildern) simuliert. Der „Tacho“ der Bienen wird also mit visueller<br />

Information versorgt. Die Empfänger dieser Schwänzeltänze flogen übrigens<br />

nicht in den Tunnel, sondern suchten zwar in der richtigen Richtung,<br />

aber in viel weiterer Entfernung nach der angepriesenen Nahrung (Esch<br />

et al. 2001). Wurden Sammelbienen im Freiland darauf dressiert, über<br />

große Wasserflächen zu fliegen, zeigte sich an deren Tänzen, dass der Kilometerzähler<br />

beim Flug über das unstrukturierte Wasser erwartungsgemäß<br />

extrem langsam lief oder gar stillstand (Tautz et al. 2004).<br />

Für den eigentlichen Austausch der Information zwischen Tänzerin und<br />

Nachtänzerinnen im dunklen Stock spielen mechanische Reize die überragende<br />

Rolle: Feinste Wabenvibrationen bringen die Tanzpartner zusammen<br />

(Tautz u. Rohrseitz 1998), im Ballett werden dann antennale taktile<br />

Bewegungsmuster bedeutungsvoll (Rohrseitz u. Tautz 1999). Die Verfolgung<br />

rekrutierter Arbeiterinnen hat gezeigt, dass diese insgesamt effektiv<br />

in das Zielgebiet gelangen, dort aber oft noch mehrere Minuten nach der<br />

Futterquelle suchen (Riley et al. 2005). Um neu rekrutierte Bienen zu Futterstellen<br />

zu bringen, spielen neben der Tanzsprache auch Interaktionen<br />

der Bienen im Feld eine wichtige Rolle (Tautz u. Sandeman 2003). Die<br />

Ziele werden von den erfahrenen Bienen durch auffallende Brauseflüge<br />

gekennzeichnet, die den Neulingen das Auffinden der im Tanz angezeigten<br />

Ziele erleichtern*. Insgesamt handelt es sich bei der Rekrutierung zu Zielen<br />

im Feld (Futterplatz, Nistplatz, Wasserstellen) um einen Kommunikationskomplex,<br />

über den wir erst langsam ein klares Bild bekommen (Tautz<br />

2007).<br />

* http://www.bienenforschung.biozentrum.uni-wuerz-burg.de/wir_ueber_uns/<br />

publikationen/populaere_publikationen/phaenomen_honigbiene_-_das_buch/<br />

zusatzinformationen/kapitel_4/


4.3 Orientierung im Raum 125<br />

Der evolutionäre Ursprung des Bienentanzes ist vermutlich älter als die<br />

Bienen selbst. Bei den nah mit Bienen verwandten Hummeln (Bombus terrestris)<br />

finden sich Vorläufer des Bienentanzes. Hummel-Arbeiterinnen,<br />

die eine Nahrungsquelle entdeckt haben, laufen hektisch im Nest umher<br />

und verteilen den Geruch der Nahrungsquelle an ihre Nestgenossinnen; sie<br />

vermitteln aber keine Richtungs- oder Entfernungsinformation (Dornhaus<br />

u. Chittka 1999). Zusätzliche vergleichende Studien an weiteren sozialen<br />

Insekten können also theoretisch dazu beitragen, die einzelnen Bestandteile<br />

der Evolution des Bienentanzes zu rekonstruieren.<br />

(3) Sternenkompass. Nachtziehende Zugvögel (von denen viele ansonsten<br />

tagaktiv sind) sowie möglicherweise andere nachtaktive Tiere besitzen einen<br />

Sternenkompass. Den Fixpunkt stellt dabei der Polarstern dar, um den<br />

sich alle anderen Sterne von der Erde aus betrachtet scheinbar drehen; sein<br />

Azimut weist nach Norden. Wenn nachtaktive Zugvögel in einem nur nach<br />

oben offenen Trichterkäfig gehalten und sie damit in ein Planetarium gebracht<br />

werden, kann man durch experimentelle Veränderung des Sternenhimmels<br />

vorhersagbare Änderungen in der Zugrichtung auslösen (Mouritsen<br />

u. Larsen 2001). Der Sternenkompass scheint aber beim Zug von<br />

untergeordneter Bedeutung zu sein (Able u. Able 1996).<br />

(4) Mondkompass. Experimentelle Hinweise für die Existenz eines angeborenen<br />

Mondkompasses gibt es nur für Strandflohkrebse (Talitrus spp.).<br />

Diese im Strandbereich lebenden Tiere benutzen sowohl die Sonne als<br />

auch den Mond, um bei Tag und Nacht im Strandbereich Zonen mit für sie<br />

optimalen Feuchtigkeitsbedingungen aufzusuchen. Naive, d. h. im Labor<br />

geborene Krebse, die zum ersten Mal den Mond sehen, können sich damit<br />

orientieren. Da die Ausrichtung des Strandes für Tiere aus verschiedenen<br />

Gegenden unterschiedlich ist, schlagen sie unterschiedliche Richtungen<br />

ein, wenn sie sich zum Meer bzw. zum Land orientieren. Wie Kreuzungsexperimente<br />

gezeigt haben, ist die eingeschlagene Richtung ebenfalls angeboren<br />

(Ugolini et al. 2003). Der Besitz eines Mondkompasses ist bislang<br />

bei keiner anderen Tiergruppe nachgewiesen.<br />

(5) Magnetkompass. Dass manche Vögel magnetische Informationen zur<br />

Orientierung verwenden, ist schon lange bekannt (Wiltschko u. Wiltschko<br />

1972). Sie benutzen dabei die Neigung des axialen Verlaufs der magnetischen<br />

Feldlinien im Raum und besitzen daher, wie manche Amphibien<br />

und Reptilien, einen Inklinationskompass. Dieser Kompass unterscheidet<br />

nicht zwischen Nord und Süd, sondern aufgrund der unterschiedlichen<br />

Neigung der Feldlinien zwischen polwärts und äquatorwärts. Manche


126 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

Krebse, Insekten und Säugetiere besitzen dagegen einen Polaritätskompass,<br />

der auf der Richtungsinformation des Magnetfelds basiert.<br />

Der Besitz eines Magnetkompasses und dessen Einsatz zur Navigation<br />

wurde bislang nur bei einer wirbellosen Art nachgewiesen. Stachelhummer<br />

(Panulirus argus), die 12–37 km von ihrem Fangort weg verfrachtet wurden,<br />

orientierten sich danach zum Fangort hin. In künstlichen Magnetfeldern,<br />

die diese Verfrachtung simulierten, orientierten sich die Hummer<br />

in gleicher Weise, was darauf hindeutet, dass ihre Orientierungsreaktion<br />

auf dem Magnetsinn beruht (Boles u. Lohmann 2003). Möglicherweise<br />

nutzen auch manche Ameisen das Magnetfeld bei ihren ausgedehnten<br />

Wanderungen (Acosta-Avalos et al. 2001) und Hummeln auf ganz kurzen<br />

Ausflügen in völliger Dunkelheit (Chittka et al. 1999), aber ein definitiver<br />

Nachweis steht noch aus. Auch Meeresschildkröten (Caretta caretta) können<br />

die Magnetfelder unterschiedlicher geografischer Breiten detektieren,<br />

unterscheiden und zur Navigation einsetzen (Lohmann et al. 2004).<br />

Die Verwendung eines Magnetkompasses ist inzwischen bei circa 20<br />

Vogelarten nachgewiesen; die meisten davon Nachtzieher. In einem Feldexperiment<br />

wurden bei Nacht ziehende Amseln (Turdus merula) gefangen<br />

und für kurze Zeit in der Dämmerung einem künstlichen, um 90° verdrehten<br />

Magnetfeld ausgesetzt. Das künstliche Magnetfeld wies im Unterschied<br />

zum natürlichen Magnetfeld nicht nach Norden, sondern nach Osten.<br />

Die freigelassenen Tiere wurden anschließend über mehrere Nächte<br />

verfolgt. In der ersten Nacht flogen die Amseln nicht weiter nach Norden,<br />

sondern nach Westen. An den darauf folgenden Tagen flogen sie aber wieder<br />

in die ursprüngliche nördliche Richtung. In der ersten Nacht behielten<br />

sie die falsche Richtung bei, obwohl der Sternenhimmel als weiterer möglicher<br />

Kompass zur Verfügung stand. Daraus lässt sich schließen, dass diese<br />

Zugvögel einen Magnetkompass als primäres Navigationssystem benutzen<br />

und dass ihr Kompass nicht fix ist, sondern jeden Abend in der<br />

Dämmerung in Relation zum Polarisationsmuster des Sonnenazimut kalibriert<br />

wird. Grasammern (Passerculus sandwichensis) benutzen ebenfalls<br />

das Himmelspolarisationsmuster am Morgen und am Abend, um ihren<br />

Magnetkompass zu rekalibrieren (Muheim et al. 2006). Damit wird auch<br />

erklärbar, wie Langstreckenzieher über den magnetischen Äquator ziehen<br />

können und dabei orientiert bleiben (Cochran et al. 2004).<br />

Experimentelle Untersuchungen an Ansells Graumullen (Fukomys anselli)<br />

ergaben erste Hinweise auf die Existenz und Verwendung eines<br />

Magnetkompasses bei Säugetieren. Diese in selbst gegrabenen unterirdischen<br />

Gängen lebenden Nagetiere verwenden offensichtlich einen Polaritätskompass,<br />

um sich in ihren Gängen zu orientieren (Marhold et al. 1997).<br />

Neuere Experimente haben gezeigt, dass der Magnetkompass von anderen<br />

subterranen Nagetieren, wie z. B. Blindmäusen (Spalax ehrenbergi), bei


4.3 Orientierung im Raum 127<br />

der Pfadintegration (siehe unten) innerhalb des Tunnelsystems zur Orientierung<br />

eingesetzt wird (Kimchi et al. 2004). Sibirische Hamster (Phodopus<br />

sungorus) benutzen im Labor magnetische Information, um den Ort,<br />

an dem sie ihr Nest bauen, auszuwählen (Deutschlander et al. 2003). Über<br />

solche kurzen Entfernungen ist die mit einem Polaritätskompass mögliche<br />

Richtungswahrnehmung offenbar für die Bedürfnisse dieser Kleinsäuger<br />

ausreichend.<br />

(6) Himmelskompass. Manche Insekten können das Polarisationsmuster<br />

des Himmels zur Orientierung verwenden; sie besitzen einen Kompass, mit<br />

dem sie das Polarisationsmuster des Himmels erkennen können. Es entsteht<br />

dadurch, dass von der Sonne eintreffendes Licht auf Moleküle stößt<br />

und dabei gestreut wird. Die Schwingungsrichtung des polarisierten Lichts<br />

bildet ein konzentrisch um die Sonne angeordnetes Muster, das von Tieren<br />

mit den entsprechenden sensorischen Fähigkeiten zur Justierung des Himmelskompasses<br />

genutzt wird. Wasseroberflächen stellen zusätzliche Quellen<br />

polarisierten Lichtes dar. Die Wahrnehmung von polarisiertem Licht<br />

erfolgt bei verschiedenen Tieren mit ähnlichen Rezeptoren, aber die genaue<br />

Information, die sie daraus extrahieren und wie sie diese verarbeiten,<br />

unterscheidet sich vermutlich zwischen ihnen (Wehner 2001).<br />

Bei Wüstenameisen (Cataglyphis fortis) haben beeindruckende Experimente<br />

gezeigt, wie fouragierende Individuen, nachdem sie eine Futterquelle<br />

gefunden hatten, mit Hilfe dieses Kompasses auf direktem Weg zu<br />

ihrem Nest zurückkehren (z. B. Akesson u. Wehner 2002). Ein afrikanischer<br />

Mistkäfer (Scarabaeus zambesianus) kann sogar das millionenfach<br />

schwächere Polarisationsmuster des Mondes zur Orientierung nutzen (Dacke<br />

et al. 2003). Bei Wirbeltieren wurde die Fähigkeit der Wahrnehmung<br />

polarisierten Lichts vornehmlich bei Fischen untersucht; diese verwenden<br />

es nicht zur Orientierung, sondern können wie Regenbogenforellen (Oncorhynchus<br />

mykiss) damit ihre Beute besser detektieren (Flamarique u.<br />

Browman 2001).<br />

(7) Pfadintegration. Ein im Tierreich weit verbreiteter Mechanismus, mit<br />

dem Tiere navigieren, ist die Pfadintegration. Diese besteht darin, dass ein<br />

Tier ständig seine Position aus den vorangegangenen Bewegungen bestimmt<br />

und dann gezielt zu einem Punkt, meist dem Ausgangspunkt, zurückkehrt<br />

(Abb. 4.11). Auf dem Rückweg dient ein Kompass dazu, die<br />

gewählte Richtung beizubehalten. Pfadintegration wird vornehmlich in unbekanntem<br />

Terrain eingesetzt; in vertrautem Gebiet verlassen sich die<br />

meisten Insekten auf das Pilotieren anhand von Landmarken (Collett u.<br />

Collett 2000a).


128 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

Abb. 4.11. Pfadintegration. Ein Tier bewegt sich dabei von einem Ausgangspunkt<br />

(Kreuz) über mehrere andere Punkte fort und kehrt dann gezielt zum Ausgangspunkt<br />

zurück (grüner Pfeil)<br />

Dieses Navigationssystem wurde an Wüstenameisen (Cataglyphis fortis)<br />

besonders gründlich untersucht, da sich in ihrem Lebensraum kaum Landmarken<br />

befinden (Müller u. Wehner 1988). Diese Ameisen verlassen ihr<br />

gemeinsames Nest, um nach Nahrung zu suchen. Dabei bewegen sie sich<br />

mäandrisch bis zu 50 m vom Nest weg; wenn sie Nahrung gefunden haben,<br />

kehren sie auf direktem Weg zum Nesteingang zurück. Diese Integrationsleistung<br />

vollbringen die Ameisen sogar, wenn sie experimentell zu<br />

Bewegungen im dreidimensionalen Raum gezwungen werden; in diesem<br />

Fall entspricht die Rückkehrdistanz allerdings nicht der tatsächlich zurückgelegten<br />

Strecke, sondern der Summe der horizontalen Projektionen<br />

(Wohlgemuth et al. 2001). Auch Mäuse (Mus domesticus) sind zu dreidimensionaler<br />

Pfadintegration befähigt (Bardunias u. Jander 2000). Die<br />

sensorischen und zentralnervösen Mechanismen, auf denen eine solche<br />

Pfadintegration beruht, sind noch nicht genau bekannt (Collett u. Collett<br />

2000b). Optische Information, die durch die Bewegung von Bildern über<br />

die Retina (optic flow) extrahiert werden kann, findet sich bei manchen In<br />

sekten, nicht aber bei Wüstenameisen, die stattdessen propriozeptive Reize<br />

verwenden (Box 4.3; Wittlinger et al. 2006).


4.3 Orientierung im Raum 129<br />

Box 4.3<br />

Pfadintegration bei Wüstenameisen: wie messen sie die Entfernung?<br />

• Frage: Wie messen Wüstenameisen die von ihnen zurückgelegte Entfernung<br />

vom Nest?<br />

• Hintergrund: Mit Hilfe von Pfadintegration finden Wüstenameisen von<br />

jedem Punkt direkt zu ihrem Nest zurück. Zur Bestimmung der Richtung<br />

benutzen sie einen Himmelskompass. Unklar ist, wie sie die notwendige<br />

Entfernungsinformation gewinnen. Hier wird die Hypothese getestet, dass<br />

idiothetische Reize Daten über zurückgelegte Entfernungen liefern.<br />

• Methode: Ameisen wurden dazu trainiert, von ihrem Nest über eine 10 m<br />

lange Rinne zu einer Futterstelle zu gehen. Gemessen wurde die Strecke,<br />

die sie auf ihrem Rückweg bis zum Beginn des Nestsuchverhaltens zurücklegten.<br />

Verglichen wurden Ameisen mit zwischen Hin- und Rückweg<br />

experimentell verkürzten, durch Ankleben von Schweineborsten verlängerten<br />

oder normal langen Beinen.<br />

Startpunkt<br />

Entfernung zum Nest<br />

0 2 mm<br />

Stummel<br />

korreliert<br />

vorhergesagt<br />

beobachtet<br />

Stelzen<br />

Stelzen<br />

normal<br />

normal<br />

Stummel<br />

0 5 10 15 20<br />

Rückweg zum Nest [m]<br />

• Ergebnis: Tiere mit normal langen Beinen legten im Durchschnitt 10,2 m<br />

zurück, wohingegen diejenigen mit verkürzten Beinen zu kurz (5,8 m) und<br />

diejenigen mit Stelzen zu weit (15,3 m) gingen.<br />

• Schlussfolgerung: Durch Veränderung der Beinlänge wurde die Schrittlänge<br />

manipuliert. Dementsprechend unter- oder überschätzten Individuen<br />

mit verkürzten bzw. verlängerten Beinen die tatsächlich zurückgelegte<br />

Entfernung. Der „Tachometer“ basiert also auf der Integration idiothetischer<br />

Reize.<br />

Wittlinger et al. 2006


130 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

4.3.3 Wanderungen<br />

Die an der Navigation beteiligten Mechanismen sind zwar an Honigbienen<br />

und Brieftauben am besten untersucht, spielen aber in der freien Natur vor<br />

allem bei Tieren eine Rolle, die ausgedehnte Wanderungen unternehmen<br />

(Alerstam 2006). Die bekanntesten und spektakulärsten Wanderungen<br />

werden von Zugvögeln unternommen. Die Mehrzahl der circa 10 000<br />

Vogelarten begibt sich jedes Jahr auf Wanderungen, wobei sie teilweise<br />

schwierigen Navigationsproblemen wie magnetischen Anomalien oder reduzierter<br />

Verlässlichkeit des Sonnenkompasses ausgesetzt sind (Alerstam<br />

et al. 2001). Die bei uns ansässigen Zugvögel verlassen ihre Sommerquartiere<br />

auf der nördlichen Halbkugel im Herbst und verbringen den Winter<br />

auf der Südhalbkugel oder in gemäßigten nördlichen Breiten (Abb. 4.12).<br />

Bei diesen Wanderungen werden zum Teil erstaunliche Flugleistungen<br />

erbracht. Die Küstenseeschwalbe (Sterna paradisea) brütet in der Arktis<br />

und überwintert in der Antarktis und legt dafür pro Jahr bis zu 50 000 km<br />

zurück. Da sie im Durchschnitt weit mehr als 20 Jahre alt werden kann,<br />

kommt sie im Lauf ihres Lebens auf mehr als 1 Million Flugkilometer!<br />

Aber auch andere Arten wie Rauchschwalben (Hirundo rustica) legen im<br />

Jahr 20 000 bis 30 000 km zurück. Auch die Dauerflugleistungen sind beachtlich:<br />

manche Schnepfenvögel (Scolopacidae) fliegen ohne Zwischenpause<br />

in circa 100 Stunden von Nordsibirien nach Tasmanien, und Wanderalbatrosse<br />

(Diomedea exulans) umkreisen in 6 Wochen die Antarktis<br />

weiträumig (Croxall et al. 2005). Viele europäische Kleinvögel überqueren<br />

die Sahara mit wenigen Unterbrechungen (Schmaljohann et al. 2007), und<br />

der winzige (5 g) amerikanische Rubinkehlkolibri (Archilochus colubris)<br />

überfliegt den 1 000 km breiten Golf von Mexiko sogar ohne Unterbrechung<br />

(Berthold 2000).<br />

Abb. 4.12. Kraniche ziehen in<br />

kleinen Verbänden über Tausende<br />

von Kilometern


4.3 Orientierung im Raum 131<br />

(1) Die Evolution des Vogelzugs. Wie lässt sich die Evolution des Vogelzugs<br />

erklären? Solche langen Migrationen bergen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko,<br />

da schlechtes Wetter, Meeresüberquerungen und Zwischenlandungen<br />

in unbekannten Gebieten zusätzliche Gefahren darstellen, mit denen<br />

sich Standvögel nicht auseinandersetzen müssen. Die für den Zug notwendigen<br />

Energiereserven müssen gesammelt und mit herumgetragen werden.<br />

Zudem stellen die langen Wanderstrecken selbst eine zusätzliche energetische<br />

Belastung dar. Die tatsächlichen energetischen Kosten wurden<br />

erstmals direkt an nordamerikanischen Amseln gemessen (Wikelski et al.<br />

2003). Dabei wurde überraschenderweise gefunden, dass in einer kühlen<br />

Nacht nicht-ziehende Vögel ungefähr so viel Energie verbrauchen wie andere,<br />

die zwei bis drei Stunden geflogen sind. Bei einer Reise von mehreren<br />

tausend Kilometern werden daher für den eigentlichen Flug nur ca.<br />

30% der gesamten Energie verbraucht; der Rest wird während den Zwischenlandungen<br />

aufgebraucht. Der Großteil der Energie für die Wanderungen<br />

wird aus Fetten bezogen (Landys et al. 2005).<br />

Diese Kosten werden offensichtlich durch eine Reihe von Vorteilen<br />

mehr als wettgemacht. So können durch entsprechende Routenwahl die Risiken<br />

und Kosten der Reise reduziert werden. Dementsprechend fliegen die<br />

meisten europäischen Zugvögel über Gibraltar oder den Bosporus nach Afrika,<br />

um so den Anteil des Fluges über Wasser zu reduzieren. Für manche<br />

nordamerikanischen Arten ist aber offensichtlich der Umweg ein größeres<br />

Problem als die Meeresüberquerung, da sie entweder von Kanada über das<br />

offene Meer nach Venezuela ziehen oder den Golf von Mexiko überqueren,<br />

anstatt dem Landweg über Mittelamerika zu folgen. Bei Rotaugenvireos<br />

(Vireo olivaceus) entscheiden Individuen konditionsabhängig, welche<br />

Route sie wählen (Sandberg u. Moore 1996).<br />

Auf der ultimaten Ebene bieten sich durch das Ausweichen auf gemäßigte<br />

oder tropische Winterquartiere dadurch Vorteile, dass das ganze<br />

Jahr über moderate Temperaturen herrschen und ausreichend Nahrung zur<br />

Verfügung steht. Die große Menge an Insekten, die im Sommer auf der<br />

Nordhalbkugel als Nahrung zur Verfügung steht, spielte möglicherweise<br />

bei der Evolution des Vogelzugs seit der letzten Eiszeit eine wichtige Rolle.<br />

Theoretisch könnte nämlich sowohl der saisonale Nahrungsmangel auf<br />

der Nordhalbkugel ein Grund für den Wegzug als auch ein saisonal üppiges<br />

Nahrungsangebot auf der Südhalbkugel ein Grund für den Zug dorthin<br />

sein. Da Kurzstreckenwanderungen auch bei tropischen Vögeln verbreitet<br />

sind, geht man heute davon aus, dass Zugvögel ursprünglich aus<br />

(sub-)tropischen Breiten kommen und temporär nach Norden gezogen<br />

sind, um sich in den längeren Tagen des Nordsommers fortzupflanzen<br />

(Alerstam et al. 2003).


132 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

(2) Proximate Kontrolle von Wanderungen. Der Beginn der Migration<br />

wird photoperiodisch ausgelöst und von einer Jahresuhr gesteuert. Schon<br />

im Vorfeld der Migration beginnen Zugvögel je nach Bedarf Fettreserven<br />

anzulegen, wobei neben der Photoperiode auch magnetische Information<br />

über den Aufenthaltsort diese Vorbereitung beeinflussen (Kullberg et al.<br />

2003). Sie zeigen außerdem eine motorische Hyperaktivität, die Zugunruhe,<br />

die durch anhaltendes Hüpfen, Flattern und Flügelschlagen im Sitzen<br />

charakterisiert ist. Diese einer circannualen Rhythmik unterliegenden<br />

verhaltensphysiologischen Prozesse deuten darauf hin, dass wesentliche<br />

Aspekte des Vogelzugs direkt genetisch gesteuert sind. In einer eindrucksvollen<br />

Serie von Kreuzungs- und Verhaltensexperimenten hat Peter Berthold<br />

die faszinierenden genetischen Grundlagen des Vogelzugs entschlüsselt<br />

(Zusammenfassung in Berthold 2000).<br />

Als geeignete Versuchstiere wählte er Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla),<br />

Garten- und Hausrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus bzw. P.<br />

ochruros), deren zahlreiche eurasischen Populationen sich als Standvögel,<br />

Teilzieher oder reine Zugvögel verhalten, wobei letztere unterschiedliche<br />

Zugstrecken und -richtungen aufweisen (Abb. 4.13). In Käfigen mit beweglichen<br />

Sitzstangen lässt sich über entsprechend angebrachte Mikroschalter<br />

die Zugunruhe elegant und genau quantifizieren. Informationen<br />

über die Zugwege und Brut- und Überwinterungsgebiete stammen vor allem<br />

von Beringungsstudien. In großen Schwärmen ziehende Arten lassen<br />

sich auch mit Radar verfolgen. An Vögel, die groß genug sind, können<br />

auch Telemetrie-Sender angebracht werden, die mit Satelliten verfolgt<br />

werden.<br />

Bei Messungen an Tausenden von Individuen konnte Berthold (2000)<br />

zeigen, dass Beginn, Dauer und Richtung der Zugunruhe art- und populationsspezifisch<br />

sind und eine genetische Basis haben. Die genetische In-<br />

Abb. 4.13. An Mönchsgrasmücken<br />

(Sylvia<br />

atricapilla) wurde die<br />

genetische Kontrolle<br />

des Vogelzugs erforscht


4.3 Orientierung im Raum 133<br />

Abb. 4.14. Genetische Kontrolle des Vogelzugs. Kreuzungsexperimente mit Teil-<br />

Populationen von Mönchsgrasmücken mit unterschiedlichem Zugverhalten ergaben,<br />

dass die F1-Generation intermediäre Zugaktivität hat<br />

formation wird dabei in einen Vektor übertragen, der ein Zeitprogramm<br />

und Richtungsinformationen, inklusive positionsabhängige Richtungsänderungen,<br />

enthält. Beide Komponenten dieses Vektors werden quantitativ<br />

vererbt. Das heißt, aus der Kreuzung von ziehenden und nicht-ziehenden<br />

Mönchsgrasmücken gehen Hybriden mit intermediärer Zugaktivität hervor.<br />

Genauso haben Hybriden aus Populationen mit unterschiedlichen<br />

Zugrichtungen eine intermediäre mittlere Zugrichtung (Abb. 4.14).<br />

Durch Selektionsexperimente an Teilziehern konnten auch wichtige<br />

Einblicke in die evolutionären Mechanismen des Vogelzugs erlangt werden.<br />

Bei Teilziehern wandert jährlich nur ein Teil der Population weg,<br />

während der andere Teil im Brutgebiet verbleibt. Durch direktionale Selektionsexperimente<br />

an teilziehenden Mönchsgrasmücken konnte nach nur<br />

drei Generationen eine ausschließlich zugaktive und nach sechs Generationen<br />

eine nicht mehr zugaktive Teil-Population gezüchtet werden.<br />

Da sich bei assortativen Verpaarungen (also z. B. Zieher mit Zieher)<br />

nicht nur der Anteil an Ziehern unter den Jungen, sondern auch (in diesem<br />

Fall) die Menge der Zugaktivität erhöht, handelt es sich um ein polygenes,<br />

quantitatives Merkmal, dessen Erblichkeit bei etwa 0,4 liegt (Pulido et al.<br />

2001). Aufgrund dieser beachtlichen Erblichkeit und der phänotypischen<br />

Variation der beteiligten Merkmale existiert ein hohes Selektionspotential,<br />

das über evolutionäre Zeiträume rasche Anpassungen an sich verändernde<br />

Umweltbedingungen möglich macht. In diesem Zusammenhang sind auch<br />

aktuelle Ausweitungen der Verbreitungsgebiete mancher afrikanischer Arten<br />

wie Bienenfresser nach Mitteleuropa im Rahmen der globalen Erwärmung<br />

erklärbar. Dieses große Selektionspotential haben Mönchsgrasmücken<br />

auch unter natürlichen Bedingungen gezeigt. Seit knapp 40 Jahren<br />

überwintert ein Teil der mitteleuropäischen Mönchsgrasmücken nicht<br />

mehr im Mittelmeerraum, sondern auf den Britischen Inseln (Bearhop<br />

et al. 2005). Kreuzungsexperimente zeigten, dass diese neue Zugrichtung


134 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

ebenfalls vererbt wird (Berthold et al. 1992). Wie entsprechende Untersuchungen<br />

an Rauchschwalben (Hirundo rustica) gezeigt haben, wird auch<br />

der Zeitpunkt der Wanderungen genetisch kontrolliert (Møller 2001).<br />

(3) Wanderungen bei anderen Taxa. Auch unter Säugetieren gibt es eine<br />

Reihe von beachtlichen Beispielen für Wanderungen. Manche Fledermausarten<br />

ziehen genauso weit wie manche Zugvögel, um den Winter in<br />

wärmeren Gefilden oder besonders geeigneten Winterquartieren zu verbringen<br />

(Holland 2007). Auch bei terrestrischen Säugetierarten gibt es ausgedehnte<br />

Wanderungen, obwohl sie sich natürlich nicht so leicht und weit<br />

fortbewegen können wie Vögel und Fledermäuse. Sowohl arktische Karibus<br />

als auch Gnus, Zebras und verschiedene Gazellen der Serengeti wandern<br />

regelmäßig mehrere hundert Kilometer zwischen saisonal verfügbaren<br />

Weidegründen. Auch unter Walen sind lange saisonale Wanderungen<br />

weit verbreitet, wobei sie warme Gewässer aufsuchen, um ihre Jungen zu<br />

gebären.<br />

Unter den Reptilien sind vor allem die langen Wanderungen der Meeresschildkröten<br />

gut untersucht. Wanderungen bei Amphibien sind weniger<br />

spektakulär, aber bei den jährlichen „Krötenwanderungen“ kehren diese<br />

über mehrere Kilometer an das Gewässer zur Paarung zurück, an dem sie<br />

selbst geschlüpft sind. Bei Fischen sind am besten die Wanderungen der<br />

pazifischen Lachse (Oncorhynchus spp.) untersucht, die sich nach 2–3 Jahren<br />

im offenen Meer vermutlich per Sonnenkompass Richtung Küste orientieren<br />

und dann am Geruch den Fluss und Bach identifizieren, aus dem<br />

sie stammen und in dem sie selber ablaichen, bevor sie sterben. Auch die<br />

in europäischen und nordamerikanischen Flüssen heimischen Aale (Anguilla<br />

rostrata) wandern jedes Jahr zur Paarung in die Sargasso-See im westlichen<br />

Atlantik.<br />

Manche Insekten wandern ebenfalls, zumeist in riesigen Schwärmen,<br />

über größere Entfernungen (Holland et al. 2006). Eine der faszinierendsten<br />

Wanderleistungen überhaupt findet sich schließlich beim Monarchfalter<br />

(Danaus plexippus). Ein Großteil der nordamerikanischen Population<br />

dieser Schmetterlinge überwintert in einem wenige Hektar großen Waldgebiet<br />

in Mexiko, wo sie mehrere Monate in einer Ruhestarre verbringen<br />

(Abb. 4.15). Sie verpaaren sich kurz vor der Rückreise und durchlaufen<br />

während eines Sommers drei bis fünf Generationen. Die letzte Generation<br />

eines Jahres, also völlig naive Individuen, bewältigt dann wieder die Wanderung<br />

nach Mexiko. Da Monarchfalter unter allen Wetterbedingungen<br />

gerichtet ziehen, haben sie wahrscheinlich einen Sonnen- und einen Magnetkompass.<br />

Das heißt, sämtliche Mechanismen für eine erfolgreiche Wanderung,<br />

aber auch alle Informationen über das Zielgebiet müssen in ihrem<br />

vergleichsweise einfachen Nervensystem genetisch verankert sein. Andere


4.4 Zusammenfassung 135<br />

Abb. 4.15. Überwinternde Monarchfalter (Danaus plexippus)<br />

Insekten werden dagegen zumeist nur passiv vom Wind über größere Entfernungen<br />

verfrachtet; Wanderheuschrecken (Schistocerca gregaria) werden<br />

sogar gelegentlich von Nordafrika bis in die Karibik und nach Südamerika<br />

verfrachtet (Rosenberg u. Burt 1999)!<br />

4.4 Zusammenfassung<br />

Erfolgreiches tagtägliches Überleben basiert zu einem Großteil darauf,<br />

dass sich Tiere in ihrem Lebensraum zeitlich und räumlich orientieren.<br />

Praktisch alle bekannten Sinnesmodalitäten werden dazu<br />

eingesetzt, entsprechende Informationen aus der Umwelt aufzunehmen.<br />

Das Studium der Orientierungsleistungen hat daher eine starke<br />

sinnesphysiologische Komponente und ist größtenteils auf proximate<br />

Fragen konzentriert. Zur Orientierung in der Zeit besitzen sehr viele<br />

Tiere eine innere circadiane Uhr, die wichtige tagesrhythmische Körperfunktionen<br />

koordiniert sowie die Aktivität des betreffenden Organismus<br />

in Bezug auf den Wechsel zwischen Tag und Nacht steuert.<br />

Bei Tieren, die den Regelmäßigkeiten des Gezeitenwechsels, der<br />

Mondphasen oder der Jahreszeiten ausgesetzt sind, finden sich zusätzliche<br />

innere Uhren mit entsprechender Periodenlänge. Die proximaten<br />

Grundlagen dieser Uhren bis hin zur genetischen Basis sind teilweise<br />

erforscht. Für die Orientierung im Raum existieren zahlreiche Mechanismen,<br />

die sich mit Hilfe einfacher Regelkreise direkt an einem Reiz


136 4 Orientierung in Zeit und Raum<br />

ausrichten. Dabei werden eine Reihe von Kinesen und Taxien unterschieden,<br />

die vor allem bei der Nahorientierung bedeutsam sind. Für<br />

räumliche Orientierung über größere Distanzen ist die Fähigkeit, mit<br />

Hilfe einer Karte und eines Kompasses zu navigieren, notwendig. Der<br />

Sonnenkompass ist dabei am weitesten verbreitet; es kommen aber<br />

auch regelmäßig Magnet- und Sternenkompass zum Einsatz. Sie liefern<br />

die Grundlage für den Erfolg der Wanderungen, zum Teil über<br />

Tausende von Kilometern, die von Zugvögeln, aber auch vielen anderen<br />

Wirbeltieren und manchen Wirbellosen, durchgeführt werden.<br />

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5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

5.1 Habitatwahl und Einnischung<br />

5.1.1 Bedeutung der Habitatwahl<br />

5.1.2 Mechanismen der Habitatwahl<br />

5.2 Nahrungssuche<br />

5.2.1 Determinanten des Fressverhaltens<br />

5.2.2 Mechanismen der Nahrungssuche<br />

5.3 Nahrungswahl<br />

5.3.1 Optimale Nahrungswahl<br />

5.3.2 Nahrungsqualität<br />

5.4 Nahrungskonkurrenz<br />

5.4.1 Ultimate Aspekte<br />

5.4.2 Formen und Ursachen von Nahrungskonkurrenz<br />

5.4.3 Ideal freie Verteilung<br />

5.5 Territorialität<br />

5.5.1 Ursachen von Territorialität<br />

5.5.2 Ökonomie von Territorialität<br />

5.5.3 Mechanismen der Territorialität<br />

5.6 Tier-Pflanze Interaktionen<br />

5.6.1 Evolution von Herbivorie<br />

5.6.2 Tier-Pflanze Mutualismus<br />

5.7 Zusammenfassung<br />

Jedes Tier muss regelmäßig Nahrung zu sich nehmen, um die energetischen<br />

Grundlagen für Wachstum, Aufrechterhaltung der Grundfunktionen<br />

und Reproduktion zu gewährleisten. Daher kommt der Suche, Auswahl,<br />

Verteidigung und Aufnahme von Nahrung im Verhaltensrepertoire<br />

der meisten Arten eine wichtige Funktion beim tagtäglichen Überleben zu.<br />

Dabei muss ein Individuum zunächst ein geeignetes Habitat wählen und<br />

darin nach Futter suchen. Bei der Wahl des Futterplatzes muss dabei das<br />

Prädationsrisiko einerseits und die Intensität der Nahrungskonkurrenz<br />

durch Artgenossen andererseits berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang<br />

muss ein Tier auch entscheiden, ob es seine Nahrungsressourcen


146 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

gegebenenfalls gegen Konkurrenten verteidigt. Wenn ein geeigneter Futterplatz<br />

gefunden ist, stellt sich die Frage, wie lange dieser genutzt werden<br />

sollte, bevor ein neuer gesucht wird. Beim Fressen an einer Stelle muss ein<br />

Tier außerdem entscheiden, welche der verfügbaren Nahrungseinheiten es<br />

auswählt und tatsächlich nutzt. In diesem Zusammenhang kommt es zu<br />

zahlreichen Interaktionen zwischen Tieren und Pflanzen, mit weit reichenden<br />

evolutiven Konsequenzen. Ob eine Art selbst als Räuber und/oder<br />

Beute in der Nahrungspyramide agiert, hat zudem eine Vielzahl von Konsequenzen<br />

für ihr jeweiliges Sozialverhalten ( Kap. 6.3).<br />

5.1 Habitatwahl und Einnischung<br />

Individuen verschiedener Arten sind nicht gleichmäßig oder zufällig über<br />

die verfügbaren Lebensräume verteilt. Nur die wenigsten Arten haben eine<br />

globale Verbreitung; die allermeisten Arten besitzen ein umschriebenes<br />

Verbreitungsgebiet mit einem dominierenden Habitattyp (Tundra, Savanne,<br />

Regenwald etc.). Innerhalb des Verbreitungsgebietes einer Art kann es<br />

auch auf kleinem räumlichen Maßstab Heterogenität in Bezug auf Vegeta-<br />

Abb. 5.1. Auf mehreren hierarchischen Ebenen gibt es Heterogenität in potentiellen<br />

Lebensräumen. Jede Art muss sich in diesem Mosaik ein für sie geeignetes<br />

Habitat auswählen


5.1 Habitatwahl und Einnischung 147<br />

tionstyp (z. B. Laub- oder Nadelwald, Wiese), Nahrungsverfügbarkeit,<br />

Feuchtigkeit und Temperatur sowie Anzahl und Qualität von Schutz- und<br />

Nistplätzen, welche die Wahl des Lebensraums von Tieren beeinflussen<br />

(Abb. 5.1). Die Einnischung in ein bestimmtes dieser multidimensionalen<br />

Habitate kann sehr eng oder sehr breit sein, je nachdem wie speziell die<br />

artspezifischen Anforderungen an Überleben oder Fortpflanzung sind. In<br />

Bezug auf Habitatpräferenzen gibt es daher ein weites Spektrum von<br />

engen Spezialisten bis hin zu breiten Generalisten.<br />

Spezifische Habitatansprüche werden im alltäglichen Leben immer<br />

dann deutlich, wenn bestimmte Habitate zerstört werden und die daran angepassten<br />

Arten (lokal) aussterben. Wenn zum Beispiel Feuchtgebiete<br />

trockengelegt werden, haben auf den so erzeugten Agrarflächen diejenigen<br />

Arten keine Lebensgrundlage mehr, die in Bezug auf Nahrung oder Fortpflanzung<br />

auf Feuchtgebiete angewiesenen sind. Habitatverlust hat weitreichende<br />

ökologische und genetische Konsequenzen (Sih et al. 2000).<br />

Selbst wenn Habitate „nur“ fragmentiert werden, hat dies nachhaltige Konsequenzen<br />

für die lokale Diversität (Lens et al. 2002), da durch den Wegfall<br />

einzelner Arten über die Störung ihrer Beziehungen mit anderen Arten<br />

in ihrer Funktion als Räuber, Beute oder Wirt die gesamte Gemeinschaft<br />

destabilisiert werden kann (Schneider 2001, McCallum u. Dobson 2002).<br />

Untersuchungen verschiedener Aspekte der Habitatwahl haben daher auch<br />

im angewandten Bereich der Naturschutzplanung und -biologie eine wichtige<br />

praktische Bedeutung.<br />

5.1.1 Bedeutung der Habitatwahl<br />

Die Wahl eines bestimmten Habitats hat Konsequenzen für den Überlebens-<br />

und Fortpflanzungserfolg der betreffenden Individuen, die zu lokalen<br />

Unterschieden in der Genhäufigkeit führen können. Die Wahl eines<br />

bestimmten Habitats wirkt sich in Form von phänotypischer Plastizität auf<br />

die Ausprägung verschiedener Life history-Variablen aus ( Kap. 2.3). Individuen,<br />

die in qualitativ besseren Habitaten innerhalb des Verbreitungsgebietes<br />

vorkommen, können zum Beispiel schneller wachsen und früher<br />

geschlechtsreif werden sowie mehr oder häufiger Nachwuchs produzieren<br />

und so zur relativen Zunahme bestimmter Gene beitragen (Smith u. Skulason<br />

1996). Habitatwahl kann daher sogar ein Faktor bei der Artbildung<br />

werden, wie z. B. bei Finken auf Galapagos (Certhidea olivacea und C.<br />

fusca: Tonnis et al. 2005) oder adriatischen Mauereidechsen (Podarcis<br />

melisellensis: Herrel et al. 2008). Über evolutionäre Zeiträume beeinflusst<br />

diese Variabilität auch die Interaktionen zwischen Arten und letztendlich<br />

die Struktur ihrer Gemeinschaften (Agrawal 2001).


148 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Abb. 5.2. Qualitätsunterschiede in verfügbaren Habitatsbereichen einer Art führen<br />

dazu, dass in guten Bereichen das Populationswachstum (Rekrutierung) größer ist<br />

als die Mortalitätsraten; in schlechten Habitaten ist es umgekehrt. Dadurch kommt<br />

es zu einer Netto-Zunahme bzw. Abnahme der Populationsgröße. Wenn zwischen<br />

guten und schlechten Habitaten ein Austausch von Individuen stattfindet, fungiert<br />

das gute Habitat als source und das schlechte als sink<br />

Diese funktionale Verknüpfung zwischen Ökologie und Life history äußert<br />

sich bei stark ausgeprägter Heterogenität zwischen Lebensräumen in<br />

der Unterscheidung zwischen source- und sink-Habitaten (Dias 1996).<br />

Manche Habitate bieten dabei für eine Art sehr viel bessere Bedingungen<br />

für erfolgreiches Überleben und Reproduzieren, so dass sie eine Quelle<br />

(source) für die Besiedelung qualitativ schlechterer Gebiete (sink) darstellen,<br />

in denen entweder kein Populationswachstum stattfindet oder es sogar<br />

zum lokalen Aussterben der betroffenen Art kommt (Abb. 5.2; Kirkpatrick<br />

u. Barton 1997). Pfeifhasen (Ochotona princeps), die an der Schneegrenze<br />

in den Rocky Mountains leben, haben beispielsweise in Populationen auf<br />

tiefer gelegenen alpinen Wiesen höhere Geburts- und geringere Sterberaten<br />

als im Bereich der höher gelegenen Schneewiesen. Dementsprechend findet<br />

ein Netto-Austausch von Individuen vom produktiveren Wiesenhabitat<br />

in höhere Regionen statt (Kreuzer u. Huntly 2003).<br />

5.1.2 Mechanismen der Habitatwahl<br />

Die Wahl eines Habitats wird durch mehrere Mechanismen bewerkstelligt.<br />

Die Existenz von Habitatpräferenzen lässt sich oft nur schwierig oder indirekt<br />

nachweisen, da es in einem Gebiet in der Regel mehrere (oft nahverwandte)<br />

Arten mit ähnlichen Habitatansprüchen gibt. Manche Arten kön-


5.1 Habitatwahl und Einnischung 149<br />

nen daher durch zwischenartliche Konkurrenz aus dem von ihnen eigentlich<br />

bevorzugten Habitat verdrängt werden. Neben Konkurrenten um Nahrung<br />

oder andere wichtige Ressourcen können auch Räuber oder Parasiten<br />

zu einer Abweichung der Verbreitung einer Art im Vergleich zu ihrer eigentlichen<br />

Habitatpräferenz führen.<br />

Ein grundlegendes Paradigma der Ökologie besagt, dass sympatrische<br />

Arten mit identischen Habitatansprüchen nicht koexistieren können und<br />

es daher aufgrund der Konkurrenz zwischen Arten zu einer ökologischen<br />

Segregation in Bezug auf mindestens eine Habitatdimension kommt<br />

(Abb. 5.3). Ob diese Prozesse auf Ökosystemebene stochastisch oder deterministisch<br />

ablaufen und ob daher die lokale Artenzusammensetzung stabil<br />

ist oder immer nur eine zufällige Momentaufnahme darstellt, ist eine der<br />

zentralen Fragen der aktuellen Ökosystem- und Biodiversitätsforschung<br />

(Loreau et al. 2001). Neben der Heterogenität der Umwelt (Rainey u. Travisano<br />

1998) ist auch die Konkurrenz zwischen Arten eine treibende evolutionäre<br />

Kraft bei der Ausbildung von adaptiven Radiationen und den damit<br />

assoziierten Spezialisierungen (Schluter 2000). Bekanntestes Beispiel sind<br />

die Darwin-Finken auf Galapagos, denen die Modifikation ihrer Schnäbel<br />

eine feine Nischentrennung ermöglicht hat (Grant u. Grant 2002).<br />

Korrelative Untersuchungen zwischen Habitatvariablen und Besiedlungsdichte<br />

in freier Natur sowie Wahl- oder Präferenztests unter kontrollierten<br />

Bedingungen können Habitatpräferenzen und Nischentrennung nur<br />

bedingt nachweisen, da immer die Möglichkeit besteht, dass eine entscheidende<br />

Variable nicht berücksichtigt wurde oder dass sie sich im Labor<br />

nicht replizieren lässt. Wenn einfache Gemeinschaften betrachtet werden,<br />

Abb. 5.3a–c. Koexistenz und Konkurrenz zwischen Arten. Experimente mit<br />

Diatomen (Tilman et al. 1981) haben ein Paradigma der Ökologie demonstriert:<br />

a Wenn eine Art (rot) in einem Medium heranwächst, erreicht sie nach einer bestimmten<br />

Zeit eine stabile Dichte; b dasselbe gilt für eine zweite Art (blau).<br />

c Wenn allerdings beide Arten zusammen gehalten werden und um dieselben<br />

Nährstoffe konkurrieren, setzt sich eine Art (in diesem Fall rot) durch und verdrängt<br />

den Konkurrenten


150 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

wie zum Beispiel relativ wenige sympatrische Primatenarten (Ganzhorn<br />

1989), übersichtliche Gemeinschaften von Finkenvögeln (Grant u. Grant<br />

2002) oder experimentelle Bakteriengemeinschaften (Travisano u. Rainey<br />

2000), ist dies allerdings meist einfacher und Erfolg versprechender als<br />

wenn Hunderte von ökologisch ähnlichen Insektenarten auf einem einzigen<br />

Baum verglichen werden (z. B. Floren u. Linsenmair 1998).<br />

Auch innerartliche Konkurrenz kann zur Besetzung unterschiedlicher<br />

Nischen führen. Drosophila melanogaster mit unterschiedlichen experimentell<br />

manipulierten Wettbewerbsfähigkeiten weichen beispielsweise unter<br />

starker innerartlicher Konkurrenz auf eine neue Ressource aus, wodurch<br />

ihre Nische insgesamt vergrößert wird (Bolnick 2001). Dieser<br />

Verdrängungseffekt lässt sich auch bei Zugvögeln beobachten, die nach<br />

und nach aus ihrem Überwinterungsgebiet zurückkehren und zuerst die<br />

besten Territorien besetzen, wobei es zwischen und innerhalb von Arten zu<br />

Konkurrenz kommt (Bourski u. Forstmeier 2000). In einem heterogenen<br />

Habitat werden die für eine Art optimalen Bereiche häufig zuerst besiedelt;<br />

wenn diese Bereiche gesättigt sind, weichen andere Individuen auf suboptimale<br />

Bereiche aus (Abb. 5.4). Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla)<br />

haben beispielsweise eine Präferenz für wassernahe Laubwälder, finden<br />

sich aber auch in benachbarten Mischwäldern ohne Gewässer. In beiden<br />

Abb. 5.4. Habitatqualität und innerartliche Konkurrenz. Wenn es Heterogenität in<br />

der Habitatqualität gibt (hier seien „gelbe“ Habitate besser als „orange“ und diese<br />

wiederum besser als „grüne“), können Tiere, die durch innerartliche Konkurrenz<br />

verdrängt werden, ihren Zugang zu einer bestimmten Menge an Ressourcen dadurch<br />

konstant halten, dass sie die Größe ihrer Territorien mit abnehmender Habitatqualität<br />

vergrößern. Im „grünen“ Habitat sind Territorien (Rechtecke) dementsprechend<br />

größer als in den beiden besseren Habitaten


5.1 Habitatwahl und Einnischung 151<br />

Habitaten haben diese Vögel aber denselben durchschnittlichen Fortpflanzungserfolg,<br />

offenbar weil in den Laubwäldern ihre Dichte ungefähr viermal<br />

höher ist (Weidinger 2000).<br />

Neben direkter Konkurrenz kann Information über die Habitatqualität in<br />

Bezug auf die Anzahl von zu erwartenden Konkurrenten (Doligez et al.<br />

2002) die Entscheidung für ein bestimmtes Mikrohabitat genauso beeinflussen<br />

wie der durchschnittliche Verwandtschaftsgrad zwischen Konkurrenten<br />

(Morris et al. 2001). Die der Habitatwahl zugrunde liegende<br />

Entscheidung lässt sich unter Berücksichtigung dieser Faktoren mit spieltheoretischen<br />

Ansätzen modellieren, da die Entscheidung eines Individuums<br />

auch vom Verhalten seiner Artgenossen abhängt (Kokko 1999).<br />

Ein dritter wichtiger ökologischer Mechanismus der Habitatwahl stellt<br />

die Reaktion auf das wahrgenommenen Prädationsrisiko dar (Lima u.<br />

Dill 1990). Die Diversität und Dichte potentieller Räuber wird von Beutetieren<br />

offenbar mit der Nahrungsverfügbarkeit oder der Qualität anderer<br />

wichtiger Ressourcen in einem Gebiet verrechnet. So suchen sich Unglückshäher<br />

(Perisoreus infaustus), denen in der Nähe ihrer Nester regelmäßig<br />

Vokalisationen ihrer Nesträuber (Krähen, Corvus) vorgespielt wurden,<br />

neue, besser geschützte Nistplätze (Eggers et al. 2006). Wenn man<br />

umgekehrt Räuber experimentell aus einem Gebiet entfernt oder fernhält,<br />

verändert sich die Mikrohabitatnutzung ihrer Beute (Strauß et al. 2008).<br />

Selektion auf die Wahl eines möglichst optimalen Habitats ist offensichtlich<br />

so stark, dass sich im Laufe der Evolution Lern- und Prägungs-<br />

Abb. 5.5. Angeborene und erlernte Habitatpräferenzen. Aus der freien Wildbahn<br />

in entsprechende Volieren verfrachtete Schwirrammern haben eine klare Präferenz<br />

für Kiefernzweige. Naive, d. h. in leeren Volieren von Hand aufgezogene Tiere<br />

haben im Alter von zwei Monaten ebenfalls eine spontane Präferenz für Kiefern.<br />

Diese Präferenz kann durch Aufzucht in einer reinen „Eichen-Umwelt“ aber teilweise<br />

modifiziert werden (Klopfer 1963)


152 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

muster ( Kap. 10.5) entwickelt haben, die das Finden von und die Anpassung<br />

an bestimmte Habitattypen auf der proximaten Ebene erleichtern<br />

(Partridge 1981). Dadurch, dass Individuen in einem optimalen Habitat<br />

eine größere Fitness erzielen, werden existierende erbliche Grundlagen ihrer<br />

Habitatpräferenz positiv selektiert und die zugrunde liegenden Verhaltensmechanismen<br />

der Habitatwahl genetisch verankert. Schwirrammern<br />

(Spizella passerina) kommen zum Beispiel in nordamerikanischen Kiefernwäldern<br />

vor und verbringen in Volieren mit Kiefern- und Eichenästen<br />

Box 5.1<br />

Erfahrung und Habitatwahl<br />

• Frage: Haben abwandernde Pinselmäuse (Peromyscus boylii) eine Präferenz<br />

für den Typ des Habitats, in dem sie aufgewachsen sind?<br />

• Hintergrund: Wenn das Habitat, in dem Jungtiere aufwachsen, einen Einfluss<br />

auf den Habitattyp hat, in dem sie sich nach der Abwanderung aus ihrem<br />

Geburtsgebiet ( Kap. 11.1) niederlassen, sollte dieser Habitattyp<br />

überzufällig gewählt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass verschiedene<br />

Habitattypen zur Auswahl stehen.<br />

• Methode: 18 junge Pinselmäuse wurden vor der Abwanderung in ihrem<br />

Geburtsgebiet gefangen, besendert und verfolgt, bis sie sich im neuen Gebiet<br />

niedergelassen hatten. Für jedes Tier wurde der Anteil von Busch-<br />

(weiß) bzw. Waldhabitat (grau) in ihrem Geburtsgebiet bestimmt.<br />

• Ergebnis: Tiere ließen sich signifikant häufiger in dem Habitattyp nieder,<br />

der ihrem Geburtshabitat ähnlich war, als dies aufgrund der jeweiligen<br />

Habitatverfügbarkeit zu erwarten wäre*.<br />

• Schlussfolgerung: Die Erfahrung früh im Leben beeinflusst individuelle<br />

Habitatpräferenzen maßgeblich.<br />

Mabry u. Stamps 2008<br />

* In einer logistischen Regression wurde die Wahl des natalen Habitattyps jedes Individuums<br />

mit „1“, die des nicht-natalen Habitattyps mit „0“ (rechte Ordinate) bewertet


5.2 Nahrungssuche 153<br />

deutlich mehr Zeit auf den Kiefern (Klopfer 1963). In leeren Käfigen von<br />

Hand aufgezogene Junge haben nach zwei Monaten eine ähnlich starke<br />

Präferenz für Kiefernzweige, was auf eine genetische Grundlage dieser<br />

Präferenz hinweist. Bei Jungtieren, die in Käfigen aufwuchsen, die nur mit<br />

Eichenzweigen ausgestattet waren, war im Alter von zwei Monaten keine<br />

klare Präferenz zu erkennen (Abb. 5.5). Die genetisch angelegte Grundpräferenz<br />

für ein Habitat kann daher durch frühe Erfahrung modifiziert werden<br />

(Davis u. Stamps 2004; Box 5.1). Inwieweit diese Mechanismen den<br />

Erfolg von Wiederauswilderungsprogrammen von in Gefangenschaft aufgezogenen<br />

bedrohten Arten beschränken, bleibt abzuwarten (Wallace<br />

2000).<br />

5.2 Nahrungssuche<br />

Wenn ein Individuum ein Habitat ausgewählt hat, muss es geeignete Nahrung<br />

suchen, auswählen, bearbeiten und schließlich fressen. Sollte es dann<br />

im selben Gebiet noch weiter Nahrung suchen oder ist es besser, damit an<br />

anderer Stelle fortzufahren? Wie lange und mit welcher Strategie soll es an<br />

verschiedenen Orten suchen? Da alle diese Schritte und Entscheidungen<br />

mit Investitionen an Zeit und Energie verbunden sind, sollten Tiere im<br />

Laufe der Evolution Strategien entwickelt haben, die es ihnen erlauben,<br />

möglichst effizient an die von ihnen benötigte Nahrung zu gelangen. Welche<br />

Faktoren dabei maximiert werden, wird von der Optimal-foraging-<br />

Theorie beschrieben.<br />

Die Optimal-foraging-Theorie basiert auf einer Reihe von Annahmen<br />

über (1) verschiedene Zwänge, denen ein Nahrung suchendes Tier unterliegt,<br />

(2) Entscheidungen, die ein Tier treffen kann, (3) Variablen, die dabei<br />

optimiert werden, und (4) die Kontrolle der entsprechenden Verhaltensweisen<br />

(Charnov 1976; Perry u. Pianka 1997). So geht diese Theorie<br />

unter anderem davon aus, dass ein Tier über komplette Information über<br />

seine Nahrungsverteilung verfügt, dass die Nahrungswahl durch keine anderen<br />

Faktoren eingeschränkt ist und dass alle an der Nahrungssuche und<br />

-auswahl beteiligten Verhaltensweisen angeboren sind und unabhängig<br />

evoluieren. Da manche dieser Annahmen nie überprüft wurden, unrealistisch<br />

sind oder grundsätzlich in Frage gestellt wurden (Pierce u. Ollason<br />

1987), hat sich dieser Ansatz zur Erklärung des Fouragier- und Fressverhaltens<br />

nie vollständig durchgesetzt, obwohl zahlreiche theoretische und<br />

empirische Arbeiten dazu angefertigt wurden (Pyke 1984). Andererseits<br />

hat dieser Ansatz Erklärungsprinzipien für zahlreiche Phänomene auch außerhalb<br />

des Fressverhaltens geliefert ( Kap. 1.4).


154 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

5.2.1 Determinanten des Fressverhaltens<br />

Um zu verstehen, wer warum was frisst, kann das Verhalten von Tieren<br />

auf mehreren Ebenen analysiert werden. Das ökologische Konzept der<br />

Nahrungspyramide erklärt dabei die beobachtete Diversität in der Nahrung<br />

von Tieren in den allergröbsten Zügen. Da bei jedem Transfer von<br />

Energie zwischen trophischen Ebenen Energie verloren geht (2. Gesetz der<br />

Thermodynamik), gibt es in einer Nahrungspyramide nur wenige Ebenen.<br />

Beim ersten Transfer von Lichtenergie in Zucker gehen bei der Photosynthese<br />

bereits 98% der ursprünglichen Energie verloren. Die in Pflanzen gespeicherte<br />

Energie, bei deren Verwertung wieder ca. 90% der Energie verloren<br />

geht, wird von Herbivoren genutzt, welche die große Mehrzahl der<br />

Tierarten darstellen. An der Spitze der Nahrungspyramide befinden sich<br />

Karnivoren, die andere Tiere erbeuten und dabei auch nur ca. 15% der verfügbaren<br />

Energie ausnutzen. Die restliche Energie geht als Wärme verloren<br />

oder wird von Bakterien und Pilzen umgesetzt. Aufgrund dieser übergeordneten<br />

Zusammenhänge sind die meisten Tierarten Herbivoren; das<br />

Fressen von tierischer Nahrung ist dagegen einer Minderheit vorbehalten.<br />

Die Stabilität der resultierenden Nahrungsnetze hängt vor allem von der<br />

Anzahl und Stärke der Beziehungen zwischen trophisch benachbarten<br />

Arten ab (Neutel et al. 2002).<br />

Innerhalb dieser Kategorien gibt es große Variabilität zwischen Arten,<br />

aber zum Teil auch zwischen Individuen einer Art, in Bezug auf die Diversität<br />

und Determinanten der Nahrungszusammensetzung. Diese Variabilität<br />

ist auf eine Vielzahl externer, interner und historischer Faktoren<br />

zurückzuführen. So beeinflussen Nahrungsverfügbarkeit sowie ihre Bearbeitungszeit,<br />

Prädationsdruck, Nahrungskonkurrenz und Aspekte der Habitatstruktur<br />

(z. B. Verfügbarkeit von Warten für Ansitzjäger), wer wo nach<br />

Nahrung sucht. Was dort tatsächlich gefressen wird, hängt vom aktuellen<br />

Hungerzustand, von individuellen Erfahrungen und Vorlieben, Geschlecht<br />

und Fortpflanzungszustand sowie vom Nährwert und anderen Inhaltsstoffen<br />

der Nahrung ab. Schließlich gibt es übergeordnete Zwänge des<br />

Bauplans, wie sensorische Ausstattung, morphologische Spezialisierungen<br />

oder physiologische Beschränkungen (z. B. maximale Jagdgeschwindigkeit),<br />

die den Speiseplan eines Individuums mitbestimmen.<br />

Je nach Art der Nahrungszusammensetzung kann man ein Tier in zweierlei<br />

Hinsicht charakterisieren. Basierend darauf, was es frisst, kann man<br />

Herbivoren, Karnivoren und Omnivoren unterscheiden. Je nachdem,<br />

wie viele verschiedene Typen innerhalb einer Nahrungsklasse gefressen<br />

werden, kann man Nahrungsspezialisten und -generalisten unterscheiden.<br />

Nahrungsspezialisten sind auf wenige oder im Extremfall nur eine Art<br />

von Nahrung fixiert und angewiesen. Viele herbivore Insekten haben zum


5.2 Nahrungssuche 155<br />

Beispiel nur eine Wirtspflanzenart. So ernähren sich Raupen des Monarchfalters<br />

(Danaus plexippus) ausschließlich von Blättern von Wolfsmilchgewächsen<br />

(Asclepias spp., Mattila u. Otis 2003). Ein potentieller Vorteil hoher<br />

Spezialisierung besteht darin, dass Nahrungsquellen mehr oder<br />

weniger exklusiv genutzt werden können. Spezialisten könnten, im Vergleich<br />

zu Generalisten, die dieselbe Ressource nutzen, auch einen Vorteil<br />

aus effizienterer Nutzung beziehen. In einem Experiment, bei dem spezialisierten<br />

Falterfischen (Chaetodon spp.) bevorzugte und nicht bevorzugte<br />

Korallen als Nahrung angeboten wurden, zeigten sich aber keine Unterschiede<br />

in der Effizienz der Nahrungsnutzung (Berumen u. Pratchett<br />

2008).<br />

Andere Tiere nutzen dagegen ein sehr viel breiteres Spektrum an Nahrungsbestandteilen<br />

und werden als Nahrungsgeneralisten bezeichnet. Ihre<br />

Flexibilität ist in saisonalen Habitaten mit wechselndem Nahrungsangebot<br />

vorteilhaft, wo sie sich zu verschiedenen Jahreszeiten auf die jeweils häufigste<br />

oder profitable Nahrung konzentrieren können (Deus u. Petrere-<br />

Junior 2003). Dabei leben Generalisten mit einem höheren Risiko, bei unbekanntem<br />

Futter auf Nahrung mit giftigen Inhaltsstoffen zu stoßen (Noble<br />

et al. 2001). Auf der ökologischen Ebene ist die Häufigkeit von Generalisten<br />

umgekehrt mit der Produktivität eines Habitats korreliert; wenn es generell<br />

weniger zu fressen gibt, ist es offenbar vorteilhaft, alle möglichen<br />

Nahrungen mit in den Speiseplan aufzunehmen. So haben Vögel auf Inseln,<br />

wo es aufgrund der begrenzten Fläche ein reduziertes Nahrungsangebot<br />

gibt, eine breitere Nahrungsnische als ihre Artgenossen auf dem<br />

Festland (Scott et al. 2003). Allerdings ist dabei unklar, ob die Diversität<br />

oder Quantität des Nahrungsangebots oder gar die fehlenden Konkurrenten<br />

für dieses Muster verantwortlich sind.<br />

5.2.2 Mechanismen der Nahrungssuche<br />

Der erste Schritt bei der Nahrungsaufnahme besteht bei den meisten Tieren<br />

in der Suche bzw. dem Finden von geeigneter Nahrung. Hierbei spielen<br />

auf der proximaten Ebene artspezifische sensorische Fähigkeiten eine<br />

herausragende Rolle ( Kap. 4.1). Viele Wirbellose, Amphibien, Reptilien,<br />

Vögel und Säugetiere lokalisieren und identifizieren ihre wichtigsten<br />

Nahrungsbestandteile visuell. Manche jagende Tiere, wie Eulen, Fledermäuse,<br />

Delfine sowie einige Primaten, verlassen sich dagegen hauptsächlich<br />

auf ihren akustischen Sinn (Goerlitz u. Siemers 2007). Der olfaktorische<br />

Sinn stellt für viele Wasser bewohnende und nachtaktive Tiere die<br />

wichtigste Sinnesmodalität bei der Nahrungssuche dar. Schließlich gibt es<br />

auch noch spezielle Anpassungen, wie die Lorenzinischen Ampullen der<br />

Haie zur Detektion von elektrischen Potentialen, die Infrarot-Detektoren


156 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

von manchen Schlangen oder den kombinierten Tast- und Geschmacksapparat<br />

der Sternmulle (Condylura cristata, Catania u. Remple 2005), die<br />

zeigen, dass im Tierreich fast alle Sinne zur Nahrungssuche eingesetzt<br />

werden können (Dusenbery 1992).<br />

(1) Kognitive Aspekte. Wenn sich eine Nahrungsquelle erneuert und ein<br />

Individuum verlässlich Zugang zu ihr hat, d. h. es keine oder wenig<br />

zwischenzeitliche Nutzung durch andere gibt, können diese Orte mit Hilfe<br />

von Gedächtnisleistungen wiederholt aufgesucht werden. In diesem Fall<br />

stellt sich die Frage nach der optimalen Wiederkehrzeit, also wie schnell<br />

ein Individuum wieder an eine bestimmte Nahrungsquelle zurückkehren<br />

sollte. Auch Blüten besuchende Insekten sehen sich einem vergleichbaren<br />

Problem gegenüber. Sie konzentrieren sich unter den Blüten unterschiedlicher<br />

Größe und Verfügbarkeit meist auf die häufigste und ergiebigste<br />

Art. Sie sollten aber unter Optimalitätsgesichtspunkten weiterhin sporadisch<br />

Alternativen explorieren. Diese Explorationen finden bei Hummeln<br />

tatsächlich statt (Abb. 5.6) und basieren auf Langzeit-Gedächtnisleistungen<br />

bezüglich der jeweiligen Ergiebigkeit (Keasar et al. 2002).<br />

Manche Tiere ernähren sich ganz oder teilweise von tierischer Beute. Auf<br />

Beutetieren lastet daher ein starker Selektionsdruck, der Detektion durch<br />

Räuber zu entgehen; sie sind daher oft kryptisch gefärbt ( Kap. 6.3). Im<br />

Gegenzug dieses evolutionären Wettrennens wird das Finden von Beute auf<br />

proximater Ebene bei manchen Räubern durch spezifische Suchmuster<br />

erleichtert. Dabei handelt es sich um neuronale Schaltkreise (templates), die<br />

auf spezifische Reizkombinationen ansprechen und die Aufmerksamkeit<br />

des Räubers auf Merkmale lenken, die eine Unterscheidung vom Hintergrund<br />

erleichtern (Reid u. Shettleworth 1992). Der Besitz eines Suchmus-<br />

Abb. 5.6. Trade-off zwischen<br />

Ausbeutung von effizienten<br />

Nahrungsquellen und der Exploration<br />

von Alternativen.<br />

Hummeln (Bombus terrestris)<br />

spezialisieren sich temporär<br />

auf einen Blütentyp und besuchen<br />

sporadisch andere Typen


5.2 Nahrungssuche 157<br />

ters kann einerseits den Vorteil haben, dass gut getarnte Beute oder seltene<br />

Nahrung häufiger gefunden wird. Andererseits gibt es Hinweise darauf,<br />

dass andere potentielle Nahrung schlechter wahrgenommen wird, wenn<br />

mit einem spezifischen Suchmuster gesucht wird. Durch die Effekte von<br />

Suchmustern können also manche Nahrungs- oder Beutetypen häufiger<br />

oder seltener aufgenommen werden, als aufgrund ihrer Dichte oder Verfügbarkeit<br />

eigentlich zu erwarten wäre.<br />

Solche Suchmuster können relativ rasch erlernt werden, wie Wahlversuche<br />

mit Blaubuschhähern (Cyanocitta cristata) gezeigt haben. Diese<br />

wurden in einem operanten Konditionierungsversuch (in dem eine Assoziation<br />

zwischen einem Verhalten und einer Konsequenz, in der Regel eine<br />

Belohnung, hergestellt wird Kap. 10.5) darauf trainiert, für eine Futterbelohnung<br />

auf einen Bildschirm zu picken, auf dem eine gut getarnte Motte<br />

abgebildet war (Pietrewicz u. Kamil 1979). Als Kontrolle wurde nur der<br />

Hintergrund ohne Motte gezeigt. Wenn immer dieselbe Motte gezeigt<br />

wurde, verbesserte sich die Anzahl der richtigen Wahlen der Häher. Wenn<br />

aber zwei verschiedene Motten in zufälliger Reihenfolge präsentiert wurden,<br />

gab es keinen Lernerfolg; vermutlich weil die Häher kein Suchbild<br />

entwickeln konnten. Weiterführende Versuche mit polymorphen digitalen<br />

Motten haben bestätigt, dass seltene Morphe der Motten weniger häufig<br />

gejagt werden, dass dadurch (künstliche) Selektion hin zu immer schwieriger<br />

zu entdeckenden Morphen stattfindet und dass dabei die Suchmuster<br />

des Räubers den entscheidenden Mechanismus darstellen (Bond u. Kamil<br />

2002).<br />

Der Erfolg bei der Nahrungssuche kann auch durch die angewandte<br />

Suchstrategie beeinflusst werden. Die Wege, die ein Nahrung suchendes<br />

Tier einschlägt, könnten theoretisch rein zufällig sein. Das wäre aber aufgrund<br />

der in der Regel langsamen Erneuerungsraten der Futterquellen in<br />

den meisten Fällen wenig effizient. Die tatsächlichen Suchwege und -geschwindigkeiten<br />

hängen stark von der bei der Suche beteiligten Sensorik<br />

(Spaethe et al. 2001) und vor allem von der Verteilung der Nahrung ab.<br />

Auf ein bestimmtes Teilgebiet beschränktes Suchen, bei dem die aktuelle<br />

Erfahrung mit einbezogen wird, scheint aber ebenso wie wiederholte Besuche<br />

derselben Ressourcen in einer vorhersagbaren Reihenfolge (trapline<br />

foraging) weit verbreitet zu sein (Ohashi et al. 2007).<br />

Schließlich legen manche Tiere Nahrungsvorräte an, um Zeiten von<br />

Nahrungsknappheit zu überstehen ( Kap. 3.2). Für sie stellt sich das<br />

Problem, diese Speicher so zu verstecken, dass sie von anderen nicht entdeckt<br />

werden, sie von den Individuen, die sie angelegt haben, aber trotzdem<br />

wieder gefunden werden. Dazu sind neben Orientierungsleistungen<br />

( Kap. 4.3) auch Gedächtnisleistungen notwendig. Diese betreffen sowohl<br />

die Erinnerung der Verstecke als auch die Erinnerung daran, wann


158 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

welche Verstecke zuletzt besucht wurden und was diese noch enthalten<br />

( Kap. 11.3). Selbst wenn man lokale Landmarken entfernt, werden die<br />

Verstecke sicher gefunden (Devenport et al. 2000), und unter unvorhersagbaren<br />

Nahrungsbedingungen verringert sich die Anzahl der Fehler, die<br />

beim Suchen gemacht werden (Pravosudov u. Clayton 2001).<br />

(2) Soziale Aspekte. Das Finden von Nahrung kann auch durch Kommunikation<br />

mit erfolgreichen Artgenossen erheblich erleichtert werden. Das<br />

bekannteste Beispiel dafür ist der Bienentanz, mit dem Arbeiterinnen ihren<br />

Stockgenossinnen Richtung, Entfernung, Art und Ergiebigkeit von Nahrungsquellen<br />

signalisieren ( Kap. 4.3). In ähnlicher Weise setzen die<br />

meisten Ameisen Duftstoffe ein, um den Rückweg zwischen einer Nahrungsquelle<br />

und ihrem Stock zu markieren. Die rekrutierten Schwestern<br />

finden dann mit Hilfe dieser Ameisenstraße rasch und genau ans Ziel<br />

(Hölldobler et al. 2004). Aktive Rekrutierung zu einer Futterquelle ist bei<br />

Wirbeltieren dagegen selten. Es wurde gleichwohl beschrieben, dass beispielsweise<br />

Raben (Corvus corax: Heinrich u. Marzluff 1991), Hühner<br />

(Gallus gallus: Evans u. Evans 1999), Delfine (Tursiops truncatus: Janik<br />

2000) oder Schimpansen (Pan troglodytes: Hauser et al. 1993), die etwas<br />

Fressbares gefunden haben, ihre Artgenossen mit Futterrufen anlocken.<br />

Die Vorteile dieses Rufens sind, im Gegensatz zu den entsprechenden Signalen<br />

der sozialen Insekten, aber nicht offensichtlich, da dabei das Risiko<br />

besteht, gefundene Nahrung an nicht-verwandte Konkurrenten zu verlieren<br />

(Stevens u. Gilby 2004).<br />

Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass Ansammlungen von Tieren<br />

als Informationszentren fungieren können, von denen aus bei der Nahrungssuche<br />

weniger erfolgreiche Tiere anderen Artgenossen zu einer Nahrungsquelle<br />

folgen. Dieses Phänomen wurde vor allem an Vogelarten untersucht,<br />

die in Kolonien brüten. In einem Experiment mit Rabenkrähen<br />

(Corvus corone) wurden mehrere Tiere gefangen und für einige Tage in<br />

einer Voliere gehalten. Die Hälfte von ihnen wurde abends in der Nähe<br />

von Schlafbäumen von Rabenkrähen freigelassen, die gerade eine ergiebige<br />

Futterquelle (einen toten Elch) entdeckt hatten. Sie folgten alle ihren<br />

Schlafgenossen am nächsten Morgen zu dieser Futterquelle. Im Unterschied<br />

dazu fanden nur etwa 1/4 der anderen Rabenkrähen, die bei einer<br />

anderen Schlafgruppe freigelassen wurden, von alleine eine Futterquelle<br />

(Marzluff et al. 1996). Daraus kann geschlossen werden, dass in der<br />

Schlafgruppe Informationen über Nahrungssucherfolg ausgetauscht wurden;<br />

über die dabei beteiligten Mechanismen gibt es allerdings noch keine<br />

Klarheit (Dall 2002).


5.2 Nahrungssuche 159<br />

(3) Ökologische Aspekte. Außer dem aktuellen Hungerzustand beeinflusst<br />

bei vielen Tieren vor allem das Prädationsrisiko, wo und wie lange sie<br />

nach Nahrung suchen ( Kap. 6.1). Wenn es ein Prädationsrisiko gibt, sehen<br />

sich die betroffenen Individuen einem Trade-off zwischen fressen und<br />

gefressen werden gegenüber (Searle et al. 2008). In diesem Fall müssen sie<br />

Wachsamkeit und Nahrungssuche gegeneinander abwägen, wobei die Art<br />

der Nahrung und die Gruppengröße neben dem akuten Hungerzustand<br />

Box 5.2<br />

Prädationsrisiko und Fressverhalten<br />

• Frage: Beeinflusst das (wahrgenommene) Prädationsrisiko das Fressverhalten?<br />

• Hintergrund: Die Nahrungsaufnahme muss mit dem Prädationsrisiko<br />

abgewogen werden, da die Aufmerksamkeit nicht gleichzeitig auf die<br />

Nahrung und mögliche Gefahren gerichtet werden kann. Stichlinge (Gasterosteus<br />

aculeatus), die Wasserflöhe in unterschiedlichen Dichten (Verwirrungseffekt<br />

bei höheren Dichten Kap. 6.3) jagen, sind unterschiedlich<br />

aufmerksam.<br />

• Methode: Stichlinge wurden einzeln in ein Aquarium gegeben, in dem<br />

sich fünf Kompartimente mit unterschiedlichen Dichten an Wasserflöhen<br />

befanden. Gemessen wurde der Aufenthaltsort der Stichlinge sowie die<br />

Anzahl der gefressenen Wasserflöhe. Bei der Hälfte der Versuche wurde<br />

die Silhouette eines Eisvogels über das Aquarium geflogen.<br />

• Ergebnis: Stichlinge hielten sich häufiger in Kompartimenten mit höheren<br />

Dichten an Wasserflöhen auf (grün), wo sie auch höhere Fressraten<br />

hatten. Nach Präsentation der Räuberattrappe wurden Kompartimente mit<br />

geringerer Dichte bevorzugt (blau) und weniger gefressen.<br />

• Schlussfolgerung: Das subjektiv wahrgenommene Risiko, einem Räuber<br />

ausgesetzt zu sein, führt zu Verhaltensreaktionen, die bessere Aufmerksamkeit<br />

ermöglichen, aber die Nahrungsaufnahme kompromittieren.<br />

Milinski u. Heller 1978


160 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

einen modulierenden Einfluss auf diese Entscheidung ausüben (Barbosa<br />

2002; Box 5.2). Bei chronischem Räuberrisiko können die Konsequenzen<br />

der Bedrohung weit über das aktuelle Nahrungsverhalten hinausgehen und<br />

sogar Aspekte der Life history beeinflussen. So verbrachten Kaulquappen,<br />

die mit räuberischen Libellenlarven zusammen aufwuchsen, im Vergleich<br />

mit Kontrolltieren unabhängig von ihrem Hungerzustand weniger Zeit an<br />

Orten mit Nahrung (Horat u. Semlitsch 1994) und zeigten verzögertes<br />

Wachstum und spätere Metamorphose (van Buskirk u. McCollum 2000).<br />

Für manche Tiere stellt das Finden von Nahrung in der Regel aufgrund<br />

ihrer Lebensweise dagegen kein Problem dar. Sessile Tiere filtern ihre<br />

Nahrung aus dem Wasser und sind dabei lediglich auf eine Stelle mit günstigen<br />

Strömungsverhältnissen angewiesen, die eine gute Nahrungsversorgung<br />

gewährleisten. Bodenlebende Detritusfresser ernähren sich ebenfalls<br />

wenig selektiv von dem sie umgebenden Substrat. Am anderen Ende der<br />

Größenskala finden sich ebenfalls Tiere, die meistens mit geringem Suchaufwand<br />

zu einer Mahlzeit kommen. Dazu zählen unter anderem filtrierende<br />

Bartenwale, die nur mit geöffnetem Maul schwimmen müssen, und terrestrische<br />

Megaherbivoren, die praktisch überall ihre Grasnahrung finden.<br />

Pilot- und Putzerfische sowie Madenhacker haben die Nahrungssuche im<br />

Rahmen einer symbiotischen Beziehung mit ihren Wirten weitestgehend<br />

reduziert; sie warten an festen Plätzen, und die mit Parasiten beladene<br />

Kundschaft kommt zu ihnen (Bshary u. Schäffer 2002)!<br />

5.3 Nahrungswahl<br />

Wenn ein Tier eine geeignete Beute oder einen geeigneten Futterplatz<br />

(feeding patch) gefunden hat, stellt sich die strategische Frage, ob diese<br />

Nahrung gefressen werden soll oder nicht (Abb. 5.7). Dem offensichtlichen<br />

Vorteil des energetischen Gewinns stehen mehrere potentielle Kosten<br />

gegenüber, die damit verrechnet werden sollten. Zu diesen Kosten zählt<br />

der mögliche Bearbeitungsaufwand (handling time), der mögliche Gehalt<br />

an schädlichen Inhaltsstoffen sowie mögliche Risiken durch die Wehrhaftigkeit<br />

der Beute, ein erhöhtes eigenes Risiko, aufgrund der verminderten<br />

Aufmerksamkeit selbst gefressen zu werden, sowie Risiken, die sich<br />

durch Konkurrenz mit Artgenossen um diese Nahrung ergeben (Brown<br />

1988). Diese unbewussten Abwägungen sind zwar von den genannten internen<br />

und externen Faktoren abhängig, aber andererseits haben sich im<br />

Laufe der Evolution durch vielfache Auswertungen dieser und sehr ähnlicher<br />

Situationen auch artspezifische Entscheidungsregeln für eine optimale<br />

Nahrungswahl etabliert.


5.3 Nahrungswahl 161<br />

Abb. 5.7. Vor- und Nachteile, die bei der Nahrungswahl berücksichtigt werden.<br />

Optimal-foraging-Theorie beschäftigt sich mit möglichen Lösungen dieser Abwägung<br />

5.3.1 Optimale Nahrungswahl<br />

Für räuberisch lebende Tiere stellt sich oft die Frage, welche Beuteart oder<br />

-größe aus ihrem Spektrum sie wählen sollen. Bei relativ kleiner Beute ist<br />

möglicherweise der Energiegewinn in Relation zum Aufwand sehr klein;<br />

bei wehrhaften oder großen Beutetieren kann dagegen die Bearbeitung so<br />

aufwändig sein, dass die Energieaufnahmerate geringer ist als bei mittelgroßer<br />

Beute. Diese Variabilität zwischen verschiedenen Beutetypen kann<br />

als unterschiedliche Profitabilität, welche als Netto-Nährwert (Energiegehalt<br />

minus Bearbeitungs- und Verdauungskosten) pro Bearbeitungszeit<br />

ausgedrückt wird, verglichen werden. Auf diese Art und Weise lässt sich<br />

möglicherweise ein optimaler Beutetyp recht gut charakterisieren, aber in<br />

Wirklichkeit nutzen Räuber natürlich auch Beute aus benachbarten Größenklassen<br />

oder von anderen Arten. Die optimale Nahrungswahl wird also<br />

auch von einigen anderen Faktoren beeinflusst.<br />

Der wichtigste Faktor in diesem Zusammenhang ist die Suchzeit für die<br />

optimale Beute, die in Einzelfällen nur wenige Millisekunden dauern kann<br />

(Catania u. Remple 2005). Wenn ein Räuber lange nach dem optimalen<br />

Beutetyp suchen muss, ist es irgendwann profitabler, auch nicht-optimale<br />

Beute zu fressen. Es ist intuitiv einsichtig, dass ein Räuber sich auf den<br />

profitabelsten Beutetyp konzentrieren sollte, solange dieser häufig genug<br />

ist. Die Verfügbarkeit des weniger profitablen Beutetyps ist dabei nicht


162 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

von Belang. Umgekehrt hängt die Nutzung des weniger profitablen Beutetyps<br />

aber von der Häufigkeit des präferierten Beutetyps bzw. von der entsprechenden<br />

Suchzeit ab. Man erwartet daher eine sprunghafte (und keine<br />

graduelle) Änderung der Fressstrategie, wenn die Suchkosten für die profitablere<br />

Beute größer werden als die Profitabilität der eigentlich nicht bevorzugten<br />

Beute.<br />

Einige spezifische Vorhersagen dieses Modells der optimalen Nahrungswahl<br />

wurden durch empirische Beobachtungen oder gezielte Experimente<br />

überprüft. Dieses Modell betrifft dabei sowohl die Zusammensetzung des<br />

„Gesamtspeiseplans“ als auch die Wahl (zumeist nach der Größe) innerhalb<br />

spezifischer Beutetypen. Aus der Kombination von Suchzeit, Bearbeitungszeit<br />

und Verfügbarkeit von Beute unterschiedlicher Größe ergibt sich<br />

daher eine Reihe von grundlegenden Vorhersagen (Tabelle 5.1).<br />

Erstens sollten Räuber mit im Vergleich zur Suchzeit kurzer Bearbeitungszeit<br />

wenig wählerisch, d. h. Nahrungsgeneralisten sein, da sie während<br />

der kurzen Bearbeitungszeit eine sehr geringe Chance hätten, eine andere<br />

Beute zu finden. Dieser Strategie scheinen beispielsweise insektivore<br />

Vögel zu folgen, für welche die Suche nach einem Beuteinsekt relativ<br />

aufwändig sein kann, wohingegen der Bearbeitungsaufwand vernachlässigbar<br />

ist. Ein Vogel hat daher nichts zu verlieren, wenn er ein einmal<br />

gefundenes Beutetier auch frisst; dementsprechend werden unterschiedliche<br />

Beutetiere im Verhältnis ihrer Verfügbarkeit gefressen (Naef-Daenzer<br />

et al. 2000). Durch diese unselektive Nahrungswahl wird die Profitabilität<br />

der Nahrungsaufnahme dieser Räuber maximiert.<br />

Zweitens, wenn dagegen die Suchzeit unerheblich, aber die Bearbeitungszeit<br />

beträchtlich ist, sollte ein Räuber sich auf die profitabelste Beute<br />

spezialisieren (Krivan u. Sikder 1999). Diese Situation trifft z. B. auf<br />

Raubtiere zu, die inmitten ihrer potentiellen Beute leben und selektiv leicht<br />

zu überwältigende Arten bzw. junge, kranke oder alte Individuen angreifen<br />

Tabelle 5.1. Vorhersagen darüber, ob Tiere in Abhängigkeit von Suchzeit, Bearbeitungszeit<br />

und Verfügbarkeit sich eher als Generalisten oder Spezialisten verhalten<br />

sollen. Beispiele sind im Text erläutert<br />

Suchzeit Bearbeitungszeit Verfügbarkeit Vorhersage<br />

lang kurz gering Generalist<br />

kurz lang hoch Spezialist


5.3 Nahrungswahl 163<br />

Box 5.3<br />

Nahrungswahl: gelernt oder angeboren?<br />

• Frage: Spielt individuelles Lernen bei der Auswahl spezifischer Nahrungselemente<br />

eine Rolle?<br />

• Hintergrund: Samen stellen einen wichtigen Nahrungsbestandteil vieler<br />

Nagetiere dar. Bislang war nur bekannt, dass es offenbar angeborene Präferenzen<br />

für Samen bestimmter Pflanzenarten gibt. Es war aber nicht bekannt,<br />

ob bei der Nahrungswahl auch erlernte Informationen einfließen.<br />

Wenn dem so ist, sollten sich naive und erfahrene Tiere in ihrer Nahrungswahl<br />

unterscheiden.<br />

• Methode: Algerischen Hausmäusen (Mus spretus) wurden Eicheln angeboten,<br />

die teilweise von Rüsselkäferlarven befallen waren. Erfahrene, im<br />

Freiland gefangene Mäuse verschmähten die befallenen Eicheln; naive, in<br />

Gefangenschaft aufgewachsene Mäuse unterschieden zunächst nicht zwischen<br />

den beiden Typen von Eicheln. Nachdem sie 15 Tage lang infestierte<br />

und intakte Eicheln zu fressen bekamen, wurden naive Mäuse erneut<br />

getestet.<br />

Häufigkeit<br />

Wildfänge<br />

naiv ohne<br />

Erfahrung<br />

naiv mit<br />

Erfahrung<br />

• Ergebnis: Wildfänge (links) präferierten intakte (schwarz) Eicheln und<br />

solche, die noch Larven enthielten (dunkelgrau) über leere Eicheln (hellgrau),<br />

die bereits von den Larven verlassen wurden; Eicheln, denen experimentell<br />

ein kleines Loch verpasst wurde (weiß) wurden ebenfalls häufig<br />

gefressen. Naive Mäuse diskriminierten spontan nicht zwischen den verschiedenen<br />

Typen von Eicheln (Mitte); nach einer zweiwöchigen Lernphase<br />

zeigten sie aber dasselbe Muster wie erfahrene Mäuse (rechts).<br />

• Schlussfolgerung: Individuell erworbene Erfahrung mit Eicheln unterschiedlicher<br />

Qualität beeinflusst die Nahrungswahl dieser Mäuse. Wenn<br />

sich Nahrung zwischen Jahren oder Bäumen in ihrer Qualität unterscheidet,<br />

haben Tiere mit dieser Lernfähigkeit einen Vorteil bei der effizienten<br />

Nahrungswahl.<br />

Muñoz u. Bonal 2008


164 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

(Pole et al. 2004). Auch bei anderen Räubern unterscheiden sich Beutetiere<br />

im Aufwand, mit dem sie zu überwältigen sind. So konzentrieren sich<br />

Bergpieper (Anthus spinoletta) auf Arthropoden, die leicht zu fangen sind,<br />

wobei langsam fliegende Insekten gegenüber schnell fliegenden bevorzugt<br />

werden (Brodman u. Reyer 1999).<br />

Drittens sollten Räuber in Gebieten oder Situationen mit geringer Beutedichte<br />

weniger selektiv sein und auch suboptimale Beute nehmen, da die<br />

Suchzeiten für alle Beutetypen erhöht sind. Kohlmeisen (Parus major),<br />

denen Mehlwürmer in unterschiedlicher Größe und Dichte präsentiert<br />

wurden, verhielten sich weitestgehend entsprechend dieser Vorhersage<br />

(Krebs et al. 1977). Ähnliches wurde an Bären (Ursus arctos und U. americanus)<br />

in Alaska beobachtet, die sich bei hoher Verfügbarkeit von<br />

Lachsen auf deren energiereichen Ovarien und Gehirne spezialisierten, bei<br />

reduziertem Angebot aber die ganzen Fische fraßen (Gende et al. 2001).<br />

Umgekehrt sollten bei mäßigen oder hohen Gesamtdichten eines Beutetyps<br />

Individuen aus der Beuteklasse mit der geringsten Profitabilität aus dem<br />

Nahrungsspektrum weggelassen werden, egal wie häufig sie sind. Bei<br />

Fütterungsexperimenten ignorierten Blaukiemen-Sonnenbarsche (Lepomis<br />

macrochirus), denen Daphnien unterschiedlicher Größe in unterschiedlichen<br />

Verhältnissen und Dichten angeboten wurden, die kleinsten Beutetiere<br />

in allen Situationen tatsächlich weitestgehend (Werner u. Hall 1974).<br />

Dass trotzdem in all diesen Situationen aus Sicht des theoretischen Modells<br />

Fehler gemacht werden, deutet darauf hin, dass die Räuber zum einen<br />

offensichtlich immer wieder das verfügbare Spektrum erfassen oder dass<br />

zum anderen die Wahl auch nach Kriterien wie Nährstoffgehalt oder Geschmack<br />

erfolgen kann. Individuelles Lernen von Qualitätsunterschieden<br />

zwischen Nahrungsbestandteilen kann dabei eine wichtige proximate Rolle<br />

spielen, wie Experimente mit Mäusen gezeigt haben, denen Eicheln unterschiedlicher<br />

Qualität angeboten wurden (Muñoz u. Bonal 2008; Box 5.3).<br />

Man sollte schließlich auch nicht außer Acht lassen, dass diese Modelle<br />

nicht implizieren, dass sich alle Tiere zu jeder Zeit optimal verhalten.<br />

Vielmehr geht es darum, dass diejenigen Individuen, die sich weitestgehend<br />

an eine dieser Strategien halten, im Durchschnitt die größte Fitness<br />

haben.<br />

5.3.2 Nahrungsqualität<br />

Untersuchungen der Nahrungswahl von Herbivoren haben weitere wichtige<br />

Kriterien bei der Nahrungswahl ans Licht gebracht. Herbivore haben<br />

zwar in der Regel weniger Probleme als Räuber, potentielle Nahrung zu<br />

finden, müssen diese aber sorgsam auswählen, da nur so eine Versorgung


5.3 Nahrungswahl 165<br />

Menge an Wasserpflanzen<br />

Energieminimum<br />

Magenkapazität<br />

Nährstoffminimum<br />

Menge an Landpflanzen<br />

Abb. 5.8. Zusammensetzung der Nahrung eines Herbivoren (Beispiel Elch). Landpflanzen<br />

haben mehr Energie, Wasserpflanzen mehr wichtige Nährstoffe. Durch<br />

die Zwänge des notwendigen Energieminimums (rot), Nährstoffminimums (blau)<br />

und der begrenzenden Magenkapazität (grün) ist nur eine eingeschränkte Kombination<br />

an Verhältnissen möglich (gelbes Dreieck). Die tatsächlich gefressene<br />

Kombination befindet sich am oberen Ende des Dreiecks<br />

mit wichtigen Nährstoffen und eine Vermeidung schädlicher Pflanzeninhaltsstoffe<br />

gewährleistet wird ( Kap. 5. 6).<br />

Ein klassisches Beispiel, an dem diese Problematik deutlich wurde, betrifft<br />

die Nahrungswahl von Elchen (Alces alces). Sie fressen in manchen<br />

Gegenden eine Mischung aus energiereichen Landpflanzen und nährstoffreichen<br />

Wasserpflanzen. In welchem Verhältnis sollten diese beiden essentiellen<br />

Nahrungsbestandteile zueinander stehen (Abb. 5.8)? Der maximale<br />

Energiegehalt einer bestimmten Mischdiät ergibt sich aus dem Verhältnis<br />

der beiden Bestandteile. Der Mindestbedarf an Nährstoffen, in diesem<br />

Fall Natrium, definiert eine Mindestmenge an Wasserpflanzen, die täglich<br />

aufgenommen werden muss. Die zusätzliche Aufnahme von Landpflanzen<br />

wird aber durch das Magenvolumen begrenzt, so dass es in Wirklichkeit<br />

nur einen geringen Spielraum für mögliche Kombinationen gibt. Die tatsächliche<br />

Zusammensetzung der Nahrung von Elchen befand sich in der<br />

Tat in diesem Bereich, wobei innerhalb der existierenden Zwänge die<br />

Energieaufnahme maximiert wurde (Belovsky 1978).<br />

Analysen von Pflanzeninhaltsstoffen haben in anderen Studien auch<br />

gezeigt, dass die Wahl einzelner Nahrungsbestandteile sehr selektiv stattfindet.<br />

Manche Primaten sind in dieser Hinsicht sehr gut untersucht. Viele<br />

folivore und folivor-frugivore Primaten haben in ihren Lebensräumen eine<br />

Vielzahl von potentiellen Nahrungspflanzen, die sich auch im Jahresver-


166 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

lauf in ihrer Qualität und Zusammensetzung unterscheiden. Dementsprechend<br />

fressen sie von unterschiedlichen Baumarten und nutzen dabei zum<br />

Teil zu verschiedenen Jahreszeiten nur einzelne Teile (Blüten, Knospen,<br />

Blätter, Früchte) mit unterschiedlichem Nährwert. Die hochselektive Aufnahme<br />

bzw. Verwerfung ausgewählter Pflanzenteile beruht proximat auf<br />

olfaktorischer und gustatorischer Inspektion (Laska et al. 2003). Analysen<br />

der Inhaltstoffe der gefressenen Pflanzenteile ergaben, dass die meisten folivoren<br />

Primaten sich tatsächlich selektiv ernähren und zum Beispiel Blätter<br />

mit höherem Protein- und geringerem Zellulosegehalt als verschmähte<br />

Blätter wählen (Ganzhorn 1992). Eine Studie an Koalas (Phascolarctus<br />

cinereus) zeigte, dass diese spezialisierten Blattfresser sogar zwischen einzelnen<br />

Eukalyptus-Bäumen mit unterschiedlichem Gehalt an sekundären<br />

Pflanzeninhaltsstoffen diskriminieren (Moore u. Foley 2005). Diese generellen<br />

Aspekte der Nahrungswahl können in vielen Fällen auch noch in<br />

Bezug auf interindividuelle Variabilität differenziert werden, da Individuen<br />

in verschiedenen Alters-, Geschlechts- oder Fortpflanzungsklassen unterschiedliche<br />

Bedürfnisse an Nahrungsart und -menge haben (Hemingway<br />

1999).<br />

Es gibt schließlich auch einige Hinweise darauf, dass manche Tiere bestimmte<br />

Pflanzeninhaltsstoffe zur Selbstmedikation einsetzen können und<br />

ihre Nahrungswahl entsprechend modifizieren. Schimpansen (Pan troglodytes)<br />

und Gorillas (Gorilla gorilla), die unter Darmparasiten leiden, fressen<br />

selektiv Pflanzen mit bekannter einschlägiger Heilwirkung (Huffman<br />

2001). Der gelegentlichen Aufnahme von Lehm und Kohle wird eine ähnliche<br />

Funktion bei der Bekämpfung von Infektionen und Parasiten zugeschrieben.<br />

Zudem gibt es erste Hinweise darauf, dass auch Aspekte der<br />

Fortpflanzung durch entsprechende Nahrungswahl moduliert werden können.<br />

Durch eine erhöhte Aufnahme von Tanninen könnten zum Beispiel<br />

Trächtigkeiten stabilisiert, Blutverluste bei der Geburt reduziert und die<br />

Milchproduktion verstärkt werden (Carrai et al. 2003).<br />

5.4 Nahrungskonkurrenz<br />

Wenn Mitglieder derselben Art in einem Gebiet nach Nahrung suchen,<br />

kann es zwischen ihnen zu Nahrungskonkurrenz kommen. Je nach Verteilung<br />

der Nahrung in Raum und Zeit kann es dabei zu unterschiedlichen<br />

Formen der Konkurrenz kommen, welche wiederum weit reichende Konsequenzen<br />

für das Sozialverhalten haben ( Kap. 11).


5.4 Nahrungskonkurrenz 167<br />

5.4.1 Ultimate Aspekte<br />

Zwei ultimate Aspekte der Nahrungskonkurrenz sind von genereller Bedeutung.<br />

Erstens sollten Konkurrenzstrategien evoluiert sein. Eine<br />

Grundannahme der Evolutionstheorie besteht darin, dass es aufgrund der<br />

Limitierung von fitnessrelevanten Ressourcen zu Konkurrenz zwischen<br />

Individuen um diese Ressourcen kommt. Nur ein Bruchteil der Jungtiere<br />

einer Generation erlebt das Alter der ersten Fortpflanzung und kann die<br />

genetischen Grundlagen seines Erfolgs in die nächste Generation weitergeben.<br />

Dabei ist es naheliegend, dass die erfolgreichen Individuen teilweise<br />

aufgrund ihrer überlegenen Konkurrenzfähigkeit diesen Vorteil haben.<br />

Neben körperlichen Merkmalen wie Größe und Stärke sollten auch bestimmte<br />

Verhaltensstrategien zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Es ist<br />

also zu erwarten, dass im Laufe der Evolution Konkurrenzstrategien entstanden<br />

sind, da sie in einer gegebenen Situation den sie ausführenden Individuen<br />

im Durchschnitt größeren Nutzen erbracht haben als andere Strategien.<br />

Diese Strategien können mit spieltheoretischen Ansätzen analysiert<br />

und vorhergesagt werden (Sirot 2000).<br />

Zweitens gibt es einen Geschlechtsunterschied in der evolutionären<br />

Bedeutung der Nahrungskonkurrenz. Da Weibchen in den meisten Arten<br />

mehr Energie in die Fortpflanzung investieren als Männchen oder ihre potentiellen<br />

Fortpflanzungsraten energetisch limitiert sind ( Kap. 7.2), ist<br />

Zugang zu Nahrung für sie der fitnesslimitierende Faktor. Weibchen sollten<br />

daher häufiger oder intensiver um Nahrung konkurrieren als Männchen.<br />

Geschlechtsunterschiede im Fressverhalten wurden tatsächlich in<br />

zahlreichen Arten dokumentiert. Allerdings können bei Arten mit Sexualdimorphismus<br />

( Kap. 8.2) Männchen mehr fressen, da bei ihnen Männchen<br />

in der Regel größer als Weibchen sind und daher einen höheren<br />

Energiebedarf haben (Beispiel Elefanten: Stokke u. du Toit 2000). Die<br />

Konsequenzen geschlechtsspezifischer Aspekte der Nahrungskonkurrenz<br />

für das Sozialverhalten wurden bislang vor allem bei Primaten untersucht<br />

(siehe unten).<br />

5.4.2 Formen und Ursachen der Nahrungskonkurrenz<br />

Infolge von Konkurrenz mit Artgenossen reduziert sich die Nahrungsaufnahmerate<br />

eines Individuums. Die möglichen Formen der zugrunde liegenden<br />

Konkurrenz sind entlang eines Kontinuums vorstellbar, wobei<br />

sich die relativen Anteile indirekter und direkter Konkurrenz verändern<br />

(Nicholson 1954). Das jeweils vorherrschende kompetitive Regime wird<br />

von der Größe, der räumlichen und zeitlichen Verteilung sowie der Vertei-


168 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Tabelle 5.2. Charakteristika von Ressourcen und deren Konsequenzen für Verteidigbarkeit<br />

und Konkurrenz. Bei Größe, räumlicher und zeitlicher Verteilung handelt<br />

es sich um kontinuierliche Variablen, die aus heuristischen Gründen kategorisiert<br />

werden<br />

Größe<br />

Verteilung<br />

im Raum<br />

Verteilung in<br />

der Zeit<br />

verteidigbar?<br />

Konkurrenz<br />

klein zerstreut geklumpt nein Ausbeutung<br />

mittel geklumpt gleichmäßig ja Interferenz<br />

groß zerstreut geklumpt nein Ausbeutung<br />

digbarkeit der Nahrungsressource bestimmt (Tabelle 5.2). Diese Faktoren<br />

müssen natürlich immer in Relation zur Körpergröße der betreffenden<br />

Tierart betrachtet werden. Außerdem ist es in diesem Zusammenhang von<br />

entscheidender Bedeutung, ob Tiere alleine oder in Gruppen Nahrung aufnehmen<br />

(Giraldeau 2008).<br />

Wenn Nahrungsquellen von intermediärer Größe sind, räumlich geklumpt<br />

und zeitlich gleichmäßig verteilt vorkommen, kommt es zur direkten<br />

Interferenzkonkurrenz (contest competition). Diese Konkurrenzform<br />

liegt immer dann vor, wenn manche Individuen Artgenossen mit Hilfe von<br />

Aggression von Nahrungsquellen ausschließen können. Bei Nahrungsressourcen,<br />

die andere Kombinationen dieser Merkmale aufweisen (Tabelle<br />

5.2), kommt es zur Ausbeutungskonkurrenz (scramble competition).<br />

Diese Form der Konkurrenz ist dadurch charakterisiert, dass manche Individuen<br />

Zugang zu Nahrungsressourcen verlieren, weil andere Tiere diese<br />

bereits gefunden oder aufgebraucht haben; es findet aber kein direkter<br />

Wettbewerb statt.<br />

Solange Ressourcen so verteilt und gestaltet sind, dass es nur zu Ausbeutungskonkurrenz<br />

kommt, kann jedes Individuum unabhängig entscheiden,<br />

ob und wie lange es eine Ressource nutzen will (Parker 2000). Einbußen<br />

kommen nur dadurch zustande, dass von Konkurrenten verbrauchte<br />

Ressourcen einem Individuum nicht mehr zur Verfügung stehen. Die<br />

betreffenden Ressourcen können auch problemlos geteilt und von mehreren<br />

Individuen genutzt werden. Lediglich bei in Gruppen fouragierenden<br />

Tieren nimmt die Intensität der indirekten Konkurrenz mit der Gruppengröße<br />

zu und kann sogar zur Auftrennungen innerhalb einer sozialen Einheit<br />

führen, wie beispielsweise die räumliche Trennung zwischen den Ge-


5.4 Nahrungskonkurrenz 169<br />

schlechtern bei vielen Huftieren (Ungulata: Focardi et al. 2003). Diese<br />

Form der Nahrungskonkurrenz dominiert zum Beispiel bei sessilen Filtrierern,<br />

Megaherbivoren (Mishra et al. 2004) oder Blätter fressenden Primaten<br />

(Steenbeck u. van Schaik 2001). Ausbeutungskonkurrenz findet auch<br />

zwischen Arten statt. Eine Möglichkeit, die Effekte dieser Konkurrenz zu<br />

verringern, besteht darin, die eigene Nische entsprechend zu ändern. So<br />

passen Impalas (Aepyceros melampus) und Kudus (Tragelaphus spp.) in<br />

der Trockenzeit ihre zeitliche Einnischung zur Nutzung der Ressource<br />

„Wasser“ an die Präsenz von Elefanten an, die ihnen normalerweise den<br />

Zugang zu Wasserlöchern erschweren (Valeix et al. 2007).<br />

Wenn eine Nahrungsressource dagegen aufgrund ihrer Größe, räumlichen<br />

Klumpung oder zeitlichen Gleichmäßigkeit von einem Individuum<br />

monopolisiert werden kann, kommt es zur Interferenzkonkurrenz. Die Verteidigung<br />

solcher Ressourcen ist aber theoretisch nur dann zu erwarten,<br />

wenn die sich daraus ergebenden Vorteile größer sind als die damit verbundenen<br />

Kosten, d. h. wenn die Ressource ökonomisch zu verteidigen ist.<br />

Die Kosten der Konkurrenz setzen sich dabei im Wesentlichen aus dem<br />

energetischen Aufwand der Verteidigung und dem Verletzungsrisiko beim<br />

Konkurrenzkampf zusammen (Calsbeek u. Sinervo 2002). In paarweisen<br />

Auseinandersetzungen, wie sie bei theoretischen Modellierungen üblicherweise<br />

angenommen werden, kann der relative Erfolg verschiedener Strategien<br />

von Individuen mit unterschiedlicher Ressourcenverteidigungskraft<br />

miteinander verglichen werden (Switzer et al. 2001).<br />

Innerhalb von sozialen Verbänden, in denen es zu regelmäßigen Interaktionen<br />

zwischen denselben Individuen kommt, haben interindividuelle<br />

Unterschiede in der Größe, Stärke, Ausdauer, Schnelligkeit, Erfahrung<br />

oder Motivation einen Einfluss auf die Intensität und potentiellen Kosten<br />

der Interferenzkonkurrenz (Dubois et al. 2003). Aufgrund dieser Unterschiede<br />

können sich Dominanzbeziehungen bilden, die Asymmetrien<br />

zwischen Kontrahenten formalisieren und es erlauben, die Kosten der<br />

Konkurrenz zu reduzieren, wenn damit verbundene Regeln und Signale<br />

beachtet werden (Smith et al. 2001). Dabei kann man zusätzlich unterscheiden,<br />

ob die Konkurrenz vornehmlich innerhalb einer Gruppe oder<br />

zwischen benachbarten Gruppen stattfindet.<br />

Die Art und Intensität der Nahrungskonkurrenz ist eng mit Variabilität<br />

in den Sozialbeziehungen verbunden (Abb. 5.9); dies ist die Kernannahme<br />

der Sozioökologie ( Kap. 11.3). Dabei wird die Intensität der Ausbeutungskonkurrenz<br />

innerhalb einer Gruppe durch deren Größe bestimmt; je<br />

größer die Gruppe, umso intensiver wird diese Form der Konkurrenz<br />

(Steenbeck u. van Schaik 2001). Das Ausmaß an Interferenzkonkurrenz<br />

reflektiert dagegen die Effekte von Dominanzstrukturen innerhalb der<br />

Gruppe; die Intensität der Konkurrenz ist mit der Steilheit der Dominanz-


170 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Abb. 5.9. Die wichtigsten Determinanten von Ausbeutung- und Interferenzkonkurrenz<br />

um Nahrung innerhalb und zwischen Gruppen<br />

hierarchie korreliert. Dominante Dachse (Meles meles) kontrollieren beispielsweise<br />

den Zugang zu Gebieten mit ihrer wichtigsten Nahrungsressource<br />

(Kaninchen: Revilla u. Palomares 2001). Ausbeutungskonkurrenz<br />

zwischen Gruppen gibt es nur, wenn diese überlappende Streifgebiete haben<br />

und die Populationsdichte hoch ist. Interferenzkonkurrenz zwischen<br />

Gruppen ist von der Populationsdichte in Relation zur Nahrungsverteilung<br />

abhängig. Bei entsprechender Ressourcenverteilung kann es demnach vorteilhaft<br />

sein, Nahrung zusammen mit anderen Artgenossen zu nutzen und<br />

zu verteidigen (Johnson et al. 2002).<br />

5.4.3 Ideal freie Verteilung<br />

Wenn Ressourcen zwischen konkurrierenden Tieren prinzipiell geteilt<br />

werden können, ist zu erwarten, dass sich Individuen dabei so im Raum<br />

verteilen, dass jedes Tier seine Nahrungsaufnahme maximiert. Wenn sich<br />

Individuen dabei ohne Einschränkungen bewegen können, kommt es zu<br />

einer ideal freien Verteilung (Fretwell u. Lucas 1970). Sie kommt dadurch<br />

zustande, dass die Qualität einer Nahrungsquelle mit zunehmender<br />

Anzahl von Konkurrenten abnimmt (Abb. 5.10).<br />

Wenn es eine heterogene Verteilung von Nahrungsquellen unterschiedlicher<br />

Qualität gibt, ist zu erwarten, dass das erste Nahrung suchende Individuum<br />

sich an die beste Nahrungsquelle begibt. Wenn n weitere Individuen<br />

dasselbe tun, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem sich der<br />

durchschnittliche Ertrag soweit reduziert hat, dass es für das n+1te Individuum<br />

besser ist, die zweitbeste Nahrungsquelle zu nutzen usw. Die Zahl<br />

der gleichzeitig fressenden Tiere sollte sich also zwischen den verschiedenen<br />

Nahrungsquellen in Abhängigkeit von deren Qualität einpendeln, so<br />

dass eine Situation entsteht, in der kein Individuum einen Vorteil aus<br />

einem Wechsel an eine andere Nahrungsquelle gewinnen kann. Diese<br />

Gleichgewichtssituation wird als ideal freie Verteilung bezeichnet.


5.4 Nahrungskonkurrenz 171<br />

Abb. 5.10. Ideal freie Verteilung. Die Qualität einer Ressource nimmt mit zunehmender<br />

Anzahl der sie nutzenden Individuen ab. Wenn es Qualitätsunterschiede<br />

zwischen Habitaten (oder feeding patches) gibt („gutes“ bzw. „schlechtes“ Habitat),<br />

ergeben sich Äquivalenzen zwischen diesen. In diesem hypothetischen Beispiel<br />

findet das dritte Individuum als dritter Nutzer des guten Habitats genauso<br />

gute Bedingungen vor wie als alleiniger Nutzer des schlechten Habitats<br />

Gibt es Hinweise dafür, dass sich Tiere entsprechend diesen theoretischen<br />

Vorhersagen bei der Konkurrenz um Nahrung in einer entsprechenden<br />

Situation verhalten? Im einfachsten Fall erwartet man, dass alle<br />

Konkurrenten identische Nahrungsaufnahmeraten haben. Eine wichtige<br />

Annahme besteht daher darin, dass alle Nahrungsquellen einen kontinuierlichen<br />

Input an Ressourcen haben. Eine solche Situation findet sich zum<br />

Beispiel in Fließgewässern, in denen Fische mit der Strömung angeschwemmte<br />

Nahrung aufnehmen (Hughes u. Grand 2000).<br />

Diese Situation hat Manfred Milinski (1979) in einem einfachen, aber<br />

genialen Experiment simuliert, um zu überprüfen, ob sich Stichlinge entsprechend<br />

den Vorhersagen ideal frei zwischen zwei Ressourcen verteilen.<br />

Er tropfte in Aquarien mit sechs Stichlingen (Gasterosteus aculeatus) an<br />

den beiden Enden Wasserflöhe in unterschiedlichen Raten ins Becken.<br />

Wenn an einem Ende doppelt so viele Wasserflöhe eingegeben wurden wie<br />

am anderen, verteilten sich die Fische entsprechend der Profitabilität der<br />

beiden Futterstellen: also vier am Ende mit der höheren Eingaberate und<br />

zwei auf der anderen Seite. Bei jeder anderen Verteilung der Fische<br />

täte mindestens ein Individuum besser daran, die Seite zu wechseln. Wenn<br />

die Eingaberaten der beiden Seiten getauscht wurden, änderten die Stichlinge<br />

auch innerhalb weniger Minuten ihre Verteilung. Das heißt, die nu-


172 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

merische Verteilung der Fische folgte tatsächlich den Vorhersagen der ideal<br />

freien Verteilung. Auch Blattläuse (Flaxman u. deRoos 2007), Lachse<br />

(Grand 1997), Enten (Harper 1982; Box 5.4) und Kraniche (Bautista et al.<br />

Box 5.4<br />

„Ideal freie Enten“<br />

• Frage: Wie verteilen sich Stockenten (Anas platyrhynchos) zwischen<br />

zwei Futterstellen mit unterschiedlicher Profitabilität?<br />

• Hintergrund: Das Modell der ideal freien Verteilung macht Vorhersagen<br />

über die Verteilung von Individuen zwischen Ressourcen unterschiedlicher<br />

Qualität. Wenn keine anderen Faktoren wirksam sind, sollten sich<br />

Individuen so zwischen Ressourcen verteilen, dass jedes Individuum denselben<br />

Gewinn erzielt.<br />

• Methode: 33 Stockenten auf einem Teich wurden an zwei 20 m voneinander<br />

entfernten Stellen mit kleinen Brotstückchen gefüttert. Die Profitabilität<br />

der beiden Futterstellen wurde durch unterschiedliche Fütterungsraten<br />

kontrolliert und die Zahl der Enten an beiden Stellen über 5 Minuten<br />

gezählt.<br />

Anzahl Enten an Ort A<br />

18<br />

12<br />

6<br />

0<br />

1 2 3 4 5<br />

Zeit nach Versuchsbeginn [min]<br />

• Ergebnis: Wenn die Profitabilität beider Stellen identisch war, wurden im<br />

Durchschnitt 16,5 Enten an jeder Fütterungsstelle erwartet (horizontale<br />

Linie). Innerhalb der ersten 2 Minuten hatten sich die Enten entsprechend<br />

dem vorhergesagten Verhältnis zwischen den beiden Fütterungsstellen<br />

verteilt.<br />

• Schlussfolgerung: Die Verteilung von Enten zwischen verschiedenen<br />

Ressourcen lässt sich mit dem Konzept der ideal freien Verteilung vorhersagen.<br />

Allerdings variiert in diesem Fall die individuelle Fressrate aufgrund<br />

von Dominanzbeziehungen, so dass die tatsächlichen Gewinne<br />

nicht exakt identisch sind.<br />

Harper 1982


5.5 Territorialität 173<br />

1995) verteilten sich in Fütterungsexperimenten weitestgehend entsprechend<br />

einer idealen freien Verteilung.<br />

Das Verhalten von Tieren in freier Natur wird in dieser Hinsicht aber<br />

durch mindestens drei Faktoren kompliziert. Erstens sind nicht alle Individuen<br />

gleich starke Konkurrenten; es gibt individuelle Unterschiede in der<br />

Wettbewerbsfähigkeit. Größere, stärkere oder dominante Tiere können<br />

unter Umständen eine Nahrungsquelle ganz oder teilweise für sich monopolisieren<br />

und andere Artgenossen in schlechtere Gebiete abdrängen. Die<br />

individuellen Nahrungsaufnahmeraten, also zum Beispiel die Zahl der tatsächlich<br />

gefressenen Wasserflöhe pro Stichling, variierte in Milinskis Experiment<br />

stark zwischen Individuen und war auch zwischen einzelnen<br />

Durchgängen konstant. Zweitens verschlechtern sich viele natürliche Ressourcen<br />

mit zunehmender Nutzung in ihrer Qualität und werden nicht<br />

schnell genug erneuert, als dass die Annahme des kontinuierlichen Inputs<br />

gewährleistet wäre. Realistische Modelle müssen also auch die Erneuerungsrate<br />

der Ressource mit berücksichtigen. Schließlich können sich<br />

unterschiedliche Habitate oder Nahrungsquellen auch in ihrem Prädationsrisiko<br />

für Nahrung suchende Individuen unterscheiden, so dass sie<br />

möglicherweise gezwungen werden, beide Faktoren gegeneinander abzuwägen<br />

(Moody et al. 1996). Es gibt bereits theoretische Modelle, die alle<br />

drei Faktoren gleichzeitig berücksichtigen (Grand u. Dill 1999), aber viele<br />

ihrer Vorhersagen sind noch nicht überprüft. Das Grundkonzept der ideal<br />

freien Verteilung ist aber so weit bestätigt, dass es sich auch erfolgreich<br />

auf Situationen in anderen Kontexten wie Habitatwahl (Pöysä 2001) und<br />

Fortpflanzungskonkurrenz (Widemo 1998) anwenden lässt.<br />

5.5 Territorialität<br />

Territorialität existiert immer dann, wenn Individuen oder soziale Einheiten<br />

einer Art weiter voneinander im Raum verteilt sind, als dies durch Zufall<br />

zu erwarten wäre (Davies 1978). Diese breite Definition impliziert,<br />

dass dieser Verteilung aktive Verhaltensmechanismen zugrunde liegen.<br />

Als Konsequenz kommt es zu einer Überlappung und Verteidigung von<br />

benachbarten Territorien. Wenn ein Tier zwar nur ein umschriebenes Gebiet<br />

nutzt, dieses aber nicht verteidigt und von Nachbarn teilweise mitgenutzt<br />

wird, spricht man von Streifgebieten (home range) (Maher u. Lott<br />

1995). Territorialität wird oft als charakterisierendes Merkmal einer Art<br />

angeführt. Diese Einschätzung kommt aber nur dadurch zustande, dass die<br />

Mehrzahl der Individuen über den größten Bereich des Verbreitungsgebiets<br />

einer Art Bedingungen vorfindet, unter denen territoriales Verhalten


174 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Abb. 5.11. Schematische Darstellung der Beziehungen zwischen Ressourcenqualität,<br />

Konkurrenzregime und räumlicher Verteilung von Individuen. IFV = ideal<br />

freie Verteilung<br />

vorteilhaft ist. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass dem viele Einzelentscheidungen<br />

zugrunde liegen und dass durch ökologische Variation<br />

oder entsprechende Fütterungsexperimente territoriales Verhalten hervorgerufen<br />

oder unterdrückt werden kann (z. B. Pusenius u. Schmidt 2002).<br />

Ob und in welcher Form territoriales Verhalten existiert, hängt vor allem<br />

von der Art und Intensität der vorherrschenden Nahrungskonkurrenz ab,<br />

welche wiederum von Eigenschaften der betreffenden Ressourcen abhängig<br />

sind (Abb. 5.11), wobei nicht vergessen werden darf, dass Territorien<br />

auch aus anderen Gründen, z. B. zur Verteidigung von Paarungspartnern,<br />

etabliert werden. Wenn Nahrungsressourcen aufgrund ihrer Größe, räumlichen<br />

oder zeitlichen Verteilung mit Konkurrenten geteilt werden können,<br />

stellt die ideal freie Verteilung einen Regulationsmechanismus dar, der die<br />

Interaktionen und Verteilung von Individuen erklärt. Wenn es dagegen<br />

monopolisierbare Ressourcen gibt, kann es entweder zur temporären Verteidigung<br />

einzelner Nahrungsquellen kommen oder ein ganzes Gebiet wird<br />

exklusiv gegen Konkurrenten verteidigt, d. h. es kommt zu Territorialität.<br />

Unter welchen Bedingungen ist nun welche Entscheidung zu erwarten und<br />

welche Mechanismen werden dabei eingesetzt?


5.5 Territorialität 175<br />

5.5.1 Ursachen von Territorialität<br />

Ob und in welcher Form Nahrungsressourcen verteidigt werden, wird von<br />

Verhaltensökologen als Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Abwägung analysiert,<br />

bei der vier Eigenschaften der Ressource eine wichtige Rolle spielen.<br />

Erstens ist die Qualität der Ressource bedeutsam. Qualität ist unter anderem<br />

durch Energiegehalt und Inhaltsstoffe charakterisiert. Zum Beispiel<br />

sind sowohl Gras als auch Sträucher mit nahrhaften Blättern in Teilen Afrikas<br />

weiträumig und ungleichmäßig verteilt, aber nur Antilopen verteidigen<br />

die Sträucher, wohingegen die Gras fressenden Gnus weit umherziehen<br />

(Jarman 1974).<br />

Zweitens variieren Nahrungsressourcen auch in ihrer Quantität: entweder<br />

durch Unterschiede in ihrer Größe oder Menge. Wenn die Ressourcenquantität<br />

zunimmt, wird deren Verteidigbarkeit immer geringer. Karnivoren<br />

oder Aasfresser können beispielsweise eine kleine Beute oder ein<br />

kleines Aas für sich monopolisieren, wohingegen es bei größeren Nahrungsquellen<br />

zunehmend schwieriger wird, Mitesser fern zu halten (Donazar<br />

et al. 1999). Ressourcengröße lässt sich bei manchen Arten leicht experimentell<br />

manipulieren und löst beispielsweise bei Haussperlingen (Passer<br />

domesticus) die vorhergesagten Effekte aus (Johnson et al. 2004). Quantität<br />

und Qualität einer Nahrungsquelle sind natürlich nicht immer unabhängig<br />

voneinander, so dass sie manchmal gemeinsam betrachtet werden.<br />

Drittens ist die Verteilung einer Nahrungsquelle im Raum bei der Erklärung<br />

ihrer Verteidigbarkeit bedeutsam. Bei räumlicher Ressourcenverteilung<br />

wird grundsätzlich zwischen gleichmäßiger, zufälliger oder geklumpter<br />

Verteilung unterschieden. Eine gegebene Nahrungsmenge kann von<br />

einem Individuum verteidigbar sein, wenn sie sich geklumpt an einem Ort<br />

befindet. Sobald dieselbe Menge aber über eine größere Fläche in mehrere<br />

kleine Einheiten verteilt wird, ist sie nicht mehr zu verteidigen. Wenn man<br />

in einem Experiment Fische immer an derselben Stelle füttert, verteidigen<br />

manche Individuen ein Territorium, welches die Futterstelle beinhaltet.<br />

Wenn der Futterplatz dagegen zufällig variiert, sind fehlendes territoriales<br />

Verhalten und reduzierte Aggressionsraten zu beobachten (Castro u. Santiago<br />

1998).<br />

Schließlich ist viertens auch die zeitliche Verteilung der Nahrungsquellen<br />

von Bedeutung für deren Verteidigbarkeit. Grundsätzlich kann die<br />

zeitliche Verteilung einer Ressource gleichmäßig oder geklumpt sein.<br />

Wenn es sich um Variabilität auf der Ebene eines Jahres handelt, spricht<br />

man von Saisonalität, aber natürlich kann für unterschiedliche Tiergruppen<br />

zeitliche Variabilität auf anderen Skalen (Tage, Monate) von Bedeutung<br />

sein. Wenn eine bestimmte Nahrungsquelle gleichmäßig über einen bestimmten<br />

Zeitraum verfügbar wird, so ist sie theoretisch von einem Indivi-


176 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

duum leichter zu verteidigen, als wenn dieselbe Menge an Ressource zu<br />

einem Zeitpunkt gehäuft verfügbar wird. Die zeitliche Vorhersagbarkeit<br />

von Ressourcen hat ebenfalls Konsequenzen für das Verhalten der Konkurrenten;<br />

in einem Experiment mit Küstentauben (Zenaida aurita) erhöhten<br />

sich die Aggressionsraten mit zunehmender Vorhersagbarkeit von Nahrung<br />

(Goldberg et al. 2001). Die Effekte von zeitlicher Verteilung und<br />

Ressourcenquantität lassen sich im Fall einer Klumpung allerdings nicht<br />

mehr klar trennen.<br />

5.5.2 Ökonomie der Territorialität<br />

Eine konkrete ökonomische Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt,<br />

ist die nach der optimalen Größe eines Territoriums (Abb. 5.12,<br />

Kap. 1.4). Einerseits nehmen die Kosten der Verteidigung mit zunehmender<br />

Größe stetig zu. Andererseits nimmt der Gewinn aus dem exklusiven<br />

Zugang zu einem Gebiet zunächst rasch zu; die relativen Vorteile einer<br />

weiteren Vergrößerung werden aber immer geringer, da die maximale<br />

Nahrungsmenge, die ein Tier pro Tag aufnehmen kann, limitiert ist. Das<br />

Optimalitätsmodell liefert in diesem Fall Vorhersagen über die minimale,<br />

maximale und optimale Größe eines Territoriums (Adams 2001). Erst bei<br />

einer Mindestgröße enthält ein Territorium so viele Ressourcen, dass deren<br />

Energie die Aufwandskosten der Verteidigung wettmachen. Umgekehrt<br />

Abb. 5.12. Theorie der optimalen Territoriumsgröße. Durch das Verhältnis von<br />

sich mit der Territoriumsgröße verändernden Kosten und Nutzen lassen sich die<br />

minimale, maximale und optimale Größe eines Territoriums vorhersagen


5.5 Territorialität 177<br />

gibt es einen Punkt, an dem keine weiteren Vorteile aus zusätzlichen Ressourcen<br />

gezogen werden können und die Kosten der Verteidigung zu groß<br />

werden, so dass eine ökonomische Verteidigung nicht mehr möglich ist.<br />

Dazwischen liegt die optimale Territoriumsgröße, bei der die Differenz<br />

aus Energiegewinn durch exklusiven Ressourcenzugang und energetischen<br />

(und anderen) Kosten durch Territoriumsverteidigung maximal ist.<br />

Beobachtungen und Experimente mit Kolibris (Abb. 5.13) und Nektarvögeln<br />

haben die deutlichsten Hinweise darauf ergeben, dass die Territoriumsgröße<br />

tatsächlich von ökonomischen Gesichtspunkten beeinflusst wird.<br />

Bei diesen Vögeln können sowohl die Zahl der Blüten sowie die darin enthaltene<br />

Nektarmenge und deren Energiegehalt vergleichsweise einfach<br />

quantifiziert werden (Suarez u. Gass 2002). Außerdem wurden im Labor<br />

die energetischen Kosten verschiedener Aktivitäten wie Sitzen, Nahrungssuche<br />

und Kämpfen gemessen. Somit können Kosten und Nutzen (beide in<br />

Kalorien!) sowohl miteinander als auch zwischen verschiedenen Nah-<br />

Abb. 5.13. Die Familie<br />

der Kolibris (Trochilidae)<br />

enthält über 300<br />

Arten, die sich in der<br />

Neuen Welt von Nektar<br />

ernähren und zumeist<br />

territorial sind. Ernst<br />

Haeckels Bild zeigt eine<br />

Auswahl von besonders<br />

farbenprächtigen Arten<br />

(aus „Kunstformen der<br />

Natur“ 1899)


178 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

rungsbedingungen verglichen werden (Gill u. Wolf 1975). Dabei wurde<br />

gefunden, dass sich der durchschnittliche Nektargehalt einer Blüte aufgrund<br />

der Verteidigung eines Territoriums von 1 auf 2 Mikroliter erhöht,<br />

und sich dadurch die Zeit, die täglich für die Nahrungsaufnahme aufgewendet<br />

werden muss, halbiert. Da „Nahrungssuche“ energetisch sehr viel<br />

teurer ist als „Sitzen“, können territoriale Individuen durch Revierverteidigung<br />

unter dem Strich erstaunlich viel Energie einsparen.<br />

Das Nahrungsangebot von Kolibris und Nektarvögeln kann stark in<br />

Raum und Zeit variieren. Man sollte daher erwarten, dass diese Vögel flexibel<br />

auf räumliche und zeitliche Schwankung ihrer Nahrung reagieren.<br />

Bei gleichmäßiger Verteilung der Nahrungspflanzen wurde tatsächlich eine<br />

negative Beziehung zwischen der Anzahl verteidigter Blüten und der<br />

Territoriumsgröße gefunden (Kodric-Brown u. Brown 1978). Wenn die<br />

räumliche Verteilung der Ressourcen heterogen ist, sollte dagegen die Territoriumsgröße<br />

an die Verteilung der Blüten angepasst sein. Dafür spricht<br />

die indirekte Beobachtung, dass die Territorien von Tieren derselben Population<br />

sich um das mehr als Hundertfache in der Größe, aber nur um das<br />

Zwei- bis Dreifache in der Zahl der Blüten unterscheiden (Gill u. Wolf<br />

1975). Es gibt schließlich auch Hinweise darauf, dass diese Vögel flexibel<br />

auf zeitliche Änderungen im Nahrungsangebot reagieren. Wenn zum Beispiel<br />

eine Pflanze mit besonders viel Nektar verfügbar ist, wird die Territoriumsgröße<br />

schnell reduziert. Neben dem Vorteil aus der exklusiven Nutzung<br />

von Blüten können Nektar fressende Vögel noch zusätzliche Vorteile<br />

daraus ziehen, dass sie den Blüten genügend Zeit zur Regeneration geben<br />

und damit ihre Suchwege optimieren können ( Kap. 5.2).<br />

5.5.3 Mechanismen der Territorialität<br />

Bei der Entschlüsselung der Mechanismen und Regeln der Territoriumsverteidigung<br />

können Entfernungsexperimente, bei denen ein Individuum<br />

für eine bestimmte Zeit aus seinem Territorium entfernt wird, wichtige<br />

Aufschlüsse geben. Interessanterweise wird sein Platz in vielen Fällen in<br />

kürzester Zeit von einem anderen Tier eingenommen, das entweder aus einem<br />

schlechteren Gebiet „umzieht“ oder bislang als nicht-territorialer Vagabund<br />

(floater) unterwegs war (Bruinzeel u. van de Pol 2004). Die teilweise<br />

faszinierende Geschwindigkeit dieser Wiederbesetzungen zeigt, dass<br />

viele Territoriumsinhaber ständig mit der Verteidigung ihres Gebietes beschäftigt<br />

sein müssen.<br />

Bei diesem Experiment sind zwei Ansätze möglich. Erstens kann man<br />

während der Abwesenheit des Territoriumsinhabers versuchen, seine kontinuierliche<br />

Präsenz vorzutäuschen. Wenn man aus einem solchen Territo-


5.5 Territorialität 179<br />

rium heraus die Rufe eines Inhabers während seiner Abwesenheit über einen<br />

Lautsprecher abspielt (Playback-Experiment), kann damit das Territorium<br />

länger freigehalten werden, als wenn Kontrollrufe abgespielt werden.<br />

Einzelne Rufe oder Lautkombinationen können dabei eine unterschiedliche<br />

Effektivität haben, so dass man mit diesem Experiment die territoriale<br />

Funktion einzelner Laute nachweisen und vergleichen kann (Krams 2000).<br />

Ähnliches ist prinzipiell mit Attrappen in anderen Modalitäten möglich.<br />

Zweitens kann man den Revierinhaber nach unterschiedlichen Zeiträumen<br />

wieder freilassen und mit seinem Nachfolger konfrontieren. In einem<br />

solchen Experiment hat Nick Davies (1978) an einem kleinen Schmetterling,<br />

dem Waldbrettspiel (Pararge aegeria), untersucht, welche Faktoren<br />

in dieser Situation das Territorialverhalten bestimmen. Bei diesen Tagfaltern<br />

verteidigen die Männchen sonnige Flecken in Mischwäldern, um sich<br />

dort mit vorbeikommenden Weibchen zu verpaaren. Wenn ein Vagabund<br />

auf ein besetztes Territorium stößt, gibt es einen kleinen Schaukampf, der<br />

immer vom Revierinhaber gewonnen wird. Da die Ressource „Lichtfleck“<br />

so zahlreich ist, lohnt es sich offenbar nicht, dafür eine eskalierende Auseinandersetzung<br />

einzugehen. Vielmehr wird hier eine arbiträre Konvention<br />

(„der Resident gewinnt immer“) eingesetzt, um die Kosten der Verteidigung<br />

gering zu halten. Eine alternative proximate Erklärung für den<br />

Ausgang dieser Kämpfe besteht darin, dass die Residenten sich im Lichtfleck<br />

aufwärmen und daher aus physiologischen Gründen größere Ausdauer<br />

bei den Auseinandersetzungen haben (Stutt u. Willmer 1998).<br />

Wenn nun ein Revierbesitzer für einige Zeit gefangen gehalten wird und<br />

ein anderes Männchen in der Zwischenzeit sein Revier besetzt, kommt es<br />

nach dem Freilassen des ursprünglichen Revierinhabers zu einem (für<br />

Schmetterlingverhältnisse!) eskalierenden Kampf, da beide sich offensichtlich<br />

als berechtigte Territoriumsinhaber fühlen. Ähnliche Experimente haben<br />

gezeigt, dass die Zeit, die der neue Revierinhaber ein Gebiet besetzt<br />

hat (Krebs 1982; Box 5.5), sowie individuelle Qualitätsunterschiede (Pryke<br />

u. Andersson 2003) dafür entscheidend sind, wie intensiv gekämpft wird<br />

und wie groß die Chance ist, dass der neue Territoriumsinhaber sein Revier<br />

erfolgreich verteidigen kann.<br />

Eine weitere Konvention bei der Territorialverteidigung wurde bei Eidechsen<br />

und Vögeln entdeckt: der „Lieber-Feind“-Effekt (dear enemy<br />

phenomenon). Es wurde dabei beobachtet, dass territoriale Auseinandersetzungen<br />

zwischen Nachbarn weniger intensiv sind und seltener eskalieren,<br />

als wenn ein fremder Eindringling gestellt wird. Dadurch profitieren<br />

alle Territoriumsinhaber, da die Kosten für die Verteidigung eines Territoriums<br />

nach dessen Etablierung auf diese Weise gesenkt werden. Umgekehrt<br />

erhöht sich für den Inhaber nach dieser Grundinvestition der Wert<br />

eines Territoriums (aufgrund der reduzierten Unterhaltskosten), so dass


180 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Box 5.5<br />

Territorialverteidigung bei Kohlmeisen<br />

• Frage: Hängt der Ausgang von Kämpfen zwischen Territoriumsbesitzern<br />

und Eindringlingen – hier bei Kohlmeisen (Parus major) – davon ab, wer<br />

das Territorium besitzt?<br />

• Hintergrund: Territoriumsinhaber können Eindringlinge in der Regel<br />

abwehren. Das könnte daran liegen, dass Residente (1) ein höheres Ressourcenverteidigungspotential<br />

haben, also z. B. stärker sind, (2) mehr zu<br />

gewinnen haben oder dass es (3) eine arbiträre Konvention gibt, die Residente<br />

bevorzugt.<br />

• Methode: In einer Serie von Entfernungsexperimenten wurden Kohlmeisen-Paare<br />

von ihrem Territorium gefangen und nach 1–6 Tagen dort wieder<br />

freigelassen. Gemessen wurde die Geschwindigkeit der Besetzung des<br />

freien Territoriums durch ein anderes Paar, sowie die Kämpfe zwischen<br />

beiden Paaren.<br />

• Ergebnis: Kämpfe zwischen Residenten und den „Nachrückern“ waren<br />

länger und intensiver als deren Auseinandersetzungen mit etablierten<br />

Nachbarn oder normalen Eindringlingen. Die Zeit, welche die Nachrücker<br />

schon auf dem Territorium verbracht hatten, beeinflusste sowohl die Intensität<br />

der Kämpfe als auch die Wahrscheinlichkeit, die früheren Residenten<br />

zu besiegen*.<br />

• Schlussfolgerung: Territoriale Residenten gewinnen gegen Eindringlinge<br />

nicht, weil sie stärker sind oder es eine entsprechende Konvention gibt<br />

(siehe Schmetterlingsbeispiel), sondern weil sie mehr zu gewinnen haben.<br />

Als etablierte Residenten profitieren sie nämlich von geringeren Verteidigungskosten<br />

gegen etablierte Nachbarn.<br />

Krebs 1982<br />

* Wahrscheinlichkeit von Residenten, das Territorium zu verlieren, als Funktion der<br />

(log) Dauer seit der Wiederbesetzung durch Nachrücker.


5.5 Territorialität 181<br />

diese erhöhte Motivation zum Ressourcenverteidigungspotential des Inhabers<br />

beiträgt. Dieser Effekt tritt nicht nur bei Individuen (z. B. Whiting<br />

1999) und Paaren (Box 5.5), sondern auch zwischen benachbarten Gruppen<br />

oder Kolonien auf (Langen et al. 2000). Wenn Konkurrenz zwischen<br />

Nachbarn sehr hoch ist, wie z. B. zwischen benachbarten Gruppen von<br />

Zebramangusten (Mungos mungo), können aggressive Reaktionen gegen<br />

Nachbarn intensiver sein als gegen Fremde (Müller u. Manser 2007).<br />

Die Verteidigung eines Territoriums kann mit unterschiedlichen Verhaltensmechanismen<br />

erfolgen. Direkte Aggression in Begegnungen zwischen<br />

Konkurrenten an einer Ressource oder an einer Territoriumsgrenze ist dabei<br />

der am häufigsten eingesetzte Mechanismus. Bei diesen Auseinandersetzungen<br />

sind physische Merkmale zumeist für den Erfolg ausschlaggebend.<br />

Da diese Interaktionen immer mit einem Verletzungsrisiko<br />

behaftet sind, haben sich im Laufe der Evolution auch ritualisierte Kommunikationssignale<br />

(displays) entwickelt, die in diesem Kontext eingesetzt<br />

werden und Artgenossen auf existierende Territoriumsgrenzen hinweisen<br />

(Ord u. Blumstein 2002).<br />

Diese displays können prinzipiell in mehreren Modalitäten ihre Nachricht<br />

übermitteln. Territoriale Singvögel setzen ihren Gesang in dieser<br />

Funktion ein (Naguib et al. 2001). Duftmarken, Urin oder Latrinen enthalten<br />

chemische Signale, die sogar in der Abwesenheit des Senders anzeigen,<br />

dass ein Territorium besetzt ist; das ist eine Form der Revierverteidigung,<br />

die bei Säugetieren weit verbreitet ist (z. B. Allen et al. 1999), aber auch<br />

bei Ameisen nachgewiesen wurde (Robinson et al. 2005). Wenn diese abschreckenden<br />

Signale ihre Funktion nicht erfüllen, kommt es bei Sichtkontakt<br />

zwischen Konkurrenten zumeist zu visuellen displays. Dabei kann<br />

man durch Aufplustern, Haareaufstellen, Verfärbungen oder entsprechende<br />

Bewegungsabläufe den Gegenüber einschüchtern (Ord et al. 2002). Nur<br />

wenn dieser Austausch von Signalen keine Entscheidung herbeigeführt<br />

hat, kommt es zu eskalierenden Kämpfen.<br />

Die Bereitschaft zur Ausführung, Häufigkeit und Intensität von aggressivem<br />

Verhalten wird proximat durch Unterschiede im Testosterongehalt<br />

mit beeinflusst. Vor allen Dingen wenn Männchen territorial sind, können<br />

damit viele Aspekte ihres Verhaltens erklärt werden. Experimentelle Erhöhung<br />

des Testosterontiters bei Eidechsen hat beispielsweise gezeigt, dass<br />

die betreffenden Männchen mehr patrouillieren, häufiger visuelle displays<br />

vollführen und weniger fressen als Kontrollmännchen (Marler u. Moore<br />

1989). Da die manipulierten Männchen auch eine deutlich erhöhte Sterblichkeitsrate<br />

hatten, zeigte dieser Versuch auch, dass Territorialität mit erheblichen<br />

intrinsischen Kosten verbunden sein kann. Wie Untersuchungen<br />

an Schneehühnern (Lagopus lagopus) ergeben haben, kann temporär erhöhte<br />

Aggressivität zwischen Reviernachbarn aufgrund experimenteller


182 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Erhöhung ihrer Testosterontiter sich sogar negativ auf das Wachstum der<br />

gesamten Population niederschlagen (Mougeot et al. 2003).<br />

Details des territorialen Verhaltens können schließlich in interessanter<br />

Weise mit der sozialen Organisation interagieren. Territorialität findet<br />

sich bei solitären, aber auch bei paar- oder gruppenlebenden Arten. Ökonomische<br />

Analysen sind für Individuen leicht nachvollziehbar, auch wenn<br />

sie in der Praxis oft schwierig durchzuführen sind. Wenn aber zwei oder<br />

mehr Individuen zusammenleben, müssen sowohl ihre individuellen Vorund<br />

Nachteile als auch die Effekte ihres Zusammenlebens bei der Analyse<br />

von Territorialität berücksichtigt werden (Schradin 2004). Benötigen zum<br />

Beispiel zwei Tiere ein doppelt so großes Territorium wie ein einzelnes<br />

Individuum und lässt sich ein gemeinsames Territorium mit weniger individuellem<br />

Aufwand verteidigen? Nicht selten finden sich Geschlechtsunterschiede<br />

im territorialen Verhalten; selbst in Paaren oder Gruppen kann<br />

nur ein Geschlecht für die Verteidigung zuständig sein (Boydston et al.<br />

2001). In größeren Gruppen gibt es zudem die Gefahr, dass manche Individuen<br />

andere die Kosten der Verteidigung allein tragen lassen, aber trotzdem<br />

die Vorteile des Ressourcenzugangs für sich in Anspruch nehmen; es<br />

entsteht ein Kollektivhandlungsproblem (collective action problem)<br />

(Nunn u. Deaner 2004).<br />

5.6 Tier-Pflanze-Interaktionen<br />

Da die große Mehrzahl der Tierarten sich ganz oder teilweise von pflanzlicher<br />

Nahrung ernährt, kam es im Laufe der Evolution zu Wettrennen oder<br />

wechselseitigen Anpassungen zwischen Tieren und Pflanzen. Zwei Aspek-<br />

Abb. 5.14. Herbivorie, Bestäubung und Samenausbreitung sind die evolutionär<br />

bedeutsamsten Aspekte von Tier-Pflanze Interaktionen. Blätter fressende Giraffen<br />

(Giraffa camelopardalis rothschildi), Blüten besuchende Insekten sowie Früchte<br />

fressende Amseln (Turdus merula) liefern Beispiele für diese Interaktionen


5.6 Tier-Pflanze-Interaktionen 183<br />

te sind in diesem Zusammenhang von besonderer evolutionärer Bedeutung:<br />

die Herbivorie sowie die Instrumentalisierung von Tieren bei der<br />

Fortpflanzung von Pflanzen (Abb. 5.14). In beiden Bereichen findet eine<br />

intensive Kommunikation zwischen Pflanzen und ihren Besuchern statt<br />

(Schaefer et al. 2004).<br />

5.6.1 Evolution von Herbivorie<br />

Zwischen Pflanzen und herbivoren Tieren gibt es einen fundamentalen Interessenskonflikt,<br />

der seit Jahrmillionen ein evolutionäres Wettrennen<br />

antreibt. Herbivore beziehen ihre Energie und Nährstoffe ganz oder teilweise<br />

aus pflanzlichem Material. Dazu fressen sie Teile von Wirtspflanzen<br />

oder zerstören sie sogar ganz. Viele Pflanzen müssen sich in diesem Zusammenhang<br />

nicht nur mit einer, sondern mit einer Vielzahl von Tierarten<br />

auseinandersetzen, die ihre Wurzeln, Stämme, Blätter, Blüten oder Samen<br />

beschädigen. Die betroffenen Pflanzen erfahren dadurch zum Teil massive<br />

Fitnesseinbußen, da durch diese Zerstörung ihre Fähigkeit zu überleben, zu<br />

wachsen und sich fortzupflanzen erheblich eingeschränkt werden kann<br />

(Agrawal 1998). Es ist daher nicht verwunderlich, dass natürliche Selektion<br />

eine Reihe von Abwehrmechanismen bei Pflanzen hervorgebracht hat,<br />

mit denen sie sich gegen Herbivoren zur Wehr setzen. Dabei kann es sich<br />

prinzipiell um mechanische oder chemische Anpassungen handeln (Strauss<br />

u. Agrawal 1999).<br />

Wichtige mechanische Abwehrmechanismen von Pflanzen beinhalten<br />

die Ausbildung von Stacheln, Dornen oder Nesseln, Verdickungen und<br />

Verhärtungen der Epidermis oder einen bestimmten Habitus, bei dem zum<br />

Beispiel die Fortpflanzungsorgane unter die Erde verlagert werden oder<br />

die Blätter nur außerhalb der Reichweite terrestrischer Herbivoren angelegt<br />

sind. Die chemische Abwehr von Pflanzen beruht auf der Produktion von<br />

unverträglichen oder giftigen Inhaltsstoffen (Mello u. Silva-Filho 2002).<br />

Diese Inhaltsstoffe werden zumeist vom sekundären Stoffwechsel der<br />

Pflanzen selbst produziert, d. h. Metaboliten aus der Atmung oder Photosynthese<br />

werden dazu umgebaut. Die resultierenden Abwehrstoffe werden<br />

dabei als Stickstoff- oder Kohlenstoff-basiert klassifiziert. Die wichtigsten<br />

Stoffklassen in diesem Zusammenhang sind die ca. 10 000 Alkaloide, die<br />

von Aminosäuren abgeleitet sind und eine hohe Affinität für tierische Neurotransmitterrezeptoren<br />

besitzen und daher meist eine (dosisabhängige) toxische<br />

Wirkung haben. Aufgrund ihres bitteren Geschmacks induzieren sie<br />

eine abstoßende Wirkung gegenüber potentiellen Herbivoren. Die zweite<br />

funktionell wichtige Gruppe toxischer Pflanzeninhaltsstoffe sind die Terpenoide,<br />

von denen über 20 000 bekannt sind.


184 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

Da Alkaloide stickstoffhaltig sind, bedeutet deren Abfluss aus den primären,<br />

häufig Stickstoff-limitierten Stoffwechselprozessen zusammen mit<br />

dem Verbrauch an energiehaltigen Co-Faktoren (ATP usw.), dass die chemische<br />

Abwehr mit energetischen Kosten verbunden ist. Viele Pflanzen<br />

sehen sich daher mit einem Trade-off zwischen Wachstum und Verteidigung<br />

konfrontiert. Vermutlich sind daher nicht alle Pflanzenteile gleichermaßen<br />

giftig oder geschützt oder manche Arten haben eine bestimmte Toleranz<br />

gegen Herbivoren entwickelt (Mauricio 2000). So sind Früchte<br />

häufig genießbar, da Pflanzen auf deren Verbreitung durch Tiere angewiesen<br />

sind (s. unten), wohingegen die Samen innerhalb der Früchte chemisch<br />

geschützt sind. Die Schutzstoffe sind bei manchen Pflanzen auf Harze und<br />

Säfte beschränkt, die bei mechanischer Beschädigung austreten. Manche<br />

Inhaltsstoffe werden nur zu bestimmten Zeiten, also wenn das Risiko am<br />

größten ist, oder bei Bedarf, also durch Herbivorie induziert, produziert.<br />

Manche Pflanzen schützen sich schließlich dadurch, dass sie bei Befraß<br />

flüchtige Substanzen freisetzen, die Parasiten oder Räuber des Herbivoren<br />

anlocken (Arimura et al. 2000).<br />

Auf der Seite der Herbivoren gibt es entsprechende Gegenselektion auf<br />

Fähigkeiten, diese pflanzlichen Abwehrmechanismen zu umgehen oder<br />

unschädlich zu machen. So gibt es mechanische Gegen-Anpassungen im<br />

Bereich der Entwicklung von Kauwerkzeugen, die auch mit besonders harten,<br />

zähen oder mechanisch geschützten Strukturen erfolgreich umgehen<br />

können. Gegen manche pflanzliche Inhaltsstoffe sind auch physiologische<br />

Detoxifikationsmechanismen entstanden, die ihrerseits wiederum für die<br />

betreffenden Tiere mit hohen energetischen Investitionen verbunden sein<br />

können. Wenn ein solcher Mechanismus entwickelt wird, kann er aber den<br />

alleinigen Zugang zu einer Pflanzenart ermöglichen. Die Raupen des Monarchfalters<br />

(Danaus plexippus) können nicht nur die Herzglykoside der<br />

Wolfsmilchgewächse erfolgreich detoxifizieren, sondern sie können diese<br />

zum eigenen Schutz vor räuberischen Vögeln umwandeln und einsetzen<br />

(Zalucki u. Malcolm 1999). Bei Flohkäfern (Longitarsus spp.) und vermutlich<br />

bei vielen anderen Gruppen ist der chemische Schutz mit Hilfe giftiger<br />

Pflanzeninhaltstoffe mehrfach unabhängig entstanden (Dobler 2001). Aufgrund<br />

der Ähnlichkeit der Pflanzeninhaltstoffe konzentrieren sich die<br />

meisten herbivoren Insekten auf einige wenige, nah miteinander verwandte<br />

Wirtspflanzen (Novotny et al. 2002).<br />

5.6.2 Tier-Pflanze-Mutualismus<br />

Ein zweiter, aus evolutionärer Sicht wichtiger Aspekt der Interaktion zwischen<br />

Tieren und Pflanzen betrifft deren mutualistische Beziehungen im


5.6 Tier-Pflanze-Interaktionen 185<br />

Kontext der Fortpflanzung der Pflanzen. Dieser Mutualismus, also eine<br />

Interaktion, die für beide Beteiligte vorteilhaft ist, tritt bei der Bestäubung<br />

von Samenpflanzen sowie der Ausbreitung ihrer Samen auf. Bei der Bestäubung<br />

ihrer Blüten sind zahlreiche Pflanzen auf Insekten, Vögel oder<br />

Säugetiere angewiesen, wobei die Bestäuber ihrerseits jeweils zahlreiche<br />

Wirte besuchen (Memmott 1999). Manche Artenpaare von Pflanzen und<br />

Tieren haben sich aber auch in Bezug auf die Bestäubung aufeinander spezialisiert,<br />

wie zahlreiche Feigen und Feigenwespen (Cook u. Rasplus<br />

2003). Um Bestäuber anzulocken, signalisieren manche Pflanzen mit auffälligen<br />

Blüten oder anderen Strukturen (z. B. Blütenständen) sowie durch<br />

Düfte ihre Präsenz (Schaefer et al. 2004). Viele Blüten sind in ihrer Struktur<br />

an bestimmte Bestäuber angepasst (von Helversen u. von Helversen<br />

2003). Bienen und Hummeln leben teilweise direkt von pflanzlichem Pollen;<br />

für andere, wie Schmetterlinge oder Kolibris, wird der Blütenbesuch<br />

durch Nektarien lohnend gemacht, die neben Zucker auch Aminosäuren<br />

bereitstellen (Gardener u. Gillman 2002). Die Übertragung von Pollen<br />

zwischen verschiedenen Pflanzen ist daher aus Sicht der Bestäuber oft nur<br />

ein unvermeidliches Nebenprodukt der Nahrungssuche.<br />

Der Reproduktionserfolg hängt bei vielen Pflanzen von der Samenausbreitung<br />

ab. Ihre Samen müssen an einen Ort gelangen, der für die Keimung<br />

und Entwicklung der jungen Pflanze optimale Voraussetzungen in<br />

Bezug auf Nährstoffe, Licht und Feuchtigkeit bietet und in der Regel von<br />

der Mutterpflanze entfernt sein sollte, da diese identische Ansprüche hat<br />

und daher mit ihrem Nachwuchs konkurriert (Nathan u. Muller-Landau<br />

2000). Manche Pflanzen, wie z. B. Löwenzahn oder Ahorn, verbreiten ihre<br />

Samen mit dem Wind (Anemochorie), in der Hoffnung, dass bei dieser<br />

Zufallsverteilung manche Samen an einen geeigneten Ort kommen. Bei der<br />

Verbreitung anderer Samen spielen Tiere die entscheidende Rolle (Zoochorie).<br />

In diesem Zusammenhang sind ebenfalls zahlreiche Anpassungen<br />

bei Pflanzen entstanden, welche die Wahrscheinlichkeit der Ausbreitung<br />

ihrer Samen erhöhen (Levin et al. 2003). Dazu zählen mechanische Strukturen<br />

wie Widerhaken, die sich am Körper von größeren Tieren verfangen<br />

können, sowie Belohnungen in Form von energiereichen Verpackungen<br />

der Samen in Früchten oder Beeren, die frugivoren Tieren als Nahrung<br />

dienen. Zudem können Pflanzen mit anderen Inhaltsstoffen das Schicksal<br />

ihrer Früchte und Samen über deren Einfluss auf die Frugivoren mitgestalten<br />

(Cipollini u. Levey 1997).<br />

In den meisten Fällen werden die Samen beim Fressen nicht beschädigt<br />

und fern vom Mutterbaum mit Dünger versehen abgesetzt. Aus Sicht des<br />

Tieres besteht der Vorteil dieses Arrangements darin, dass die Frucht, der<br />

Fettkörper an den Samen (Elaiosomen) oder die Samen selbst (Nüsse)<br />

Energiequellen darstellen. Für die Pflanze besteht der Vorteil darin, dass


186 5 Habitat- und Nahrungswahl<br />

die Samen von der Mutterpflanze weg transportiert werden und damit<br />

möglicherweise neue Gebiete kolonisiert werden können und dass dadurch<br />

Konkurrenz mit dem eigenen Nachwuchs um dieselben Ressourcen vermieden<br />

wird. Samenausbreitung durch Tiere ist daher auch ein wichtiger<br />

Mechanismus zur Erhaltung von Biodiversität, wie am Beispiel der Verbreitung<br />

von Früchten tropischer Bäume durch Vögel (Bleher u. Böhning-<br />

Gaese 2001), Fledermäuse (Giannini u. Kalko 2004) und Primaten (Ganzhorn<br />

et al. 1999) besonders deutlich wird. Auch in Wäldern gemäßigter<br />

Breiten haben Baumarten, deren Samen durch Tiere ausgebreitet werden,<br />

eine geringere Aussterbewahrscheinlichkeit als windverbreitete Arten<br />

(Montoya et al. 2008).<br />

5.7 Zusammenfassung<br />

Die ausreichende Versorgung eines Organismus mit Energie und<br />

Nährstoffen ist unabdingbare Voraussetzung für dessen Wachstum,<br />

Überleben und Fortpflanzung. Um Zugang zu für sie erschließbaren<br />

Nahrungsquellen zu erhalten, haben Tiere Anpassungen und Präferenzen<br />

für bestimmte Habitattypen entwickelt. Innerhalb dieser generellen<br />

Präferenzen gibt es Variabilität in der Habitatnutzung auf kleineren<br />

räumlichen Skalen, die als Unterscheidung von Generalisten und<br />

Spezialisten dichotomisiert werden kann. Bei der Suche und Auswahl<br />

von geeigneter Nahrung in einem gewählten Habitat spielen neben<br />

sensorischen Fähigkeiten auch ökonomische Kosten-Nutzen-<br />

Abwägungen eine Rolle. Zahlreiche Überprüfungen einfacher Vorhersagen<br />

der Optimal-foraging-Theorie haben nahegelegt, dass Individuen<br />

bei der Nahrungswahl durch Abwägung mehrerer Merkmale<br />

versuchen, die Profitabilität der Nahrungsaufnahme zu maximieren.<br />

Aufgrund nahezu identischer Nahrungsbedürfnisse von Artgenossen<br />

ist Nahrungskonkurrenz unvermeidlich. Deren Form und Intensität<br />

wird wesentlich durch die räumliche und zeitliche Verteilung der Ressourcen<br />

bestimmt. Nahrungskonkurrenz kann sowohl zu einer ideal<br />

freien Verteilung von Individuen zwischen benachbarten Nahrungsquellen<br />

als auch zu deren Monopolisierung, unter anderem in Form<br />

von Territorialität, führen. Da aufgrund der Nahrungspyramide die<br />

Mehrzahl der Tierarten hauptsächlich pflanzliche Nahrung nutzt, sind<br />

im Laufe der Evolution zahlreiche Interaktionen zwischen Tieren und<br />

Pflanzen im Kontext von Herbivorie, Bestäubung und Samenausbreitung<br />

entstanden.


Literatur 187<br />

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6 Prädation<br />

6.1 Evolutionäre Wettrennen<br />

6.2 Räuberstrategien<br />

6.2.1 Ansitz- vs. Suchjäger<br />

6.2.2 Solitäre vs. Gruppenjäger<br />

6.2.3 Giftige Räuber<br />

6.3 Beutestrategien<br />

6.3.1 Krypsis<br />

6.3.2 Aposematismus<br />

6.3.3 Mimikry<br />

6.3.4 Wehrhaftigkeit<br />

6.3.5 Wachsamkeit<br />

6.3.6 Alarmsignale<br />

6.3.7 Gruppenbildung<br />

6.4 Zusammenfassung<br />

Fressen und Gefressen-Werden sind eng miteinander verbunden. Im vorangehenden<br />

Kapitel wurde deutlich, dass Überleben entscheidend vom Zugang<br />

zu Nahrung abhängt. Da sich zahlreiche Tiere aber ganz oder teilweise<br />

von tierischer Nahrung ernähren, hat deren Fressverhalten drastische<br />

negative Konsequenzen für die Fitness der betroffenen Beute. Prädation<br />

und deren Vermeidung sind daher zentrale Aspekte der Überlebensstrategien<br />

aller Tiere. Das aus diesem Konflikt zwischen Räuber und Beute entspringende<br />

evolutionäre Wettrennen hat neben der sexuellen Selektion zu<br />

den vielfältigsten und spektakulärsten Anpassungen geführt, bei denen es<br />

sich in vielen Fällen um Verhaltensmerkmale handelt. In diesem Kapitel<br />

zeige ich auf, mit welchen Strategien Räuber und Beute versuchen, in diesem<br />

Wettrennen die Oberhand zu gewinnen.


198 6 Prädation<br />

6.1 Evolutionäre Wettrennen<br />

Viele Tiere ernähren sich teilweise oder vollständig von tierischer Beute,<br />

und praktisch alle Arten sind zumindest in einem Lebensstadium davon<br />

bedroht, gefressen zu werden. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Prädation<br />

für die Fitness von Räubern und Beutetieren liegt auf allen Anpassungen,<br />

die Individuen in dieser Hinsicht einen Vorteil verschaffen, ein<br />

enormer Selektionsdruck. Dabei werden sowohl die Fähigkeiten von Räubern,<br />

ihre Beute effizient zu suchen, diese eindeutig zu erkennen und sie<br />

mit möglichst wenig Aufwand zu überwältigen, als auch die Fähigkeiten<br />

der Beute, sich der Entdeckung zu entziehen und einem Räuber zu entkommen,<br />

von natürlicher Selektion belohnt, wann immer sie auch nur einen<br />

kleinen Vorteil mit sich bringen und eine genetische Basis haben<br />

(Abb. 6.1). Damit sind die Grundlagen für ein evolutionäres Wettrennen<br />

geschaffen, bei dem ein Vorteil durch eine Anpassung der Beute früher<br />

oder später durch eine Gegenanpassung der Räuber wettgemacht wird und<br />

umgekehrt (Abrams 2000).<br />

Gibt es bei einem solchen evolutionären Wettrennen jemals einen Sieger?<br />

Theoretische Überlegungen und empirische Beobachtungen legen<br />

nahe, dass diese Wettrennen in stabilen Systemen meist endlos weitergehen;<br />

hauptsächlich weil die Beute einen kleinen Vorsprung hat. Zum<br />

einen haben die meisten Beutetiere im Durchschnitt schnellere Life histories<br />

und können ihre Merkmale daher schneller anpassen als die Räuber<br />

( Kap. 2.3). Zudem ist der Selektionsdruck auf Räuber und Beute<br />

Abb. 6.1. Evolutionäres Wettrennen zwischen Räuber und Beute. Verschiedene<br />

Verhaltensmechanismen und daran angepasste morphologische Merkmale vermitteln<br />

Strategien und Gegenstrategien der Beteiligten


6.1 Evolutionäre Wettrennen 199<br />

unterschiedlich stark. Für ein Beutetier geht es bei einer Interaktion mit<br />

einem Räuber immer um Leben oder Tod, wohingegen es für den Räuber<br />

immer nur um die nächste Mahlzeit geht. Ein Beutetier darf sich keinen<br />

Fehler erlauben und wenn er doch passiert, kann es sich nicht mehr fortpflanzen.<br />

Räuber stehen hingegen nicht unter diesem immensen Erfolgsund<br />

Selektionsdruck, da sie auch weiter leben und sich weiter fortpflanzen<br />

können, wenn sie eine Beute einmal nicht zur Strecke bringen.<br />

Die Bilanz der Kosten und Nutzen von Anpassungen und Gegenanpassungen<br />

kann auch zu Gunsten der Beute verschoben sein und so zu einer<br />

Stabilisierung des Systems beitragen. Eine Ciliatenart (Euplotes octocarinatus)<br />

kann beispielsweise in der Präsenz einer räuberischen Art (Lembadion<br />

bullinum) laterale Anhänge ausbilden, die ihr „Verschlucken“ durch<br />

den Räuber verhindern. Als Gegenmaßnahme kann der Räuber allerdings<br />

seine Körper- und Mundgröße soweit ausdehnen, dass er Euplotes doch<br />

fressen kann, wobei allerdings die größten Beute-Individuen verschont<br />

bleiben. Die Vorteile der Vergrößerung in Bezug auf einen verbesserten<br />

Fresserfolg des Räubers sind aber gerade so groß wie die zusätzlichen<br />

Kosten durch die Vergrößerung des Körpers, so dass unter dem Strich die<br />

Beute durch diese induzierte Verteidigung (siehe unten) einen leichten<br />

Vorteil erfährt (Kopp u. Tollrian 2003).<br />

Schließlich gibt es auch ökologische Gründe, die sich aus der Populationsdynamik<br />

von Räuber und Beute ergeben, die dafür sprechen, dass es<br />

nicht zum Aussterben des einen oder anderen Teils eines Räuber-Beute-<br />

Systems kommt (Abrams 2000). Wenn nämlich die Räuber überhand nehmen,<br />

wird die Dichte der Beuteart irgendwann so weit reduziert sein, dass<br />

die Räuber auf eine andere Beuteart wechseln müssen und damit der entsprechende<br />

Selektionsdruck von der ersten Beuteart genommen wird. Umgekehrt,<br />

wenn eine Räuberart selten wird, weil die Beute sich immer besser<br />

an sie angepasst hat, werden die Räuber deswegen selten ausgerottet,<br />

da der Selektionsdruck auf die Beute, sich weiter zu verbessern, mit abnehmender<br />

Dichte des Räubers abnimmt. Das Ergebnis ist, zumindest theoretisch,<br />

eine gekoppelte Oszillation der Dichten von Räuber und Beute.<br />

In Wirklichkeit gibt es aber selten so einfache und isolierte Systeme, da die<br />

Dichte der Beute auch von deren Nahrungsverfügbarkeit abhängt (Friman<br />

et al. 2008) oder sie von mehr als einem Räuber gejagt wird bzw. ein Räuber<br />

praktisch nie auf eine einzige Beuteart spezialisiert ist. Unter diesen<br />

Bedingungen kann es aber zu synchronisierten Oszillationen der Populationen<br />

mehrerer Beutearten kommen (Korpimäki et al. 2005).<br />

Das bekannteste Beispiel für ein solches simples Räuber-Beute-System<br />

liefern Luchs (Lynx lynx) und Schneeschuh-Hase (Lepus americanus) in<br />

Nordamerika. Ihre Populationsdichten sind eng aneinander gekoppelt und


200 6 Prädation<br />

Abb. 6.2. Populationszyklus eines Räuber-Beute-Systems. Die Populationsgrößen<br />

von Schneeschuh-Hasen und Luchsen oszillieren über Jahrzehnte leicht versetzt<br />

zueinander<br />

schwanken in einem Zyklus von 9–11 Jahren (Abb. 6.2). Die Hasenpopulation<br />

kann Spitzendichten von bis zu 1500 Individuen pro km 2 erreichen.<br />

Unter diesen Bedingungen wird es für sie immer schwieriger, Futter zu<br />

finden und der Prädationsdruck steigt, da die durch Hunger geschwächten<br />

Hasen eine leicht zu erlegende Beute sind. Unter diesen Bedingungen können<br />

sich die Luchse optimal fortpflanzen und ihre Dichte nimmt zu, wodurch<br />

der Prädationsdruck auf die Hasen weiter erhöht wird. Die Hasenpopulation<br />

reduziert sich unter diesen Bedingungen bis auf ein niederes<br />

stabiles Niveau, welches mit den höchsten Luchsdichten zusammenfällt.<br />

Die Fortpflanzung der Luchse ist stark durch die Nahrungsverfügbarkeit<br />

limitiert, so dass sie unter Nahrungsmangel die Wurfgrößen reduzieren<br />

oder die Fortpflanzung sogar ganz einstellen, so dass sich die Luchsdichte<br />

ebenfalls reduziert. Wenn sich die Nahrung der Hasen wieder regeneriert<br />

hat, können sich diese wieder vermehren und bei mehreren Würfen pro<br />

Jahr schnell wieder eine wachsende Population etablieren, wodurch ein<br />

neuer Zyklus eingeleitet wird. Die Populationsdynamik der Luchse ist dabei<br />

allein von derjenigen der Hasen abhängig, wohingegen die Zyklen der<br />

Hasen durch die Kombination der Effekte von Prädation durch mehrere<br />

Räuber und die Verfügbarkeit ihrer Nahrung gesteuert werden (Stenseth<br />

et al. 1997). Aus gemäßigten und tropischen Habitaten gibt es keine Beispiele<br />

für solche Zyklen; vermutlich weil dort jeder Räuber weit mehr als<br />

nur eine Beuteart besitzt (z. B. Sinclair et al. 2003).


6.1 Evolutionäre Wettrennen 201<br />

Die Beziehungen zwischen Prädationsraten und Populationsdynamik<br />

können sehr komplexe Phänomene hervorrufen und über verschiedene<br />

Mechanismen vermittelt werden. Es wird in diesem Zusammenhang zunehmend<br />

deutlicher, dass insbesondere energetische und andere physiologische<br />

Kosten des Räuberdrucks die individuellen Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit<br />

beeinflussen können (Creel u. Christianson<br />

2008). Prädation hat daher nicht nur über die direkten Effekte der individuellen<br />

Prädation einen Einfluss auf die Populationsdynamik (Abb. 6.3).<br />

So unterdrücken manche Kleinsäuger, die einem hohen Prädationsrisiko<br />

ausgesetzt sind, die Fortpflanzung, vermutlich weil trächtige Tiere leichter<br />

von den Räubern zu fangen sind. Bei Wapitihirschen (Cervus canadensis)<br />

führt hoher Prädationsdruck durch Wölfe (Canis lupus) zu einer Reduktion<br />

im weiblichen Progesterontiter, welcher sich wiederum in einer reduzierten<br />

Geburtsrate niederschlägt (Creel et al. 2007). Die reduzierte Fortpflanzungsrate<br />

hat direkte Auswirkungen auf die Amplitude oder Frequenz von<br />

Populationszyklen (Ruxton u. Lima 1997). Ein anderer Effekt wurde bei<br />

Sumpfmäusen (Microtus oeconomus) nachgewiesen, bei denen durch Prä-<br />

Abb. 6.3. Beziehungen zwischen Prädationsdruck und Populationsdynamik. Über<br />

direkte Prädation von Individuen beeinflussen Räuber die Populationsdynamik der<br />

Beute. Das wahrgenommene Prädationsrisiko der Beute kann aber auch dessen<br />

Verhalten (energetische Konsequenzen) und Physiologie beeinflussen, welche<br />

über negative Effekte auf Überleben und Fortpflanzung die Populationsdynamik<br />

ebenfalls mit steuern


202 6 Prädation<br />

dation von emigrierenden Individuen durch Greifvögel die Populationszyklen<br />

innerhalb und zwischen Populationen miteinander synchronisiert<br />

wurden (Ims u. Andreassen 2000).<br />

Die Mehrzahl der Arten, die jemals auf der Erde existiert haben, ist bereits<br />

ausgestorben; es ist aber in den allermeisten Fällen nicht klar, ob und<br />

in welchem Maß eine Räuber-Beute-Beziehung an deren Aussterben beteiligt<br />

war. Eine Reihe von rezenten Beispielen, bei denen durch menschlichen<br />

Einfluss ein Teil eines Ökosystems in seiner Stabilität gestört wurde,<br />

zeigen aber, dass Prädation prinzipiell einen entsprechenden Einfluss<br />

haben kann. Vor allem auf Inseln wurden durch eingeschleppte neue Räuber<br />

zahlreiche Arten in relativ kurzen Zeiträumen ausgerottet. Die Nestprädation<br />

von am Boden brütenden Vögeln in Neuseeland durch eingeschleppte<br />

Hauskatzen und Ratten ist nur eines von mehreren Beispielen<br />

(Holdaway 1989). In diesem Fall trafen neue Räuber auf völlig unvorbereitete<br />

Beute, da es davor keine am Boden lebenden Nesträuber gab, so dass<br />

sich dieses System erst gar nicht stabilisieren konnte. Ein anderes Beispiel<br />

stammt von den Bahamas, wo nach einem Wirbelsturm eine Eidechsenart<br />

(Anolis sagrei) auf den Inseln ausstarb, auf denen eine davor eingeschleppte<br />

räuberische Eidechsenart (Leiocephalus carinatus) lebte. Auf benachbarten<br />

Inseln ohne den eingeschleppten Räuber erholte sich A. sagrei dagegen<br />

rasch von den ökologischen Störungen durch den Wirbelsturm<br />

(Schoener et al. 2001). Diese Fälle sprechen auch gegen die Hypothese,<br />

dass es nicht zum Aussterben von Beutepopulationen im evolutionären<br />

Wettlauf kommt, weil Räuber sich „klug“ verhalten, also ihre Beute nicht<br />

übermäßig nutzen.<br />

In stabilen Systemen entwickeln sich im Laufe des evolutionären Wettrennens<br />

immer feiner aufeinander abgestimmte Strategien und Gegenstrategien.<br />

Miteinander vertraute Räuber und Beutearten können sich beispielsweise<br />

gegenseitig besonders gut erkennen; hier kommt es zur<br />

Selektion von sehr spezifischen Gegenstrategien. So leben auf manchen<br />

australischen Blüten räuberische Spinnen, die von eingeborenen Bienen,<br />

aber nicht von eingeschleppten Honigbienen, erkannt und vermieden werden<br />

(Heiling u. Herberstein 2004). Solche Effekte existieren auch innerhalb<br />

von Arten. Gefleckte Fettschwanzgeckos (Oedura lesueurii) erkennen<br />

und vermeiden den Geruch einer räuberischen Schlange, wenn beide Arten<br />

sympatrisch vorkommen; Geckos, die in Gegenden ohne diesen Räuber leben,<br />

zeigen diese Reaktion nicht (Downes u. Shine 1998). Ein weiteres<br />

Beispiel stammt von einer Spinne (Metepeira incrassata), deren Eier von<br />

einer Fliege (Arachnidomyia lindae) gefressen werden. Die Spinne erkennt<br />

diesen Räuber an der Frequenz des Flügelschlags und kann ihn von anderen<br />

Fliegen, die für die Spinne potentielle Beute darstellen, unterscheiden<br />

(Hieber et al. 2002). Andererseits können Arten, die verschiedenen


6.2 Räuberstrategien 203<br />

Räubern mit unterschiedlichen Jagdstrategien ausgesetzt sind, auch flexible<br />

Gegenstrategien wählen, die von Räuber und Kontext abhängig sind.<br />

Vögel, die von Greifvögeln in der Luft angegriffen werden, passen beispielsweise<br />

ihre Fluchtstrategie an den jeweiligen Räuber an und versuchen,<br />

mit unterschiedlichen Flugmanövern zu entkommen (Hedenström u.<br />

Rosén 2001).<br />

Alle Anti-Prädationsstrategien ( Kap. 6.3) sind mit Kosten verschiedenster<br />

Art verbunden, die letztendlich verhindern, dass die Anpassungen<br />

der Beute denjenigen der Räuber im evolutionären Wettlauf enteilen. Es ist<br />

daher nicht verwunderlich, dass manche Beutetiere versuchen, diese Kosten<br />

zu reduzieren oder ganz zu vermeiden, indem sie sich auf induzierbare<br />

Abwehrmechanismen spezialisieren. Diese Mechanismen werden<br />

nur bei Bedarf aktiviert, also wenn ein tatsächliches und akutes Prädationsrisiko<br />

festgestellt wurde. Diese Anpassungen können das Verhalten betreffen,<br />

indem zum Beispiel die Aktivität reduziert oder ein eigentlich optimales<br />

Habitat verlassen wird. Bahama-Anolis (Anolis sagrei), auf deren<br />

Inseln neue, räuberische Eidechsen ausgesetzt wurden, veränderten ihre<br />

Habitatnutzung und mit einiger Verzögerung ihre Morphologie, die an die<br />

neue Nische besser angepasst war (Losos et al. 2004). Kaulquappen, bei<br />

denen diese induzierten Anpassungen besonders gut untersucht sind, prägen<br />

ebenfalls Wachstumsraten und morphologische Merkmale in der Präsenz<br />

von Räubern anders aus als in deren Abwesenheit (van Buskirk<br />

2000). Bei Miesmuscheln (Mytilus edulis) wurde entdeckt, dass die Präsenz<br />

von räuberischen Krebsen zu einer Verdickung ihrer Schalen führt<br />

(Freeman u. Byers 2006).<br />

Auch auf der Räuberseite finden sich Beispiele für fein dosierte Anpassungen<br />

an lokale Bedürfnisse. Strumpfbandnattern (Thamnophis sirtalis)<br />

zeigen beispielsweise Resistenz gegen das Gift einer ihrer Beutearten:<br />

Molche der Gattung Taricha. Die Resistenz gegen das Gift der Molche variiert<br />

jedoch zwischen Populationen entlang der amerikanischen Westküste<br />

über drei Größenordnungen und ist an die jeweils lokale Stärke des Giftes<br />

angepasst (Geffeney et al. 2002). Die Anpassung der Nattern an dieses Risiko<br />

ist also auch mit Kosten verbunden und wird entsprechend sparsam<br />

eingesetzt.<br />

6.2 Räuberstrategien<br />

Ökologen klassifizieren mehrere Klassen von Tieren als Räuber (Tabelle<br />

6.1). Dazu zählen Räuber im engeren Sinn, die also ihre Beute töten und<br />

danach fressen und dies regelmäßig tun. Allerdings ernähren sich Parasiten


204 6 Prädation<br />

Tabelle 6.1. In der Ökologie werden drei Räubertypen unterschieden. Sie ernähren<br />

sich alle von ihrer Beute, unterscheiden sich aber darin, ob sie die Beute dabei töten<br />

und mit welcher Häufigkeit sie als Räuber auftreten<br />

Ernährung Töten Häufigkeit<br />

Räuber ja ja regelmäßig<br />

Parasiten ja nein einmal bis wenig<br />

Herbivore ja nein regelmäßig<br />

ebenfalls von ihrem Wirt, aber sie bringen sie im Normalfall nicht um und<br />

befallen oft nur wenige Wirte in ihrem Leben. Aus der Sicht von Pflanzen<br />

sind auch herbivore Tiere Räuber. Allerdings bringen sie die Pflanzen dabei<br />

in der Regel ebenfalls nicht um (Ausnahme: Samenräuber). Im Folgenden<br />

werde ich mich nur auf die eigentlichen Räuber konzentrieren.<br />

6.2.1 Ansitz- vs. Suchjäger<br />

Räuber haben zwei grundlegende Strategien, um ihre Beute zu finden. Ansitzjäger<br />

(sit-and-wait predators) verharren ruhig und teilweise gut getarnt<br />

an einer Stelle und lauern auf potentielle Beute. Ihr Erfolg beruht im Wesentlichen<br />

auf Überraschung der ahnungslosen Beute, die sie mit einem<br />

Blitzangriff überwältigen. Diese Strategie ist im Allgemeinen mit vergleichsweise<br />

geringem Aufwand verbunden. Räuber müssen nur einen<br />

möglichst profitablen Futterplatz suchen; ihre Suchkosten sind vernachlässigbar<br />

(Anderson u. Karasov 1981). Ihre Selektivität bei der Beutewahl<br />

kann bei entsprechend hoher Beutedichte hoch sein; andererseits sind diese<br />

Räuber darauf angewiesen, dass die richtige Beute in ausreichender Zahl<br />

zu ihnen kommt. Die schon erwähnte, Fettschwanzgeckos fressende Breitkopfotter<br />

(Hoplocephalus bungaroides) lauert beispielsweise Tage oder<br />

Wochen regungslos auf ihre Beute (Downes u. Shine 1998). Gelbe Kaiserlibellen<br />

(Hemianax papuensis) haben eine verblüffende Jagdstrategie entwickelt,<br />

die aus der Perspektive der Beute den Eindruck eines ruhenden<br />

Räubers erweckt. Die Libellen tarnen sich bei ihren Angriffen mit Hilfe ihrer<br />

Flugbewegungen und wählen dabei eine Flugbahn, durch die auf der<br />

Retina der Beute der Eindruck eines stationären Objekts entsteht – in<br />

Wirklichkeit ist aber genau das Gegenteil der Fall (Mizutani et al. 2003).<br />

Andere Beispiele für Ansitzjäger finden sich unter anderem bei Netze


6.2 Räuberstrategien 205<br />

Abb. 6.4. Beispiele für Ansitzjäger. Eisvögel (Alcedo vintsioides) und Seidenspinnen<br />

(Nephila inaurata) lauern ihren Opfern auf<br />

bauenden Spinnen, Ameisenlöwen, Libellenlarven, Hechten, Anglerfischen,<br />

Reihern, Eisvögeln, manchen Greifvögeln sowie zahlreichen Reptilien<br />

(Abb. 6.4). Letztere haben den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer geringen<br />

Stoffwechselraten ausdauernd lauern können, ohne allzu viele Kosten<br />

des Wartens zu akkumulieren.<br />

Die alternative Strategie besteht darin, dass ein Räuber aktiv nach Beute<br />

sucht. Dadurch erhöhen sich Suchaufwand und Auffälligkeit, aber auch die<br />

Begegnungsrate mit potentieller Beute. Diese Suchjäger haben oft ein<br />

spezifisches Suchmuster ihrer Beute sowie besonders leistungsfähige Sinne,<br />

die bei der Suche zum Einsatz kommen. Wenn sie eine Beute aus der<br />

Ferne entdeckt haben, setzen sie zu einer Verfolgungsjagd an, in deren<br />

Verlauf die Beute gegebenenfalls erlegt wird. Welse (Silurus glanis) können<br />

beispielsweise die Turbulenzen ihrer Beutefische über eine Distanz<br />

von mehr als 50 Körperlängen der Beute detektieren und verfolgen (Pohlmann<br />

et al. 2001). Bei der Auswahl der Beute, die sie angreifen, können<br />

suchende Räuber eine gewisse Selektivität an den Tag legen, wenn es<br />

große Unterschiede zwischen Beutearten oder -typen in Bezug auf den<br />

zu erwartenden durchschnittlichen Aufwand bei deren Bearbeitung gibt<br />

( Kap. 5.3). Diese Strategie verfolgen unter anderem zahlreiche Raubfische,<br />

insektivore Vögel, Fledermäuse sowie Löwen und Tüpfelhyänen. Bei<br />

Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) erfolgen als Anpassung an Gebiete mit<br />

unterschiedlicher Beuteprofitabilität sogar weiträumige Bewegungen, die<br />

Vorhersagen der ideal freien Verteilung entsprechen (Höner et al. 2005;<br />

Kap. 5.4).


206 6 Prädation<br />

6.2.2 Solitäre vs. Gruppenjäger<br />

Neben der Unterscheidung zwischen den beiden Jagdstrategien, die bei<br />

manchen Arten auch als flexible alternative Taktiken ( Kap. 1.4) eingesetzt<br />

werden, kann man Räuber auch dahingehend klassifizieren, ob sie<br />

Box 6.1<br />

Kosten-Nutzen-Analyse der gemeinsamen Jagd<br />

• Frage: Hat die gemeinsame Jagd, im Vergleich zur solitären Jagd, einen<br />

Netto-Vorteil für die betreffenden Individuen?<br />

• Hintergrund: Gemeinsame Jagd von Karnivoren hat einen von der<br />

Gruppengröße abhängigen positiven Effekt auf den Jagderfolg. Allerdings<br />

wurden dabei die Kosten des Teilens und des möglichen zusätzlichen Aufwandes<br />

(häufigere oder längere Jagd) in größeren Gruppen nicht berücksichtigt.<br />

• Methode: Der Jagderfolg von Wildhunden (Lycaon pictus), deren Anzahl<br />

adulter Gruppenmitglieder zwischen 3 und 20 variierte, wurde bei über<br />

900 Jagdepisoden gemessen. Zur Abschätzung der Kosten wurde der Pro-<br />

Kopf-Jagderfolg aller Gruppenmitglieder, die Gesamtzahl aller Jagdereignisse<br />

sowie deren Dauer bestimmt.<br />

8<br />

Jagderfolg<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

4 8 12 16 20<br />

Anzahl adulter Tiere<br />

• Ergebnis: Jagderfolg, gemessen als Pro-Kopf-Menge an Nahrung per km<br />

Jagd, steht in einem umgekehrt U-förmigen Zusammenhang mit der Anzahl<br />

der Jäger. Individuen in kleinen und sehr großen Gruppen haben einen<br />

geringeren Pro-Kopf-Jagderfolg als Tiere in mittelgroßen Gruppen.<br />

Gruppen dieser mittleren Größe treten auch am häufigsten auf.<br />

• Schlussfolgerung: Die Berücksichtigung von Kosten und Nutzen des gemeinsamen<br />

Jagens fördert die Bildung von Gruppen. Gemeinsame Jagd ist<br />

hier vorteilhafter als alleine auf die Jagd zu gehen.<br />

Creel u. Creel 1995


6.2 Räuberstrategien 207<br />

alleine oder in Gruppen jagen. Wenn sich mehrere Räuber zusammentun,<br />

sind sie für die Beutetiere auffälliger, haben möglicherweise längere Suchstrecken<br />

und -zeiten und müssen die Beute unter sich aufteilen, so dass der<br />

Pro-Kopf-Erfolg, gemessen am Aufwand, geringer sein kann als bei solitär<br />

jagenden Individuen (Creel u. MacDonald 1995).<br />

Da sich trotz dieser Nachteile mehrfach in Gruppen lebende Räuber<br />

entwickelt haben, muss es auch Vorteile der gemeinsamen Jagd geben,<br />

die diese Nachteile mehr als wettmachen. So wird durch kooperative Jagd<br />

die Erfolgsquote der Angriffe erhöht; zwei oder noch mehr Räuber haben<br />

oft eine größere Chance, eine Beute zu erlegen, als einer alleine. Zudem<br />

können mehrere Räuber auch Beutetiere überwältigen, die für einzelne<br />

Räuber zu groß oder zu wehrhaft wären. Mehrere Räuber können sich auch<br />

strategisch platzieren und durch koordinierte Aktionen Beute aufeinander<br />

zutreiben. Schließlich stellt das Gruppenleben für diese Räuber auch eine<br />

Art Versicherung dar, da erfolglose Tiere eine Chance haben, am Erfolg<br />

ihrer Artgenossen teilzuhaben. Diese Vorteile wurden vorwiegend an großen<br />

Karnivoren wie Löwen (Leo panthera) und Wildhunden (Lycaon pictus:<br />

Packer et al. 1990), aber auch bei Schimpansen (Pan troglodytes:<br />

Boesch 1994) dokumentiert.<br />

6.2.3 Giftige Räuber<br />

Neben diesen allgemeinen Strategien haben verschiedene Räuber auch<br />

spezifische Anpassungen zur Erhöhung ihrer Jagdeffektivität entwickelt.<br />

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die mehrfach unabhängige<br />

Entwicklung von Giften und anderen spezifischen Mechanismen,<br />

die zur Immobilisierung von Beutetieren eingesetzt werden. So finden<br />

sich bei Nesseltieren (Hydrozoa und Anthozoa) Nematozysten, die<br />

Klebe-, Wickelfäden oder Toxine enthalten. Dieser Mechanismus des Beutefangs,<br />

der vor allem bei Seeanemonen weit verbreitet ist, kann auch, wie<br />

z. B. von Quallen, zur Abwehr von Angreifern eingesetzt werden. Das<br />

stärkste bekannte Gift im Tierreich überhaupt findet sich bei Würfelquallen<br />

(Chironex fleckeri).<br />

Bei terrestrischen Arten finden sich ebenfalls Giftapparate zur Überwältigung<br />

von Beute bei Spinnen, Skorpionen, Eidechsen und Schlangen (Fry<br />

et al. 2006). Giftspinnen können ihre mit Giftdrüsen verbundenen Cheliceren<br />

sowohl offensiv als auch defensiv einsetzen. Die stärksten Spinnengifte<br />

finden sich bei australischen Tunnelspinnen (Atrax spp.) und südamerikanischen<br />

Kammspinnen (Phoneutria spp.). Skorpione ergreifen ihre<br />

Beute mit ihren Cheliceren und manche Arten setzen zusätzlich ihren am<br />

Postabdomen befindlichen Giftstachel ein, der dabei über den Körper nach


208 6 Prädation<br />

vorne geschleudert wird. Giftnattern (Elapidae), Vipern (Viperidae), Grubenottern<br />

(Crotalidae) und Seeschlangen (Hydrophiidae) injizieren mit ihren<br />

Giftzähnen Neuro- und Cardiotoxine zusammen mit verschiedenen Enzymen,<br />

um ihre Beute zu lähmen oder zu töten; sie können sich damit aber<br />

auch gegen Angreifer zur Wehr setzen.<br />

6.3 Beutestrategien<br />

Die Mehrzahl aller Tierarten lebt mit der permanenten Bedrohung, gefressen<br />

zu werden. Prädation ist deshalb die wichtigste Ursache extrinsischer<br />

Mortalität und macht die Chancen der Beutetiere zunichte, ihre individuelle<br />

Fitness zu verbessern. Es gibt daher einen starken Selektionsdruck<br />

darauf, dieses Mortalitätsrisiko zu senken. Jedes Individuum, das infolge<br />

einer Verbesserung eines winzigen Aspekts seiner Physiologie, Morphologie<br />

oder seines Verhaltens von einem Räuber schwieriger zu entdecken<br />

oder zu erlegen ist, hat aufgrund der damit verbundenen verbesserten<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit die Chance gewahrt, sich fortzupflanzen<br />

und die genetischen Grundlagen dieses Vorteils in die nächste Generation<br />

weiterzugeben. Aufgrund der evolutionären Bedeutung und ubiquitären<br />

Natur des Prädationsrisikos haben sich im Kontext der Räubervermeidung<br />

bei Beutearten aus unterschiedlichsten taxonomischen Gruppen durch<br />

konvergente Evolution mehrfach unabhängig ähnliche Anpassungen entwickelt.<br />

Diese Anpassungen der potentiellen Beutetiere sind stark auf die Jagdstrategien<br />

der jeweiligen wichtigsten Räuber zugeschnitten, aber teilweise<br />

durch anatomische, physiologische und ökologische Zwänge eingeschränkt<br />

(Ajie et al. 2007). Das Prädationsrisiko muss auch gegen die<br />

Notwendigkeiten des eigenen Nahrungserwerbs abgewogen werden (Searle<br />

et al. 2008). Zusätzlich kompromittiert werden diese Anpassungen in<br />

manchen Fällen dadurch, dass eine Art zwar räuberisch lebt, gleichzeitig<br />

aber auch selbst einem permanenten Prädationsrisiko ausgesetzt ist. Gehöckerte<br />

Krabbenspinnen (Thomisus onustus) leben beispielsweise in Blütenständen,<br />

wo sie Blüten besuchenden Insekten auflauern, aber auch<br />

selbst von Vögeln erbeutet werden. In verschiedenen Blüten nehmen die<br />

Spinnen deren Färbungen an, so dass sie jeweils für ihre Beute und Räuber<br />

schlecht sichtbar sind (Théry u. Casas 2002). Ähnlich ergeht es auch vielen<br />

einheimischen insektivoren Singvögeln, die ständig davon bedroht sind,<br />

selbst von Greifvögeln oder Raubsäugern gefressen zu werden. Ihre Anpassungen<br />

sowohl als Räuber als auch als Beute können daher suboptimal<br />

sein, da sie zum Teil nicht miteinander vereinbar sind.


6.3 Beutestrategien 209<br />

6.3.1 Krypsis<br />

Der simpelste und effektivste Mechanismus zur Reduktion des Prädationsrisikos<br />

besteht darin, möglichst kryptisch zu sein, d. h. durch unauffälliges<br />

Aussehen und Verhalten erst gar nicht die Aufmerksamkeit eines Räubers<br />

zu erregen (Broom u. Ruxton 2005). Das Unsichtbarmachen von Tieren,<br />

die sich vor visuell suchenden Räubern schützen, kann auf mehreren Wegen<br />

erfolgen. Zum einen gibt es die Möglichkeit, sich mit verschiedenen<br />

Pflanzenteilen oder anderen Objekten, die im Lebensraum der Beute weit<br />

verbreitet sind, zu dekorieren und sich durch Dekoration vor Entdeckung<br />

zu schützen. Weiter verbreitet sind morphologische Anpassungen, welche<br />

die Form und Färbung des Körpers des betreffenden Tieres betreffen. Vor<br />

allem bei Wirbellosen finden sich zahlreiche Beispiele für eine solche<br />

Mimese, also die Nachahmung von unbelebten Objekten der Umgebung<br />

wie Steinen, Blättern oder Ästchen. Stabheuschrecken (Phasmatodea) liefern<br />

spektakuläre Beispiele dafür, dass so getarnte Tiere gar nicht als etwas<br />

Lebendiges oder Fressbares erkannt werden. Diese ungewöhnlichen Körperformen<br />

werden oft zusätzlich durch die entsprechende Färbung in ihrem<br />

Tarneffekt unterstützt.<br />

In vielen Fällen sind aufgrund funktionaler Zwänge bizarre Mimesen<br />

aber nicht möglich, und die Tarnung wird allein durch Färbung herbeigeführt.<br />

Dabei gibt es neben Tarnmustern, die zum Beispiel mit Schnee, einem<br />

Sand- oder Blätterhintergrund komplett verschmelzen, auch andere<br />

Möglichkeiten, der Aufmerksamkeit visuell jagender Räuber zu entgehen<br />

(Abb. 6.5). Punkt- und Streifenmuster sowie betonte Färbungen an der<br />

Peripherie lösen Kontraste auf und erschweren das Entdecken (Cuthill et al.<br />

2005), wobei der Struktur des Hintergrundes eine wichtige Bedeutung zukommt<br />

(Merilaita u. Lind 2005). Manche Tiere wie Tintenfische (Cole-<br />

Abb. 6.5. Der Teichfrosch<br />

(Rana esculenta)<br />

ist durch Farbe und Form<br />

perfekt getarnt


210 6 Prädation<br />

oidea) oder Chamäleons (Chamaeleonidae) können sich aktiv an die Farbe<br />

des Hintergrundes anpassen. Andere kryptisch gefärbte Tiere (v. a. Motten)<br />

existieren in mehreren Varianten von Farb- und Musterkombinationen.<br />

Dieser Polymorphismus könnte seine Ursache darin haben, dass sich Räuber<br />

auf den häufigsten Typ konzentrieren und es dadurch zu frequenzabhängiger<br />

Selektion kommt (Bond u. Kamil 2002).<br />

Eine andere Lösung haben viele Bewohner von dreidimensionalen Lebensräumen<br />

gefunden, die durch Konterschattierung (counter shading),<br />

also mit ihrem dunklen Rücken von oben gegen einen dunklen Untergrund<br />

und von unten mit ihrem hellen Bauch gegen den hellen Himmel, schwieriger<br />

zu erkennen sind (Speed et al. 2005). Auch manche Paarhufer (Artiodactyla)<br />

besitzen Felle mit Konterschattierungen und anderen Färbungsmustern,<br />

die bei der Tarnung eine Rolle spielen (Stoner et al. 2003).<br />

6.3.2 Aposematismus<br />

Einen komplett gegensätzlichen Weg haben Tiere beschritten, die durch<br />

auffällige Warnfärbungen auf sich aufmerksam machen. Sie signalisieren<br />

potentiellen Räubern damit nicht nur ihre Präsenz, sondern auch ihre Ungenießbarkeit<br />

oder Wehrhaftigkeit. So auffällig gefärbte Tiere besitzen<br />

eine aktive oder passive Wehrhaftigkeit, d. h. sie enthalten entweder Inhaltsstoffe,<br />

die sie übel schmeckend, ungenießbar oder sogar giftig machen,<br />

oder sie besitzen Giftstacheln oder andere aktive Abwehrmechanismen,<br />

so dass den Räubern ein einziges entsprechendes Erlebnis genügt, um<br />

den Zusammenhang zwischen Warnfärbung und Ungenießbarkeit zu lernen<br />

und eine lebenslängliche Aversion gegen diese Tiere zu entwickeln.<br />

Beispiele für aposematische Färbung finden sich im ganzen Tierreich.<br />

Bei vielen Hymenopteren ist der Legestachel der sterilen Arbeiterinnen in<br />

einen Giftapparat umgewandelt, mit dem sie Angreifern schmerzhafte Stiche<br />

zufügen können. Die Warnfärbung besteht hier in einem charakteristischen<br />

schwarz-gelben Streifenmuster am Abdomen. Solche Farb- und<br />

Luminanzkontraste spielen auch bei anderen Mustern eine wichtige Rolle<br />

bei der Wahrnehmung durch die Räuber (Prudic et al. 2006). Die vielleicht<br />

größte Diversität an Warnmustern und auffälligen Körperanhängen überhaupt<br />

existiert bei Schmetterlingsraupen (Abb. 6.6). Skorpionsfische<br />

(Scorpaeniformes), Kugelfische (Tetradontidae), Muränen (Murenidae),<br />

Pfeilgiftfrösche (Dendrobatidae) und manche Kröten (z. B. Bufo spp.),<br />

Seegurken (Holothuridae), Schnecken (z. B. Babylonia spp.) und ein Säugetier<br />

(Nycticebus coucang) enthalten starke passive Gifte auf der Haut, im<br />

Blut, Speichel oder im ganzen Körper verteilt, die einen Räuber ab-


6.3 Beutestrategien 211<br />

Abb. 6.6. Viele Schmetterlingsraupen<br />

signalisieren ihre Wehrhaftigkeit<br />

und Ungenießbarkeit<br />

– ein Paradebeispiel für<br />

Aposematismus<br />

schrecken oder sogar töten können. Die meisten von ihnen sind ebenfalls<br />

durch auffällige Warnfarben und -muster als gefährlich zu erkennen.<br />

Für diejenigen Individuen, die zum Lernerfolg eines naiven Räubers<br />

beitragen, bringt diese Form der Verteidigung keinen Vorteil. Ganz im<br />

Gegenteil: Sie werden möglicherweise verletzt oder sogar gefressen und<br />

letztendlich profitieren nur die anderen Artgenossen, denen dieser Räuber<br />

im Laufe seines Lebens noch begegnet. Hieraus ergibt sich ein fundamentales<br />

evolutionäres Problem. Wenn ein Warnsignal einmal in einer Population<br />

verbreitet ist, kann seine Beibehaltung erklärt werden, da die genannten<br />

Kosten über viele Individuen verteilt werden und das individuelle<br />

Risiko, als Lernmodell für einen naiven Räuber zu dienen, gering ist<br />

(Speed u. Ruxton 2005). Wenn ein solches Warnsignal aber durch Mutation<br />

neu auftritt, ist dieses Merkmal zunächst einmal selten und die betroffenen<br />

Individuen sind auffälliger als ihre kryptischen Artgenossen, so dass<br />

sich die Frage stellt, wie sich ein aposematisches Merkmal im Laufe der<br />

Evolution zunächst in einer Population ausbreiten konnte.<br />

Bisherige Versuche, die Evolution von Aposematismus zu klären, gehen<br />

von unterschiedlichen Annahmen über die relative Bedeutung der beteiligten<br />

Räuber- und Beutemerkmale aus. Zum einen spricht manches dafür,<br />

dass Räuber ungenießbare oder giftige Beute besser vermeiden lernen,<br />

wenn diese auffällig gefärbt ist, da sie bereits existierende sensorische<br />

Neigungen der Räuber anspricht. Zudem besitzen manche Räuber eine<br />

Hemmung, unbekannte Nahrung aufzunehmen (Lindström et al. 2001),<br />

oder eine angeborene Vermeidung auffällig gefärbter Beute (Exnerova et al.<br />

2007), was den neuen, auffälligen Beutetypen zugute kommen könnte.<br />

Wenn man andererseits davon ausgeht, dass die beiden Merkmale „Warnfärbung“<br />

und „Ungenießbarkeit“ unabhängig variieren, zeigen Modellierungen,<br />

dass Aposematismus schnell zu einem verlässlichen Wahrschein-


212 6 Prädation<br />

lichkeitsindikator der Ungenießbarkeit wird, wenn man zusätzlich annimmt,<br />

dass das Verhalten des Räubers mit der Beute koevolviert und<br />

nicht durch präexistierende sensorische Neigungen fixiert ist (Sherratt<br />

2002). Da Aposematismus sich verschiedener Modalitäten bedient und zudem<br />

auf Räuber aus unterschiedlichsten Taxa wirkt, erscheint es unwahrscheinlich,<br />

dass alle Räuber dieselben präexistierenden sensorischen Neigungen<br />

besitzen.<br />

Wie und wie häufig ungenießbare und auffällige Individuen neu entstehen,<br />

ist noch weitgehend ungeklärt. Eine Erklärung für die Evolution von<br />

Aposematismus könnte darin bestehen, dass ungenießbare Tiere in niedrigen<br />

Dichten kryptisch sind und erst bei höheren Dichten Warnfärbungen<br />

ausbilden (Sword 1999). Alternative Erklärungsmodelle basieren auf der<br />

Beobachtung, dass aposematische Schmetterlingsraupen oft in größeren<br />

Aggregationen vorkommen, welche vermutlich zum Großteil aus Geschwistern<br />

bestehen. In diesem Fall hätten aposematische Mutanten eine<br />

Chance sich auszubreiten, weil die Kosten der Opfer durch Verwandtenselektion<br />

( Kap. 1.5) abgemildert werden (Fisher 1930). Allerdings sind<br />

zwar die meisten in Gruppen vorkommenden Schmetterlingsraupen aposematisch,<br />

aber nicht alle aposematischen Arten sind auch gruppenbildend.<br />

Außerdem gibt es theoretische Hinweise dafür, dass sich aposematische<br />

Mutationen auch in solitären Arten aufgrund von dichteabhängigen Anpassungen<br />

der Lernprozesse der Räuber ausbreiten können (Yachi u. Higashi<br />

1998). Schließlich gibt es experimentelle Hinweise aus einem künstlichen<br />

System (präparierte Mandelstücke) mit naiven Räubern (Kohlmeisen) dafür,<br />

dass die Ausbreitung von aposematischen Merkmalen in Gruppen tatsächlich<br />

gefördert wird, und zwar sowohl durch Lernprozesse der Räuber<br />

als auch durch Verdünnungseffekte bei der Beute, ohne dass Verwandtenselektion<br />

zur Erklärung herangezogen werden muss (Riipi et al. 2001).<br />

Dass im Laufe der Evolution nicht viel mehr Beutearten aposematische<br />

Merkmale entwickelt haben, liegt vermutlich daran, dass diese Form der<br />

Verteidigung nicht nur zu Beginn ihrer Evolution mit beträchtlichen<br />

Kosten verbunden ist, sondern dass auch die Produktion und sichere Lagerung<br />

des chemischen Abwehrstoffes aufwändig ist. Manche Abwehrstoffe<br />

werden aus der Nahrung aufgenommen und müssen nicht selbst hergestellt<br />

werden. Andere Schutz- und Verteidigungsstoffe werden dagegen selbst<br />

produziert. Da alle diese Stoffe eine schädliche physiologische Wirkung<br />

haben, müssen die betreffenden Tiere selbst über aufwändige physiologische<br />

Mechanismen verfügen, um diesen Stoff im eigenen Körper unschädlich<br />

zu lagern.


6.3 Beutestrategien 213<br />

6.3.3 Mimikry<br />

Die Überlegung, dass echte Wehrhaftigkeit durch ihre Kosten auf relativ<br />

wenige Arten beschränkt bleibt, wird dadurch unterstützt, dass es zahlreiche<br />

Arten gibt, welche die auffällige Warnfärbung von wehrhaften Arten<br />

besitzen, aber völlig harmlos und genießbar sind (s. aber auch Box 6.2).<br />

Dabei handelt es sich um Fälle von Bates’scher Mimikry. Schwebfliegen<br />

(Syrphidae) ahmen zum Beispiel das auffällige schwarz-gelbe Streifenmuster<br />

von Bienen und Wespen nach und können daher mit diesen verwechselt<br />

werden (Abb. 6.7). Bei der Müller’schen Mimikry ähneln sich<br />

dagegen zwei wehrhafte oder ungenießbare Arten zum Verwechseln, so<br />

dass sie durch mutualistische Abschreckung des Räubers gegenseitig ihren<br />

Schutz verbessern; ein Räuber, der ein ungenießbares Individuum der Art<br />

A gefressen hat, wird in Zukunft auch die ähnlich aussehende Art B vermeiden.<br />

Ein bekanntes Beispiel stammt von Feuerwanzen (Pyrrhocoridea),<br />

die durch giftige Drüsensekrete geschützt sind und auffällig rot-schwarz<br />

gemustert sind. Diese Nachahmung kann in beiden Fällen neben faszinierender<br />

äußerer Ähnlichkeit mit einer anderen Art sogar deren arttypische<br />

Verhaltensmuster mit einschließen, so dass die Verwechslungsgefahr für<br />

die Räuber noch weiter zunimmt. Der gegenseitige Schutz funktioniert<br />

auch wenn die beteiligten Arten sich im Ausmaß ihrer Ungenießbarkeit unterscheiden<br />

(Rowland et al. 2007). Wenn es innerhalb einer wehrhaften Art<br />

auch Individuen mit reduzierter Wehrhaftigkeit gibt, spricht man von Automimikry<br />

(Ruxton u. Speed 2006).<br />

Die meisten Beispiele für beide Formen von Mimikry stammen von tropischen<br />

Schmetterlingen (Joron u. Mallet 1998), bei denen auch die Schritte<br />

bei der Evolution von Mimikry am besten untersucht sind. Besonders<br />

Abb. 6.7. Schwebfliegen (links) stellen das bekannteste einheimische Beispiel für<br />

Bates’sche Mimikry dar; sie imitieren wehrhafte Bienen (rechts) und Wespen,<br />

sind aber selbst harmlos


214 6 Prädation<br />

Box 6.2<br />

Akustische Mimikry<br />

• Frage: Kann Mimikry auch über andere Modalitäten vermittelt werden?<br />

• Hintergrund: Beispiele für akustische Mimikry sind bislang nur anekdotenhaft<br />

bekannt. Tigerspinner (Cycnia tenera) und Oleanderbärenspinner<br />

(Syntomeida epilais) sind ungenießbare Motten, die bei der Wahrnehmung<br />

von Ortungslauten von Fledermäusen selbst Laute produzieren.<br />

• Methode: 7 naive Fledermäuse (Lasiurus borealis und Eptesicus fuscus)<br />

wurden darauf trainiert, an Fäden fixierte Motten zu „jagen“. Neben verschiedenen<br />

genießbaren Arten, die keine Laute erzeugen, wurden an den<br />

ersten 5 Tagen des Versuchs auch Tigerspinner angeboten. Ab dem 6. Tag<br />

wurden stattdessen Oleanderbärenspinner präsentiert. Für die Präsentation<br />

am 11. Tag wurden den Oleanderbärenspinnern die lauterzeugenden<br />

Tymbalorgane entfernt. In allen Versuchen wurde der Anteil der von den<br />

Fledermäusen „gefangenen“ Motten bestimmt.<br />

• Ergebnis: In allen Versuchen wurden von beiden Fledermausarten praktisch<br />

alle genießbaren Motten gefressen (gestrichelte Linien). Am 5. Tag<br />

hatten alle Individuen beider Arten gelernt, die ungenießbaren Tigerspinner<br />

zu meiden (* signifikanter Unterschied zwischen Tag 1 und 5). Die<br />

daraufhin angebotenen Oleanderbärenspinner wurden ebenfalls durchgängig<br />

gemieden. Wenn diesen die Lautproduktion nicht mehr möglich war<br />

(Tag 11), wurden alle gefangen, aber anschließend nicht gefressen (* signifikanter<br />

Unterschied zwischen Tag 10 und 11).<br />

• Schlussfolgerung: Die Tatsache, dass Oleanderbärenspinner von in Bezug<br />

auf diese Art naiven Fledermäusen ebenfalls gemieden wurden, beweist<br />

die Existenz von Müller’scher Mimikry. Das Experiment mit stummen<br />

Beutetieren beweist, dass das akustische Signal dafür verantwortlich<br />

ist.<br />

Barber u. Conner 2007


6.3 Beutestrategien 215<br />

im Fall von Bates’scher Mimikry stellt sich aber die Frage, wie eine ungeschützte<br />

Art ihren Phänotyp so stark an eine andere Art anpassen kann,<br />

dass sie miteinander verwechselt werden können. Dass Mimikry tatsächlich<br />

einen evolutionären Vorteil bietet, ist in zahlreichen Wahlexperimenten<br />

mit Schmetterlingen und Vögeln gezeigt worden (z. B. Kapan 2001).<br />

Die Bedeutung dieses Selektionsvorteils erschließt sich auch aus der Beobachtung,<br />

dass eine nachahmende Schmetterlingsart in Gebieten, in denen<br />

das wehrhafte Modell nicht (mehr) vorkommt, zur ursprünglichen, unauffälligen<br />

Form zurückwechselt (Prudic u. Oliver 2008).<br />

Das evolutionäre Problem ist, ähnlich wie beim Aposematismus, der Ursprung<br />

der Ähnlichkeit. Wenn ein Individuum einer ungeschützten Art einer<br />

geschützten Art nur etwas, aber eben nicht komplett ähnlich sieht, ist<br />

es nur auffälliger und nicht geschützt, so dass sich solche Mutationen eigentlich<br />

nicht leicht ausbreiten können. Bei Schmetterlingen gibt es Hinweise<br />

für zwei Lösungen dieses Problems. Zum einen ergibt sich aufgrund<br />

der Annäherung zwischen dem Aussehen der beiden Arten keine zusätzliche<br />

Auffälligkeit, weil alle Arten schon vorher auffällig waren. Zum<br />

anderen gibt es Hinweise dafür, dass durch kleine Mutationen von Genen,<br />

welche die Entwicklung der Flügelmuster steuern, sehr große Veränderungen<br />

möglich sind, so dass es auf einen Schlag zu einer starken Annäherung<br />

zwischen den Mustern zweier Arten kommt (Beldade u. Brakefield 2002).<br />

Experimente mit Modellen, die einem giftigen Pufferfisch (Canthigaster<br />

valentini) unterschiedlich stark ähneln, haben schließlich gezeigt, dass<br />

selbst sehr unähnliche Modelle noch von räuberischen Fischen gemieden<br />

werden und dass so durch das Verhalten der Räuber ein breiter Schutzschirm<br />

für ungiftige Arten entsteht (Caley u. Schluter 2003). Die Erfahrungen<br />

des Räubers können auch ausschlaggebend dafür sein, welchem<br />

von mehreren verfügbaren Modellen sich eine nicht wehrhafte Art angleicht<br />

(Darst u. Cummings 2006).<br />

6.3.4 Wehrhaftigkeit<br />

Neben Aposematismus und Mimikry gibt es noch andere effektive Formen<br />

der Wehrhaftigkeit bei Tieren. Bei manchen Arten ohne chemischen<br />

Schutz sind Warnsignale entstanden, die diese Tiere nicht unbedingt auffälliger<br />

machen, sondern einen Angreifer auf kurze Distanz erschrecken<br />

oder verwirren sollen. Diese Signale bestehen beispielsweise aus Flecken,<br />

die als Augen eines viel größeren Tieres interpretiert werden können. Solche<br />

Augenflecken befinden sich auch manchmal am kaudalen Ende eines<br />

Tieres, so dass ein Räuber vom Zugriff auf den empfindlichen Kopf abgelenkt<br />

wird. Manche Reptilien und Wirbellose sind auch in der Lage, ihren


216 6 Prädation<br />

von einem Räuber ergriffenen Schwanz oder andere Körperteile abzustoßen<br />

(Autotomie) und sich so im letzten Moment doch noch vor einem<br />

verwirrten Räuber in Sicherheit zu bringen (Cooper 2003).<br />

Im Laufe der Evolution sind auch aktive chemische Verteidigungsmechanismen<br />

entstanden, die nicht primär auf Ungenießbarkeit basieren,<br />

sondern einen Räuber schon vor dem Zugriff abschrecken sollen. Diese<br />

Abschreckung besteht darin, in Interaktionen mit Räubern ätzende, irritierende<br />

oder übelriechende Substanzen abzugeben, die den Räuber zum Abbruch<br />

des Angriffs veranlassen. Wanzen, Tintenfische und Stinktiere liefern<br />

bekannte Beispiele für diese Form der Verteidigung. Des Weiteren<br />

gibt es auch giftige Beutetiere, die dies nicht durch auffällige Signale<br />

kundtun. In einem dieser Räuber-Beute-Systeme wurde ein darauf basierendes<br />

evolutionäres Wettrennen bis hin zu den zugrunde liegenden physiologischen<br />

Mechanismen entschlüsselt. Molche der Gattung Taricha enthalten<br />

ein Muskeln und Nerven lähmendes Gift, gegen das ihre Räuber<br />

(Strumpfbandnattern, Thamnophis sirtalis) in verschiedenen Populationen<br />

unterschiedlich starke Resistenzen entwickelt haben (Geffeney et al.<br />

2002); ein Beispiel, das zeigt, wie zwei Arten in verschiedenen Regionen<br />

aktuell in unterschiedlichen Phasen ihres evolutionären Räuber-Beute-<br />

Wettrennens stehen.<br />

Andere Tierarten sind mechanisch vor Räubern geschützt, indem sie<br />

sich mit einer harten oder stacheligen Oberfläche versehen, die es Räubern<br />

schwer oder unmöglich macht, durch diesen Panzer lebenswichtige Organe<br />

zu verletzen. Schuppen- und Gürteltiere, Stachelschweine und diverse Insektivoren<br />

liefern bekannte, unabhängig entstandene Säugetier-Beispiele<br />

für diese Strategie. Viele Schnecken, Muscheln, Seeigel und manche Krebse<br />

sind bekanntlich durch ihre Häuser oder Schalen vor dem Zugriff ihrer<br />

Räuber geschützt. Manche Beutetiere verteidigen sich auch mit Waffen<br />

und Verhaltensweisen, die ansonsten in innerartlichen Auseinandersetzungen<br />

eingesetzt werden. Sie können beißen, treten, schlagen und sich mit<br />

Stacheln, Hörnern, Geweihen oder langen Zähnen wehren (Caro et al.<br />

2004). Vor allem wenn der Größenunterschied zwischen Räuber und Beute<br />

nicht allzu groß ist, kann diese Form der aktiven Gegenwehr mit erheblichen<br />

Risiken für den Angreifer verbunden sein.<br />

Schließlich ist von mehreren Vögeln und Säugetieren bekannt, dass sie<br />

auf einen Räuber zugehen und dabei durch lautes Rufen weitere potentielle<br />

Beutetiere anlocken. Bei diesem Hassen (mobbing) wird der Räuber solange<br />

verfolgt und mit Scheinangriffen attackiert, bis er unverrichteter<br />

Dinge weiterzieht (Curio 1978). Dabei können gegenüber verschiedenen<br />

Räubern unterschiedliche Verhaltensweisen und Alarmrufe eingesetzt werden<br />

(Naguib et al. 1999), wodurch sowohl andere Arten, die demselben


6.3 Beutestrategien 217<br />

Räuber ausgesetzt sind (Krama u. Krams 2005), als auch andere Räuber<br />

(Hurd 1996) angelockt werden.<br />

6.3.5 Wachsamkeit<br />

Tiere, die sich nicht auf chemischen oder mechanischen Schutz verlassen<br />

können, suchen ihr Heil in der Regel in der Flucht. Es gibt daher starke<br />

Selektion auf Beutetiere, die schneller laufen, fliegen oder schwimmen<br />

können als ihre Räuber. Dabei ist es oft vorteilhaft, sich durch unregelmäßige,<br />

unvorhersagbare Bewegungen dem finalen Zugriff zu entziehen.<br />

Solche Bewegungen, wie z. B. die unregelmäßigen Luftsprünge der Thomson-Gazelle<br />

(Gazella thomsonii), können dem Räuber schon vor dem Angriff<br />

signalisieren, dass die Beute schwer zu fangen ist oder, wenn mehrere<br />

Tiere dieses Verhalten zeigen, den Räuber so verwirren, dass er sich nicht<br />

auf eine Beute konzentrieren kann (Caro et al. 2004).<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche Flucht ist die rechtzeitige Entdeckung<br />

des Räubers. Vor allem für große Tiere oder in Gruppen lebende<br />

Arten, für die Krypsis nur bedingt möglich ist, bietet Wachsamkeit die<br />

Möglichkeit, Räuber möglichst früh zu entdecken und diesen entscheidenden<br />

Informationsvorteil zum Verstecken oder zur Flucht zu nutzen. Wachsamkeit<br />

der Beute kann auf allen Modalitäten basieren, die eine frühzeitige<br />

Entdeckung ermöglichen.<br />

Am besten untersucht ist visuelle Wachsamkeit (Vigilanz). Praktisch<br />

alle tagaktiven Tiere können davon profitieren, durch Absuchen ihres visuellen<br />

Horizontes sich nähernde Räuber möglichst früh zu erkennen (Bednekoff<br />

u. Lima 1998; Abb. 6.8). Wenn ein Räuber entdeckt wird, gibt<br />

Abb. 6.8. Ein wachsamer<br />

Pavian (Papio<br />

cynocephalus) kann aus<br />

erhöhter Warte Gefahren<br />

besser erkennen


218 6 Prädation<br />

es, je nachdem um welches Räuber-Beute-Paar es sich handelt, vier Möglichkeiten<br />

für den nächsten Schritt der Beute:<br />

1. kann die potentielle Beute den Räuber auf sich aufmerksam machen,<br />

möglicherweise auf ihn zugehen und ihn „mobben“, um zu signalisieren,<br />

dass er entdeckt wurde und dass kein Überraschungsangriff mehr möglich<br />

ist (Clark 2005);<br />

2. kann das Beutetier nur einen Warnruf ausstoßen, um damit Artgenossen,<br />

Mitglieder anderer Arten und den Räuber selbst über die Entdeckung zu<br />

informieren (siehe unten);<br />

3. kann der Entdecker „einfrieren“ und versuchen, sich möglichst gut und<br />

lange zu verstecken (Broom u. Ruxton 2005);<br />

4. kann das Individuum, welches einen sich nähernden Räuber entdeckt<br />

hat, sofort fliehen und sich gegebenenfalls an einem sicheren Ort verstecken.<br />

Wenn sich die Beute in ein Versteck zurückzieht und der Räuber<br />

davor wartet, stellt sich die interessante Frage, wie lange beide warten<br />

sollen, bevor sie wieder herauskommen bzw. weiterziehen (Hugie<br />

2003).<br />

Da alle diese Optionen mit Vorteilen für die potentielle Beute verbunden<br />

sind, ist die dafür notwendige Wachsamkeit weit verbreitet.<br />

Wachsamkeit hat aber auch ihre Kosten. In der Zeit, in der ein Tier nach<br />

Räubern Ausschau hält, kann es diese nicht mit anderen Aktivitäten<br />

verbringen, die ebenfalls seine Fitness beeinflussen – also zum Beispiel<br />

nach Nahrung oder Fortpflanzungspartnern suchen (Pulliam et al. 1982;<br />

Box 6.3). Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Häufigkeit von Wachsamkeitsverhalten<br />

in Abhängigkeit von mehreren Variablen moduliert<br />

wird, um diese Kosten zu verringern. Den wichtigsten Effekt hat dabei die<br />

Gruppengröße (Elgar 1989). Einzelne Tiere investieren deutlich mehr in<br />

Wachsamkeit als solche, die sich Wachsamkeit mit Gruppenmitgliedern<br />

teilen können. Vor allem bei kleinen Gruppengrößen nimmt dieser Vorteil<br />

relativ stark mit jedem weiteren Gruppenmitglied zu (Roberts 1996). Diese<br />

geteilte Wachsamkeit ist daher auch ein wichtiger Selektionsvorteil, der<br />

zusammen mit einem damit verbundenen Verdünnungseffekt (siehe unten)<br />

die Bildung von Gruppen gefördert hat. Bei größeren Gruppen ist nicht die<br />

Größe der Gesamtgruppe, sondern die der lokalen Gruppe Ausschlag gebend<br />

(Treves et al. 2001), was wiederum die Bedeutung des erwähnten<br />

Vorteils in kleinen Gruppen unterstreicht.<br />

Neben der Größe der Gruppe, in der sich ein Individuum befindet,<br />

bestimmen vor allem individuelle Merkmale wie Geschlecht, Alter und<br />

Sozialstatus Variation im Wachsamkeitsverhalten. So wurde mehrfach<br />

beobachtet, dass Männchen häufiger vigilant sind und Räuber früher er-


6.3 Beutestrategien 219<br />

Box 6.3<br />

Vorteile der geteilten Wachsamkeit<br />

• Frage: Hat die Präsenz eines Wachpostens positive Effekte auf das Fouragierverhalten<br />

von Elsterdrosslingen (Turdoides bicolor)?<br />

• Hintergrund: Elsterdrosslinge leben in Gruppen von bis zu 15 Individuen,<br />

die im Boden nach Nahrung suchen. Ca. 30% der Zeit positioniert sich ein<br />

Individuum für mehrere Minuten auf einer erhöhten Warte, wo es gegebenenfalls<br />

Alarmrufe gibt. Die jeweiligen Wachposten geben während ihrer<br />

„Schicht“ regelmäßig Wächterlaute (sentinel calls) von sich.<br />

• Methode: Gruppen von Elsterdrosslingen wurden in Phasen mit und ohne<br />

Wächter beobachtet. Dabei wurde u. a. der Abstand zwischen Individuen,<br />

ihr Wachsamkeitsverhalten sowie ihr Fouragiererfolg gemessen. Außerdem<br />

wurden in einem Playback-Experiment Wächterlaute abgespielt,<br />

wenn gerade kein Gruppenmitglied diese Funktion übernahm.<br />

Gruppenverteilung [m³]<br />

160<br />

120<br />

80<br />

40<br />

0<br />

(A)<br />

Kontrollrufe<br />

Wächterrufe<br />

% Individuen<br />

ohne Deckung<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

(B)<br />

Anzahl Kopfhoch<br />

pro min<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

(C)<br />

% Zeit wachsam<br />

0.3<br />

0.2<br />

0.1<br />

0<br />

(D)<br />

% Zeit foragierend<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

(E)<br />

Biomassen-Aufnahme<br />

[g/min]<br />

0.4<br />

0.3<br />

0.2<br />

0.1<br />

0<br />

(F)<br />

• Ergebnis: In Situationen mit natürlichen Wächtern und mit playbacks von<br />

Wächterrufen waren Individuen weiter verteilt (A), benutzten häufiger<br />

exponierte Stellen (B), waren selber seltener wachsam (C, D), fraßen nicht<br />

länger (E), hatten aber trotzdem höhere Futteraufnahmeraten (F) als in Situationen<br />

ohne Wächter oder während des Abspielens von Kontrollrufen.<br />

• Schlussfolgerung: Die geteilte Wachsamkeit verbessert den Fouragiererfolg<br />

von Gruppenmitgliedern, indem die Kosten der individuellen<br />

Wachsamkeit reduziert werden. Die Wächterrufe allein ermöglichen in<br />

diesem Fall, den verstreut in unübersichtlichem Terrain fouragierenden<br />

Artgenossen die Präsenz eines Wächters zu signalisieren.<br />

Hollén et al. 2008


220 6 Prädation<br />

kennen als Weibchen. Solche Geschlechtsunterschiede in der Wachsamkeit<br />

sind zu erwarten, wenn Weibchen mehr Zeit zum Fressen benötigen oder<br />

wenn Männchen ihre Wachsamkeit gleichsam als Dienstleistung für Gruppenmitgliedschaft<br />

oder Paarungsprivilegien anbieten (van Schaik u. van<br />

Noordwijk 1989). Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass Weibchen wachsamer<br />

sind als Männchen (Pays u. Jarman 2008). Außerdem sind juvenile<br />

Tiere zumeist weniger wachsam als adulte Gruppenmitglieder, da sie mehr<br />

Zeit mit Nahrungssuche verbringen müssen (Arenz u. Leger 2000). Mütter<br />

und andere Erwachsene können dieses Risiko aber mit erhöhter Wachsamkeit<br />

kompensieren.<br />

Innerhalb von Gruppen stellt sich auch die Frage, ob Individuen ihre<br />

Vigilanz synchronisieren (sollten). Wenn alle Gruppenmitglieder unabhängig<br />

voneinander Ausschau nach Räubern halten, kann ein Räuber keine<br />

Regelmäßigkeit in diesem Verhalten zu seinen Gunsten ausnutzen (Scannell<br />

et al. 2001). Andererseits wäre es vorteilhaft, Wachsamkeit mit anderen<br />

Gruppenmitgliedern zu koordinieren, so dass zu jedem Zeitpunkt nur<br />

einer wachsam ist (Fernández-Juricic et al. 2004). Dies scheint aber nur bei<br />

Arten mit Alarmrufen zu gelten, bei denen nicht wachsame Tiere Räuber<br />

nur schwer entdecken können (z. B. Erdmännchen, Suricata suricatta:<br />

Manser 1999). Bei anderen Arten, wie beispielsweise Wasserböcken (Kobus<br />

ellipsiprymnus), ist dagegen die Wachsamkeit innerhalb einer Gruppe<br />

synchronisiert; vermutlich weil sie eine Tendenz haben, das jeweilige Verhalten<br />

ihres Nachbarn zu kopieren (Pays et al. 2007).<br />

Neben der visuellen Vigilanz gibt es auch Wachsamkeit in anderen<br />

Modalitäten. Nachtfalter nehmen zum Beispiel die Ortungsrufe Nahrung<br />

suchender Fledermäuse schon aus der Distanz wahr und manche von ihnen<br />

besitzen einen Reflex, der ihren Flügelschlag aus dem Rhythmus und sie<br />

dadurch ins Trudeln bringt, wodurch sie auf der resultierenden unregelmäßigen<br />

Flugbahn von den Fledermäusen viel schwieriger zu fangen sind.<br />

(Acharya u. McNeil 1998; Box 6.2). In aquatischen Lebensräumen spielen<br />

olfaktorische Reize, die von Räubern ausgehen, eine wichtige Rolle bei<br />

deren Früherkennung durch die Beute. So reagieren Fische und Amphibienlarven<br />

allein auf die Präsenz chemischer Signale des Räubers mit<br />

adaptiven Verhaltensänderungen, z. B. in Form von reduzierter Aktivität<br />

(Hartman u. Abrahams 2000). Auch züngelnde Schlangen können Geruchsinformationen<br />

über Räuber in ihrer Umgebung mit dem Jakobson’schen<br />

Organ aufnehmen (Miller u. Gutzke 1999). Säugetiere können<br />

Aufenthaltsorte ihrer Räuber olfaktorisch erkennen und vermeiden diese<br />

Gebiete. Interessanterweise findet sich diese Fähigkeit einerseits bei Kängurupopulationen,<br />

die seit Tausenden von Generationen nicht mehr mit<br />

einem bestimmten Räuber in Kontakt gekommen sind, aber andererseits


6.3 Beutestrategien 221<br />

müssen andere Arten diese Assoziation offenbar erst lernen (Blumstein<br />

et al. 2002).<br />

6.3.6 Alarmsignale<br />

Funktional eng mit der Wachsamkeit verbunden ist der Einsatz von Alarmrufen<br />

und anderen Alarmsignalen. Manche Fische und aquatische Tiere<br />

setzen chemische Substanzen frei, wenn sie von einem Räuber angegriffen<br />

werden. Dieses Signal löst bei Artgenossen Fluchtverhalten aus und wird<br />

daher als Schreckstoff bezeichnet (von Frisch 1941). Die Bedeutung dieser<br />

Schreckstoffe kann auch von Mitgliedern anderer Arten gelernt werden<br />

(Chivers et al. 2002). Bei Insekten gibt es flüchtige Alarmpheromone mit<br />

analoger Funktion (Moritz u. Bürgin 1987).<br />

Alarmrufe sind die am besten untersuchten Alarmsignale. Solche Vokalisationen,<br />

die von Individuen ausgestoßen werden, die einen Räuber<br />

entdeckt haben, haben drei Effekte. Erstens macht der Rufer auf sich aufmerksam<br />

und erhöht dadurch sein persönliches Risiko, angegriffen zu<br />

werden. Zweitens wird der Räuber in diesem Moment darüber informiert,<br />

dass er entdeckt wurde und bricht seinen Angriff daher möglicherweise ab,<br />

da er das Überraschungsmoment verloren hat. Drittens profitieren andere<br />

potentielle Beutetiere von dieser Warnung, da sie nicht mehr vom Räuber<br />

überrascht werden können.<br />

Die Risiken des Alarmrufens werden offenbar durch die Vorteile mehr<br />

als wettgemacht. In diesem Zusammenhang spielt die Verstärkung der<br />

Vorteile durch Verwandtenselektion ( Kap. 1.5) eine wichtige Rolle.<br />

Wenn die Empfänger des Warnrufs nämlich Verwandte des Rufers sind,<br />

können indirekte Fitnessvorteile für den Rufer zur evolutionären Entstehung<br />

und Erhaltung von Warnrufen beitragen (Sherman 1977). In diesem<br />

Fall erhöht ein Alarmruf nämlich die statistische Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

von Individuen, die abstammungsidentische Allele mit dem Rufer<br />

teilen. Wenn es sich dabei um Nicht-Verwandte oder sogar um Mitglieder<br />

anderer Arten (Fichtel 2004) handelt, können diese Vorteile durch reziproken<br />

Altruismus ( Kap. 11.3) erklärt werden, falls der Rufer damit rechnen<br />

kann, regelmäßig auch in der Empfänger-Rolle zu sein.<br />

Die Evolution akustischer Alarmkommunikation kann im Sinne der Tinberg’schen<br />

Fragen ( Kap. 1.1) auch in Bezug auf deren phylogenetischen<br />

Ursachen untersucht werden. Eine vergleichende Analyse der Koevolution<br />

von Alarmrufen, Aktivität und Sozialsystem bei über 200 Nagerarten ergab,<br />

dass das Vorkommen von Alarmrufen signifikant mit Tagaktivität und<br />

Gruppenleben assoziiert ist, wobei Tagaktivität vor dem Rufen entstand<br />

(Shelley u. Blumstein 2005). Daraus lässt sich ableiten, dass die ursprüngliche<br />

Funktion von Alarmrufen darin bestand, mit dem Räuber zu kommu-


222 6 Prädation<br />

nizieren. Die positiven Effekte des Rufens für Artgenossen sind demnach<br />

erst sekundär entstanden. Experimentelle Studien an nachtaktiven Primaten<br />

unterstützen dieses evolutionäre Szenario (Fichtel 2007).<br />

Alarmrufe können prinzipiell zwei Arten von Informationen enthalten.<br />

Dringlichkeitsrufe enthalten keine Information über die spezifische Identität<br />

des Räubers oder anderer Gefahren, sondern kodieren in ihrer akustischen<br />

Struktur den Grad der subjektiv gefühlten Bedrohung. So unterscheiden<br />

sich diese Laute vor allem in Abhängigkeit von der Entfernung<br />

der Bedrohung. Bei Schwarzkopfmeisen (Poecile atricapilla) enthalten die<br />

Alarmrufe auch Informationen über die Größe des Räubers (Templeton<br />

et al. 2005). Funktional referentielle Rufe sind dagegen räuberspezifisch<br />

und klassifizieren die Kategorie (z. B. Schlange, Boden- oder Luftfeind)<br />

des Angreifers. Außerdem lösen diese Rufe spezifische, adaptive Reaktionen<br />

der Empfänger aus. Wenn zum Beispiel von Grünen Meerkatzen<br />

(Chlorocebus pygerythrus) ein Luftfeind-Alarmruf gegeben wird (oder experimentell<br />

in Abwesenheit eines Räubers präsentiert wird), schauen die<br />

Empfänger nach oben und bewegen sich rasch nach unten oder in Bereiche,<br />

die sie nach oben schützen; gegenüber Bodenfeinden oder Schlangen<br />

geäußerte Alarmrufe lösen andere adaptive Fluchtreaktionen aus (Seyfarth<br />

et al. 1980).<br />

Obwohl die Struktur von Alarmrufen auf der Produktionsseite angeboren<br />

ist, müssen sowohl ihr korrekter Einsatz als auch die korrespondierenden<br />

Reaktionen gelernt werden (Mateo 1996). Korrekte Reaktionen<br />

können auch auf neue oder eingeschleppte Räuber übertragen werden.<br />

Brüllaffen (Alouatta palliata) auf einer räuberfreien Insel lernten schnell<br />

allein auf Rufe von Harpyien (Harpia harpyja), die dort seit mindestens 50<br />

Jahren nicht mehr vorkamen, zu reagieren (Gil-da-Costa et al. 2003). Auch<br />

Seychellen-Rohrsänger (Acrocephalus sechellensis), die auf Inseln ohne<br />

Räuber leben, geben Alarmrufe und attackieren ausgestopfte Attrappen<br />

eines wichtigen Nesträubers (Veen et al. 2000).<br />

Die meisten bislang daraufhin untersuchten Arten haben entweder Rufe<br />

des einen oder anderen Typs; manche haben dagegen ein gemischtes<br />

Alarmrufsystem, bei dem ein funktional referentieller Ruf nur gegen einen<br />

spezifischen Räuber eingesetzt wird und alle anderen Räuber und Bedrohungen<br />

mit einem unspezifischen Laut bedacht werden (Fichtel u. Kappeler<br />

2002; Abb. 6.9). Erdmännchen (Suricata suricatta) kombinieren beide<br />

Informationen, indem sie die akustische Struktur funktional referentieller<br />

Alarmrufe in Abhängigkeit der Dringlichkeit modifizieren (Manser 2001).<br />

Paviane (Papio cynocephalus) nutzen strukturell unterschiedliche Varianten<br />

desselben Lauttyps sowohl als Alarmruf als auch in anderen Kontexten<br />

(Fischer et al. 2001).


6.3 Beutestrategien 223<br />

Abb. 6.9. Sonagramme der Alarmrufe eines Primaten (Eulemur fulvus rufus,<br />

Abb. 3.2). Der generelle Alarmruf informiert Artgenossen über Bodenfeinde<br />

und andere Gefahren. Der Luftfeind-Alarmruf ist funktional referentiell und wird<br />

beim Entdeckten von Greifvögeln geäußert<br />

6.3.7 Gruppenbildung<br />

Ein sehr effektiver Mechanismus zur Reduktion des individuellen Prädationsrisikos<br />

besteht in der Bildung von Gruppen. Dabei treten gleich mehrere<br />

Vorteile in Bezug auf die Räuberverteidigung in Kraft. Die Vorteile<br />

der geteilten Wachsamkeit wurden schon erwähnt. Zudem kann die gemeinsame<br />

Verteidigung mehrerer Tiere ausreichend sein, einen Angriff<br />

abzuwehren, obwohl einzelne Individuen einem Räuber unterlegen sind.<br />

Maultierhirsche (Odocoileus hemionus), die von Kojoten angegriffen werden,<br />

rotten sich beispielsweise zusammen und können so Angriffe besser<br />

abwehren (Lingle 2001). Bei sehr großen Gruppen kann dieser Schutz vor<br />

Räubern dadurch erzielt werden, dass viele, chaotisch fliehende potentielle<br />

Beutetiere einen Angreifer so sehr verwirren, dass er erfolglos bleibt. Offenbar<br />

fällt es einem Räuber in dieser Situation schwer, sich auf ein Individuum<br />

zu konzentrieren, wodurch ein koordiniertes Zupacken unmöglich<br />

wird. Wenn große Fischschwärme von Raubfischen angegriffen werden,<br />

tritt diese Räuberverwirrung zum Beispiel auf (Parrish 1993).


224 6 Prädation<br />

Abb. 6.10. Verdünnungseffekt. Mit zunehmender Gruppengröße sinkt das individuelle<br />

Risiko, von einem Räuber ausgewählt zu werden. In kleinen Gruppen sind<br />

die Vorteile durch die Addition eines weiteren Mitgliedes am größten<br />

Ein substantieller passiver Vorteil der Gruppenbildung in Bezug auf die<br />

Verringerung des persönlichen Prädationsrisikos ergibt sich aus dem resultierenden<br />

Verdünnungseffekt (Hamilton 1971). Wenn ein Räuber immer<br />

nur eine Beute erlegt, sinkt die individuelle Wahrscheinlichkeit, vom Räuber<br />

ausgewählt zu werden, durch den Zusammenschluss mit einem anderen<br />

Artgenossen bereits von 100% auf 50% (Abb. 6.10). Wenn die Gruppe aus<br />

drei Individuen besteht, ist das individuelle Risiko bereits auf 33% gesenkt.<br />

Das heißt, gerade bei kleinen Gruppengrößen stellt der Verdünnungseffekt<br />

einen wichtigen Vorteil des Gruppenlebens und damit auch<br />

einen initialen Antrieb zur Gruppenbildung dar. Bei größeren Gruppen<br />

wird der zusätzliche Vorteil aus dem Verdünnungseffekt, den jedes Individuum<br />

aus dem Anschluss eines weiteren Tieres an die Gruppe erfährt, immer<br />

geringer. Zudem treten auch zunehmend Nachteile in Kraft, welche<br />

die tatsächliche Gruppengröße mit beeinflussen ( Kap. 11.1).<br />

6.4 Zusammenfassung<br />

Räuber und Beute befinden sich in einem endlosen evolutionären<br />

Wettrennen. Da es für die Räuber immer nur um die nächste Mahlzeit,<br />

für die Beute aber um das nackte Überleben geht, hat die Beute aufgrund<br />

des stärkeren Selektionsdrucks die Nase immer ein wenig


Literatur 225<br />

vorne. Dementsprechend existieren bei Beutetieren Anpassungen, mit<br />

denen sie versuchen, Räubern, die ansitzend oder suchend sowie solitär<br />

oder in Gruppen jagen, zu entgehen. Die wichtigsten Beutestrategien<br />

bestehen darin, entweder sehr unauffällig oder sehr auffällig zu<br />

sein, wobei Auffälligkeit mit Ungenießbarkeit oder Wehrhaftigkeit<br />

einhergeht. Auf der Verhaltensebene stellt Wachsamkeit, manchmal<br />

in Kombination mit Alarmsignalen, eine effektive Strategie dar, um<br />

das Prädationsrisiko für sich und andere zu reduzieren. Durch den Zusammenschluss<br />

zu Gruppen ergeben sich aus Verdünnungseffekt, geteilter<br />

Wachsamkeit und anderen Vorteilen Schutzeffekte zur Verringerung<br />

des individuellen Risikos, gefressen zu werden. Da zahlreiche<br />

Tiere gleichzeitig Räuber und Beute sind, kann es zu interessanten<br />

Konflikten zwischen diesen teilweise gegenläufigen Strategien kommen.<br />

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III FORTPFLANZUNG<br />

Die eigene, direkte Fortpflanzung stellt für die Individuen der meisten<br />

Tierarten den entscheidenden Beitrag zu ihrer individuellen Fitness dar. In<br />

diesem Zusammenhang gibt es im Tierreich eine überwältigende Diversität<br />

an Fortpflanzungssystemen, Reproduktionsstrategien und -taktiken, deren<br />

Zwänge und Möglichkeiten das Fortpflanzungsverhalten von Individuen<br />

bestimmen. Alle Merkmale, die den individuellen Fortpflanzungserfolg<br />

beeinflussen, werden von sexueller Selektion bewertet. In den einzelnen<br />

Kapiteln dieses Abschnittes werde ich die Diversität der Fortpflanzungssysteme<br />

sowie deren Konsequenzen für die sexuelle Selektion skizzieren.<br />

Da die getrenntgeschlechtliche sexuelle Fortpflanzung am weitesten verbreitet<br />

und am besten untersucht ist, werde ich die Ursachen und Mechanismen<br />

männlicher und weiblicher Fortpflanzungsstrategien ausführlich in<br />

separaten Kapiteln besprechen. Dabei wird sich zeigen, dass die von beiden<br />

Geschlechtern erforderliche Kooperation zur erfolgreichen Fortpflanzung<br />

auf allen organisatorischen Ebenen (Genetik, Physiologie, Verhalten)<br />

durch einen grundlegenden Interessenskonflikt zwischen den Geschlechtern<br />

kompromittiert wird. Die Dimensionen dieses Konflikts und seine<br />

Konsequenzen für die Evolution unterschiedlicher Paarungssysteme werden<br />

abschließend dargestellt.


7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

7.1 Sexuelle und natürliche Selektion<br />

7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie<br />

7.2.1 Asexualität<br />

7.2.2 Evolution der Sexualität<br />

7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen<br />

7.4 Geschlechterverhältnis<br />

7.5 Zusammenfassung<br />

Im Tierreich existieren neben der uns vertrauten, getrenntgeschlechtlichen<br />

sexuellen Fortpflanzung eine Reihe anderer Fortpflanzungssysteme. Diese<br />

unterschiedlichen Formen der Fortpflanzung können als Life history-<br />

Merkmale verstanden werden, die das Fortpflanzungsverhalten von Individuen<br />

der jeweiligen Taxa in gewisser Weise festlegen und damit teilweise<br />

erklären. So unterscheiden sich die Fortpflanzungsstrategien von protogynen<br />

hermaphroditischen Blaukopflippfischen (Thalassoma bifasciatum)<br />

von denen gynogyner Amazonenkärpflinge (Poecilia formosa), haplodiploider<br />

Honigbienen (Apis mellifera) oder getrenntgeschlechtlicher<br />

Kohlmeisen (Parus major) in vielerlei Weise allein aufgrund ihres jeweiligen<br />

Fortpflanzungssystems. Für all diese Organismen liefert aber die<br />

Theorie der sexuellen Selektion ein Gerüst zur Analyse der Verhaltensweisen<br />

und anderer Anpassungen in Zusammenhang mit der Fortpflanzung, so<br />

dass ich deren Grundlagen als Erstes vorstellen möchte. Ich werde dabei<br />

sexuelle Selektion näher charakterisieren, die Beziehungen zwischen Life<br />

history und Fortpflanzung sowie die biologischen Grundlagen und Determinanten<br />

von Geschlechterrollen besprechen. Da die Dynamik der sexuellen<br />

Selektion auch wesentlich vom Geschlechterverhältnis beeinflusst<br />

wird, schließt dieses Kapitel mit einer Diskussion der Sex-ratio-Theorie.


234 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

7.1 Sexuelle und natürliche Selektion<br />

Mit der Theorie der natürlichen Selektion präsentierte Charles Darwin<br />

1859 ein analytisches Werkzeug zur Erklärung von adaptiven Unterschieden<br />

in den verschiedensten Merkmalen zwischen Arten. Viele dieser Unterschiede<br />

wurden von ihm dadurch erklärt, dass natürliche Selektion den<br />

Trägern dieser Merkmale einen Überlebensvorteil verschafft. Er war sich<br />

aber auch darüber bewusst, dass er damit eine Reihe von auffälligen Geschlechtsunterschieden,<br />

die teilweise die Überlebenschancen ihrer Träger<br />

reduzieren, nicht erklären konnte. Die langen, auffälligen Schwanzfedern<br />

männlicher Pfauen (Pavo cristatus) machen ihre Träger beispielsweise auffällig<br />

gegenüber Räubern und behindern sie bei der Flucht, sind aber<br />

gleichzeitig ein wichtiges Kriterium der Partnerwahl durch die Weibchen.<br />

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Darwin 12 Jahre später die Evolution<br />

dieser Merkmale durch „eine Theorie der Selektion in Bezug auf Sex“<br />

erklärte (Darwin 1871). Darin definierte er sexuelle Selektion als: … „die<br />

Art von Selektion, die den Vorteil, den einzelne Individuen gegenüber anderen<br />

Individuen desselben Geschlechts und derselben Art erfahren, betrifft<br />

und zwar ausschließlich in Bezug auf die Fortpflanzung“ …<br />

Sexuelle Selektion entsteht demnach aufgrund von Varianz im Fortpflanzungserfolg<br />

zwischen Mitgliedern desselben Geschlechts. Geschlechtsunterschiede<br />

in der Varianz im Fortpflanzungserfolg innerhalb<br />

einer Art beschreiben die Gelegenheit (opportunity) für sexuelle Selektion<br />

und können dafür benutzt werden, die relative Intensität der Selektion zu<br />

charakterisieren und sie zwischen Taxa zu vergleichen. Den Schwerpunkt<br />

der Ausführungen Darwins stellten sekundäre Geschlechtsmerkmale dar;<br />

also Merkmale, die dem Erwerb von Paarungspartnern dienen. Davon ausgeschlossen<br />

sind primäre Geschlechtsmerkmale, d. h. die Strukturen des<br />

Fortpflanzungsapparats, welche die Reproduktion bewerkstelligen sowie<br />

Geschlechtsunterschiede in Strukturen, die verschiedenen Lebensweisen<br />

dienen, wie z. B. in Form und Größe des Schnabels mancher Vögel, die<br />

durch natürliche Selektion modifiziert werden.<br />

Die Beziehung zwischen natürlicher und sexueller Selektion ist oft vage<br />

definiert, obwohl Darwin in dieser Hinsicht recht deutlich war. Natürliche<br />

Selektion ist nicht das Gegenteil von sexueller Selektion, sondern sie wurde<br />

so benannt, um sie von der künstlichen Selektion (artificial selection)<br />

durch Menschen bei der Zucht von Haustieren und Nutzpflanzen zu unterscheiden.<br />

Darwin hat sexuelle Selektion auch nicht als einen Spezialfall<br />

der natürlichen Selektion betrachtet. Vielmehr fallen all diejenigen Merkmale<br />

unter den Einfluss der sexuellen Selektion, die zu Variation im Paarungserfolg<br />

(im Unterschied zum Überlebenserfolg) innerhalb eines Ge-


7.1 Sexuelle und natürliche Selektion 235<br />

Abb. 7.1. Ursachen und Mechanismen unterschiedlicher Formen von Selektion.<br />

Sexuelle Selektion kann mit Hilfe von drei Mechanismen wirken. Definitionen<br />

und Erklärungen im Text<br />

schlechts führen (Abb. 7.1). Die Überlebensrate der produzierten Nachkommen<br />

bis zu deren Geschlechtsreife, welche die Fitness letztendlich definiert,<br />

steht dagegen unter dem Einfluss der natürlichen Selektion. Darwin<br />

selbst hat möglicherweise durch die Wahl des Begriffs, nämlich „selection<br />

in relation to sex“ und nicht „sexual selection“, andeuten wollen, dass es<br />

nur eine Selektion gibt (Clutton-Brock 2004). Diese Selektion bewertet also<br />

Variation in individueller Fitness, die durch das Geschlecht der betreffenden<br />

Individuen verursacht wird.<br />

Sexuelle Selektion bedient sich zweier Hauptprozesse. Intrasexuelle<br />

Selektion wirkt auf Merkmale, die bei der Konkurrenz zwischen Mitgliedern<br />

desselben Geschlechts um Zugang zu Paarungspartnern beteiligt sind.<br />

Aus heutiger Sicht muss dieser Begriff von „Konkurrenz um den Paarungserfolg“<br />

auf „Konkurrenz um den Befruchtungserfolg“ ausgedehnt<br />

werden, da inzwischen mehrere Formen postkopulatorischer Konkurrenz<br />

bekannt sind; d. h. es gibt Konkurrenzmechanismen, die auch noch nach<br />

erfolgter Kopulation wirksam sind ( Kap. 8).<br />

Intersexuelle Selektion wirkt dagegen auf Merkmale, die von Mitgliedern<br />

eines Geschlechts eingesetzt werden, um Mitglieder des anderen Geschlechts<br />

dazu zu veranlassen, sich mit ihnen zu verpaaren. Intersexuelle<br />

Selektion beinhaltet also eine explizite Wahlentscheidung durch die Mitglieder<br />

des Geschlechts, an das die von diesen Merkmalen ausgehenden<br />

Signale gerichtet sind ( Kap. 9).


236 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

Bei der Fortpflanzung kommt es häufig zu einem sexuellen Konflikt<br />

zwischen den Geschlechtern, z. B. über Zeitpunkt oder Häufigkeit von Paarungen<br />

( Kap. 9.8). Vor dem Hintergrund dieses Konflikts kann es zu sexuellem<br />

Zwang (sexual coercion) kommen; also zu Interaktionen zwischen<br />

den Geschlechtern, bei denen Mitglieder eines Geschlechts durch<br />

Gewalt oder die Androhung von Gewalt die Wahrscheinlichkeit, sich zu<br />

verpaaren, erhöhen (Smuts u. Smuts 1993). Sexueller Zwang wurde daher<br />

als eine dritte Kraft der sexuellen Selektion postuliert (Abb. 7.1).<br />

Box 7.1<br />

Wann ist ein Merkmal sexuell selektiert?<br />

Wie lässt sich nachweisen, dass ein Merkmal sexuell selektiert ist?<br />

1. Zunächst muss ein Merkmal bei Männchen und Weibchen unterschiedlich<br />

ausgeprägt sein. Wenn es einen Geschlechtsunterschied gibt, gilt es<br />

festzustellen, ob es in diesem Merkmal Variation in der Ausprägung zwischen<br />

Individuen eines Geschlechts gibt. Wenn wir also z. B. überprüfen<br />

wollen, ob ein prachtvoll verlängerter Schwanz bei den Männchen einer<br />

Vogelart durch sexuelle Selektion erklärbar ist, muss es zwischen Männchen<br />

natürliche Variation in der Schwanzlänge geben.<br />

2. Im nächsten Schritt gilt es zu zeigen, dass die Mitglieder des anderen Geschlechts<br />

zwischen unterschiedlichen Ausprägungen dieses Merkmals<br />

diskriminieren und eine Präferenz für eine bestimmte Ausprägung haben.<br />

Im Fall unseres Beispiels müsste man also nachweisen, dass Weibchen<br />

die Schwanzlänge bei der Auswahl von potentiellen Paarungspartnern<br />

beachten und eine Präferenz, z. B. für Männchen mit längeren Schwanzfedern,<br />

haben.<br />

3. Eine solche Präferenz muss zudem im Kontext der Partnerwahl und Fortpflanzung<br />

ausgedrückt werden. Weibchen müssten sich in diesem Fall also<br />

bevorzugt mit langschwänzigen Männchen paaren.<br />

4. Schließlich gilt es, einen positiven Zusammenhang zwischen einer differentiellen<br />

Präferenz und dem Fortpflanzungserfolg der betreffenden<br />

Weibchen nachzuweisen. Dieses Szenario gilt aber nur dann, wenn die<br />

Population für das betroffene Merkmal noch nicht im Gleichgewicht ist.<br />

Sobald direktionale Selektion zum Stillstand kommt, ist zu erwarten, dass<br />

Weibchen Männchen mit durchschnittlicher Schwanzlänge bevorzugen.<br />

Der formale Nachweis der Existenz eines sexuell selektierten Merkmals<br />

ist also methodisch anspruchsvoll und aufwändig, so dass es nicht<br />

verwunderlich ist, dass er in dieser Form erst für wenige Merkmale, wie<br />

zum Beispiel die Schwanzfedern männlicher Pfauen oder die Anogenitalschwellungen<br />

weiblicher Paviane, erbracht wurde (Snowdon 2004).


7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie 237<br />

7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie<br />

Die Fortpflanzungsstrategien eines Individuums werden zuallererst durch<br />

im Bauplan verankerte Life history-Merkmale festgelegt. Der grundlegendste<br />

Unterschied besteht dabei zwischen Arten mit asexueller und<br />

solchen mit sexueller Vermehrung.<br />

7.2.1 Asexualität<br />

Die evolutionär ursprüngliche asexuelle Vermehrung ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass es keine differenzierten Geschlechter und damit keine männlichen<br />

und weiblichen Gameten gibt. Je nachdem aus welchen Zellen die<br />

Nachkommen entstehen, unterscheidet man zwischen ungeschlechtlicher<br />

und eingeschlechtlicher Vermehrung (Abb. 7.2). Die komplette genetische<br />

Ausstattung eines ungeschlechtlichen Individuums stammt von einem Elter,<br />

der es durch Klonierung diploider somatischer Zellen, also ohne vorherige<br />

Meiose, erzeugt. Neben Viren und Einzellern findet sich ungeschlechtliche<br />

Vermehrung im Tierreich auch bei einigen Anneliden und<br />

Bdelloiden, wobei letztere über 350 Arten umfassen (Welch u. Meselson<br />

2000).<br />

Demgegenüber entstehen bei der eingeschlechtlichen Fortpflanzung<br />

Nachkommen aus haploiden Gameten – zumeist aus unbefruchteten Eizellen.<br />

Die wichtigste Form der eingeschlechtlichen Fortpflanzung ist die<br />

Parthenogenese. Sie findet sich bei Rädertierchen (Rotifera), Bärtierchen<br />

(Tardigrada) sowie manchen Arthropoden. Einige Eidechsen (Sechsstreifen-Rennechse<br />

Cnemidophorus uniparens, Zauneidechse Lacerta agilis),<br />

Schlangen (Strumpfbandnattern Thamnophis spp.) und Vögel (Truthahn<br />

Meleagris gallopavo) stellen außergewöhnliche Wirbeltier-Beispiele dar,<br />

Abb. 7.2. Typen von Asexualität und Formen der Sexualität. Details im Text


238 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

bei denen asexuelle Fortpflanzung sekundär entstanden ist und gelegentlich<br />

oder regelmäßig auftritt (Simon et al. 2003). Bei dieser automiktischen<br />

Parthenogenese verschmilzt nach der Reduktionsteilung der Meiose eines<br />

der Polkörperchen mit der Eizelle. Da bei den betroffenen Taxa Weibchen<br />

das heterogame Geschlecht sind, entstehen bei der postmeiotischen Verschmelzung<br />

entweder nicht lebensfähige Zellen mit zwei W-Chromosomen<br />

oder Männchen mit zwei Z-Chromosomen. Das heißt, durch automiktische<br />

Parthenogenese können nur Männchen entstehen.<br />

Diese asexuellen Formen der Vermehrung ermöglichen hohe Reproduktionsraten<br />

und bieten den Vorteil, dass ein bewährter Genotyp unverändert<br />

beibehalten werden kann. Außerdem kann die Reproduktion unabhängig<br />

erfolgen, also ohne Suche von und ohne Konkurrenz um Fortpflanzungspartner<br />

(Peck u. Waxman 2000). Trotzdem wird asexuelle Fortpflanzung<br />

heute nur von einer Minderheit aller Tierarten betrieben. Einige wenige<br />

Tiere wie Blattläuse und Wasserflöhe haben ein „gemischtes System“, bei<br />

dem sich parthenogenetische und sexuelle Fortpflanzung abwechseln. Damit<br />

besitzen sie die Möglichkeit, sich unter für sie optimalen Umweltbedingungen<br />

asexuell zu vermehren und unter sich verschlechternden Bedingungen<br />

über sexuelle Fortpflanzung besser angepasste Nachkommen oder<br />

Überdauerungsstadien zu produzieren (Simon et al. 2002).<br />

7.2.2 Evolution der Sexualität<br />

(1) Sexuelle Fortpflanzung, die durch die Verschmelzung haploider Gameten<br />

definiert ist, hat sich aufgrund der Vorteile der flexiblen Anpassung<br />

an sich ändernde Umweltbedingungen und Pathogene im Tierreich weitestgehend<br />

durchgesetzt; sie ist auch bei Mikroorganismen weiter verbreitet<br />

als lange Zeit angenommen wurde (Xu 2004). Durch die Vermischung<br />

des genetischen Materials, welche durch Meiose möglich und notwendig<br />

gemacht wird, kann es zur Ausselektierung nachteiliger Mutationen und<br />

zur Weitergabe vorteilhafter Mutationen und Genkombinationen kommen<br />

(Keightley u. Eyre-Walker 2000). Adulte Individuen können dabei haploid<br />

(manche Parasiten, z. B. der Malariaerreger Plasmodium) oder wie bei den<br />

meisten höheren Tieren diploid sein (Abb. 7.2). Bei Haplonten mit sexueller<br />

Fortpflanzung kann die Vermehrung trotzdem klonal erfolgen, wohingegen<br />

die Vermehrung von Diplonten obligat Sexualität beinhaltet. Aufgrund<br />

der erhöhten genetischen Variabilität und eines verbesserten<br />

Schutzes gegen rezessive negative Mutationen bietet die Diploidie evolutionär<br />

gesehen bessere Anpassungsmöglichkeiten und hat sich vermutlich<br />

deswegen bei der großen Mehrzahl der Metazoen durchgesetzt.


7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie 239<br />

Sexuelle Fortpflanzung ist nicht notwendigerweise an getrenntgeschlechtliche<br />

Individuen gebunden. Hermaphroditen (Zwitter) haben<br />

funktionsfähige männliche und weibliche Geschlechtsanlagen in einem Individuum<br />

vereinigt. Dieses System bietet aufgrund der inhärenten Flexibilität<br />

die Möglichkeit, die Fortpflanzung opportunistisch zu gestalten. Einerseits<br />

ist jeder Artgenosse ein potentieller Paarungspartner, wobei<br />

Spermien meist reziprok ausgetauscht werden, so dass zwar die Kosten der<br />

Partnerfindung reduziert werden, aber strategische Fragen darüber auftauchen,<br />

wie viel in die männliche und weibliche Funktion investiert werden<br />

soll (Greeff u. Michiels 1999). Dabei kann es zu einer Abwägung der<br />

relativen Vor- und Nachteile kommen, die vor allem mit dem Transfer<br />

bzw. Empfang von Spermien verbunden sind (Michiels u. Newman 1998).<br />

Wechselseitige Inseminationen sind dabei häufiger reziprok als durch Zufall<br />

zu erwarten wäre (Abb. 7.3; Anthes u. Michiels 2005). So ist bei einer<br />

Meeresschnecke die Spermienabgabe an die reziproke Aufnahme gebunden<br />

(Anthes et al. 2005). Dabei wird aber gegen Individuen diskriminiert,<br />

die schon eine Spermatophore aus einer anderen Paarung in sich tragen,<br />

vermutlich um Spermienkonkurrenz ( Kap. 8.5) zu vermeiden (Haase u.<br />

Karlsson 2004).<br />

Andererseits ist bei Zwittern auch eine Selbstbefruchtung möglich, wobei<br />

in Populationen mit einem hohen Anteil an Selbstbefruchtung das Investment<br />

in die männliche Funktion reduziert wird (Johnston et al. 1998).<br />

Hermaphroditismus kann so ausgeprägt sein, dass ein Individuum gleichzeitig<br />

funktionale Eier und Spermien besitzt, oder er kann mit einem Geschlechtswechsel<br />

im Laufe des Lebens verbunden sein. Dabei kann sowohl<br />

die männliche (Protandrie) als auch die weibliche Funktion<br />

(Protogynie) als Erstes ausgebildet sein (Warner 1975). Veränderte Kör-<br />

Abb. 7.3. Wenn zwei paarungsbereite<br />

Kopfschildschnecken (Chelidonura hirundinina)<br />

aufeinandertreffen, erfolgt<br />

der Spermienaustausch zwischen diesen<br />

Hermaphroditen nach strengen Regeln<br />

der Reziprozität


240 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

pergröße und/oder soziale Bedingungen sind die wichtigsten proximaten<br />

Auslöser für den Geschlechtswechsel (Rogers 2003).<br />

Die überwiegende Zahl der Tierarten betreibt getrenntgeschlechtliche<br />

Fortpflanzung mit diploiden Männchen und Weibchen. Bei ihnen kann<br />

die Befruchtung intern oder extern erfolgen, was wiederum Konsequenzen<br />

für das Paarungsverhalten und geschlechtsspezifische Investitionsstrategien<br />

in den Nachwuchs nach sich zieht (Beck 1998; Kap. 10.1). Bei<br />

Arten mit interner Befruchtung entsteht zudem ein großer Selektionsdruck<br />

auf die Weibchen, Männchen der eigenen Art zu erkennen und auszuwählen.<br />

In diesem Zusammenhang ist die Evolution von komplizierten Fortpflanzungsorganen,<br />

die manchmal wie Schloss und Schlüssel aufeinander<br />

abgestimmt sein müssen, sowie von verhaltensbiologischen Arterkennungsmechanismen,<br />

wie komplexen Signalen oder Ritualen, zu sehen<br />

( Kap. 9.1).<br />

Bei einigen getrenntgeschlechtlichen Tieren können sich die Geschlechter<br />

auch in ihrer genetischen Ausstattung unterscheiden oder andere Besonderheiten<br />

aufweisen. Am bedeutsamsten sind in diesem Zusammenhang<br />

Hymenopteren (Ameisen, Wespen und Bienen), bei denen die<br />

Weibchen aus befruchteten Eiern entstehen und dementsprechend diploid<br />

sind, wohingegen aus unbefruchteten Eiern haploide Männchen schlüpfen.<br />

Diese Haplodiploidie hat weitreichende Konsequenzen, da dadurch Weibchen<br />

mit ihren Schwestern näher verwandt sind, als sie dies mit ihrem eigenen<br />

Nachwuchs wären, sich daher nicht selbst fortpflanzen und stattdessen<br />

in die Aufzucht von Geschwistern investieren (Hamilton 1964;<br />

Kap. 10.4).<br />

Bei manchen Amphibien und Fischen sind Männchen gänzlich verzichtbar<br />

geworden. Amazonenkärpflinge (Poecilia formosa) sind zum Beispiel<br />

eine reine Weibchenart, die durch Hybridisierung zwischen den bisexuellen<br />

Arten P. mexicana und P. latipinna entstanden ist. Die Fortpflanzung<br />

von P. formosa erfolgt asexuell durch Gynogenese, d. h. die diploiden Eizellen<br />

werden durch Spermien von Männchen anderer Arten stimuliert, um<br />

eine parthenogenetische Entwicklung der Embryonen zu initiieren<br />

(Schlupp u. Ryan 1996).<br />

(2) Nachteile von Sex. Die Evolution von Sexualität vor 700–800 Millionen<br />

Jahren war eines der wichtigsten Ereignisse im Verlauf der Evolution,<br />

und ihre Erklärung stellt immer noch eine der größten Herausforderungen<br />

der Evolutionsbiologie dar. Sexuelle Fortpflanzung ist, im Vergleich zur<br />

asexuellen Fortpflanzung, aus zwei Gründen ein Paradoxon (Abb. 7.4).<br />

Zum einen werden durch die notwendige Rekombination bei der Meiose<br />

erfolgreiche Genkombinationen, also solche, deren Träger es geschafft haben,<br />

zur Geschlechtsreife zu überleben und sich erfolgreich fortzupflanzen,


7.2 Life history und Fortpflanzungsbiologie 241<br />

Abb. 7.4. Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen der sexuellen Fortpflanzung<br />

auseinander gebrochen. Dieser Nachteil wird als Kosten der Rekombination<br />

bezeichnet. Zum andern entstehen, im Vergleich zu asexuellen Arten,<br />

durch die notwendige Produktion von Männchen Fitnesseinbußen für<br />

Weibchen, da nicht nur Töchter produziert werden, die sich selber wieder<br />

fortpflanzen, sondern die Hälfte der Investitionen in die Fortpflanzung auf<br />

Söhne entfällt ( Kap. 7.4). Dieser Nachteil ist als Kosten der Männchenproduktion<br />

bekannt (Barton u. Charlesworth 1998).<br />

(3) Vorteile von Sex. Was diese Kosten mehr als wettmacht, ist noch nicht<br />

abschließend geklärt, obwohl eine Fülle theoretischer Vorteile sexueller<br />

Fortpflanzung diskutiert werden. Demnach kann Sexualität über längere<br />

Zeiträume zu einem Selektionsvorteil für die Mitglieder einer Population<br />

führen, entweder weil sie das Aussterben durch mangelnde Anpassungen<br />

an Umweltveränderungen aufgrund von genetischer Koppelung vorteilhafter<br />

Mutationen (Fisher-Muller-Theorie; Rouzine et al. 2003) oder Akkumulation<br />

von nachteiligen Mutationen (Muller’s ratchet: Duarte et al.<br />

1992) verhindert. Mitglieder sexueller Populationen können auch aufgrund<br />

der geringeren Wachstumsraten reduzierter intraspezifischer Konkurrenz<br />

ausgesetzt sein (ecological cost: Doncaster et al. 2000). Andererseits kann<br />

Sexualität auch mit kurzfristigen Vorteilen für Individuen verbunden sein,<br />

entweder weil durch die resultierende genetische Variabilität der Nachkommen<br />

deren bessere Anpassung an unvorhersagbare Umweltbedingungen<br />

(Best-man-Hypothese: Dacks u. Roger 1999) oder an die räumliche


242 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

Heterogenität ihrer Lebensräume (Tangled-bank-Hypothese: Getz 2001)<br />

gewährleistet wird. Außerdem kann es zu einem Vorteil bei kompetitiven<br />

Interaktionen zwischen verschiedenen Organismen („antagonistische Koevolution“)<br />

wie beispielsweise zwischen Parasiten und ihren Wirten kommen<br />

(Red-queen-Hypothese; Bell 1982).<br />

Theoretische Modellierungen haben nahe gelegt, dass einzelne Faktoren,<br />

wie zum Beispiel Geschlechtsunterschiede in der Varianz des Fortpflanzungserfolgs<br />

(Siller 2001) oder der Prävalenz nachteiliger Mutationen<br />

(Agrawal 2001), die Nachteile der sexuellen Fortpflanzung mehr als wettmachen<br />

könnten, aber empirische Unterstützung existiert bislang einzig für<br />

die „Red-queen-Hypothese“. Der Name dieser Hypothese stammt aus der<br />

Geschichte von „Alice im Wunderland“, in der die rote Königin Alice erzählt,<br />

dass … „it takes all the running you can do, to keep in the same<br />

place“ … Demnach gibt es einen evolutionären Wettlauf zwischen Pathogenen<br />

und ihren Wirten, bei dem die Wirte durch sexuelle Fortpflanzung<br />

immer neue Genotypen mit verbesserter Resistenz produzieren und somit<br />

einen Vorteil gegenüber Parasiten und Krankheitserregern haben, die an<br />

den häufigsten Genotyp angepasst sind (Hamilton et al. 1990). So fanden<br />

Lively und Dybdahl (2000) bei einer Schnecken-Population mit sexuellen<br />

und asexuellen Individuen, dass der Anteil sexueller Individuen positiv mit<br />

der Parasitenhäufigkeit, aber keinem anderen Umweltfaktor korreliert.<br />

Möglicherweise gibt es aber Interaktionen zwischen sich nicht gegenseitig<br />

ausschließenden Vorteilen der sexuellen Fortpflanzung (West et al. 1999),<br />

so dass die Entstehung und Erhaltung von Sexualität nicht durch einen einzigen<br />

Faktor erklärt werden kann.<br />

7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen<br />

In Darwins ursprünglicher Darstellung der sexuellen Selektionstheorie hat<br />

er Partnerwahl durch Weibchen als Selektionsmechanismus zwischen den<br />

Geschlechtern und den Kampf zwischen Männchen als wichtigsten Selektionsmechanismus<br />

innerhalb der Geschlechter dargestellt. Konkurrenz<br />

zwischen Weibchen und Wahl durch Männchen kamen darin nicht vor.<br />

Letztendliche Grundlage für diese Einschätzung und Definition dieser traditionellen<br />

Geschlechterrollen mit kompetitiven, nicht diskriminierenden<br />

Männchen und zurückhaltenden, wählerischen Weibchen ist die unterschiedliche<br />

Größe der Gameten von Männchen und Weibchen. Basierend<br />

auf Überlegungen zur Evolution von Anisogamie lässt sich die Evolution<br />

von traditionellen und modernen Geschlechterrollen rekonstruieren und so


7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen 243<br />

die Grundlagen für ein modernes Verständnis geschlechtsspezifischer<br />

Fortpflanzungsstrategien schaffen (Cunningham u. Birkhead 1998).<br />

(1) Evolution von Anisogamie. Bei sich sexuell fortpflanzenden Organismen<br />

ist Isogamie die ursprüngliche Form der Sexualität. Dabei sind die<br />

zur Zygote verschmelzenden Gameten gleich groß. Isogamie findet sich<br />

heute nur noch bei einfachen Einzellern (z. B. Paramecium). Bei fast allen<br />

sich sexuell reproduzierenden mehrzelligen Tieren und Pflanzen findet dagegen<br />

eine anisogame Fortpflanzung statt, d. h. die Gameten haben unterschiedliche<br />

Größen. Diese Entwicklung kann als Spezialisierung an die<br />

beiden Aufgaben, die ein Gamet hat, nämlich andere Gameten zu finden<br />

und erfolgreich Zygoten zu bilden, interpretiert werden. Männliche Gameten<br />

(Spermien) sind klein, beweglich und nährstoffarm und repräsentieren<br />

eine optimale Anpassung an die erste Anforderung. Das weibliche Geschlecht<br />

ist dagegen durch die Produktion von großen, unbeweglichen und<br />

nährstoffreichen Gameten (Eier) definiert.<br />

Parker et al. (1972) haben unter Zuhilfenahme spieltheoretischer Ansätze<br />

vorgeschlagen, dass sich Anisogamie aus Isogamie entwickelt, wenn<br />

genetische Variation in der Gametengröße existiert, die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

der Zygoten größenabhängig ist und die Zunahme der Überlebensfähigkeit<br />

mit zunehmender Größe den Nachteil der geringeren Anzahl<br />

mehr als wettmacht, d. h. wenn zwei große Zygoten im Durchschnitt<br />

eine größere Fitness als vier kleine mit derselben Gesamtmasse haben. Unter<br />

diesen Annahmen, d. h. bei relativer Zunahme der großen Gameten,<br />

entsteht ein Selektionsdruck auf kleine Gameten, sich einen großen Partner<br />

zu suchen und dessen Nahrungsreserven auszubeuten. Große Gameten<br />

sollten versuchen, mit anderen möglichst großen Gameten zu verschmelzen.<br />

Da aber eine Zygote aus zwei winzigen Gameten nicht überlebensfähig<br />

ist, ist der Nachteil für einen großen Gameten beim Verschmelzen mit<br />

einem kleinen geringer als für einen kleinen beim Verschmelzen mit einem<br />

anderen kleinen, d. h. die Selektion wirkt stärker auf die kleinen Gameten,<br />

die außerdem aufgrund ihrer größeren Zahl einen zusätzlichen Vorteil erfahren,<br />

da sie größere genotypische Variabilität ausbilden können. Die mittelgroßen<br />

Gameten werden irgendwann aussterben, da sie weder den Vorteil<br />

der großen Anzahlen noch der großen Nahrungsreserven aufweisen.<br />

Am Ende dieses Wettlaufs gibt es also noch zwei Gametentypen: Eier und<br />

Spermien.<br />

(2) Konsequenzen der Anisogamie. Weibchen produzieren wenige große<br />

Gameten; Männchen viele kleine. Das heißt, Männchen sind potentiell in<br />

der Lage mehr Eier zu befruchten als verfügbar sind. Damit werden Eier<br />

zu einer knappen Ressource, um die Männchen konkurrieren, da diese ih-


244 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

ren potentiellen Fortpflanzungserfolg limitieren. Als Konsequenz ergibt<br />

sich dadurch ein fundamentaler Geschlechtsunterschied in den Determinanten<br />

des Fortpflanzungserfolgs. Männchen können ihren Fortpflanzungserfolg<br />

dadurch erhöhen, dass sie möglichst viele Weibchen finden<br />

und deren Eier befruchten. Sie haben damit ein wesentlich größeres Fortpflanzungspotential<br />

und sind daher einer starken Selektion ausgesetzt, was<br />

die Konkurrenz um Weibchen betrifft. Weibchen können dagegen nur die<br />

Rate der Eiproduktion erhöhen; zusätzliche Kopulationen haben keinen<br />

quantitativen Einfluss auf ihre Fitness. Ihre Fitness wird daher vor allem<br />

von Zugang zu Ressourcen, die sie in die Eiproduktion und Entwicklung<br />

und Fürsorge der Jungen investieren, limitiert.<br />

Dieser fundamentale Geschlechtsunterschied der Fitnesslimitierung<br />

wurde erstmals von A.J. Bateman (1948) in einem Experiment mit Drosophila<br />

demonstriert (Abb. 7.5). Er setzte dazu jeweils vier Männchen und<br />

vier Weibchen zusammen, wobei die Männchen durch individuelle phänotypische<br />

Marker charakterisiert waren, und ließ sie sich verpaaren. Anschließend<br />

ordnete er die Nachkommen jedes Weibchens einem Männchentyp<br />

zu; er machte also keine Beobachtungen des Paarungsverhaltens<br />

und bestimmte auch nicht den individuellen Fortpflanzungserfolg einzelner<br />

Fliegen. Er fand, dass die allermeisten Weibchen sich mit einem oder zwei<br />

Männchen verpaarten, wohingegen es genauso viele Männchen gab, die<br />

sich gar nicht fortpflanzten, wie solche, die eine oder zwei Paarungspartnerinnen<br />

hatten. Manche Männchen verpaarten sich sogar mit drei oder<br />

vier Weibchen. Das heißt, die Variabilität in der Zahl der Paarungspartner<br />

(und Nachkommen) war bei Männchen wesentlich höher als bei Weib-<br />

Abb. 7.5. Batemans Prinzipien: In Paarungsexperimenten mit Drosophila wurden<br />

vier Weibchen mit vier unterscheidbaren Männchen zusammengesetzt (links). Die<br />

Zuordnung der resultierenden Nachkommen (rechts) ergab, dass die Varianz in<br />

der Anzahl der Paarungspartner bei Männchen größer war als bei Weibchen


7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen 245<br />

chen, manchen Männchen gelang es viele Weibchen zu befruchten, wohingegen<br />

andere wenig oder gar keinen Erfolg hatten.<br />

Box 7.2<br />

Batemans Prinzipien: Geschlechtsunterschiede in der Intensität sexueller<br />

Selektion<br />

• Frage: Unterscheidet sich die Intensität der sexuellen Selektion (bei Rauhäutigen<br />

Gelbbauchmolchen, Taricha granulosa) zwischen den Geschlechtern<br />

in der von Bateman’s Prinzipien vorhergesagten Weise?<br />

• Hintergrund: Batemans Prinzipien postulieren, dass sich die standardisierten<br />

Varianzen im Fortpflanzungs- bzw. Paarungserfolg zwischen den<br />

Geschlechtern unterscheiden (ist in der Regel bei Männchen größer). Damit<br />

sexuelle Selektion wirken kann, muss es einen Zusammenhang zwischen<br />

den beiden ersten Prinzipien geben; dieser wird durch den Bateman-<br />

Gradienten beschrieben.<br />

• Methode: Aus einem Teich wurden alle (96 Männchen und 42 Weibchen)<br />

Gelbbauchmolche nach der Paarungszeit gefangen und vermessen. Weibchen<br />

wurden bis zur Eiablage einzeln gehalten und die Vaterschaften der<br />

762 Jungen wurde genetisch bestimmt.<br />

Anzahl Nachkommen<br />

(Fortpflanzungserfolg)<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

Männchen<br />

Weibchen<br />

1 2 3 4 5 6<br />

Anzahl Paarungspartner<br />

(Paarungserfolg)<br />

• Ergebnis: Männchen hatten eine 19-mal höhere standardisierte Varianz<br />

im Fortpflanzungserfolg und eine 7-mal höhere standardisierte Varianz im<br />

Paarungserfolg*. Die Steigung der Geraden, die den Zusammenhang zwischen<br />

Paarungs- und Fortpflanzungserfolg beschreibt (Batemans Gradient),<br />

ist für Männchen (⎯) positiv, wohingegen der Gradient für Weibchen<br />

(---) sich nicht signifikant von Null unterscheidet.<br />

• Schlussfolgerung: Die Intensität der sexuellen Selektion ist, wie vorhergesagt,<br />

für Männchen intensiver.<br />

Jones et al. 2002<br />

* berechnet als Varianz/Mittelwert²


246 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

Aus dieser Studie wurden Batemans Prinzipien abgeleitet, welche die<br />

Erforschung der sexuellen Selektion in den letzten 50 Jahren nachhaltig<br />

beeinflusst haben (Arnold 1994). Demnach hat das Geschlecht, welches<br />

der stärkeren sexuellen Selektion unterliegt, die höhere standardisierte Varianz<br />

im Paarungserfolg (Anzahl Partner) und Fortpflanzungserfolg<br />

(Anzahl Nachkommen). Außerdem ist die Steigung der Regressionsgeraden,<br />

die Fortpflanzungserfolg als Funktion des Paarungserfolgs betrachtet,<br />

im Geschlecht unter intensiverer sexueller Selektion steiler (Box 7.1).<br />

Eine erste generelle Formulierung geschlechtsspezifischer Fortpflanzungsstrategien<br />

wurde von George Williams (1966) erstellt. Er verdeutlichte<br />

die von Darwin skizzierten traditionellen Geschlechterrollen, indem<br />

er die Fortpflanzung eines typischen Säugetiers aus der Perspektive<br />

beider Geschlechter beleuchtete. Aufgrund der physiologischen Zwänge<br />

der internen Schwangerschaft und der nachfolgenden Laktation sind die<br />

Unterschiede zwischen den Geschlechtern hier deutlich erkennbar. Die<br />

Rolle eines männlichen Säugetiers in der Fortpflanzung endet demnach<br />

meist mit der Kopulation, die für es nur geringe Kosten in Form von Energie<br />

und verringerter Wachsamkeit mit sich bringt. Für die Weibchen ist es<br />

genau umgekehrt; mit der Kopulation beginnt für sie eine Zeit, die unter<br />

Umständen monatelange Gefahren und physiologische Belastungen mit<br />

sich bringt und andere Aspekte ihres Verhaltens beeinflusst. Aufgrund der<br />

vergleichsweise geringeren Kosten der primären Fortpflanzungsrolle der<br />

Männchen sollten sie daher eine ständige Bereitschaft zeigen, sich mit so<br />

vielen Weibchen wie möglich zu paaren. Weibchen können dagegen durch<br />

zusätzliche Verpaarungen mit anderen Männchen ihren quantitativen Fortpflanzungserfolg<br />

nicht verbessern, da ihre Wurfgröße relativ invariant und<br />

nicht durch Spermien limitiert ist. Aus diesen Überlegungen leitete Williams<br />

eine allgemeine stärkere Tendenz zur Promiskuität bei Männchen sowie<br />

eine Tendenz zur Vorsicht und Diskriminierung bei Weibchen ab.<br />

In einer einflussreichen evolutionsbiologischen Arbeit hat Robert Trivers<br />

(1972) diese Überlegung in wichtiger Weise erweitert und generalisiert.<br />

Er hat darin deutlich gemacht, dass die geschlechtsspezifische Form<br />

des elterlichen Investments in die Nachkommen ( Kap. 10.2), und nicht<br />

das Geschlecht oder die Gametengröße an sich, ausschlaggebend dafür ist,<br />

ob ein Individuum sich in der von Darwin und Williams charakterisierten<br />

Weise als typisch männlich oder weiblich verhält. Trivers definierte elterliches<br />

Investment als … „jegliches Investment durch die Eltern in ihre<br />

Nachkommen, das die Überlebenswahrscheinlichkeit der Nachkommen zu<br />

Lasten der Fähigkeit der Eltern, in weitere Nachkommen zu investieren,<br />

erhöht“ … Demnach müssen alle Formen der elterlichen Investition in die<br />

Fitness der Nachkommen berücksichtigt werden. Außerdem bestimmt der


7.3 Anisogamie und Geschlechterrollen 247<br />

relative Anteil der elterlichen Investition beider Geschlechter in ihren<br />

Nachwuchs den Fortpflanzungswettbewerb zwischen den Geschlechtern.<br />

Das heißt, wenn ein Geschlecht erheblich mehr investiert als das andere<br />

(und zwar unabhängig davon, wer die größeren Gameten produziert!), wird<br />

es zum Objekt der Konkurrenz zwischen Mitgliedern des anderen Geschlechts.<br />

Da es in der Praxis oft schwierig ist, das Ausmaß elterlicher Investition<br />

zu messen und zu vergleichen, hat Tim Clutton-Brock (1991) diese Überlegungen<br />

dahingehend erweitert, indem er vorschlug, dass die Rollen im<br />

Fortpflanzungswettbewerb letztendlich durch die potentiellen Fortpflanzungsraten<br />

beider Geschlechter determiniert werden. Die potentiellen<br />

Fortpflanzungsraten ergeben sich aus der Anzahl der Jungen pro Zeiteinheit,<br />

die beide Eltern unabhängig voneinander produzieren. Dieser Vorschlag<br />

basierte auf der Einsicht, dass eine Kopulation und deren Konsequenzen<br />

für die Geschlechter unterschiedliche „Bearbeitungszeiten“<br />

(handling times) mit sich bringen. Das in Hinblick auf die Fortpflanzungsraten<br />

„schnellere“ Geschlecht wird dabei durch das „langsamere“ Geschlecht<br />

limitiert und dadurch zum Wettbewerb um Partner gezwungen.<br />

Bei Stichlingen (Gasterosteus aculeatus) ist es zum Beispiel schwierig<br />

zu bestimmen, welches Geschlecht die größere elterliche Investition<br />

macht. Hier legen Weibchen die Eier in ein Nest, das von einem Männchen<br />

gebaut, anschließend bewacht und mit sauerstoffreichem Wasser befächelt<br />

wird. Sind hier die energetischen Kosten der Eiproduktion der Weibchen<br />

höher als die Kosten des Bauens, Fächelns, der reduzierten Nahrungsaufnahme<br />

und der erhöhten Räubergefahr während des Brütens durch die<br />

Männchen? Hier ist es nun so, dass die Weibchen einmal pro Woche Eier<br />

legen können und die Männchen einzelne Gelege 15–20 Tage lang bebrüten.<br />

Allerdings können Männchen bis zu sechs Gelege gleichzeitig bebrüten,<br />

wodurch sie eine maximale Fortpflanzungsrate von einem Gelege pro<br />

2,5 Tage haben; eine Rate, die doppelt so hoch ist wie die der Weibchen.<br />

Da die Männchen ein Gelege schneller verarbeiten können, konkurrieren<br />

sie trotz ihrer erheblichen Investition um Weibchen (Kraak et al. 1999).<br />

Dieses verfeinerte Modell über die Ursachen sexueller Selektion wurde<br />

unter anderem dadurch unterstützt, dass es auch das Verhalten von Männchen<br />

und Weibchen bei Arten erklären konnte, die umgekehrte Geschlechterrollen<br />

an den Tag legen (Berglund u. Rosenqvist 2003). Bei<br />

Seepferdchen (Syngnathus typhle) sind zum Beispiel die Männchen allein<br />

für die Aufzucht der Jungen verantwortlich und die Weibchen sind größer,<br />

aggressiver als die Männchen und konkurrieren untereinander um diese.<br />

Wie erwartet sind bei Seepferdchen die Bateman’schen Prinzipien umge-


248 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

kehrt: bei Weibchen gibt es eine stärkere positive Korrelation zwischen der<br />

Anzahl von Paarungspartnern und der Fertilität (Jones et al. 2000).<br />

In neuerer Zeit wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Varianz im<br />

individuellen Fortpflanzungserfolg auch eine zufällige Komponente hat<br />

(Hubbell u. Johnson 1987) und dass Individuen flexible Fortpflanzungsstrategien<br />

gegenüber sich verändernden sozialen oder Umweltbedingungen<br />

an den Tag legen. So wurde bei mehreren Arten beobachtet, dass<br />

Weibchen weniger wählerischer sind, wenn es ein hohes Prädationsrisiko<br />

gibt, ihre Parasitenbelastung hoch ist, sie relativ alt sind oder weniger<br />

Männchen zur Auswahl stehen (Gowaty 2004). Zudem gibt es erste Hinweise<br />

darauf, dass Männchen, die gezwungen werden, sich mit nicht präferierten<br />

Weibchen zu verpaaren, einen reduzierten Fortpflanzungserfolg haben<br />

(Gowaty et al. 2003). Daraus lässt sich ableiten, dass sich Männchen<br />

unter bestimmten Bedingungen sehr wohl auch wählerisch verhalten.<br />

Das aktuelle Verständnis von Geschlechterrollen geht daher davon<br />

aus, dass beide Geschlechter durch Zwänge ihrer Life history im Großen<br />

und Ganzen zwar auf die typischen Geschlechterrollen festgelegt sind, dass<br />

diese aber innerhalb gewisser Grenzen flexibel angepasst werden können.<br />

Man erwartet daher prinzipiell, dass beide Geschlechter unter bestimmten<br />

Bedingungen sowohl untereinander konkurrieren als auch wählerisch sein<br />

können (Clutton-Brock 2007). Da die Geschlechter aber durch unterschiedliche<br />

Faktoren in ihrem Fortpflanzungserfolg limitiert werden und<br />

die Flexibilität der Geschlechterrollen mehr oder weniger stark eingeschränkt<br />

sein kann, sind sexuelle Konflikte häufig ( Kap. 9.8).<br />

7.4 Geschlechterverhältnis<br />

Neben Merkmalen der Life history bestimmen verschiedene Aspekte der<br />

belebten und unbelebten Umwelt die Fortpflanzungsstrategien von Individuen.<br />

Dabei stellt das numerische Verhältnis von Männchen und Weibchen<br />

eine besonders wichtige Determinante der Intensität der Konkurrenz zwischen<br />

Männchen sowie der Wahlmöglichkeiten der Weibchen dar. Man<br />

unterscheidet dabei zwischen dem primären Geschlechterverhältnis bei der<br />

Geburt, dem sekundären Geschlechterverhältnis der geschlechtsreifen Individuen<br />

und dem operationalen Geschlechterverhältnis. Letzteres ist<br />

definiert als die Anzahl der Männchen und Weibchen, die zu einem gegebenen<br />

Zeitpunkt zur Fortpflanzung bereit sind (Emlen u. Oring 1977). Der<br />

Unterschied zwischen sekundärem und operationalem Geschlechterverhältnis<br />

ist letztendlich ein Unterschied zwischen Demographie und Verhalten.<br />

Während das sekundäre Geschlechterverhältnis eine Populationsgröße


7.4 Geschlechterverhältnis 249<br />

beschreibt, bezeichnet das operationale Geschlechterverhältnis, wie viele<br />

Männchen um diejenigen Weibchen konkurrieren, die genau zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt empfängnisbereit sind. Das operationale Geschlechterverhältnis<br />

beeinflusst bei Guppies (Poecilia reticulata) beispielsweise<br />

das männliche Balz-, Kopulations- und Bewachungsverhalten sowie die<br />

Stärke der weiblichen Präferenz für bestimmte männliche Ornamente (Jirotkul<br />

1999). Das operationale Geschlechterverhältnis kann sehr dynamisch<br />

sein und sich im Laufe einer Paarungszeit ständig ändern. Bei Zieseln<br />

(Spermophilus richardsoni) mit stark saisonaler Fortpflanzung ändert<br />

es sich beispielsweise mit jedem befruchteten Weibchen, welches das lokale<br />

Geschlechterverhältnis weiter zu Gunsten der Männchen verschiebt<br />

(Michener u. McLean 1996).<br />

Evolution des Geschlechterverhältnisses. Welche Geschlechterverhältnisse<br />

sind nun unter Berücksichtigung der Geschlechtsunterschiede in den<br />

jeweiligen potentiellen Fortpflanzungsraten zu erwarten? Wenn ein Männchen<br />

theoretisch viele Weibchen in kurzer Zeit befruchten kann, könnten<br />

Mitglieder von Populationen, die mehr Töchter produzieren, höhere<br />

Wachstumsraten erzielen. Wenn 20 Weibchen einer hypothetischen Art<br />

anstatt 50 Söhne und 50 Töchter zu produzieren, welche ihrerseits jeweils<br />

5 Eier produzieren, nur 10 Söhne und dafür 90 Töchter produzieren würden,<br />

hätten sie zusammen 450 anstatt 250 Enkel. Außerdem müssten die<br />

Söhne weniger untereinander konkurrieren und im Durchschnitt könnte jeder<br />

von ihnen mehr Nachkommen haben. An diesem simplen Gedankenexperiment<br />

lässt sich bereits erkennen, dass das Geschlechterverhältnis auf<br />

Populationsebene einen Einfluss auf das Fortpflanzungsverhalten hat und<br />

daher die Rollen und Strategien der Geschlechter im Kontext der Fortpflanzung<br />

mitbestimmt.<br />

Obwohl eine Population mit höherer Töchterproduktion viel schneller<br />

wachsen würde, ist das primäre Geschlechterverhältnis der meisten Arten<br />

auf Populationsebene aber nahe bei 1:1 und nicht zu Gunsten von Weibchen<br />

verschoben. Das liegt darin begründet, dass Selektion nicht zum<br />

Wohl einer Population oder Art wirkt, sondern den Fortpflanzungserfolg<br />

von Individuen bewertet.<br />

Ronald Fisher (1930) hat als erster erkannt, dass die Überproduktion<br />

von Söhnen oder Töchtern evolutionär nicht stabil ist. Wenn man annimmt,<br />

dass die Geschlechtsbestimmung eine genetische Grundlage hat,<br />

würden Mütter, die aufgrund eines solchen Merkmals mehr Söhne produzieren,<br />

mehr Enkel haben als Mütter, die überwiegend Töchter produzieren,<br />

da jeder Sohn theoretisch mehrere Weibchen befruchten kann. Dadurch<br />

würde sich dieses Gen aber rasch in der Population ausbreiten und<br />

nach wenigen Generationen stünden paarungsbereiten Männchen nur noch


250 7 Sexuelle Selektion: evolutionäre Grundlagen<br />

ganz wenige Weibchen gegenüber. In diesem Fall hätten Mütter, die nur<br />

Töchter produzieren einen Vorteil, da sich jede ihre Töchter, aber nur ganz<br />

wenige der Männchen fortpflanzen könnten. Das heißt, das seltenere Geschlecht<br />

hat immer einen relativen Fortpflanzungsvorteil. Nur wenn das<br />

Geschlechterverhältnis exakt 1:1 ist, haben Töchter und Söhne einen<br />

identischen durchschnittlichen Fortpflanzungserfolg.<br />

Abweichungen von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis sind<br />

nur unter Ausnahmebedingungen zu erwarten. Zum einen sollte natürliche<br />

Selektion zu kompensatorischen Verschiebungen des Geschlechterverhältnisses<br />

führen, wenn das elterliche Investment in Söhne und Töchter unterschiedlich<br />

ist, (West u. Sheldon 2002; Kap. 10.3). Zum andern können<br />

auch bestimmte Pathogene zu einer Verschiebung des Geschlechterverhältnisses<br />

führen. So waren zwei Inselpopulationen der Eierfliege ( Abb. 2.17)<br />

mit Bakterien befallen, die selektiv männliche Embryos abtöteten. Das<br />

Geschlechterverhältnis war daher 100:1 zu Gunsten der Weibchen verschoben.<br />

Nach dem Auftreten und Ausbreiten einer Mutation, die den geschlechtsspezifischen<br />

Effekt der Bakterien unterband, erreichten die<br />

Schmetterlinge nach nur 10 Generationen wieder ein Geschlechterverhältnis<br />

von 1:1 (Charlat et al. 2007)!<br />

7.5 Zusammenfassung<br />

Die erfolgreiche Weitergabe möglichst vieler Kopien der eigenen Gene<br />

in die nächste Generation ist ein zentrales Anliegen aller Individuen,<br />

welches durch Selektion streng bewertet wird. Auf welche Art<br />

diese Weitergabe bewerkstelligt wird, variiert innerhalb des Tierreichs<br />

in faszinierender Weise und umfasst verschiedene asexuelle und sexuelle<br />

Fortpflanzungssysteme. Die Entstehung sexueller Fortpflanzung<br />

war eine der herausragenden Ereignisse der Evolutionsgeschichte.<br />

Sexualität konnte sich trotz offensichtlicher Nachteile durchsetzen,<br />

weil sie beim evolutionären Wettrennen zwischen Wirten und Pathogenen<br />

den Wirten zu einem Vorteil verhilft. Die Diversität der Vermehrungs-<br />

und Fortpflanzungssysteme kann als Ausdruck unterschiedlicher<br />

Life history-Anpassungen verstanden werden, die<br />

wiederum durch Zwänge des Bauplans eingeschränkt werden. Diese<br />

Grundausstattung an Fortpflanzungsmechanismen legt in wichtiger<br />

Weise grundlegende Aspekte des Fortpflanzungs- und Jungenaufzuchtverhaltens<br />

fest. Die sich bei der Mehrzahl der Tiere daraus ergebenden<br />

„typischen“ Geschlechterrollen von konkurrierenden Männ-


Literatur 251<br />

chen und wählerischen Weibchen können von Umweltbedingungen,<br />

unter anderem auch vom Verhältnis paarungsbereiter Männchen und<br />

Weibchen, modifiziert werden und sind daher flexibler, als lange angenommen<br />

wurde.<br />

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8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen<br />

konkurrieren<br />

8.1 Partnerfindung und Sensorik<br />

8.1.1 Partnerfindung<br />

8.1.2 Sensorische Mechanismen<br />

8.2 Größe, Stärke und Waffen<br />

8.2.1 Physische Merkmale<br />

8.2.2 Verteidigung<br />

8.2.3 Kosten der intrasexuellen Selektion<br />

8.2.4 Grundlagen des Fortpflanzungserfolges<br />

8.2.5 Evolution sekundärer Geschlechtsmerkmale<br />

8.3 Ornamente<br />

8.3.1 Visuelle Ornamente<br />

8.3.2 Akustische Ornamente<br />

8.4 Dominanz<br />

8.4.1 Dominanz und Fortpflanzung<br />

8.4.2 Reproduktive Unterdrückung<br />

8.5 Spermienkonkurrenz<br />

8.5.1 Mechanismen<br />

8.5.2 Verhaltensanpassungen an Spermienkonkurrenz<br />

8.5.3 Anatomische Anpassungen an Spermienkonkurrenz<br />

8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz<br />

8.6.1 Bruce-Effekt<br />

8.6.2 Infantizid<br />

8.6.3 Infantizid und Life history<br />

8.7 Strategien und Taktiken<br />

8.7.1 Alternative Strategien<br />

8.7.2 Konditionale Strategien<br />

8.8 Partnerwahl durch Männchen<br />

8.9 Zusammenfassung


256 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Da ihr Fortpflanzungserfolg durch den Zugang zu fertilen Weibchen limitiert<br />

ist, folgen Männchen in der Regel einem „kopulatorischen Imperativ“<br />

(Ghiselin 1974). Dabei werden Merkmale, welche die Wahrscheinlichkeit,<br />

zu einer Paarungsgelegenheit zu kommen, auch nur minimal erhöhen, von<br />

intrasexueller Selektion positiv bewertet. Sexuell selektierte Anpassungen<br />

finden sich dabei in ganz unterschiedlichen Merkmalen, wobei das Verhalten<br />

aber eine herausragende Rolle spielt. Bei Männchen zählen laut<br />

Darwin (1871) unter anderem Angriffs- und Verteidigungswaffen, Aggressivität<br />

und „Mut in Kämpfen, Ornamente und Vorrichtungen, die Klänge<br />

oder Düfte produzieren, welche nur dazu dienen, Weibchen anzulocken“,<br />

zu diesen Merkmalen. Die Konkurrenz zwischen Männchen um den relativ<br />

höchsten Fortpflanzungerfolg ist dabei aber in den wenigsten Fällen auf<br />

das unmittelbare Paarungsgeschehen begrenzt.<br />

Der Fortpflanzungswettbewerb zwischen Männchen findet zumeist in<br />

mehreren Etappen statt: vor, während und nach einer Kopulation (Abb. 8.1).<br />

Zunächst muss ein Männchen paarungsbereite Weibchen lokalisieren und<br />

aufsuchen ( Kap. 8.1). Zur Maximierung ihres Fortpflanzungserfolges<br />

sollten Männchen versuchen, möglichst viele Weibchen für sich zu monopolisieren,<br />

indem sie den Zugang von Rivalen zu Weibchen unterbinden.<br />

Diese präkopulatorische Konkurrenz hat viele Facetten, wobei zumeist Variabilität<br />

zwischen Männchen in physischen Merkmalen für deren Erfolg<br />

ausschlaggebend ist ( Kap. 8.2.4). Selbst wenn ein Männchen diese ersten<br />

Etappen erfolgreich absolviert hat, erzielt es durch die vollzogenen<br />

Kopulationen zunächst nur einen Paarungserfolg; ob eine erfolgreiche Paarung<br />

auch zur erfolgreichen Fortpflanzung führt, hängt von einer Reihe<br />

weiterer Faktoren ab.<br />

Wenn sich das Weibchen nämlich auch noch mit anderen Männchen<br />

verpaart, kommen seine Spermien unter Umständen gar nicht zur Befruchtung,<br />

falls sie bei der stattfindenden Spermienkonkurrenz ( Kap. 8.5)<br />

Abb. 8.1. Etappen der Fortpflanzungskonkurrenz. Die zeitliche Organisation der<br />

einzelnen Schritte zeigt, dass Männchen vor und nach der Kopulation auf verschiedene<br />

Weisen miteinander konkurrieren


8.1 Partnerfindung und Sensorik 257<br />

unterliegen oder vom Weibchen wieder ausgestoßen werden. Außerdem<br />

können befruchtete Zygoten durch den Einfluss von Rivalen unter Umständen<br />

resorbiert oder Föten abgestoßen werden. Selbst neugeborene Jungtiere<br />

können noch von Rivalen getötet werden, um das betroffene Weibchen<br />

schneller für sich paarungsbereit zu machen, wodurch der Fortpflanzungserfolg<br />

eines Männchens noch Monate nach einer Paarung zunichte gemacht<br />

wird ( Kap. 8.6). Es gibt daher auch mehrere Etappen postkopulatorischer<br />

Konkurrenz zwischen Männchen, wobei eine Kopulation zunächst<br />

nur eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Fortpflanzung darstellt.<br />

Mit welchen Mechanismen Männchen versuchen, Mitkonkurrenten<br />

auf allen Etappen der Fortpflanzungskonkurrenz auszustechen und einen<br />

zählbaren Fortpflanzungserfolg zu erzielen, ist in diesem Kapitel im Einzelnen<br />

dargestellt.<br />

8.1 Partnerfindung und Sensorik<br />

Eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Fortpflanzung ist das<br />

Zusammentreffen beider Geschlechter oder zumindest ihrer Gameten. Es<br />

ist daher sinnvoll, in diesem Zusammenhang zwischen Arten mit interner<br />

und solchen mit externer Befruchtung zu unterscheiden. Externe Befruchtung,<br />

die das Zusammentreffen der Geschlechter nicht bedingt, findet sich<br />

beispielsweise bei vielen sessilen marinen Wirbellosen, die ihre Eier und<br />

Spermien an die Umwelt abgeben. Die große Zahl der Gameten, die<br />

Schwämme, Korallen, Muscheln oder Seeigel freisetzen, erhöht dabei die<br />

Abb. 8.2a,b. Partnerfindung bei Arten mit externer und interner Befruchtung.<br />

a Solitär lebende Frösche (hier Aglyptodactylus securifer) und b Fossas (Cryptoprocta<br />

ferox) liefern Beispiele für Arten mit externer bzw. interner Befruchtung,<br />

bei denen sich die Geschlechter zur Paarung erst treffen müssen


258 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Wahrscheinlichkeit, dass ein Spermium auf ein Ei derselben Art trifft und<br />

sich die dabei entstehende Zygote zu einer planktonischen Larve entwickelt<br />

(Bishop 1998). Um diese Wahrscheinlichkeit weiter zu erhöhen, ist<br />

die Freisetzung der Gameten bei mancher dieser Arten durch eine innere<br />

Jahresuhr oder bestimmte Umweltfaktoren zwischen Individuen synchronisiert.<br />

Außerdem erkennen sich Gameten derselben Art chemisch. Partnersuche<br />

ist für diese Tiere also kein Thema. Externe Befruchtung bedeutet<br />

aber nicht zwangsläufig, dass die Geschlechter nicht zur Paarung<br />

zusammenfinden müssen. Bei vielen Fischen und Amphibien kommt es<br />

nur zum gemeinsamen Ablaichen, wenn sich Männchen und Weibchen gefunden<br />

und ihr Verhalten aufeinander abgestimmt haben (Abb. 8.2a).<br />

8.1.1 Partnerfindung<br />

Bei den meisten Tierarten kommen Männchen und Weibchen zur Paarung<br />

zusammen. Diese Annäherung erfolgt notwendigerweise bei allen Arten<br />

mit interner Befruchtung. Manche Arten leben in Paaren oder in Gruppen<br />

aus mehreren Männchen und Weibchen. In diesem Fall ist es für<br />

Männchen nicht notwendig, rezeptive Weibchen über größere Distanzen<br />

zu lokalisieren. Bei manchen Zugvögeln legen die beiden Mitglieder eines<br />

Brutpaares aber auch Hunderte von Kilometern getrennt zurück und kommen<br />

unabhängig voneinander innerhalb weniger Tage im Brutgebiet an,<br />

wo sie sich zuerst (wieder-)finden müssen (Gunnarsson et al. 2004).<br />

Bei Arten ohne permanente Assoziation zwischen den Geschlechtern<br />

müssen Individuen aber zum Zweck der Fortpflanzung zusammenkommen<br />

(Abb. 8.2b). Das ist, wie bei manchen Walen, wo die Geschlechter Hunderte<br />

von Kilometern voneinander entfernt sind, oder wie bei manchen<br />

Tiefseeorganismen, die in geringen Dichten in absoluter Dunkelheit leben,<br />

nicht immer einfach. Bei räuberischen Arten kann diese Annäherung auch<br />

gefährlich sein, wenn Paarungspartner und Beute nicht eindeutig identifizierbar<br />

sind. In den allermeisten Fällen sind es dabei die Männchen, die<br />

sich auf die Suche machen, da ihre Fortpflanzungsrate letztendlich durch<br />

die Zahl der gefundenen Weibchen limitiert wird.<br />

8.1.2 Sensorische Mechanismen<br />

Manche sensorischen Höchstleistungen im Tierreich basieren auf intrasexueller<br />

Selektion, welche die Fähigkeit von Männchen, Weibchen überhaupt<br />

oder schneller als Konkurrenten lokalisieren zu können, belohnt. Das<br />

bekannteste Beispiel dafür stammt vom Seidenspinner (Bombyx mori: Butenandt<br />

et al. 1959). Paarungsbereite Weibchen dieses Nachtfalters geben


8.1 Partnerfindung und Sensorik 259<br />

Abb. 8.3. Männliche Seidenspinner<br />

(Bombyx mori)<br />

können mit ihren Antennen<br />

einzelne Moleküle des<br />

weiblichen Sexual-Pheromons<br />

detektieren<br />

ein Pheromon ab, das Bombykol, welches von Männchen mit spezifischen<br />

Rezeptoren auf ihren Antennen perzipiert wird (Abb. 8.3). Männchen fliegen<br />

in immer enger werdenden Schleifen gegen den Gradienten der Pheromonquelle,<br />

bis sie auf das dazu gehörende Weibchen treffen. Experimente<br />

haben gezeigt, dass ein einziges Bombykol-Molekül ausreichend ist,<br />

ein Aktionspotential an den Rezeptoren des Männchens auszulösen. Die<br />

sensorische Empfindlichkeit der Seidenspinner-Männchen wurde also<br />

durch intrasexuelle Selektion bis an den Rand der physiologischen Leistungsfähigkeit<br />

getrieben, vermutlich weil Männchen mit einer etwas besseren<br />

Empfindlichkeit für die Wahrnehmung dieses Moleküls im Laufe der<br />

Evolution im Durchschnitt häufiger zur Fortpflanzung kamen als ihre weniger<br />

sensitiven Konkurrenten.<br />

Es können aber auch alle anderen Sinnesmodalitäten bei der Lokalisation<br />

paarungsbereiter Weibchen eingesetzt werden. Bei Glühwürmchen<br />

(Lampyridae) kommen in diesem Zusammenhang visuelle Signale zum<br />

Einsatz, die durch Biolumineszenz erzeugt werden. Männliche Glühwürmchen<br />

erzeugen beim Umherfliegen artspezifische Lichtimpulse. Die Weibchen<br />

befinden sich stationär in der Vegetation und antworten nach einer<br />

charakteristischen Verzögerung mit einem spezifischen Antwortsignal<br />

(Loyd 1971). Männchen, die weiter umherfliegen und weibliche Signale<br />

besser wahrnehmen können, haben daher vermutlich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit,<br />

sich zu verpaaren. Männchen mit bestimmten Signalcharakteristika,<br />

wie zum Beispiel einer erhöhten Blinkrate, haben zudem größere<br />

Chancen, von Weibchen ein Antwortsignal zu erhalten (Branham u.<br />

Greenfield 1996). Wenn sie in der Nähe des Signals, das sie angelockt hat,<br />

gelandet sind, bekommen manche dieser Männchen entweder eine Paarungsgelegenheit<br />

oder aber sie werden gefressen! Es gibt nämlich auch<br />

Weibchen räuberischer Arten (Photuris spp.), die das Leuchtsignal anderer


260 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Arten täuschend ähnlich nachahmen und so liebeshungrige Männchen anlocken<br />

und anschließend „vernaschen“ (Loyd 1981).<br />

Bei vielen tagaktiven Schmetterlingen und Eidechsen locken Weibchen<br />

paarungsbereite Männchen ebenfalls vornehmlich mit visuellen Signalen<br />

an. So nehmen weibliche Bläulinge (Polyommatus icarus) mit ihren larvalen<br />

Nahrungspflanzen Flavonoide auf, welche das im UV-Bereich sichtbare<br />

Flügelmuster für Männchen vermutlich leichter erkennbar machen<br />

(Burghardt et al. 2000).<br />

Bei manchen Arten reagieren Männchen bei der Partnersuche besonders<br />

empfindlich auf akustische Signale, die von empfängnisbereiten Weibchen<br />

ausgesendet werden. Weibchen können in diesem Zusammenhang<br />

unspezifische Laute einsetzen oder aber solche, die spezifisch ihre Fortpflanzungsbereitschaft<br />

signalisieren. Männchen des chinesischen Kaskadenfroschs<br />

(Odorrana tormota) zeigen eine bemerkenswert genaue positive<br />

Hinwendung (Phonotaxis Kap. 4.3) zu Ultraschall-Lauten von<br />

Weibchen; ihr Fehler beträgt < 1° (Shen et al. 2008). Männchen, die weibliche<br />

Lockrufe besser wahrnehmen können als andere, erfahren also einen<br />

Fortpflanzungsvorteil, da sie dadurch empfängnisbereite Weibchen besser<br />

oder schneller lokalisieren können.<br />

Solitäre Männchen können ihre Wahrscheinlichkeit, auf Weibchen oder<br />

deren Signale zu treffen, durch eine Erhöhung ihrer Mobilität verbessern<br />

(Hammerstein u. Parker 1987). Diese Männchen suchen Gebiete ab, die ihre<br />

normalen Streifgebiete um ein Vielfaches in der Größe übertreffen, und<br />

inspizieren gefundene Weibchen in Bezug auf ihre Fortpflanzungsbereitschaft.<br />

Dieses Verhalten zeigen u. a. manche Streifenhörnchen (Spermophilus<br />

tridecemlineatus: Schwagmeyer 1988) oder Lemuren (Mirza coquereli:<br />

Kappeler 1997), die sich, auch wenn sie ein empfängnisbereites<br />

Weibchen gefunden haben, nicht lange nach der Paarung bei diesem aufhalten,<br />

sondern sich gleich auf die Suche nach weiteren potentiellen Partnerinnen<br />

machen. Diese Suchstrategie der Männchen ist mit der Kürze der<br />

jährlichen Paarungszeit zu erklären. Da empfängnisbereite Weibchen nur<br />

für wenige Wochen pro Jahr verfügbar sind, investieren Männchen in<br />

dieser Zeit alle verfügbare Energie darin, die Begegnungsrate mit Weibchen<br />

zu maximieren. Als Nebenprodukt besitzen Männchen dieser Arten<br />

ein besseres räumliches Orientierungsvermögen als Weibchen (Schwagmeyer<br />

1994).<br />

Diese Form des Wettsuchens zwischen Männchen führt oft zu einer<br />

Form der Fortpflanzungskonkurrenz, die als Verdrängungskonkurrenz<br />

(scramble) bezeichnet wird. Diese findet immer dann statt, wenn das<br />

Monopolisierungspotential der Männchen, also deren Fähigkeit ein oder<br />

mehrere Weibchen erfolgreich gegen Rivalen zu verteidigen, gering ist


8.1 Partnerfindung und Sensorik 261<br />

Abb. 8.4. Zusammenhänge zwischen der Verteilung rezeptiver Weibchen in Raum<br />

und Zeit, dem daraus resultierenden Monopolisierungspotential für Männchen sowie<br />

den daraus begründeten Anpassungen und Konkurrenzmechanismen<br />

(Abb. 8.4). Das ist in der Regel der Fall, wenn Weibchen weiträumig verteilt<br />

oder in ihrer Fortpflanzungsaktivität stark synchronisiert sind (Emlen<br />

u. Oring 1977). In diesem Fall investieren Männchen wenig in präkopulatorische<br />

Verteidigung und/oder postkopulatorische Bewachung, sondern<br />

machen sich stattdessen nach einer erfolgreichen Paarung zügig auf die<br />

Suche nach dem nächsten Weibchen. Wenn die Weibchen sich mit mehreren<br />

Männchen nacheinander verpaaren, kommt es dadurch zu Spermienkonkurrenz<br />

( Kap. 8.7), die einen wichtigen Mechanismus der Verdrängungskonkurrenz<br />

zwischen Männchen darstellt.<br />

Am anderen Ende eines gedachten Kontinuums der Konkurrenzformen<br />

findet sich Interferenzkonkurrenz (contest). Dabei steht die Monopolisierung<br />

von empfängnisbereiten Weibchen während und nach der Paarung<br />

gegenüber Rivalen im Mittelpunkt. Diese Monopolisierung wird ermöglicht,<br />

wenn Weibchen räumlich geklumpt vorkommen und/oder ihre rezeptiven<br />

Phasen asynchron sind. Die Monopolisierung erfolgt dadurch, dass<br />

andere Männchen permanent von Weibchen oder deren Streifgebieten<br />

ferngehalten werden, oder dadurch, dass einzelne Weibchen temporär verteidigt<br />

werden. Bei dieser Form der Konkurrenz sind andere Eigenschaften<br />

der Männchen für deren Erfolg ausschlaggebend: Größe, Stärke, Ausdauer<br />

und der Besitz von Waffen.


262 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

8.2 Größe, Stärke und Waffen<br />

Darwin (1871) charakterisierte intrasexuelle Selektion unter anderem als<br />

Selektion, welche „die Kraft zum Besiegen anderer Männchen in Kämpfen“<br />

vergrößert. Das Bild zweier Rothirschmännchen (Cervus elaphus), die<br />

mit ineinander verzahnten Geweihen versuchen, einander wegzuschieben,<br />

versinnbildlicht diesen Aspekt der Konkurrenz zwischen Männchen vermutlich<br />

am deutlichsten (Abb. 8.5). Solche Kämpfe um die Monopolisierung<br />

von Fortpflanzungsgelegenheiten sind potentiell immer dann<br />

möglich, wenn mindestens zwei Männchen gleichzeitig bei fortpflanzungsbereiten<br />

Weibchen eintreffen oder bereits mit ihnen assoziiert sind. Der<br />

Ausgang eines solchen Kampfes ist in vielen Fällen von individueller Variabilität<br />

in der Stärke, Ausdauer, Körpergröße sowie in der Größe und<br />

Anwendung artspezifischer Waffen abhängig. Bei Tieren wie manchen<br />

Greifvögeln oder Fischen, bei denen Männchen einander im dreidimensionalen<br />

Raum jagen, können aber auch Merkmale wie Agilität und Schnelligkeit<br />

von größerer Bedeutung sein.<br />

Positive Selektion auf die an den Kämpfen beteiligten Merkmale führt<br />

häufig zu einem Unterschied zwischen den Geschlechtern in den betreffenden<br />

Merkmalen. Eine weitere Konsequenz dieser Form der Konkurrenz<br />

besteht in der Investition in effektive Verteidigungsstrukturen, die bei<br />

Kämpfen genauso wichtig sein können wie die Angriffswaffen. Da Kämpfe<br />

immer mit einem Verletzungsrisiko behaftet sind, ist zu erwarten, dass<br />

Männchen versuchen sollten, Asymmetrien in ihrer Kampfkraft durch Ornamente<br />

zu signalisieren ( Kap. 8.3) oder in Form von Dominanzbeziehungen<br />

( Kap. 8.4) zu ritualisieren. Sekundäre Geschlechtsmerkmale der<br />

Abb. 8.5. Wenn Kämpfe zwischen Rothirschbullen um Zugang zu einem Harem<br />

eskalieren, entscheiden am Ende Größe und Stärke über den Ausgang


8.2 Größe, Stärke und Waffen 263<br />

Männchen können aber auch eine Grundlage für die Partnerwahl der<br />

Weibchen liefern (Berglund et al. 1996). Letztendlich müssen aber sowohl<br />

Ornamente als auch Dominanzpositionen durch die entsprechenden physischen<br />

Merkmale untermauert werden, falls die gegenseitige Bedrohung<br />

zum Kampf eskaliert, d. h. es handelt sich um „ehrliche Signale“ (Zahavi<br />

1975).<br />

8.2.1 Physische Merkmale<br />

Wenn Männchen untereinander um den Zugang zu paarungsbereiten<br />

Weibchen konkurrieren, existieren Verhaltensweisen, die zusammen mit<br />

morphologischen und physiologischen Merkmalen zu deren Erfolg beitragen.<br />

Körpergröße und die damit verbundene Stärke stellen zumeist die<br />

wichtigste Grundlage der Konkurrenzfähigkeit dar. Damit verbunden sind<br />

auch oft die physiologischen Grundlagen von Ausdauer und Schnelligkeit.<br />

Durch die Effekte von Testosteron wird zudem die Aggressivität und<br />

Kampfbereitschaft der Männchen erhöht.<br />

In vielen Taxa sind Waffen entstanden, die Männchen in ihren Kämpfen<br />

untereinander einsetzen. Vergrößerte Mandibeln, Scheren oder andere spezifische<br />

Strukturen finden sich bei zahlreichen Arthropoden. Bei Reptilien<br />

und Vögeln werden Schnäbel, Sporne und Krallen als Waffen eingesetzt.<br />

Bei Säugetieren fungieren neben Hufen, Krallen, Hörnern und Geweihen<br />

auch Eckzähne als Waffen, die gefährliche Verletzungen verursachen können.<br />

Die Größe dieser Waffen ist zumeist konditionsabhängig, so dass größere<br />

und ältere Tiere in guter Verfassung die effektivsten Waffen besitzen.<br />

Außerdem gibt es zwischen den Arten einen positiven Zusammenhang<br />

zwischen Körpergröße, Waffengröße und der Intensität der Konkurrenz.<br />

Bei Hirschen (Cervidae) haben beispielsweise größere Arten durchschnittlich<br />

größere Harems als Arten mit Männchen mit geringerer Körpergröße.<br />

Wenn man diesen Effekt der Körpergröße statistisch kontrolliert, haben<br />

Arten mit größeren Harems relativ größere Geweihe als Arten mit durchschnittlich<br />

kleineren Harems (Clutton-Brock et al. 1980).<br />

Waffen sind allerdings nicht immer auf Männchen beschränkt. Bei einem<br />

Drittel der Hornträger (Boviden) gibt es beispielsweise auch Weibchen<br />

mit Hörnern. Bei Antilopen unterscheidet sich die Länge der Hörner<br />

nicht zwischen den Geschlechtern, aber die Hörner der Männchen sind im<br />

Durchschnitt fast doppelt so dick; vermutlich als Anpassung an die Art und<br />

Weise, wie Männchen gegeneinander kämpfen (Packer 1983). Bei Dickhornschafen<br />

(Ovis canadensis), bei denen beide Geschlechter Hörner tragen<br />

(Abb. 2.3), hat selektiver Jagddruck auf Männchen mit besonders<br />

großen Hörnern über einen Zeitraum von 30 Jahren dazu geführt, dass die


264 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

durchschnittliche Horn- und Körpergröße der Männchen zurückging, da<br />

sich diese Männchen seltener fortpflanzen konnten (Coltman et al. 2003).<br />

8.2.2 Verteidigung<br />

Aufgrund des hohen Verletzungsrisikos sowie des Infektionsrisikos von<br />

Wunden, das von diesen Waffen ausgeht, ist es nicht verwunderlich, dass<br />

korrespondierende Schutzmechanismen entstanden sind, um Verletzungen<br />

zu vermeiden. Individuen, die besser gegen einen Angriff geschützt sind,<br />

haben eine höhere Wahrscheinlichkeit weiter zu kämpfen oder überleben<br />

zu können. Peter Jarman (1989) hat solche Schutzmechanismen bei herbivoren<br />

Säugetieren untersucht und dazu Variation in der Hautdicke am ganzen<br />

Körper gemessen. Er fand dabei Artunterschiede in der Lage verdickter<br />

Hautstellen sowie einen massiven Geschlechtsunterschied: diese<br />

Hautschilde kommen fast nur bei Männchen vor. Ein Vergleich der artspezifischen<br />

Verteilung der Hautschilde mit typischen Waffen und Kampfstilen<br />

bestätigte die Hypothese, dass diese Hautverdickungen in intraspezifischen<br />

Auseinandersetzungen eine Schutzfunktion ausüben.<br />

So ist zum Beispiel bei Großen Roten Kängurus (Macropus rufus), die<br />

aufrecht kämpfen, die Haut an Bauch und Hals der Männchen besonders<br />

dick. Bei Wildschweinen (Sus scrofa), bei denen sich Männchen seitlich<br />

gegenüber stehen und versuchen, ihre Hauer einzusetzen, sind dagegen die<br />

bedrohten Hautstellen an der Körperseite besonders dick. Wenn Hörner<br />

und Geweihe eingesetzt werden, sind die Nacken- und Schulterregionen<br />

der Männchen mit dicker Haut versehen. Bei Gnus (Connochaetes taurinus),<br />

die versuchen ihre Hörner unter den Gegner zu bringen, ist außerdem<br />

die Haut der Halsunterseite verdickt, und die Tiere gehen zusätzlich beim<br />

Kämpfen in die Knie, um solche Angriffe zu verhindern.<br />

8.2.3 Kosten der intrasexuellen Selektion<br />

Merkmale, die durch intrasexuelle Selektion gefördert werden, können neben<br />

dem Verletzungsrisiko bei Kämpfen auch zusätzliche Kosten in anderer<br />

Form mit sich bringen. So kann die Produktion mancher Waffen energetisch<br />

teuer sein, insbesondere dann, wenn sie, wie beispielsweise<br />

Hirschgeweihe, jährlich erneuert werden und wichtige Ressourcen (z. B.<br />

Kalzium) binden. Außerdem steigt mit zunehmendem Körpergewicht der<br />

absolute Energiebedarf; wenn Futter knapp wird, verhungern Männchen<br />

daher oft als Erste (Clutton-Brock et al. 1997). Die Akkumulation von<br />

Körpermasse und das Wachstum von Waffen beanspruchen also viel Energie<br />

und Zeit.


8.2 Größe, Stärke und Waffen 265<br />

Diese indirekten Kosten der intrasexuellen Selektion treffen schon die<br />

heranwachsenden Männchen, die höhere Wachstumsraten und/oder<br />

-dauern haben als Weibchen. Juvenile Männchen haben daher generell<br />

eine höhere Mortalitätswahrscheinlichkeit als Weibchen, welche zudem<br />

mit dem artspezifischen Maß an Polygynie, einem Maß für Varianz im<br />

männlichen Fortpflanzungserfolg, zunimmt. Außerdem ist auch noch keine<br />

effektive Beteiligung dieser „Halbstarken“ am Fortpflanzungswettbewerb<br />

möglich, so dass sie durch dieses verlängerte Investment auch Fortpflanzungsgelegenheiten<br />

verpassen, obwohl sie schon geschlechtsreif sind.<br />

Diese Investitionen in die Kampfeskraft sind bei polygynen Arten mit unterschiedlichen<br />

Kosten verbunden.<br />

Ein genereller Zusammenhang zwischen Sexualdimorphismus und Geschlechtsunterschieden<br />

in den Mortalitätsraten wurde sowohl bei Vögeln<br />

als auch bei Säugetieren gefunden. Je größer Männchen im Vergleich zu<br />

den Weibchen sind, umso höher sind die Mortalitätsraten der Männchen<br />

(Promislow 1992). Bei Vögeln haben zudem Männchen bei Arten mit auffälligerem<br />

Gefieder durchschnittlich höhere Mortalitätsraten als weniger<br />

auffällig gefärbte Männchen nah verwandter Arten (Promislow et al.<br />

1992). Wenn man annimmt, dass auffällige Gefieder auch bei der Konkurrenz<br />

zwischen Männchen eine Funktion besitzen, kann man diesen Zusammenhang<br />

ebenfalls als Beitrag zu den Kosten intrasexueller Selektion<br />

interpretieren.<br />

Schließlich gibt es Hinweise darauf, dass die durch intrasexuelle Selektion<br />

entstandenen Waffen die Funktionalität anderer Organe in Mitleidenschaft<br />

ziehen können. Bei Mistkäfern (Onthophagus spp.) gibt es<br />

Hunderte von Arten mit Hörnern an unterschiedlichen Stellen des Körpers<br />

(Abb. 8.6). Detaillierte Vergleiche haben gezeigt, dass diese Hörner je<br />

nach ihrer Lage die jeweils benachbarten Organe um durchschnittlich 25%<br />

in deren Größe reduzieren. Wenn sich die Hörner also vorne am Kopf befinden,<br />

sind die Antennen kleiner, wenn sich die Hörner an der Basis des<br />

Kopfes befinden, sind die Augen reduziert, und wenn sich die Hörner auf<br />

dem Thorax befinden, haben die betreffenden Tiere kleinere Flügel (Emlen<br />

2001). Die lagespezifischen Kosten der Hornproduktion interagieren dabei<br />

mit der Ökologie der einzelnen Arten: nachtaktive Arten haben beispielsweise<br />

seltener Hörner an der Basis des Kopfes und damit auch seltener<br />

verkleinerte Augen. Solche funktionalen Kosten können also darüber mitentscheiden,<br />

wo genau bestimmte Waffen angelegt werden, d. h. es gibt eine<br />

Interaktion zwischen Ökologie und Morphologie auch im Kontext<br />

sexuell selektierter Merkmale.<br />

Nicht nur Merkmale, die bei direkten Auseinandersetzungen zwischen<br />

Männchen eingesetzt werden, sind mit Kosten behaftet, sondern auch die<br />

Produktion und Aufrechterhaltung von Ornamenten ( Kap. 8.3) sind mit


266 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Abb. 8.6. Mistkäfer<br />

benutzen ihre Hörner, die<br />

bei verschiedenen Arten an<br />

unterschiedlichen Stellen<br />

des Kopfes angebracht<br />

sind, primär dazu, den<br />

Eingang von Höhlen, in<br />

denen sich Weibchen<br />

befinden, gegenüber Rivalen<br />

zu blockieren<br />

verschiedenen Kosten verbunden. Vogelarten mit ornamentiertem Gefieder<br />

wenden beispielsweise mehr Zeit und Energie für die Gefiederpflege auf<br />

als einfach gefärbte Arten (Walther u. Clayton 2005). Investitionen in Ornamente<br />

können auch die Mortalitätswahrscheinlichkeit von Männchen<br />

beeinflussen. Wenn man Feldgrillen (Teleogryllus commodus) mit Nahrung<br />

hoher Qualität, in diesem Fall mit hohem Proteinanteil, versorgt, leben<br />

diese Weibchen länger als andere, die proteinarme Nahrung bekamen.<br />

Männchen mit proteinreicher Nahrung starben aber früher als ihre Artgenossen<br />

mit schlechterem Futter, da sie mehr in das Anlocken von Weibchen<br />

mit Hilfe ihrer „Gesänge“ investierten (Hunt et al. 2004). Dieses Experiment<br />

zeigt also, dass Investition in sexuell selektierte Merkmale<br />

sowohl von der Verfassung der einzelnen Männchen als auch von der jeweiligen<br />

Ressourcenlage abhängt.<br />

8.2.4 Grundlagen des Fortpflanzungserfolges<br />

Sexualdimorphismus in Merkmalen, die der Fortpflanzungskonkurrenz<br />

dienen, ist mit Überlebenskosten verbunden. Natürliche Selektion beschränkt<br />

also die Ausprägung mancher Merkmale, die durch intrasexuelle<br />

Selektion begünstigt werden. Eine grundlegende Annahme bei der Interpretation<br />

der Evolution der Angriffsmerkmale der Männchen besteht darin,<br />

dass diese Investitionskosten durch entsprechenden Fortpflanzungserfolg<br />

kompensiert werden. Dass heißt, es ist zu erwarten, dass größere, stärkere


8.2 Größe, Stärke und Waffen 267<br />

Box 8.1<br />

Polygynie und Varianz im männlichen Fortpflanzungserfolg<br />

• Frage: Erzielen männliche Südliche See-Elefanten (Mirounga leonina),<br />

die Harems verteidigen und am häufigsten kopulieren, auch den größten<br />

Fortpflanzungserfolg?<br />

• Hintergrund: See-Elefanten kommen nur einmal pro Jahr an Land, um<br />

sich zu paaren. Hunderte von erwachsenen Männchen und Weibchen konzentrieren<br />

sich dabei auf kleine, traditionelle Strandabschnitte. Männchen<br />

bilden in heftigen Kämpfen eine Rangordnung aus, die den Zugang zu<br />

Weibchen stark beeinflusst. Der Erfolg in diesen Kämpfen wird hauptsächlich<br />

von der Körpergröße bestimmt.<br />

• Methode: Die räumliche Verteilung und das Paarungsverhalten von individuell<br />

markierten See-Elefanten wurden an einem Strandabschnitt der<br />

Falklandinseln über mehrere Jahre beobachtet. Die Vaterschaft der Jungtiere<br />

wurde mit genetischen Methoden bestimmt.<br />

% Paarungserfolg oder Vaterschaften<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

25<br />

12<br />

14<br />

15<br />

44 41<br />

25<br />

20<br />

100<br />

% Paarungserfolg<br />

% Vaterschaften<br />

0<br />

RUB96 SM96 SF96 SF97 SI196 SI296 SI297<br />

26<br />

37<br />

78<br />

51<br />

49<br />

Harems<br />

• Ergebnis: Nur 28% der 149 Männchen haben sich mindestens einmal<br />

verpaart. 93% der 790 Kopulationen wurden von Haremshaltern durchgeführt.<br />

Nur 28% der Männchen zeugten mindestens ein Jungtier, wobei<br />

90% dieser Vaterschaften den dominanten Haremshaltern zufielen*.<br />

• Schlussfolgerung: Die Intensität der sexuellen Selektion ist, wie vorhergesagt,<br />

für Männchen intensiv.<br />

Fabiani et al. 2004<br />

* für 7 Harems dargestellt als Anteil der Kopulationen eines Männchens multipliziert<br />

mit der Zahl der Weibchen/Harem, der über alle Harems summiert wird ( ) sowie<br />

dem Anteil der Vaterschaften des dominanten Bullen ( ).


268 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Männchen mit den größten und effektivsten Waffen auch den höchsten<br />

Fortpflanzungserfolg erzielen.<br />

Der vorhergesagte positive Zusammenhang zwischen Körpergröße<br />

und Fortpflanzungserfolg wurde bei polygynen Säugetieren, bei denen<br />

sich manche Männchen mit mehreren Weibchen verpaaren, eindrucksvoll<br />

bestätigt (Box 8.1). Die körperliche Verfassung eines Männchens einer polygynen<br />

Säugetierart wird dabei nicht nur vom Alter beeinflusst; ansonsten<br />

würden alle Männchen im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt gleich viele<br />

Nachkommen hinterlassen. Männchen unterscheiden sich auch noch in anderen<br />

Merkmalen, die alle zur Varianz im Lebensfortpflanzungserfolg<br />

beitragen. So gibt es bei Rothirschen große interindividuelle Unterschiede<br />

in der Anzahl der Brunftzeiten, die Männchen mitmachen, in der durchschnittlichen<br />

Anzahl von Tagen, an denen sie einen Harem verteidigen,<br />

sowie in der Anzahl an Weibchen, die dabei monopolisiert werden, in der<br />

Anzahl der Kälber, die sie durchschnittlich pro Jahr zeugen, sowie in deren<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit. Die Varianz zwischen Individuen in all diesen<br />

Faktoren führt dazu, dass Rothirschmännchen im Durchschnitt vier<br />

Nachkommen zeugen, die das erste Lebensjahr erreichen. Fast die Hälfte<br />

der Männchen zeugt aber in ihrem ganzen Leben kein einziges Jungtier,<br />

wohingegen andere bis zu 32 Nachkommen haben (Clutton-Brock et al.<br />

1982). Die Ursachen dieser Varianz lassen sich letztendlich auf das Geburtsgewicht<br />

der Männchen sowie das Investment ihrer Mütter in den ersten<br />

Lebensmonaten zurückführen (Kruuk et al. 1999; Kap. 10.2).<br />

Positive Zusammenhänge zwischen Körper- oder Waffengröße einerseits<br />

und Paarungs- und Fortpflanzungserfolg andererseits wurden auch bei<br />

anderen polygynen Säugetieren wie Mufflons (Ovis aries: Preston et al.<br />

2003), Dickhornschafen (Ovis canadensis: Coltman et al. 2002) oder Meerschweinchen<br />

(Cavia aperea: Asher et al. 2008) nachgewiesen. Körpergröße<br />

hat aber auch bei Wirbellosen wie der Großen Zitterspinne (Pholcus<br />

phalangioides: Schaefer u. Uhl 2003) oder dem Ohrwurm (Forficula auricularia:<br />

Forslund 2000) einen Einfluss auf den Paarungserfolg. Bei monogamen<br />

Arten gibt es dagegen selten auffällige Geschlechtsunterschiede in<br />

Merkmalen, die in ähnlicher Weise mit dem Fortpflanzungserfolg verknüpft<br />

sind. Bei diesen in Paaren lebenden Arten ist die Varianz im Lebensfortpflanzungserfolg<br />

zwischen den Geschlechtern auch sehr viel ähnlicher<br />

(z. B. Thomas u. Coulson 1988).<br />

8.2.5 Evolution sekundärer Geschlechtsmerkmale<br />

Sekundäre Geschlechtsmerkmale, die bei der direkten Konkurrenz der<br />

Männchen von Bedeutung sind, bringen sowohl Kosten als auch Nutzen


8.2 Größe, Stärke und Waffen 269<br />

für ihre Träger mit sich. Welche theoretischen Erwartungen für die Evolution<br />

dieser Merkmale ergeben sich daraus? Intrasexuelle Konkurrenz sollte<br />

eigentlich zu einem Wettrüsten führen, da der Paarungserfolg nicht von<br />

der absoluten Größe eines Merkmals, sondern von dessen relativen Wert in<br />

der Population abhängt. Das Wettrüsten hat drei mögliche Ausgänge:<br />

1. Männchen werden so selten, dass die Art ausstirbt.<br />

2. Zyklische Variation in der durchschnittlichen Männchengröße: Wenn<br />

große Männchen sehr selten sind, haben kleine Männchen wieder einen<br />

Vorteil und initiieren die nächste Spirale.<br />

3. Es gibt einen stabilen Polymorphismus in der Population, wodurch<br />

Kosten und Nutzen ausgeglichen werden (Parker 1983).<br />

Theoretische Modelle haben gezeigt, dass der Mittelwert vom ökologischen<br />

Optimum für ein Merkmal verschoben ist, wenn Stabilität erreicht<br />

wird. Stabile Polymorphismen treten immer dann auf, wenn die Kosten mit<br />

zunehmender Größe stärker zunehmen und wenn es umweltbedingte Variation<br />

im betreffenden Merkmal gibt (Maynard Smith u. Brown 1986). Da<br />

diese Annahmen in den meisten Populationen realistisch sind, unterstützen<br />

diese Modelle also Darwins Theorie, dass intrasexueller Wettbewerb um<br />

Paarungspartner zu stabilen Übertreibungen von männlichen Merkmalen<br />

führen kann, obwohl sie die durchschnittliche Überlebensfähigkeit reduzieren.<br />

Eine wichtige Konsequenz dieses höheren Investments von Männchen<br />

in Körpergröße und artspezifische Waffen besteht in der Evolution von<br />

zum Teil markanten Geschlechtsunterschieden. Wenn die betreffenden<br />

Merkmale quantifiziert werden können, lässt sich das Maß an Sexualdimorphismus<br />

als relative Größe der Männchen ausdrücken. Bei manchen<br />

marinen Säugetieren sind Männchen ein Vielfaches größer und schwerer<br />

als Weibchen (Lindenfors et al. 2002), aber auch bei vielen Primaten,<br />

Paarhufern und Karnivoren sind Männchen deutlich größer als Weibchen.<br />

Im Fall der Waffen können diese ganz auf die Männchen beschränkt sein<br />

oder sie sind bei den Männchen vergrößert (z. B. Eckzähne bei Primaten:<br />

Plavcan 2001).<br />

Obwohl bei vielen Wirbellosen, Fischen, Amphibien und Reptilien<br />

Männchen ebenfalls um den Zugang zu Weibchen konkurrieren, finden<br />

sich in diesen Gruppen kaum Beispiele für Arten, in denen Männchen erheblich<br />

größer sind (Anuren: Monnett u. Cherry 2002; Eidechsen: Butler<br />

et al. 2007); ganz im Gegenteil: In vielen Arten sind die Weibchen größer<br />

als die Männchen (umgekehrter Sexualdimorphismus). Entweder liegt<br />

dabei ein Rollentausch vor, also Weibchen haben schnellere potentielle<br />

Fortpflanzungsraten als die Männchen und konkurrieren untereinander um


270 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

diese (Jones et al. 1999; Kap. 9.7), oder bei diesen Arten ist die Fekundität<br />

positiv mit der Körpergröße korreliert. Da größere Weibchen mehr<br />

Eier produzieren können, gibt es bei diesen Arten möglicherweise stärkere<br />

Selektion auf die Körpergröße der Weibchen als auf die der Männchen.<br />

Schließlich interagiert das Maß an Sexualdimorphismus auch mit der<br />

absoluten Körpergröße: In Arten mit größeren Männchen nimmt Sexualdimorphismus<br />

mit zunehmender Körpergröße zu, wohingegen größere Arten<br />

mit umgekehrtem Sexualdimorphismus geringere Geschlechtsunterschiede<br />

aufweisen (Renschs Regel). Eine vergleichende Untersuchung an<br />

102 Arten von Strandläufern (Charadriides), bei denen sowohl „normaler“<br />

als auch „umgekehrter“ Sexualdimorphismus vorliegt, zeigte, dass die<br />

Richtung des Geschlechtsunterschiedes unabhängig von der Körpergröße<br />

davon abhängt, welches Paarungssystem in Kombination mit welchen<br />

männlichen Flug-displays existiert (Székely et al. 2004). Diese weiter gefassten<br />

Vergleiche zeigen, dass Sexualdimorphismus ein relatives Maß ist,<br />

welches zum Großteil unabhängige Selektionseffekte bei Männchen und<br />

Weibchen miteinander vergleicht.<br />

8.3 Ornamente<br />

Viele der spektakulärsten Anpassungen im Tierreich sind sexuell selektierte<br />

Ornamente von Männchen. Dabei handelt es sich um Farben, Muster,<br />

Anhänge, vergrößerte Strukturen oder aufwändige Signale in anderen Modalitäten,<br />

die im Rahmen der Paarungskonkurrenz oder Partnerwahl eingesetzt<br />

werden (Abb. 8.7). Da diese optischen, akustischen oder olfaktorischen<br />

Signale theoretisch sowohl von Rivalen als auch von potentiellen<br />

Paarungspartnerinnen empfangen werden, lässt sich eine exklusive Funktion<br />

im Kontext der Paarungskonkurrenz nicht leicht nachweisen. Nach einer<br />

Hypothese stellen aufwändige Ornamente Indikatoren der Qualität<br />

und Kondition des Senders dar. Diese Information ist sowohl für potentielle<br />

Paarungspartnerinnen als auch für Rivalen, die ihre Chancen bei einer<br />

direkten Konfrontation abschätzen, von Bedeutung (Berglund et al.<br />

1996). Allerdings sind nicht alle aufwändigen Ornamente automatisch Indikatoren<br />

männlicher Qualität; bei Blutschnabel-Webervögeln (Quelea<br />

quelea) ist die auffällige Färbung der Männchen nachweislich nicht mit deren<br />

Qualität assoziiert (Dale 2000).<br />

Die von Zahavi (1975) postulierte Handicap-Hypothese liefert eine Erklärung<br />

für sexuell selektierte Merkmale, die durch ihre Größe oder Auffälligkeit<br />

die Überlebenschancen des Trägers reduzieren. Demnach können


8.3 Ornamente 271<br />

Abb. 8.7. Paradiesvögel (hier<br />

Paradisea minor jobiensis) liefern<br />

einige der spektakulärsten<br />

Beispiele für auffällige und<br />

aufwändige Ornamente<br />

sich nur Individuen mit entsprechender körperlicher Verfassung solche<br />

Ornamente leisten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Merkmalen, die<br />

ehrlich oder zuverlässig sind, weil sie nicht gefälscht werden können, sowie<br />

Behinderungen (handicaps), die ehrlich sind, weil ihre Herstellung<br />

teuer und aufwändig ist (Maynard Smith u. Harper 2003). Männchen signalisieren<br />

demnach Weibchen mit aufwändigen Ornamenten, dass sie trotz<br />

dieses handicap problemlos überlebt haben und daher „gute Gene“ haben<br />

( Kap. 9.5). Zudem liefern dieselben Signale aber auch Information an<br />

Rivalen über die körperliche Verfassung eines möglichen Gegners. Da Eskalationen<br />

zu direkten körperlichen Auseinandersetzungen immer mit einem<br />

Verletzungsrisiko behaftet sind, können Ornamente dazu beitragen,<br />

Auseinandersetzungen zwischen Männchen mit ungleicher Kampfkraft<br />

zum Vorteil aller Beteiligten zu vermeiden.<br />

Verschiedene Produktions-, Unterhalts- und Mortalitätskosten von Ornamenten<br />

wurden bereits angesprochen (s. auch Walther u. Clayton 2005).<br />

Die Kosten des handicap können zudem auch darin begründet sein, dass<br />

Ornamente ihre Träger auffälliger für Raubfeinde machen. Ein Teil dieser<br />

Kosten kann durch entsprechende Verhaltensanpassungen allerdings kompensiert<br />

werden. Männliche Grillen (Gryllus integer) mit längeren, auffälligeren<br />

„Gesängen“ verhalten sich bei experimentell simulierter Präsenz<br />

von Räubern beispielsweise vorsichtiger als solche mit weniger aufwändigen<br />

Lauten (Hedrick 2000).


272 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

8.3.1 Visuelle Ornamente<br />

Körpergröße und Waffen können auch als Ornamente interpretiert werden.<br />

Sie stellen weitestgehend ehrliche visuelle Signale der Stärke und Wehrhaftigkeit<br />

dar, die bei Arten, bei denen Männchen direkt miteinander um<br />

Zugang zu Weibchen konkurrieren, zur Einschätzung der Kampfeskraft<br />

des Gegenübers benutzt werden können. In manchen Fällen versuchen<br />

Männchen durch Aufplustern, Haareaufstellen oder vergleichbare Mechanismen<br />

in solchen Situationen einen Rivalen zusätzlich zu beeindrucken<br />

(Abb. 8.8). Scheinangriffe und anderes Imponierverhalten sind bei solchen<br />

Konfrontationen ebenfalls häufig zu beobachten.<br />

In manchen Fällen scheint die Funktion von visuellen Ornamenten primär<br />

in der Paarungskonkurrenz zu liegen. So besitzen Fasane (Phasianus<br />

colchicus) einen auffälligen Kamm, dessen Größe und Farbe Testosteronabhängig<br />

variiert. Im Unterschied zur Schwanzlänge, die nachweislich von<br />

Weibchen bei der Partnerwahl bewertet wird, und der Länge des Fersensporns,<br />

der von Männchen bei Kämpfen eingesetzt wird, ist nur die Größe<br />

des Kamms mit dem Rang der Männchen korreliert und erfüllt damit die<br />

Voraussetzung als Signal der Kampfeskraft (Papeschi et al. 2003). Ob<br />

diese Information von den Fasanen-Männchen tatsächlich genutzt wird, ist<br />

allerdings noch nicht bekannt.<br />

Adulte männliche Mandrills (Mandrillus sphinx) besitzen bunt gefärbte<br />

Gesichter und Hinterteile (Abb. 8.9). Langfristige Vergleiche der Färbung,<br />

der Körperkondition, des Testosterontiters und des Dominanzrangs haben<br />

gezeigt, dass diese visuellen Ornamente die Voraussetzungen ehrlicher<br />

Signale erfüllen (Setchell u. Dixson 2001). Das heißt, die Färbung entwickelt<br />

sich, wenn Mandrill-Männchen sechs bis neun Jahre alt sind, wobei<br />

dominante Männchen zu jedem Zeitpunkt größer und bunter sind als<br />

Abb. 8.8. Bei Kämpfen<br />

zwischen Hähnen<br />

kommt es, wie bei vielen<br />

anderen Arten, zu<br />

Imponierverhalten, das<br />

den Gegner einschüchtern<br />

soll


8.3 Ornamente 273<br />

Abb. 8.9. Mandrills haben konditionsabhängige visuelle Ornamente. Dasselbe<br />

Männchen als Alpha-Tier (sitzend) und nach seiner Verdrängung auf einen niedereren<br />

Rang (stehend)<br />

niederrangige. Wenn erwachsene Männchen zum Alpha-Rang aufsteigen,<br />

werden sie schwerer, im Gesicht röter, bekommen größere Hoden und einen<br />

erhöhten Testosterontiter. Bei einem späteren Statusverlust sind alle<br />

diese Änderungen reversibel. Daher handelt es sich hierbei vermutlich um<br />

ehrliche Signale, die andere Männchen in den großen, anonymen Gruppen<br />

(von bis zu 600 Tiere) nutzen können, um ihr Verhalten gegenüber Rivalen<br />

einzuschätzen. Weibchen haben zudem eine Präferenz für farbige Männchen<br />

(Setchell 2005).<br />

Die Ehrlichkeit von Ornamenten basiert in vielen Fällen auf der Beteiligung<br />

von Karotenoiden. Diese Pigmente sind für die gelbe-orange-rote<br />

Färbung zahlreicher Ornamente verantwortlich und besitzen eine physiologische<br />

Funktion in der Immunabwehr. Experimente mit Amseln (Turdus<br />

merula) haben gezeigt, dass bei Parasitenbefall eine konditionsabhängige<br />

Allokation von Karotenoiden erfolgt. Nur Männchen, denen Karotenoide<br />

zugefüttert wurden, konnten ihre leuchtende Schnabelfarbe behalten und<br />

eine experimentelle Parasiteninfektion erfolgreich unterdrücken (Baeta et al.<br />

2008). Obwohl es jahreszeitliche Fluktuationen im zirkulierenden Karotenoidtiter<br />

geben kann, bleiben relative Unterschiede zwischen Männchen<br />

erhalten (Pérez-Rodríguez 2008). Solche Ornamente können auch dynamisch<br />

an sich verändernde soziale Bedingungen angepasst werden. Zebrafinkenmännchen<br />

(Taeniopygia guttata), die zusammen mit Weibchen<br />

gehalten werden, haben einen roteren Schnabel als solche, die in reinen<br />

Männchengruppen gehalten werden (Gautier et al. 2008); dieses Ornament<br />

scheint also primär auf Weibchen gerichtet zu sein. Schließlich gibt es<br />

auch genetisch determinierte innerartliche Farbpolymorphismen, die nicht


274 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

konditionsabhängig sind. So gibt es bei einem Prachtfinken (Gouldamadine,<br />

Erythrura gouldiae) drei Männchenmorphen, deren jeweilige Kopffärbung<br />

mit unterschiedlichem Dominanzstatus korreliert (Pryke u. Griffith<br />

2006).<br />

8.3.2 Akustische Ornamente<br />

Männchen vieler Insekten, Amphibien, Vögel und Säuger produzieren repetitive<br />

Rufe oder Laute, die als akustische Ornamente interpretiert werden.<br />

Diese Vokalisationen können entweder deswegen ehrliche Information<br />

über die Größe oder die physische Kondition eines Männchens<br />

enthalten, weil deren Produktion mit energetischen Kosten verbunden ist<br />

oder weil physikalische Merkmale des Lautes durch nicht fälschbare Eigenschaften<br />

des Senders bestimmt werden (Maynard Smith 1994).<br />

Bei Amphibien ist zum Beispiel die Grundfrequenz des Lautes negativ<br />

mit der Körpergröße korreliert; größere Männchen produzieren tiefere Rufe<br />

(Davies u. Halliday 1978). Da die Körpergröße bei direkten Auseinandersetzungen<br />

zwischen Männchen entscheidend ist, enthält die Grundfrequenz<br />

des Rufes ehrliche Information über die Kampfkraft, die aber<br />

wohl nicht immer genutzt wird (Bee 2002). Aufgrund der größenabhängigen<br />

modulierenden Wirkung des vokalen Trakts auf akustische Merkmale<br />

eines Rufs können Vokalisationen von Säugetiermännchen ebenfalls<br />

Informationen über die Körpergröße enthalten. Bei Rothirschen (Cervus<br />

elaphus) gibt es beispielsweise einen engen positiven Zusammenhang zwischen<br />

Alter, Körpermasse und der Formantendispersion, einer akustischen<br />

Variablen des Röhrens (Reby u. McComb 2003). Da das Röhren aber mit<br />

erheblichen energetischen Produktionskosten verbunden ist, steckt auch in<br />

der Rate, mit der ein Männchen ruft, Information über dessen Ausdauer<br />

und Qualität. Die Rufrate von Rothirschmännchen ist daher positiv mit deren<br />

Kampffähigkeit und Paarungserfolg korreliert (Clutton-Brock u. Albon<br />

1979); sie reagieren unterschiedlich auf künstlich veränderte Rufe, die die<br />

Präsenz eines großen oder kleineren Rivalen simulieren (Reby et al. 2005).<br />

Bei Pavianen (Papio ursinus) enthält der „Wa-hoo“, ein lauter, zweisilbiger<br />

Ruf, Informationen über die Qualität des Rufers (Abb. 8.10).<br />

Wa-hoos werden unter anderem bei Auseinandersetzungen zwischen<br />

Männchen ausgestoßen, wobei Männchen laut rufend umherlaufen, was<br />

körperlich anstrengend ist. Dominante Männchen rufen häufiger, schneller<br />

und länger als niederrangige Männchen (Kitchen et al. 2003). Außerdem<br />

unterscheidet sich die akustische Struktur der Wa-hoos zwischen dominanten<br />

und subordinaten Männchen (Fischer et al. 2004). Dass es sich dabei


8.4 Dominanz 275<br />

Abb. 8.10a–d. Konditionsabhängige Variabilität eines akustischen Ornaments, des<br />

Wa-hoo-Rufs a bei Pavianen b. Sowohl die Grundfrequenz der Rufe c als auch die<br />

Dauer des „hoo“-Teiles d variieren zwischen und innerhalb von Individuen in Abhängigkeit<br />

von deren Dominanzrang<br />

vermutlich um ein ehrliches akustisches Ornament handelt, haben Vergleichsmessungen<br />

der Laute von Männchen gezeigt, die im Rang abfielen.<br />

Nachdem sie keine dominante Position mehr innehatten, verkürzte sich die<br />

„hoo“-Silbe der Rufe und deren Grundfrequenz sank ab. Eine Silbe im Gesang<br />

männlicher Mehlschwalben (Hirundo rustica) scheint eine ähnliche<br />

Grundlage sowie eine vergleichbare Funktion bei der Konkurrenz zwischen<br />

Männchen zu haben (Galeotti et al. 1997).<br />

8.4 Dominanz<br />

Tiere, die regelmäßig mit denselben Artgenossen um Ressourcen konkurrieren,<br />

können untereinander Dominanzbeziehungen ausbilden. Dominanz<br />

ist ein Mechanismus zum Management individueller Asymmetrien, mit<br />

dem riskante Kämpfe vermieden werden können. Dominanz ist dabei keine<br />

intrinsische Eigenschaft eines Individuums, sondern sie beschreibt einen


276 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Aspekt der sozialen Beziehung zwischen zwei Individuen (Dyade), die dadurch<br />

gekennzeichnet ist, dass nur eines der beiden Tiere submissives<br />

Verhalten an den Tag legt. Außer im Fall von Individuen, die entweder<br />

alle anderen dominieren oder von allen anderen dominiert werden, ist es<br />

daher streng genommen irreführend, von dominanten oder subordinaten<br />

Tieren zu sprechen; alle anderen Tiere dominieren nämlich manche andere<br />

und werden von manchen anderen dominiert. Dominanzbeziehungen spielen<br />

nicht nur bei der Fortpflanzungskonkurrenz zwischen Männchen eine<br />

Rolle, sondern sie vermitteln auch Konkurrenz um andere Ressourcen<br />

( Kap. 5.4).<br />

8.4.1 Dominanz und Fortpflanzung<br />

Dominanzbeziehungen zwischen Männchen dienen primär der Regulation<br />

des Zugangs zu Weibchen und können daher im Kontext der intrasexuellen<br />

Selektion interpretiert werden. Im Unterschied zu Weibchen konkurrieren<br />

Männchen außerdem um eine nicht-teilbare Ressource: befruchtungsfähige<br />

Eier. Daher konkurrieren sie auf mehrere Arten und intensiver als Weibchen.<br />

Dominanzbeziehungen werden oft durch den Einsatz von aggressiven<br />

Verhaltensweisen etabliert. Dabei spielen körperliche Merkmale wie Größe,<br />

Stärke und Waffen die entscheidende Rolle, so dass der Dominanzrang<br />

in einer Hierarchie positiv mit diesen Merkmalen korreliert ist. Allerdings<br />

kann bei ausreichenden körperlichen Asymmetrien schon das Drohen eines<br />

übermächtigen Gegners Submission auslösen; vor allem dann, wenn sich<br />

Individuen regelmäßig treffen. Spontanes submissives Verhalten spielt<br />

bei der Aufrechterhaltung von Dominanzbeziehungen daher eine ebenso<br />

große Rolle. Die Existenz von Dominanzbeziehungen ist also nicht mit<br />

immerwährender Aggression gleichzusetzen; ganz im Gegenteil – durch<br />

die Kenntnis und Anerkennung der Überlegenheit eines Dominanten werden<br />

riskante Kämpfe vermieden.<br />

Wenn zwei oder mehr Männchen regelmäßig interagieren und untereinander<br />

Dominanzbeziehungen ausbilden, ist zu erwarten, dass sich die<br />

Rangunterschiede in unterschiedlichem Paarungserfolg niederschlagen. In<br />

diesem Zusammenhang existieren zwei Modelle zur Beschreibung des Zusammenhangs<br />

zwischen Rang und Paarungserfolg (Abb. 8.11). Das korrelative<br />

Modell postuliert einen generellen statistischen Zusammenhang<br />

zwischen den beiden Variablen, ohne einen besonderen Mechanismus zu<br />

benennen, der diesen Zusammenhang herstellt. Das „Priority-of-access“-<br />

Modell beschreibt dagegen einen spezifischeren Zusammenhang und Mechanismus.<br />

Demnach funktioniert die Rangordnung als eine Art Warte-


8.4 Dominanz 277<br />

Abb. 8.11. Schematische Darstellung der beiden Modelle, die den Zusammenhang<br />

zwischen Dominanz und Paarungserfolg beschreiben<br />

schlange, in welcher der Höchstrangige Priorität beim Zugang zu<br />

empfängnisbereiten Weibchen hat. Wenn die Zahl der gleichzeitig rezeptiven<br />

Weibchen aber so groß wird, dass nicht mehr alle vom Alpha-<br />

Männchen monopolisiert werden können, bekommt der Zweithöchste<br />

ebenfalls Paarungsgelegenheiten, dann der Drittrangige usw. (z. B. Charpentier<br />

et al. 2005).<br />

Zur Überprüfung dieser Modelle sind detaillierte Verhaltensdaten von<br />

Gruppen mit mehreren Männchen notwendig. Entsprechende Untersuchungen<br />

wurden in großer Zahl an Primaten durchgeführt, da diese mehrheitlich<br />

in Gruppen mit mehreren Männchen leben (Kutsukake u. Nunn 2006).<br />

Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen der Beziehung zwischen<br />

Dominanzrang und Paarungserfolg waren sehr uneinheitlich. Sowohl bei<br />

Vergleichen zwischen Arten, zwischen Populationen derselben Art als<br />

auch zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Population fand<br />

man eine große Varianz der Korrelationskoeffizienten zwischen diesen<br />

beiden Variablen. In der Mehrzahl der Fälle war der Korrelationskoeffizient<br />

positiv, manchmal gab es sogar eine perfekte Korrelation, aber in anderen<br />

Fällen gab es gar keine oder sogar eine negative Beziehung.<br />

Bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass das „Priority-ofaccess“-Modell<br />

nicht unzutreffend ist, sondern dass es unter bestimmten<br />

Bedingungen für manche Männchen möglich ist, „sich vorzudrängeln“<br />

(Alberts et al. 2003). Zum einen wird der erwartete Zusammenhang zwischen<br />

Dominanzrang und Paarungserfolg mit zunehmender Anzahl der<br />

Männchen unschärfer, vermutlich weil es in größeren Gruppen mehr Möglichkeiten<br />

für zwei rangniedere Männchen gibt, durch eine Koalitions-


278 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

bildung ein höherrangiges Männchen von östrischen Weibchen zu vertreiben.<br />

Zum anderen ist der Rang eines Männchens stark von seinem Alter<br />

abhängig, womit wiederum seine Kampfkraft korreliert ist. In größeren<br />

Gruppen sind zudem aus demografischen Gründen mehr Männchen mit<br />

ähnlichem Alter zu erwarten, so dass die physischen Unterschiede zwischen<br />

ihnen geringer sind und auch rangniedere Männchen häufiger als<br />

erwartet zur Paarung kommen. Die Effekte der Dominanz auf den Paarungserfolg<br />

sind in diesem Fall also dichte- und altersabhängig. Bei Erdmännchen<br />

(Suricata suricatta) hat die Anzahl der subordinaten Männchen<br />

ebenfalls einen modulierenden Einfluss auf Aggressionsraten innerhalb einer<br />

Gruppe (Kutsukake u. Clutton-Brock 2008).<br />

Beobachtungen und DNA-basierte Vaterschaftsuntersuchungen an einer<br />

Population von 200 Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) zeigten einen generellen<br />

positiven Zusammenhang zwischen Dominanzrang und Fortpflanzungserfolg<br />

(Engh et al. 2002). Jedoch monopolisieren die alpha-Männchen<br />

die Fortpflanzung in ihren jeweiligen Gruppen nicht für sich. Diese<br />

Abweichung vom erwarteten Muster kommt zum einen dadurch zustande,<br />

dass natale Männchen einen höheren Rang haben, sich aber mit den ihnen<br />

nah verwandten Weibchen nur selten fortpflanzen; nur 3% der Jungen<br />

wurden von diesen Männchen gezeugt. Zum anderen korreliert die Aufenthaltsdauer<br />

eingewanderter Männchen in einer Gruppe positiv mit dem<br />

Fortpflanzungserfolg; mit jedem weiteren Jahr, das ein Männchen in einer<br />

Gruppe verbringt, steigen seine Fortpflanzungschancen und das unabhängig<br />

vom Rang (East u. Hofer 2001).<br />

Wie sehr der Fortpflanzungserfolg zu Gunsten des oder der ranghöchsten<br />

Männchen verschoben ist, kann durch die reproduktive Ungleichverteilung<br />

(reproductive skew) ausgedrückt werden, welche die<br />

Schiefe der dazu gehörenden Häufigkeitsverteilung beschreibt (Vehrencamp<br />

1983). Bei maximalem reproductive skew wird die Fortpflanzung<br />

vom Alpha-Tier monopolisiert (z. B. Gorillas, Gorilla gorilla: Bradley<br />

et al. 2005, Sifakas, Propithecus verreauxi: Kappeler u. Schäffler 2008). In<br />

diesem Fall wird die gesamte Varianz im Fortpflanzungserfolg durch Dominanzunterschiede<br />

erklärt (Abb. 8.12). Wenn dagegen alle Männchen im<br />

Durchschnitt ± gleich erfolgreich sind, ist der reproductive skew am geringsten,<br />

und der Dominanzstatus hat keinen Einfluss auf den Fortpflanzungserfolg<br />

(z. B. Streifenmangusten, Mungos mungo: de Luca u. Ginsberg<br />

2001). In den letzten Jahren wurden zahlreiche Modelle zu dieser Problematik<br />

entwickelt, die sich aber hauptsächlich mit der Fortpflanzungskonkurrenz<br />

zwischen Weibchen und den zugrunde liegenden Mechanismen<br />

beschäftigen (Clutton-Brock 1998; Kap. 9.7).


8.4 Dominanz 279<br />

Abb. 8.12. Schematische Darstellung unterschiedlicher Intensitäten von reproductive<br />

skew. Die theoretische Verteilung von Vaterschaften zwischen vier Männchen<br />

bei hohem, mittlerem und geringem reproductive skew<br />

8.4.2 Reproduktive Unterdrückung<br />

Wenn es zu einer kompletten Monopolisierung der Fortpflanzung durch<br />

das ranghöchste Männchen, also zu maximalem reproductive skew kommt,<br />

kann dies in manchen Fällen durch physiologische Unterdrückung der<br />

Fortpflanzungsfunktion der Subordinierten zustande kommen. Die Präsenz<br />

des Dominanten ist dabei ausreichend, bei anderen Männchen Änderungen<br />

des Verhaltens und der Fortpflanzungsphysiologie auszulösen, die deren<br />

Paarungserfolg beeinträchtigen. Da durch Stress ähnliche Effekte ausgelöst<br />

werden können (von Holst 1998; Kap. 3.1), könnte es sich um vergleichbare<br />

physiologische Mechanismen handeln.<br />

Beispiele reproduktiver Unterdrückung gibt es bislang vornehmlich von<br />

Säugetieren. Beim Alpen-Murmeltier (Marmota marmota) leben neben<br />

einem dominanten reproduktiven Männchen, welches die Fortpflanzung<br />

weitestgehend monopolisiert, auch noch mehrere andere Männchen in einer<br />

Gruppe. Bei diesen Männchen handelt es sich entweder um ältere Söhne<br />

des Alpha-Männchens oder um Immigranten. Alle drei Klassen von<br />

Männchen unterscheiden sich nicht in der Körpermasse oder Hodengröße<br />

(Arnold u. Dittami 1997). Immigranten haben aber geringere Androgenund<br />

höhere Kortikosteroidtiter sowie mehr Verletzungen als die anderen<br />

Männchen; vermutlich als Folge von Aggression durch das Alpha-Männchen.<br />

Diese Männchen haben infolgedessen einen geringeren Gewichtszuwachs<br />

im kommenden Sommer und eine reduzierte Überlebenswahr-


280 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Abb. 8.13. Reproduktive Unterdrückung bei Orang-Utans (Pongo pygmaeus).<br />

Dominante Männchen (links) besitzen sekundäre sexuelle Merkmale wie Backenwülste<br />

und eine lange Mähne, deren Ausprägung bei subordinaten Männchen<br />

(rechts) durch die Präsenz eines Dominanten unterdrückt wird<br />

scheinlichkeit im darauf folgenden Winterschlaf. Da die eigenen gleichaltrigen<br />

Söhne diese Effekte nicht aufweisen, handelt es sich um eine gezielte<br />

Unterdrückung der Immigranten durch die Dominanten.<br />

Beim Grauen Mausmaki (Microcebus murinus) reicht der Urin eines<br />

unbekannten Dominanten aus, um bei Männchen, die dem Dominanten<br />

noch nie begegnet sind, eine Reduktion des Körpergewichts, der Hodengröße<br />

und des Testosterontiters auszulösen (Schilling et al. 1984). Bei<br />

Orang-Utans (Pongo pygmaeus) sind es dagegen die lauten Rufe (long<br />

calls) der Dominanten, die bei anderen Männchen die Entwicklung der<br />

auffälligen sekundären Geschlechtsmerkmale unterbinden (Maggioncalda<br />

et al. 2002; Abb. 8.13). Trotzdem gelingt es solchen Männchen, deren<br />

Entwicklung dermaßen gestoppt wird, Nachwuchs zu zeugen (Utami et al.<br />

2002). In allen Fällen sind die Effekte nach Entfernung des Dominanten<br />

rasch reversibel. Hier stellt sich auch die Frage nach dem Anpassungswert<br />

dieser Unterdrückungsreaktion. Für den Dominanten sind die Vorteile klar,<br />

da dadurch seine Konkurrenzfähigkeit verbessert wird. Aus Sicht der Betroffenen<br />

ist aber nicht klar, ob sie sich dagegen einfach nicht wehren können<br />

oder ob es sich um eine aktive Anpassung handelt. Solche physiologischen<br />

Unterdrückungsmechanismen finden sich bei manchen Arten auch<br />

zwischen Weibchen ( Kap. 9.7).


8.5 Spermienkonkurrenz 281<br />

8.5 Spermienkonkurrenz<br />

Wenn die Bemühungen von Männchen, Weibchen für sich zu monopolisieren,<br />

fehlschlagen, kommt es aus Sicht der Weibchen zu Mehrfachverpaarungen<br />

mit zwei oder mehr Partnern. Diese Mehrfachverpaarungen<br />

führen zwangsläufig zu Spermienkonkurrenz: Konkurrenz zwischen<br />

Spermien von verschiedenen Männchen um die Befruchtung der Eier eines<br />

Weibchens. Spermienkonkurrenz ist im Tierreich weit verbreitet und hat<br />

bei den betroffenen Männchen zu einer Reihe von anatomischen, physiologischen<br />

und verhaltensbiologischen Anpassungen geführt. Eine weit verbreitete<br />

wichtige Konsequenz der Spermienkonkurrenz besteht im Auftreten<br />

von gemischten Vaterschaften. Spermienkonkurrenz liefert auch<br />

Anlass zu Konflikten zwischen den Geschlechtern ( Kap. 9.8) und liefert<br />

die Grundlage für eine wichtige Form der weiblichen „Partnerwahl“: der<br />

kryptischen Auswahl bestimmter Spermien ( Kap. 9.3). Die Existenz von<br />

Spermienkonkurrenz zeigt auch, dass die Fortpflanzungskonkurrenz der<br />

Männchen nicht mit einer erfolgreichen Paarung endet; es handelt sich also<br />

um einen wichtigen Mechanismus postkopulatorischer Konkurrenz.<br />

Trotz zahlreicher Beobachtungen des Verhaltens hat Darwin (1871) in<br />

seinem Werk über sexuelle Selektion keine Bemerkungen über Spermienkonkurrenz<br />

gemacht; vermutlich weil es im viktorianischen Zeitalter nicht<br />

opportun war, darüber zu sprechen. Geoff Parker (1970) war daher der erste,<br />

der anhand seiner Beobachtungen an Insekten auf die Existenz von<br />

Spermienkonkurrenz aufmerksam gemacht hat. Seither gab es zunächst eine<br />

Vielzahl an Untersuchungen an Insekten, aber in den letzten Jahren<br />

wurde Spermienkonkurrenz auch bei Wirbeltieren, insbesondere bei<br />

Vögeln, intensiv untersucht (Birkhead u. Møller 1992).<br />

8.5.1 Mechanismen<br />

Die Untersuchung der Mechanismen der Spermienkonkurrenz ist eng mit<br />

den sich in diesem Gebiet entwickelnden Methoden verknüpft. Eine wichtige<br />

Methode, die dabei Anwendung findet, besteht darin, Spermien von<br />

individuellen Männchen zu markieren: entweder mit bestimmten Farbstoffen<br />

oder radioaktiven Isotopen, so dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />

nach der Kopulation im weiblichen Genitaltrakt einzelnen Männchen<br />

zugeordnet werden können. Außerdem können die Mechanismen der<br />

Spermienkonkurrenz mit Hilfe von Vaterschaftstests bestimmt werden.<br />

Wenn sich die Vaterschaft mit Hilfe von phänotypischen Markern oder mit<br />

genetischen Verfahren eindeutig bestimmen lässt, kann man mit kontrollierten<br />

Verpaarungsexperimenten die einer Vaterschaftsverteilung zugrun-


282 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

de liegenden Mechanismen erforschen. In einem solchen Standardexperiment<br />

wird ein Weibchen nacheinander mit zwei Männchen verpaart. Die<br />

resultierenden P-Werte (von paternity) geben Hinweise auf das Geschehen<br />

im Genitaltrakt des Weibchens. Der üblicherweise dabei verwendete<br />

P 2 -Wert bezeichnet den Anteil der Nachkommen, die vom jeweils<br />

zweiten Männchen gezeugt wurden.<br />

Trotz vieler gemeinsamer Grundprinzipien hängen die spezifischen<br />

Mechanismen der Spermienkonkurrenz bei Wirbellosen und Wirbeltieren<br />

stark vom Bauplan der Genitalien und der Spermienphysiologie ab.<br />

Bei vielen Insekten bewahren Weibchen zum Beispiel empfangene Spermien<br />

für einige Zeit in speziellen Aufbewahrungsorganen auf (manche<br />

Ameisenköniginnen für mehr als 20 Jahre!), von wo sie zur sequentiellen<br />

späteren Befruchtung der Eier herangezogen werden. Wenn sich solche<br />

Weibchen mit mehreren Männchen verpaaren, kommt es aufgrund der<br />

meist röhrenförmigen, blind endenden Struktur dieser Aufbewahrungsorgane<br />

dazu, dass die Spermien des jeweils letzten Männchens die vorher<br />

deponierten Spermien zum Ende des Organs schieben. Da die benötigten<br />

Spermien in umgekehrter Reihenfolge ihrer Deposition rekrutiert werden,<br />

kommt es aufgrund der resultierenden Stratifikation der Ejakulate dazu,<br />

dass die Spermien des letzten Männchens als erste zur Befruchtung herangezogen<br />

werden; es gilt also: „last in – first out“. Dieser Mechanismus<br />

kann über einen hohen P 2 -Wert nachgewiesen werden. Stratifikation ist ein<br />

passiver Mechanismus der Spermienkonkurrenz, den Männchen theoretisch<br />

nur dadurch zu ihren Gunsten beeinflussen können, dass sie als letzte<br />

kopulieren. Bei Gespenstkrabben (Inachus phalangium) unterstützen<br />

Männchen diesen Mechanismus allerdings aktiv. Sie deponieren zunächst<br />

nur eine klebrige Samenflüssigkeit ohne Spermien, die sich über die älteren<br />

Ejakulate legt und diese verklebt; erst dann werden eigene Spermien<br />

ejakuliert (Diesel 1990).<br />

Bei einer kolonialen Seescheide (Diplosoma listerianum: Bishop et al.<br />

2000) oder einer Molchart (Taricha granulosa: Jones et al. 2002) gibt es<br />

aufgrund der Struktur der Spermienspeicherorgane aber auch genau den<br />

umgekehrten Effekt: Hier haben die jeweils ersten Männchen einen Vorteil<br />

(first male advantage), da ihre Spermien bevorzugt benutzt werden. Bei<br />

der untersuchten Molchart ist dies deshalb bemerkenswert, weil die Weibchen<br />

Spermien über Tage oder Wochen speichern, diese sich vermischen<br />

und der Abstand zwischen den Kopulationen des ersten und zweiten<br />

Männchens keinen Einfluss auf die Verteilung der Vaterschaft hat.<br />

Bei einem anderen Mechanismus der Spermienkonkurrenz übernehmen<br />

Männchen dagegen einen aktiven Part: Sie entfernen die Spermien von<br />

Männchen, die vor ihnen mit einem Weibchen kopuliert haben. Dadurch<br />

erreicht der P 2 einen Wert von praktisch 1, zumindest für die Eier, die di-


8.5 Spermienkonkurrenz 283<br />

rekt danach befruchtet und gelegt werden. Das Entfernen von Spermien<br />

ist aber nicht unbedingt 100%ig effektiv, so dass sich die Spermien mit der<br />

Zeit vermischen und der P 2 -Wert sich nach mehreren Tagen einem Wert<br />

von 0,5 nähert. Das Entfernen der Spermien von Rivalen erfordert einen<br />

entsprechend geformten Penis. Bei Libellen, bei denen dieser Mechanismus<br />

entdeckt wurde, ist die Spitze des Penis in der Tat löffelartig erweitert<br />

(Waage 1979). Bei anderen Arten bleiben die Spermien der Vorgänger<br />

passiv am Penis hängen, wie z. B. bei den Männchen einer asiatischen<br />

Heuschrecke, denen die Spermien des Vorgängers nach der Kopulation als<br />

Nahrung dienen (Ono et al. 1989). Bei Aaskäfern (Aleochara curtula)<br />

dient nicht der Penis, sondern die übertragene Spermatophore der Verdrängung.<br />

Aus dieser wächst ein Schlauch in die Spermatothek des Weibchens,<br />

wo er sich wie ein Ballon ausweitet und die Spermien von früheren<br />

Kopulationen verdrängt. Erst dann lässt der Kontakt mit kleinen Haken an<br />

der Innenwand der Spermatothek die Spermatophore platzen und setzt die<br />

neuen Spermien frei (Gack u. Peschke 1994).<br />

Eine weitere, sehr direkte Form der Spermienkonkurrenz besteht darin,<br />

die Spermien eines Vorgängers durch große Mengen eigenen Spermas zu<br />

verdrängen und sie damit auszuspülen (Simmons et al. 1999a). In manchen<br />

Fällen ist zum Austausch der Ejakulate die aktive Mithilfe des Weibchens<br />

nötig. Entweder trägt das Ansaugen bzw. Abgeben von Spermien<br />

durch feine Kanäle im spermienspeichernden Organ mit dazu bei, dass das<br />

Sperma des vorletzten Männchens zugunsten des letzten Männchens wieder<br />

freigesetzt wird (Ward 1993), oder das Männchen massiert die Genitalien<br />

des Weibchens nach der Kopulation, bis es Spermien des Vorgängers<br />

abgibt. P 2 -Werte ohne solche Massagen sind sehr viel geringer als mit<br />

Massage. Ein solcher Mechanismus findet sich bei der Heckenbraunelle<br />

(Prunella modularis), wo mehrere Männchen mehrfach mit demselben<br />

Weibchen kopulieren (Davies 1983).<br />

Bei Hühnern wurde ein weiterer Mechanismus entdeckt, der zu einem<br />

Vorteil für das letzte Männchen führt: passiver Spermienverlust. Wenn<br />

man Hühner künstlich mit den vermischten Spermien von zwei Männchen<br />

befruchtet, fertilisieren beide im Durchschnitt dieselbe Zahl an Eiern.<br />

Wenn man die beiden Ejakulate dagegen im Abstand von vier Stunden<br />

appliziert, resultiert ein P 2 -Wert von 0,77. Diese Verschiebung kommt<br />

dadurch zustande, dass die Spermien einer Ejakulation sofort beginnen,<br />

wieder aus dem Speichertubulus, in dem sie aufgenommen werden, auszulaufen<br />

(Abb. 8.14). Bei diesem linearen, passiven Verlust hängt der<br />

P 2 -Wert nur vom zeitlichen Abstand zwischen zwei Kopulationen ab; je<br />

größer der Abstand, um so höher der P 2 -Wert (Birkhead u. Biggins 1998).<br />

Bei Arten, die Spermien nicht speichern können, gilt häufig das<br />

Lotterie-Prinzip: wenn die Lose billig sind und der Preis wertvoll ist, ist


284 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Abb. 8.14. Schematische Darstellung von passivem Spermienverlust. Der Zeitpunkt<br />

einer Kopulation in Relation zur Befruchtung sowie der Abstand zwischen<br />

den Kopulationen verschiedener Männchen bestimmen deren Befruchtungswahrscheinlichkeit<br />

die Wahrscheinlichkeit, den Hauptgewinn zu ziehen, umso größer, je mehr<br />

Lose man hat. Männchen werden also darauf selektiert, möglichst viele<br />

Ejakulate mit möglichst vielen Spermien zu produzieren, da die Befruchtungswahrscheinlichkeit<br />

proportional zur abgegebenen Spermienmenge<br />

zunimmt (raffle principle; Parker 1990). Männchen in Arten mit externer<br />

Fertilisation können einzig durch eine solche Erhöhung der Spermienmenge<br />

ihre Befruchtungswahrscheinlichkeit vergrößern. Sessile Invertebraten<br />

wie Muscheln oder Seeigel produzieren daher riesige Mengen an<br />

Spermien, die ins Wasser abgegeben werden.<br />

Bei Vögeln und Säugetieren spielen funktionale Zwänge der Fortpflanzungsphysiologie<br />

eine wichtige Rolle bei der Spermienkonkurrenz.<br />

Bei Vögeln werden nicht alle Eier eines Geleges gleichzeitig produziert<br />

und befruchtet, sondern einzeln, je nach Gelegegröße über Tage oder sogar<br />

Wochen. Die Spermien landen bei Vögeln zunächst in zahlreichen kleinen<br />

Speichertubuli an der Basis des Ovidukts und werden dort für mehrere Tage<br />

oder Wochen gespeichert, bevor sie freigesetzt werden und zum Infundibulum<br />

am anderen Ende des Ovidukts wandern, wo sie auf die nächste<br />

Ovulation warten.<br />

Säugetiere haben keine speziellen Strukturen zur Spermienspeicherung<br />

und besitzen, mit Ausnahme von manchen Fledermäusen, nur sehr kurzlebige<br />

Spermien. Bei ihnen entscheidet die Art der Ovulation in wichtiger<br />

Weise darüber mit, welches Männchen erfolgreich ist, da manche Weibchen<br />

nur für wenige Stunden empfängnisbereit und die Spermien vergleichsweise<br />

kurzlebig sind. Genauer gesagt ist der Zeitpunkt der Kopula-


8.5 Spermienkonkurrenz 285<br />

tion in Relation zur Ovulation dafür Ausschlag gebend, welche Spermien<br />

zur Befruchtung gelangen. Bei Arten mit induzierter Ovulation, wie z. B.<br />

Katzen, deponiert das erste Männchen, welches die Ovulation auslöst, seine<br />

Spermien zeitlich am nächsten zur Ovulation und hat daher meist die<br />

Nase vorn, falls es noch zu weiteren Kopulationen kommt. Bei Arten mit<br />

spontaner Ovulation entscheidet ebenfalls der Ejakulationszeitpunkt in<br />

Relation zur Ovulation über den Fertilisationserfolg; hier ist es aber in den<br />

wenigsten Fällen das erste Männchen, das zur rechten Zeit kopuliert. Neben<br />

dem Zeitpunkt und der Dauer der Ovulation ist aber auch die Zeit<br />

wichtig, welche die Spermien zur Reifung (Kapazitierung) benötigen. Dies<br />

belegt ein Paarungsexperiment mit Hamstern (Mesocricetus auratus), in<br />

dem Männchen des Wildtyps und einer homozygot rezessiven Farbvariante<br />

in unterschiedlichen Abständen mit Weibchen kopulieren durften (Huck<br />

et al. 1989). Hier entschieden die Paarungsreihenfolge, der Abstand zwischen<br />

den beiden Kopulationen sowie der Paarungszeitpunkt relativ zur<br />

Kopulation darüber, ob es einen Vorteil für das erste oder zweite Männchen<br />

gab (Abb. 8.15).<br />

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Intensität und der vorherrschende<br />

Mechanismus der Spermienkonkurrenz durch mehrere Bauplanmerkmale<br />

bestimmt werden. Die Existenz von Spermienspeicherorganen<br />

variiert zwischen Taxa, und das hängt damit zusammen, ob und<br />

wie lange Spermien gespeichert werden können. Säugerspermien sind 1–5<br />

Abb. 8.15. Spermienkonkurrenz bei Hamstern. Bei Verpaarungen im Abstand von<br />

sechs Stunden entscheiden die Reifungszyklen der Spermien in den einzelnen Ejakulaten<br />

sowie der Zeitpunkt deren Deposition in Relation zur Ovulation über die<br />

Befruchtungswahrscheinlichkeit einzelner Männchen. In diesem Beispiel stammen<br />

die meisten befruchtungsfähigen Spermien vom „gelben“ Männchen


286 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Tage überlebensfähig, bei Vögeln sind es 12–13 Tage und bei Insekten<br />

können es Jahre sein. Ein zweiter Faktor ist die Form der Spermienübertragung:<br />

Handelt es sich um diskrete Spermatophoren oder um flüssige<br />

Ejakulate? Erstere können viel leichter gespeichert und entfernt werden.<br />

Schließlich hat die Art der Fertilisation einen Einfluss auf die Mechanismen<br />

der Spermienkonkurrenz, je nachdem, ob sie extern oder intern erfolgt.<br />

Es handelt sich hier um ein weiteres Beispiel dafür, wie das Verhalten<br />

von Tieren durch vorgegebene Bauplanmerkmale eingeschränkt ist.<br />

8.5.2 Verhaltensanpassungen an Spermienkonkurrenz<br />

Bei intensiver Spermienkonkurrenz ist es nahe liegend, dass Männchen<br />

auch eine Reihe von defensiven Gegenstrategien entwickelt haben, um ihre<br />

„Investition“ zu schützen und/oder um sich einen Konkurrenzvorteil zu<br />

verschaffen. In diesem Zusammenhang spielt das Verhalten der Männchen<br />

eine herausragende Rolle; entsprechende Anpassungen finden sich aber<br />

auch in der Anatomie der Genitalien, Hoden und Spermien.<br />

Männchen können ihre Erfolgschancen bei der Spermienkonkurrenz mit<br />

drei Aspekten ihres Verhaltens beeinflussen: sie können die betreffenden<br />

Weibchen bewachen, sie können besondere Verhaltensweisen bei der Kopulation<br />

einsetzen und sie können mehr als einmal kopulieren. Die Bewachung<br />

von Weibchen (mate guarding) kann schon vor Beginn der fertilen<br />

Phase einsetzen oder sie folgt auf die Kopulation. Außerdem kann<br />

Bewachung mit oder ohne physischen Kontakt erfolgen. Bewachung hat<br />

zum Ziel, Kontakte eines Weibchens mit anderen Männchen zu unterbinden<br />

und damit das Risiko von Spermienkonkurrenz zu reduzieren. Permanente<br />

Bewachung eliminiert das Risiko von Spermienkonkurrenz und<br />

führt zur effektiven Monopolisierung. Ob und wie lange ein Männchen ein<br />

bestimmtes Weibchen in anderen Fällen bewacht, hängt von mehreren<br />

Faktoren ab. Das Bewachen stellt für Männchen zunächst ein Dilemma<br />

dar: Die Zeit, die sie in die Bewachung eines Weibchens investieren, fehlt<br />

ihnen bei der Suche nach weiteren Weibchen. Männchen sehen sich also<br />

einem Trade-off gegenüber, bei dem sie Sicherheit in die Vaterschaft bei<br />

einem Weibchen gegen zusätzliche Vaterschaften mit weiteren Weibchen<br />

gegeneinander aufrechnen müssen (Kokko u. Morrell 2005). Da das Bewachen<br />

zudem mit energetischen Kosten verbunden ist, reagieren Männchen<br />

flexibel auf Variabilität in zusätzlichen Fortpflanzungsmöglichkeiten<br />

sowie auf das Risiko, einen Teil der Vaterschaft zu verlieren (Komdeur<br />

2001).<br />

Variabilität im Kopulationsverhalten kann ebenfalls als Anpassung an<br />

unterschiedlich hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeiten betrachtet werden.


8.5 Spermienkonkurrenz 287<br />

Abb. 8.16. Das Tandem von<br />

Libellen (hier Hufeisen-Azurjungfern<br />

Coenagrion puella)<br />

ist eine Form des mate<br />

guarding, bei der das<br />

Männchen bis zur Eiablage<br />

Körperkontakt mit dem Weibchen<br />

hält<br />

Während manche Arten nur für wenige Sekunden kopulieren, bleiben die<br />

Partner bei anderen Arten viel länger verbunden als zur Befruchtung notwendig<br />

ist. Eine richtiggehende mechanische Verschränkung der Genitalien<br />

gibt es z. B. bei Hundeartigen und Nagern. Eine ähnliche Strategie verfolgen<br />

Männchen von Libellen und Dungfliegen, die postkopulatorischen<br />

Körperkontakt mit den Weibchen halten oder zumindest so lange in ihrer<br />

Nähe bleiben, bis sie einen Großteil der Eier gelegt haben (Abb. 8.16).<br />

Auch innerhalb von Arten gibt es Variation in der Kopulationsdauer<br />

(Box 8.2). Da der Anteil der befruchteten Eier nicht linear mit der Kopulationsdauer<br />

zunimmt, sollte es eine optimale Kopulationsdauer geben, nach<br />

der sich Männchen auf die Suche nach weiteren Weibchen machen. Bei<br />

Dungfliegen (Scathophaga stercoraria) beträgt die berechnete optimale<br />

Kopulationsdauer 41 Minuten und liegt damit recht nahe an der beobachteten<br />

durchschnittlichen Kopulationsdauer von 36 Minuten (Parker 2001).<br />

Schließlich kommt es bei manchen Arten nur zu einer oder wenigen<br />

Kopulationen, um die Eier eines Geleges oder Wurfes zu befruchten, wohingegen<br />

andere Arten zum selben Zweck hunderte von Kopulationen<br />

absolvieren. Schimpansenweibchen (Pan troglodytes) kopulieren zum Beispiel<br />

ca. 6000-mal im Leben – um durchschnittlich vier Junge zu produzieren<br />

(Wrangham 1993)! Proximat hängt die Zahl der Kopulationen<br />

sicher davon ab, wie viele Spermien pro Ejakulat übertragen werden und<br />

ob bzw. wie lange Spermien gelagert werden können (in Relation zur Reifungsdauer<br />

der Eier). Damit kann ein Teil der zwischenartlichen und interindividuellen<br />

Variabilität im Kopulationsverhalten erklärt werden.<br />

Aus evolutionärer Perspektive sollten Männchen auf ein Risiko der<br />

Spermienkonkurrenz mit einer Erhöhung der Kopulationshäufigkeit reagieren,<br />

da sie so selbst mehr Spermien deponieren und damit ihre Fertilisationschancen<br />

erhöhen – wenn alle anderen Faktoren konstant sind. Aller-


288 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Box 8.2<br />

Kopulationsdauer bei Seidenspinnen: … bis dass der Tod sie scheidet<br />

• Frage: Erhöhen längere Kopulationen den Fortpflanzungserfolg bei Seidenspinnen?<br />

• Hintergrund: Weibliche Seidenspinnen (Nephila plumipes), die sich<br />

mehrfach verpaaren, fressen häufig Männchen im Verlauf der Paarung.<br />

Dieser Kannibalismus kann aus männlicher Sicht nur vorteilhaft sein,<br />

wenn die betroffenen Männchen hohen Fertilisationserfolg haben. Der<br />

männliche Fertilisationserfolg sollte daher positiv mit der Kopulationsdauer<br />

zusammenhängen.<br />

• Methode: Weibliche Spinnen wurden experimentell nacheinander mit<br />

zwei Männchen verpaart und die Vaterschaft beider Männchen unter den<br />

Nachkommen bestimmt.<br />

1,25<br />

1,0<br />

0,75<br />

P 2<br />

0,5<br />

0,25<br />

0,0<br />

1 10 100 1000<br />

Dauer der 2.Kopulation<br />

• Ergebnis: Kopulationen mit Kannibalismus dauerten im Durchschnitt<br />

länger als solche ohne. Nur Männchen, die als zweite kopulierten, hatten<br />

mit zunehmender Kopulationsdauer einen größeren Befruchtungserfolg<br />

(P 2 ).<br />

• Schlussfolgerung: Männchen, die auf ein bereits verpaartes Weibchen<br />

treffen, können durch eine längere Kopulation ihren Fortpflanzungserfolg<br />

erhöhen. In diesem Sinne könnte Kannibalismus für die betroffenen<br />

Männchen vorteilhaft sein.<br />

Schneider u. Elgar 2001<br />

dings müssen sie dabei die Effekte der vorangehenden und nächsten Kopulation<br />

mit berücksichtigen – also ihre verfügbaren Spermien möglichst optimal<br />

über mehrere Ejakulationen verteilen. Obwohl jedes einzelne Sper-


8.5 Spermienkonkurrenz 289<br />

mium winzig ist, sind die Produktionskosten für Millionen davon vermutlich<br />

nicht trivial, so dass es in aufeinander folgenden Ejakulationen zu einer<br />

Reduktion der Spermienzahl kommt (Wedell et al. 2002). Das heißt,<br />

eine weitere Kopulation mit einem Weibchen erhöht die Vaterschaftschancen<br />

irgendwann nicht merkbar weiter, reduziert aber wohl die Fähigkeit,<br />

für ein anderes Weibchen ein großes Ejakulat produzieren zu können;<br />

vor allem wenn die beiden Kopulationen relativ zeitnah erfolgen. Aus diesen<br />

theoretischen Gründen ist zu erwarten, dass sowohl die Zahl der Kopulationen<br />

als auch die Zahl der Spermien pro Ejakulation von den Männchen<br />

an diese Variablen angepasst wird; ob und wie sie das tun, ist aber<br />

noch kaum erforscht.<br />

8.5.3 Anatomische Anpassungen an Spermienkonkurrenz<br />

(1) Hodengröße. Die offensichtlichste anatomische Anpassung an Spermienkonkurrenz<br />

besteht in der Vergrößerung der Hoden. Diese Anpassung<br />

betrifft zwei Aspekte: Variabilität in der Hodengröße innerhalb und zwischen<br />

Arten. Innerartliche Variabilität in der Hodengröße wurde bislang<br />

kaum in Relation zum Fortpflanzungsverhalten und -erfolg untersucht.<br />

Bei Wildschafen (Ovis aries) sind Körpermasse und Hornlänge<br />

wichtige Merkmale, die den Zugang von Männchen zu Weibchen sowie<br />

deren Fortpflanzungserfolg beeinflussen. Allerdings gibt es auch große<br />

Variabilität zwischen Männchen im Hodenvolumen, welches einen unabhängigen<br />

Effekt auf den Paarungserfolg hat. Männchen mit größeren Hoden<br />

haben mehr Kopulationen und zeugen mehr Junge als Männchen mit<br />

kleineren Hoden, und dieser Effekt nimmt mit zunehmender Zahl gleichzeitig<br />

östrischer Weibchen zu (Preston et al. 2003). Das heißt, wenn das<br />

Monopolisierungspotential geringer wird, nimmt die Spermienkonkurrenz<br />

an Intensität zu und größere Hoden machen den entscheidenden Unterschied.<br />

Eine weitere vorhergesagte Folge von Spermienkonkurrenz besteht<br />

darin, dass es zwischenartliche Variation in der relativen Hodengröße<br />

gibt. Männchen in polyandrischen Arten, in denen Weibchen also mit mehr<br />

als einem Männchen kopulieren ( Kap. 9.6), sollten demnach größere<br />

Hoden haben, wenn die Spermienproduktivität positiv mit der Hodengröße<br />

korreliert ist. Tatsächlich produzieren Männchen bei Arten mit relativ größeren<br />

Hoden größere Ejakulate, die mehr Spermien pro Ejakulat enthalten<br />

und sie produzieren außerdem mehr Ejakulate (Møller 1989). Solche Artunterschiede<br />

in der Hodengröße wurden erstmals von Roger Short (1981)<br />

bei Menschenaffen in Beziehung zur Spermienkonkurrenz gesetzt. Gorillas<br />

(Gorilla gorilla) und Orang-Utans (Pongo spp.), die normalerweise


290 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Abb. 8.17. Die relative Hoden- (und Körper-)größe bei Menschenaffen. In Relation<br />

zu einem standardisierten Weibchen sind für die verschiedenen Arten die relative<br />

Körpergröße der Männchen (Größe der Kreise) sowie deren relative Hodengröße<br />

dargestellt (nach Short 1981)<br />

Zugang zu mehreren Weibchen gegen Rivalen verteidigen, haben kaum<br />

Spermienkonkurrenz zu befürchten und demgemäß für ihre Körpergröße<br />

winzige Hoden. Schimpansen (Pan troglodytes) und Bonobos (P. paniscus),<br />

bei denen sich Weibchen Hunderte von Malen mit praktisch allen<br />

Männchen ihrer Gruppe verpaaren, haben dagegen relativ große Hoden<br />

(Abb. 8.17). Spätere vergleichende Untersuchungen bei anderen Taxa haben<br />

diese Vorhersage der Spermienkonkurrenztheorie bestätigt: Männchen<br />

in Arten mit höherer Wahrscheinlichkeit von Mehrfachverpaarungen haben<br />

relativ größere Hoden, egal ob es sich um Arten mit interner oder externer<br />

Fertilisation handelt.<br />

(2) Penisanatomie. Bei Arten mit interner Fertilisation findet sich auch eine<br />

unbeschreibliche Vielfalt an Formen und Modifikationen des Penis. Da<br />

die Übertragung von Spermien mechanisch recht einfach ist, muss die<br />

Genitalmorphologie unter anderen Selektionskräften evoluiert sein. Dazu<br />

gibt es zwei gängige Hypothesen. Nach der „Schlüssel-und-Schloss-Hypothese“<br />

sind komplizierte Genitalien als präkopulatorische Isolationsmechanismen<br />

entstanden, wobei die männlichen Genitalien einen „Schlüssel“<br />

repräsentieren, der nur in das „Schloss“ der richtigen Art passt (Eberhard<br />

1985). Nach der „Sexuellen-Selektions-Hypothese“ können verschiedene<br />

Mechanismen (Spermienkonkurrenz, kryptische Weibchenwahl und intersexueller<br />

Konflikt) die Genitalmorphologie beeinflussen (Arnqvist 1998).<br />

Die Struktur der Penisse von Libellen, die Spermien aus früheren Kopulationen<br />

entfernen können, ist sicherlich unter dem Einfluss von Spermien-


8.5 Spermienkonkurrenz 291<br />

Abb. 8.18. a Am Endophallus von Dungkäfern befinden sich mehrere Sklerite, die<br />

den Fertilisationserfolg beeinflussen. b Der bizarr geformte Penis der Fossa (Cryptoprocta<br />

ferox) ist ebenfalls mit zahlreichen Stacheln versehen.<br />

konkurrenz entstanden. Am Penis von Dungkäfern (Onthophagus taurus)<br />

befinden sich zum Beispiel fünf bizarr geformte Sklerite (Abb. 8.18a),<br />

deren Größenunterschied den Fortpflanzungserfolg ihrer Träger beeinflusst<br />

(House u. Simmons 2003). Größen- und Formunterschiede an unterschiedlichen<br />

Skleriten sind dabei mit der Fähigkeit verbunden, entweder den P 1 -<br />

oder P 2 -Wert in Paarungen zu erhöhen, je nachdem ob der Träger als Erster<br />

oder Zweiter kopuliert. Manche dieser Sklerite am Penis der Dungkäfer<br />

haben also eher offensive Funktionen; andere eine eher defensive.<br />

Bis auf einige Wasser- und Laufvögel besitzen Vögel im Allgemeinen<br />

keinen Penis, vermutlich um für das Fliegen Gewicht zu sparen. Trotzdem<br />

gibt es eine Reihe von ungewöhnlichen Kloaken, die aufgrund ihrer Form<br />

ebenfalls mit Spermienkonkurrenz in Verbindung gebracht werden (Birkhead<br />

u. Kappeler 2004). Bei manchen Säugetieren ist der Penis mit Stacheln<br />

oder anderen Anhängen versehen (Abb. 8.18b), für deren Funktion<br />

es bislang keine eindeutigen Hinweise gibt (Birkhead u. Kappeler 2004).<br />

Ähnlich verhält es sich mit Artunterschieden in Besitz, Größe und Form<br />

eines Penisknochens (Os penis).<br />

(3) Spermien. Schließlich sind bei Arten mit Spermienkonkurrenz die<br />

Spermien selbst wichtiger Angriffspunkt der Selektion. Wie bei der Hodengröße<br />

haben sich bisherige Untersuchungen auf zwischenartliche Variabilität<br />

konzentriert. Diese Variabilität in der Spermienmorphologie ist<br />

enorm. Die Form und Gesamtgröße von Spermien variiert genauso zwischen<br />

Arten wie die relative Größe von Kopf und Schwanz oder deren<br />

Beweglichkeit (Immler et al. 2007). Viele Befunde sprechen dafür, dass


292 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Anpassungen an Spermienkonkurrenz für viele dieser Unterschiede verantwortlich<br />

sind. So sind Beweglichkeit und Geschwindigkeit der Spermien<br />

bei Arten mit Spermienkonkurrenz erhöht. Neben dem Paarungssystem<br />

können sich auch soziale Faktoren auf Spermienmorphologie und<br />

-menge auswirken. So haben die Spermien von subordinaten Hähnen (Gallus<br />

gallus) zum Beispiel höhere Beweglichkeit als die von dominanten<br />

(Froman et al. 2002), vielleicht um den Nachteil beim Zugang zu Hühnern<br />

zu kompensieren. Seesaiblinge (Salvelinus alpinus) produzieren geringere<br />

Mengen bewegliche Spermien, wenn sie in die Position eines dominanten<br />

Männchens aufsteigen (Rudolfsen et al. 2006), und Wiesenwühlmäuse<br />

(Microtus pennsylvanicus) erhöhen die Ejakulatmenge, wenn sie in Gegenwart<br />

des Geruchs eines Rivalen kopulieren (DelBarco-Trillo u. Ferkin<br />

2004). Individuell variierende Aspekte der Spermienmorphologie sind aber<br />

auch erblich und werden von erfolgreichen Vätern weitergegeben (Birkhead<br />

et al. 2005).<br />

8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz<br />

Selbst nachdem entschieden ist, welche Spermien zur Befruchtung gelangen,<br />

ist der Fortpflanzungswettbewerb der Männchen noch nicht unbedingt<br />

beendet. Zwischen Fertilisation und Geburt kann es unter bestimmten<br />

Bedingungen dazu kommen, dass durch induzierte Resorption oder Abortion<br />

eines Embryos der Fortpflanzungserfolg eines Männchens zunichte<br />

gemacht wird. Nach der Geburt sind Jungtiere vieler Taxa außerdem dem<br />

Risiko der Kindstötung (Infantizid) durch ein Männchen, das nicht der Vater<br />

ist, ausgesetzt.<br />

8.6.1 Bruce-Effekt<br />

Während der Trächtigkeit kann die Anwesenheit eines fremden Männchens<br />

und das gleichzeitige Verschwinden des bisherigen Partners bei<br />

manchen Säugetieren die Implantation der Eier behindern oder sogar<br />

Resorption oder Abortion der Embryonen bewirken (Schwagmeyer<br />

1979). Die betroffenen Weibchen werden innerhalb weniger Tage wieder<br />

östrisch, und alle dann gezeugten Jungen stammen häufig vom neuen<br />

Männchen. Dieser nach seinem Entdecker benannte Bruce-Effekt wurde<br />

bei mehreren Maus- und Wühlmausarten nachgewiesen. Er könnte entstanden<br />

sein, weil Weibchen, welche ihren Partner verloren haben und die<br />

Hilfe des Männchens bei der Aufzucht der Jungen benötigen, auf diese<br />

Weise das neue Männchen zum Erbringen eines väterlichen Investments


8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz 293<br />

veranlassen können (monogame Arten wie Microtus ochrogaster: Hofmann<br />

et al. 1987). Es gibt aber auch Hinweise aus Freilandexperimenten<br />

darauf, dass der Verlust des bisherigen Partners einen stärkeren Effekt auf<br />

Weibchen hat als die Anwesenheit eines neuen Männchens (Mahady u.<br />

Wolf 2002). Bei nicht-monogamen Arten könnten die Weibchen dadurch<br />

Energie und Kosten sparen, wenn fremde Männchen infantizidial sind und<br />

so ihre Verluste minimieren (siehe unten). In jedem Fall sollte dieser<br />

Effekt nicht nur ein Resultat der Konkurrenz der Männchen untereinander,<br />

sondern auch mit Vorteilen für die Weibchen verbunden sein, um dessen<br />

Existenz adaptiv erklären zu können.<br />

8.6.2 Infantizid<br />

Bei manchen Vögeln, Nagetieren, Karnivoren und Primaten wurde beobachtet,<br />

dass neugeborene oder noch abhängige Junge von Männchen<br />

derselben Art getötet werden (Abb. 8.19). Infantizid kann dabei als jegliche<br />

Form der Einschränkung des elterlichen Investments durch Artgenossen<br />

definiert werden, wobei die Einschränkung durch Tötung eines<br />

Embryos oder Neugeborenen durch ein Mitglied der eigenen Art (zumeist<br />

ein Männchen) herbeigeführt wird. Dieser direkte Infantizid hat Generationen<br />

von Verhaltensforschern Kopfzerbrechen bereitet. Er ist offensichtlich<br />

nicht zum Wohl der Art und damit nicht durch Gruppenselektion zu<br />

erklären, außer man postuliert, dass er der Populationsregulation dient.<br />

Diese Erklärung ist aber nicht schlüssig, denn Selektion bewertet den Erfolg<br />

von Individuen sehr viel stärker als den von Gruppen (und letzteren<br />

nur unter seltenen, restriktiven Bedingungen). Dementsprechend kann sich<br />

ein genetisch bedingtes Verhalten, welches mit Kosten und Risiken für das<br />

ausführende Individuum und Vorteilen hauptsächlich für die Population<br />

Abb. 8.19. Ein männlicher<br />

Bärenpavian (Papio ursinus)<br />

hat ein Jungtier getötet. Manchmal<br />

kommt es in diesem Kontext<br />

sekundär auch zu Kannibalismus


294 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

verbunden ist, niemals gegenüber einer alternativen Strategie durchsetzen,<br />

welche diese Kosten und Risiken nicht beinhaltet und deren Träger daher<br />

im Durchschnitt länger leben und sich häufiger fortpflanzen können.<br />

In der klassischen Ethologie standen die proximaten Mechanismen im<br />

Mittelpunkt der Erklärung. Dieser Erklärungsansatz ging davon aus, dass<br />

Tiere eine natürliche Tötungshemmung gegenüber Artgenossen besitzen<br />

und dass Infantizid daher ein pathologisches Verhalten darstellt, welches<br />

durch Stress ausgelöst wird, zum Beispiel wenn Populationen in außergewöhnlich<br />

hoher Dichte leben. Beobachtungen an Hanuman-Languren<br />

(Semnopithecus entellus) lieferten zunächst Unterstützung für diese Hypothese,<br />

da sie in Indien als heilig angesehen und von den Menschen gefüttert<br />

werden, was dazu führt, dass sie in der Nähe von menschlichen Besiedlungen<br />

in hohen Dichten leben (Sommer u. Mohnot 1985). Unter<br />

diesen Gruppen gibt es viel Aggression um das von Menschen bereitgestellte<br />

Futter und natürlich auch im Vergleich zu abgelegenen, nicht habituierten<br />

Gruppen bessere Beobachtungsbedingungen für seltene und kurze<br />

Ereignisse wie Infantizid. Beobachtungen von Infantizid in nicht gefütterten<br />

Gruppen und in Gegenden mit geringen Populationsdichten (Newton<br />

1986) haben diese Erklärung aber zunichte gemacht.<br />

Heute gibt es drei akzeptierte ultimate Erklärungen für Infantizid, die<br />

auf individueller Selektion basieren. Erstens können die Opfer als Nahrungsressource<br />

dienen. Vor allem bei räuberischen Insekten, Spinnen,<br />

Amphibien und Fischen, bei denen es erhebliche Größenunterschiede zwischen<br />

Eltern und Jungen sowie wenig elterliche Brutpflege gibt, kommt es<br />

vor, dass Jungtiere getötet und gefressen werden (z. B. Schneider u. Lubin<br />

1996). Bei diesem Kannibalismus steht aber der Nahrungsaspekt im Vordergrund,<br />

und häufig treten beide Geschlechter als Täter in Erscheinung,<br />

so dass Infantizid in diesen Fällen nicht als Form der Fortpflanzungskonkurrenz<br />

erklärt werden kann. Zweitens wird Infantizid bei manchen Arten<br />

von Weibchen begangen (z. B. Digby 2000), die sich dadurch bei der<br />

Konkurrenz um Ressourcen oder Helfer bei der Jungenaufzucht einen<br />

Vorteil verschaffen können ( Kap. 9.7). Drittens kann Infantizid, wenn<br />

bestimmte Bedingungen erfüllt sind, als sexuell selektierte Fortpflanzungsstrategie<br />

von Männchen interpretiert werden, die dadurch ihren relativen<br />

Fortpflanzungserfolg erhöhen bzw. den von Rivalen verringern.<br />

(1) Sexuelle Selektionstheorie. Die Logik der sexuellen Selektionshypothese<br />

basiert darauf, dass durch das Töten der abhängigen Jungen eines<br />

potentiellen Paarungspartners das betroffene Weibchen schneller wieder<br />

fortpflanzungsbereit wird und der Täter dann gute eigene Paarungschancen<br />

besitzt (Hrdy 1979). In fast allen dokumentierten Fällen ist das Auftreten<br />

von Infantizid durch Männchen an eine Änderung des Residenz- oder


8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz 295<br />

Dominanzstatus gebunden; entweder werden bisherige Dominante vertrieben,<br />

neue Männchen wandern ein oder die Dominanzhierarchie der Männchen<br />

ändert sich. In diesem Fall ist Infantizid nur dann zu erwarten, wenn<br />

(1) die Opfer von mütterlicher Fürsorge abhängig sind und deren Fürsorge<br />

ihre Fähigkeit hemmt, in neuen Nachwuchs zu investieren, (2) die betroffenen<br />

Weibchen schneller wieder fortpflanzungsbereit werden und (3) die<br />

Täter sich mit den betroffenen Müttern verpaaren. Damit sich ein solches<br />

Verhalten evolutionär etablieren und durchsetzen kann, muss zudem gewährleistet<br />

sein, dass (4) die Männchen keinen eigenen Nachwuchs töten.<br />

Diese Annahmen und Vorhersagen sind inzwischen bei zahlreichen<br />

Vögeln und Säugern untersucht worden und liefern überzeugende Beweise<br />

für die sexuelle Selektionstheorie (van Schaik 2000a). Bei Hanuman-<br />

Languren (Semnopithecus entellus) konnte gezeigt werden, dass Männchen<br />

tatsächlich nur fremden Nachwuchs töten. Bei diesen Primaten bilden<br />

Weibchen Gruppen, mit denen ein einziges adultes Männchen lebt und<br />

diese reproduktiv monopolisiert. Die restlichen Männchen leben in reinen<br />

Männchengruppen, die immer wieder versuchen, Haremshalter zu vertreiben.<br />

In manchen Gebieten enthalten Gruppen allerdings auch mehrere<br />

Männchen. Bei den Tätern handelt es sich entweder um Männchen, die eine<br />

Gruppe von Weibchen neu übernehmen oder in die Fortpflanzungsposition<br />

aufsteigen; d. h. sie sind mit den getöteten Jungen sehr wahrscheinlich<br />

nicht verwandt. In einer Stichprobe von 16 getöteten jungen Hanuman-<br />

Languren zeigten genetische Vaterschaftsuntersuchungen außerdem, dass<br />

in keinem einzigen Fall der Täter der Vater war (Borries et al. 1999a). In<br />

94% der gut dokumentierten Infantizid-Fälle bei allen Primaten fanden<br />

ebenfalls vorher keine Kopulationen zwischen Müttern und Tätern statt<br />

(van Schaik 2000a).<br />

Außerdem wurden ausschließlich abhängige Junge getötet; d. h. bei<br />

Hanuman-Languren waren alle Opfer weniger als sechs Monate alt. Der<br />

Verlust der Jungtiere führte zu einem raschen Ende der durch das Stillen<br />

bedingten Sterilität (Laktationsamenorrhoe), so dass die betroffenen<br />

Weibchen rasch wieder empfängnisbereit waren, zum Teil schon nach<br />

zwei Tagen. Bei Populationen mit saisonaler Fortpflanzung können die<br />

Weibchen nicht sofort wieder rezeptiv werden; bei ihnen verkürzte sich der<br />

Zwischengeburtenabstand allerdings um ca. 25%, so dass die betroffenen<br />

Männchen über diesen längeren Zeitraum mehr Fortpflanzungsgelegenheiten<br />

hatten (Borries 1997). Schließlich verpaaren sich in den meisten<br />

Fällen die Täter beim nächsten Fortpflanzungszyklus mit den wieder rezeptiv<br />

gewordenen Weibchen. Vaterschaftstests in einer Hanuman-Languren-Population<br />

zeigten, dass die Täter eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit<br />

von 71% hatten (Borries et al. 1999b).


296 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Bei anderen Arten mit ähnlichem Sozialsystem erfolgt Infantizid nach<br />

demselben Muster. Bei Löwen (Panthera leo) übernehmen Koalitionen<br />

von Männchen Gruppen von Weibchen. Wenn die Weibchen abhängige<br />

Junge besitzen, werden diese sofort getötet. Infantizid ist bei Löwen für ca.<br />

ein Viertel der Jungensterblichkeit im ersten Lebensjahr verantwortlich.<br />

Damit ist Infantizid durch fremde Männchen bei Arten, die dafür anfällig<br />

sind, eine mächtige Selektionskraft. Zum einen können Männchen, die nur<br />

für eine relativ kurze, unvorhersehbare Zeit ihres Lebens in einer Position<br />

sind, in der sie überhaupt Zugang zu Weibchen haben, durch diese Strategie<br />

die Zahl der Verpaarungsgelegenheiten maximieren. Zum anderen<br />

stellen die verlorenen Jungen einen hohen Anteil des Gesamtfortpflanzungserfolgs<br />

bei Arten mit relativ langsamen Life histories dar. Gorilla-<br />

Weibchen haben zum Beispiel im Laufe ihres Lebens nur 4–6 Nachkommen.<br />

Da die betroffenen Weibchen keinerlei Vorteile aus einem Infantizid<br />

ziehen, ist zu erwarten, dass sie über effektive Gegenmaßnahmen verfügen,<br />

die helfen, ihre Verluste zu minimieren (van Schaik 2000b).<br />

(2) Weibliche Gegenstrategien. Weibchen versuchen natürlich, ihre Jungen<br />

zu verteidigen. Manchmal bilden sich auch Koalitionen von Weibchen,<br />

die dies gemeinsam tun (Le Galliard et al. 2006). Allerdings sind sie<br />

mit direkter Verteidigung nur wenig effektiv, vermutlich, weil die Männchen<br />

zumeist größer und stärker sind. Weibchen mit gefährdeten Jungen<br />

vermeiden neue Männchen aus diesem Grund, soweit dies möglich ist.<br />

Wenn der Männchenwechsel während der Trächtigkeit stattfindet und das<br />

Infantizidrisiko hoch ist, können sie durch einen induzierten Abort ihre Investition<br />

und damit ihren Verlust reduzieren ( Bruce-Effekt). Ein sehr effektiver<br />

Weg, das Infantizidrisiko zu verringern, besteht darin, die Vaterschaft<br />

zu verschleiern. Durch Paarungen mit möglichst vielen Männchen<br />

bekommen diese eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von > 0 und gehen<br />

damit das Risiko ein, ihren eigenen Nachwuchs umzubringen. Männchen<br />

scheinen dieses Risiko ernst zu nehmen. Mäusemännchen, die mit einem<br />

Weibchen verpaart wurden, begehen an deren Jungen anschließend keinen<br />

Infantizid, auch wenn sie selbst nicht Vater der Jungen sind.<br />

Schließlich können sich Weibchen auch einen männlichen Beschützer<br />

zulegen (Abb. 8.20). Wenn dieser eine hohe Vaterschaftssicherheit hat,<br />

sollte er die Jungen gegen fremde Männchen direkt oder dadurch, dass er<br />

Immigrationen verhindert, indirekt verteidigen (Palombit et al. 1997). Bei<br />

Anubispavianen (Papio anubis) reagieren diese „Freunde“ stärker auf die<br />

Hilferufe der jeweiligen Weibchen als andere Männchen (Lemasson et al.<br />

2008). Dies mag erklären, warum bei praktisch allen potentiell Infantizid<br />

gefährdeten Primatenarten permanent bisexuelle Gruppen auftreten (van<br />

Schaik u. Kappeler 1997); ein Zusammenhang, der sich auch bei anderen


8.6 Postkonzeptionelle Konkurrenz 297<br />

Abb. 8.20. Bei Pavianen<br />

(hier Papio anubis) existieren<br />

Freundschaften zwischen<br />

Männchen und Weibchen, die<br />

durch viel Nähe und grooming<br />

sowie wenig Aggression<br />

charakterisiert sind. Sie halten<br />

auch an, wenn die Weibchen<br />

anöstrisch oder laktierend<br />

sind. Freunde schützen Weibchen<br />

vor Belästigung und<br />

Infantizid<br />

Säugetieren findet. Dass sexuell selektierter Infantizid trotz dieser zahlreichen<br />

Gegenmaßnahmen auftritt, weit verbreitet ist und in manchen Arten<br />

die wichtigste Ursache der Jungensterblichkeit darstellt, zeigt, dass es<br />

sich um einen wichtigen Selektionsfaktor mit weitreichenden Konsequenzen<br />

handelt.<br />

8.6.3 Infantizid und Life history<br />

Bei welchen Säugetieren ist Infantizid überhaupt ein Risiko? Da der Erfolg<br />

dieser Strategie in kritischer Weise von der Reaktion eines Fortpflanzungsmerkmals,<br />

nämlich der Aufhebung der Ovulationsblockade, abhängt,<br />

handelt es sich hier um ein deutliches Beispiel für die funktionale Verschränkung<br />

zwischen dem Verhalten und der Life history einer Art. Beuteltiere<br />

(Marsupialia) können bis zu drei Jungtiere unterschiedlichen Alters<br />

gleichzeitig versorgen. Sie können ein frisch geborenes Jungtier neben einem<br />

älteren Geschwister säugen (sie produzieren für diese an verschiedenen<br />

Zitzen unterschiedliche Milch!) und gleichzeitig einen Embryo tragen<br />

(Jarman 2000). In diesem Fall kann die Fortpflanzungsrate durch Eliminierung<br />

eines Jungtiers nicht beschleunigt werden.<br />

Bei plazentalen Säugetieren wird die potentielle Fortpflanzungsrate eines<br />

Männchens prinzipiell dadurch reduziert, dass Weibchen zumeist nicht<br />

gleichzeitig trächtig und laktierend sind. Bei Arten mit schnellen Life<br />

histories ist die Laktation nur kurz und Weibchen verpaaren sich wenige<br />

Tage nach der Geburt während eines Post-partum-Östrus, so dass sie<br />

gleichzeitig für zwei Junge unterschiedlichen Alters sorgen (Abb. 8.21a).<br />

Hier gibt es kein Infantizidrisiko durch Männchen, weil dadurch Paarungsgelegenheiten<br />

nicht beschleunigt werden können, außer die Wurfgröße ist


298 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

Abb. 8.21a–c. Die Anfälligkeit einer plazentalen Säugetierart wird durch das Verhältnis<br />

von Trächtigkeits- und Laktationsdauer bestimmt. Arten mit längerer<br />

Trächtigkeit a haben einen Post-partum-Östrus: bei ihnen kann Infantizid die Fortpflanzungsrate<br />

nicht erhöhen. Bei Arten mit längerer Laktation b würde ein Problem<br />

durch die Versorgung von aufeinander folgenden Jungtieren mit unterschiedlichen<br />

Bedürfnissen entstehen (rot). Durch die Laktationsamenorrhoe c wird<br />

dieses Problem vermieden, aber dadurch entsteht eine Anfälligkeit für sexuell selektierten<br />

Infantizid<br />

sehr groß und hat einen negativen Effekt auf die Größe des nächsten<br />

Wurfs, so dass infantizidiale Männchen in der nächsten Fortpflanzungsrunde<br />

mehr Nachkommen mit einem betroffenen Weibchen zeugen können.<br />

Es ist daher zu erwarten, dass Infantizid insbesondere in Arten mit langer<br />

Laktation, im Vergleich zur Dauer der Trächtigkeit, eine profitable<br />

männliche Strategie darstellt, da bei diesen Arten die größte Beschleunigung<br />

der weiblichen Fortpflanzungsrate herbeigeführt werden kann. Für<br />

diese Arten ist der Post-partum-Östrus keine Option, da sie sonst zwei Sätze<br />

von Jungtieren mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen versorgen<br />

müssten (Abb. 8.21b). Diese Vorhersage haben vergleichende Tests bestätigt:<br />

Männlicher Infantizid ist nur von denjenigen plazentalen Säugetieren<br />

bekannt, bei denen die Laktation länger als die Trächtigkeit dauert und sich<br />

eine Laktationsamenorrhoe an die Geburt anschließt (Abb. 8.21c). Zu


8.7 Strategien und Taktiken 299<br />

diesen Arten zählen Primaten, Wale, Karnivoren und hörnchenartige Nager<br />

(van Schaik 2000c).<br />

Bei anderen Taxa ist sexuell selektierter Infantizid relativ selten. Bei<br />

Vögeln gibt es nur bei ca. 15 Arten dokumentierte Fälle (Veiga 2000). Bei<br />

Rauchschwalben (Hirundo rustica) wurde beobachtet, dass Männchen<br />

manchmal eine Brut zerstören, um so die Trennung des Brutpaares zu provozieren<br />

und das Weibchen anschließend übernehmen zu können (Møller<br />

1988), wobei die Häufigkeit von Infantizid positiv mit der Populationsdichte<br />

korreliert (Møller 2004). Infantizid wurde auch nach einer Nestübernahme<br />

nach Verwitwung beobachtet; bei Haussperlingen (Passer<br />

domesticus) wird dadurch die Dauer bis zur erneuten Eiablage von 18 auf 7<br />

Tage reduziert (Veiga 1990). Bei einer semelparen Röhrenspinne (Stegodyphus<br />

lineatus) können Männchen von Oozid profitieren, wenn sie das<br />

normalerweise einzige Gelege eines Weibchens zerstören und sie so zu einer<br />

weiteren Eiablage veranlassen (Schneider u. Lubin 1997). Bei anderen<br />

Taxa ist sexuell selektierter Infantizid sehr selten; vielleicht weil ihre Life<br />

histories und Sozialsysteme nicht über die notwendige Kombination von<br />

Voraussetzungen verfügen.<br />

8.7 Strategien und Taktiken<br />

Wie in allen anderen Verhaltenskontexten gibt es auch im Fortpflanzungsverhalten<br />

Unterschiede zwischen Individuen. Diese interindividuelle<br />

Variabilität kann durch eine Reihe von Faktoren zustande kommen. So<br />

unterscheiden sich Individuen unter anderem in ihrer Konkurrenzfähigkeit,<br />

ihrem Dominanzstatus sowie in ihrer jeweiligen sozialen und ökologischen<br />

Umwelt. Als Anpassung an diese variablen internen und externen Bedingungen<br />

können Individuen eines Geschlechts unterschiedliche diskrete<br />

Verhaltensmuster einsetzen, um ihren Fortpflanzungserfolg zu verbessern.<br />

Wenn es zwei oder mehr unterscheidbare Muster dieser Art gibt, werden<br />

sie als alternative Fortpflanzungstaktiken bezeichnet. Alternative Taktiken<br />

sind manchmal mit spezifischen Unterschieden in morphologischen, physiologischen<br />

oder Life history-Merkmalen verbunden, was auf eine genetische<br />

Grundlage mancher dieser Unterschiede hindeutet. Es stellt sich daher<br />

die Frage, wie flexibel Merkmale oder Merkmalskombinationen sind,<br />

die verschiedene Fortpflanzungstaktiken charakterisieren.<br />

Grundsätzlich werden genetisch festgelegte Entscheidungsregeln in diesem<br />

Zusammenhang als Strategie bezeichnet. Dabei handelt es sich um<br />

Programme, die für die unterschiedliche Allokation von somatischem und<br />

reproduktivem Aufwand in unterschiedlichen Phänotypen verantwortlich


300 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

sind. Eine Taktik ist dagegen ein Phänotyp, der durch eine Strategie verursacht<br />

wird und zu deren Umsetzung beiträgt. Wenn ein Genotyp zwei<br />

oder mehr diskrete Phänotypen hervorbringt, wird dies als Polyphänismus<br />

bezeichnet; ein extremes Beispiel für phänotypische Plastizität. Die beobachtbare<br />

phänotypische Diversität im Fortpflanzungsverhalten kann in<br />

drei Klassen von Strategien eingeteilt werden, von denen zwei alternative<br />

Taktiken beinhalten (Gross 1996).<br />

Es ist theoretisch möglich, dass es eine gemischte Strategie mit alternativen<br />

Taktiken gibt. Dabei handelt es sich um eine genetisch monomorph<br />

kontrollierte Strategie, die ihre Träger dazu veranlasst, in x% der<br />

Fälle Taktik X und in y% der Fälle Taktik Y anzuwenden. Eine solche gemischte<br />

Strategie findet sich möglicherweise bei Grasfröschen (Rana temporaria),<br />

bei denen ein und dieselben Männchen opportunistisch eine von<br />

zwei Taktiken anwenden. Entweder verpaaren sie sich ganz normal mit einem<br />

Weibchen oder sie besamen frisch abgelaichte Gelege, wodurch sie<br />

über Spermienkonkurrenz einen Teil der Eier doch noch befruchten können,<br />

obwohl die Weibchen einen anderen Partner gewählt haben (Vieites<br />

et al. 2004). Ob dieses Verhalten tatsächlich genetisch bestimmt wird, ist<br />

aber nicht bekannt.<br />

8.7.1 Alternative Strategien<br />

Wenn es aufgrund eines genetischen Polymorphismus zwei oder mehr<br />

Fortpflanzungsstrategien mit im Durchschnitt identischem Erfolg gibt, bezeichnet<br />

man diese als alternative Strategien. Die Balance der relativen<br />

Abb. 8.22. Voraussetzung für die Existenz von alternativen Strategien. Zwei alternative<br />

Phänotypen (X und Y) haben unterschiedliche, frequenzabhängige Fitnessfunktionen.<br />

Die relative Häufigkeit der beiden Phänotypen stellt sich an dem<br />

Punkt ein, an dem beide im Durchschnitt dieselbe Fitness erzielen (f*)


8.7 Strategien und Taktiken 301<br />

Häufigkeit der einzelnen Strategien wird durch frequenzabhängige Selektion<br />

herbeigeführt. Frequenzabhängige Selektion liegt immer dann vor,<br />

wenn die relative Fitness von alternativen Phänotypen von deren Häufigkeit<br />

in der Population abhängt. Dabei müssen sich die Fitnessfunktionen<br />

der verschiedenen Phänotypen kreuzen und eine negative Frequenzabhängigkeit<br />

aufweisen (Abb. 8.22). Das heißt, ein Phänotyp (Y), der bei geringer<br />

Häufigkeit eine höhere durchschnittliche Fitness erbringt als der alternative<br />

Phänotyp (X), wird zunächst in der Population zunehmen. Aufgrund<br />

der negativen Frequenzabhängigkeit verringert sich dabei aber seine<br />

durchschnittliche Fitness. Wenn die durchschnittliche Fitness der beiden<br />

Phänotypen identisch ist, wird sich daher ein Gleichgewicht einstellen,<br />

welches die relative Häufigkeit der beiden Phänotypen definiert.<br />

Beim Kampfläufer (Philomachus pugnax) gibt es zwei Typen von<br />

Männchen, die alternative Strategien verfolgen. Das Paarungssystem von<br />

Kampfläufern wird als Lek bezeichnet. Es ist dadurch charakterisiert, dass<br />

Männchen an traditionellen Balzplätzen zusammenkommen, wo sie von<br />

Weibchen aufgesucht werden. Dunkel gefärbte Männchen (Abb. 8.23a)<br />

verteidigen kleine (1–2 m 2 ) Territorien innerhalb eines Leks, wohingegen<br />

helle Männchen (Abb. 8.23b) sich als Satelliten in der Nähe der dunklen<br />

Männchen aufhalten. Diese Unterschiede gehen auf unterschiedliche<br />

Allele an einem autosomalen Genort zurück; helle Männchen, die mit einer<br />

durchschnittlichen Häufigkeit von 16% auftreten, sind an diesem Lokus<br />

homozygot rezessiv (Lank et al. 1995). Helle Männchen werden von dunklen<br />

dominiert, bekommen aber gelegentlich Zugang zu einem Weibchen,<br />

das eigentlich von einem dunklen Territoriumshalter angezogen wurde.<br />

Möglicherweise haben dunkle Männchen unter dem Strich einen Vorteil<br />

von der Präsenz der hellen Männchen – obwohl ihnen dadurch einige Ko-<br />

Abb. 8.23a,b. Kampfläufer besitzen einen genetischen Polymorphismus mit zwei<br />

Männchenformen. a Verteidiger von Balzarenen und b Satellitenmännchen


302 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

pulationen entgehen – da die Weibchen größere Männchenansammlungen<br />

attraktiv finden. Helle Männchen haben einen geringeren Fortpflanzungserfolg,<br />

leben aber möglicherweise länger, so dass der Erfolg der beiden<br />

Strategien im Durchschnitt ähnlich ist (Widemo 1998).<br />

Bei einer Meerassel (Paracerceis sculpta) gibt es sogar drei Männchen-<br />

Strategien, die ebenfalls genetisch festgelegt sind (Shuster 1992). Große<br />

Alpha-Männchen verteidigen Brutplätze innerhalb von Schwämmen, zu<br />

denen Weibchen sowie andere Männchen-Typen angezogen werden. Alpha-Männchen<br />

verteidigen einzelne Spongocoelen (Schwammgänge) mit<br />

Weibchen gegen andere Männchen und verlassen sich dabei vor allem auf<br />

ihren Größenvorteil, indem sie den Eingang zu den Spongocoelen versperren.<br />

Vier Prozent der Männchen einer Population sind Beta-Männchen, die<br />

in ihrem Äußeren Weibchen nachahmen, sich so in die Schwämme schleichen<br />

und dort Paarungen ergattern. Gamma-Männchen, die 14% aller<br />

Männchen ausmachen, sind sehr klein und wendig und können sich aufgrund<br />

ihrer geringen Größe an den Alpha-Männchen vorbeischleichen und<br />

ebenfalls zu Paarungen kommen. Alle drei Männchen-Typen erzielen im<br />

Durchschnitt denselben Fortpflanzungserfolg (Shuster u. Wade 1991). Es<br />

gibt aber auch Beispiele (Seitenfleckenleguan, Uta stansburiana), bei<br />

denen zwischen Männchen mit alternativen Strategien unterschiedlicher<br />

Fortpflanzungserfolg festgestellt wurde, möglicherweise weil sich die<br />

beiden Strategien in der Varianz ihrer Fitness unterscheiden (Calsbeek<br />

et al. 2002).<br />

8.7.2 Konditionale Strategien<br />

Am häufigsten ist in der Natur die dritte Möglichkeit realisiert: alternative<br />

Taktiken innerhalb einer konditionalen Strategie (Plaistow et al. 2004).<br />

Die Anwendung einer bestimmten Taktik basiert dabei auf einer Entscheidung<br />

des Individuums, wobei die Entscheidung vom Status oder der Erfahrung<br />

des Tieres beeinflusst wird. Individuen unterscheiden sich in ihrem<br />

Status aufgrund der Interaktion von internen (Genotyp, Alter) und externen<br />

(Energiezufuhr, Pathogene) Faktoren. Die Annahme zur Erklärung der<br />

Existenz unterschiedlicher Taktiken besteht darin, dass Tiere mit einem<br />

bestimmten Status mit der Taktik X eine höhere Fitness erzielen als mit der<br />

Taktik Y (Abb. 8.24). Bei einer Statusänderung kann sich dies aber<br />

ändern, bzw. Tiere mit unterschiedlichem Status differenzieren teilweise<br />

an ihre Situation angepasste Morphologien aus (Lailvaux et al. 2004). Der<br />

Punkt, an dem zwischen zwei Taktiken gewechselt wird, ist manchmal<br />

auch der Schwellenwert für unterschiedliche Morphologien. Umwelt- und<br />

demografische Faktoren, welche die relative Fitness männlicher Taktiken


8.7 Strategien und Taktiken 303<br />

Abb. 8.24. Voraussetzung für die Existenz von konditionalen Strategien mit alternativen<br />

Taktiken. Individuen mit unterschiedlichen Taktiken (X und Y) haben in<br />

Abhängigkeit von ihrem Status unterschiedliche Fitness zu erwarten. Es lohnt sich<br />

daher, bei einer Änderung des Status die Taktik zu wechseln. An diesem Punkt<br />

findet sich manchmal auch ein Schwellenwert (s*) für unterschiedliche Morphologien<br />

beeinflussen, bestimmen auch die Lage dieses Schwellenwerts und damit,<br />

ob eine Population alternative Morphen enthält.<br />

So lassen sich zum Beispiel Populationsunterschiede bei Ohrwürmern<br />

(Forficula auricularia) in der Existenz von ein oder zwei Männchen-<br />

Typen in Abhängigkeit der jeweiligen Populationsdichten erklären (Tomkins<br />

u. Brown 2004). Bei dieser Art gibt es Männchen mit großen oder<br />

kleinen Zangen, die bei der Paarungskonkurrenz eingesetzt werden. Männchen<br />

mit großen Zangen verteidigen Weibchen, wohingegen Männchen<br />

mit kleineren Zangen versuchen, Paarungen zu erschleichen. Zwischen<br />

verschieden Populationen von Ohrwürmern variiert der Anteil der beiden<br />

Männchen-Typen stark. Bei hoher Populationsdichte erhöht sich die Begegnungsrate<br />

mit Weibchen sowie die Häufigkeit der Auseinandersetzungen<br />

über Weibchen, so dass der relative Konkurrenzvorteil der Männchen<br />

mit großen Zangen stärker belohnt wird. Der Anteil der Männchen mit<br />

großen Zangen nimmt daher mit zunehmender Populationsdichte zu.<br />

Wenn Fortpflanzungserfolg statusabhängig variiert und wenn die Konkurrenz<br />

zwischen Männchen selbst oder die Ausbildung der dabei wichtigen<br />

Strukturen mit hohen Kosten verbunden sind, sollte es Selektion für<br />

alternative Strategien geben. Dies gilt besonders für kleinere oder jüngere<br />

Männchen, für die diese Konkurrenzkosten absehbar groß sind. Durch alternative<br />

Taktiken erreichte kleine Erfolge sind immer noch besser als gar<br />

keine, d. h. diese Männchen versuchen, das Beste aus einer schlechten<br />

Situation zu machen (making the best of a bad job). In diesem Kontext<br />

haben sich in unterschiedlichsten Taxa ähnliche Taktiken entwickelt: man-


304 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

che Männchen konkurrieren und verteidigen Weibchen (guards), wohingegen<br />

andere sich dazu schleichen und versuchen, unter Umgehung der<br />

direkten Konkurrenz zu Paarungen zu kommen (sneaks). Sneaks verursachen<br />

für die dominanten Männchen nur Kosten, da sie deren Fortpflanzungserfolg<br />

schmälern. Subordinate Männchen, die dem dominanten irgendeinen<br />

zusätzlichen Vorteil zukommen lassen, werden dagegen als<br />

Satelliten (satellites) bezeichnet. Männchen mit flexiblen Fortpflanzungstaktiken<br />

müssen sich möglicherweise vor jeder Paarungszeit entscheiden,<br />

ob sie als guards, sneaks oder satellites konkurrieren. Ein elegantes Experiment<br />

mit Galapagos-Meerechsen (Amblyrhynchus cristatus) hat gezeigt,<br />

dass Testosteron eine wichtige Rolle bei der proximaten Regulation dieser<br />

Entscheidung spielt (Box 8.3).<br />

Da Männchen mit den beiden klassischen Taktiken – Weibchen verteidigen<br />

oder Paarungen erschleichen – ihren jeweiligen Fortpflanzungserfolg<br />

über verschiedene Mechanismen erzielen, ist zu erwarten, dass diejenigen<br />

Morphen, die nicht in Größe, Waffen und Verteidigung investieren, mehr<br />

in Mechanismen der Spermienkonkurrenz investieren (Simmons u. Emlen<br />

2006). So haben in der Tat bei einer Mistkäferart (Onthophagus binodis)<br />

hornlose Männchen größere Testes und produzieren größere Ejakulate als<br />

Männchen mit Hörnern (Simmons et al. 1999b). Bei Blaukiemen-Sonnenbarschen<br />

(Lepomis macrochirus) drängeln sich manche Männchen blitzschnell<br />

in die Nähe eines gerade ablaichenden Paares und geben dabei ihre<br />

Spermien ab. Genetische Vaterschaftsanalysen haben gezeigt, dass Männchen,<br />

die diese Taktik wählen, in solchen Situationen mehr Eier befruchten<br />

als die anderen Männchen (Fu et al. 2001). Diese Sneaks haben größere<br />

Hoden und erreichen die Geschlechtsreife früher als Männchen, die eine<br />

Weibchenverteidigungs-Taktik wählen (Neff et al. 2003).<br />

Aufgrund der Vielzahl der Fortpflanzungssysteme gibt es bei Fischen<br />

viele Beispiele für alternative Taktiken (Taborsky 1998). Eine extreme<br />

Lösung des Problems des statusabhängigen Fortpflanzungserfolges ist eine<br />

Geschlechtsumwandlung. Wenn große Männchen die Fortpflanzung<br />

monopolisieren, kann es Selektion für eine Geschlechtsumwandlung von<br />

Weibchen zu Männchen (protogyner Hermaphroditismus) geben. Zunächst<br />

muss eine solche Umwandlung praktisch möglich sein; sie kommt daher<br />

nur bei Fischen mit einfachen Gonaden und externer Befruchtung vor.<br />

Zweitens müssen junge oder kleine Individuen als Weibchen größeren<br />

Fortpflanzungserfolg aufweisen als Männchen. Drittens muss die durchschnittliche<br />

Fitness von Geschlechtsumwandlern größer sein als von Individuen,<br />

die dies nicht tun. Diese Bedingungen sind offenbar bei Blauköpfen<br />

(Thalassoma bifasciatum) erfüllt. Die Männchen sind leuchtend<br />

gefärbt und verteidigen Reviere auf Riffen, in denen sie bis zu 40-mal pro<br />

Tag kopulieren. Die Umwandlung vom Weibchen zum Männchen ist


8.7 Strategien und Taktiken 305<br />

Box 8.3<br />

Proximate Kontrolle alternativer Paarungstaktiken<br />

• Frage: Welche Rolle spielt Testosteron bei der proximaten Kontrolle<br />

unterschiedlicher Paarungstaktiken männlicher Galapagos-Meerechsen?<br />

• Hintergrund: Territoriale Meerechsen haben sowohl höhere Testosteron-<br />

Konzentrationen (T) als jüngere und kleinere Satellitenmännchen, welche<br />

wiederum weniger T besitzen als sneaks, die sich wie Weibchen verhalten.<br />

• Methode: Dominanten Männchen wurde ein T-Blocker injiziert; Satelliten<br />

und sneaks bekamen T-Injektionen. Territoriumsgröße, Anzahl der<br />

Weibchen pro Territorium sowie Kopfnickhäufigkeiten wurden für experimentelle<br />

Männchen und deren Kontrollen (mit Scheininjektionen) über<br />

7 Tage bestimmt.<br />

Territoriumsgröße<br />

[m²]<br />

Weibchen pro<br />

Territorium<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

x x x y x x x x x<br />

x y y z x y x y y<br />

vorher nach 2 Tagen nach 7 Tagen<br />

• Ergebnis: Im Vergleich zu Nachbarn, die mit Kontrollsubstanz ( ) oder<br />

gar nicht ( ) injiziert wurden, verloren mit T-Blocker behandelte dominante<br />

Männchen ( ) innerhalb von 2 Tagen die Hälfte ihrer Territoriumsfläche<br />

und 95% der Weibchen darauf*. Nach 7 Tagen wurden die<br />

Ausgangswerte wieder fast erreicht. Satelliten-Männchen zeigten nach<br />

T-Injektion die umgekehrte Reaktion. Sneaks, die mit T behandelt wurden,<br />

verhielten sich danach wie Satelliten.<br />

• Schlussfolgerung: Die Wahl einer Taktik bei männlichen Galapagos-<br />

Meerechsen ist proximat von Testosteron und der ontogenetischen Phase<br />

der Entwicklung abhängig.<br />

Wikelski et al. 2005<br />

* Mittelwerte mit unterschiedlichen Buchstaben (x, y, z) unterscheiden sich<br />

signifikant


306 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

größenabhängig und unterliegt einer sozialen Kontrolle, d. h. erst nach<br />

Verschwinden der größten Männchen werden die größten Weibchen zu<br />

Männchen (Warner u. Shultz 1992). Bei anderen Arten, wie z. B. paarlebenden<br />

Anemonenfischen, erfolgt die Geschlechtsumwandlung in die andere<br />

Richtung (Kuwamura u. Nakashima 1998). Schließlich gibt es auch<br />

Beispiele dafür, dass Geschlechtsumwandlungen in beide Richtungen erfolgen<br />

können (Munday 2002) oder sogar reversibel sind (Kuwamura et al.<br />

2002).<br />

8.8 Partnerwahl durch Männchen<br />

In den Theorien der klassischen Geschlechterrollen spielt die Partnerwahl<br />

durch Männchen keine Rolle. In den meisten Arten sind Paarungen für<br />

Männchen mit geringen Kosten verbunden und sie versuchen, die Zahl der<br />

Paarungsgelegenheiten zu maximieren. Wenn es allerdings Unterschiede in<br />

der Qualität der Weibchen gibt und Männchen sich entscheiden können,<br />

sollten sie zwischen Weibchen diskriminieren. Solches Wahlverhalten von<br />

Männchen ist in mindestens drei Situationen zu erwarten. Erstens bei<br />

Arten mit umgekehrten Geschlechterrollen, also solchen, bei denen die<br />

Männchen langsamere potentielle Fortpflanzungsraten ( Kap. 7.3) besitzen,<br />

sich allein um die Jungenaufzucht kümmern und Weibchen um<br />

Männchen konkurrieren (Gwynne 1991). Zweitens sollten Männchen auch<br />

bei Arten, in denen die Weibchen sich deutlich in ihrer Fekundität unterscheiden,<br />

zwischen Weibchen diskriminieren, weil größere Weibchen<br />

mehr Nachwuchs produzieren können (z. B. Drosophila: Byrne u. Rice<br />

2006). Bei Schnappgrundeln (Gobiusculus flavescens) haben Männchen<br />

eine starke Präferenz für Weibchen mit gelbem Bauch. Dieses weibliche<br />

Ornament ist daher vermutlich durch männliche Partnerwahl entstanden<br />

(Amundsen u. Forsgren 2001); womöglich weil dieses Ornament Informationen<br />

über die Anzahl der Eier im Bauch der Weibchen enthält oder verstärkt.<br />

Partnerwahl durch Männchen ist unabhängig vom Paarungssystem<br />

( Kap. 11.2) zu erwarten. Männchen in monogamen Arten sollten ihre<br />

Partnerinnen besonders sorgfältig auswählen, da die genetische Kompatibilität<br />

und die Zusammenarbeit der Eltern bei der Jungenaufzucht die Fitness<br />

beider Partner beeinflusst. Bei einer monogamen Mäuseart (Peromyscus<br />

polionotus) hatten Männchen mit von ihnen präferierten Weibchen tatsächlich<br />

mehr Nachwuchs als Männchen, die mit nicht präferierten Weibchen<br />

verpaart wurden (Ryan u. Altmann 2001). Männchen in polygynen Arten<br />

ohne väterliches Investment in die Jungen können ihren Fortpflanzungserfolg<br />

ebenfalls erhöhen, indem sie Weibchen mit vorteilhafter genetischer


8.9 Zusammenfassung 307<br />

Kompatibilität ( Kap. 9.5) wählen. In einem Verpaarungsexperiment mit<br />

Hausmäusen (Mus musculus) ging aus Paarungen mit in vorangegangenen<br />

Verhaltenstests präferierten Weibchen signifikant häufiger Nachwuchs<br />

hervor, und ein größerer Anteil der produzierten Jungen überlebte bis zur<br />

Entwöhnung. Außerdem dominierten adulte Söhne von Männchen, die mit<br />

präferierten Weibchen verpaart wurden, später Männchen, die aus anderen<br />

Paarungen hervorgingen (Gowaty et al. 2003). Die Partnerpräferenzen dieser<br />

Männchen beeinflussten also unter kontrollierter Ausschaltung von<br />

Konkurrenz zwischen Männchen und Partnerwahl durch die Weibchen die<br />

männliche Fitness. Partnerwahl durch Männchen ist also auch bei polygynen<br />

Arten vermutlich weiter verbreitet als bislang angenommen.<br />

8.9 Zusammenfassung<br />

Fortpflanzungskonkurrenz zwischen Männchen entscheidet in der<br />

großen Mehrzahl der Tierarten in wichtiger Weise über den relativen<br />

Fortpflanzungserfolg einzelner Männchen mit. Der Erfolg der Männchen<br />

wird dabei von intrasexueller Selektion bewertet. Fortpflanzungskonkurrenz<br />

kann vor oder nach der Paarung stattfinden und<br />

durch direkten Kontakt zwischen Rivalen oder durch indirekte<br />

Mechanismen erfolgen. Das Verhalten der Männchen spielt bei den<br />

meisten Mechanismen der Fortpflanzungskonkurrenz eine herausragende<br />

Rolle, aber in vielen Fällen sind Merkmale der Morphologie<br />

und Physiologie ebenfalls an die Art der Konkurrenz angepasst. In<br />

manchen Fällen schränken Zwänge der Life history die möglichen<br />

Mechanismen der intrasexuellen Selektion ein. Aufgrund von individuellen<br />

Unterschieden in der Konkurrenzfähigkeit kommt es in den<br />

meisten Fällen zu Varianz im männlichen Fortpflanzungserfolg, die<br />

größer ist als die unter den Weibchen. Diese Varianz ist darauf zurückzuführen,<br />

dass sich Männchen in ihrem Erfolg bei der prä- und<br />

postkopulatorischen Konkurrenz unterscheiden, wobei präkopulatorischer<br />

Erfolg stark konditionsabhängig ist. Ornamente und Dominanz<br />

tragen zur Reduktion der Kosten präkopulatorischer Konkurrenz<br />

bei. Postkopulatorische Konkurrenz findet vor allem zwischen den<br />

Spermien rivalisierender Männchen statt. Wenn sich Männchen zu<br />

sehr in ihrer Konkurrenzfähigkeit unterscheiden, kann es zu Selektion<br />

für alternative Paarungsstrategien kommen. Intrasexuelle Selektion ist<br />

so ubiquitär und stark, dass sie Anpassungen in zahlreichen außergewöhnlichen<br />

Merkmalen und Verhaltensaspekten der Männchen erklärt,<br />

die durch natürliche Selektion nicht zu erklären sind.


308 8 Intrasexuelle Selektion: wie Männchen konkurrieren<br />

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9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

9.1 Arterkennung<br />

9.1.1 Mechanismen der Arterkennung<br />

9.1.2 Speziation<br />

9.1.3 Wahl von artfremden Männchen<br />

9.2 Inzestvermeidung<br />

9.2.1 Mechanismen der Inzestvermeidung<br />

9.2.2 Verwandtenerkennung<br />

9.3 Mechanismen der Partnerwahl<br />

9.3.1 Selektivität der Weibchen<br />

9.3.2 Erhebungstaktiken<br />

9.3.3 Proximate Grundlagen der Wahl<br />

9.3.4 Kryptische Weibchenwahl<br />

9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl<br />

9.4.1 Effekte auf Fertilität und Fekundität<br />

9.4.2 Vaterqualitäten<br />

9.4.3 Andere Qualitäten der Männchen<br />

9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl<br />

9.5.1 Sexy Söhne durch den Fisher-Prozess<br />

9.5.2 Besserer Nachwuchs durch gute Gene<br />

9.5.3 Genetische Kompatibilität<br />

9.6 Polyandrie<br />

9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen<br />

9.7.1 Reproductive skew<br />

9.7.2 Weibliche Ornamente<br />

9.8 Sexueller Konflikt<br />

9.8.1 Theorie sexueller Konflikte<br />

9.8.2 Beispiele für sexuellen Konflikt<br />

9.8.3 Konsequenzen sexuellen Konflikts<br />

9.8.4 Sexuelle Nötigung<br />

9.9 Zusammenfassung


318 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Im Unterschied zu Männchen können Weibchen in der Regel ihren Fortpflanzungserfolg<br />

nicht durch zusätzliche Verpaarungen erhöhen. Stattdessen<br />

können sie zur Maximierung ihres Fortpflanzungserfolgs die Qualität<br />

und Überlebenschancen ihrer Nachkommen verbessern. Dies ist grundsätzlich<br />

auf zwei Arten möglich. Erstens können sie ihre mütterliche Investition,<br />

die durch Zeit und Energie limitiert wird, erhöhen ( Kap. 11). Zweitens<br />

können sie durch die Wahl eines entsprechenden Partners Vorteile für<br />

sich oder ihre Jungen beziehen. Diese Vorteile können direkter Natur sein,<br />

indem sie Männchen wählen, die ihnen materielle Vorteile verschaffen<br />

oder väterliches Investment in den Nachwuchs leisten ( Kap. 9.4). Weibchen<br />

können auch indirekte Vorteile aus der Partnerwahl beziehen, indem<br />

sie Männchen hoher genetischer Qualität wählen, die diese Qualitätsmerkmale<br />

an die Jungen weitergeben ( Kap. 9.5). Manche Befunde sprechen<br />

allerdings auch dafür, dass die Partnerwahl der Weibchen nicht adaptiv<br />

ist, sondern dass Männchen in einem evolutionären Wettrennen<br />

zwischen den Geschlechtern sinnesphysiologische Präferenzen der Weibchen<br />

ausnutzen ( Kap. 9.8). Unter Umständen konkurrieren Weibchen<br />

auch um Männchen hoher Qualität oder sie versuchen, den Fortpflanzungserfolg<br />

von Rivalinnen zu beeinträchtigen ( Kap. 9.7).<br />

Die Partnerwahl der Weibchen kann vor der Paarung oder postkopulatorisch<br />

zwischen den Spermien verschiedener Männchen erfolgen. Sie<br />

basiert auf unterschiedlichen Mechanismen, wobei das Verhalten eine<br />

herausragende Rolle spielt ( Kap. 9.3). Weibchen können sich entweder<br />

aktiv für bestimmte Männchen entscheiden und diese zu Paarungen auffordern,<br />

oder sie können Paarungsaufforderungen von Männchen selektiv abweisen.<br />

Es kann auch adaptive Gründe geben, warum sich manche Weibchen<br />

scheinbar wahllos mit mehreren Männchen verpaaren ( Kap. 9.6).<br />

Intersexuelle Selektion wirkt dabei auf Merkmale, die von Männchen eingesetzt<br />

werden, Weibchen dazu zu veranlassen, sich mit ihnen zu verpaaren.<br />

Ebenso unterliegen die korrespondierenden Präferenzen der Weibchen<br />

für bestimmte Merkmalsausprägungen der intersexuellen Selektion. In<br />

diesem Zusammenhang lastet ein hoher Selektionsdruck auf Weibchen,<br />

artfremde und nah verwandte Männchen zu erkennen und gegen diese zu<br />

diskriminieren, da die Kosten solcher Paarungen von den Weibchen getragen<br />

werden ( Kap. 9.1 u. 9.2). Intersexuelle Selektion ist daher eine treibende<br />

evolutionäre Kraft bei der Artbildung, der Entwicklung von Ornamenten<br />

sowie von Geschlechtsunterschieden in ganz unterschiedlichen<br />

Merkmalen.


9.1 Arterkennung 319<br />

9.1 Arterkennung<br />

Die erste wichtige Entscheidung, die fortpflanzungsbereite Weibchen treffen<br />

müssen, betrifft die Auswahl eines Männchens der eigenen Art. Obwohl<br />

Arten als geschlossene Fortpflanzungsgemeinschaften definiert sind,<br />

können sich viele nahverwandte Arten potentiell untereinander verpaaren,<br />

so dass für Weibchen das Risiko besteht, sich mit einem artfremden Männchen<br />

zu verpaaren, insbesondere wenn ihre Artgenossen sehr viel seltener<br />

sind als die Mitglieder einer sympatrischen Schwesterart (Wirtz 1999).<br />

Wenn solche heterospezifischen Verpaarungen stattfinden, führen sie oft<br />

zu Störungen der frühen Embryonalentwicklung und zum Absterben der<br />

sich entwickelnden Embryonen. In anderen Fällen kann es aber auch zu<br />

Hybridisierungen kommen, wobei die resultierenden Bastarde zwar erhöhte<br />

Vitalität (zum Beispiel Maulesel), aber verminderte Fertilität aufweisen.<br />

In den allermeisten Fällen ist von diesen Nachteilen das heterogame Geschlecht<br />

betroffen (Haldanes Regel).<br />

Die Kosten solcher Fehlverpaarungen tragen die Weibchen; sie verlieren<br />

ihre Investition in die Eizellen und Embryonalentwicklung und damit<br />

wertvolle Zeit und Gelegenheit, sich erfolgreich fortzupflanzen. Es ist also<br />

zu erwarten, dass sie Mechanismen entwickelt haben, Männchen der eigenen<br />

Art zu erkennen. Wenn Weibchen neue Präferenzen entwickeln, liefert<br />

intersexuelle Selektion daher auch einen wichtigen Mechanismus, der<br />

zur Artentstehung in sich divergierenden Populationen beitragen kann.<br />

Schließlich kommt es aufgrund eines ungewöhnlichen Fortpflanzungssystems<br />

bei manchen Arten dazu, dass Weibchen artfremde Männchen erkennen<br />

müssen, weil sie diese für die Fertilisation benötigen ( Kap. 7.2).<br />

9.1.1 Mechanismen der Arterkennung<br />

Paarungsbereite Weibchen sollten von der Selektion dafür belohnt werden,<br />

die Artzugehörigkeit von Männchen möglichst frühzeitig zu verifizieren.<br />

Nur wenn sie sich auf Männchen der eigenen Art einlassen, minimieren sie<br />

die Kosten, auch in Form verschwendeter Zeit, die sich aus Interaktionen<br />

mit artfremden Männchen ergeben. Wenn es doch zur Hybridisierung<br />

zwischen verschiedenen Arten kommt, verstärken deren Kosten Selektionskräfte,<br />

welche die Differenzierung der betroffenen Populationen<br />

vorantreiben; es kommt zur reproduktiven Merkmalsverschiebung<br />

(Higgie et al. 2000). Diese ist dadurch definiert, dass nahverwandte sympatrische<br />

Arten sich stärker in den Mechanismen der Partnererkennung unterscheiden<br />

als allopatrische Populationen, wobei natürliche und sexuelle


320 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Abb. 9.1. Bei Fröschen und Kröten<br />

(hier Teichfrosch, Rana esculenta)<br />

rufen Männchen, um paarungsbereite<br />

Weibchen anzulocken. Diese<br />

Rufe sind artspezifisch, enthalten<br />

aber auch zusätzliche Information,<br />

z. B. über die Größe des Rufers<br />

Selektion bei der Ausprägung von Partnererkennungsmechanismen zusammenwirken<br />

(Blows 2002). Viele Merkmale und Signale, wie zum Beispiel<br />

aufwändiges Balzverhalten, können daher als Arterkennungsmechanismen<br />

interpretiert werden. Manche Merkmale sind dabei so stereotyp<br />

wie die arttypischen Bewegungsabläufe, die Entenvögel bei der Balz einsetzen,<br />

dass sie in phylogenetischen Rekonstruktionen als artspezifische<br />

Merkmale herangezogen wurden (Lorenz 1941). Trotzdem sind bei<br />

Vögeln, aber auch bei anderen Taxa nicht wenige Hybridisierungen dokumentiert<br />

worden (Randler 2002).<br />

Von den Weibchen ausgehende Selektion sollte also dazu führen, dass<br />

Männchen eindeutige Signale produzieren, anhand derer sie von Weibchen<br />

als adäquate Paarungspartner erkannt werden können. Die bekanntesten<br />

Beispiele für Arterkennung und reproduktive Isolierung durch weibliche<br />

Präferenzen für akustische Signale liefern Studien mit Amphibien und<br />

Heuschrecken. Bei vielen Fröschen und Kröten versammeln sich Männchen<br />

in der Nähe von Gewässern und rufen, um damit Weibchen anzulocken<br />

(Abb. 9.1). Laichbereite Weibchen können sich so zuverlässig einem<br />

Männchen derselben Art annähern. Nahverwandte Arten, die sich<br />

teilweise am selben Gewässer einfinden, unterscheiden sich in mehreren<br />

akustischen Merkmalen ihrer Werberufe (Ryan u. Rand 1993). In einfachen<br />

Wahlversuchen, in denen man ein Weibchen zwischen zwei Lautsprecher<br />

setzt und ihnen die Werberufe von Art A und Art B (oder Kontrolllaute)<br />

vorspielt, orientieren sich praktisch alle Weibchen zum<br />

Lautsprecher, aus dem der arteigene Ruf erklingt.<br />

Bei Grillen und Heuschrecken spielen die „Gesänge“, die Männchen<br />

durch Stridulation mit ihren Hinterbeinen erzeugen, die wichtigste Rolle<br />

bei der reproduktiven Isolation sympatrischer Arten, aber auch in den Kontaktzonen<br />

allopatrischer Arten (Stumpner u. von Helversen 1994). Wenn


9.1 Arterkennung 321<br />

Abb. 9.2. Arterkennung und Hybridisierung entlang einer Hybridzone. Bei Heuschrecken<br />

der Gattung Chorthippus kommt es zu Hybridisierungen zweier Arten<br />

(A und B), deren Männchen sich in ihren Werbegesängen und den bei der Produktion<br />

eingenommenen Körperhaltungen unterscheiden (Vedenina u. von Helversen<br />

2003)<br />

die Trennung von Arten mit aneinander grenzenden Verbreitungsgebieten<br />

deutlich ist, kommt es zur Ausbildung bimodaler Hybridzonen. Dabei gehören<br />

die meisten Individuen einer der beiden Elternarten an, wohingegen<br />

die Zahl der intermediären Hybriden gering ist (Jiggins u. Mallet 2000).<br />

Präzygotische Isolation von benachbarten Arten wird in solchen Hybridzonen<br />

durch assortative Verpaarungen und damit letztendlich durch Weibchenwahl<br />

hergestellt.<br />

Bei der Feldheuschrecke (Chorthippus albomarginatus) werden Weibchen<br />

zum Beispiel von mehreren „singenden“ Männchen umringt, die<br />

teilweise stundenlang ihre Balzlaute produzieren. In dieser Situation können<br />

Weibchen nicht nur die Artzugehörigkeit eines Männchens, sondern<br />

auch Korrelate ihrer Qualität direkt vergleichen. Die akustische Struktur<br />

der Laute verschiedener Arten sowie die Körperhaltungen der Männchen<br />

bei der Lautproduktion sind komplex und artspezifisch (Abb. 9.2). Da<br />

männliche Bastarde, wenn sie doch entstehen, in diesen Merkmalen intermediär<br />

zwischen den Elternarten sind, haben diese Arterkennungsmerkmale<br />

eine genetische Grundlage, wobei es bei der Hybridisierung auch<br />

manchmal zur Bildung neuer Elemente kommt, welche neues Rohmaterial<br />

für die sexuelle Selektion liefern können (Vedenina u. von Helversen<br />

2003). Bei Turteltauben (Streptopelia spp.) sind die Rufe von männlichen<br />

Hybriden nur in der Hybridzone darin effektiv, Rivalen fern zu halten, so


322 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

dass Rufe auch im Kontext der intrasexuellen Selektion zur Stabilisierung<br />

der Hybridzone beitragen können (den Hartog et al. 2007).<br />

Oft unterscheiden sich neu entstandene Arten daher zunächst nur in<br />

sekundären Geschlechtsmerkmalen, so dass vermutet wird, dass die Divergenz<br />

im Verhalten sogar für die Artbildung verantwortlich ist. Bei der<br />

Grillen-Gattung Laupala auf Hawaii, welche die höchste bekannte Speziationsrate<br />

bei Arthropoden aufweist, unterscheiden sich Arten scheinbar nur<br />

in ihren Gesängen (Mendelson u. Shaw 2005).<br />

Geruchliche Information spielt auch eine wichtige Rolle bei der Arterkennung.<br />

Urin von Säugetieren enthält olfaktorische Signale, die eine<br />

Unterscheidung von Arten, Unterarten, aber auch von Geschlecht und individueller<br />

Identität erlauben (z. B. Smadja u. Ganem 2002). Beim Zwerg-<br />

Schwertträger (Xiphophorus pygmaeus), einem kleinen lebendgebärenden<br />

Zahnkarpfen, haben Weibchen eine starke Präferenz für große Männchen,<br />

was das Risiko erhöht, sich mit einem Männchen der sympatrischen Art<br />

Xiphophorus cortezi zu verpaaren (Hankison u. Morris 2003). Allerdings<br />

präferieren sie olfaktorische Signale der eigenen Männchen über die der<br />

anderen Art, so dass hier die Geruchsinformation ein zusätzliches Signal<br />

liefert, welches dazu beiträgt, das Risiko von heterospezifischen Paarungen<br />

zu reduzieren. Wenn Größe und Geruch kombiniert werden, egalisieren<br />

sich die beiden Präferenzen, und es gibt keine klare Reaktion. Wenn man<br />

allerdings zusätzlich das artspezifische Streifenmuster zeigt, wird die Präferenz<br />

für Männchen der eigenen Art wieder deutlich. Diese und vermutlich<br />

viele andere Weibchen verlassen sich also nicht nur auf ein Merkmal<br />

bei der Artidentifikation.<br />

Ein bei Arten mit interner Fertilisation verbreiteter Mechanismus der<br />

Arterkennung besteht in der mechanischen Passgenauigkeit der Genitalien.<br />

Männliche Geschlechtsorgane sind dabei in komplexer Weise geformt,<br />

so dass diese häufig für Taxonomen und vermutlich auch für die<br />

jeweiligen Weibchen das verlässlichste Merkmal zur Artidentifikation darstellen<br />

(Abb. 9.3). Zur Erklärung der evolutionären Entstehung dieser<br />

Diversität in Form und Größe von Genitalien gibt es zwei Hypothesen.<br />

Nach der Schlüssel-und-Schloss-Hypothese fungieren komplexe Genitalien<br />

als präinseminatorischer Mechanismus zur Hybridisationsvermeidung,<br />

d. h. Verpaarungen mit artfremden Männchen sind möglich, aber die resultierenden<br />

Hybriden besitzen schlechter passende Genitalien und<br />

haben daher einen reduzierten Fortpflanzungserfolg. Demnach ist der<br />

Nachteil der Bastarde letztendlich für die Evolution von komplexen,<br />

mechanisch passenden Genitalien verantwortlich. Nach der Sexuellen-<br />

Selektions-Hypothese wirkt Selektion dagegen auf männliche Genitalien<br />

unter Bewertung ihres Fortpflanzungserfolges, das heißt nach der Insemi-


9.1 Arterkennung 323<br />

Abb. 9.3. Männliche Genitalien sind bei zahlreichen<br />

Insekten mit komplexen Anhängen und<br />

Auswüchsen versehen (hier beim Vierfleckigen<br />

Bohnenkäfer: Callosobruchus maculatus). Zwei<br />

evolutionäre Hypothesen erklären diese<br />

Formenvielfalt; eine davon postuliert eine<br />

Funktion in der Arterkennung<br />

nation. Demnach besitzt die (kryptische) Weibchenwahl ( Kap. 9.3) eine<br />

wichtige Rolle für die Ausbildung elaborierter männlicher Genitalien<br />

(Eberhard 1990).<br />

Ein Vergleich von Taxa mit unterschiedlichen Paarungssystemen erlaubt<br />

einen vergleichenden Test dieser beiden Hypothesen. In Arten mit monandrischen<br />

Weibchen, die sich also nur mit einem Männchen verpaaren,<br />

gibt es im Vergleich zu polyandrischen Arten geringe Varianz im männlichen<br />

Fortpflanzungserfolg und dementsprechend nur schwache Selektion<br />

auf die Anatomie männlicher Genitalien. Nach der Schlüssel-und-Schloss-<br />

Hypothese sollte dagegen bei monandrischen Arten der Selektionsdruck<br />

auf Passgenauigkeit der Genitalien größer sein. Bei einem Vergleich unabhängiger<br />

phylogenetischer Kontraste ( Kap. 1.4) der Genitalform zwischen<br />

monandrischen und polyandrischen Insektentaxa zeigte Göran<br />

Arnqvist (1998), dass die Genitalform in 18 von 19 solcher Vergleiche in<br />

vier Insektenordnungen innerhalb der polyandrischen Gruppen im Durchschnitt<br />

mehr als doppelt so variabel war als in monandrischen Gruppen. Da<br />

sich dieselben Gruppen in der Form anderer Körperteile wie Flügel oder


324 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Beine nicht unterscheiden, unterstreicht diese Studie die Bedeutung sexueller<br />

Selektionsmechanismen für die Entstehung von Diversität von männlichen<br />

Genitalien und suggeriert bestenfalls eine sekundäre Funktion bei<br />

der Arterkennung.<br />

9.1.2 Speziation<br />

Intersexuelle Selektion stellt aufgrund des erwähnten Selektionsdrucks auf<br />

Weibchen auch einen wichtigen Mechanismus der Artbildung dar. Eine<br />

Differenzierung einer Art in zwei Tochterarten kann durch intersexuelle<br />

Selektion erfolgen, wenn eine gleichzeitige Änderung von Partnerpräferenzen<br />

der Weibchen und sekundären Geschlechtsmerkmalen der Männchen<br />

innerhalb einer Population zu präzygotischer Isolation führt (Boughman<br />

2001). Präzygotische Isolation in Form von Partnerdiskriminierung<br />

ist die wichtigste Ursache von reproduktiver Isolation zwischen allopatrischen<br />

oder sekundär sympatrischen Populationen. Da sexuelle Selektion in<br />

diesem Fall direkt auf Merkmale wirkt, die an der Partnererkennung beteiligt<br />

sind, kann es dadurch schnell und unabhängig von Umweltbedingungen<br />

zu einer Divergenz zwischen Populationen kommen (Panhuis et al.<br />

2001). So können vor allem Unterschiede zwischen allopatrischen Populationen<br />

verstärkt werden, aber auch sympatrische Speziation kann sich dieses<br />

Mechanismus bedienen (Boul et al. 2007).<br />

Cichliden in den afrikanischen Seen stellen für die Untersuchung von<br />

Speziationsmechanismen eine besonders geeignete Gruppe dar, weil dort<br />

in den letzten Jahrtausenden Hunderte von Arten entstanden sind, die sich<br />

zum Teil ökologisch und morphologisch stark ähneln (Won et al. 2005). In<br />

der Gattung Pundamilia gibt es zum Beispiel zwei Schwesterarten (P.<br />

pundamilia und P. nyererei), deren Weibchen nur sehr schwer unterscheidbar<br />

sind, da sie ähnlich groß und kryptisch gefärbt sind. Die männlichen<br />

P. pundamilia sind dagegen bläulich gefärbt, wohingegen die P.<br />

nyererei-Männchen ein auffälliges rot-gelbes Muster besitzen. Maan et al.<br />

(2004) haben untersucht, ob P. nyererei-Weibchen letztendlich für die rote<br />

Farbe ihrer Männchen und damit für die Differenzierung dieser beiden Arten<br />

verantwortlich sind (Box 9.1).<br />

Der Zusammenhang zwischen sexueller Selektion und Speziation kann<br />

auch indirekt durch vergleichende Studien untersucht werden. Schon<br />

Darwin (1871) bemerkte, dass auffällige sekundäre Geschlechtsmerkmale<br />

in artenreichen Taxa konzentriert sind. Durch den Vergleich von Speziationsraten<br />

zwischen Schwestertaxa, die per Definition gleich viel Zeit zur<br />

Diversifizierung hatten, kann man überprüfen, ob das Auftreten von sexuell<br />

selektierten Ornamenten positiv mit Artendiversität korreliert ist. Bei


9.1 Arterkennung 325<br />

Box 9.1<br />

Weibchenwahl und Artbildung<br />

• Frage: Haben weibliche Präferenzen zur Artbildung bei Cichliden beigetragen?<br />

• Hintergrund: Die Weibchen zweier Arten (Pundamilia pundamilia und P.<br />

nyererei) sind zum Verwechseln ähnlich, wohingegen die Männchen sich<br />

deutlich unterscheiden (P. pundamilia: blau; P. nyererei: rot). Da die ursprüngliche<br />

Farbe von Pundamilia-Männchen blau ist, stellt sich die Frage,<br />

ob P. nyererei dadurch entstanden ist, dass deren Weibchen rote<br />

Männchen präferieren.<br />

• Methode: In Wahlversuchen wurden einzelnen P. nyererei-Weibchen<br />

zwei unterschiedlich rot gefärbte Männchen in separaten Aquarien präsentiert.<br />

Die Annäherungsreaktion der Weibchen auf verschiedene Komponenten<br />

des männlichen Balzverhaltens wurde quantifiziert.<br />

• Ergebnis: Weibchen zeigten eine signifikante Präferenz* für das jeweils<br />

intensiver rot gefärbte von zwei Männchen, die sich weder in ihrer Größe<br />

noch in der Intensität des Balzverhaltens unterschieden.<br />

• Schlussfolgerung: Weibliche P. nyererei haben eine starke Präferenz für<br />

rote Männchen. Diese vermutlich zufällig neu entstandene Präferenz hat<br />

zu einer raschen Trennung in zwei Arten geführt.<br />

Maan et al. 2004<br />

* gemessen als Zuschwimmen auf Männchen, die ein „seitliches display“, „Schütteln“<br />

oder „Voranschwimmen“ zeigen.<br />

Singvögeln wurde gezeigt, dass der Anteil der Arten mit Sexualdichromatismus<br />

in 12 von 15 unabhängigen Vergleichen in Kladen mit höherer Artendiversität<br />

größer ist (Barraclaugh et al. 1995). Stärker ornamentierte<br />

Singvogelarten haben im Durchschnitt auch mehr Unterarten (Møller u.<br />

Cuervo 1998), was darauf hindeutet, dass dort verstärkt taxonomische Differenzierungen<br />

im Gange sind.


326 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Wenn sich die Verbreitungsgebiete von polytypischen Arten mosaikartig<br />

aneinander fügen, können nach intensiver Ausbreitung Unterarten<br />

wieder mit der Ausgangspopulation in Kontakt treten und sich im sekundären<br />

Überschneidungsgebiet wie getrennte Arten verhalten. Dabei können,<br />

wie bei eurasischen Kohlmeisen (Parus major) oder der Herings- (Larus<br />

fuscus) und Silbermöwe (L. argentatus) Rassenkreise entstehen, an deren<br />

Ende trotz eines gemeinsamen Genpools zwei Rassen unvermischt sympatrisch<br />

vorkommen. Die mögliche Bedeutung der Weibchenwahl bei der<br />

Bildung von Rassenkreisen ist aber noch nicht gründlich untersucht (Edwards<br />

et al. 2005).<br />

Wenn zwei allopatrische Populationen nach längerer Trennung wieder<br />

aufeinander treffen, bevor die Artbildung abgeschlossen ist, kann Verstärkung<br />

dazu dienen, reproduktive Isolation herzustellen und den Artbildungsprozess<br />

abzuschließen. Verstärkung (reinforcement) kann dadurch<br />

bewerkstelligt werden, dass Tendenzen zu assortativen Paarungen<br />

existieren, es werden also ähnliche Phänotypen bevorzugt. In einer Studie<br />

an Fliegenschnäppern (Ficedula spp.) konnte gezeigt werden, dass die genetischen<br />

Grundlagen der Arterkennung durch Weibchen und der Erkennung<br />

artspezifischer männlicher Gefiederfärbung auf dem weiblichen<br />

Z-Chromosom gekoppelt sind (Sæther et al. 2007). Da diese Gene nur sehr<br />

unwahrscheinlich durch Rekombination auseinandergebrochen werden,<br />

könnte diese Koppelung eine wichtige Grundlage der Vermeidung von<br />

Hybridisation, und damit in diesem Fall der Artbildung, darstellen. Experimente<br />

mit Blau- und Kohlmeisen, bei denen Junge von der jeweils anderen<br />

Art aufgezogen wurden, zeigten, dass Prägung ( Kap. 10.5) auf die<br />

Morphologie der Eltern ebenfalls einen Einfluss auf spätere Partnerpräferenzen<br />

hat (Hansen et al. 2007). Wenn die Männchen zweier Arten sich<br />

äußerlich sehr ähnlich sind, kann weibliche Partnerwahl zu sehr ausgedehntem<br />

Balzverhalten führen; vermutlich damit Weibchen ein Maximum<br />

an Information sorgfältig auswerten können, um ein artfremdes Männchen<br />

zu vermeiden (Friberg et al. 2008).<br />

9.1.3 Wahl von artfremden Männchen<br />

Unter seltenen Umweltbedingungen können die genetischen Konsequenzen<br />

der Hybridisierung vorteilhaft sein, so dass Weibchen eine Präferenz<br />

für Männchen einer anderen Art zeigen. So bevorzugen weibliche Schaufelfußkröten<br />

(Spea bombifrons) in trockenen Jahren Männchen einer anderen<br />

Art (S. multiplicata), da sich deren Kaulquappen in kleinen, flachen<br />

Tümpeln schneller entwickeln (Pfennig 2007).


9.2 Inzestvermeidung 327<br />

Bei manchen Arten sind Weibchen dagegen auf artfremde Männchen<br />

zur Befruchtung ihrer Eier angewiesen. Bei diesem ungewöhnlichen Fortpflanzungssystem<br />

benötigen Weibchen Spermien einer anderen Art, entweder<br />

um ihre Eier zu befruchten (Hybridogenese) oder um die Reifung<br />

ihrer Embryonen zu stimulieren (Gynogenese). Das väterliche Erbgut wird<br />

aber in der Regel vor der Meiose eliminiert und nicht weitergegeben; es<br />

handelt sich daher um eine klonale Weitergabe des kompletten weiblichen<br />

Genoms. Dadurch sparen Weibchen dieser Arten die evolutionären Kosten<br />

der Männchen-Produktion ( Kap. 7.2). Außer bei einigen Wirbellosen<br />

finden sich solche Fortpflanzungssysteme bei manchen Fischen und Amphibien<br />

(z. B. Engeler u. Reyer 2001). Solche Arten entstehen durch Hybridisierung<br />

und produzieren nur weibliche Nachkommen, die daher Männchen<br />

anderer Arten erkennen und auswählen müssen. Die Koexistenz mit<br />

der jeweiligen Ausgangsart basiert daher teilweise auf der Partnerwahl<br />

durch Weibchen.<br />

Männchen sollten Paarungen mit hybridogenen oder gynogenen Weibchen<br />

einer nah verwandten Art eigentlich vermeiden, weil ihre Gene nicht<br />

weitergegeben werden. Da die sexuell parasitären Weibchen aber von<br />

deren Spermien abhängig sind, sollten Arten mit spermienabhängigem<br />

Fortpflanzungssystem eigentlich rasch aussterben. Eine mögliche Erklärung<br />

für die Existenz der gynogenen Arten könnte darin bestehen, dass die<br />

betreffenden Männchen entweder bei der Partnerwahl Fehler machen oder<br />

dass die Kosten für sie vernachlässigbar gering sind. Ein Experiment mit<br />

gynogenen Amazonen- (Poecilia formosa) und Breitflossenkärpflingen (P.<br />

latipinna) brachte einen direkten Vorteil heterospezifischer Paarungen<br />

durch P. latipinna-Männchen zu Tage: Mit Amazonenkärpflingen erfolgreiche<br />

Männchen werden auch von Weibchen der eigenen Art bevorzugt,<br />

auch wenn sie vorher nicht präferiert wurden (Schlupp et al. 1994).<br />

9.2 Inzestvermeidung<br />

Weibchen sollten auch darauf bedacht sein, neben artfremden Männchen<br />

gegen eine zweite Gruppe von Männchen bei der Paarung zu diskriminieren:<br />

nahe Verwandte. Paarungen zwischen Verwandten sollten vermieden<br />

werden, weil es aufgrund der Anhäufung homozygoter Allele zu Inzuchtdepression<br />

in Form einer Reduktion von Geburtsgewicht, Überlebens- und<br />

Fortpflanzungsraten sowie der Resistenz gegenüber Krankheiten oder ökologischen<br />

Stressoren kommt, deren Kosten ebenfalls großteils von den<br />

Weibchen getragen werden (Keller u. Waller 2002). Allein die Hemmung,<br />

sich mit verwandten Männchen fortzupflanzen, kann mit Kosten verbun-


328 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

den sein. Wenn man weibliche Striemengrasmäuse (Rhabdomys pumilio)<br />

im Experiment mit ihren Vätern aufwachsen lässt, zeigen sie im Vergleich<br />

zu Kontrollen, die mit fremden Männchen aufwachsen, verzögerte sexuelle<br />

Reifung und reduzierten Fortpflanzungserfolg (Pillay 2002). Weibchen<br />

sollten also Mechanismen entwickelt haben, anhand derer sie Männchen<br />

mit großer genetischer Ähnlichkeit erkennen und ablehnen, um das Risiko<br />

von inzestuösen Paarungen zu verringern.<br />

9.2.1 Mechanismen der Inzestvermeidung<br />

Die einfachste Möglichkeit, das Inzuchtrisiko zu vermindern, besteht<br />

darin, aus dem Geburtsgebiet abzuwandern. Dabei ist es ausreichend, wenn<br />

die Mitglieder eines Geschlechts abwandern. Welches Geschlecht abwandert,<br />

ist stark vom Paarungssystem abhängig ( Kap. 11.1). Bei monogamen<br />

Vögeln und Säugern wandern vor allem Weibchen ab, wohingegen<br />

bei polygynen Arten Männchen ihr Geburtsgebiet verlassen (Greenwood<br />

1980). Da bei polygynen Arten die Kosten der Inzucht die Weibchen stärker<br />

treffen, ist zu vermuten, dass sie durch die Wahl fremder Männchen<br />

die mit ihnen verwandten Männchen zur Abwanderung zwingen. Neben<br />

den empirischen Mustern haben auch theoretische Modellierungen gezeigt,<br />

dass weibliche Partnerwahl bei hohen Inzuchtkosten bei polygynen Arten<br />

zur Abwanderung der Männchen führt (Lehmann u. Perrin 2003).<br />

Manchmal kommt es aber zu keiner kompletten Abwanderung eines Geschlechts.<br />

Bei Vögeln mit kooperativer Brutfürsorge ( Kap. 10.4) bleiben<br />

beispielsweise geschlechtsreife Nachkommen bei ihren Eltern und unterstützen<br />

diese bei der Aufzucht der nächsten Brut. Wenn in solchen Gruppen<br />

das züchtende Männchen stirbt, findet sich das Weibchen plötzlich im<br />

Territorium seines ältesten Sohnes wieder. In dieser Situation wandern die<br />

meisten Weibchen ab und vermeiden so Paarungen mit ihrem Sohn (Cockburn<br />

et al. 2003).<br />

In anderen Fällen wandern Weibchen nicht weit genug ab, um bei anschließenden<br />

zufälligen Verpaarungen innerhalb lokaler Sub-Populationen<br />

Inzucht zu vermeiden. Hier kommt es vermutlich aufgrund der hohen Mortalitätsraten<br />

immer wieder zu frei werdenden Brutgelegenheiten, so dass<br />

die Abwanderung auf demografische Faktoren und nicht auf Partnerwahl<br />

zurückzuführen ist. Bei der Hausspitzmaus (Crocidura russula) kommt es<br />

so zu überzufällig häufigen Verpaarungen zwischen Verwandten, wodurch<br />

auf Populationsebene ein Defizit an Heterozygoten entsteht, was aber keine<br />

bemerkbaren phänotypischen Nachteile zur Folge hat (Duarte et al.<br />

2003). Ein weiteres Beispiel für fehlende Verwandtendiskriminierung


9.2 Inzestvermeidung 329<br />

stammt von einer Ameisenart mit mehreren Königinnen, die in ihrem Geburtsnest<br />

verbleiben und sich darin verpaaren. Genetische Verwandtschaftsanalysen<br />

in 26 Kolonien von Argentinischen Ameisen (Linepithema<br />

humile) haben gezeigt, dass deren Königinnen sich zufällig mit verfügbaren<br />

Männchen verpaaren, also nicht gegen Verwandte diskriminieren<br />

(Keller u. Fournier 2002). Möglicherweise sind die tatsächlichen Kosten<br />

der Inzucht bei dieser Art ebenfalls gering. Geschlechtsspezifische Abwanderung<br />

findet also nicht immer statt, und in solchen Fällen scheint es nicht<br />

immer andere Mechanismen zur Verwandtenerkennung und -vermeidung<br />

zu geben.<br />

Bei limitierten Abwanderungsmöglichkeiten kann Inzestvermeidung<br />

das Fortpflanzungsverhalten von Weibchen trotzdem nachhaltig beeinflussen.<br />

So ist bei Damaraland-Graumullen (Cryptomys damarensis) die Fortpflanzung<br />

auf ein dominantes Weibchen beschränkt. Neue Kolonien werden<br />

von einem nicht miteinander verwandten Pärchen gegründet. Die<br />

ausbleibende Fortpflanzung der in diese Kolonie hinein geborenen Weibchen<br />

könnte proximat dadurch zu erklären sein, dass sie keinen Zugang zu<br />

nicht-verwandten Männchen haben. Wenn man nämlich die Männchen einer<br />

Kolonie (aber nicht das dominante Weibchen) experimentell gegen<br />

fremde Männchen austauscht, wird bei den meisten reproduktiv unterdrückten<br />

Weibchen sexuelle Aktivität ausgelöst (Cooney u. Bennett 2000).<br />

Normalerweise ist bei Graumull-Weibchen das Partnerwahlverhalten also<br />

teilweise dadurch unterdrückt, dass keine geeigneten Männchen zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Ein ähnliches Problem stellt sich für Weibchen, deren Auswahl an<br />

nicht-verwandten Partnern eingeschränkt ist. Diese verpaaren sich<br />

manchmal mit Männchen, mit denen sie abstammungsidentische Allele teilen.<br />

Bei mehreren Arten von arktischen Strandläufern (Calidris mauri,<br />

Abb. 9.4. Bei Bergstrandläufern<br />

(Calidris<br />

mauri) kommt es regelmäßig<br />

zu Verpaarungen<br />

zwischen verwandten<br />

Tieren, obwohl sie<br />

genetische Ähnlichkeit<br />

bestimmen können


330 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Actitis hypoleuca und Charadrius alexandrinus, Abb. 9.4) kommt es aus<br />

nicht genau bekannten Gründen regelmäßig zu solchen Verpaarungen zwischen<br />

Verwandten. Beide Geschlechter beteiligen sich am Bebrüten der<br />

Eier, wobei Männchen aber deutlich mehr investieren. Fremde Junge in<br />

einem Nest können also auf Verpaarungen des Weibchens mit einem zweiten<br />

Männchen zurückzuführen sein oder aus Eiern stammen, die fremde<br />

Weibchen in das gemeinsame Nest gelegt haben und die dann vom Männchen<br />

ausgebrütet wurden. Ein Vergleich der Häufigkeit von Jungen, die<br />

nicht von den beiden Paarpartnern stammen, mit der genetischen Ähnlichkeit<br />

zwischen Männchen und Weibchen ergab, dass der Anteil fremder<br />

Jungen mit zunehmender genetischer Ähnlichkeit zwischen den sozialen<br />

Eltern zunahm (Blomqvist et al. 2002). Das „Fremdgehen“ kann in diesem<br />

Fall als Anpassung zur Vermeidung der genetischen Nachteile von Verpaarungen<br />

mit Verwandten interpretiert werden. Diese Tiere können also<br />

offenbar ihre genetische Ähnlichkeit mit Artgenossen bestimmen, verpaaren<br />

sich aber trotzdem manchmal mit Verwandten.<br />

Da der Fortpflanzungserfolg in manchen Arten stark zu Gunsten von<br />

dominanten Männchen verschoben ist ( Kap. 8.4), kann es dazu kommen,<br />

dass die Jungen verschiedener Weibchen derselben Alterskohorte<br />

denselben Vater haben. In diesem Fall sollten also Verpaarungen zwischen<br />

Individuen, die über die väterliche Linie miteinander verwandt sind, vermieden<br />

werden. Bei Savannenpavianen (Papio cynocephalus) wurde entsprechend<br />

dieser Erwartung beobachtet, dass sexuelle Interaktionen zwischen<br />

Geschwistern mit demselben Vater seltener auftraten als zwischen<br />

nicht miteinander verwandten Tieren (Alberts 1999). Zu diesem Problem<br />

kommt es also, wenn Geschlechtsreife und Abwanderung nicht strikt gekoppelt<br />

sind und sich zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Bei<br />

polygynen Säugetieren, bei denen Männchen länger in einer Fortpflanzungsposition<br />

sind als die Weibchen zum Erreichen der Geschlechtsreife<br />

benötigen, wandern die Weibchen ausnahmsweise aus ihrer Geburtsgruppe<br />

ab (Clutton-Brock 1989), offensichtlich um Paarungen mit ihren Vätern zu<br />

vermeiden.<br />

Neben präkopulatorischen Mechanismen der Inzestvermeidung scheint<br />

es Weibchen auch möglich zu sein, nach multiplen Verpaarungen selektiv<br />

gegen die Spermien von verwandten Männchen zu diskriminieren<br />

(Abb. 9.5). In einem Experiment wurden weibliche Mittelmeerfeldgrillen<br />

(Gryllus bimaculatus) entweder mit zwei Brüdern, zwei nicht-verwandten<br />

oder je einem verwandten und nicht-verwandten Männchen verpaart und<br />

die Anzahl der später geschlüpften Jungen gezählt (Tregenza u. Wedell<br />

2002). Nach Verpaarungen mit zwei Brüdern schlüpften aus den resultierenden<br />

befruchteten Eiern deutlich weniger Nachkommen als in den anderen<br />

Kombinationen. Da sich der Fortpflanzungserfolg nach Paarungen mit


9.2 Inzestvermeidung 331<br />

Abb. 9.5. Polyandrie als möglicher Mechanismus der Inzestvermeidung. Wenn<br />

weibliche Grillen mit zwei Männchen verpaart werden, schlüpfen aus Eiern, die in<br />

Verpaarungen mit zwei Brüdern (B + B) befruchtet wurden, deutlich weniger<br />

Nachkommen, als wenn sie sich mit Brüdern (B) oder Nicht-Verwandten (N-V) in<br />

anderen Kombinationen verpaaren<br />

einem Verwandten und einem Nicht-Verwandten (unabhängig von deren<br />

Paarungsreihenfolge) nicht vom Schlüpferfolg nach Paarungen mit zwei<br />

fremden Männchen unterschied, müssen die Weibchen die Spermien der<br />

fremden Männchen selektiv bevorzugt haben. Falls dieser kryptische<br />

postkopulatorische Mechanismus ( Kap. 9.3) weit verbreitet ist, kann<br />

man polyandrische Verpaarungen ( Kap. 9.6) von Weibchen ebenfalls<br />

als einen Mechanismus zur Inzuchtvermeidung interpretieren.<br />

9.2.2 Verwandtenerkennung<br />

In den Fällen, in denen Weibchen versuchen, Paarungen mit verwandten<br />

Männchen zu vermeiden, benötigen sie proximate Mechanismen der Verwandtenerkennung.<br />

Dafür sind drei Komponenten notwendig: (1) Existenz<br />

eines phänotypischen Signals, das genetische Ähnlichkeit kodiert, (2)<br />

Wahrnehmung und (3) Abgleich dieses Signals mit einer internen template,<br />

d. h. einer zumeist erlernten internen Repräsentation eines Erwartungswerts,<br />

der anhand von Interaktionen mit externen Referenten gebildet<br />

wird (Sherman et al. 1997). In manchen Arten wird eine solche template<br />

auch unter dem Einfluss eigener Merkmale gebildet (Hauber u. Sherman


332 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

2001); die Vorstellung, wie Verwandte riechen, wird zum Beispiel durch<br />

den eigenen Geruch geformt.<br />

Die Diskriminierung zwischen Artgenossen mit unterschiedlichem<br />

Verwandtschaftsgrad spielt auch bei vielen Aspekten des Sozialverhaltens<br />

eine wichtige Rolle. Viele Untersuchungen der Mechanismen der Verwandtenerkennung<br />

wurden daher vor dem Hintergrund anderer Fragestellungen<br />

durchgeführt ( Kap. 11.3).<br />

Bislang gibt es Hinweise auf die Existenz von vier Mechanismen der<br />

Verwandtenerkennung. Die einfachste Form der Kategorisierung von Artgenossen<br />

in Verwandte und Nicht-Verwandte besteht darin, aus räumlicher<br />

Information auf die Zugehörigkeit zur Klasse der Verwandten zu<br />

schließen. Das ist dann möglich, wenn sich Verwandte in sehr heterogenen<br />

Lebensräumen mit sehr hohen Wahrscheinlichkeiten nur an bestimmten<br />

Stellen befinden. Manche Vögel betrachten und behandeln zum Beispiel<br />

alle Jungtiere in ihrem Nest als Nachkommen, ignorieren aber eigene Junge,<br />

die sich nur wenig außerhalb des Nests befinden (Beecher 1991). Dieser<br />

Mechanismus wird von Brutparasiten (z. B. Kuckuck, Cuculus canorus)<br />

ausgenutzt, da die adulten Wirts-Vögel auch diese fremden Eier<br />

ausbrüten und die daraus schlüpfenden Jungen wie ihre eigenen füttern<br />

(Kilner et al. 1999). Aus dem Bereich der Partnerdiskriminierung ist bislang<br />

aber kein Beispiel bekannt, das auf diesem Mechanismus beruht.<br />

Eine zweite Form der Verwandtenerkennung beruht auf einem Phänotyp-Abgleich.<br />

Man stellt sich dabei vor, dass Individuen eine interne<br />

template von Verwandtschaft mit dem beobachteten Phänotyp abgleichen.<br />

Dieser Mechanismus wird postuliert, wenn Tiere ohne vorherigen Kontakt<br />

Verwandte erkennen oder zwischen bekannten, aber unterschiedlich nah<br />

verwandten Individuen unterscheiden (Box 9.2). Die eigentliche Erkennung<br />

kann aufgrund unterschiedlichster Signale erfolgen. Viele Wirbellose<br />

tragen koloniespezifische Geruchsstoffe an der Körperoberfläche, die<br />

durch direkten Körperkontakt weitergegeben werden und in diesem Zusammenhang<br />

eine Bedeutung haben (Linsenmair 1987). Bei Goldenen<br />

Hamstern (Mesocricetus auratus) erfolgt die Verwandtenerkennung ebenfalls<br />

über olfaktorische Signale, die mit dem Eigengeruch verglichen werden<br />

(Mateo u. Johnston 2000). Bei Primaten gibt es Hinweise dafür, dass<br />

visuelle Merkmale des Gesichts oder strukturelle Merkmale akustischer<br />

Signale zwischen Verwandten ähnlicher sind als zwischen Nicht-<br />

Verwandten (Rendall 2004).<br />

Ein dritter Mechanismus der Verwandtenerkennung besteht in der<br />

direkten Erkennung des Verwandtschaftsgrades anhand eines möglichst<br />

zuverlässigen Korrelates. Da genetische Ähnlichkeit selbst nicht direkt<br />

detektiert werden kann, sollte es sich dabei um ein möglichst unmittelbares<br />

Genprodukt handeln. Die Gene des Haupthistokompatibilitäts-Komplexes


9.2 Inzestvermeidung 333<br />

Box 9.2<br />

Verwandtenerkennung und Inzestvermeidung<br />

• Frage: Vermeiden weibliche Schaben (Blattella germanica) verwandte<br />

Männchen und wodurch werden diese erkannt?<br />

• Hintergrund: Schaben leben in Aggregationen mit überlappenden Generationen.<br />

Abwanderung findet nicht statt. Weibchen produzieren Ootheken,<br />

aus denen Kohorten von ca. 40 Jungen heranwachsen. Es gibt daher<br />

ein großes Potential für Inzucht. Weibchen paaren sich nur einmal.<br />

• Methode: Durch Zuchtexperimente wurden fünf Kategorien von Adulten<br />

erzeugt, die sich in ihrem Bekanntheits- und Verwandtschaftsgrad (Geschwister<br />

(r = 0,5), eigener (0 ≤ r < 0,5) oder fremder (r = 0) Stamm) unterschieden.<br />

Weibchen wurde die Wahl gegeben, sich mit zwei Männchen<br />

aus unterschiedlichen Klassen zu paaren. Gemessen wurde der Anteil der<br />

gewählten Männchen aus beiden Kategorien.<br />

• Ergebnis: Weibchen präferierten fremde Stammmitglieder über bekannte<br />

Geschwister (I). Sowohl zwischen Geschwistern als auch Fremden diskriminierten<br />

Weibchen nicht gegen bekannte Männchen (II, III). Unbekannte<br />

Stammmitglieder wurden gegenüber fremden Geschwistern (IV),<br />

aber nicht gegenüber fremden Nicht-Verwandten (V) bevorzugt. Körpergröße<br />

hatte keinen Einfluss darauf, welches Männchen zur Kopulation<br />

kam.<br />

• Schlussfolgerung: Weibliche Schaben erkennen und diskriminieren gegen<br />

nah verwandte Männchen. Die Erkennung basiert nicht auf Bekanntheit,<br />

sondern auf einen Phänotyp-Abgleich genetischer Information.<br />

Lihoreau et al. 2007


334 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

(major histocompatibility complex, MHC) sind prinzipiell dafür geeignet.<br />

Sie produzieren unterschiedliche Moleküle, die Fremd- und Eigenpeptide<br />

in der Zelle greifen und an der Oberfläche den T-Lymphozyten zur Unterscheidung<br />

präsentieren. Je mehr MHC-Allele ein Individuum hat, umso<br />

größer ist sein Spektrum von MHC-Molekülen und umso größer ist dadurch<br />

das Spektrum von Parasitenpeptiden, das den T-Lymphozyten präsentiert<br />

werden kann. Diese präsentierten Peptide sind sozusagen eine<br />

Blaupause der MHC-Moleküle und signalisieren Informationen über den<br />

MHC-Genotyp dieses Individuums an Sozialpartner, z. B. Partner wählende<br />

Weibchen ( Kap. 9.5). MHC-abhängige Geruchsinformation kann von<br />

Nagern benutzt werden, um genetische Ähnlichkeit festzustellen (Leinders-Zufall<br />

et al. 2004), aber ein spezifischer Einsatz dieser Information<br />

zur Inzestvermeidung wurde bislang noch nicht nachgewiesen (Mateo<br />

2003).<br />

Da Verwandtenerkennung per se nicht möglich ist, sondern bestenfalls<br />

die Ähnlichkeit von Allelen an mehreren Genloci über deren Produkte<br />

festgestellt werden kann, verlassen sich Individuen vieler Arten auf einen<br />

einfacheren Mechanismus, der unter natürlichen Bedingungen recht zuverlässig<br />

arbeitet: Bekanntheit. Dabei werden Individuen, mit denen man<br />

aufgewachsen ist oder die man im Lauf der frühen Individualentwicklung<br />

als Verwandte kennen gelernt hat, von Fremden unterschieden. Diese Bekanntheit<br />

wird oft während einer sensiblen Phase, die vor Erreichen der<br />

Geschlechtsreife abgeschlossen ist, in einem prägungsähnlichen Vorgang<br />

( Kap. 10.5) erworben und festgelegt. Welche Signale proximat daran<br />

beteiligt oder von besonderer Bedeutung sind, ist allerdings nicht klar.<br />

Dieser Mechanismus lässt sich experimentell elegant mit Umsetzungsversuchen<br />

demonstrieren. Jungtiere, die mit Fremden aufgezogen werden,<br />

präferieren diese später als Sozialpartner und vermeiden sie als Paarungspartner<br />

gegenüber getrennt von ihnen aufgewachsenen Geschwistern.<br />

Dieser Mechanismus verhindert auch Paarungen zwischen Eltern und<br />

ihren Jungen. Bei Striemengrasmäusen zeigen Töchter, die mit dem biologischen<br />

Vater oder mit experimentellen Stiefvätern aufwachsen, dieselben<br />

Verzögerungen und Reduktionen des Fortpflanzungsverhaltens (Pillay<br />

2002). Junge Weibchen, die man kurz nach der Geburt zwischen Zuchtpaaren<br />

austauschte, wurden, nachdem sie entwöhnt waren, entweder mit ihrem<br />

biologischen Vater oder dem Männchen, mit dem sie aufgewachsen sind,<br />

zusammengesetzt. Von jeweils 15 Weibchen pflanzten sich 9 mit dem biologischen,<br />

aber für sie fremden Vater fort, wohingegen dies nur ein Weibchen<br />

mit dem Stiefvater tat. Die Erkennung und Diskriminierung von<br />

Verwandten als potentiellen Paarungspartnern basiert hier also eindeutig<br />

nicht auf einem Phänotypen-Abgleich, sondern auf dem Bekanntheitsgrad.


9.3 Mechanismen der Partnerwahl 335<br />

Bei Schaben wurde dagegen gezeigt, dass Bekanntheit bei der Verwandtendiskriminierung<br />

keine Rolle spielt (Box 9.2).<br />

9.3 Mechanismen der Partnerwahl<br />

Die Frage, wie Weibchen ihre Paarungspartner auswählen, ist zu unterscheiden<br />

von der Frage, nach welchen Kriterien sie ihre Wahl treffen.<br />

Wenn Weibchen vor dem Problem stehen, einen Fortpflanzungspartner<br />

auszuwählen, spielen dabei neben ultimaten Aspekten der Fitnessmaximierung<br />

( Kap. 9.5) auch eine Reihe von proximaten Verhaltensaspekten eine<br />

Rolle. Die Frage nach dem „Wie“ liefert also ergänzende Antworten auf<br />

die Frage, warum ein Weibchen ein bestimmtes Männchen gewählt hat<br />

( Kap. 1.3).<br />

Eine Paarungspräferenz kann definiert werden als „alle sensorischen<br />

und verhaltensbiologischen Merkmale, welche die Bereitschaft, sich mit<br />

einem bestimmten Phänotyp zu verpaaren, beeinflussen“ (Jennions u.<br />

Petrie 1997). Bei der Untersuchung von Paarungspräferenzen kann man<br />

zwischen drei Determinanten unterscheiden (Abb. 9.6). Erstens unterschei-<br />

Abb. 9.6. Determinanten von Paarungspräferenzen. Paarungspräferenzen werden<br />

von einer Präferenzfunktion, einer bestimmten Erhebungstaktik und der Selektivität<br />

der Weibchen beeinflusst. Diese Komponenten sind mit anderen Aspekten der<br />

sexuellen Selektion vernetzt


336 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

den sich Weibchen darin, wie wählerisch sie sind, also wie viel Zeit und<br />

Energie sie bereit sind, in die Partnersuche zu investieren (choosiness).<br />

Zweitens unterscheiden sich Weibchen darin, wie sie Informationen über<br />

potentielle Partner erhalten (sampling tactic). Schließlich werden drittens<br />

Partnerpräferenzen auch durch Präferenzfunktionen beeinflusst (preference<br />

function), die darüber entscheiden, wie potentielle Partner in eine Rangfolge<br />

gebracht werden (Widemo u. Sæther 1999).<br />

9.3.1 Selektivität der Weibchen<br />

Männchen investieren generell mehr in die Suche von potentiellen Partnerinnen<br />

(„males go where the females are“, Altman 1990), so dass viele<br />

Weibchen zwischen werbenden Männchen wählen können. Bei Arten mit<br />

Lek-Paarungssystem kommen dagegen die Weibchen zu Balzarenen, wo<br />

sie mehrere potentielle Partner gleichzeitig direkt miteinander vergleichen<br />

und sich mit ausgewählten Männchen verpaaren können. Bei anderen<br />

Arten verteidigen Männchen individuelle Territorien und werden dort von<br />

paarungsbereiten Weibchen aufgesucht. Wieder andere Arten leben in<br />

permanent bisexuellen Gruppen, d. h. potentielle Paarungspartner leben<br />

ganzjährig zusammen und die Weibchen kennen die zur Auswahl stehenden<br />

Männchen genau. Unter diesen unterschiedlichen Bedingungen benötigen<br />

Weibchen bestimmte Kriterien und Taktiken, mit deren Hilfe sie<br />

Männchen suchen, vergleichen und sich letztendlich für eines oder mehrere<br />

entscheiden.<br />

Eine erste Unterscheidung bei der Analyse des Wahlverhaltens betrifft<br />

die zwischen aktiver und passiver Wahl. Wenn Männchen die Initiative ergreifen,<br />

paarungsbereite Weibchen aufsuchen und zu Kopulationen auffordern,<br />

haben Weibchen die Möglichkeit, auf diese Aufforderungen einzugehen<br />

oder sie abzulehnen. Da Kopulationen physische Kooperation durch<br />

die Weibchen voraussetzen, können sie nicht zu Paarungen gezwungen<br />

werden (siehe aber Kap. 9.8). Durch Wegbewegen oder Hinsetzen können<br />

sie beispielsweise die Aufforderungen bestimmter Männchen ins Leere<br />

laufen lassen und damit eine vergleichsweise passive Wahl zum Ausdruck<br />

bringen. Demgegenüber können Weibchen sich aktiv auf die Suche nach<br />

Paarungspartnern machen und selbst auserwählte Männchen zu Paarungen<br />

auffordern. Eine solche aktive Wahl ist vor allen auf Leks und in Arten<br />

mit territorialen Männchen erkennbar, wird aber auch von Weibchen in<br />

vielen gruppenlebenden Arten praktiziert (Sullivan 1989).<br />

In jedem Fall spielt die Selektivität der Weibchen eine wichtige Rolle.<br />

Weibchen bei manchen Arten, wie zum Beispiel der Galapagos-Meerechse<br />

(Amblyrhynchus cristatus), verpaaren sich pro Saison nur einmal mit


9.3 Mechanismen der Partnerwahl 337<br />

einem Männchen (Trillmich 1983); manche Zikaden (Magicicada spp.)<br />

nur einmal im Leben (Cooley u. Marshall 2004). Viele Singvogel-Weibchen<br />

wählen dagegen einen festen Partner, verpaaren sich aber gelegentlich<br />

zusätzlich mit einem oder mehreren weiteren Männchen; es kommt zu<br />

extra-pair copulations (EPCs). Bei Blaumeisen (Cyanistes caeruleus)<br />

stammen beispielsweise 11–14% aller Jungen in einer Population nicht<br />

vom sozialen Partner eines Weibchens (Kempenaers et al. 1997). Weibliche<br />

Schimpansen (Pan troglodytes) oder Löwinnen (Panthera leo) kopulieren<br />

dagegen hundertfach pro Konzeption mit praktisch allen Männchen<br />

ihrer Gruppe. Weibliche Graue Mausmakis (Microcebus murinus) kopulieren<br />

in einem Zeitfenster von wenigen Stunden pro Jahr mit jedem Männchen,<br />

das Interesse zeigt, wehren sich aber aggressiv gegen jeglichen Annäherungsversuch<br />

davor oder danach (Eberle u. Kappeler 2004). Wenn<br />

sich Weibchen nur mit einem oder vielen Männchen verpaaren, erfordert<br />

dies unterschiedliche Wahlkriterien. Monandrische Weibchen sollten daher<br />

sehr viel wählerischer sein und benötigen möglicherweise sehr viel mehr<br />

Zeit und Energie, um das eine Männchen zu finden, als polyandrische<br />

Weibchen, die sich scheinbar unselektiv verpaaren.<br />

9.3.2 Erhebungstaktiken<br />

Da es individuelle Variabilität zwischen Männchen gibt, sollte es für<br />

Weibchen nicht gleichgültig sein, mit wem sie sich verpaaren. Daher sollte<br />

Selektion diejenigen Weibchen belohnt haben, die ein möglichst hochwertiges<br />

Männchen mit möglichst geringen Kosten finden. Um unterschiedliche<br />

Erhebungstaktiken (sampling tactic) im Rahmen der Weibchenwahl<br />

zu verstehen, müssen daher vor allem die Partnerqualität und die Kosten<br />

der Partnersuche berücksichtigt werden (Gibson u. Langen 1996). In Bezug<br />

auf die Qualität potentieller Paarungspartner gibt es drei Möglichkeiten.<br />

Erstens kann es absolute Qualitätsunterschiede zwischen Männchen<br />

geben, so dass es ein bestes Männchen gibt, das alle Weibchen finden und<br />

wählen sollten. Zweitens kann es für jedes Weibchen ein für sie individuell<br />

bestes Männchen geben, so dass verschiedene Weibchen nach unterschiedlichen<br />

Partnern suchen. Schließlich ist es drittens auch möglich, dass<br />

Weibchen nur bestimmte Minimalanforderungen haben, die mehrere<br />

Männchen ihrer Population erfüllen. Die konkreten Qualitätsmerkmale, die<br />

Weibchen verschiedener Arten bewerten, unterscheiden sich zwischen Arten;<br />

sie können Männchen nach direkten Vorteilen, nach genetischen<br />

Merkmalen oder nach ihrer Eignung als Helfer bei der Jungenaufzucht<br />

auswählen. Bei Prärieammern (Calamospiza melanocorys) wurde zudem<br />

gezeigt, dass Weibchen in aufeinander folgenden Jahren unterschiedliche


338 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Abb. 9.7. Erhebungstaktiken<br />

bei der Partnerwahl. Wie bei<br />

diesen madagassischen Fröschen<br />

(Aglyptodactylus securifer)<br />

gibt es kein absolut<br />

bestes Männchen, das alle<br />

wählen sollten. Stattdessen<br />

wählt jedes Weibchen das<br />

für sie aufgrund bestimmter<br />

Kriterien beste Männchen<br />

männliche Ornamente bevorzugen (Chaine u. Lyon 2008); die Wahlkriterien<br />

können also auch plastisch sein.<br />

Beobachtungen an zahlreichen Arten haben gezeigt, dass die Wahl<br />

niemals einstimmig erfolgt (Abb. 9.7). Dies könnte damit zu tun haben,<br />

dass (1) dominante Weibchen das beste Männchen für sich monopolisieren,<br />

dass (2) diese besten Männchen, falls es sie gibt, nicht genügend<br />

Zeit, Energie und Spermien besitzen, um alle Weibchen zu befruchten,<br />

dass (3) manche Männchen hohe Qualität vortäuschen oder dass (4) Weibchen<br />

sich aus eigennützigen Gründen nicht auf ein Männchen beschränken,<br />

sondern sich mit mehreren Männchen verpaaren wollen ( Kap. 9.6). Da<br />

es außerdem für Weibchen unmöglich ist, alle Männchen einer Population<br />

zu treffen und zu bewerten, ihnen also die perfekte Information fehlt (Wikelski<br />

et al. 2001), gehen theoretische Modelle der aktiven Partnerwahl<br />

nicht davon aus, dass Weibchen auf der Suche nach dem absolut besten<br />

Männchen (best male) sind.<br />

Stattdessen wird angenommen, dass Weibchen potentielle Partner sequentiell<br />

treffen, wobei diese zufällig in ihrer Qualität variieren, und dass<br />

Weibchen diese Qualitätsunterschiede korrekt feststellen können (Janetos<br />

1980). Unter diesen Annahmen sind drei Taktiken möglich (Abb. 9.8).<br />

Zum einen können Weibchen eine bestimmte Anzahl von Männchen besuchen<br />

und anschließend den Besten (best of n) aus dieser Stichprobe<br />

auswählen. Andererseits könnten Weibchen auch mehrere Männchen besuchen,<br />

bis sie auf einen treffen, dessen Qualität einen bestimmten Schwellenwert<br />

überschreitet (threshold rule). Da Weibchen in Wirklichkeit<br />

Männchen oft nicht zufällig treffen, scheint auch noch eine dritte Taktik<br />

verwirklicht zu sein, die auf sequentiell hierarchischen Eingrenzungen<br />

basiert. Demnach konzentrieren sich Weibchen aufgrund individueller<br />

Präferenzen oder aus der Ferne verfügbarer Information auf eine Unter-


9.3 Mechanismen der Partnerwahl 339<br />

Abb. 9.8. Taktiken der Partnerwahl. Bei der Best-of-n-Taktik (oben) wird eine bestimmte<br />

Anzahl Männchen verglichen und anschließend das Beste gewählt. Wenn<br />

es einen Schwellenwert für die Qualität der Männchen gibt (Mitte), wird das erste<br />

Männchen gewählt, das diesen Schwellenwert erreicht. Bei der sequentiell hierarchischen<br />

Eingrenzung (unten) erfolgen stufenweise Vorauswahlen nach unterschiedlichen<br />

Kriterien, bis der Richtige gefunden ist<br />

gruppe von Männchen, unter denen dann nach einem anderen Kriterium<br />

ausgewählt wird (Mays u. Hill 2004).<br />

Welche dieser Taktiken in einem konkreten Fall vorteilhafter ist, hängt<br />

vor allem von den Suchkosten ab. Neben den energetischen Kosten des<br />

Suchens tragen das Prädationsrisiko, die voranschreitende Zeit (ist für Arten,<br />

die sich aus ökologischen Gründen nur innerhalb eines kurzen Zeitfensters<br />

fortpflanzen können, bedeutsam), die Gefahr, von besuchten<br />

Männchen sexuell belästigt zu werden, sowie das Risiko, einen akzeptablen<br />

Partner an ein anderes Weibchen zu verlieren, zu diesen Kosten bei.<br />

Mit zunehmenden Kosten sollten Weibchen weniger wählerisch sein und<br />

dementsprechend weniger Männchen aufsuchen bzw. ihre Qualitätsschwelle<br />

absenken, was z. B. Stichlings-Weibchen (Gasterosteus aculeatus)<br />

tun (Milinski u. Bakker 1992). Die Entscheidung, die Suche an einem<br />

bestimmten Punkt abzubrechen, hängt auch von der Wahrscheinlichkeit ab,<br />

mit der unter Berücksichtigung zusätzlicher Kosten noch ein Männchen<br />

besserer Qualität gefunden werden kann. Wenn dieser Faktor in theoretischen<br />

Modellen einbezogen wird, erweist sich die Schwellenwert-Taktik<br />

im Durchschnitt immer als effizienter als die Best-of-n-Taktik (Real 1990),


340 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

da mit ihr weitere Kosten vermieden werden, wenn ein akzeptables Männchen<br />

relativ schnell gefunden wird. Wenn die Suchkosten gering sind, sollten<br />

Weibchen dagegen mehrere Männchen besuchen und sich anschließend<br />

für das Beste aus dieser Stichprobe entscheiden.<br />

Bei langlebigen Arten könnten Suchtaktiken und Wahlentscheidungen<br />

auch durch Erfahrungen aus vorangegangenen Entscheidungen beeinflusst<br />

werden. Weibchen, die sich zum ersten Mal verpaaren, und solche,<br />

die im letzten Brutzyklus ein Männchen hoher oder geringer Qualität<br />

hatten, sollten daher unterschiedlich lange suchen. Dass Weibchen ihre<br />

Suchtaktik erfahrungsabhängig anpassen, wurde an Seidenlaubvögeln (Ptilonorhynchus<br />

violaceus) nachgewiesen. Deren Weibchen besuchen nacheinander<br />

mehrere Männchen, die Jahr für Jahr an derselben Laube auf<br />

Damenbesuch warten. Mit Daten aus simultanen Videoaufzeichnungen an<br />

mehr als 30 Lauben konnten Uy et al. (2000) zeigen, dass Weibchen, die<br />

im Vorjahr besonders attraktive Männchen gewählt hatten, sich im folgenden<br />

Jahr wieder mit diesen verpaarten und weniger andere Männchen besuchten<br />

als Weibchen, die im Vorjahr ein weniger attraktives Männchen<br />

gewählt hatten. Letztere wählten dieses Männchen in der Regel nicht wieder<br />

und suchten länger. Attraktive Männchen wurden dabei über ihren unabhängigen<br />

Paarungserfolg mit anderen Weibchen definiert.<br />

9.3.3 Proximate Grundlagen der Wahl<br />

Die Präferenzfunktion, mit deren Hilfe potentielle Partner in eine Rangfolge<br />

gebracht werden, beschreibt den Zusammenhang zwischen der Stärke<br />

eines männlichen Reizes und der dazu gehörenden weiblichen Reaktion.<br />

In diesem Kontext spielen also vor allem sensorische Prozesse und angeborene<br />

Erwartungsmuster eine Rolle. Eine grundlegende Annahme der<br />

Theorien der Partnerwahl besteht darin, dass Paarungspräferenzen, soweit<br />

sie evolutionär von Belang sind, angeboren sind und an die eigenen Nachkommen<br />

weitergegeben werden (Bakker u. Pomiankowski 1995). Das<br />

heißt, die sensorischen und neurobiologischen Grundlagen einer Entscheidung<br />

sind innerhalb eines gewissen Rahmens vorgegeben. Solche angeborenen<br />

Präferenzen existieren auf zwei Ebenen.<br />

(1) Arterkennung. Erstens gibt es häufig angeborene Präferenzen für Mitglieder<br />

der eigenen Art, welche über verschiedene Mechanismen vermittelt<br />

werden ( Kap. 9.1). Bei Vögeln gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass<br />

diese angeborenen Präferenzen während einer sensiblen Phase durch sexuelle<br />

Prägung nachhaltig beeinflusst werden (ten Cate u. Vos 1999). Als<br />

Prägung bezeichnet man Lernprozesse, die einmalig während einer


9.3 Mechanismen der Partnerwahl 341<br />

vorprogrammierten sensiblen Phase im Lauf der Individualentwicklung<br />

stattfinden und die häufig irreversibel sind (Immelmann 1972). Bei sexueller<br />

Prägung findet die Fixierung der Präferenz in zwei Phasen statt. Während<br />

einer frühen Erwerbsphase wird die Präferenz für artcharakteristische<br />

Merkmale (zum Beispiel der Gesang des Vaters) erworben, in einer späteren<br />

Phase konsolidiert und mit dem Sexualverhalten verbunden (Oetting<br />

et al. 1995). Die Effekte der sexuellen Prägung lassen sich mit Umsetzungsversuchen<br />

eindrucksvoll zeigen. Wenn man beispielsweise Eier von<br />

Kohlmeisen von Blaumeisen ausbrüten und aufziehen lässt, haben die betroffenen<br />

Individuen größere Schwierigkeiten, sich erfolgreich mit einem<br />

Mitglied der eigenen Art zu paaren und fortzupflanzen als von Kohlmeisen<br />

aufgezogene Kohlmeisen (Slagsvold et al. 2002). Beim umgekehrten Versuch<br />

mit Blaumeisen kommt es sogar zu erfolgreichen Paarungen zwischen<br />

den beiden Arten; die Prägungseffekte dominieren also andere Mechanismen<br />

der Arterkennung. Partnerpräferenzen auf Artebene können<br />

also sowohl durch angeborene als auch durch erworbene Faktoren stark<br />

kanalisiert sein.<br />

(2) Innerartliche Auswahl. Zweitens gibt es weibliche Präferenzen für<br />

bestimmte Merkmalsausprägungen von Männchen derselben Art (Widemo<br />

u. Sæther 1999). Da es sich bei den betreffenden Merkmalen häufig um<br />

Ornamente handelt ( Kap. 8.2), werden deren Charakteristika von den<br />

Weibchen sinnesphysiologisch verarbeitet und bewertet. In diesem Zusammenhang<br />

kann eine existierende sensorische Empfindlichkeit (sensory<br />

bias) die Entscheidung der Weibchen beeinflussen bzw. von den Männchen<br />

ausgenutzt werden. Wenn ein Weibchen beispielsweise in einem<br />

bestimmten Wellenlängenbereich besondert gut sieht oder in einem bestimmten<br />

Frequenzbereich besonders gut hört, haben Männchen, die diese<br />

sensorischen Empfindlichkeiten mit ihren Ornamenten bedienen, eine erhöhte<br />

Wahrscheinlichkeit, von den Weibchen präferiert und gewählt zu<br />

werden (Ryan u. Keddy-Hector 1992). So kann es rasch zu einer evolutionären<br />

Koppelung von Präferenz und Merkmal kommen, so dass Männchen<br />

mit intensiven oder sogar übertriebenen Ornamenten allein aufgrund<br />

des höheren Signalwerts präferiert werden; sie betreiben eine sensorische<br />

Ausbeutung der Weibchen.<br />

Eine vergleichende Studie von weiblichen Präferenzen zeigte, dass,<br />

wenn es vom Populationsmittelwert abweichende Präferenzen gibt, diese<br />

immer in Richtung hin zu größerer Quantität verschoben sind. Da Verschiebungen<br />

in diese Richtung immer von einer stärkeren sensorischen<br />

Stimulation der Weibchen begleitet sind, kann diese auf proximate Mechanismen<br />

fokussierte Hypothese weibliche Präferenzen für aufwändige<br />

Ornamente auf eine Art erklären. Wenn also beispielsweise akustische


342 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Signale der Männchen ein Kriterium der weiblichen Partnerwahl sind, finden<br />

sich bei den daraufhin untersuchten Insekten, Fröschen und Vögeln<br />

Präferenzen für größere Rufintensität, Rufrate und Lautrepertoires (Ryan<br />

u. Keddy-Hector 1992). Ähnliches gilt für visuelle Signale, von denen<br />

größere und buntere Ornamente bevorzugt werden. Vergleichende Untersuchungen<br />

haben außerdem gezeigt, dass die Präferenz vor dem korrespondierenden<br />

Merkmal entstanden sein muss. Man kann dazu die Präferenzen<br />

von Weibchen für ein männliches Merkmal, das bei verwandten<br />

Arten unterschiedlich ausgeprägt ist, vergleichen. Wenn die phylogenetische<br />

Beziehung zwischen den betreffenden Arten bekannt ist, lässt sich<br />

bestimmen, ob die Präferenz oder das Merkmal zuerst entstanden ist oder<br />

ob beide koevoluiert sind, wie es der Fisher-Prozess und die Handicap-<br />

Hypothese postulieren ( Kap. 9.5).<br />

Wie von der Hypothese von der sensorischen Ausbeutung vorhergesagt,<br />

gibt es eine Reihe von Beispielen für die Präexistenz von Präferenzen.<br />

So haben Weibchen der Frosch-Gattung Physalaemus eine Präferenz für<br />

einen zweisilbigen Werberuf nah verwandter Männchen, auch wenn die<br />

eigenen Männchen einsilbig sind (Ryan u. Rand 1993). Bei Schwertträgern<br />

(Xiphophorus spp.) haben Weibchen eine Präferenz für ein Schwert an der<br />

Analflosse, auch wenn die Männchen der eigenen Art ein solches nicht besitzen<br />

(Basolo 1990). Wenn weiblichen Schwertträgern ein attraktives<br />

Männchen präsentiert wird, werden in den Neuronen eines Gehirnbereichs<br />

bestimmte Gene aktiviert und in der Präsenz eines unattraktiven Männchens<br />

abgeschaltet (Cummings et al. 2008). Bei afrikanischen Witwenvögeln<br />

(Euplectes ssp.) haben nicht nur Weibchen langschwänziger Arten<br />

eine Präferenz für Männchen mit besonders langen (oder experimentell<br />

verlängerten) Schwanzfedern (Andersson 1982), sondern auch Weibchen<br />

von kurzschwänzigen Arten haben eine Präferenz für artuntypisch lange<br />

Schwänze (Pryke u. Andersson 2002). Um die Kosten der Hybridisierung<br />

potentieller Fehlentscheidungen zu vermeiden, verwenden die meisten<br />

Weibchen daher mehrere Merkmale und Reize bei der eigentlichen Wahl<br />

(Candolin 2003).<br />

Eine weitere Möglichkeit, die Hypothese von der sensorischen Ausbeutung<br />

zu überprüfen, besteht darin, künstliche Merkmale bei Männchen zu<br />

erzeugen und die Reaktion der Weibchen darauf zu betrachten. Bei Zebrafinken<br />

(Taeniopygia guttata) konnte so eine Präferenz für Männchen mit<br />

einem roten Ring am Bein nachgewiesen werden (Burley 1986). Bei sexuell<br />

monomorphen Prachtfinken (Lonchura leuco) hatte ein künstliches<br />

Ornament in Form einer roten Feder geschlechtsspezifische Konsequenzen:<br />

Männchen vermieden ornamentierte Weibchen, wohingegen manche<br />

Weibchen eine Präferenz für die so geschmückten Männchen zeigten (Witte<br />

u. Curio 1999).


9.3 Mechanismen der Partnerwahl 343<br />

(3) Nachahmungseffekte. Ein weiterer Mechanismus, der erklärt, warum<br />

Weibchen eine Präferenz für ein bestimmtes Männchen haben, besteht darin,<br />

dass manche Individuen keine eigene, unabhängige Entscheidung treffen,<br />

sondern die Wahl anderer Weibchen nachahmen. Dieses mate copying<br />

ist der am besten untersuchte, nicht-unabhängige Mechanismus der Partnerwahl<br />

(Westneat et al. 2000). Lee Dugatkin (1992) hat mate copying als<br />

Erster nachgewiesen, indem er einem Guppy-Weibchen (Poecilia reticulata)<br />

zwei Männchen präsentierte, von denen eines mit dem Modell eines<br />

Weibchens assoziiert war. Wenn das Modell entfernt wurde und das Weibchen<br />

sich frei bewegen konnte, zeigte es eine deutliche Präferenz für das<br />

Männchen, welches vorher mit dem Modell assoziiert war. Wenn man<br />

Weibchen zunächst eine spontane Präferenz für ein Männchen ausdrücken<br />

lässt, kann man in einem zweiten Durchgang mit diesem Paradigma die<br />

Präferenz der Weibchen sogar umkehren (Dugatkin u. Godin 1992). Diese<br />

Nachahmungseffekte lassen sich auch in Bezug auf die Ablehnung von bestimmten<br />

Männchen nachweisen (Witte u. Ueding 2003); Weibchen achten<br />

also nicht nur darauf, wer von anderen gewählt wird, sondern auch, wer<br />

abgelehnt wird.<br />

Eine ultimate Erklärung für die Existenz dieses Mechanismus besteht<br />

darin, dass kopierende Weibchen auf diese Art die Kosten der Partnerwahl<br />

reduzieren oder ganz vermeiden können. Wenn beispielsweise das Prädationsrisiko<br />

hoch ist und Weibchen eine Gelegenheit haben, die Partnerwahl<br />

anderer Weibchen zu beobachten, können sie durch mate copying ihr Mortalitätsrisiko<br />

beim Vergleich von verschiedenen Männchen erheblich reduzieren.<br />

In einem entsprechend angelegten Experiment mit Guppies erhöhte<br />

sich die Häufigkeit des mate copying unter simuliertem Prädationsrisiko<br />

allerdings nicht (Briggs et al. 1996).<br />

9.3.4 Kryptische Weibchenwahl<br />

Weibchen können die Identität der Väter ihrer Jungen nicht nur durch die<br />

präkopulatorische Wahl von Paarungspartnern kontrollieren, sondern es<br />

gibt auch physiologische Mechanismen, mit deren Hilfe die Vaterschaft<br />

zu (Un-) Gunsten bestimmter Männchen beeinflusst werden kann. Da<br />

diese Wahl im weiblichen Genitaltrakt im Verborgenen abläuft, wird sie<br />

als kryptische Wahl (cryptic female choice) bezeichnet. Per Definition<br />

kann kryptische Weibchenwahl nur nach Verpaarungen mit zwei oder<br />

mehr Männchen erfolgen. Damit existieren identische Voraussetzungen<br />

für das Auftreten von kryptischer Weibchenwahl und Spermienkonkurrenz<br />

( Kap. 8.7); diese beiden Prozesse werden daher auch als postkopulatorische<br />

sexuelle Selektion zusammengefasst (Birkhead u. Pizzari 2002).


344 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Damit existieren auch die Voraussetzungen für antagonistische Interessen<br />

der Geschlechter bezüglich der Fertilisation, die großteils auf dem postkopulatorischen<br />

Schlachtfeld ausgetragen werden ( Kap. 9.8).<br />

Kryptische Partnerwahl durch Weibchen wurde erstmals bei Skorpionsfliegen<br />

(Harpobittacus nigriceps) beschrieben (Thornhill 1983), aber erst<br />

eine gründliche Zusammenfassung von Bill Eberhard (1996) überzeugte<br />

viele Biologen davon, dass Weibchen die Speicherung und Nutzung von<br />

Spermien zu (Un-) Gunsten bestimmter Männchen beeinflussen können.<br />

Die Mechanismen, die einer differenziellen Nutzung von Spermien verschiedener<br />

Männchen zugrunde liegen, sind in den meisten Fällen noch<br />

nicht bekannt; der weibliche Genitaltrakt ist in dieser Hinsicht noch eine<br />

„black box“. Neben strukturellen Merkmalen, wie Größe und Form von<br />

Spermienspeicherorganen, können auch immunologische Prozesse sowie<br />

mit dem Genotyp der Männchen korrelierte Erkennungsmechanismen an<br />

der Oberfläche der Spermien dafür sorgen, dass bestimmte Spermien bevorzugt<br />

und andere eliminiert werden (Greef u. Parker 2000). Durch diese<br />

Prozesse können auch bestimmte Spermienmorphologien selektiert werden<br />

(Miller u. Pitnick 2002). Durch die Kontrolle der Dauer der Kopulation<br />

(und damit der Zahl der übertragenen Spermien pro Männchen) besitzen<br />

weibliche Insekten einen weiteren Kontrollmechanismus. Das selektive<br />

Ausscheiden bestimmter Spermien stellt einen anderen Mechanismus dar,<br />

mit dem Weibchen in die Spermienkonkurrenz eingreifen und einen der<br />

Kontrahenten unterstützen können (Pizzari u. Birkhead 2000).<br />

Kryptische Weibchenwahl kann eingesetzt werden, wenn präkopulatorische<br />

Mechanismen der Wahl versagt haben. Falls es beispielsweise zu<br />

Paarungen mit einem artfremden Männchen kommt, legen die betroffenen<br />

Weibchen anschließend keine Eier, obwohl ihre Spermatotheken gefüllt<br />

sind (Markow 1997); kryptische Prozesse verhindern also, dass Spermien<br />

freigesetzt werden und zur Befruchtung gelangen. In Fällen, in denen die<br />

Weibchen wenig oder keine präkopulatorische Kontrolle darüber haben,<br />

von wem sie inseminiert werden, können die Spermien theoretisch auch<br />

postkopulatorisch differenziert werden, so dass die Weibchen doch das<br />

letzte Wort behalten. Es ist aber auch vorstellbar, dass Weibchen eine direktionale<br />

Wahl betreiben, dass sie also prä- und postkopulatorisch dieselben<br />

Männchen bevorzugen. Dies ist theoretisch zu erwarten, wenn die<br />

Kosten der präkopulatorischen Wahl hoch sind; wenn also zum Beispiel<br />

Paarungen mit subordinaten Männchen nicht verhindert werden können<br />

(Pizzari u. Birkhead 2000).<br />

Wie lässt sich kryptische Weibchenwahl erkennen oder nachweisen,<br />

auch wenn die spezifischen Mechanismen im Einzelfall nicht (vollständig)<br />

bekannt sind? Ein bewährtes experimentelles Design in diesem Zusammenhang<br />

besteht darin, ein Paar von Männchen in derselben Reihenfolge


9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl 345<br />

mit verschiedenen Weibchen zu verpaaren. Wenn es keine kryptische<br />

Weibchenwahl gibt, ist zu erwarten, dass der P 2 -Wert, also der Anteil der<br />

Eier, der vom zweiten Männchen befruchtet wird, wenig zwischen Weibchen<br />

variiert. Wenn man bei einer solchen Untersuchung an Vierfleckigen<br />

Bohnenkäfern (Callosobruchus maculatus) den Genotyp der Weibchen<br />

systematisch variiert, ändert sich aber die Replizierbarkeit des P 2 -Werts<br />

(Wilson et al. 1997), d. h. es gibt eine Interaktion zwischen den Geschlechtern,<br />

durch die der Fertilisationserfolg der Männchen in Abhängigkeit vom<br />

Genotyp der Weibchen beeinflusst wird. Ein alternativer, eleganter methodischer<br />

Ansatz besteht darin, durch künstliche Befruchtung von Weibchen<br />

mit Spermien von verschiedenen Männchen sowohl die präkopulatorische<br />

weibliche Einschätzung von Qualitätsunterschieden zwischen Männchen<br />

als auch die Reihenfolge und Spermienmenge von konkurrierenden Männchen<br />

zu kontrollieren. Bei einem solchen Experiment mit Guppies gelangten<br />

die Spermien von intensiver gefärbten Männchen signifikant häufiger<br />

zur Befruchtung als Spermien von anderen Männchen (Evans et al. 2003).<br />

Dieser Unterschied kann nur durch differenzierte Behandlung der Spermien<br />

im weiblichen Genitaltrakt erklärt werden.<br />

9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl<br />

Wenn Weibchen durch den Ausschluss von artfremden und verwandten<br />

Männchen den Kreis potentieller Paarungspartner eingeschränkt haben,<br />

stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Weibchen zwischen potentiellen<br />

Partnern unterscheiden und auswählen. Sie sollten dabei prinzipiell<br />

Tabelle 9.1. Die Partnerwahl ist mit einer Reihe potentieller direkter Vorteile für<br />

Weibchen verbunden<br />

Potentielle direkte Vorteile der Partnerwahl<br />

● erhöhte Fertilität<br />

● erhöhte Fekundität<br />

● guter Vater<br />

● erhöhte Territoriumsqualität<br />

● guter Wächter<br />

● guter Beschützer<br />

● reduzierte Pathogenübertragung


346 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

versuchen, ein Männchen möglichst hoher Qualität zu wählen. Die Qualität<br />

der Männchen kann anhand von zwei Kriterien beurteilt werden. Männchen<br />

können entweder nach genetischen Merkmalen unterschieden werden,<br />

die zu Nachwuchs höherer Qualität beitragen, oder nach Merkmalen,<br />

die den Fortpflanzungserfolg der Weibchen selbst direkt beeinflussen, indem<br />

sie eine Reihe von möglichen Vorteilen vermitteln (Tabelle 9.1). Die<br />

Voraussetzung für eine informierte Wahl besteht in beiden Fällen darin,<br />

dass es phänotypische Qualitätsindikatoren gibt, die den Weibchen zugänglich<br />

sind und möglichst ehrlich Auskunft über die Qualität eines<br />

Männchens geben.<br />

9.4.1 Effekte auf Fertilität und Fekundität<br />

Wie können Weibchen durch die Wahl eines bestimmten Männchens direkt<br />

profitieren? Durch eine gezielte Partnerwahl können Weibchen potentiell<br />

mehrere Variablen beeinflussen, die ihre eigene Fitness unmittelbar<br />

betreffen. Am deutlichsten sind diese Effekte bei Merkmalen, die eng mit<br />

dem Fortpflanzungserfolg zusammenhängen, also Fertilität, Fekundität und<br />

väterliche Jungenfürsorge (Møller u. Jennions 2001). Die Fertilität der<br />

Weibchen, also der Anteil der befruchteten Eier oder der geschlüpften<br />

Jungen, variiert in der Tat bei zahlreichen Insekten und Wirbeltieren in<br />

Abhängigkeit von interindividueller Variabilität in männlichen Merkmalen.<br />

So können zum Beispiel Körpergröße, Farbe oder Gesangsrepertoire<br />

qualitätskorreliert oder -anzeigend sein, aber auch willkürliche<br />

Merkmale, wie die Präsenz oder Farbe von experimentell angebrachten<br />

Fußringen bei Vögeln, korrelieren mit unterschiedlichen Fertilitätsraten der<br />

Weibchen. Bei einem australischen Frosch (Uperoleia laevigata) befruchten<br />

beispielsweise Männchen, die genau 70% des Gewichts des betreffenden<br />

Weibchens besitzen, sehr viel mehr Eier als Männchen, die nur 0,2 g<br />

mehr oder weniger wiegen (Robertson 1990). Vermutlich diskriminieren<br />

Weibchen sowohl gegen leichtere Männchen, weil diese nicht genügend<br />

Spermien haben, als auch gegen schwerere, weil sie die Weibchen während<br />

der Paarung untertauchen und ertränken können. Bei einem afrikanischen<br />

Frosch (Hyperolius marmoratus) wurde aber kein Unterschied in der<br />

Befruchtungsfähigkeit verschiedener Männchen gefunden (Grafe 1997),<br />

was zeigt, dass die Bedeutung solcher Merkmale nicht universell ist.<br />

Die Fekundität eines Weibchens, also die aktuelle Gelege- oder Wurfgröße,<br />

kann ebenfalls in Abhängigkeit von der Qualität der Männchen<br />

variieren. Bei Halsbandschnäppern (Ficedula albicollis) ist die durchschnittliche<br />

Gelegegröße, die ein Weibchen produziert, beispielsweise mit


9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl 347<br />

der Größe eines weißen Stirnflecks bei Männchen korreliert (Qvarnström<br />

et al. 2000). Die Größe des Stirnflecks variiert zwischen Männchen und<br />

hat eine nachgewiesene Funktion als Ornament bei der intrasexuellen<br />

Konkurrenz. Der Zusammenhang zwischen Gelegegröße und Größe des<br />

männlichen Stirnflecks ist außerdem vom Zeitpunkt im Brutzyklus abhängig;<br />

das heißt, Männchen mit unterschiedlichen Stirnflecken induzieren im<br />

Laufe eines Brutzyklus verschieden große Gelege. Die Präferenz der<br />

Weibchen für dieses männliche Merkmal verändert sich im Laufe der<br />

Brutsaison ebenfalls. Ursache für diesen Effekt ist die Tatsache, dass<br />

Männchen mit großen Stirnflecken früh in der Brutsaison viel in die Fortpflanzungskonkurrenz<br />

investieren, aber wenn später ihr Beitrag zum Füttern<br />

der Jungen gefragt ist, in relativ schlechter Verfassung sind. In diesem<br />

Fall handelt es sich beim Qualitätsindikator nicht um ein offensichtlich<br />

qualitätskorreliertes Merkmal.<br />

In anderen Fällen, wie zum Beispiel bei Taufliegen (Drosophila melanogaster),<br />

variiert die Fekundität der Weibchen mit der Körpergröße der<br />

betreffenden Männchen (Pitnick 1991). Dort legen Weibchen, die mit kleinen<br />

Männchen verpaart werden, mehr Eier als Weibchen mit größeren<br />

Männchen. Neben der Gelegegröße können manche Weibchen auch die<br />

Qualität der Eier beeinflussen. So werden von Stockenten (Anas platyrhynchos)<br />

größere Eier gelegt, wenn sie mit einem von ihnen bevorzugten<br />

Erpel gepaart werden (Cunningham u. Russell 2000), und aus diesen<br />

größeren Eiern schlüpfen Junge mit einer besseren körperlichen Verfassung.<br />

Ein ähnlicher Effekt wurde bei Pfauen (Pavo cristatus) dokumentiert,<br />

wo nach Paarungen mit stärker ornamentierten Hähnen größere Eier,<br />

deren Eigelb mehr Testosteron enthält, gelegt werden (Loyau et al. 2007).<br />

Effekte der Partnerwahl auf die Fekundität der Weibchen sind nicht nur<br />

von intrinsischen Merkmalen der Männchen abhängig. Bei manchen Insekten<br />

machen Männchen Brautgeschenke, die von den Weibchen zumeist<br />

während der Kopulation konsumiert werden. Bei diesen Geschenken handelt<br />

es sich um Beutetiere, spezielle Drüsensekrete, Anhänge von Spermatophoren<br />

oder sogar Teile des männlichen Körpers, die aufgrund ihres<br />

Energiegehalts einen direkten oder indirekten Einfluss auf den Fortpflanzungserfolg<br />

der Weibchen haben (Abb. 9.9). Die Qualität des Brautgeschenks<br />

ist in der Regel positiv mit der Fekundität verbunden, so dass<br />

Weibchen, die ein großes Geschenk erhalten haben, mehr Eier legen<br />

(Simmons 1990). Aufgrund dieses Vorteils sollten Weibchen also diejenigen<br />

Männchen bevorzugen, welche die besten Brautgeschenke anbieten.<br />

Umgekehrt haben Männchen auch ein Interesse daran, ein möglichst<br />

hochwertiges Geschenk anzubieten, da, wie zum Beispiel bei Skorpionsfliegen<br />

(Panorpa vulgaris), die Kopulationsdauer positiv mit der Größe<br />

des Geschenks korreliert ist (Sauer et al. 1998). Mit zunehmender Kopula-


348 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Abb. 9.9. Männliche Skorpionsfliegen<br />

(Panorpa vulgaris)<br />

überreichen ein Brautgeschenk<br />

in Form eines nahrhaften Drüsensekrets<br />

an paarungsbereite<br />

Weibchen<br />

tionsdauer werden auch mehr Spermien übertragen, so dass letztendlich<br />

der Fortpflanzungserfolg der Männchen mit größeren Brautgeschenken<br />

höher ist. Brautgeschenke, die aus Drüsensekreten der Männchen bestehen,<br />

können auch in ihrem Proteingehalt variieren und strategisch in ihrer Größe<br />

angepasst werden (Bussière et al. 2005). Dabei können auch Männchen<br />

in relativ guter Verfassung relativ kleine Geschenke produzieren und umgekehrt<br />

(Engqvist u. Sauer 2001). Der evolutionäre Ursprung von Brautgeschenken<br />

ist vermutlich darin zu sehen, dass Männchen, die eine präexistierende<br />

Präferenz für solche Geschenke zufällig bedienten, mit einem<br />

selektiven Fortpflanzungserfolg belohnt wurden (Sakaluk 2000). Bei zumindest<br />

einer Insektenart sind die Geschlechterrollen in diesem Kontext<br />

umgekehrt; hier erhalten Männchen während der Kopulation eine Sekretion<br />

der Weibchen, möglicherweise, um so das Risiko von Kannibalismus<br />

durch die Männchen zu reduzieren (Arnqvist et al. 2003).<br />

9.4.2 Vaterqualitäten<br />

Männchen variieren auch darin, welchen Beitrag sie zur Jungenaufzucht<br />

leisten ( Kap. 10.2). Dieses Investment der Männchen kann darin bestehen,<br />

dass sie Gelege bewachen und wie im Fall von Fischen mit sauerstoffreichem<br />

Wasser befächeln. Bei Stichlingen sind Unterschiede zwischen<br />

Männchen im Fürsorgeverhalten mit der Größe der Pektoralflosse korreliert<br />

(Künzler u. Bakker 2000), so dass Weibchen Männchen anhand der<br />

Größe dieser Flosse diskriminieren können. Den deutlichsten und direktesten<br />

Beitrag leisten in dieser Hinsicht männliche Vögel, die ihre Jungen füttern.<br />

Die Rate, mit der sie füttern, oder der Anteil des Gesamtfütterungsaufwandes,<br />

den einzelne Männchen übernehmen, variiert zwischen


9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl 349<br />

Box 9.3<br />

Indikatoren der Vaterqualität<br />

• Frage: Woran erkennen Weibchen des Azurbischofs (Guiraca caerulea)<br />

Unterschiede in der Vaterqualität zwischen Männchen?<br />

• Hintergrund: Männchen unterscheiden sich in der Intensität ihrer blauen<br />

Gefiederfärbung. Intensiver gefärbte Männchen sind in besserer Verfassung,<br />

so dass die Färbung ein ehrlicher Qualitätsindikator sein könnte.<br />

• Methode: 34 Männchen wurden gefangen, vermessen und anschließend<br />

ihr Fütterungsverhalten beobachtet.<br />

• Ergebnis: Die am intensivsten blau gefärbten Männchen waren größer,<br />

hatten die größten Territorien mit der meisten Nahrung, und sie fütterten<br />

die Jungen des ersten Geleges häufiger.<br />

• Schlussfolgerung: Die Gefiederfärbung stellt ein zuverlässiges Signal<br />

männlicher Qualität dar. Weibchen, die ihre Partnerwahl danach ausrichten,<br />

können direkt durch besseren Ressourcenzugang und höheres väterliches<br />

Investment profitieren.<br />

Keyser u. Hill 2000<br />

Individuen. Beim Azurbischof (Guiraca caerulea) korreliert die Färbung<br />

der Männchen positiv mit deren Fütterungsraten (Box 9.3). Beim Schilfrohrsänger<br />

(Acrocephalus schoenobaenus) ist der Umfang des Gesangsrepertoires<br />

der Männchen positiv mit deren Fütterungsrate korreliert (Buchanan<br />

u. Catchpole 2000); das heißt, unterschiedliche Merkmale können bei<br />

verschiedenen Arten als Indikatoren desselben Qualitätsmerkmals dienen.


350 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

9.4.3 Andere Qualitäten der Männchen<br />

Andere Merkmale, die zwischen Männchen variieren und die unmittelbare<br />

Fitnesskonsequenzen für Weibchen haben, betreffen die Qualität ihrer Territorien,<br />

ihre Wachsamkeit und Beschützerqualitäten sowie ihre Pathogenbelastung.<br />

Die Territoriumsqualität beinhaltet insofern Potential für<br />

direkte Vorteile, als ein hochwertiges Territorium mehr Nahrung oder<br />

Schutz für das Weibchen und seine Jungen bereithält. Allerdings wächst<br />

mit zunehmender Qualität des Territoriums auch das Risiko, dass sich<br />

darauf ein zweites Weibchen niederlässt, mit dem diese Ressourcen geteilt<br />

werden müssen ( Kap. 11.2). Beim Bitterling (Rhodeus sericeus) verteidigen<br />

Männchen den Zugang zu einer oder mehreren Süßwassermuscheln,<br />

in denen sich die Embryonen dieser Fische für 3–6 Wochen entwickeln.<br />

Weibchen deponieren dazu ihre Eier in den Siphon der Muschel, von<br />

wo sie in die Kiemen wandern. Die Spermien der Männchen werden danach<br />

durch die Muschel angesaugt und befruchten die Eier. Die Überlebensrate<br />

der Embryonen hängt sowohl von der Art der Muschel als auch<br />

von der Zahl der bereits darin befindlichen Embyronen ab, so dass Weibchen<br />

die Muscheln vor der Eiablage genau inspizieren sollten. Weibchen<br />

vermeiden tatsächlich Muscheln, die bereits Embryonen von anderen<br />

Weibchen enthalten. Weibchen modifizieren also ihre direkten Fitnessgewinne<br />

aus der Wahl eines Männchens durch einen Vergleich der von<br />

ihnen verteidigten Ressource (Candolin u. Reynolds 2001). Die Qualität<br />

dieser Ressource ist in diesem Fall unabhängig von der Qualität der Männchen,<br />

welche die Weibchen in einem ersten Auswahlschritt anhand ihrer<br />

Farbe unterscheiden.<br />

Ähnliches gilt für die Wachsamkeit der Männchen. Weibchen und ihre<br />

Nachkommen können von höherer Wachsamkeit durch ein reduziertes<br />

Prädationsrisiko profitieren. Bei Hühnern (Gallus gallus) sind dominante<br />

Hähne unter anderem auch wachsamer als andere Hähne (Pizzari 2003),<br />

was die Präferenz der Hühner für dominante Hähne teilweise erklären<br />

könnte. Möglicherweise hat die Wachsamkeit der Hähne aber auch noch<br />

andere Ursachen.<br />

Männchen, die Weibchen durch postkopulatorisches mate guarding vor<br />

Belästigung durch andere Männchen schützen, liefern diesen ebenfalls<br />

direkte Vorteile. Bei Moskitofischen (Gambusia holbrooki) werden Weibchen<br />

häufig durch Kopulationsversuche belästigt und haben dadurch deutlich<br />

reduzierte Nahrungsaufnahmeraten. Wenn Weibchen sich allerdings<br />

einem großen Männchen nähern, vertreibt dieses alle anderen, kleineren<br />

Männchen und erhöht so die Effizienz der Nahrungsaufnahme der Weibchen<br />

(Pilastro et al. 2003). Hier profitieren Weibchen also direkt davon,


9.4 Direkte Vorteile der Partnerwahl 351<br />

wenn sie möglichst große Männchen auswählen, da diese bessere<br />

Beschützer sind.<br />

Schließlich haben Weibchen auch ganz unmittelbare Vorteile davon,<br />

sich nicht mit Männchen mit hoher Pathogenbelastung zu verpaaren und<br />

damit das Risiko zu reduzieren, dass auf sie selbst oder ihre Jungen diese<br />

Pathogene übertragen werden. Diese Vorteile manifestieren sich schon<br />

ganz unmittelbar bei der Paarung, wenn es in der Population Männchen<br />

gibt, die Geschlechtskrankheiten übertragen. Im Falle von Ektoparasiten<br />

können diese auch potentiell auf die Jungen übertragen werden. In der Tat<br />

findet man in der Mehrzahl der untersuchten Arten eine negative Korrelation<br />

zwischen der Intensität des Parasitenbefalls der Männchen und ihrem<br />

Paarungserfolg (Able 1996).<br />

Direkte vs. indirekte Vorteile. Die direkten Vorteile, die sich aus der<br />

Wahl eines Männchens ergeben, werden von theoretischen Evolutionsbiologen<br />

generell als bedeutsamer angesehen als die indirekten, da auf direkte<br />

Vorteile das Lek-Paradoxon nicht zutrifft. Das Lek-Paradoxon ist auf der<br />

Überlegung begründet, dass Weibchen auf einem Lek zwischen extrem<br />

ornamentierten Männchen wählen, ohne dass die Wahl eigentlich Konsequenzen<br />

haben sollte (Kirkpatrick u. Ryan 1991). Das hat folgende Ursache:<br />

Da Männchen auf Leks Weibchen keine direkten Vorteile bieten,<br />

sollten die Weibchen ein Männchen mit guten Genen wählen, um so die<br />

Fitness ihrer Nachkommen zu erhöhen. Da aber Selektion die Allele, die<br />

Fitness erhöhen, innerhalb weniger Generationen zur Fixierung treibt, wird<br />

dadurch die korrespondierende additive genetische Varianz rasch gegen<br />

Null getrieben. Die additive genetische Varianz beschreibt Variabilität, die<br />

auf additive Effekte von Allelen zurückgeführt werden kann. Der additive<br />

Effekt eines Allels beschreibt dabei den durchschnittlichen Effekt, der entsteht,<br />

wenn es durch ein anderes Allel ersetzt wird. Wenn die additive genetische<br />

Varianz für diese Fitnesskomponente der Männchen verschwunden<br />

ist, sind phänotypische Fitnessunterschiede zwischen Männchen nicht<br />

mehr vererbbar. Von daher gibt es für Weibchen eigentlich keinen Grund,<br />

zwischen Männchen zu wählen. Trotzdem haben Arten mit Leks die auffälligsten<br />

Rituale und Ornamente – was also paradox erscheint. Da aber<br />

Merkmale, die zur Fitness beitragen, auch stark von Umweltfaktoren und<br />

der Kondition des Trägers beeinflusst werden, zum Beispiel über Parasiten-Wirt-Interaktionen<br />

(Hamilton et al. 1990), bleibt deren Varianz erhalten,<br />

und es lohnt sich für Weibchen daher, weiter zu wählen (Kothiaho<br />

et al. 2001). Da direkte Vorteile der Partnerwahl andererseits unmittelbare<br />

Konsequenzen für die Weibchen haben, sind sie daher nicht auf Mechanismen<br />

angewiesen, die genetische Varianz generieren oder erhalten.


352 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl<br />

In vielen Fällen erhalten Weibchen keine direkten Vorteile durch die Wahl<br />

eines bestimmten Männchens, sondern sie erhalten nur die zur Befruchtung<br />

ihrer Eier notwendigen Spermien – und die darin enthaltenen Gene. In<br />

diesem Fall sollten Weibchen die Qualität ihrer Paarungspartner anhand<br />

deren genetischer Ausstattung bzw. der daraus resultierenden Phänotypen<br />

unterscheiden und auswählen. Vielen sekundären Geschlechtsmerkmalen<br />

von Männchen, insbesondere auffälligen Ornamenten, wird eine Funktion<br />

bei der Anzeige dieser Qualitätsunterschiede zugeschrieben. Dadurch,<br />

dass Weibchen Partner mit bestimmten Qualitätsmerkmalen bevorzugen,<br />

kommt es über evolutionäre Zeiträume zu einer genetischen Assoziation<br />

zwischen weiblichen Präferenzen, männlichen Merkmalen und der Fitness<br />

der Nachkommen bestimmter Elternkombinationen. Durch die Wahl eines<br />

entsprechenden Männchens können Weibchen so die Wachstumsrate, Fekundität,<br />

Überlebensrate oder sexuelle Attraktivität ihrer Nachkommen<br />

verbessern, was als indirekter Vorteil der Partnerwahl betrachtet wird.<br />

Für Charles Darwin bestand ein zentrales und ungelöstes Problem der<br />

sexuellen Selektionstheorie darin, die Existenz von spektakulären männlichen<br />

Ornamenten zu erklären. Insbesondere Merkmale, die ihre Träger<br />

auffälliger gegenüber Raubfeinden machen oder die ihre Überlebenschancen<br />

in anderer Weise kompromittieren, stellten ein Paradoxon dar, da<br />

Tabelle 9.2. Übersicht über evolutionäre Prozesse, die extravagante männliche<br />

Ornamente hervorbringen können. Sie beinhalten auch indirekte Vorteile der Partnerwahl<br />

für Weibchen<br />

Ursachen extravaganter Ornamente<br />

● Fisher-Prozess<br />

– Ornament arbiträr<br />

– Fortpflanzungsvorteil durch ↑ Attraktivität<br />

– Ornament und Präferenz positiv gekoppelt<br />

● Gute-Gene-Modelle<br />

– Ornament ist Qualitätsindikator<br />

– Qualität ist absolut<br />

– gute Gene des Vaters ↑ Fitness der Jungen<br />

● Kompatibilität<br />

– Ergänzung der Gene von Vater und Mutter<br />

– Heterozygotenvorteil der Jungen


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 353<br />

sie nicht mit natürlicher Selektion erklärt werden können. Darwin kam<br />

zwar zu dem richtigen Schluss, dass diese Ornamente dazu dienen, die<br />

Partnerwahl der Weibchen positiv zu beeinflussen, aber er konnte keinen<br />

plausiblen Mechanismus für die Evolution dieser Ornamente vorschlagen,<br />

da er noch nichts über deren genetische Grundlage wissen konnte. Heute<br />

gibt es dafür drei verschiedene Erklärungen (Tabelle 9.2).<br />

Aufgrund des Fisher-Prozesses können Ornamente entstehen und durch<br />

weibliche Partnerwahl verstärkt werden, weil es zu einer genetischen Korrelation<br />

zwischen Präferenz und Merkmal kommt. Außerdem ist es möglich,<br />

dass Männchen mit bestimmten Ornamenten bevorzugt werden, weil<br />

diese Indikatoren hoher erblicher Qualität sind – ihre Träger also „gute<br />

Gene“ besitzen. Diese Prozesse werden oftmals als Alternativen betrachtet,<br />

aber neuere theoretische Modellierungen haben grundlegende Gemeinsamkeiten<br />

beider Mechanismen betont und in einem gemeinsamen Modell<br />

verdeutlicht (Kokko et al. 2002). Schließlich können Weibchen die Qualität<br />

eines potentiellen Partners auch danach beurteilen, wie kompatibel dessen<br />

Genotyp mit der eigenen genetischen Ausstattung ist.<br />

9.5.1 Sexy Söhne durch den Fisher-Prozess<br />

Eine erste Erklärung für einen Teil der Ornamente, die Darwin so viel<br />

Kopfzerbrechen bereiteten, lieferte Ronald Fisher (1930). Das nach ihm<br />

benannte Koevolutionsmodell geht davon aus, dass Weibchen, die attraktive<br />

Männchen bevorzugen, einen indirekten genetischen Vorteil aus dieser<br />

Wahl beziehen. Dieser Vorteil ist nicht darauf begründet, dass die bevorzugten<br />

Männchen höhere genetische Qualität besitzen, sondern darauf,<br />

dass die genetischen Grundlagen des attraktiven Ornaments des Vaters an<br />

dessen Söhne weitergegeben werden. Damit entstehen Söhne, die attraktiver<br />

sind als andere Männchen (sexy sons) und damit für ihre Mütter mehr<br />

Enkel produzieren als die Söhne anderer Weibchen, die diese Präferenz<br />

nicht haben.<br />

Nach dieser Überlegung haben sowohl die Präferenz der Weibchen für<br />

ein bestimmtes Merkmal der Männchen als auch das betreffende Ornament<br />

selbst eine genetische Grundlage (Bakker u. Pomiankowski 1995). In diesem<br />

Fall kommt es zu einer unvermeidlichen genetischen Kovarianz zwischen<br />

der Präferenz und dem Ornament, die dazu führt, dass die weibliche<br />

Präferenz sich selbst verstärkt, was wiederum zu einer Vergrößerung des<br />

Ornaments führt. Mit diesem freilaufenden Prozess (runaway) kann man<br />

erklären, wie es zur Evolution von Ornamenten kommt, die größer sind als<br />

es allein aufgrund natürlicher Selektion zu erwarten wäre.


354 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

a<br />

b<br />

Merkmal<br />

Merkmal<br />

Präferenz<br />

Präferenz<br />

c<br />

Merkmal<br />

Präferenz<br />

Abb. 9.10a–c. Schematische Darstellung des Fisher-Prozesses. a Merkmal und<br />

korrespondierende Präferenz liegen jeweils normalverteilt vor. b Merkmal und<br />

Präferenz werden genetisch gekoppelt. c Eine Veränderung der durchschnittlichen<br />

Präferenz (roter Pfeil) führt zu einer Vergrößerung des Merkmals (blauer Pfeil),<br />

wodurch ein freilaufender Prozess (schwarzer Pfeil) ausgelöst wird, der irgendwann<br />

durch natürliche Selektion (grüner Pfeil) gestoppt wird<br />

An einem hypothetischen Beispiel lässt sich dieser Prozess verdeutlichen<br />

(Abb. 9.10). Nehmen wir an, in einer Population gibt es zwischen<br />

den Männchen Variation in einem beliebigen Merkmal, die eine genetische<br />

Grundlage hat. Bei Fischen könnten manche Männchen etwas auffälliger<br />

gefärbt sein als andere, oder bei Vögeln könnten sich Männchen in der<br />

Länge der Schwanzfedern unterscheiden (z. B. Andersson 1982). Zunächst<br />

muss erklärt werden, wie weibliche Präferenz und ein korrespondierendes<br />

Merkmal assoziiert werden. Dazu wird angenommen, dass entweder die<br />

Variabilität in der betreffenden Merkmalsausprägung der Männchen mit<br />

Qualitätsunterschieden korreliert war oder dass Männchen mit einer


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 355<br />

bestimmten Ausprägung des Merkmals eine präexistierende sensorische<br />

Neigung der Weibchen ausnutzten. Vogel-Männchen mit einem etwas längeren<br />

Schwanz könnten also beispielsweise aerodynamische Vorteile<br />

haben und damit effizienter Futter beschaffen oder besser Räubern entkommen.<br />

Oder ein Fisch-Männchen mit einer Rotfärbung könnte von<br />

Weibchen entweder besser detektiert werden, oder Weibchen besaßen<br />

schon eine Präferenz für alles Rote, weil sie sich häufig von rotem Futter<br />

ernähren. Man kann sich also vorstellen, dass sowohl die Häufigkeit eines<br />

Merkmals der Männchen als auch eine korrespondierende Präferenz der<br />

Weibchen für dieses Merkmal in einer Population entsprechend einer<br />

Normalverteilung existieren (Abb. 9.10a).<br />

Wenn nun Weibchen ihre Paarungspartner in Bezug auf dieses Merkmal<br />

(z. B. Schwanzlänge) wählen, kommt es zu einer Verbindung der genetischen<br />

Grundlagen dieser beiden Merkmale: Die Nachkommen der<br />

Weibchen mit einer Präferenz für überdurchschnittlich lange Schwänze<br />

haben sowohl die Gene für die Präferenz als auch für die Schwanzlänge.<br />

Das Gen für die Präferenz wird allerdings nur in den Töchtern exprimiert<br />

und das Gen für Schwanzlänge nur in den Söhnen. Solange sich die Häufigkeitsverteilung<br />

von Männchen und Weibchen in der Population mit bestimmten<br />

Merkmalsausprägungen nicht ändert, findet keine Selektion auf<br />

diese Merkmale statt; Präferenz und Merkmal bleiben in ihren relativen<br />

Häufigkeiten erhalten (Abb. 9.10b).<br />

Wenn es aber zum Beispiel durch genetische Drift dazu kommt, dass die<br />

Zahl der Weibchen mit einer Präferenz für längere (oder kürzere) Schwänze<br />

zunimmt, kommt es zu einem freilaufenden, sich selbst verstärkenden<br />

Prozess, in dessen Verlauf die Präferenz und das Merkmal in Richtung eines<br />

Extremwertes laufen. Wenn es beispielsweise mehr Weibchen gibt, die<br />

eine Präferenz für längere Schwänze haben, pflanzen sich Männchen mit<br />

überdurchschnittlich langen Schwänzen überproportional häufig fort.<br />

Weibchen selektieren also für längere Schwänze; der Populationsmittelwert<br />

erhöht sich. Da Männchen mit längeren Schwänzen aber auch Gene<br />

für extremere weibliche Präferenzen tragen, werden diese ebenfalls überproportional<br />

häufig weiter gegeben. In der nächsten Generation gibt es also<br />

noch mehr Weibchen, die eine Präferenz für längere Schwänze haben, und<br />

der Populations-Mittelwert der Präferenz ist ein Stückchen weiter zu längeren<br />

Schwänzen hin verschoben (Abb. 9.10c). Die Söhne dieser Weibchen<br />

haben jetzt wieder einen Vorteil, da sie überdurchschnittlich lange<br />

Schwänze haben und sich daraus für sie wieder ein Fortpflanzungsvorteil<br />

ergibt. Aufgrund dieser positiven Rückkoppelung wird die Schwanzlänge<br />

in einen Bereich selektiert, in dem die Nachteile in Bezug auf die Überlebenswahrscheinlichkeit,<br />

die sich aus diesem Merkmal ergeben, so groß


356 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

werden, dass natürliche Selektion dem Attraktivitätsvorteil durch Weibchenwahl<br />

Einhalt gebietet.<br />

Gibt es empirische Hinweise für die Existenz des Fisher-Prozesses?<br />

Bei Guppies (Poecilia reticulata) haben Paarungsexperimente Hinweise<br />

dafür geliefert, dass die Attraktivität der Männchen nicht damit erklärt<br />

werden kann, dass sie gute Gene besitzen. Vielmehr ist die gefundene negative<br />

Korrelation zwischen Attraktivität der Männchen und der Überlebensrate<br />

ihrer Nachkommen damit zu erklären, dass die der Attraktivität<br />

zugrunde liegenden Merkmale von Weibchen beachtet und bevorzugt werden,<br />

weil ihre Söhne dadurch attraktiver sind und nicht weil diese bessere<br />

Überlebenschancen hätten. Die Wahl der weiblichen Guppies basiert auf<br />

der Farbe, Körper- und Schwanzgröße der Männchen. Brooks (2000) hat<br />

gezeigt, dass attraktive Männchen auch attraktive Söhne haben und dass<br />

Attraktivität mit dem Ausmaß der Ornamentierung korreliert ist. Allerdings<br />

ist die Attraktivität der Männchen negativ mit ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

korreliert. Ebenso ist die Mortalitätswahrscheinlichkeit der<br />

Söhne, aber nicht die der Töchter, mit der Attraktivität der Väter korreliert.<br />

Welcher Aspekt der Ornamentierung für die erhöhte Sterblichkeit verantwortlich<br />

ist, konnte in diesem Fall nicht geklärt werden, da es sich um intrinsische<br />

Mortalitätsursachen handelte. Dieses Experiment zeigt, dass das<br />

von Weibchen bevorzugte Merkmal der Männchen außer der erhöhten<br />

Attraktivität der Söhne an keinen erkennbaren Vorteil gekoppelt ist und<br />

dass dieser Vorteil durch erhöhte Mortalität in Schach gehalten wird.<br />

Auch bei Stielaugenfliegen (Cyrtodiopsis dalmanni) scheint die Evolution<br />

eines auffälligen Merkmals davongelaufen zu sein. Bei diesen Fliegen<br />

sitzen die Augen auf langen Auswüchsen an der Kopfseite. Insbesondere<br />

bei Männchen ist die Spannweite zwischen den Augen übertrieben groß<br />

und stellt ein Ornament dar, für welches Weibchen eine Präferenz besitzen<br />

(Abb. 9.11). In einem Experiment wurden Fliegen unter drei Nahrungsbedingungen<br />

aufgezogen. Dabei zeigte sich, dass die Augenspannweite<br />

von Männchen unter schlechten Nahrungsbedingungen im Durchschnitt<br />

deutlich reduziert ist (David et al. 2000). Allerdings hatten Männchen mit<br />

bestimmten Genotypen unter allen Umweltbedingungen ähnlich große Ornamente.<br />

Dieser Effekt war unabhängig von Unterschieden in der Körpergröße<br />

und auf Männchen sowie auf dieses sexuell selektierte Merkmal beschränkt.<br />

Der Augenabstand von Weibchen sowie andere Merkmale wie<br />

Thorax- oder Flügellänge waren davon nicht betroffen. Die Augenspannweite<br />

der Männchen ist also ein sexuell selektiertes Merkmal, das zwar<br />

konditionsabhängig variiert, aber an sich keinen erkennbaren Vorteil mit<br />

sich bringt. Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine Trennung von Fisher-<br />

Prozess und Gute-Gene-Selektion nicht immer einfach ist (siehe unten und<br />

Kokko 2001).


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 357<br />

Abb. 9.11. Bei Stielaugenfliegen hat der Fisher-Prozess zur Evolution eines extravaganten<br />

Ornamentes in einem zufälligen Merkmal – hier Augenabstand – geführt<br />

In einem weiteren Experiment mit Stielaugenfliegen wurde gezeigt, dass<br />

die Präferenz der Weibchen genetisch an das Merkmal der Männchen gekoppelt<br />

ist. Wilkinson u. Reillo (1994) haben dazu zwei Zuchtpopulationen<br />

hergestellt, in denen auf große bzw. kleine Augenspannweite selektiert<br />

wurde. Zu jeder Gruppe von Männchen wurden zufällig ausgewählte<br />

Weibchen gegeben. Nach 13 Generationen hatte sich die durchschnittliche<br />

Augenspannweite in den beiden Populationen vergrößert bzw. verkleinert.<br />

In Wahlexperimenten mit Weibchen der 13. Generation zeigten diejenigen<br />

aus der Gruppe, in der die Männchen auf verringerte Spannweite selektiert<br />

wurden, eine Präferenz für reduzierte Augenspannweite. Weibchen aus der<br />

anderen Gruppe sowie aus einer Kontrollgruppe ohne Selektion präferierten<br />

Männchen mit größerer Augenspannweite. Wie durch den Fisher-<br />

Prozess vorhergesagt, änderte sich die Präferenz der Weibchen in die Richtung<br />

genetischer Änderungen bei den Männchen; Merkmal und Präferenz<br />

sind also genetisch aneinander gekoppelt.<br />

9.5.2 Besserer Nachwuchs durch gute Gene<br />

Im Unterschied zum Fisher-Prozess gehen „Gute-Gene-Modelle“ davon<br />

aus, dass männliche Ornamente keine neutralen Merkmale ohne eigenen<br />

Überlebensvorteil sind, sondern dass sie Indikatoren der genetischen<br />

Qualität ihres Trägers sind. Durch die Wahl eines in diesem Sinne attraktiven<br />

Männchens erhält ein Weibchen also vorteilhafte Gene für seinen<br />

Nachwuchs. Weibchen können aber den Genotyp eines potentiellen Paarungspartners<br />

nicht direkt erkennen. Die Handicap-Hypothese (Zahavi


358 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

1975) löst dieses Problem, indem sie postuliert, dass die Produktion von<br />

aufwändigen Ornamenten mit hohen Kosten verbunden ist, so dass sich<br />

nur Männchen von hoher Qualität ein solches Merkmal leisten können.<br />

Ornamente sind also ehrliche Signale variabler männlicher Qualität (Grafen<br />

1990). Die plausibelste und am gründlichsten untersuchte Anwendung<br />

dieser allgemeinen Hypothese postuliert, dass Ornamente individuelle Resistenzfähigkeit<br />

gegen Pathogene reflektieren (Hamilton u. Zuk 1982).<br />

Männchen, die erfolgreich Parasiten und andere Pathogene abwehren, besitzen<br />

demnach auch Ornamente in gutem Zustand.<br />

Dort, wo gute Gene bei der Partnerwahl eine Rolle spielen, sollte es also<br />

(1) Variabilität zwischen Männchen in deren Ornamenten geben, (2) diese<br />

Unterschiede sollten mit Qualitätsunterschieden korreliert sein und eine<br />

genetische Grundlage haben. (3) Weibchen sollten diese Unterschiede<br />

wahrnehmen und präferieren können, und schließlich sollten (4) Weibchen,<br />

die Männchen hoher Qualität wählen, auch Nachkommen mit höherer<br />

Fitness produzieren. Die Überprüfung dieser Annahmen und Vorhersagen<br />

der Gute-Gene-Modelle ist seit etlichen Jahren eines der aktivsten<br />

Forschungsfelder der Verhaltensbiologie. Von der inzwischen unüberschaubaren<br />

Zahl an Untersuchungen sind im Folgenden einige Beispiele<br />

aufgeführt, die diese postulierten Zusammenhänge im Wesentlichen unterstützen.<br />

(1) Ornamente und Qualität. Die Qualität eines Männchens muss sich<br />

nach der Gute-Gene-Hypothese an der Ausprägung seiner Ornamente ablesen<br />

lassen. In den verschiedenen Tiergruppen werden ganz unterschiedliche<br />

Ornamente eingesetzt, um verschiedene Dimensionen von Qualität<br />

anzuzeigen. Ein entscheidendes Problem in diesem Zusammenhang besteht<br />

darin, sicherzustellen, dass Ornamente ehrliche Signale sind, also die wirkliche<br />

Qualität eines Männchens widerspiegeln. Ornamente können dabei<br />

prinzipiell auf zwei Arten als handicap wirken. Bei einem strategischen<br />

handicap sind Kosten für die Aufrechterhaltung der Ehrlichkeit notwendig.<br />

Bei einem offenbarenden (revealing) handicap sind die Kosten eines<br />

Signals oder Ornaments dagegen nicht für dessen Erhalt notwendig; vielmehr<br />

entstehen teure Signale, um die Wahrnehmung des bevorzugten<br />

Merkmals zu verbessern (Iwasa et al. 1991).<br />

Ornamente bestehen letztendlich aus akustischen, visuellen oder olfaktorischen<br />

Signalen, wobei manche Ornamente Signale in verschiedenen<br />

Modalitäten aussenden, manche Männchen multiple Ornamente besitzen<br />

und Weibchen auch mehrere Ornamente bei der Partnerwahl bewerten<br />

(Candolin 2003). Akustische Ornamente können in der Intensität, Dauer,<br />

Häufigkeit oder in ihren strukturellen Merkmalen variieren. Zudem kann<br />

die Größe des Repertoires diskreter Signale sich zwischen Individuen


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 359<br />

unterscheiden. Vor allem bei der Rufrate und Intensität treten Kosten in<br />

Form von erhöhtem Energiebedarf für die Lautproduktion auf. Die Rufdauer<br />

führt zu Kosten in Form von Zeit, die nicht für andere Aktivitäten<br />

zur Verfügung steht, oder in Form eines erhöhten Mortalitäsrisikos durch<br />

angelockte Räuber und Parasiten. Außerdem können akustische Signale Information<br />

über die aktuelle Verfassung des Senders sowie über seine Entwicklungsgeschichte<br />

enthalten.<br />

Diese Zusammenhänge wurden in Untersuchungen an mehreren Arten<br />

im Einzelnen bestätigt. So beeinflusst beispielsweise bei Feldgrillen (Gryllus<br />

campestris) die experimentelle Verbesserung des Nahrungsangebotes<br />

die Rufrate von Männchen, die damit über deren aktuelle Kondition Auskunft<br />

gibt (Scheuber et al. 2003). Die Grundfrequenz des Rufs ist außerdem<br />

negativ mit der Körpergröße korreliert und enthält damit Information<br />

über Körpergröße und die Verfassung während des Heranwachsens. In<br />

Wahlexperimenten bevorzugten Weibchen die Kombination dieser beiden<br />

Qualitätsindikatoren (niedere Frequenz und hohe Rufrate), wobei die<br />

Grundfrequenz das wichtigere Merkmal darstellt, wenn man Weibchen<br />

zwingt, zwischen beiden zu unterscheiden (Scheuber et al. 2004).<br />

Der Gesang der Männchen spielt auch bei Singvögeln eine wichtige<br />

Rolle bei der Partnerwahl (Catchpole 1987). Die Qualität der Männchen<br />

wird dabei offenbar entweder über die Gesangsrate oder die Repertoiregröße<br />

abgeschätzt (Gil u. Gahr 2002). Beim Dunkellaubsänger (Phylloscopus<br />

fuscatus) wurde außerdem gezeigt, dass auch die Amplitude des Gesangs<br />

von der Qualität der Männchen abhängt (Forstmeier et al. 2002).<br />

Männchen, die lauter singen, was physiologisch anstrengender ist, leben<br />

länger und haben größeren Erfolg bei EPCs. Stare (Sturnus vulgaris), die<br />

in der frühen Jugendphase regelmäßig experimentellem Nahrungsmangel<br />

ausgesetzt waren, sangen im darauf folgenden Frühjahr weniger und produzierten<br />

insgesamt weniger und kürzere Gesangsstrophen (Buchanan et al.<br />

2003). Damit enthält die Qualität und Quantität von Vogelgesang auch Information<br />

über individuelle Stresserfahrungen während der Entwicklung,<br />

die von den Weibchen zur Qualitätsbestimmung herangezogen werden<br />

könnte.<br />

Auch bei Säugetieren enthalten akustische Signale Informationen über<br />

die Qualitätsunterschiede zwischen Männchen. So unterscheiden sich bei<br />

Rothirschen (Cervus elaphus) Männchen während der Brunft in der Rate,<br />

mit der sie röhren. Die Fähigkeit, anhaltend mit großer Lautstärke und hoher<br />

Wiederholungsrate zu röhren, hängt mit Ausdauer und physiologischer<br />

Belastbarkeit zusammen und kann daher von Hirschkühen als Qualitätsanzeiger<br />

benutzt werden. In der Tat besitzen Weibchen eine Präferenz für<br />

Hirschbullen mit der höchsten Rufrate (McComb 1991).


360 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Bei visuellen Ornamenten kann die Information über die Qualität eines<br />

Männchens vor allem in der Farbe, Ornamentierung, Symmetrie, Körperbewegung<br />

oder Größe kodiert sein. Neben den energetischen Kosten der<br />

Produktion erzeugen visuelle Ornamente vor allem dadurch Kosten, dass<br />

sie ihre Träger auffälliger gegenüber Räubern oder Parasiten machen oder<br />

dass sie optimale Fortbewegungsmuster kompromittieren. Visuelle Ornamente<br />

können ebenfalls aktuelle Kondition oder Entwicklungsbedingungen<br />

reflektieren (Ausnahme: Dale 2000). Die Intensität gelber und roter Farben<br />

ist beispielsweise von der Menge aufgenommener Karotinoide abhängig,<br />

welche ihrerseits den Erfolg bei der Nahrungsaufnahme reflektiert. Da<br />

manche Parasiten die Resorption von Karotinoiden im Darm erschweren,<br />

könnten solche Farben ein (Kondition-) offenbarendes handicap darstellen<br />

(Milinski u. Bakker 1990). Karotenoid-abhängige Färbungen können saisonal<br />

schwanken, aber Unterschiede zwischen Individuen werden dabei<br />

beibehalten (Pérez-Rodríguez 2008). Die Größe eines Ornaments, wie zum<br />

Beispiel die Länge eines Schwanzes, oder auch die Größe des gesamten<br />

Körpers könnte dagegen als strategisches handicap funktionieren, da Produktion<br />

und Erhalt energetische Kosten beanspruchen.<br />

Ein guter Gesundheitszustand und die Abwesenheit von Parasiten zeigen<br />

sich im Zustand, insbesondere der Färbung, von Fell und Gefieder,<br />

aber auch in der Färbung von nackten Hautstellen (Box 9.4). Dieser Zu-<br />

Box 9.4<br />

Hamilton-Zuk-Hypothese<br />

Bei einem Vergleich von nordamerikanischen Singvögeln fanden Hamilton<br />

u. Zuk (1982), dass die Intensität der Gefiederfärbung zwischen Arten positiv<br />

mit dem Befall durch Blutparasiten korreliert. Parasiten befinden sich in einem<br />

ständigen evolutionären Wettrennen mit ihren Wirten. Da die Parasiten<br />

kürzere Generationsfolgen haben, können sie sich rasch an neue Resistenzmerkmale<br />

der Wirte anpassen. Die Wirte sind wiederum darauf angewiesen,<br />

mit Hilfe genetischer Veränderungen neue Resistenzen zu entwickeln, so<br />

dass dieser koevolutionäre Zyklus immer wieder andere Wirtsgenotypen vorteilhaft<br />

macht und so additive genetische Varianz für Parasitenresistenz erhält.<br />

Da Weibchen ein Interesse daran haben sollten, nicht-parasitierte Männchen<br />

zu bevorzugen (um selbst nicht infiziert zu werden und um ihren<br />

Jungen die genetischen Grundlagen erfolgreicher Resistenz zukommen zu<br />

lassen), ist Parasitenresistenz ein wichtiges, generelles Qualitätsmerkmal. Da<br />

Parasiten, insbesondere Endoparasiten, kaum sichtbar sind, benötigen Weibchen<br />

ein anderes Merkmal, das die Widerstandsfähigkeit und den Gesundheitszustand<br />

der potentiellen Partner zuverlässig anzeigt – in vielen Fällen<br />

durch visuelle Ornamente.


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 361<br />

sammenhang entsteht aufgrund des unvermeidlichen Trade-offs bei der<br />

Energie-Allokation ( Kap. 2.2); wenn limitierte Energie in die Aufrechterhaltung<br />

der Grundfunktionen (in diesem Fall: Krankheitsabwehr) investiert<br />

werden muss, steht sie für Reproduktion (in diesem Fall: qualitätsabhängige<br />

Ornamente) nicht zur Verfügung.<br />

Dieser Zusammenhang zwischen Parasitenbelastung und Qualität eines<br />

visuellen Ornaments ist nicht nur zwischen Arten zu erwarten, sondern vor<br />

allem beim Vergleich der Männchen einer Art. Paarungs- und Präferenzexperimente<br />

mit Stichlingen (Gasterosteus aculeatus, Abb. 9.12) haben<br />

gezeigt, dass sowohl die Intensität der Rotfärbung der Männchen, die bei<br />

der Partnerwahl eine Rolle spielt, als auch die Präferenz der Weibchen für<br />

Männchen mit unterschiedlich intensiver Rotfärbung additive genetische<br />

Varianz aufweisen. Die Intensität der Rotfärbung der Söhne ist dabei positiv<br />

mit der Stärke der Präferenz der Töchter für rote Männchen korreliert<br />

(Bakker 1993), was zeigt, dass Merkmal und Präferenz korreliert sind. Bei<br />

Stichlingen korreliert die Intensität der Rotfärbung der Männchen positiv<br />

mit deren körperlicher Verfassung; sie wird daher auch durch Parasitenbefall<br />

verringert. Dass Weibchen eine Präferenz für Männchen unter Berücksichtigung<br />

der Rotfärbung exekutieren, wurde dadurch demonstriert,<br />

dass bei Wahlversuchen unter grünem Licht, wo diese Information nicht<br />

mehr verfügbar ist, intensiv rot gefärbte Männchen nicht mehr bevorzugt<br />

werden (Milinski u. Bakker 1990).<br />

Auch die Asymmetrie von bilateral symmetrischen Merkmalen beinhaltet<br />

visuell vermittelte Information über die Fähigkeit eines Genotyps,<br />

nachteilige genetische und Umwelteinflüsse, die sich störend auf das<br />

gleichmäßige Wachstum bilateral symmetrischer Merkmale auswirken, zu<br />

kompensieren. Insofern reflektiert die resultierende fluktuierende Asymmetrie<br />

(FA, zufällige Abweichungen nach links oder rechts) ebenfalls die<br />

Abb. 9.12. Rotfärbung<br />

bei männlichen Stichlingen<br />

(Gasterosteus aculeatus).<br />

Dieses visuelle<br />

Ornament berücksichtigen<br />

Weibchen bei der<br />

Partnerwahl


362 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Abb. 9.13. Fluktuierende<br />

Asymmetrie<br />

der Schwanzfedern<br />

ist bei den<br />

männlichen Rauchschwalben<br />

negativ<br />

mit dem Fortpflanzungserfolg<br />

korreliert<br />

genetische Qualität eines Individuums (Thornhill u. Møller 1998). Weibchen<br />

sollten also möglichst symmetrische Männchen bevorzugen. Das<br />

Ausmaß der durchschnittlichen FA ist bei sekundären Geschlechtsmerkmalen<br />

größer als bei anderen Merkmalen, und in zumindest einem Fall<br />

wurde gezeigt, dass Männchen ihr Verhalten an ihr Maß an FA anpassen:<br />

Männliche Guppies mit asymmetrischer Farbverteilung präsentierten<br />

Weibchen beim Balzen häufiger die Körperseite mit mehr Farbe (Gross<br />

et al. 2007).<br />

Dass Weibchen eine generelle Präferenz für symmetrische Merkmale<br />

besitzen, zeigte ein Experiment mit Zebrafinken (Taeniopygia guttata), bei<br />

dem sie die Wahl zwischen Männchen hatten, die entweder an einem oder<br />

an beiden Beinen beringt waren (Swaddle u. Cuthill 1994). Zebrafinken-<br />

Weibchen zeigten eine klare Präferenz für Männchen mit dem symmetrischen<br />

arbiträren Ornament. Die Bedeutung von FA bei der Partnerwahl<br />

wurde auch in einer Reihe natürlicher Merkmale, wie zum Beispiel der<br />

Symmetrie der Schwanzfedern bei Vögeln, nachgewiesen (Thornhill u.<br />

Møller 1998). Männliche Rauchschwalben (Hirundo rustica, Abb. 9.13),<br />

denen die Länge und/oder die Symmetrie des Schwanzes experimentell<br />

verändert wurden, hatten unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg. Diejenigen<br />

mit den längsten und symmetrischsten Schwanzfedern verpaarten sich<br />

als Erste (wurden also zuerst gewählt) und hatten mehr Nachkommen als<br />

andere Männchen (Møller 1992).<br />

Bei olfaktorischen Ornamenten können die Konzentration eines Duftstoffs,<br />

die Häufigkeit, mit der er abgegeben wird, sowie die Anzahl und<br />

das Mischungsverhältnis verschiedener Duftkomponenten Qualitätsinformation<br />

enthalten. Wenn es sich um Stoffwechselabbauprodukte handelt,<br />

kann auch die Charakteristik eines Duftstoffes ein bestimmtes Qualitätsmerkmal<br />

kodieren. Da alle diese Aspekte olfaktorischer Signale von Stoff-


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 363<br />

wechselprozessen und Hormonen gesteuert sind, ist die Produktion eines<br />

bestimmten Signals schwerlich zu fälschen, da es für ein krankes Individuum<br />

physiologisch nicht möglich sein wird, den Geruch eines gesunden<br />

Individuums vorzutäuschen (Penn u. Potts 1998a). Da chemische Signale<br />

auch Informationen über die genetische Kompatibilität eines Individuums<br />

an Loci, welche die Immunerkennung von Parasiten kontrollieren, anzeigen,<br />

können diese Duftstoffe auch als olfaktorische Ornamente interpretiert<br />

werden, die ehrlich über den Gesundheitsstatus Auskunft geben<br />

(Martín et al. 2007).<br />

Wie kann der Geruch eines Männchens etwas über seinen Infektionsstatus<br />

aussagen? Diese Frage lässt sich noch nicht genau beantworten, aber<br />

es gibt einige offensichtliche Mechanismen (Penn 2002). Erstens kann eine<br />

Infektion die Zusammensetzung der Bakterienfauna, die letztendlich für<br />

den individuellen Duft verantwortlich ist, verändern. Zweitens kann die<br />

durch eine Infektion ausgelöste Immunreaktion den Individualgeruch verändern,<br />

da während einer Infektion die Expression von MHC-Genen erhöht<br />

wird. Außerdem kann durch die Aktivierung des Immunsystems die<br />

Ausscheidung von Hormonmetaboliten beeinflusst werden; kranke Tiere<br />

scheiden beispielsweise mehr Kortikosteron und weniger Androgene aus.<br />

In diesem Zusammenhang haben Folstad u. Karter (1992) darauf hingewiesen,<br />

dass Testosteron einen immunsuppressiven Effekt hat. Damit<br />

können insbesondere Testosteron-abhängige Signale ehrliche Hinweise<br />

auf den Gesundheitszustand eines Männchens geben: wenn Testosteron<br />

einerseits die Ausprägung von sekundären Geschlechtsmerkmalen kontrolliert<br />

und andererseits die Immunkompetenz reduziert, signalisieren Männchen<br />

mit hohen Testosteron-Konzentrationen, dass sie trotz dieses handicap<br />

eine Immunabwehr aufrechterhalten können, bzw. infizierte Männchen<br />

müssen ihre Testosteron-Konzentration und damit auch deren positive Effekte<br />

auf Ornamente reduzieren, um eine effektive Immunabwehr zu organisieren<br />

(Roberts et al. 2004).<br />

Damit liefern chemische Signale eine Möglichkeit, Informationen über<br />

einen funktional wichtigen Teil des Genoms zu bekommen. Warum kann<br />

es für Weibchen vorteilhaft sein, ihre Partnerwahl MHC-abhängig zu<br />

modifizieren? Erstens können sie direkte Vorteile daraus beziehen, wenn<br />

sie infizierte Männchen auf diese Weise erkennen und vermeiden können,<br />

so dass bei der Paarung keine Übertragung stattfindet (Kavaliers et al.<br />

2003). Zweitens können Weibchen die Resistenz ihrer Nachkommen gegenüber<br />

Parasiten verbessern, wenn sie diese durch die Wahl eines bestimmten<br />

Männchens an entscheidenden MHC-Loci mit einem Heterozygotenvorteil<br />

versehen können. Drittens können Informationen von<br />

MHC-Loci auch benutzt werden, um Verwandte zu erkennen und so Inzucht<br />

zu vermeiden (Penn u. Potts 1999; Kap. 9.2).


364 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Die Rolle des MHC bei der Partnerwahl wurde bislang vor allem an Labormäusen<br />

untersucht. Yamazaki et al. (1976) bemerkten als Erste, dass<br />

die Weibchen mancher Mäusestämme Männchen mit bestimmten MHC-<br />

Allelen vermieden. Die im Urin der Männchen enthaltene Information über<br />

den MHC-Genotyp eines potentiellen Paarungspartners werden mit einem<br />

template verglichen, das durch einen prägungsähnlichen Vorgang während<br />

der frühen Jugendphase unter dem Einfluss des Geruchs von Eltern und<br />

Geschwistern angelegt wird. Wenn man nämlich die Jungen zwischen<br />

Mäusefamilien mit unterschiedlichen MHC-Allelen austauscht, haben die<br />

Weibchen als Erwachsene eine Aversion gegenüber Männchen mit dem<br />

Box 9.5<br />

Elektrische Ornamente<br />

• Frage: Enthält das Entladungsmuster des elektrischen Organs Information<br />

über Männchen, die weibliche elektrische Fische unterscheiden können?<br />

• Hintergrund: Manche Fische besitzen ein elektrisches Organ, das ein<br />

dreidimensionales elektrisches Dipol-Feld erzeugt. Die Entladungsmuster<br />

(EOD) haben charakteristische Zeit-Amplituden-Verläufe und werden zur<br />

Orientierung und zur sozialen Kommunikation eingesetzt. Die Signaldauer<br />

der Männchen von Marcusenius pongolensis korreliert positiv mit der<br />

Größe.<br />

• Methode: EODs unterschiedlicher Länge wurden Weibchen einzeln oder<br />

gepaart vorgespielt und die Verhaltensreaktionen (Annäherung, „Kopfstoßen“)<br />

quantifiziert. Abb. A–E: Balz und Paarung.<br />

15<br />

Kopfstöße/min<br />

10<br />

5<br />

A B C<br />

0 104 204 308 396<br />

EOD Dauer [µs]<br />

D<br />

E<br />

• Ergebnis: Weibchen zeigten stärkere Verhaltensreaktionen (hier: Kopfstöße<br />

pro Min) als Reaktion auf längere EODs, egal ob diese alleine oder<br />

in Kombination mit einem kürzeren EOD präsentiert wurden.<br />

• Schlussfolgerung: Weibchen diskriminieren zwischen EODs von verschiedenen<br />

Männchen und bevorzugen solche von größeren Männchen.<br />

Auch ungewöhnliche artspezifische Signale können als qualitätsanzeigende<br />

Ornamente dienen.<br />

Machnik u. Kramer 2008


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 365<br />

Genotyp ihrer Stiefeltern-Familie (Penn u. Potts 1998b). Wenn männliche<br />

Hausmäuse experimentell mit Bakterien infiziert werden, reduziert dies ihre<br />

Markieraktivität sowie die Attraktivität ihres Urins für Weibchen (Zala<br />

et al. 2004); ein Hinweis auf die olfaktorische Vermittlung von MHCkorrelierter<br />

Information über die Männchen.<br />

Stichlings-Weibchen wählen Partner, welche die optimal komplementären<br />

MHC-Allele zu ihren MHC-Allelen bieten (Milinski et al. 2005).<br />

Stichlinge haben etwa sechs Loci im MHC der Klasse II, hätten also 12<br />

verschiedene Allele bei maximaler Heterozygotie. In natürlichen Populationen<br />

herrschen aber Stichlinge mit fünf bis sechs verschiedenen MHC-<br />

Allelen vor (Reusch et al. 2001). Diese Anzahl stellt ein immungenetisches<br />

Optimum dar. Parasitenfrei aufgezogene Stichlinge mit dieser Allelanzahl<br />

sind am resistentesten gegen Parasiten aus dem See ihrer Eltern (Wegner<br />

et al. 2003). In einem Strömungskanal bevorzugen Stichlings-Weibchen<br />

rein olfaktorisch diejenigen Männchen, mit denen sie Nachkommen mit<br />

dieser optimalen MHC-Allelanzahl erzeugen würden. Sie vergleichen dabei<br />

ihre eigenen MHC-Allele (self-reference) mit denen der potentiellen<br />

Partner (Aeschlimann et al. 2003).<br />

(2) Sind gute Gene wirklich gut? Die entscheidende Frage besteht darin,<br />

ob Weibchen, die Männchen hoher Qualität erkennen und wählen, auch<br />

Nachkommen mit höherer Fitness haben, d. h. erfahren sie tatsächlich indirekte<br />

Vorteile aus ihrer Partnerwahl? Der Nachweis eines solchen Effekts<br />

ist nicht einfach, da hierbei mütterliche Effekte kontrolliert werden müssen.<br />

Wenn es Unterschiede in weiblicher Fertilität oder Fekundität gibt,<br />

könnten diese väterliche Effekte übertünchen. Außerdem kann auch väterliche<br />

(oder elterliche) Fürsorge zu Unterschieden in der Überlebensrate der<br />

Jungen führen, die nichts mit dem genetischen Beitrag der Väter zu tun<br />

hat.<br />

Mehrere Studien haben diese potentiellen Störvariablen aber mit Hilfe<br />

eines eleganten experimentellen Designs kontrolliert und so tatsächlich einen<br />

Effekt guter Gene nachgewiesen. Beim Grauen Laubfrosch (Hyla versicolor)<br />

haben Weibchen eine Präferenz für Männchen mit langen Lockrufen.<br />

Indem Weibchen mit je einem Männchen mit langen bzw. kurzen<br />

Rufen verpaart wurden, konnten mütterliche Halbgeschwister hergestellt<br />

werden, die unter identischen Bedingungen (ohne elterliche Fürsorge)<br />

aufwuchsen. Die Kaulquappen mit Vätern mit langen Rufen unterschieden<br />

sich in mehreren fitnessrelevanten Wachstumsvariablen (Wachstumsgeschwindigkeit,<br />

Größe bei der Metamorphose etc.) von den anderen Individuen<br />

(Welch et al. 1998). In diesem Fall ist die Rufdauer also ein verlässlicher<br />

Indikator erblicher genetischer Qualität.


366 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Bei Stichlingen wurden in ähnlicher Weise mit In-vitro-Fertilisation<br />

mütterliche Halbgeschwister hergestellt, deren Väter sich in der Intensität<br />

der roten Körperfärbung unterschieden (Barber et al. 2001). Der Nachwuchs<br />

von leuchtend roten Männchen hatte zwar langsamere Wachstumsraten<br />

als die Jungen von unscheinbareren Männchen, aber sie reagierten<br />

auf experimentelle Infektionen mit einer höheren Immunkompetenz. Stichlings-Weibchen,<br />

die leuchtend rote Männchen auswählen, verbessern also<br />

die Krankheitsresistenz ihres Nachwuchses.<br />

9.5.3 Genetische Kompatibilität<br />

Gute-Gene-Modelle gehen davon aus, dass Ornamente konditionsabhängige<br />

Indikatoren männlicher Qualität sind und dass Weibchen bemüht<br />

sind, die Qualitäten von bevorzugten Männchen an ihren Nachwuchs<br />

weiterzugeben. Neben der Partnerwahl nach absoluten genetischen Merkmalen<br />

ist aber auch denkbar, dass Weibchen ihre Partner danach auswählen,<br />

ob ihre Gene adaptive Kombinationen mit den eigenen Genen<br />

ermöglichen und so beispielsweise ihren Jungen einen Heterozygotenvorteil<br />

zukommen lassen (Mays u. Hill 2004).<br />

Bei Arten mit sexueller Fortpflanzung entsteht der Genotyp von Nachkommen<br />

durch die Kombination von mütterlichen und väterlichen Gameten.<br />

Die Fitness der Nachkommen kann dadurch beeinflusst werden, dass<br />

bestimmte Allele an sich oder bestimmte Kombinationen von Allelen vorteilhaft<br />

sind. Die inhärent vorteilhaften Allele sollten von allen Weibchen<br />

bevorzugt werden, wobei die Träger den Besitz dieser „guten Gene“ durch<br />

Ornamentmerkmale anzeigen. In einem einfachen diploiden Ein-Locus-<br />

Modell sollten alle Weibchen diejenigen Männchen bevorzugen, die an<br />

diesem Locus zwei A-Allele (AA) besitzen (unter der Annahme, dass A<br />

besser ist als a). Eine Wahl zwischen Männchen kann sich für Weibchen<br />

allerdings auch in Bezug auf andere Allele lohnen. Durch eine bestimmte<br />

Kombination von mütterlichen und väterlichen Genen kann nämlich entweder<br />

an bestimmten Loci durch Dominanz ein rezessives, nachteiliges<br />

Allel unterdrückt werden oder ein genereller Heterozygotenvorteil (Heterosiseffekt)<br />

hervorgerufen werden. In den beiden letzten Fällen hängt die<br />

Fitness der Nachkommen also nicht nur vom haploiden väterlichen Beitrag,<br />

sondern vom kombinierten diploiden Beitrag beider Eltern ab. Um einen<br />

Dominanzvorteil zu erzielen, sollten in diesem Beispiel homozygot rezessive<br />

(aa) und heterozygote (Aa) Weibchen demnach AA-Männchen<br />

bevorzugen. Wenn heterozygote Nachkommen einen Vorteil haben, sollten<br />

dagegen AA-Weibchen aa-Männchen bzw. aa-Weibchen AA-Männchen


9.5 Indirekte Vorteile der Partnerwahl 367<br />

bevorzugen; für heterozygote Weibchen ist die Wahl in diesem Fall belanglos.<br />

Für die Partnerwahl nach genetischer Komplementarität stellen sich für<br />

Weibchen zwei gewichtige Probleme. Erstens wird die Wahl in den wenigsten<br />

Fällen auf einen einzigen Locus beschränkt sein. Gerade im Bereich<br />

der MHC-Gene, wo es Hinweise darauf gibt, dass mit interindividueller<br />

Diversität an den MHC-Loci ein Heterozygotenvorteil<br />

verbunden ist, gibt es eine riesige Anzahl von Allelen, die berücksichtigt<br />

werden müssen. Zweitens gibt es außer Geruchssignalen keine offensichtlichen<br />

phänotypischen Indikatoren genetischer Unähnlichkeit, an denen<br />

sich die Wahl der Weibchen orientieren könnte. Trotzdem gibt es zunehmend<br />

Hinweise dafür, dass Weibchen in verschiedenen Arten genetisch<br />

unterschiedliche Männchen bevorzugen (Tregenza u. Wedell 2000).<br />

Bei paarlebenden Singvögeln und anderen Arten mit einer Diskrepanz<br />

zwischen sozialem und genetischem Paarungssystem bieten extra-pair<br />

copulations (EPCs) eine elegante Möglichkeit, den Einfluss des väterlichen<br />

Genotyps auf die mütterliche Partnerwahl und Jungenfitness zu<br />

untersuchen, da die Jungen in einem Nest sowohl dieselbe Umgebung als<br />

auch den haploiden Satz an mütterlichen Genen teilen. Die Weibchen<br />

dieser Arten haben sich zwar für ein Männchen, ihren sozialen Partner,<br />

entschieden, dadurch aber auch ihre weiteren Wahlmöglichkeiten eingeschränkt.<br />

Durch Paarungen mit Männchen außerhalb des sozialen Paarverbundes,<br />

die häufig von den Weibchen initiiert werden (Double u. Cockburn<br />

2000), können Weibchen aber indirekte genetische Vorteile erfahren,<br />

die auch auf genetischer Kompatibilität beruhen können.<br />

Erstens können sie durch entsprechende Wahl von EPC-Partnern den<br />

Grad an Heterozygotie ihrer Jungen beeinflussen. Dabei stellt der männliche<br />

Genotyp kein absolutes Merkmal dar, sondern die Kombination von<br />

väterlichem und mütterlichem Genotyp ist entscheidend. Bei Blaumeisen<br />

wählen Weibchen sowohl Männchen, die nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft<br />

leben, als auch ihre Nachbarn für EPCs aus (Foerster et al. 2003).<br />

Aus Paarungen mit Nicht-Nachbarn entstehen Junge, die einen höheren<br />

Heterozygotie-Grad haben als Junge, die mit dem sozialen Partner gezeugt<br />

werden. Seitensprünge mit Nachbarn erhöhten den Heterozygotie-Grad im<br />

Durchschnitt ebenfalls nicht. Man kann diese Daten so interpretieren, dass<br />

weibliche Blaumeisen ihre unterschiedlichen Partner nach verschiedenen<br />

Kriterien auswählen. Beim primären, sozialen Partner könnten sowohl<br />

direkte als auch indirekte Vorteilsmerkmale ausschlaggebend sein. Bei<br />

EPC-Partnern werden Nachbarn nach bestimmten guten Genen gewählt<br />

(Kempenaers et al. 1997), wohingegen Nicht-Nachbarn in Bezug auf ihre<br />

genetische Komplementarität gewählt werden. Aktive Weibchenwahl, die<br />

zu erhöhter Heterozygosität führt, wurde sogar bei polygynen Pelzrobben


368 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

(Arctocephalus gazella) beschrieben (Hoffman et al. 2007), was die Bedeutung<br />

dieses Effekts unterstreicht.<br />

Zweitens können Weibchen durch entsprechende Wahl von EPC-<br />

Partnern ihren Jungen bestimmte gute Gene zukommen lassen, wobei die<br />

Qualität dieser Gene in Relation zum mütterlichen Genotyp bewertet wird.<br />

Durch einen Vergleich zwischen Jungen, die von einem sozialen Paar gezeugt<br />

werden (within-pair young, WPY), solchen, die von anderen Männchen<br />

gezeugt werden (extra-pair young, EPY), sowie den Jungen der EPC-<br />

Männchen mit deren sozialen Partnerinnen kann diese Hypothese getestet<br />

werden. Bei Blaukehlchen (Luscinia svecica) haben Junge, die durch EPCs<br />

entstehen, eine höhere Immunkompetenz als mit dem sozialen Partner gezeugte<br />

Junge (Johnsen et al. 2000). Diese EPY haben aber auch eine höhere<br />

Immunkompetenz als ihre väterlichen Halbgeschwister, was darauf hindeutet,<br />

dass der mütterliche Genotyp einen zusätzlichen Effekt auf die<br />

Fitness der Jungen hat. Diese Weibchen bekommen durch EPCs also keine<br />

guten Gene an sich, sondern kompatible Gene. Wie weit verbreitet solche<br />

indirekten genetischen Vorteile der Partnerwahl sind, ist allerdings noch<br />

unklar. Bei Tannenmeisen (Parus ater) fanden sich nämlich in großen<br />

Stichproben von WPY und EPY keine signifikanten Unterschiede in Überlebensraten<br />

und in ihrem Reproduktionserfolg im ersten Jahr (Schmoll<br />

et al. 2003). Variation in Ausmaß und Ursachen von EPCs müssen daher<br />

noch umfassender zwischen Arten und Populationen verglichen werden<br />

(Petrie u. Kempenaers 1998). Außerdem werfen solche Studien die Frage<br />

auf, nach welchen Kriterien eigentlich die sozialen Partner ausgewählt<br />

werden.<br />

9.6 Polyandrie<br />

Theorien der weiblichen Partnerwahl gehen implizit davon aus, dass sich<br />

Weibchen aufgrund von direkten oder indirekten Vorteilen mit einem<br />

bestimmten Männchen verpaaren sollten. Aufgrund der Bateman’schen<br />

Regel ( Kap. 7) ist außerdem zu erwarten, dass Weibchen durch mehrfache<br />

Verpaarungen ihren aktuellen Fortpflanzungserfolg nicht erhöhen<br />

können. Außerdem sind Kopulationen durchaus mit Kosten und Risiken<br />

behaftet, so dass es gute Gründe geben kann, deren Zahl gering zu halten.<br />

So nehmen Paarungen Zeit und Energie in Anspruch, die für andere Aktivitäten<br />

fehlen, sie beinhalten das Risiko, dass durch sie Geschlechtskrankheiten<br />

und Parasiten übertragen werden, sie verringern die Wachsamkeit<br />

und erhöhen die Auffälligkeit gegenüber Räubern. Außerdem können<br />

Kopulationen die Lebenserwartung und andere Fitnessdeterminanten der


9.6 Polyandrie 369<br />

Abb. 9.14. Polyandrie (ein Weibchen verpaart sich während eines Fortpflanzungszyklus<br />

mit mehreren Männchen) ist weit verbreitet, insbesondere bei Säugetieren<br />

(links: Grauer Mausmaki, Microcebus murinus; rechts: Fossa, Cryptoprocta ferox)<br />

Weibchen drastisch reduzieren ( Kap. 9.8). Empirische Beobachtungen<br />

zeigen aber, dass die große Mehrzahl der Arten nicht in lebenslanger Monogamie<br />

lebt und dass sich viele Weibchen sogar innerhalb eines Fortpflanzungszyklus<br />

mit mehreren Männchen (und/oder mehrfach mit demselben<br />

Männchen) verpaaren (Zeh u. Zeh 2003; Abb. 9.14). Wie lassen<br />

sich diese Variabilität im weiblichen Paarungsverhalten und insbesondere<br />

die weibliche Polyandrie erklären und mit den genannten theoretischen<br />

Grundlagen in Einklang bringen?<br />

Lange Zeit ging man davon aus, dass Polyandrie entweder von den<br />

Männchen erzwungen wird (Thornhill 1980) oder dass es sich um ein<br />

nicht-adaptives Nebenprodukt positiver Selektion auf Gene handelt, die bei<br />

Männchen zu promiskem Verhalten führen (Halliday u. Arnold 1987).<br />

Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass in vielen Fällen die Initiative<br />

zu Mehrfachverpaarungen von den Weibchen ausgeht, wobei die Gelegenheit<br />

für Polyandrie durch ökologische (Owens 2002) oder Life history-<br />

Faktoren beeinflusst werden kann (Jones et al. 2001). Polyandrie für<br />

Weibchen sollte also mit direkten oder indirekten Vorteilen verbunden<br />

sein, welche die erwähnten Kosten und Nachteile von multiplen Kopulationen<br />

mehr als wettmachen (Abb. 9.15).<br />

Direkte Vorteile von weiblicher Polyandrie sind immer dann offensichtlich,<br />

wenn (1) die Kopulation selbst mit der Übertragung von Ressourcen<br />

verbunden ist. Durch die Nährstoffe, die in Samenflüssigkeiten,<br />

Spermatophoren oder „Brautgeschenken“ enthalten sind, wird vor allem<br />

die Fekundität von denjenigen Weibchen zusätzlich positiv beeinflusst, die


370 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Abb. 9.15. Potentielle Kosten und Vorteile multipler Verpaarungen von Weibchen<br />

sich mehrfach verpaaren (Wiklund et al. 2001). Bei Insekten gibt es auch<br />

zahlreiche Fälle, in denen (2) weibliche Fertilität durch zusätzliche Kopulationen<br />

erhöht wird, da die Spermien aus einer Kopulation offenbar nicht<br />

immer ausreichen, alle Eier eines Weibchens zu befruchten (Arnqvist u.<br />

Nilsson 2000). Obwohl Mehrfachverpaarungen teilweise massive Kosten<br />

für Insekten-Weibchen mit sich bringen ( Kap. 9.8), sind die direkten<br />

durchschnittlichen Fitnessgewinne von 30–70% durch multiple Paarungen<br />

größer als diese Kosten. Aufgrund dieser Vor- und Nachteile sollten (Insekten-)Weibchen<br />

daher eine relativ eng definierte optimale Paarungsrate<br />

haben. So wie Heckenbraunellen (Prunella vulgaris) können polyandrische<br />

Weibchen auch (3) zusätzliches väterliches Investment oder Zugang zu<br />

weiteren männlichen Territorien bekommen (Davies et al. 1996).<br />

Wenn (4) sexuelle Belästigung durch Männchen ein Problem darstellt<br />

und die Kosten des weiblichen Widerstands (z. B. vergeudete Zeit, Verletzungsrisiko,<br />

erhöhte Auffälligkeit gegenüber Raubfeinden) größer sind als<br />

die Kosten einer zusätzlichen Kopulation, können polyandrische Weibchen<br />

einen direkten Selektionsvorteil durch die Reduktion dieser Nachteile erfahren.<br />

Ein möglicherweise sehr spezieller direkter Vorteil polyandrischer<br />

Paarungen existiert bei einer Motte (Utetheisa ornatrix), bei der bei Kopulation<br />

von Männchen chemische Substanzen übertragen werden, die (5)<br />

den Schutz vor Raubfeinden verbessern (González et al. 1999). Schließlich<br />

ist es auch noch denkbar, dass (6) Kopulationen Bestandteil der Paarbildung<br />

sind und Weibchen einen neuen, besseren Partner finden können,<br />

wenn sie sich mehrfach verpaaren (Birkhead u. Pizzari 2002).


9.6 Polyandrie 371<br />

Indirekte Vorteile multipler Verpaarungen sind vor allem genetischer<br />

Art (Jennions u. Petrie 2000). Dabei ist zu unterscheiden zwischen Vorteilen,<br />

die auf intrinsischer Qualität von Männchen beruhen, und solchen,<br />

die aufgrund erhöhter Attraktivität der Söhne vorteilhaft sind (Tregenza u.<br />

Wedell 2000). Bei Arten, die mehr als ein Junges pro Fortpflanzungszyklus<br />

produzieren, kann durch Paarungen mit mehreren Männchen (1) die<br />

genetische Variabilität der Nachkommen erhöht werden. Dies ist langfristig<br />

von Vorteil, weil Weibchen dadurch bei sich verändernden Umweltbedingungen<br />

das geometrische Mittel ihrer Fitness erhöhen, indem sie<br />

ihr Risiko – d. h. schlecht angepasste Nachkommen – streuen (bethedging)<br />

(Fox u. Rauter 2003). So erhöhen weibliche Kängururatten (Dipodomys<br />

spectabilis) den durchschnittlichen Heterozygotiegrad ihrer Jungen<br />

durch Mehrfachverpaarungen (Waser u. De Woody 2006).<br />

Neben der genetischen Diversität des Nachwuchses kann auch (2)<br />

dessen Qualität durch Erhöhung der Kompatibilität zwischen Mutter und<br />

einem der zur Auswahl stehenden Väter verbessert werden. Wenn präkopulatorische<br />

Wahl schwierig oder Selektivität mit hohen Kosten verbunden<br />

ist, kann so nach multiplen Paarungen auf postkopulatorischer<br />

Ebene durch kryptische Mechanismen eine endgültige Wahl stattfinden<br />

(Zeh u. Zeh 2003). Bei Säugetieren gibt es Hinweise aus vergleichenden<br />

Untersuchungen, dass promiske Arten seltener frühe Verluste der sich<br />

entwickelnden Nachkommen erfahren; möglicherweise weil durch postkopulatorische<br />

Wahl Spermien gewählt werden, die eine möglichst gute<br />

genetische Komplementarität gewährleisten (Stockley 2003).<br />

Durch kryptische Weibchenwahl können auch (3) die Kosten von Inzucht<br />

vermieden werden, wenn Paarungen mit Verwandten aus bestimmten<br />

Gründen nicht verhindert werden können (Tregenza u. Wedell 2002).<br />

Durch Mehrfachverpaarungen lösen Weibchen außerdem Spermienkonkurrenz<br />

( Kap. 8.5) aus. Wenn die Vaterschaft alleine durch Spermienkonkurrenz<br />

entschieden wird, selektieren Weibchen dadurch Söhne<br />

mit erfolgreichen Spermien, so dass (4) polyandrische Weibchen mehr Enkel<br />

haben sollten als monandrische. Aus einem Paarungsexperiment mit<br />

Mehlkäfern (Tribolium castaneum) gibt es Hinweise auf einen solchen relativen<br />

Fitnessvorteil für Söhne aus multiplen Verpaarungen (Pai u. Yan<br />

2002). Außerdem können Weibchen in Arten, die anfällig für Infantizid<br />

sind, durch multiple Paarungen (5) die Vaterschaft verschleiern und damit<br />

das Infantizidrisiko verringern (Wolff u. Macdonald 2004); ein Vorteil, der<br />

bei Säugetieren weit verbreitet ist (z. B. Braunbären, Ursus arctos: Bellemain<br />

et al. 2006). Schließlich kann (6) die weibliche Fekundität durch<br />

Mehrfachverpaarungen auch ohne die Übertragung von Ressourcen positiv<br />

beeinflusst werden. Aus den Eiern von polyandrisch verpaarten Grillen<br />

(Allonemobius socius) schlüpften zum Beispiel doppelt so viele Nach-


372 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

kommen, die eine fast doppelt so hohe Überlebensrate hatten (Fedorka u.<br />

Mousseau 2002). Bei Breitfußbeutelmäusen (Antechinus stuartii) erhöht<br />

Polyandrie die Überlebensraten der Nachkommen (Box 9.6).<br />

Aufgrund der unterschiedlichen Baupläne und Life histories gibt es also<br />

unterschiedliche Erklärungen für weibliche Polyandrie in verschiedenen<br />

Taxa. Insekten schützen sich vor allem vor Fertilitätsverlusten, Vögel können<br />

innerhalb der Zwänge ihres Paarungssystems die genetische Qualität<br />

ihrer Nachkommen verbessern und Säugetiere verringern dadurch das Infantizidrisiko.<br />

Polyandrie liefert also ein weiteres Beispiel dafür, dass es in<br />

Box 9.6<br />

Konsequenzen der Polyandrie<br />

• Frage: Hat Polyandrie einen Effekt auf die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

der Nachkommen?<br />

• Hintergrund: Positive Effekte der Polyandrie auf Juvenilsterblichkeit<br />

wurden bislang nur in Laborexperimenten gezeigt. Breitfußbeutelmäuse<br />

(Antechinus stuartii) sind semelpar: Die gesamte weibliche Fitness hängt<br />

also vom Schicksal eines Wurf ab.<br />

• Methode: Wildgefangene Weibchen wurden im Labor mit einem oder<br />

drei Männchen verpaart. Die Jungen wurden in einem Jahr im Labor<br />

aufgezogen und wuchsen im folgenden Jahr nach demselben Verpaarungsexeriment<br />

in freier Wildbahn auf.<br />

% Überlebensrate der Jungtiere<br />

1.0<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

wild (2003) gefangen (2004)<br />

Platzhalter<br />

• Ergebnis: Überlebensraten der Jungtiere waren in Gefangenschaft höher,<br />

aber unter beiden Bedingungen hatten Junge von polyandrisch verpaarten<br />

Weibchen höhere Überlebensraten.<br />

• Schlussfolgerung: Polyandrie erhöht auch in freier Wildbahn die weibliche<br />

Fitness. Mütterliche Kondition kann aufgrund von Semelparie als<br />

Ursache ausgeschlossen werden.<br />

Fisher et al. 2006


9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen 373<br />

verschiedenen Taxa durchaus unterschiedliche Erklärungen für dasselbe<br />

Phänomen geben kann, dass außerdem dasselbe Verhalten für eine Art<br />

mehrere Vorteile mit sich bringen kann (East et al. 2003) und dass das<br />

Verhalten funktionell stark mit Aspekten der Life history verschränkt ist<br />

( Kap. 2).<br />

9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen<br />

Entsprechend den traditionellen Geschlechterrollen sind Weibchen in den<br />

meisten Arten das vorwiegend wählerische Geschlecht ( Kap. 7.3).<br />

Genauso wie Männchen aber auch wählerisch sein können ( Kap. 8.8),<br />

beeinflussen Weibchen durch Konkurrenz untereinander ihren Fortpflanzungserfolg<br />

(Clutton-Brock et al. 2006). Da der weibliche Fortpflanzungserfolg<br />

stark vom Zugang zu Ressourcen abhängt, ist Konkurrenz zwischen<br />

Weibchen vor allem dann zu erwarten, wenn limitierende Ressourcen wie<br />

Nahrung knapp sind ( Kap. 5.4). Spezifischere Konkurrenz um den Zugang<br />

zu Männchen ist dann zu erwarten, wenn das operationale Geschlechterverhältnis<br />

stark zu Gunsten der Weibchen verschoben ist oder wenn es<br />

große Variabilität in der Qualität der Männchen gibt. Außerdem können<br />

Weibchen durch Konkurrenz ein Männchen für sich monopolisieren; ein<br />

Aspekt, der wichtig ist, wenn die Mithilfe des Männchens zur erfolgreichen<br />

Jungenaufzucht notwendig ist. Schließlich gibt es Arten, bei denen<br />

Weibchen untereinander um die Monopolisierung der Fortpflanzung konkurrieren.<br />

Diese Konkurrenz kann so weit gehen, dass die gesamte Fortpflanzung<br />

auf ein Weibchen beschränkt ist und alle anderen Weibchen steril<br />

sind.<br />

9.7.1 Reproductive skew<br />

In Gruppen lebende Arten unterscheiden sich in auffälliger Weise darin,<br />

über wie viele Weibchen die Fortpflanzung innerhalb der Gruppe verteilt<br />

ist. Diese kontinuierliche Spannbreite von Situationen, in denen die Fortpflanzung<br />

in einem Extremfall von einem dominanten Weibchen monopolisiert<br />

wird und im anderen Extremfall sich alle Weibchen gleichermaßen<br />

erfolgreich fortpflanzen, wird als reproduktive Ungleichverteilung<br />

(reproductive skew) bezeichnet (Vehrencamp 1983, Kap. 8.4). Immer<br />

dann, wenn mindestens ein Weibchen nicht am Reproduktionserfolg einer<br />

Gruppe partizipiert, könnte dies auf Konkurrenz zwischen den Weibchen<br />

zurückzuführen sein. Allerdings ist es auch denkbar, dass der Verzicht auf<br />

eigene Reproduktion unter bestimmten Bedingungen adaptiv sein kann.


374 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Die Voraussetzungen für solchen Verzicht finden sich unter anderem bei<br />

eusozialen Arten mit reproduktiver Arbeitsteilung sowie bei kooperativen<br />

Brütern (Keller u. Reeve 1994, Kap. 10.4); die Voraussetzungen für<br />

Konkurrenz sind dagegen praktisch immer gegeben. Ob Konkurrenz oder<br />

Verzicht letztendlich für ein bestimmtes Maß an reproduktiver Ungleichverteilung<br />

verantwortlich sind, wird von verschiedenen theoretischen Ansätzen<br />

unterschiedlich gewichtet (Johnstone 2000).<br />

Es gibt zwei Hauptklassen von Modellen, die erklären, wie Reproduktion<br />

innerhalb von Gruppen zwischen Dominanten und Subordinaten aufgeteilt<br />

wird. Transaktions-Modelle (transactional models) gehen generell<br />

davon aus, dass Gruppenmitglieder einander „Reproduktionsrechte“ für<br />

spezifische Zusagen abtreten. Innerhalb der Transaktions-Modelle werden<br />

zwei weitere Gruppen unterschieden. Konzessions-Modelle (concession<br />

models) gehen davon aus, dass dominante Individuen die Fortpflanzung<br />

von Subordinaten komplett kontrollieren können, ihnen aber aus verschiedenen<br />

Gründen limitierte eigene Fortpflanzung zugestehen (Keller u. Reeve<br />

1994). Das Ziel dieser Modelle besteht also darin, vorherzusagen, unter<br />

welchen Bedingungen Dominante den Subordinaten gerade so viel eigene<br />

Fortpflanzung zugestehen sollen, dass diese in der Gruppe bleiben und<br />

friedlich kooperieren. Zurückhaltungs-Modelle (restraint models) beschreiben<br />

Situationen, in denen die Dominanten zwar die Gruppenzugehörigkeit,<br />

die Subordinate(n) aber die Verteilung der Fortpflanzung kontrollieren<br />

(Johnstone u. Cant 2000). In diesem Fall nehmen Subordinierte<br />

gerade so viel der gesamten Fortpflanzung in Anspruch, dass sie von den<br />

Dominanten nicht aus der Gruppe verjagt werden; d. h. die Subordinate(n)<br />

müssen sich zurückhalten, nicht noch eigensüchtiger zu sein.<br />

Die zweite große Klasse von Modellen sind die Seilzieh-Modelle (tugof-war<br />

models). In diesem Fall haben sowohl Dominante als auch Subordinate<br />

nur limitierte Kontrolle über die Verteilung der Fortpflanzung<br />

(Reeve et al. 1998). Dafür, dass Dominante nur begrenzt Kontrolle über<br />

Subordinate ausüben und diese teilweise selbst über ihre Fortpflanzung<br />

entscheiden, gibt es zahlreiche Beispiele (Clutton-Brock 1998). Inzwischen<br />

gibt es Bestrebungen, beide großen Klassen von Modellen zu vereinigen<br />

(Reeve u. Shen 2006).<br />

Im Wesentlichen werden die Macht- und Konkurrenzverhältnisse zwischen<br />

dominanten und subordinaten Weibchen durch zwei Faktoren nachhaltig<br />

beeinflusst: Umweltfaktoren, die eigenständige Fortpflanzung mehr<br />

oder weniger erschweren, sowie der Verwandtschaftsgrad zwischen den<br />

Weibchen einer Gruppe. Die Bedeutung dieser Faktoren ist aus Sicht eines<br />

geschlechtsreif gewordenen Weibchens deutlich; für dieses Weibchen<br />

stellt sich nämlich die Frage, ob es seine Geburtsgruppe verlassen und mit<br />

der eigenen Fortpflanzung beginnen soll. Wenn dafür geeignete Ressour-


9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen 375<br />

cen (z. B. Territorien) und Partner außerhalb der Geburtsgruppe zur Verfügung<br />

stehen, sollte es abwandern. Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es die<br />

Option, in der Geburtsgruppe zu bleiben, den Eltern bei der Aufzucht weiterer<br />

Geschwister zu helfen und so lange auf eigene Fortpflanzung zu verzichten,<br />

bis sich innerhalb oder außerhalb der Gruppe Fortpflanzungsgelegenheiten<br />

ergeben (social queuing; Kokko u. Johnstone 1999). Die<br />

Entscheidung, zu bleiben und auf eigene Fortpflanzung zu verzichten, wird<br />

von Selektion deshalb positiv bewertet, weil Weibchen, die ihren Eltern<br />

oder anderen Verwandten bei der Jungenaufzucht helfen, ihre indirekte<br />

Fitness verbessern, da sie mit den Jungtieren abstammungsidentische Allele<br />

teilen (Reeve u. Keller 1996).<br />

In dieser Situation kann es nun zu interessanten Konflikten zwischen<br />

Dominanten und Subordinaten kommen. Wenn für die Subordinaten<br />

keine Option für eigene Fortpflanzung absehbar ist, könnten sie entscheiden,<br />

mit Dominanten um die Kontrolle, also um „alles-oder-nichts“, zu<br />

kämpfen. Da solche Kämpfe für beide riskant sind, sollten Dominante unter<br />

diesen Bedingungen nach den Konzessions-Modellen „Friedensanreize“<br />

(peace incentives) in Form von Reproduktionsanteilen anbieten.<br />

Ähnliches ist zu erwarten, wenn Dominante aus der Präsenz der Subordinaten<br />

einen Vorteil beziehen, z. B. in der Konkurrenz zwischen Gruppen<br />

oder bei der Prädationsvermeidung. In diesem Fall sollten Dominante<br />

ein „Bleibeangebot“ (staying incentive) machen und einen Teil ihres Reproduktionsmonopols<br />

abgeben. Es stellt sich daher letztendlich die Frage<br />

nach der relativen Machtverteilung zwischen Weibchen: wie sehr können<br />

Dominante mit Vertreibung und wie sehr können Subordinate mit Abwanderung<br />

drohen (Johnstone u. Cant 1999)?<br />

Die Intensität der Konkurrenz zwischen Weibchen sowie die daraus<br />

resultierende optimale reproduktive Ungleichverteilung hängen also von<br />

der Interaktion mehrerer Faktoren ab. Die ökologischen oder sozialen<br />

Zwänge, die selbständige Fortpflanzung von Subordinaten erschweren,<br />

können (1) als der erwartete Erfolg unabhängiger Fortpflanzung ausgedrückt<br />

werden. Je geringer der zu erwartende Erfolg ist, desto höher fällt<br />

die Machtasymmetrie zu Gunsten der Dominanten aus und desto geringer<br />

sind die staying incentives. Die Machtverhältnisse hängen (2) auch vom<br />

Verwandtschaftsgrad zwischen den Weibchen ab. Wenn die Subordinate<br />

nicht mit der Dominanten verwandt ist, müssen größere staying incentives<br />

ihre Bleibe-Kosten kompensieren bzw. nahe Verwandte benötigen geringere<br />

staying incentives, da sie über Verwandtenselektion automatisch größere<br />

indirekte Vorteile des Helfens beziehen ( Kap. 10.4). Schließlich ist (3)<br />

die Machtasymmetrie zwischen Weibchen entscheidend, also die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass eine Subordinate einen letalen Kampf unbeschädigt zu<br />

ihren Gunsten entscheiden kann. Mit zunehmender Stärke der Subordina-


376 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

ten sollten demnach die peace incentives der Dominanten, aber auch das<br />

Risiko eskalierender Kämpfe, größer werden (Box 9.7).<br />

Die Entwicklung von Modellen zur Erklärung von Variabilität im reproductive<br />

skew hat in den letzten 10 Jahren in einem Maße zugenommen,<br />

dass es für viele Modelle noch keine empirischen Überprüfungen gibt. Die<br />

Mehrzahl empirischer Untersuchungen der Ursachen und Konsequenzen<br />

von reproduktiver Ungleichverteilung hat sich bislang mit Weibchen und<br />

Box 9.7<br />

Eskalierende Konflikte zwischen Wespenköniginnen<br />

• Frage: Wann sollten subordinate Weibchen in Konflikte mit Dominanten<br />

investieren?<br />

• Hintergrund: Bei der Konkurrenz zwischen Weibchen sollten Subordinate<br />

umso eher in Kämpfe mit der Dominanten eskalieren, je mehr sie unterdrückt<br />

sind, je weniger sie sich in der Stärke unterscheiden und je geringer<br />

der Verwandtschaftsgrad zwischen ihnen ist. Die Nester von Gallischen<br />

Feldwespen (Polistes dominulus) enthalten ein dominantes und bis zu zehn<br />

subordinate Weibchen.<br />

• Methode: Von 28 Nestern wurden die jeweils dominanten Weibchen für<br />

mehrere Tage entfernt und in einem Kühlschrank verwahrt. Nachdem sie<br />

an ihrem Nest wieder frei gelassen wurden, wurden alle aggressiven Interaktionen<br />

mit der neuen Dominanten beobachtet.<br />

• Ergebnis: In 27 Fällen (•) gewannen die ursprünglichen Dominanten den<br />

Kampf. Je länger sie entfernt waren, desto länger dauerten die Kämpfe.<br />

• Schlussfolgerung: Kämpfe eskalierten umso mehr, je länger die beiden<br />

Kontrahentinnen getrennt waren, vermutlich weil die Kondition der ursprünglich<br />

Dominanten mit zunehmender Zeit (im Kühlschrank) schlechter<br />

wurde. Das Kräfteverhältnis zwischen den Weibchen beeinflusst also<br />

deren Machtasymmetrie.<br />

Cant et al. 2006


9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen 377<br />

dort vor allem mit sozialen Insekten beschäftigt, da die Bildung von sterilen<br />

Kasten mit extrem hohem reproductive skew gleichgesetzt werden<br />

kann (Reeve u. Keller 2001). Außerdem können bei Arten mit mehreren<br />

Königinnen Vorhersagen der verschiedenen Modelle besonders gut überprüft<br />

werden (Heinze u. Keller 2000). Bei Vögeln und einigen Säugetieren<br />

liefern Arten mit „Helfern-am-Nest“ eine Möglichkeit, den altruistischen<br />

Verzicht auf die eigene Fortpflanzung zu untersuchen (Clutton-Brock<br />

2002).<br />

Die Mechanismen der reproduktiven Konkurrenz sind nach den vorliegenden<br />

Untersuchungen nicht einheitlich. Theoretisch ist es denkbar,<br />

dass die reproduktive Unterdrückung der Subordinaten in den Händen der<br />

Dominanten liegt oder dass Subordinate aus eigenem Interesse auf Fortpflanzung<br />

verzichten. Bei Damaraland-Graumullen (Cryptomys damarensis)<br />

sind subordinate Weibchen in ihrer Fortpflanzungsaktivität physiologisch<br />

unterdrückt. Allerdings sind dafür weder Anwesenheit, Pheromone<br />

noch Aggression von Dominanten notwendig (Clarke et al. 2001). Vielmehr<br />

scheinen die Subordinaten sich selbst zurückzuhalten, vermutlich<br />

weil die meiste Zeit nur Verwandte als potentielle Partner zur Verfügung<br />

stehen ( Kap. 9.2). In der Mehrzahl der Arten untermauern Dominante<br />

ihre Position aber dadurch, dass sie vor allem über Pheromone die Fortpflanzungsaktivität<br />

von Subordinaten beeinträchtigen. Bei vielen Krallenaffenarten<br />

(Callitrichidae) unterdrückt das dominante Weibchen so die<br />

Ovulation von subordinaten Weibchen mit Hilfe von im Urin enthaltenen<br />

Pheromonen (Saltzman et al. 1996; Abb. 9.16). Bei Erdmännchen (Suricata<br />

suricatta) vertreibt das dominante Weibchen während der Trächtigkeit<br />

andere adulte Weibchen temporär aus der Gruppe. Die Ausgestoßenen<br />

leiden unter erhöhten Stresshormonwerten (Glukokortikoide) und physiologischer<br />

Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfunktionen (Young et al.<br />

Abb. 9.16. Bei den meisten<br />

südamerikanischen Krallenaffen<br />

(hier Braunrückentamarin,<br />

Saguinus fuscicollis,<br />

mit einem Jungtier<br />

auf dem Rücken) unterdrückt<br />

das dominante<br />

Weibchen die Fortpflanzung<br />

der anderen Weibchen in der<br />

Gruppe


378 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

2006). Solche Stresseffekte können durch Umweltfaktoren noch verstärkt<br />

werden (Rubenstein 2007).<br />

Schließlich kann es auch zu Infantizid zwischen Weibchen kommen.<br />

Bei Haussperlingen (Passer domesticus) werfen Weibchen, die ein Weibchen<br />

eines Paares ersetzen, die Jungen der Vorgängerin regelmäßig aus<br />

dem Nest (Veiga 2004). Bei Streifenmungos (Mungos mungo), einer Art<br />

mit kooperativer Jungenaufzucht, bei der die Fortpflanzung nicht komplett<br />

durch ein dominantes Weibchen monopolisiert wird, kommt es trotzdem<br />

regelmäßig zu Vertreibungen, induzierten Aborten und Infantizid durch<br />

Weibchen (Gilchrist 2006).<br />

9.7.2 Weibliche Ornamente<br />

Bei Männchen sind zahlreiche extravagante Ornamente entstanden, mit<br />

denen sie Rivalen und potentielle Partnerinnen gleichermaßen beeindrucken<br />

( Kap. 8.3). Es gibt auch zahlreiche Beispiele für Arten, in denen<br />

die Weibchen genauso auffällig oder noch stärker ornamentiert sind<br />

als Männchen. Bei Tukans, Papageien und Kolibris sind beide Geschlechter<br />

beispielsweise mit einem farbenprächtigen Gefieder ausgestattet, bei<br />

Antilopen und vielen anderen Ungulaten besitzen beide Geschlechter Hörner,<br />

und bei zahlreichen Fischen und Wirbellosen sind Weibchen genauso<br />

auffällig gefärbt wie die Männchen (Amundsen 2000).<br />

Da weibliche Ornamente vor allem in Arten auftreten, in denen die<br />

Männchen auch ornamentiert sind, wurde lange Zeit angenommen, dass sie<br />

ein funktionsloses Korrelat der genetischen Korrelation zwischen den Geschlechtern<br />

darstellen, welches nur durch starke Gegenselektion (z. B. für<br />

Krypsis) unterdrückt werden kann (Lande 1980). Da Ornamente aber in<br />

der Produktion und im Unterhalt mit Kosten verbunden sind, ist davon<br />

auszugehen, dass es gerade aufgrund der genetischen Korrelation zwischen<br />

den Geschlechtern Selektionsvorteile für die Expression dieser Merkmale<br />

geben muss. Dass genetische Korrelationen zwischen den Geschlechtern<br />

keinen Zwang für die Beibehaltung eines nachteiligen Merkmals darstellen,<br />

hat eine vergleichende Studie an Singvögeln gezeigt, bei denen es<br />

mehr als 150-mal zu evolutionären Übergängen zwischen Dimorphismus<br />

und Monomorphismus gekommen ist (Price u. Birch 1996).<br />

Manche weiblichen Ornamente werden bei der Konkurrenz zwischen<br />

Weibchen eingesetzt. Bei Vögeln gibt es beispielsweise in manchen Taxa<br />

einen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von auffälligem Gefieder<br />

in beiden Geschlechtern und aggressiven Zurschaustellungen (displays),<br />

mit denen Nahrungsterritorien verteidigt werden (West-Eberhard<br />

1983). Innerhalb von Arten können unterschiedlich ausgeprägte weibliche


9.7 Konkurrenz zwischen Weibchen 379<br />

Ornamente Unterschiede im Dominanzstatus reflektieren und so als Statussignale<br />

fungieren. Bei Gallischen Feldwespen (Polistes dominulus) befindet<br />

sich beispielsweise am Kopfschild ein hochvariables Muster von<br />

Flecken, deren Gesamtfläche positiv mit dem Dominanzrang korreliert<br />

(Tibbetts u. Dale 2004). Bei einer Cichlidenart (Neochromis omnicaeruleus)<br />

gibt es drei weibliche Farbmorphen, die durch Konkurrenz zwischen<br />

gleichartigen Weibchen aufrechterhalten werden (Dijkstra et al. 2008).<br />

Neben Ressourcen und Dominanz konkurrieren Weibchen auch direkt<br />

um Männchen. Ein dabei weit verbreiteter Mechanismus besteht im gegenseitigen<br />

Stören und Unterbrechen von Kopulationen. Direkte Konkurrenz<br />

um Männchen ist vor allem dann zu erwarten, wenn Männchen einen<br />

wichtigen Beitrag zur Jungenaufzucht leisten. Bei Arten mit flexiblem Paarungssystem<br />

wie z. B. Heckenbraunellen (Prunella vulgaris) kann es dazu<br />

kommen, dass Weibchen versuchen, ein zweites Männchen zur Mitarbeit<br />

an einem Gelege zu bewegen, so dass es dadurch zu Konkurrenz zwischen<br />

Weibchen um Zweit-Männchen kommt (Davies et al. 1996). Wenn die<br />

Jungenfürsorge ganz oder großteils von Männchen geleistet wird, limitieren<br />

sie die potentielle Fortpflanzungsrate der Weibchen. In diesem Fall<br />

kommt es zu einer Umkehrung der typischen Geschlechterrollen (sex role<br />

reversal). Bei Seenadeln (Syngnathidae: Jones et al. 2001), Seepferdchen<br />

(Hippocampus spp.: Wilson et al. 2003) und einigen Strandläufern (Calidris<br />

spp.: Owens 2002) kommt es dabei regelmäßig zu direkter Konkurrenz<br />

zwischen Weibchen um Zugang zu Männchen.<br />

Andere weibliche Ornamente haben eine Funktion in der Partnerwahl<br />

durch Männchen. Die Partnerwahl kann dabei weitgehend einseitig verlaufen,<br />

wie bei Arten mit vertauschten Geschlechterrollen, oder es findet eine<br />

gegenseitige Wahl statt. Bei Arten mit unbegrenztem Wachstum (Wirbellose,<br />

Fische, Amphibien, Reptilien), bei denen die weibliche Fekundität<br />

Abb. 9.17. Den Sexualschwellungen<br />

von Pavianen<br />

(Papio ursinus) und anderen<br />

Altweltprimaten wird eine<br />

Funktion als sexuell selektiertes<br />

Ornament zugeschrieben<br />

(links weiblicher Pavian<br />

mit Sexualschwellung, rechts<br />

männliches Tier)


380 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

stark zwischen Individuen variiert, und bei Arten, bei denen beide Eltern in<br />

die Jungenaufzucht investieren, sollten Männchen wählerisch sein und<br />

Weibchen ihre Qualitätsunterschiede dementsprechend signalisieren<br />

(Cunningham u. Birkhead 1998). Bei Vögeln gibt es einige Hinweise dafür,<br />

dass Männchen Weibchen mit experimentell vergrößertem Ornament<br />

(Jones u. Hunter 1999) oder mit einem auffälligeren natürlichen Ornament<br />

attraktiver finden (Amundsen et al. 1997). Ob Ornamente bei Weibchen<br />

konditionsabhängig variieren, ist noch kaum untersucht. Eine solche Funktion<br />

wurde beispielsweise den auffälligen Sexualschwellungen von Pavianen<br />

zugesprochen (Domb u. Pagel 2001; Abb. 9.17). Bei Arten mit vertauschten<br />

Geschlechterrollen sind es häufig die Weibchen, die stärker<br />

ornamentiert sind. Bei ihnen ist die Bedeutung der Ornamente bei der Partnerwahl<br />

auch schon in einzelnen Fällen nachgewiesen (Amundsen u.<br />

Forsgren 2001).<br />

9.8 Sexueller Konflikt<br />

Die genetischen Interessen von Männchen und Weibchen sind in den seltensten<br />

Fällen kongruent. Anisogamie und ihre Folgen führen dazu, dass es<br />

aufgrund von geschlechtsspezifischen Anpassungen zur individuellen<br />

Maximierung des Fortpflanzungserfolgs zu einem evolutionären Konflikt<br />

zwischen den Geschlechtern kommt. Immer wenn Anpassungen eines Geschlechts<br />

die Fitness der Mitglieder des anderen Geschlechts beeinträchtigen,<br />

sollte dies zu Gegenanpassung im betroffenen Geschlecht führen.<br />

Wenn diese Gegenanpassungen erfolgreich sind, leitet dies ein evolutionäres<br />

Wettrennen zwischen den Geschlechtern ein (Parker 1979). Dieser<br />

Konflikt ist immer dann zu erwarten, wenn die Geschlechter sich nicht in<br />

lebenslanger Monogamie fortpflanzen, wenn sie sich genetisch unterscheiden<br />

und wenn diese Unterschiede zu verschiedenen optimalen Ausgängen<br />

führen. Da andererseits die Fitness von Männchen und Weibchen nicht unabhängig<br />

voneinander evoluiert (Arnqvist 2004), schaden sich beide Geschlechter<br />

jeweils auch indirekt selbst, wenn sie ihre Fitness auf Kosten<br />

des jeweils anderen erhöhen. Vor diesem Hintergrund gibt es eine Reihe<br />

von Mechanismen, mit denen beide Geschlechter diesen Konflikt austragen,<br />

die zum Teil weitreichende Konsequenzen für Verhalten, Morphologie<br />

und Physiologie bis hin zur Artbildung haben (Chapman et al. 2003).


9.8 Sexueller Konflikt 381<br />

9.8.1 Theorie sexueller Konflikte<br />

Wie kann Selektion Merkmale fördern, mit denen Männchen die Fitness<br />

ihrer Partnerinnen reduzieren? Eigentlich sollte sich die Fitness eines<br />

Männchens eher verringern als erhöhen, wenn seine Partnerin reduzierte<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit und Fekundität aufweist. Die Antwort auf<br />

diese Frage hängt vom Paarungssystem ab (Abb. 9.18). Wenn sich Männchen<br />

und Weibchen zu lebenslanger Monogamie zusammenschließen, gibt<br />

es eine perfekte positive Korrelation zwischen ihrer Fitness und damit kein<br />

Potential für einen evolutionären Konflikt zwischen ihnen. Jede Abweichung<br />

von lebenslanger Monogamie reduziert aber die Korrelation der Gesamtfitness<br />

der beiden Geschlechter und vergrößert das Potential für<br />

sexuelle Konflikte (Rice 2000).<br />

Bei vielen Arten verpaaren sich Männchen und Weibchen mit mehreren<br />

Partnern, Männchen leisten keine väterliche Fürsorge in ihren Nachwuchs,<br />

die Geschlechter bleiben nur für kurze Zeit um die Kopulation herum zusammen<br />

und Weibchen können Spermien für bestimmte Zeit speichern. In<br />

dieser Situation wird die Fitness eines Männchens durch die Zahl der<br />

Weibchen, mit denen es sich verpaart, sowie der Zahl der Jungen pro<br />

Weibchen, die von ihm gezeugt werden, bestimmt. Aus männlicher Sicht<br />

sind polyandrische Verpaarungen von Weibchen daher die Wurzel allen<br />

Übels. Sobald sich ein Weibchen mit einem zweiten Männchen paart,<br />

kommt es zu Spermienkonkurrenz, und das erste Männchen verliert einen<br />

Abb. 9.18. Fitnesskorrelationen zwischen den Geschlechtern. Bei lebenslanger<br />

Monogamie (gelb) sind männliche und weibliche Fitness eng positiv korreliert.<br />

Bei milder (grün) und starker (rot) Polygynie nimmt diese Korrelation ab und das<br />

Potential für intersexuellen Konflikt zu


382 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Teil der Vaterschaft. Mit jedem weiteren verpaarten Konkurrenten verringert<br />

sich die Vaterschaftswahrscheinlichkeit weiter. Selektion wird daher<br />

Merkmale der Männchen belohnen, die dazu führen, dass sich Weibchen<br />

gar nicht mehr, seltener oder erst später mit anderen verpaaren. Eine<br />

Art, dies zu erreichen, besteht darin, die Paarungen selbst mit Kosten für<br />

die Weibchen zu belegen. Merkmale der Männchen, welche die Fitness der<br />

Weibchen reduzieren, sind dabei im Lauf der Evolution entstanden, obwohl<br />

sie Weibchen schädigen, nicht weil sie es tun (Morrow et al. 2003).<br />

Weibchen werden dagegen von Selektion dafür belohnt, ihre lebenslange<br />

und nicht ihre kurzfristige Fekundität zu maximieren. Außerdem haben<br />

sie eine optimale Wiederverpaarungsrate, die größer als 0 ist. Diese<br />

Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der optimalen Fekundität und<br />

Wiederverpaarungsrate liefern daher die Grundlage für die evolutionäre<br />

antagonistische Koevolution zwischen den Geschlechtern.<br />

Es werden zwei Formen des sexuellen Konflikts unterschieden. Ein<br />

Intralokus-Konflikt existiert immer dann, wenn die Variation der Allele<br />

an einem Genort ein Merkmal in beiden Geschlechtern beeinflusst und<br />

beide Geschlechter unterschiedliche Fitnessoptima für diese Allele besitzen.<br />

Dadurch, dass es an diesem Lokus eine genetische Korrelation<br />

zwischen den Geschlechtern gibt und Männchen und Weibchen antagonistische<br />

Interessen verfolgen, behindern sich die Geschlechter gezwungenermaßen<br />

gegenseitig in der optimalen Ausprägung des betroffenen<br />

Merkmals. Bei der Taufliege Drosophila melanogaster wurde beispielsweise<br />

gezeigt, dass es eine starke positive genetische Korrelation zwischen<br />

männlicher und weiblicher Fitness im Larvenstadium (solange ihre Interessen<br />

noch übereinstimmen) gibt, wohingegen die Korrelation für geschlechtsreife<br />

Individuen (wenn Männchen und Weibchen unterschiedliche<br />

Interessen haben) stark negativ ist (Chippindale et al. 2001). Es gibt also<br />

erhebliche antagonistische Variation in der Fitness der Adulten, wobei Gene,<br />

die für Weibchen vorteilhaft sind, für Männchen nachteilig sind und<br />

umgekehrt. Ein ähnlicher Effekt wurde bei Rothirschen (Cervus elaphus)<br />

dokumentiert, wo Bullen mit relativ hoher Fitness im Durchschnitt Töchter<br />

mit relativ geringer Fitness zeugen (Foerster et al. 2007).<br />

Ein Interlokus-Konflikt liegt dagegen immer dann vor, wenn es einen<br />

Konflikt über den Ausgang von Interaktionen zwischen den Geschlechtern<br />

gibt. Obwohl der Konflikt zwischen den Geschlechtern ausgetragen wird,<br />

sind verschiedene Genloci die eigentlichen genetischen Einheiten, die antagonistisch<br />

koevoluieren und dem Phänomen den Namen geben. Dabei<br />

kann grundsätzlich zwischen einem Paarungs- und einem Befruchtungskonflikt<br />

unterschieden werden. Ein weiterer Konflikt kann sich über das<br />

Ausmaß des elterlichen Investments in die Jungen ( Kap. 10.3) ergeben.<br />

Der Paarungskonflikt findet vor allem präkopulatorisch statt, wohingegen


9.8 Sexueller Konflikt 383<br />

der Konflikt über die anstehende Fertilisation postkopulatorisch ausgetragen<br />

wird.<br />

Die Fitnessinteressen eines Männchens werden am besten dadurch bedient,<br />

dass es 100% der Eier aller Weibchen, denen es begegnet, befruchtet.<br />

Jedes Merkmal eines Weibchens, das zu einer Präferenz für ein bestimmtes<br />

Männchen auf Kosten eines anderen führt, löst einen sexuellen<br />

Konflikt mit dem abgelehnten Männchen aus. D. h. Partnerwahl durch die<br />

Weibchen verursacht sexuellen Konflikt, aber sexueller Konflikt kann<br />

auch zur Evolution von Partnerwahlmechanismen führen, durch die direkte,<br />

von den Männchen verursachte Kosten durch entsprechende Partnerwahl<br />

der Weibchen reduziert werden (Gavrilets et al. 2001). Dieser zweite<br />

Prozess berücksichtigt auch Aspekte des Konflikts, die mit natürlicher Selektion<br />

verknüpft sind, wie z. B. Kosten durch erhöhte Mortalität oder reduzierte<br />

Fekundität, die sich als Konsequenz der Einflüsse bestimmter<br />

männlicher Merkmale ergeben (siehe unten). Deshalb ist zu erwarten, dass<br />

Selektion Mechanismen fördert, mit denen Weibchen diese schädlichen<br />

Einflüsse reduzieren können; es gibt also Selektion für weiblichen Widerstand,<br />

der sich in Form von Partnerpräferenzen äußern kann. In diesem<br />

Fall werden wiederum Männchen erfolgreich sein, die diesen Widerstand<br />

überwinden können. Es kommt also zu einem evolutionären Zyklus von<br />

Resistenz und Überwindung derselben, der als Chase-away-Selektion bezeichnet<br />

wird (Holland u. Rice 1998).<br />

Diese Form der antagonistischen Koevolution zwischen den Geschlechtern<br />

kann besonders anschaulich verdeutlicht werden, wenn Partnerpräferenzen<br />

auf der proximaten Ebene über Ornamente und sensorische<br />

Empfindlichkeiten geregelt werden. Wenn demnach Weibchen aufgrund<br />

einer sensorischen Präferenz Männchen mit einem bestimmten Ornament<br />

bevorzugen, steigt deren Attraktivität. Wenn diese Männchen aber Weibchen<br />

zu suboptimalem Paarungsverhalten verleiten, sie sich also z. B. zu<br />

selten oder zu lange verpaaren, entwickeln die Weibchen Resistenzen (im<br />

Gegensatz zu Präferenzen!) gegenüber Männchen mit diesem Ornament.<br />

Die Männchen werden nun darauf selektiert, diesen erhöhten Widerstand<br />

zu überwinden, indem sie intensivere, aufwändigere Ornamente entwickeln,<br />

welche die sensorische Empfindlichkeit der Weibchen (trotzdem)<br />

ansprechen (Holland u. Rice 1998).<br />

Dieses Wettrüsten führt dazu, dass die Männchen immer extremere<br />

Ornamente entwickeln, bis deren Kosten natürliche Selektion dazu bringen,<br />

den Wettlauf anzuhalten. Am Ende haben Männchen dann möglicherweise<br />

übertriebene Ornamente, welche die Weibchen aber nicht mehr<br />

ausreichend stimulieren; Weibchen sollten diese Art von Wettrennen also<br />

gewinnen. Dieses evolutionäre Wettrennen zwischen den Geschlechtern<br />

wird aber dadurch kompliziert, dass Weibchen durch besonders attraktive


384 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

Männchen zwar hohe Kosten der Paarung in Kauf nehmen müssen,<br />

andererseits aber auch besonders attraktive Söhne produzieren (Cordero u.<br />

Eberhard 2003). Wie sich diese Interlokus-Konflikte in das traditionelle<br />

Theoriengebäude der sexuellen Selektion einfügen, ist in mancherlei Hinsicht<br />

aber noch unklar (Zeh u. Zeh 2003).<br />

9.8.2 Beispiele für sexuellen Konflikt<br />

Dass Interlokus-Konflikte zwischen den Geschlechtern in der postulierten<br />

Art und Weise auftreten, wurde von Bill Rice (1996) mit einem genialen<br />

Experiment nachgewiesen. Er unterbrach die Koevolution zwischen den<br />

Geschlechtern, indem er mit Hilfe genetischer Werkzeuge und entsprechenden<br />

Paarungs-Regimes Drosophila-Populationen kreierte, in denen<br />

Männchen sich an die Weibchen anpassen konnten, die Weibchen aber<br />

nicht mit den Männchen koevoluieren konnten. Nach nur 30 Generationen<br />

hatten die Männchen in diesem Wettrennen einen Vorsprung, der ihre Fitness<br />

um 25% erhöhte. Diese Verbesserung der Männchen ging mit einer<br />

deutlichen Reduktion der Überlebensrate der Weibchen einher. Die Überlebensrate<br />

der Weibchen wurde dadurch verringert, dass Männchen sich<br />

immer häufiger wiederverpaaren konnten und dadurch mehr schädliche<br />

Samenflüssigkeit übertragen konnten.<br />

Durch experimentell erzwungene Monogamie von natürlicherweise<br />

promisken D. melanogaster konnte in einem weiteren Experiment gezeigt<br />

werden, dass antagonistische Koevolution zwischen den Geschlechtern<br />

umgekehrt und durch mutualistische Koevolution ersetzt wird. Indem Taufliegen<br />

in zufällig zusammengesetzten Paaren über viele Generationen gezüchtet<br />

wurden, waren Partnerwahl, Männchenkonkurrenz, Spermienkonkurrenz<br />

und kryptische Weibchenwahl eliminiert. Die so gezüchteten<br />

Männchen waren am Ende des Experiments weniger schädlich gegenüber<br />

ihren Weibchen (Holland u. Rice 1999), investierten weniger in Spermienkonkurrenz,<br />

und ihre Weibchen hatten höhere Fortpflanzungsraten und<br />

mehr überlebende Junge (Pitnick et al. 2001). Merkmale, welche die Konkurrenzfähigkeit<br />

zwischen Männchen unter normalen Bedingungen erhöhen,<br />

reduzieren also den reproduktiven Output der Weibchen.<br />

Männchen können das Verhalten der Weibchen in der für sie vorteilhaften<br />

Weise auf mehrere Arten beeinflussen (Johnstone u. Keller 2000). Wie<br />

schon erwähnt, enthält die Samenflüssigkeit bei Drosophila toxische Substanzen,<br />

die dazu führen, dass Weibchen, die sich häufiger verpaaren, früher<br />

sterben (Chapman et al. 1995). Proteine der akzessorischen Drüsen, die<br />

in der Samenflüssigkeit enthalten sind, haben eine Vielzahl anderer Konsequenzen,<br />

die allesamt den Fortpflanzungserfolg des ersten Männchens


9.8 Sexueller Konflikt 385<br />

erhöhen. Sie erhöhen unter anderem die Ovipositionsrate der Weibchen,<br />

verbessern die Spermienspeicherung, inaktivieren Spermien anderer<br />

Männchen und reduzieren die Rezeptivität der Weibchen (Stockley 1997).<br />

Beim Rapsweißling (Pieris napi) übertragen die Männchen bei der Paarung<br />

eine flüchtige Substanz an die Weibchen, die auf andere Männchen<br />

als Anti-Aphrodisiakum wirkt und weitere Verpaarungen der Weibchen<br />

weitgehend verhindert (Andersson et al. 2000). Männchen können bei der<br />

Paarung auch die Genitalien der Weibchen beschädigen und sie so von<br />

weiteren Paarungen abhalten (Blanckenhorn et al. 2002). Die durch Stacheln<br />

oder andere Anhänge des männlichen Fortpflanzungsorgans verursachten<br />

Verletzungen können die Mortalitätswahrscheinlichkeit der Weibchen<br />

erhöhen (Crudgington u. Siva-Jothy 2000). Die nach erfolgter<br />

Kopulation in vielen Arten deponierten Vaginalpropfen aus Sekreten der<br />

akzessorischen Drüsen versiegeln in manchen Fällen (z. B. bei Hummeln,<br />

Bombus terrestris: Sauter et al. 2001) den weiblichen Genitaltrakt effektiv,<br />

so dass zusätzliche Paarungen zunächst verhindert werden. Bei simultanen<br />

Hermaphroditen, bei denen die männlichen und weiblichen Funktionen<br />

zwischen Individuen einen Konflikt darüber austragen, wer Spermien<br />

überträgt und empfängt, finden sich viele vergleichbare Anpassungen, wie<br />

die Liebespfeile der Landschnecken (Koene u. Schulenburg 2005).<br />

Sexueller Konflikt manifestiert sich auch im Verhalten von Arten mit<br />

variablem Paarungssystem. Heckenbraunellen (Prunella vulgaris) leben<br />

wie die meisten Singvögel in Paaren, die gemeinsam ihre Jungen versorgen.<br />

Männchen könnten davon profitieren, ein weiteres Weibchen in ihrem<br />

Territorium zu haben. Zwar würde nicht allen Jungen dasselbe Maß an<br />

väterlicher Fürsorge zuteil, aber unter dem Strich könnten sie so mehr<br />

Nachwuchs produzieren. Die Weibchen könnten dagegen von der Hilfe eines<br />

weiteren Männchens bei der Jungenaufzucht profitieren. Die Interessen<br />

der Geschlechter sind also genau entgegengesetzt und reflektieren sich im<br />

Verhalten gegenüber gleich- und gegengeschlechtlichen Artgenossen (Davies<br />

2000).<br />

Schließlich gibt es auch Fälle von sexuellem Konflikt, bei denen es um<br />

Leben und Tod geht. Sexueller Kannibalismus, bei dem Männchen während<br />

der Paarung vom Weibchen gefressen werden, liefert ein Beispiel dafür,<br />

dass bei Spinnen und Gottesanbeterinnen gut untersucht ist. Der Konflikt<br />

besteht hier darin, dass Weibchen aus dieser Mahlzeit direkte<br />

Fekunditätsvorteile beziehen können, wohingegen die Fortpflanzungskarriere<br />

der Männchen beendet wird. Männchen sollten daher versuchen,<br />

kannibalistische Weibchen zu vermeiden. So könnte man die oft winzige<br />

Größe von Spinnenmännchen vor diesem Hintergrund interpretieren, da sie<br />

so ihre Attraktivität als Opfer des Kannibalismus reduzieren können. Eine


386 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

andere Möglichkeit besteht darin, sich opportunistisch mit fressenden<br />

Weibchen zu verpaaren (Fromhage u. Schneider 2004).<br />

9.8.3 Konsequenzen sexuellen Konflikts<br />

Sexueller Konflikt führt zu Koevolution zwischen den Geschlechtern, die<br />

Konsequenzen für eine Reihe von Merkmalen und Prozessen hat. Davon<br />

kann die Struktur der Genitalien ( Kap. 9.1) betroffen sein. Beim Vierfleckigen<br />

Bohnenkäfer (Callosobruchus maculatus) fügen Männchen mit<br />

ihrem komplex geformten Penis (Abb. 9.3) Weibchen bei der Kopulation<br />

schwere innere Verletzungen zu (Edvardsson u. Tregenza 2005). Auch die<br />

Entwicklung von Angriffs- und Abwehrwaffen kann auf sexuellen Konflikt<br />

zurückzuführen sein. Bei Wasserläufern (Gerridae) findet vor der Paarung<br />

ein regelrechter Ringkampf zwischen den Geschlechtern statt, bei<br />

dem Weibchen versuchen, Männchen abzuschütteln. Dabei sind auf beiden<br />

Seiten morphologische Strukturen und Verhaltensweisen beteiligt, die<br />

beim Vergleich zwischen Arten bildlich gesprochen auf einer Geraden zu<br />

liegen kommen. Wenn sich dieses Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern<br />

verschiebt, ändert sich die Paarungshäufigkeit, über die vermutlich ein<br />

starker Konflikt existiert (Arnqvist u. Rowe 2002).<br />

Wenn antagonistische Koevolution zwischen den Geschlechtern sich auf<br />

physiologische oder morphologische Merkmale, die direkt mit der Fortpflanzung<br />

assoziiert sind, konzentriert, kann es aufgrund der damit verbundenen<br />

hohen Geschwindigkeit dieses Prozesses zur Isolation zwischen<br />

allopatrischen Populationen und damit zur Artbildung kommen (Parker u.<br />

Partridge 1998). Indirekte Unterstützung für diese Hypothese liefert die<br />

Beobachtung, dass beim Vergleich von Paaren von Insektenarten mit unterschiedlichem<br />

Potential für postkopulatorischen sexuellen Konflikt polyandrische<br />

Taxa vierfach höhere Speziationsraten haben als monandrische<br />

Taxa (Arnqvist et al. 2000). Bei einem experimentellen Vergleich von<br />

Fliegen-Populationen unterschiedlicher Größe und damit unterschiedlicher<br />

Intensität von sexuellem Konflikt zeigte sich die erwartete höhere Divergenz<br />

in der größeren Gruppe (Martin u. Hosken 2003).<br />

9.8.4 Sexuelle Nötigung<br />

Wenn es zwischen den Geschlechtern einen Konflikt über das Paarungsverhalten<br />

gibt, kann ein Geschlecht – typischerweise die Männchen –<br />

durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt seine Wahrscheinlichkeit<br />

erhöhen, zu einer fertilen Paarung zu gelangen. Diese Form von<br />

Zwang wird als sexuelle Nötigung (sexual coercion) bezeichnet (Smuts u.


9.8 Sexueller Konflikt 387<br />

Smuts 1993). Sexuelle Nötigung ist dadurch charakterisiert, dass Männchen<br />

Weibchen dazu manipulieren, ein für sie nachteiliges Verhalten zu<br />

zeigen, welches aber den Männchen nutzt (Box 9.8). Die Beziehung zwischen<br />

Konflikt und Nötigung ist also zirkulär: Konflikt kann zu Nötigung<br />

führen, und Nötigung fördert Konflikt. Bei Hühnern (Gallus gallus) sind<br />

beispielsweise die meisten Kopulationen von Männchen erzwungen. Wenn<br />

sie zu Paarungen mit subordinierten Männchen gezwungen wurden, kön-<br />

Box 9.8<br />

Sexuelle Nötigung durch männliche Schimpansen<br />

• Frage: Schränkt Aggression durch Männchen die weibliche Partnerwahl<br />

ein?<br />

• Hintergrund: Bei Primaten mit promiskem Paarungssystem wie Schimpansen<br />

(Pan troglodytes) tritt regelmäßig männliche Aggression gegen<br />

Weibchen auf. Wenn es sich dabei um sexuelle Nötigung handelt, sollte<br />

sich diese Aggression verstärkt gegen rezeptive Weibchen richten und in<br />

erhöhten Paarungsraten mit den betroffenen Weibchen resultieren.<br />

• Methode: Langzeit-Beobachtungsdaten einer Schimpansen-Population in<br />

Uganda wurden im Hinblick auf die Verteilung von Aggressions- und<br />

Kopulationshäufigkeiten ausgewertet.<br />

erhaltene Aggression/h<br />

0.14<br />

0.12<br />

0.10<br />

0.08<br />

0.06<br />

0.04<br />

0.02<br />

C.M. Gomez<br />

0<br />

AL AR BL EK FG JO KL LP NL OU TG<br />

Weibchen<br />

• Ergebnis: Weibchen, die sich bereits erfolgreich fortgepflanzt hatten, erfuhren<br />

in den Zeiten ihrer Rezeptivität ( ) signifikant häufiger Aggression<br />

von Männchen als zu anderen Zeiten ( ). Männchen kopulierten<br />

auch signifikant häufiger mit Weibchen, denen überdurchschnittlich häufig<br />

ihre Aggression zuteil wurde.<br />

• Schlussfolgerung: Männliche Schimpansen nötigen rezeptive Weibchen<br />

durch Aggression zu zusätzlichen Paarungen. Nötigung kann als männliche<br />

Gegenstrategie zum weiblichen Interesse, durch polyandrische Verpaarungen<br />

das Infantizidrisiko zu verschleiern, interpretiert werden.<br />

Muller et al. 2007


388 9 Intersexuelle Selektion: was Weibchen wollen<br />

nen sie allerdings selektiv deren Spermien wieder ausstoßen (Pizzari u.<br />

Birkhead 2000).<br />

Sexuelle Nötigung kann auch mit sexueller Belästigung (sexual<br />

harassment) einhergehen. Sie ist dadurch charakterisiert, dass persistente<br />

Werbe- und Paarungsversuche Weibchen in ihrem Verhalten beeinträchtigen.<br />

Solche Belästigung kann zu reduzierter Nahrungsaufnahme (Schlupp<br />

et al. 2001) sowie erhöhtem Energieverbrauch und Räuberrisiko führen.<br />

Für Weibchen beinhaltet Belästigung oft auch eine Erhöhung des Verletzungsrisikos.<br />

Mehrere Beispiele, von Dungfliegen bis hin zu See-Elefanten,<br />

zeigen, dass Weibchen in solchen Interaktionen sogar getötet werden<br />

können, insbesondere dann, wenn sie von mehreren Männchen gleichzeitig<br />

belästigt werden (Smuts u. Smuts 1993). Außerdem können Weibchen<br />

durch Nachgeben zusätzliche Nachteile entstehen, z. B. wenn es große<br />

Qualitätsunterschiede zwischen Männchen gibt und sie sich mit einem<br />

Männchen relativ geringer Qualität einlassen.<br />

Durch diese unterschiedlichen Interessen und Zwänge sind die Voraussetzungen<br />

für einen Zermürbungskrieg (war of attrition) zwischen den<br />

Geschlechtern gegeben. Es geht also darum, ob die Männchen mit der Belästigung<br />

aufhören, bevor die Weibchen nachgeben, oder umgekehrt. Der<br />

Ausgang dieses Konflikts hängt vor allem von den Weibchen ab, da die<br />

Männchen in der Regel sehr viel größeren potentiellen Nutzen und geringere<br />

Kosten haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es in den meisten<br />

Fällen zu erzwungenen Kopulationen kommt. Beispiele dafür gibt es<br />

von Skorpionsfliegen (Panorpa vulgaris: Thornhill 1980), Enten (Anatidae:<br />

McKinney et al. 1983) und Orang-Utans (Pongo abelii), die, wenn sie<br />

von vagabundierenden Männchen belästigt werden, sich in der Nähe eines<br />

dominanten Männchens aufhalten, wo sie seltener belästigt werden (Fox<br />

2002).<br />

9.9 Zusammenfassung<br />

Da Männchen sich in ihrer Qualität unterscheiden, belohnt sexuelle<br />

Selektion diejenigen Weibchen, die sich nicht zufällig verpaaren. Ein<br />

erster Schritt bei der Wahl eines Partners besteht darin, zwei Klassen<br />

von Männchen zu erkennen und zu vermeiden: Mitglieder anderer Arten<br />

und nahe Verwandte. Bei der Auswahl eines geeigneten Mitglieds<br />

der eigenen Art kann man zwischen dem „Wie?“ und dem „Warum?“<br />

unterscheiden. Bevor Weibchen in Paarungen einwilligen, können sie<br />

mit Hilfe unterschiedlicher Verhaltenstaktiken präferierte Partner


Literatur 389<br />

auswählen, wobei sie sich häufig von sensorischen Reizen, die von<br />

Männchen ausgehen, leiten lassen. Falls es zu Paarungen mit zwei<br />

oder mehr Männchen kommt, können kryptische, physiologische Prozesse<br />

im Genitaltrakt der Weibchen die Fertilisationschancen von<br />

Männchen beeinflussen. Mit diesen Prozessen kann erklärt werden,<br />

wie Weibchen bestimmte Männchen vor und nach der Kopulation als<br />

Vater ihrer Nachkommen auswählen. Warum sie überhaupt wählerisch<br />

sein sollten, hat zwei Gründe. Zum einen können sie aus der<br />

Wahl eines bestimmten Männchens für sich direkte Vorteile beziehen,<br />

die sich entweder auf ihren unmittelbaren Fortpflanzungserfolg auswirken<br />

oder die aufgrund bestimmter Eigenschaften der Männchen für<br />

sie vorteilhaft sind. Zum anderen können Weibchen durch die Produktion<br />

von Nachwuchs mit besseren Überlebens- oder Fortpflanzungschancen<br />

indirekt profitieren. In diesem Zusammenhang kann es zur<br />

Produktion von besonders attraktiven Söhnen oder von Jungen kommen,<br />

die durch besonders gute oder gut passende Gene erfolgreich an<br />

Pathogene angepasst sind. Für die meisten Weibchen ist es nicht ausreichend,<br />

ein gutes Männchen zu finden. Paarungen mit mehreren<br />

Männchen können nämlich die Fertilität der Weibchen oder die genetische<br />

Qualität des Nachwuchses verbessern sowie das Infantizidrisiko<br />

senken. Weibchen sind nicht nur das wählende Geschlecht,<br />

sondern sie können auch durch Konkurrenz untereinander ihren Fortpflanzungserfolg<br />

beeinflussen oder ihre Qualität an wählerische<br />

Männchen signalisieren. Die reproduktiven Interessen der Geschlechter<br />

stimmen aber nur im Fall der lebenslangen Monogamie überein; in<br />

allen anderen Situationen gibt es ein Potential für sexuellen Konflikt,<br />

der häufig in einem evolutionären Wettrennen zwischen den Geschlechtern<br />

mündet. Um einen möglichst hohen Fortpflanzungserfolg<br />

zu erzielen, müssen Weibchen also zahlreiche Faktoren gleichzeitig<br />

bewerten und gegeneinander abwägen.<br />

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IV JUNGENAUFZUCHT<br />

In den vorangegangenen Kapiteln wurden drei der grundlegenden Probleme<br />

vorgestellt, die Individuen erfolgreich meistern müssen, um nicht<br />

als Belanglosigkeiten der Evolution zu enden. Um erfolgreich Kopien der<br />

eigenen Gene in die nächste Generation zu bringen und so den Gang der<br />

Evolution mit zu beeinflussen, reicht es nicht, erfolgreich zu überleben und<br />

einen Fortpflanzungspartner zu finden. Wenn nämlich die eigenen Nachkommen<br />

nicht erfolgreich überleben und geschlechtsreif werden, erzielen<br />

die betreffenden Individuen trotzdem keinen Fitnessgewinn. Diese Determinante<br />

ihrer Fitness können Tiere aber mitbeeinflussen, indem sie Zeit<br />

und Energie investieren, um die Überlebenschancen ihrer Nachkommen zu<br />

verbessern. Die Art und Quantität der elterlichen Fürsorge wird dabei<br />

maßgeblich von Kosten-Nutzen-Aspekten, der Life history und dem Geschlecht<br />

des Elters bestimmt. In diesem Kontext entsteht ein spannender<br />

evolutionärer Konflikt zwischen den unterschiedlichen genetischen Interessen<br />

von Eltern und Nachkommen. Da abstammungsidentische Allele<br />

auch durch Verwandte weitergegeben werden, können Individuen durch<br />

die Mithilfe bei der Aufzucht der Jungen von Verwandten ihre indirekte<br />

Fitnesskomponente erhöhen. Die frühe Phase der Entwicklung bis zum<br />

Erreichen der Geschlechtsreife stellt außerdem einen wichtigen und<br />

prägenden Lebensabschnitt dar, in dem sich spannende Fragen zur<br />

Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens stellen. Im folgenden Kapitel<br />

werden diese Themen, welche die Jungtiere und ihr Verhalten betreffen,<br />

im Zusammenhang vorgestellt.


10 Elterliche Fürsorge<br />

10.1 Life history und Fürsorge<br />

10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge<br />

10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt<br />

10.3.1 Sexueller Konflikt über elterliches Investment<br />

10.3.2 Eltern-Kind-Konflikt<br />

10.3.3 Geschwister-Konflikt<br />

10.3.4 Brutparasitismus<br />

10.4 Fürsorge und Kooperation<br />

10.4.1 Eusozialität und reproduktiver Altruismus<br />

10.4.2 Helfersysteme<br />

10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens<br />

10.5.1 Gene und Verhalten<br />

10.5.2 Umwelt, Erfahrung und Verhalten<br />

10.6 Zusammenfassung<br />

Elterliche Fürsorge (parental care) kann als jegliches Verhalten eines Elters,<br />

das zur Erhöhung der Fitness seiner Nachkommen beiträgt, definiert<br />

werden (Clutton-Brock 1991). Diese Fürsorge kann schon vor der Geburt<br />

beginnen, indem ein Nest oder eine Höhle angelegt wird, in denen die Eier<br />

oder Nachkommen heranwachsen. Bei der Fortpflanzung können Mütter<br />

durch die Produktion von möglichst großen, nährstoffreichen Eiern oder<br />

großen lebend geborenen Jungen deren Entwicklungs- und Überlebenschancen<br />

positiv beeinflussen (Mousseau u. Fox 1998). Dieser Aspekt der<br />

Brutfürsorge ist als einziger unabhängig vom Verhalten; vielmehr handelt<br />

es sich um eine grundlegende Life history-Entscheidung, welche die Anzahl<br />

und Größe der Nachkommen betrifft ( Kap. 2.3). Die Versorgung<br />

der Eier bzw. der sich entwickelnden Jungtiere mit Nährstoffen stellt eine<br />

weitere Variable der Brutpflege dar. Schließlich sind manche Jungtiere<br />

nach dem Schlüpfen oder nach der Geburt noch so unselbständig, dass ihr<br />

Überleben entscheidend von elterlicher Versorgung abhängt. Ob und welche<br />

Form elterlicher Fürsorge stattfindet, hängt vom Verhältnis der damit<br />

zusammenhängenden Vor- und Nachteile ab. Die Vorteile der Fürsorge be-


406 10 Elterliche Fürsorge<br />

stehen aus positiven Effekten auf Überleben, Wachstum und Fortpflanzungserfolg<br />

der Nachkommen, wobei letzterer durch erhöhte Attraktivität<br />

vermittelt sein kann (Qvarnström u. Price 2001). Die somatischen und ökologischen<br />

Kosten der Fürsorge können sich in Form von reduzierter Überlebenswahrscheinlichkeit,<br />

reduzierter Fekundität bei der nächsten Fortpflanzungsrunde<br />

sowie reduzierter Fitness der nächsten Nachkommen<br />

niederschlagen. Die Höhe dieser Kosten hängt stark von aktuellen Umweltbedingungen<br />

und der Verfassung des betreffenden Elters ab. Verschiedene<br />

Tiergruppen und Arten sowie Geschlechter und Individuen unterscheiden<br />

sich bezüglich Form und Intensität der Fürsorge in vielfacher<br />

Hinsicht. In den ersten vier Abschnitten dieses Kapitels werden die wichtigsten<br />

Ursachen dieser Variabilität besprochen.<br />

10.1 Life history und Fürsorge<br />

Ob und wie Eltern sich um ihre Brut kümmern, ist wesentlich von mehreren<br />

Life history-Merkmalen und Aspekten des Bauplans bestimmt. Das<br />

Auftreten elterlicher Fürsorge ist generell negativ mit der Zahl der Jungen<br />

korreliert. Arten, die viele Junge pro Fortpflanzungsereignis produzieren,<br />

kümmern sich nicht weiter um diese, wohingegen Fürsorge häufig in Arten<br />

mit vergleichsweise geringen Wurfgrößen zu finden ist. Die Formen elterlicher<br />

Fürsorge unterscheiden sich am deutlichsten zwischen Mitgliedern<br />

höherer Taxa, vor allem zwischen Stämmen und Klassen. Bestimmte Formen<br />

der Fürsorge sind nur möglich bzw. unmöglich, weil es mit dem Bauplan<br />

der betreffenden Gruppe verbundene Variation in Life history-Merkmalen<br />

gibt, die ausschlaggebende Reaktionsnormen definieren.<br />

Die entscheidenden Merkmale sind zwar in der Regel Merkmale höherer<br />

taxonomischer Gruppen, aber es ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />

Gruppe per se, die von Bedeutung ist, da manche Merkmale<br />

mehrfach unabhängig entstanden sind. Ein triviales Beispiel liefern Säugetiere,<br />

die als einzige obligate mütterliche Fürsorge in Form von Laktation<br />

besitzen, welche aber auch ein definierendes Merkmal der Säuger darstellt.<br />

Die Geburt lebender Nachkommen (Viviparie), die ebenfalls wichtige<br />

Konsequenzen für die Form elterlicher Fürsorge hat, ist aber beispielsweise<br />

mehrfach unabhängig entstanden (Abb. 10.1): 10-mal bei Knorpelfischen,<br />

12-mal bei Knochenfischen, einmal bei Amphibien, zweimal bei<br />

Säugern und über 100-mal bei Schlangen und Eidechsen (Squamata)<br />

(Reynolds et al. 2002). Bei Wirbellosen sind noch keine entsprechenden<br />

Schätzungen dieser Häufigkeiten möglich, da die für eine solche Rekonstruktion<br />

notwendigen Daten nur für wenige Gruppen vorliegen. Im ersten


10.1 Life history und Fürsorge 407<br />

Abb. 10.1. Ob Eier gelegt oder lebende Junge geboren werden, hat wichtige Konsequenzen<br />

für die Möglichkeit und Notwendigkeit elterlicher Fürsorge. An einem<br />

schematischen Stammbaum der Wirbeltiere ist zu erkennen, dass Viviparie mehrfach<br />

unabhängig entstanden ist. Viviparie (blaue Linie), Oviparie (rote Linie)<br />

Abschnitt diskutiere ich diese und andere wichtige Merkmale, die elterliche<br />

Fürsorge nachhaltig beeinflussen, in ihrem evolutionären Kontext.<br />

(1) Unterschiede zwischen höheren Taxa. Ein Merkmal, das Unterschiede<br />

zwischen Taxa in der Art und Intensität der elterlichen Fürsorge beeinflusst,<br />

betrifft den Entwicklungszustand der Nachkommen bei der<br />

körperlichen Trennung von der Mutter. Die ursprünglichste Form der Fortpflanzung<br />

besteht darin, Eier zu legen (Oviparie), die intern oder extern<br />

befruchtet werden. Während der Embryonalentwicklung ernähren sich die<br />

Jungen von Eidotter. Ovipare Tiere, also Vögel sowie die meisten Reptilien,<br />

Amphibien, Fische und Wirbellosen, können die Qualität ihres Nachwuchses<br />

im Wesentlichen durch die Vergrößerung der Ei- bzw. Dottergröße<br />

erhöhen (Bernardo 1996). Die relative Eigröße variiert stark zwischen<br />

Arten, aber auch zwischen Individuen und innerhalb von Gelegen (Christians<br />

2002). Bei Bachforellen (Salmo trutta) wurde gezeigt, dass sich Juvenile,<br />

die aus den größten oder kleinsten Eiern desselben Geleges stammen,<br />

in fitnessrelevanten Wachstums- und Überlebensparametern jeweils in der<br />

erwarteten Weise unterscheiden (Einum u. Fleming 1999). Bei Arten mit


408 10 Elterliche Fürsorge<br />

elterlicher Fürsorge gibt es zudem eine Interaktion zwischen Eigröße und<br />

Fürsorge bei der Bestimmung der Fitnesskorrelate der Nachkommen (Bize<br />

et al. 2002). Selbst Variation in Bestandteilen der Eier kann zu messbaren<br />

Fitnesskonsequenzen führen: Mehlschwalben (Hirundo rustica), bei denen<br />

der Karotinoid-Anteil im Eidotter experimentell erhöht wurde, hatten als<br />

Adulte eine bessere T-Zellen-vermittelte Immunantwort als Kontrolltiere<br />

(Saino et al. 2003) und damit vermutlich bessere Überlebenschancen.<br />

Bei Arten mit Ovoviviparie entwickeln sich die Eier im Körper der<br />

Mutter nach interner Fertilisation und die Jungtiere schlüpfen im Mutterleib<br />

oder kurz nach der Eiablage. Ovovivipare Arten, zu denen manche<br />

Spinnen und Insekten, viele Echinodermen, die meisten Knorpelfische sowie<br />

manche Knochenfische und Reptilien gehören, sind also durch vergleichsweise<br />

höheres mütterliches Investment in den Nachwuchs charakterisiert.<br />

Der Unterschied zur Viviparie, bei der die Nachkommen nach<br />

interner Befruchtung komplett im Mutterleib heranwachsen und lebend<br />

geboren werden (Abb. 10.2), ist nicht immer ganz einfach zu erkennen,<br />

wenn man nur den Zeitpunkt um die Geburt herum betrachtet. Ovovivipare<br />

Jungtiere sind allerdings ausschließlich auf die im Dotter enthaltene Energie<br />

angewiesen, wohingegen vivipare Junge über eine Plazenta direkt mit<br />

Nährstoffen versorgt werden. Die Theria und manche Haie (z. B. Hammerhaie:<br />

Sphyrnidae) sind demnach die einzigen plazentalen Viviparen; alle<br />

anderen lebendgebärenden Arten sind ovovivipar.<br />

Über die Evolution von (Ovo-)Viviparie und die damit assoziierten<br />

Anpassungen gibt es zwei Hypothesen. Eine Hypothese fokussiert auf die<br />

elterliche Fitness. Demnach ist Viviparie entstanden, weil die Überlebenschancen<br />

der Nachkommen durch den zusätzlichen Schutz aufgrund des<br />

längeren Verbleibes im mütterlichen Körper verbessert werden (Clutton-<br />

Abb. 10.2. Australische Tannenzapfenechsen<br />

(Tiliqua rugosa)<br />

repräsentieren eine der<br />

zahlreichen Reptiliengruppen,<br />

bei denen Viviparie entstanden<br />

ist. Hier ist ein Weibchen mit<br />

seinen beiden Neugeborenen<br />

zu sehen


10.1 Life history und Fürsorge 409<br />

Brock 1991). Dies ist vor allen Dingen dann von Vorteil, wenn unvorteilhafte<br />

abiotische Bedingungen herrschen (z. B. extreme Temperatur, osmotischer<br />

Stress, Trockenheit) oder Prädations- und Parasitenrisiko hoch sind.<br />

Dabei scheint es nicht so zu sein, dass der Vorteil der Viviparie darin besteht,<br />

die spezifischen Nachteile der Unvorhersagbarkeit von Temperaturschwankungen<br />

zu minimieren (Shine 2002). Eine zweite Hypothese betont<br />

die Interessen der Jungen (Crespi u. Semeniuk 2004); speziell deren Vorteile<br />

in ihrem Konflikt mit den Müttern (siehe unten) bei viviparen Wirbeltieren.<br />

Diese Vorteile bestehen darin, dass sie die riskante Eiphase vermeiden<br />

und bei der Geburt vergleichsweise groß und aktiv sind. Insbesondere<br />

haben Jungtiere bei histophagen (Embryo ernährt sich von mütterlichen<br />

Sekretionen) und plazentalen (Nährstofftransfer über eine Plazenta) Arten<br />

die Möglichkeit, die mütterliche Physiologie durch die Abgabe von Hormonen<br />

und anderen Wirkstoffen zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Die<br />

Nachteile der Viviparie tragen dagegen die Mütter: Fortbewegung wird<br />

energetisch teurer, Auffälligkeit gegenüber Räubern nimmt zu, Fluchtgeschwindigkeiten<br />

sind reduziert ( Kap. 3.2) und die Fekundität ist limitiert.<br />

Die Tatsache, dass Viviparie und verschiedene Formen der Plazentation<br />

so häufig unabhängig voneinander entstanden sind, kann so interpretiert<br />

werden, dass der Eltern-Kind-Konflikt ( Kap. 10.3) in all diesen<br />

Fällen von den Jungen gewonnen wurde.<br />

Eier und lebend geborene Jungtiere ermöglichen und benötigen teilweise<br />

unterschiedliche Formen der Brutpflege, wobei es aber auch große Variabilität<br />

innerhalb der betreffenden Gruppen gibt. Die Eier der meisten<br />

Wirbellosen entwickeln sich beispielsweise ohne weiteres Zutun der Eltern,<br />

teilweise über Larven oder andere Zwischenformen, zu Adulten, wohingegen<br />

die Eier der Vögel konstant bebrütet werden müssen. Diese Form<br />

der elterlichen Fürsorge bei Vögeln wurde erst mit der Koevolution von<br />

Endothermie möglich (Farmer 2000), ein weiteres Beispiel dafür, wie stark<br />

die Art der Jungenfürsorge von Bauplan-Merkmalen abhängt. Ähnliche<br />

Variation gibt es innerhalb der viviparen Arten. Die lebend geborenen<br />

Embryonen und Larven von Fischen benötigen von ihren Eltern keine<br />

Wärme oder Nahrung, wohingegen diese Zuwendungen für junge Säugetiere<br />

unersetzlich sind.<br />

Bei (Ovo-)Viviparie wird die Fekundität der Weibchen dadurch begrenzt,<br />

dass alle Nachkommen im Körper der Mutter Platz finden müssen.<br />

Dementsprechend ist die durchschnittliche Anzahl der möglichen Nachkommen<br />

bei Arten mit Oviparie höher, wohingegen deren Größe geringer<br />

ist. Über alle Arten hinweg gibt es die Tendenz, dass das Ausmaß an elterlicher<br />

Fürsorge negativ mit der Zahl der Nachkommen und positiv mit der<br />

Eigröße korreliert (Clutton-Brock 1991).


410 10 Elterliche Fürsorge<br />

Eine weitere Variable in der Bedürftigkeit der Jungen betrifft deren<br />

Entwicklungszustand bei der Geburt bzw. nach dem Schlüpfen. Unabhängig<br />

davon, ob sie ovipar oder vivipar sind, gibt es bei Vögeln (Starck u.<br />

Ricklefs 1998) und Säugetieren (Derrickson 1992) eine Unterscheidung<br />

zwischen Nesthockern und Nestflüchtern. Erstere sind zunächst völlig<br />

hilflos, teilweise mit noch geschlossenen Augen und Ohren ausgestattet,<br />

und thermoregulatorisch noch nicht autark, wohingegen Nestflüchter so<br />

weit entwickelt sind, dass sie sich sofort selbständig bewegen und ernähren<br />

können ( Abb. 2.12). An die elterliche Fürsorge stellen diese beiden Typen<br />

von Jungtieren völlig unterschiedliche Ansprüche. Nesthocker sind<br />

zunächst komplett auf elterliche Fürsorge angewiesen, bei Säugetieren vor<br />

allem in Form von Milch und Wärme, wohingegen Nestflüchter rasch damit<br />

beginnen, zusätzlich feste Nahrung zu sich zu nehmen. Trotzdem haben<br />

Mütter von nestflüchtenden Jungen nicht unbedingt geringere energetische<br />

Kosten der Laktation (Künkele u. Trillmich 1997).<br />

(2) Unterschiede zwischen Arten. Elterliche Fürsorge ist dort entstanden,<br />

wo widrige Umweltbedingungen, hohes Prädationsrisiko oder starke Konkurrenz<br />

mit adulten Artgenossen die Vorteile der Fürsorge besonders<br />

wertvoll machen (Clutton-Brock 1991). Unter diesen Bedingungen wird<br />

die Größe der Eier erhöht, finden die Übergänge zum Lebendgebären statt,<br />

werden die Eier bewacht und die Jungen gefüttert. Eng damit verbunden<br />

sind Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit und der relativen<br />

Dauer einzelner Lebensphasen. Eine Theorie geht davon aus, dass die Zeit<br />

in der gefährlichsten Entwicklungsstufe minimiert wird, so dass Life histories<br />

mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten letztendlich Unterschiede in<br />

altersabhängigen Mortalitätsraten zugrunde liegen ( Kap. 2.3). Nah miteinander<br />

verwandte Arten, die sich in ihrem Fürsorgeverhalten unterscheiden,<br />

sind besonders dazu geeignet, diese kausalen Zusammenhänge aufzudecken,<br />

da nur so möglichst viele andere Merkmale des Bauplans bei<br />

Vergleichen konstant gehalten werden. So produzieren Meerschweinchen<br />

(Cavia spp.) zum Beispiel für kleine Nagetiere außergewöhnlich wenige<br />

und weitentwickelte Jungtiere, die relativ rasch geschlechtsreif werden und<br />

wenig elterliche Fürsorge benötigen (Laurien-Kehnen u. Trillmich 2003).<br />

Diese Besonderheit ihrer Life history lässt sich auf vergleichsweise hohe<br />

Mortalitätsraten der Adulten zurückführen (Kraus et al. 2005).


10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge 411<br />

10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge<br />

Bei der Klassifizierung von Arten in Bezug auf elterliche Fürsorge betrifft<br />

die grundlegendste Unterscheidung die zwischen Arten mit und ohne Fürsorge.<br />

Wenn elterliche Fürsorge geleistet wird, kann dies nur durch die<br />

Mutter, nur durch den Vater oder durch beide Eltern gemeinsam erfolgen.<br />

Welche Form der Fürsorge findet sich bei welchen Taxa und welche Faktoren<br />

erklären diese Variabilität?<br />

Uniparentale Fürsorge sollte generell dann entstehen, wenn ein Elternteil<br />

den anderen verlassen kann, ohne dadurch die Fitness der gemeinsamen<br />

Jungen allzu sehr zu beeinträchtigen. Prinzipiell sollte ein Elter den<br />

anderen nur verlassen, wenn es weitere Paarungsgelegenheiten gibt und so<br />

der individuelle Fortpflanzungserfolg weiter erhöht werden kann. Welcher<br />

Elternteil den anderen sitzen lässt, hängt primär von der Art der Fertilisation<br />

und dem Zeitpunkt der Eiablage ab. Wenn die Fertilisation intern erfolgt,<br />

verstreicht notwendigerweise eine bestimmte Zeitspanne, bis die Eier<br />

oder die Jungen den Körper der Mutter verlassen, in der das Männchen<br />

kein Fürsorgeverhalten zeigen kann. In dieser Situation ist es für Männchen<br />

möglich, Weibchen zu verlassen und sich nach weiteren Paarungsgelegenheiten<br />

umzusehen. In diesem Fall fällt die Last der elterlichen Fürsorge<br />

allein auf das Weibchen. Bei externer Fertilisation sind die Rollen<br />

zwischen den Geschlechtern prinzipiell vertauscht. In diesem Fall erfolgt<br />

die Eiablage vor der Fertilisation, so dass hier die Weibchen die Option<br />

besitzen, das Männchen mit den befruchteten Eiern zurückzulassen. Neben<br />

diesen Zwängen des Bauplans kann es aber auch Geschlechtsunterschiede<br />

in der Sicherheit der Vaterschaft, der Wiederverpaarungsgelegenheiten<br />

sowie im Kosten/Nutzen-Verhältnis der Fürsorge geben, die das Verhalten<br />

der beiden Geschlechter mit beeinflussen (Sheldon 2002). Biparentale<br />

Fürsorge ist dementsprechend dann zu erwarten, wenn die Jungen mehr<br />

Fürsorge benötigen, als von einem Elter zu leisten ist, oder wenn es keine<br />

weiteren aktuellen alternativen Paarungsgelegenheiten gibt.<br />

Eine interessante evolutionäre Frage in diesem Zusammenhang betrifft<br />

die evolutionären Übergänge zwischen den verschiedenen Zuständen.<br />

Wenn man annimmt, dass die Abwesenheit von Fürsorge ursprünglich ist,<br />

stellt sich die Frage, ob alle Übergänge gleich wahrscheinlich sind bzw.<br />

welche Faktoren den Gang der Evolution in die eine oder andere Richtung<br />

beeinflusst haben. Insgesamt gibt es theoretisch zwischen den vier Zuständen<br />

(keine, männliche, weibliche, biparentale Fürsorge) 12 mögliche Übergänge<br />

(Abb. 10.3). Aus der Beobachtung, dass scheinbar nicht alle Übergänge<br />

verwirklicht sind, sowie aus der genaueren Betrachtung, welche<br />

Übergänge in welchen Taxa verwirklicht sind, lassen sich grundlegende


412 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.3. In Bezug auf elterliche Fürsorge lassen sich vier Kategorien unterscheiden:<br />

Arten ohne Fürsorge, rein väterliche, rein mütterliche oder biparentale<br />

Fürsorge. Zwischen diesen Zuständen sind theoretisch 12 evolutionäre Übergänge<br />

möglich. Insgesamt sind aber nur fünf Übergänge regelmäßig verwirklicht (durchgehende<br />

Pfeile), wobei manche Übergänge gruppenspezifisch sind. Die anderen<br />

Übergänge (gestrichelte Pfeile) sind extrem selten oder treten gar nicht auf. Die<br />

vier Kategorien elterlicher Fürsorge sind ungleichmäßig über die Großgruppen des<br />

Tierreichs verteilt. Angedeutet ist jeweils die modale Häufigkeit der Fürsorgeform.<br />

* Bei Knochenfischen ist „keine Fürsorge“ am häufigsten; wenn sie auftritt,<br />

ist allerdings rein väterliche Fürsorge am weitesten verbreitet<br />

geschlechtsspezifische Determinanten des Fürsorgeverhaltens ableiten<br />

(Reynolds et al. 2002).<br />

Die Life history-Anpassungen und das Fürsorgeverhalten der zahlreichen<br />

Wirbellosen sind noch so unvollständig bekannt, dass quantitative<br />

Abschätzungen verschiedener Merkmals-Kombinationen derzeit nur<br />

schwierig möglich sind. Die große Mehrzahl der Arten legt (viele) Eier<br />

und kümmert sich nicht weiter um das Schicksal der sich daraus entwickelnden<br />

Nachkommen. Bei manchen Gruppen werden die Eier von den<br />

Weibchen zumindest mit Substrat bedeckt und so geschützt; andere bewachen<br />

und pflegen die Gelege oder sie legen ihre Eier in oder auf eigens erbeutete<br />

Tiere, von denen sich die sich entwickelnden Jungen ernähren.


10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge 413<br />

Bienenwölfe (Philantus triangulum) platzieren beispielsweise Honigbienen<br />

(Apis mellifera) in eigens gegrabene Brutkammern und legen ihre<br />

Eier darauf ab (Strohm u. Marliani 2002).<br />

Bei mehreren marinen Invertebraten (z. B. Echinodermen und Mollusken)<br />

werden lebende Junge geboren und anschließend mit Nahrung versorgt<br />

oder in anderer Weise umsorgt. Bei mindestens einer Tintenfischart<br />

(Gonatus onxy) tragen Adulte Tausende von Eiern am Körper bis zum<br />

Schlüpfen (Seibel et al. 2005). Unter den Arthropoden sind Lebendgeburten<br />

vor allem bei Zweiflüglern (Diptera) überaus häufig. Wenn bei Wirbellosen<br />

elterliche Fürsorge auftritt, wird sie zumeist von Weibchen geleistet<br />

(Zeh u. Smith 1985); vermutlich weil interne Fertilisation weit verbreitet<br />

ist. Exklusive väterliche Fürsorge ist aber bei Arthropoden mindestens<br />

achtmal unabhängig entstanden, möglicherweise aufgrund von weiblichen<br />

Präferenzen für Männchen, die Gelege bewachen (Tallamy 2000). Biparentale<br />

Fürsorge ist bei Wirbellosen ebenfalls mehrfach entstanden; vor<br />

allem bei Arten, die für ihren Nachwuchs Nester bauen und bewachen, wie<br />

zum Beispiel die Wüstenassel (Hemilepistus reaumuri: Linsenmair u. Linsenmair<br />

1971) oder Totengräber (Nicrophorus spp.), die Aas für ihre Jungen<br />

verteidigen (Eggert et al. 1998). Schließlich werden bei den zahlreichen<br />

staatenbildenden Hymenopteren die Bruten ebenfalls intensiv<br />

umsorgt und gefüttert; allerdings in vielen Fällen nicht von den Eltern,<br />

sondern von den Arbeiterinnen einer Kolonie, bei denen es sich um Geschwister<br />

der nachwachsenden Jungenkohorte handelt ( Kap. 10.3).<br />

Bei Knochenfischen gibt es in 80% der Familien keine elterliche Fürsorge.<br />

Wenn sie stattfindet, ist väterliche Fürsorge am häufigsten. Darin<br />

unterscheiden sich Fische von allen anderen Wirbeltieren. Externe Fertilisation,<br />

in Kombination mit Territorialität und hoher Vaterschaftssicherheit,<br />

hat vermutlich den Übergang zwischen fehlender und väterlicher Fürsorge<br />

erleichtert (Ah-King et al. 2005). Biparentale Fürsorge kommt bei<br />

Knochenfischen auch regelmäßig vor, trotz externer Fertilisation (DeWoody<br />

et al. 2000). Bei Knorpelfischen, von denen viele lebendgebärend sind,<br />

gibt es, im Unterschied zu anderen viviparen Arten, keine Hinweise für zusätzliche<br />

mütterliche Fürsorge (Dulvy u. Reynolds 1997).<br />

Bei Blaukiemen-Sonnenbarschen (Lepomis macrochirus) wurde die<br />

Bedeutung der Vaterschaftssicherheit für das väterliche Fürsorgeverhalten<br />

experimentell überprüft. Zum einen wurden Männchen, die mit laichbereiten<br />

Weibchen zusammen gehalten wurden, Satelliten-Männchen<br />

( Kap. 8.7) in ihren Aquarien in durchsichtigen Behältern präsentiert,<br />

worauf sie, im Vergleich zu Kontrollen, weniger väterliche Fürsorge zeigten<br />

(Neff 2003). In ähnlicher Weise reagierten Männchen, denen ein Teil<br />

des Geleges gegen Eier, die von fremden Männchen befruchtet wurden,<br />

ausgetauscht wurde. Diese Männchen haben vermutlich am Geruch des


414 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.4. Der Blaukiemen-<br />

Sonnenbarsch (Lepomis macrochirus)<br />

ist einer von zahlreichen<br />

Knochenfischen mit väterlicher<br />

Fürsorge<br />

Urins der Fischlarven festgestellt, dass der durchschnittliche genetische<br />

Verwandtschaftsgrad reduziert war.<br />

Unter den Fischen zeigen neben maulbrütenden Cichliden (Goodwin<br />

et al. 1998) vor allem Seepferdchen und Seenadeln (Syngnathidae) bemerkenswerte<br />

Anpassungen an väterliche Jungenfürsorge. Während der Paarung<br />

übertragen die Weibchen ihre Eier in spezialisierte morphologische<br />

Strukturen (Bruttaschen) am Bauch oder Schwanz des Männchens. Nach<br />

der Fertilisation, die aufgrund dieser Besonderheit mit exklusiver Vaterschaftssicherheit<br />

einhergeht (Jones u. Avise 2001), werden die Jungen vom<br />

Vater bei der Osmoregulation unterstützt und mit zusätzlichem Sauerstoff<br />

versorgt (Wilson et al. 2001). Trotz dieser Investition in den Nachwuchs<br />

haben männliche Seepferdchen aber nicht unbedingt langsamere potentielle<br />

Fortpflanzungsraten als Weibchen und konkurrieren dementsprechend<br />

um diese (Masonjones u. Lewis 2000).<br />

Bei Amphibien ist elterliche Fürsorge sehr selten (< 10% der Gattungen),<br />

und sie äußert sich in der Bewachung von Eiern oder Kaulquappen.<br />

Bei Fröschen findet sie sich vor allem bei Arten mit relativ großen Eiern,<br />

wobei die evolutionäre Vergrößerung der Eier dem Auftreten von elterlicher<br />

Fürsorge vorausging (Summers et al. 2006). Bei Geburtshelferkröten<br />

(Alytes spp.) tragen die Männchen ein Paket von Eiern für mehrere Wochen<br />

auf dem Rücken (Bush 1996); in außergewöhnlichen Fällen werden<br />

auch die Jungtiere nach der Metamorphose vom Vater getragen (Bickford<br />

2002). Biparentale Fürsorge findet sich ebenfalls bei manchen Fröschen<br />

(Pröhl u. Hödl 1999), wodurch die übergeordnete Bedeutung der vermuteten<br />

kausalen Beziehungen zwischen externer Fertilisation und männlicher<br />

Fürsorge allerdings in Frage gestellt wird (Beck 1998). Die Versorgung<br />

der Brut erfolgt bei manchen Fröschen auch alternativ durch beide Geschlechter.<br />

In der Regenzeit, wenn es mehr an zusätzlichen Paarungs-


10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge 415<br />

Abb. 10.5. Elterliche<br />

Fürsorge ist negativ mit der<br />

Gelegegröße korreliert. Amphibien,<br />

die große Mengen<br />

an Laich produzieren (hier<br />

Grasfrosch, Rana temporaria),<br />

zeigen keine elterliche<br />

Fürsorge<br />

gelegenheiten gibt, reduzieren die Männchen eines südamerikanischen<br />

Räuberfrosches (Eleutherodactylus johnstonei) ihren Fürsorgeaufwand, der<br />

dann von den Weibchen kompensiert wird. Während der Trockenzeit<br />

kümmern sich aber ausschließlich die Männchen um die Brut (Bourne<br />

1998). Schutz der Eier vor Austrocknung und Prädation sind die wichtigsten<br />

allgemeinen Vorteile der Fürsorge bei Fröschen (Bickford 2004).<br />

Bei Reptilien unterscheiden sich die Großgruppen in der Art der Jungenfürsorge.<br />

In 97% der Gattungen von Eidechsen und Schlangen werden<br />

die Eier zwar versteckt, aber es gibt keine weitere Form der elterlichen<br />

Fürsorge. Bei den wenigen Arten, bei denen Eier bewacht werden, wird<br />

dies immer von den Weibchen getan. Bei Königspythons (Python regius)<br />

bewachen Weibchen ihr Gelege für zwei Monate und reduzieren dabei vor<br />

allem den Wasserverlust der Eier, was sich positiv auf die Überlebensrate<br />

der Jungen auswirkt (Aubret et al. 2003). Bei Krokodilen werden dagegen<br />

bei allen Arten die Eier von der Mutter oder beiden Eltern für mehrere<br />

Monate bewacht. Sie schützen ihre Gelege dabei vor Nesträubern und graben<br />

die geschlüpften Jungen aus (Platt u. Thorbjarnarson 2000).<br />

Bei allen der ca. 9 600 Vogelarten findet eine Form der elterlichen Fürsorge<br />

statt. In mehr als 90% der Arten wird die Fürsorge von beiden Eltern<br />

geleistet; rein weibliche Fürsorge tritt bei etlichen Arten auf; rein männliche<br />

Fürsorge ist am seltensten (Reynolds et al. 2002). Die Kombination<br />

von sozialer Monogamie und biparentaler Fürsorge bei Vögeln unterscheidet<br />

sich komplett von der Kombination promisker Paarungen und weitgehend<br />

fehlender Fürsorge bei Reptilien, der Gruppe, in der Vögel ihren<br />

evolutionären Ursprung haben. Für die Erklärung dieses Übergangs gibt es<br />

zwei Hypothesen. Basierend auf phylogenetischen Rekonstruktionen der<br />

verschiedenen Formen von Fürsorge auf mehreren alternativen Phylogenien<br />

der Vögel kommen manche Autoren zu dem Schluss, dass mütterliche


416 10 Elterliche Fürsorge<br />

Fürsorge für (nestflüchtende) Vögel ursprünglich war und später in biparentale<br />

Fürsorge (nesthockender Jungen) überging (Burley u. Johnson<br />

2002; Tullberg et al. 2002). Andere (Wesolowski 2004) gehen dagegen<br />

davon aus, dass väterliche Fürsorge ursprünglich war. Diese Einschätzung<br />

basiert aber möglicherweise darauf, dass die Ratiten (Strauße, Kiwis und<br />

Rheas), die väterliche Fürsorge besitzen, von diesen Autoren als basale<br />

Gruppe der Vögel angesehen werden (Vehrencamp 2000). Die basale Stellung<br />

der Ratiten wurde in umfassenden phylogenomischen Analysen allerdings<br />

bestätigt (Hackett et al. 2008).<br />

Exklusiv väterliche Fürsorge ist in insgesamt 12 Familien entstanden.<br />

Diese unterscheiden sich von Familien mit exklusiver mütterlicher Fürsorge<br />

weder in ihren Fertilitätsraten noch der relativen Größe der Eier. Sie<br />

brüten aber in viel geringeren Dichten, so dass es für die Männchen weniger<br />

Gelegenheiten für zusätzliche Verpaarungen und damit zum Verlassen<br />

des Geleges gibt (Owens 2002). Bei diesen Arten sowie bei Arten mit biparentaler<br />

Fürsorge scheint die Vaterschaftssicherheit die wichtigste Determinante<br />

des männlichen Fürsorgeverhaltens zu sein (Møller u. Cuervo<br />

2000). Dementsprechend kovariiert der männliche Beitrag zur gemeinsamen<br />

Fürsorge positiv mit der Häufigkeit des Auftretens von fremden<br />

Vaterschaften (extra-pair paternity; Møller 2000).<br />

Wenn Männchen experimentell während der Jungenaufzucht entfernt<br />

werden, lassen sich über die durchschnittliche Reduktion des Fortpflanzungserfolgs<br />

der relative Anteil der Männchen an der Gesamtfürsorge sowie<br />

das Kompensationsvermögen der Weibchen abschätzen. Proximat<br />

wird der männliche Fürsorgeaufwand an die Gelegegröße angepasst. Wenn<br />

man beispielsweise bei Staren (Sturnus vulgaris) die Gelegegröße experimentell<br />

erhöht, verbringen die Männchen mehr Zeit mit Brüten und weniger<br />

Zeit mit der Suche nach Kopulationsgelegenheiten mit anderen Weib-<br />

Abb. 10.6. Elterliche Fürsorge in<br />

Form von Brüten und Füttern findet<br />

sich bei allen Vogelarten mit nesthockenden<br />

Jungen


10.2 Geschlechtsspezifische Fürsorge 417<br />

chen (Komdeur et al. 2002). Generell wird die Größe des Geleges von den<br />

artspezifischen Life history-Strategien ( Kap. 2.3) und noch nicht genauer<br />

bekannten Faktoren bestimmt. Variation in der durchschnittlichen Gelegegröße<br />

zwischen Singvögeln der Nord- und Südhalbkugel lässt sich nämlich<br />

weder durch unterschiedliches Räuberrisiko noch durch andere<br />

Faktoren erklären (Martin et al. 2000).<br />

Bei allen Säugetieren existiert eine Form der mütterlichen Fürsorge,<br />

wobei Laktation das herausragende Merkmal darstellt (Abb. 10.7). Sie ist<br />

vermutlich deswegen evoluiert, weil laktierende Weibchen ihre Jungen unabhängig<br />

von aktuellen Nahrungsbedingungen ausreichend füttern können<br />

(Dall u. Boyd 2004). Die Monotremata sind zwar eierlegend, nach dem<br />

Schlüpfen der Jungen stellen die Weibchen ihnen aber Milch auf einem<br />

Drüsenfeld bereit, von welchem die Milch aufgeleckt wird. Die Marsupialia<br />

waren ursprünglich ebenfalls eierlegend (Zeller 1999). Rezente Arten<br />

sind aber durch Lebendgeburten nach sehr kurzen Tragzeiten charakterisiert.<br />

Ihre „lebend geborenen Embryonen“ wandern nach der Geburt in den<br />

mütterlichen Beutel, wo sie sich an einer Milchdrüse verankern. Beuteltiere<br />

können bis zu drei Jungtiere unterschiedlichen Alters gleichzeitig versorgen:<br />

ein frisch geborenes Jungtier kann neben einem älteren Geschwister<br />

säugen und gleichzeitig können Mütter einen Embryo tragen (Jarman<br />

2000). Väterliche Fürsorge ist bei beiden Gruppen ursprünglicher Säugetiere<br />

nicht bekannt.<br />

Bei den Plazentalia verbringen die Jungtiere einen relativ längeren Anteil<br />

ihrer Entwicklungszeit im mütterlichen Körper und werden nach der<br />

Geburt von der Mutter mit Milch versorgt. Dadurch, dass funktionale<br />

Milchdrüsen mit Ausnahme einer malaysischen Flughundart (Dyacopterus<br />

spadiceus: Francis et al. 1994) auf Weibchen beschränkt sind, können sich<br />

männliche Säugetiere nur eingeschränkt an der Jungenaufzucht beteiligen.<br />

Abb. 10.7. Laktation stellt eine obligate<br />

Form mütterlicher Fürsorge aller Säugetiere<br />

dar


418 10 Elterliche Fürsorge<br />

Biparentale Jungenfürsorge findet sich daher nur bei circa 10% der Säugetierarten.<br />

Männchen beteiligen sich bei ihnen an der Aufzucht der Jungen,<br />

indem sie diese wärmen, bewachen, tragen oder mit fester Nahrung versorgen<br />

(Woodroffe u. Vincent 1994). Väterliches Fürsorgeverhalten geht<br />

oft mit charakteristischen endokrinen Veränderungen wie der Erhöhung<br />

des Prolaktinspiegels einher, die auch mütterliches Verhalten begleiten<br />

(Wynne-Edwards u. Reburn 2000). Bei Arten mit Post-partum-Östrus<br />

kann das zu diesem Zeitpunkt in hohen Konzentrationen vorliegende Testosteron<br />

in Östradiol umgewandelt werden, welches seinerseits männliches<br />

Pflegeverhalten auslöst (Trainor u. Marler 2002).<br />

10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt<br />

Robert Trivers (1972) definierte elterliches Investment als „jegliches Investment<br />

durch den Elter in einen individuellen Nachkommen, das die<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit (und folglich den Reproduktionserfolg) des<br />

Nachkommen zu Lasten der Fähigkeit des Elters erhöht, in andere Nachkommen<br />

zu investieren“. Dieses Investment berücksichtigt alle Merkmale,<br />

die zur erhöhten Fitness der Nachkommen beitragen. Dazu zählen neben<br />

zeit- und energieaufwändigen Verhaltensweisen auch somatische Aufwendungen<br />

für die Qualität der Nachkommen sowie Risiken, welche die Eltern<br />

in diesem Zusammenhang auf sich nehmen. Da elterliches Investment<br />

demnach durch Kosten limitiert wird, ergeben sich automatisch mehrere<br />

grundlegende Konflikte. Sowohl zwischen den Eltern als auch zwischen<br />

Eltern und Nachkommen, aber auch zwischen Geschwistern, können<br />

Konflikte über die Maximierung des elterlichen Investments entstehen<br />

Abb. 10.8. Innerhalb einer Familie/Fortpflanzungsgemeinschaft existieren theoretisch<br />

drei Konflikte über das elterliche Investment: zwischen den Eltern, den<br />

Eltern und den Jungen sowie zwischen Geschwistern


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 419<br />

(Abb. 10.8). Ein Problem, sowohl für Individuen als auch für Evolutionsbiologen,<br />

besteht darin, dass alle drei Konflikte gleichzeitig gelöst werden<br />

müssen (Parker et al. 2002). Schließlich versuchen manche Arten die Kosten<br />

des elterlichen Investments dadurch zu reduzieren, dass sie Mitglieder<br />

anderer Arten parasitieren, was zu einem Konflikt und evolutionärem<br />

Wettrennen zwischen den betroffenen Arten führt.<br />

10.3.1 Sexueller Konflikt über elterliches Investment<br />

Da elterliches Investment mit Kosten verbunden ist, kann es bei Arten mit<br />

biparentaler Jungenfürsorge zu einem Konflikt zwischen den Eltern über<br />

das individuelle Maß an Investment kommen ( Kap. 9.8). Die Ursache<br />

dieses Konflikts besteht darin, dass jeder Elter einen Teil seines Investments<br />

zurückhalten könnte, um mit einem anderen Partner in zusätzliche<br />

Nachkommen zu investieren. Wenn ein gewisses Maß an Investment zur<br />

erfolgreichen Jungenaufzucht notwendig ist, könnte also ein Elter sein Investment<br />

auf Kosten des anderen Elters reduzieren und so einen Konflikt<br />

zwischen beiden heraufbeschwören.<br />

Dieser Konflikt zwischen den Geschlechtern kann schon im Vorfeld der<br />

Fortpflanzung bei der Partnerwahl entschärft werden. Väterliche Fürsorge<br />

ist einer der wichtigsten direkten Vorteile der Partnerwahl ( Kap. 9.4),<br />

und Weibchen können über diesen Mechanismus starke Selektion auf die<br />

Bereitschaft der Männchen, Fürsorge zu leisten, ausüben. Bei Vogelarten,<br />

bei denen indirekte Vorteile der Partnerwahl im Vordergrund stehen, sind<br />

es tatsächlich die Weibchen, die im Durchschnitt ein größeres elterliches<br />

Investment leisten (Møller u. Thornhill 1998).<br />

Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit und der gemeinsamen Interessen<br />

beider Eltern können deren Investmentstrategien mit Hilfe von ESS-<br />

Modellen ( Kap. 1.4) vorhergesagt werden. Entsprechende Modelle haben<br />

gezeigt, dass biparentale Fürsorge nur dann stabil ist, wenn die Reduktion<br />

des Investments durch einen Elter nicht komplett durch den anderen<br />

kompensiert wird (Parker 1985). Wenn nämlich komplette Kompensation<br />

stattfände, gäbe es keinen Grund, einen Partner nicht zu verlassen. Im Fall<br />

der inkompletten Kompensation kann die individuelle Anpassung des Investments<br />

als Ergebnis eines iterativen Verhandlungsprozesses zwischen<br />

den Geschlechtern betrachtet werden, bei dem beide Eltern entweder die<br />

Anstrengung oder die Kondition des anderen permanent verfolgen und ihr<br />

Verhalten dynamisch daran anpassen (Chase 1980). Eine alternative Möglichkeit<br />

besteht darin, dass die beiden Beteiligten sich durch die Anwendung<br />

bestimmter Regeln auf einen bestimmten Ausgang der „Verhandlungen“<br />

einigen und nicht auf jede Aktion des anderen unmittelbar reagieren,


420 10 Elterliche Fürsorge<br />

sondern ein vorgewähltes Maß an Investment leisten (McNamara et al.<br />

1999).<br />

Eine Möglichkeit, diesen Konflikt zwischen Eltern empirisch zu untersuchen,<br />

besteht darin, einen Elter zu entfernen und die Kompensation des<br />

anderen zu quantifizieren (Wright u. Cuthill 1989). In der Regel kompensieren<br />

„Alleinerziehende“ die Fürsorge des fehlenden Partners tatsächlich<br />

Box 10.1<br />

Sexueller Konflikt und die Kompensation elterlicher Fürsorge<br />

• Frage: Unterscheidet sich das elterliche Investment pro Jungtier, wenn Eltern<br />

(Zebrafinken, Taeniopygia guttata) sich alleine oder zu zweit um die<br />

Jungenaufzucht kümmern?<br />

• Hintergrund: Wenn es im Kontext der Jungenfürsorge einen Konflikt<br />

zwischen den Eltern gibt, ist zu erwarten, dass weniger investiert wird,<br />

wenn beide sich an der Aufzucht beteiligen.<br />

• Methode: In 14 Paaren wurde elterliches Investment unter zwei Bedingungen<br />

gemessen: Entweder zogen beide Eltern zunächst gemeinsam vier<br />

Junge auf und anschließend das Weibchen alleine zwei Jungen oder umgekehrt.<br />

Investment wurde als die Masse gefütterter Samen operationalisiert.<br />

Elterliches Investment<br />

pro Junges [g]<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10 Alleine Paar<br />

• Ergebnis: Weibchen, die alleine zwei Jungen aufzogen, fütterten diese im<br />

Durchschnitt signifikant mehr als wenn sie durch den Vater unterstützt<br />

wurden*.<br />

• Schlussfolgerung: Unter identischer Pro-Kopf-Belastung investierten<br />

Weibchen mehr, wenn sie sich als „Alleinerziehende“ um die Jungen<br />

kümmerten. Es gibt also einen sexuellen Konflikt über das elterliche Investment,<br />

der sich darin äußert, dass mögliches Investment zurückgehalten<br />

wird.<br />

Royle et al. 2002a<br />

* jede Linie verbindet die beiden Datenpunkte eines Weibchens unter den beiden Bedingungen


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 421<br />

nicht komplett (z. B. bei Nektarvögeln: Markman et al. 1996). Allerdings<br />

gibt es Hinweise auf qualitative Unterschiede der Fürsorge von Eltern,<br />

die experimentell zur alleinigen Aufzucht der Jungen gezwungen werden<br />

(Box 10.1).<br />

Entfernungsexperimente zeigen, welche Kompensationsmöglichkeiten<br />

existieren, aber sie können nichts über die Mechanismen der Konfliktbewältigung<br />

zwischen den Eltern aussagen. In anderen Experimenten<br />

wurden Eltern daher in ihrem Investment behindert, z. B. dadurch, dass ihnen<br />

einige Federn gekürzt oder kleine Gewichte angehängt wurden. Die<br />

Ergebnisse dieser Untersuchungen sind sehr heterogen: die komplette<br />

Spannweite von fehlender über partielle bis hin zu kompletter Kompensation<br />

wurde beobachtet, wobei bei manchen Arten geschlechtsspezifische<br />

Reaktionen zu verzeichnen waren (z. B. Sanz et al. 2000). In Bezug auf die<br />

Frage, ob der eigene Aufwand dynamisch an Veränderungen des Aufwandes<br />

des Partners angepasst wird oder ob es ein bestimmtes festes Maß an<br />

Investment gibt, zeigte eine Untersuchung an Haussperlingen (Passer domesticus),<br />

dass beide Geschlechter weder während noch nach der Behinderung<br />

ihres Partners ihre Fütterungsraten an die temporären Veränderungen<br />

dessen Verhaltens anpassten (Schwagmeyer et al. 2002). Stattdessen zeigten<br />

alle Individuen weitgehend konstante Fütterungsraten, was darauf hindeutet,<br />

dass jeder Elter einen festen Einsatz leistet und dass die Anpassungen<br />

offenbar auf evolutionärer Ebene stattfinden (McNamara et al. 1999).<br />

Neben dem Konflikt über das relative elterliche Investment kann es<br />

zwischen den Geschlechtern auch einen Konflikt darüber geben, ob ein<br />

Partner den anderen verlässt. Dieses Problem des Verlassens (mate desertion)<br />

entscheidet darüber, ob bi- oder uniparentale Fürsorge stattfindet,<br />

und es hat weitreichende Konsequenzen für das Paarungssystem einer Art<br />

( Kap. 11.2). Die Frage, ob bei Arten mit biparentaler Fürsorge ein Geschlecht<br />

das andere mit der Brut verlassen sollte, wurde in theoretischen<br />

Arbeiten ausgiebig modelliert. Diese Entscheidung hängt sowohl vom<br />

Verhältnis der Vorteile der Investition in die aktuelle Brut als auch von der<br />

Wahrscheinlichkeit zusätzlicher Verpaarungen ab (Wade u. Shuster 2002).<br />

Eine vergleichende Studie an Vögeln zeigte, dass die Gelegenheit für weitere<br />

Paarungsgelegenheiten tatsächlich am besten erklärt, warum bei nesthockenden<br />

Arten der eine oder andere Elter weniger investiert (Olson et al.<br />

2008).<br />

Die Chancen zusätzlicher Verpaarungen hängen ihrerseits stark vom<br />

Verhalten der anderen Mitglieder einer Population ab. Nur wenn relativ<br />

viele Individuen nicht verpaart sind oder bereit sind, in ein weiteres Reproduktionsereignis<br />

zu investieren, lohnt es sich, zu desertieren. In diesem<br />

Fall scheinen auch Fähigkeiten bezüglich der individuellen Einschätzungen<br />

des Risikos, verlassen zu werden, entstanden zu sein. Steinsperlinge


422 10 Elterliche Fürsorge<br />

(Passer petronia), denen durch experimentelle Eingriffe vorgegaukelt<br />

wurde, dass ihre Partnerinnen sie demnächst verlassen könnten, desertierten<br />

nämlich nicht selber zuerst, sondern erhöhten sowohl ihr Investment in<br />

die gemeinsame Brut als auch ihr Balzverhalten gegenüber ihren Partnerinnen<br />

(Griggio et al. 2005). Das Verhalten von Eltern in diesem Spannungsfeld<br />

hängt schließlich auch von ihren Energiereserven ab (Barta et al.<br />

2002). Wenn also ein Elter noch viel Investment leisten kann, wird es für<br />

den anderen Elter leichter zu desertieren und den anderen das fehlende Investment<br />

kompensieren zu lassen.<br />

10.3.2 Eltern-Kind-Konflikt<br />

Bei Arten mit sexueller Fortpflanzung und uni- oder biparentaler Fürsorge<br />

kommt es aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse der Beteiligten sowohl<br />

zwischen Eltern und Jungen als auch zwischen Geschwistern zu Konflikten<br />

über das elterliche Investment. Um die Ursachen dieser Konflikte in<br />

den lange Zeit als harmonisch betrachteten Familienbeziehungen zu verstehen,<br />

müssen zunächst deren genetische Grundlagen betrachtet werden.<br />

(1) Verwandtschaft, Verhalten und Evolution. Durch Meiose kommt es<br />

zur Produktion haploider Gameten, die einen mütterlichen (Eier) oder väterlichen<br />

(Spermien) Chromosomensatz enthalten. Dabei hat jedes Allel<br />

eines elterlichen Genoms eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, in eine entstehende<br />

Keimzelle zu gelangen. Bei der Fusion der Gameten bekommt jede<br />

Zygote und die sich daraus entwickelnden Nachkommen daher je die Hälfte<br />

ihrer Gene von den beiden Eltern. Diese Wahrscheinlichkeit, identische<br />

Allele mit anderen Individuen zu teilen, variiert generell zwischen 0 und 1<br />

und wird durch den Verwandtschaftskoeffizienten (r) ausgedrückt. Da<br />

jede Zygote unterschiedliche 50% ihrer Gene von den Eltern bekommt, teilen<br />

Geschwister im Durchschnitt ebenfalls 50% ihrer Erbinformation miteinander.<br />

Das heißt, der Verwandtschaftskoeffizient beträgt sowohl zwischen<br />

Eltern und Kindern als auch zwischen Geschwistern 0,5. Mit jeder<br />

zusätzlichen Generation verringert sich r weiter um die Hälfte; bei eineiigen<br />

Zwillingen ist r = 1, bei Nicht-Verwandten ist r = 0.<br />

Der Verwandtschaftskoeffizient ist bei evolutionären Betrachtungen des<br />

Verhaltens bedeutsam, weil Evolution letztendlich aus Veränderungen von<br />

Allelhäufigkeiten innerhalb von Populationen besteht. Gene kodieren die<br />

Synthese von Proteinen, die ihrerseits unter anderem den Aufbau von Nervensystem,<br />

Hormondrüsen, Sinnesorganen, Muskeln und dem Bewegungsapparat<br />

eines Individuums kontrollieren und so das Verhalten mit


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 423<br />

beeinflussen. Die meisten Gene kommen in zwei oder mehr Allelen vor,<br />

die leicht unterschiedliche Proteinvarianten kodieren. Unter anderem aus<br />

Untersuchungen an meiotischen Drive-Genen, die sich bei der Bildung von<br />

Gameten einen unfairen Vorteil verschaffen, B-Chromosomen und Transposons<br />

ist bekannt, dass zwischen den verschiedenen Allelen Konkurrenz<br />

über die limitierten Plätze an einem Genlokus herrscht (Hurst u. Werren<br />

2001). Durch den differenziellen Überlebens- und Fortpflanzungserfolg<br />

von Individuen kommt es aufgrund von natürlicher und sexueller Selektion<br />

zur differentiellen Weitergabe von Allelen in die nächste Generation – und<br />

damit zu Evolution. Da Individuen in den allermeisten Fällen weniger als<br />

100% ihrer Allele teilen, haben sie keine identischen genetischen Interessen<br />

und versuchen ihre eigenen „selbstsüchtigen“ Gene (selfish genes)<br />

weiterzugeben. Etwas pointiert kann man Individuen daher auch als Vehikel<br />

betrachten, die von egoistischen Genen lediglich zu deren Replikation<br />

und Weitergabe benötigt und benutzt werden (Dawkins 1976).<br />

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der modernen Evolutionsbiologie in<br />

diesem Zusammenhang stammt von William Hamilton. Er erkannte nämlich,<br />

dass es zwei Möglichkeiten gibt, die Häufigkeit der eigenen Allele in<br />

der nächsten Generation zu erhöhen: durch direkte eigene Fortpflanzung<br />

sowie durch erfolgreiche Fortpflanzung von Verwandten, mit denen ein<br />

Individuum abstammungsgleiche Allele mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit<br />

teilt (Hamilton 1964). Die Summe der direkten und indirekten Fitnesskomponenten<br />

wird als Gesamtfitness (inclusive fitness) bezeichnet.<br />

Bei der Analyse der Fitnesskonsequenzen von Interaktionen zwischen<br />

zwei Individuen muss man daher neben den Vor- und Nachteilen einer<br />

Verhaltensweise für den Handelnden und den Empfänger auch den Verwandtschaftskoeffizienten<br />

zwischen beiden berücksichtigen. Selektion, die<br />

dazu führt, dass Verhaltensweisen und andere Merkmale, die den Überlebens-<br />

oder Fortpflanzungserfolg von Verwandten erhöhen, in einer Population<br />

zunehmen, wurde von Maynard Smith (1964) als Verwandtenselektion<br />

(kin selection) bezeichnet. Verwandtenselektion dient als eine von<br />

mehreren theoretischen Grundlagen zur Erklärung von Altruismus, also<br />

dem Phänomen, dass Individuen durch bestimmte Verhaltensweisen die<br />

Fitness von Artgenossen erhöhen und dadurch aber ihre eigene Fitness verringern<br />

( Kap. 11.3).<br />

Altruistische Merkmale setzen sich im Laufe der Evolution durch, wenn<br />

Hamiltons Ungleichung (rb – c > 0) erfüllt ist (Hamilton 1964). Dabei<br />

bezeichnet r den Verwandtschaftskoeffizienten, b die Vorteile (benefits)<br />

einer Verhaltensweise oder eines anderen Merkmals für den Empfänger<br />

und c deren Kosten (costs) für den Akteur. Bei einem vergleichsweise<br />

hohen Verwandtschaftsgrad von 0,5 müssen die Vorteile einer Verhaltensweise<br />

für den Empfänger also mehr als doppelt so groß sein wie die


424 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.9. Abhängigkeit des minimalen Kosten/Nutzen-Verhältnisses eines altruistischen<br />

Merkmals vom Verwandtschaftskoeffizienten zwischen den Akteuren.<br />

Zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern müssen die Vorteile<br />

für den Empfänger mehr als zweimal so groß sein wie die Nachteile für den<br />

Akteur, um Hamiltons Ungleichung zu erfüllen. Mit abnehmendem Verwandtschaftskoeffizienten<br />

nimmt dieses kritische Verhältnis exponentiell zu<br />

Kosten für den Akteur, damit diese Ungleichung erfüllt ist. Mit abnehmendem<br />

Verwandtschaftskoeffizienten nehmen diese kritischen Kosten/Nutzen-Verhältnisse<br />

exponentiell zu (Abb. 10.9).<br />

Elterliches Investment stellt die häufigste Form altruistischen Verhaltens<br />

dar. Eltern investieren Zeit und Energie und nehmen Risiken in Kauf, um<br />

ihren Jungen Nahrung, Schutz, Wärme und andere Vorteile zukommen zu<br />

lassen. Da die Nachkommen Kopien der elterlichen Gene tragen und weitergeben,<br />

ist das Verhalten der Eltern genetisch eigennützig und wird<br />

durch Verwandtenselektion gefördert. Auch die Beteiligung von Helfern<br />

bei der Jungenaufzucht sowie Konflikte zwischen Geschwistern können<br />

durch Verwandtenselektion erklärt werden ( Kap. 10.4).<br />

(2) Ursachen des Eltern-Kind-Konflikts. Vor dem Hintergrund der Verwandtenselektion<br />

wird verständlich, warum es zu einem Konflikt zwischen<br />

Eltern und Nachkommen kommt. Da Eltern und Kinder im Durchschnitt<br />

nur die Hälfte ihrer Allele teilen, haben sie divergierende genetische Interessen.<br />

Eltern sind mit allen Nachkommen gleichermaßen verwandt und<br />

haben daher ein Interesse daran, sowohl in den aktuellen als auch ihren zu-


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 425<br />

künftigen Nachwuchs gleichermaßen zu investieren. Jedes einzelne Junge<br />

sollte dagegen versuchen, so viel elterliches Investment wie möglich auf<br />

sich zu ziehen, da es von Investment in seine Geschwister nur bedingt profitiert.<br />

Der Vorteil von elterlichem Investment in Vollgeschwister ist aus<br />

Sicht eines Jungen nur halb so groß, wie wenn dieses Investment an es<br />

selbst gegangen wäre, da dieser Vorteil mit dem Verwandtschaftskoeffizienten<br />

von 0,5 gewichtet wird. Wenn es selber Investment erhält, wird<br />

dessen Vorteil theoretisch mit 1,0 multipliziert, da jedes Individuum sozusagen<br />

mit sich selbst zu 100% verwandt ist. Nur wenn eine Einheit elterlichen<br />

Investments mehr als zweimal so wertvoll für ein Geschwister ist,<br />

sollte ein Individuum darauf verzichten, weil es dann über indirekte Fitness<br />

eine größere Gesamtfitness erfährt. Immer wenn Junge egoistischer<br />

sind, als dies für die Eltern optimal wäre, kommt es zu einem Konflikt<br />

zwischen ihnen (Trivers 1972).<br />

Aus dieser Perspektive betrachtet sind Nachkommen keine passiven<br />

Empfänger elterlichen Investments, sondern aktive Spieler in einem evolutionären<br />

Konflikt, in dem sie eigene Interessen verfolgen. Man kann also<br />

erwarten, dass natürliche Selektion Merkmale der Jungtiere gefördert hat,<br />

die ihren Anteil an elterlichem Investment erhöhen, wohingegen im Gegenzug<br />

elterliche Strategien koevoluiert sind, die diesem eigennützigen<br />

Verhalten entgegenwirken (Godfray 1995). Wenn Mütter einer Ressourcenknappheit<br />

ausgesetzt sind, hat ihre eigene Kondition in der Tat Vorrang<br />

vor ihrer Investition in den aktuellen Nachwuchs (Therrien et al. 2007).<br />

Aufgrund der Asymmetrien in Größe und Stärke müssen sich Jungtiere anderer<br />

Mechanismen bedienen, um von den Eltern zu bekommen, was sie<br />

wollen. Dabei handelt es sich vor allem um Verhaltensweisen (Trivers<br />

1972). Bei viviparen Arten spielen außerdem genetische und physiologische<br />

Mechanismen vor der Geburt in diesem Kontext eine wichtige Rolle<br />

(Crespi u. Semeniuk 2004).<br />

(3) Mechanismen des Eltern-Kind-Konflikts. Bei viviparen Arten stellt<br />

der Mutter-Fötus-Konflikt eine besondere Form des Eltern-Kind-Konflikts<br />

dar. Aufgrund des mütterlichen Investments in die heranwachsenden<br />

Föten über die Plazenta existieren, im Unterscheid zu oviparen Arten, die<br />

Voraussetzungen für Konflikte zwischen Fötus und Mutter sowie zwischen<br />

Geschwistern (Crespi u. Semeniuk 2004). Wenn gleichzeitig mehr als ein<br />

Fötus heranwächst und die Mutter sich polyandrisch verpaart hat, entsteht<br />

zusätzlich ein intragenomischer Konflikt zwischen den mütterlichen und<br />

väterlichen Allelen innerhalb eines heranwachsenden Individuums. Dieser<br />

Konflikt entsteht, weil Geschwister in diesem Fall dieselbe Mutter, aber<br />

verschiedene Väter haben. Wenn die Väter untereinander nicht verwandt<br />

sind, haben die von verschiedenen Männchen stammenden väterlichen Al-


426 10 Elterliche Fürsorge<br />

lele untereinander einen Verwandtschaftskoeffizienten von 0, wohingegen<br />

r für mütterliche Allele 0,5 beträgt. Mütterliche Allele, welche die Ressourcenaufnahme<br />

des Fötus kontrollieren, sollten daher die egoistischen<br />

Interessen eines Fötus mit denen seiner Geschwister balancieren. Allele<br />

mit väterlicher Abstammung haben dagegen keine abstammungsidentischen<br />

Kopien in anderen Föten und sollten daher darauf hinwirken, mehr<br />

Ressourcen zu extrahieren als dies für die mütterlichen Allele optimal ist.<br />

Dieser intragenomische Konflikt kann nur stattfinden, wenn es einen Mechanismus<br />

gibt, der es Allelen ermöglicht, als Funktion des elterlichen Ursprungs<br />

unterschiedlich exprimiert zu werden. Dieser als genomische Prägung<br />

(genomic imprinting) bezeichnete Mechanismus wurde tatsächlich<br />

bei Säugetieren nachgewiesen. In diesem Fall sind bestimmte autosomale<br />

Allele unterschiedlich methyliert, so dass sie selektiv an- oder abgeschaltet<br />

werden können (Haig 1997). In Zuchtexperimenten mit Mäusen konnte<br />

beispielsweise gezeigt werden, dass die Wurfgröße unter dem Einfluss väterlicher<br />

Gene steht, wohingegen die Versorgung mit Milch durch mütterliche<br />

Gene kontrolliert wird (Hager u. Johnstone 2003).<br />

Nach der Geburt sind Jungtiere vor allem auf Verhaltensweisen angewiesen,<br />

um ihre Eltern zu manipulieren. Dabei kann es sich um Verhaltensweisen<br />

handeln, mit denen sie den Eltern Fehlinformationen über ihre<br />

Bedürfnisse zukommen lassen. Da Eltern nicht riskieren können, solche<br />

Signale der Bedürftigkeit komplett zu ignorieren, könnten Junge auf diese<br />

Art einen grundsätzlichen Vorteil in diesem Konflikt aufrechterhalten.<br />

Diese Signale können aber auch dazu dienen, mit Geschwistern zu konkurrieren<br />

oder den Eltern den eigenen Wert zu signalisieren (Wells 2003).<br />

Andererseits ist das Betteln von Nestlingen auch durch Kosten limitiert:<br />

Betteln lockt Nesträuber an (Haskell 1994), und der mit dem Betteln verbundene<br />

erhöhte Energieverbrauch verzögert das Wachstum der Jungen<br />

(Kilner 2001). Das würde dafür sprechen, dass nur ehrliche Bedürfnisse<br />

kommuniziert werden (Kilner u. Johnstone 1997), aber die Vorhersagen<br />

dieser Hypothese (honest signalling of need) sind größtenteils identisch<br />

mit Vorhersagen der alternativen Hypothese, dass Geschwister untereinander<br />

um elterliches Investment konkurrieren (sibling scramble competition,<br />

Royle et al. 2002b).<br />

Bettelverhalten von Jungvögeln wurde bislang hauptsächlich mit Hinblick<br />

auf deren ehrliche Bedürftigkeit interpretiert (Abb. 10.10). Für Eltern<br />

ist es vorteilhaft, auf unterschiedliches Bettelverhalten einzelner Jungtiere<br />

zu reagieren, weil sie so am ehesten eine gleichmäßige Fütterung bewerkstelligen<br />

(Grodzinski u. Lotem 2007). Der gelb bis rot gefärbte Rachen der<br />

Nestlinge löst elterliche Fürsorge (Füttern) aus und ist beispielsweise bei<br />

Kanarienvögeln (Serinus canaria) mit zunehmendem Hunger intensiver<br />

gefärbt (Kilner 1997). Ultraviolette Farben spielen dabei eine bislang un-


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 427<br />

Abb. 10.10. Das Betteln<br />

von Jungvögeln ist ein Signal<br />

der Bedürftigkeit, das<br />

elterliche Fürsorge auslöst;<br />

hier bei Geradschnabelkrähen<br />

(Corvus moneduloides)<br />

geahnte Rolle (Hunt et al. 2003). Bei Ringschnabelmöwen (Larus delawarensis)<br />

nimmt die Häufigkeit und Intensität von Bettelrufen der Jungen<br />

proportional mit ihrem Hungerstatus zu, so dass es sich ebenfalls um prinzipiell<br />

ehrliche Signale der Bedürftigkeit handelt (Iacovides u. Evans<br />

1998). Bei Sumpfschwalben (Tachycineta bicolor) können Eltern auch die<br />

Bettelrufe von mehr oder weniger hungrigen Jungen unterscheiden und<br />

füttern präferentiell hungrige Junge (Leonard u. Horn 2001). In einem Experiment<br />

mit Kohlmeisen (Parus major), bei dem die Gelegegröße variiert<br />

wurde, beobachtete man aber, dass, trotz kompletter elterlicher Kompensation<br />

der unterschiedlichen Brutgrößen, die Intensität des Bettelns mit der<br />

Zahl der Nestlinge zunahm (Neuenschwander et al. 2003). Diese Studie<br />

zeigt, dass es auch Ausbeutungskonkurrenz ( Kap. 5.4) zwischen bettelnden<br />

Geschwistern gibt.<br />

Alle Beispiele, bei denen elterliches Investment nicht gleichmäßig über<br />

alle Junge verteilt wird, können dahingehend interpretiert werden, dass<br />

diejenigen Jungen, die mehr Investment bekommen, diesen Konflikt mit<br />

ihren Eltern gewonnen haben. Diese Interpretation basiert aber auf bislang<br />

kaum überprüften Annahmen (Ausnahme: Agrawal et al. 2001) über die<br />

genetischen Mechanismen (Kölliker u. Richner 2001), die Angebot und<br />

Nachfrage der Futterzuteilung kontrollieren (Royle et al. 2004).<br />

Bei Säugetieren kann der Entwöhnungskonflikt zwischen Mutter und<br />

Jungen ebenfalls vor diesem Hintergrund interpretiert werden. Wenn die<br />

Versorgung der wachsenden Jungen zunehmend teurer wird, sollten Mütter<br />

die Laktation beenden, wenn das Verhältnis von Nutzen und Kosten aus<br />

ihrer Sicht in Bezug auf ihr Fortpflanzungspotential kleiner als 1 wird. An<br />

diesem Punkt sollten sie mit der Produktion des nächsten Wurfs beginnen.<br />

Ein Experiment mit Meerschweinchen (Cavia aperea), bei dem ältere<br />

Würfe und Neugeborene zwischen Müttern ausgetauscht wurden, zeigte,


428 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.11. Der zeitliche Verlauf des hypothetischen Nutzen/Kosten-Verhältnisses<br />

eines elterlichen Fürsorgeverhaltens (z. B. Säugen) zeigt, dass die Mutter<br />

zum Zeitpunkt M das Investment einstellen sollte, da das Verhältnis kleiner als 1<br />

wird. Aufgrund des Verwandtschaftskoeffizienten von 0,5 sind die Nachkommen<br />

selektiert, Investment bis zum Zeitpunkt K 1/2 zu empfangen. Die Zeit dazwischen<br />

(orange) markiert die Dauer des Entwöhnungskonflikts. Wenn die nächsten Geschwister<br />

einen anderen Vater haben und damit nur Halbgeschwister sind, sollte<br />

der Konflikt durch die Nachkommen sogar bis zum Zeitpunkt K 1/4 hinausgezögert<br />

werden (gelb)<br />

dass die mütterliche Verfassung und nicht der Bedarf der Jungen den Zeitpunkt<br />

der Entwöhnung bestimmt (Rehling u. Trillmich 2007). Die Jungen<br />

sollten dagegen generell auf weiteres Investment bestehen, bis die Kosten<br />

doppelt so groß sind wie die Vorteile, da sie erst dann durch die Verhinderung<br />

der Produktion weiterer Geschwister ihre indirekte Fitness stärker<br />

schmälern, als sie ihre direkte Fitness erhöhen (Trivers 1974). Wenn die<br />

nächsten Geschwister nicht denselben Vater haben, sollten die Jungen den<br />

Konflikt noch weiter hinauszögern und zusätzliches mütterliches Investment<br />

verlangen (Abb. 10.11).<br />

(4) Differentielles Investment. Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts<br />

geht davon aus, dass Eltern und insbesondere Mütter in alle Nachkommen<br />

gleichermaßen investieren sollten, da sie mit allen in gleicher Weise verwandt<br />

sind. Kannibalismus und Brutreduktion lieferten zwei Beispiele extremer<br />

Ungleichbehandlung. Subtilere Variation im Investment zwischen


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 429<br />

verschiedenen Gelegen oder Würfen ist aber auch dann zu erwarten, wenn<br />

sich deren Qualität oder Größe oder der verbleibende elterliche Reproduktionswert<br />

unterscheiden. Differentielles Investment innerhalb von Würfen<br />

oder Gelegen ist vor allem in Abhängigkeit vom Geschlecht der Jungen zu<br />

erwarten.<br />

Eine Grundannahme der Life history-Theorie geht davon aus, dass Individuen<br />

ihren Reproduktionsaufwand über die gesamte Lebensspanne optimieren<br />

( Kap. 2.3). Iteropare Organismen, bei denen Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

und Fekundität mit zunehmendem Alter abnehmen, sollten<br />

daher ihren Reproduktionsaufwand, also auch ihr elterliches Investment,<br />

mit steigendem Alter erhöhen, da die Wahrscheinlichkeit, sich noch einmal<br />

fortpflanzen zu können, stetig abnimmt (Williams 1966). Bei diesem<br />

terminalen Investment (Clutton-Brock 1984) sollte mit abnehmendem<br />

verbleibendem Reproduktionswert der Mutter der Konflikt über elterliches<br />

Investment mit den Nachkommen an Intensität verlieren. Daher sollten<br />

spät im Leben produzierte Nachkommen von ihrer Mutter mehr Investment<br />

erhalten als früh produzierte. Für diese Vorhersage gibt es aber wenig<br />

überzeugende empirische Hinweise (Weladji et al. 2002), und wenn es<br />

entsprechende Effekte gibt, können alternative Erklärungen, wie z. B. größere<br />

mütterliche Erfahrung, nicht ausgeschlossen werden (Cameron et al.<br />

2000).<br />

Ein weiterer Grund für differentielle Behandlung von Jungen aus unterschiedlichen<br />

Gelegen könnte darin bestehen, dass sich diese in ihrer Qualität<br />

unterscheiden. Solche Qualitätsunterschiede sind besonders dann zu<br />

erwarten, wenn Weibchen aus der Partnerwahl indirekte Vorteile beziehen<br />

( Kap. 9.5). Nach Verpaarungen mit Männchen hoher Qualität sind<br />

Erhöhungen des mütterlichen Investments zu erwarten (Burley 1988). In<br />

der Tat produzieren beispielsweise Stockenten (Anas platyrhynchos: Cunningham<br />

u. Russell 2000) oder Kardinalfische (Pterapogon kauderni:<br />

Kolm 2001) größere Eier, wenn sie sich mit präferierten Männchen verpaaren.<br />

Zebrafinken (Taeniopygia guttata) deponieren mehr Testosteron in<br />

ihren Eiern, wenn sie sich mit attraktiveren Männchen gepaart haben (Gil<br />

et al. 1999), was dazu führt, dass die Jungen intensiver betteln und schneller<br />

wachsen. Ob das postnatale Investment allerdings auch zwischen<br />

Gelegen oder Würfen unterschiedlicher Qualität variiert, ist bislang kaum<br />

untersucht.<br />

Da der Lebensfortpflanzungserfolg eines Individuums wesentlich über<br />

die Gesamtzahl der direkt produzierten und erfolgreich überlebenden<br />

Jungtiere definiert wird, sollten vor allem Eltern in Arten mit hohen Fortpflanzungsraten<br />

ihr Investment für große Würfe oder Gelege nach oben<br />

anpassen. Der Fürsorgeaufwand kann auch je nach artspezifischen Besonderheiten<br />

des Fürsorgeverhaltens mit größerer Nachkommenzahl zuneh-


430 10 Elterliche Fürsorge<br />

men. In beiden Fällen ist größeres elterliches Investment zu erwarten. Tatsächlich<br />

variiert bei einigen Vögeln die Intensität der Verteidigung einer<br />

Brut positiv mit deren Größe. Im Extremfall werden Bruten sogar ganz<br />

aufgegeben, zum Beispiel nachdem Räuber oder Krankheit einen Großteil<br />

der Brut vernichtet haben. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber<br />

die Frage, ob das elterliche Investment proportional zu Änderungen der<br />

Brutgröße angepasst wird oder ob Junge in größeren Bruten ein höheres<br />

Pro-Kopf-Investment erfahren. Bei Vögeln lässt sich diese Frage durch experimentelle<br />

Änderungen der Gelegegröße elegant untersuchen (Nur 1984).<br />

(5) Geschlechtsspezifisches Investment. Innerhalb eines Reproduktionsereignisses<br />

kann neben der Größe und Anzahl auch das Geschlechterverhältnis<br />

(sex ratio) der Jungen einer Brut variieren. Das primäre Geschlechterverhältnis<br />

bezieht sich auf das Verhältnis männlicher und weiblicher<br />

Zygoten; in der Praxis kann es aber zumeist erst bei frisch geschlüpften<br />

oder gerade geborenen Nachkommen bestimmt werden. Bei den meisten<br />

Arten ist die Zahl von Männchen und Weibchen auf Populationsebene zu<br />

Beginn jeder Generation ausgeglichen, was sowohl mit der evolutionären<br />

Stabilität (Fisher 1930; Kap. 7.4) als auch mit den häufigsten Mechanismen<br />

der Geschlechterbestimmung (siehe unten) zu tun hat.<br />

Darwin ging noch davon aus, dass es keinen Unterschied macht, ob ein<br />

Individuum 10 Söhne, 10 Töchter oder 5 Nachkommen von jedem Geschlecht<br />

produziert. Spätestens seit Bateman (1948) ist aber klar, dass sich<br />

das Reproduktionspotential der Geschlechter in den meisten Arten deutlich<br />

unterscheidet ( Kap. 7.3). Gibt es daher doch Gründe und Möglichkeiten<br />

für Eltern, Söhne und Töchter in einem bestimmten Verhältnis zu produzieren?<br />

Das ausgeglichene Geschlechterverhältnis nach Fisher bezieht sich<br />

ja auf die Ebene von Populationen und nicht auf die der Individuen. Selbst<br />

wenn Eltern das Geschlecht ihrer Nachkommen nicht adaptiv manipulieren<br />

(können), könnten sie in Söhne und Töchter unterschiedlich viel investieren,<br />

wenn sie dadurch ihre Fitness verbessern. Für beide Formen geschlechtsspezifischen<br />

Investments gibt es inzwischen zahlreiche Hinweise<br />

und Beispiele.<br />

Ob Eltern das Verhältnis von Söhnen und Töchtern beeinflussen können,<br />

hängt zunächst vom Mechanismus der Geschlechtsdetermination ab.<br />

Bei Tieren gibt es drei Klassen von Prozessen, die das Geschlecht einer<br />

Zygote oder eines Embryos festlegen. Bei genetischer Geschlechtsbestimmung<br />

wird die Entwicklung eines Geschlechts durch die An- oder<br />

Abwesenheit von kritischen genetischen Faktoren festgelegt. In den meisten<br />

Fällen wird das Geschlecht dabei durch ein segregierendes Paar von<br />

Geschlechtschromosomen bestimmt. Säugetiere, aber auch Eidechsen so-


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 431<br />

wie viele Fische, Insekten, Krebse, Spinnen und Nematoden besitzen ein<br />

XX/XY-System, bei dem die Männchen das heterogame (XY) und Weibchen<br />

das homogame (XX) Geschlecht sind. Bei Vögeln, Schlangen sowie<br />

manchen Fischen, Insekten und Krebsen sind die Weibchen das heterogame<br />

(ZW) und Männchen das homogame (ZZ) Geschlecht. Bei Arten mit<br />

Haplodiploidie, also bei Hymenopteren und einigen anderen Arthropoden,<br />

wird das Geschlecht genetisch über die Befruchtung der Eier geregelt: aus<br />

unbefruchteten Eiern entwickeln sich haploide Männchen (Arrenotokie),<br />

wohingegen diploide Weibchen aus befruchteten Eiern entstehen. Bei wenigen<br />

Arten ist nachgewiesen, dass neue Königinnen auch durch die Verschmelzung<br />

von zwei haploiden Eizellkernen (Thelytokie) entstehen können<br />

(Pearcy et al. 2004).<br />

Bei Arten mit ökologischer Geschlechtsbestimmung entscheidet ein<br />

Umweltfaktor über das Geschlecht, wobei unterhalb eines kritischen Werts<br />

das eine Geschlecht und oberhalb dieses Werts das andere Geschlecht entsteht.<br />

Am häufigsten handelt es sich bei dem entscheidenden Umweltfaktor<br />

um die Umgebungstemperatur, die bei Schildkröten, Krokodilen sowie<br />

manchen Fischen und Insekten über eine temperatursensitive Produktion<br />

von Östrogenen das Geschlecht festlegt. Dabei scheint durch die jeweilige<br />

Bruttemperatur für beide Geschlechter so festgelegt zu sein, dass männliche<br />

und weibliche Nachkommen, die genau bei diesen Temperaturen entstanden<br />

sind, als Adulte die höchste Fitness erzielen (Warner u. Shine<br />

2008). Bei einigen Crustaceen existiert schließlich eine cytoplasmatische<br />

Geschlechtsdetermination, bei der die Präsenz oder das Fehlen eines<br />

durch Infektion erworbenen cytoplasmatischen Faktors das eine oder andere<br />

Geschlecht hervorbringt.<br />

Die Annahmen der Fisher’schen Erklärung von ausgeglichenen Geschlechterverhältnissen<br />

auf Populationsebene, wie z. B. elterliche Kontrolle<br />

der Geschlechtsdetermination und Zufallspaarungen in unendlich großen<br />

Populationen, sind nicht immer realistisch. Neben anderen Mechanismen<br />

der Geschlechtsdetermination gibt es nämlich auch stark strukturierte Populationen,<br />

in denen Paarungen nicht zufällig erfolgen. Zudem ignoriert<br />

Fishers Erklärung mögliche Unterschiede in den Kosten der Produktion<br />

von Töchtern und Söhnen; bei manchen Arten unterscheiden sie sich beispielsweise<br />

in der Größe und erfordern daher unterschiedliches Investment.<br />

Wenn also die Produktion eines Sohnes beispielsweise doppelt so<br />

viel kostet wie die einer Tochter, wäre ein Enkel, der über Söhne produziert<br />

wird, doppelt so teuer wie ein Enkel, der über Töchter entsteht. Eltern<br />

sollten unter diesen Umständen also mehr Töchter produzieren. Wenn das<br />

Verhältnis genau 1:2 zugunsten der Töchter ist, produziert ein durchschnittlicher<br />

Sohn genau doppelt so viele Enkel wie eine durchschnittliche<br />

Tochter. Söhne kosten dann also doppelt so viel, aber sie bringen auch den


432 10 Elterliche Fürsorge<br />

doppelten Ertrag in Form von Enkeln. Aus Sicht der Eltern erhalten sie in<br />

diesem Fall also pro Einheit an Investment von beiden Geschlechtern dieselbe<br />

Rendite. Eltern sollten also ihren Gesamtaufwand bei der Produktion<br />

von Söhnen und Töchtern und nicht nur deren Zahlenverhältnis berücksichtigen.<br />

Umgekehrt kann man daraus schließen, dass Eltern ihr Investment oder<br />

das Geschlechterverhältnis an unterschiedliche Kosten und Nutzen der<br />

Produktion von Söhnen und Töchtern anpassen sollten (sex allocation<br />

theory). Das analoge Problem stellt sich übrigens für Hermaphroditen, die<br />

entscheiden müssen, wie viele Ressourcen sie in männliche und weibliche<br />

Funktionen investieren (Charnov 1982). Die Theorie der geschlechtsabhängigen<br />

Investition unterscheidet zwischen drei häufigen Fällen: (1) Eltern<br />

sollten mehr in das Geschlecht mit dem höheren Fortpflanzungspotential<br />

investieren (Trivers u. Willard 1973), (2) Eltern sollten differentiell in<br />

Abhängigkeit von späteren Vor- oder Nachteilen aus Interaktionen mit ihrem<br />

Nachwuchs in das eine oder andere Geschlecht investieren (Clark<br />

1978), und (3) Eltern sollten das Geschlechterverhältnis an die Verwandtschaftsbeziehungen<br />

zwischen den Mitgliedern einer lokalen Fortpflanzungseinheit<br />

anpassen (Hamilton 1967).<br />

Es sind auch andere Kontexte und Korrelate von Geschlechterallokation<br />

beschrieben worden, vor allem bei Vögeln (Hasselqvist u. Kempenaers<br />

2002), wo das Geschlechterverhältnis beispielsweise mit der Reihenfolge<br />

der Eiablage variiert (Badyaev et al. 2002), aber diese können bislang selten<br />

mit den gängigen Hypothesen erklärt werden (Komdeur u. Pen 2002).<br />

Neben genetischen Zwängen scheint auch die Vorhersagbarkeit von Umweltbedingungen<br />

einen wichtigen einschränkenden Effekt auf die Manipulation<br />

des Geschlechterverhältnisses zu haben (West u. Sheldon 2002).<br />

Manche halten daher scheinbar adaptive Anpassung der Geschlechterverhältnisse<br />

bei Vögeln und Säugetieren für ein Epiphänomen, zumal manipulative<br />

Mechanismen bei deren Form der genetischen Geschlechtsbestimmung<br />

nicht offensichtlich sind (Krackow 2002).<br />

Eine klare Vorhersage in Bezug auf geschlechtsabhängiges Investment<br />

lässt sich für polygyne Arten machen, bei denen Männchen die größere<br />

Varianz in der Fortpflanzung besitzen. Die Trivers-Willard-Hypothese<br />

besagt, dass, wenn der Fortpflanzungserfolg von Männchen von deren<br />

Kondition abhängt und die Kondition am Ende des elterlichen Investments<br />

positiv mit der Kondition der Adulten korreliert, Mütter mehr in Söhne investieren<br />

sollten, da sie so Aussicht auf mehr Enkel haben. Da die Intensität<br />

des dafür notwendigen Investments von der Qualität der Mutter abhängt,<br />

sollte man erwarten, dass Mütter in guter körperlicher Verfassung<br />

mehr Söhne produzieren oder mehr in Söhne investieren, wohingegen


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 433<br />

Abb. 10.12. Bei Rothirschen<br />

(Cervus elaphus)<br />

und anderen<br />

polygynen Huftieren<br />

sollten Kühe in guter<br />

Verfassung mehr Söhne<br />

produzieren oder<br />

mehr in Söhne investieren<br />

Mütter in schlechter Verfassung mehr in Töchter investieren (Trivers u.<br />

Willard 1973).<br />

Diese Hypothese ist vor allem bei polygynen Huftieren intensiv untersucht<br />

worden (Abb. 10.12). Für die verschiedenen Annahmen und Vorhersagen<br />

gibt es sowohl unterstützende als auch einige widersprüchliche<br />

Hinweise (Hewison u. Gaillard 1999). So hat die Mehrzahl der Untersuchungen<br />

keine Hinweise dafür geliefert, dass Mütter in guter Kondition<br />

mehr Söhne produzieren (z. B. Krüger et al. 2005). Wenn allerdings alle<br />

Säugetiere verglichen werden, zeigt sich der vorhergesagte Effekt der mütterlichen<br />

Kondition (Cameron 2004). Zwar liefert der genetische Mechanismus<br />

der Geschlechterdetermination bei Säugetieren keine offensichtliche<br />

Erklärung dafür, aber der hohe Blutzuckergehalt von Müttern in guter<br />

Kondition könnte einen Mechanismus darstellen, der direkt mit der Kondition<br />

gekoppelt ist (Cameron et al. 2008). Die Kondition der Mütter ist auch<br />

von ökologischen Faktoren wie der Populationsdichte abhängig. Dementsprechend<br />

sinkt bei hoher Populationsdichte auch der Anteil an Söhnen<br />

(Kruuk et al. 1999). Der Zeitpunkt der Fortpflanzung bei saisonalen Arten<br />

kann – möglicherweise über einen ähnlichen Mechanismus – ebenfalls<br />

einen Einfluss auf das Geschlechterverhältnis haben (Box 10.2).<br />

Wenn Mitglieder eines Geschlechts von ihrem Geburtsort abwandern,<br />

verbleiben die Mitglieder des anderen Geschlechts bei ihren Eltern, mit<br />

denen sie um Ressourcen konkurrieren. Wenn diese Konkurrenz intensiv<br />

ist, kann sie dazu führen, dass im Fall von weiblicher Philopatrie Weibchen<br />

mehr Söhne produzieren, um so die lokale Ressourcenkonkurrenz<br />

(local resource competition) mit ihren Töchtern zu reduzieren (Clark<br />

1978). Bei Possums (Trichosurus vulpecula) teilen Mütter ihre Schlafhöhlen<br />

in großen Bäumen mit ihren philopatrischen Töchtern. Populationen,<br />

die Gegenden mit wenig großen Bäumen pro Weibchen bewohnen, haben


434 10 Elterliche Fürsorge<br />

Box 10.2<br />

Zeitpunkt der Konzeption und Geschlechterverhältnis bei saisonalen<br />

polygynen Ungulaten<br />

• Frage: Hat der Zeitpunkt der Konzeption bei polygynen Huftieren (hier:<br />

Rentiere, Rangifer tarandus) Einfluss auf das Geschlechterverhältnis der<br />

Jungtiere?<br />

• Hintergrund: Bei saisonaler Fortpflanzung gibt es einen optimalen Zeitpunkt<br />

der Fortpflanzung, der den Jungtieren eine bestmögliche postnatale<br />

Entwicklung ermöglicht. Bei polygynen Huftieren mit saisonaler Fortpflanzung<br />

sollten nach dem Trivers-Willard-Modell unter den später in der<br />

Saison konzipierten Jungen weniger Söhne sein.<br />

• Methode: Eine Herde von über 100 weiblichen Rentieren wurde in zwei<br />

Hälften geteilt. Die eine Gruppe (A) wurde zu Beginn der Brunftzeit mit<br />

vasektomierten Männchen gehalten; die andere Gruppe (B) mit intakten<br />

Männchen. Einen Ovulationszyklus später wurden die Weibchen von<br />

Gruppe A mit denselben intakten Männchen verpaart.<br />

• Ergebnis: 60,5% der Weibchen aus Gruppe A, die bei ihrer ersten Ovulation<br />

empfingen, produzierten Söhne; bei Weibchen der Gruppe B waren<br />

es nur 31,3%. Weibchen beider Gruppen waren zum Zeitpunkt der zweiten<br />

Ovulation in schlechterer körperlicher Verfassung.<br />

• Schlussfolgerung: Eine (experimentelle) Verzögerung des Konzeptionszeitpunktes<br />

resultierte in einer Umkehrung der sex ratio von Jungtieren.<br />

Diese Anpassung entspricht den Vorhersagen der Theorie des geschlechtsabhängigen<br />

Investments bei polygynen Arten.<br />

Holand et al. 2006<br />

stark zugunsten von Söhnen verschobene Geschlechterverhältnisse, was als<br />

Anpassung an lokale Ressourcenkonkurrenz interpretiert werden kann<br />

(Johnson et al. 2001). Obwohl diese Hypothese mehrfach überprüft wurde,<br />

fanden sich bislang insgesamt aber wenig unterstützende Hinweise dafür,


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 435<br />

weder bei Vögeln (Budden u. Beissinger 2004) noch bei Säugetieren<br />

(Nunn u. Pereira 2000).<br />

Für die umgekehrte Situation, nämlich dass dasjenige Geschlecht, dessen<br />

Mitglieder den philopatrischen Eltern später Vorteile zukommen lassen<br />

(local resource enhancement), indem sie beispielsweise bei der Aufzucht<br />

weiterer Nachkommen helfen oder die Größe von Koalitionen vergrößern,<br />

überproduziert wird, gibt es dagegen einige Hinweise (Frank 1990). Ein<br />

faszinierendes Beispiel stammt von Seychellen-Rohrsängern (Acrocephalus<br />

sechellensis), bei denen Töchter ihren Eltern bei der Aufzucht der<br />

nächsten Geschwister helfen. Dieser positive Effekt existiert allerdings nur<br />

auf guten Territorien mit ausreichend Nahrung; in schlechten Territorien<br />

konkurrieren die Töchter mit ihren Eltern und jüngeren Geschwistern um<br />

Nahrung. Die Eltern passen das primäre Geschlechterverhältnis an diese<br />

Umweltvariabilität an: In guten Territorien werden mehr Töchter produziert,<br />

in schlechten Territorien mehr Söhne (Komdeur et al. 1997). Bei<br />

Wildhunden (Lycaon pictus) helfen Söhne mehr bei der Aufzucht ihrer<br />

jüngeren Geschwister und werden tatsächlich auch überproduziert (McNutt<br />

u. Silk 2008). Eine Meta-Analyse an über 100 Primatenarten demonstrierte<br />

einen vergleichbaren Effekt für Arten mit kooperativer Jungenaufzucht<br />

(Silk u. Brown 2008).<br />

Lokale Fortpflanzungseinheiten sind manchmal hoch strukturiert und erlauben<br />

keine Zufallspaarungen, zum Beispiel wenn Weibchen isolierte Gelege<br />

absetzen und alle Paarungen später zwischen Geschwistern stattfinden.<br />

In diesem Fall konkurrieren Brüder um Paarungsgelegenheiten mit<br />

ihren Schwestern. Dieses Phänomen wurde von Hamilton (1967) als lokale<br />

Partnerkonkurrenz (local mate competition) bezeichnet. Da theoretisch ein<br />

Männchen ausreicht, um alle seine Schwestern zu befruchten, sollten Mütter<br />

das Geschlechterverhältnis zugunsten von Töchtern verschieben und so<br />

ihre Zahl an Enkeln maximieren. Dieser Effekt der lokalen Partnerkonkurrenz<br />

auf das Geschlechterverhältnis ist insbesondere bei Arten mit haplodiploider<br />

Geschlechtsbestimmung zu erwarten, da Weibchen das Geschlecht<br />

ihrer Nachkommen direkt kontrollieren können.<br />

Bei Feigenwespen (Agaonidae) legen Weibchen beispielsweise ihre Eier<br />

in sich entwickelnde Feigen, wo sich die oft flügellosen Männchen mit<br />

ihren Schwestern verpaaren, bevor diese abwandern (Weiblen 2002). Tatsächlich<br />

haben Gelege, die nur aus Eiern einer Mutter bestehen, die<br />

extremsten Geschlechterverhältnisse (Herre 1985), wobei zunächst nur<br />

Männchen produziert werden (Raja et al. 2008). Andere Beispiele stammen<br />

von parasitierenden Wespen, die ihre Eier in Fliegenlarven oder ähnliche<br />

Substrate legen und ebenfalls das Verhältnis von befruchteten und<br />

unbefruchteten Eiern an die Größe des Substrats, die Größe ihres Geleges


436 10 Elterliche Fürsorge<br />

sowie die Zahl der Gelege von anderen Weibchen anpassen (Flanagan<br />

et al. 1998).<br />

Bei Hymenopteren, die durch Befruchten oder Nicht-Befruchten von<br />

Eiern das Geschlechterverhältnis selber direkt beeinflussen können, gibt es<br />

einen Interessenskonflikt zwischen Königin und Arbeiterinnen über<br />

das Geschlechterverhältnis der Brut (Abb. 10.13). Die Ursachen dieses<br />

Konflikts liegen in unterschiedlichen genetischen Interessen begründet.<br />

Königinnen, die als einzige Eier legen, sind mit Söhnen und Töchtern gleichermaßen<br />

verwandt. Arbeiterinnen sind dagegen mit ihren Schwestern<br />

näher verwandt als mit ihren Brüdern. Wenn sich eine Königin nämlich<br />

nur einmal verpaart hat, bekommen Schwestern dieselben väterlichen Allele,<br />

da Männchen haploid sind und damit nur einen (identischen) Chromosomensatz<br />

an alle Nachkommen weitergeben können. Damit haben alle<br />

Töchter einer Königin bereits 50% ihrer Allele über die väterliche Seite<br />

gemeinsam. Da die Königin, wie alle Weibchen, diploid ist, haben die<br />

Töchter eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, identische mütterliche Allele zu<br />

bekommen. Töchter einer Königin, die sich nur mit einem Männchen verpaart<br />

hat, teilen daher im Durchschnitt 75% ihrer Allele. Mit ihren Brüdern<br />

sind sie aber nur zu 50% verwandt, da sie mit ihnen ja nur den mütterlichen<br />

Satz an Genen teilen.<br />

Für die Königin wäre daher ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis<br />

optimal; für die Arbeiterinnen, die ja die Brutpflege und damit de facto das<br />

wesentliche elterliche Investment betreiben, wäre dagegen ein Verhältnis<br />

von drei Schwestern zu einem Bruder optimal (Trivers u. Hare 1976). Da<br />

bei den allermeisten Hymenopteren das Geschlechterverhältnis zugunsten<br />

der Weibchen verschoben ist, scheinen die Arbeiterinnen diesen Konflikt<br />

in den meisten Fällen zu gewinnen. Untersuchungen an Kolonien, in denen<br />

sich Königinnen mit mehreren Männchen verpaaren und Arbeiterinnen<br />

Abb. 10.13. Bei Hymenopteren,<br />

wie bei diesen Wespen, kommt es<br />

aufgrund der unterschiedlichen<br />

genetischen Interessen von Königin<br />

und Arbeiterinnen zu einem<br />

Interessenskonflikt über das Geschlechterverhältnis<br />

der Brut


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 437<br />

dadurch im Durchschnitt sehr viel weniger miteinander verwandt sind,<br />

haben gezeigt, dass das Geschlechterverhältnis sich in diesen Situationen<br />

einem Verhältnis 1:1 annähert (Sundström 1994). In seltenen Fällen, wie<br />

bei der Ameisenart Cardiocondyla obscurior, bei der sowohl eine variable<br />

Anzahl von Königinnen als auch Männchen, die sich entweder inner- oder<br />

außerhalb ihre Kolonie verpaaren, existiert, konnte gezeigt werden, dass<br />

Königinnen das Geschlechterverhältnis ihrer Bruten sowohl an lokale<br />

Partnerkonkurrenz als auch an den Konflikt zwischen Königin(nen) und<br />

Arbeiterinnen anpassen (Cremer u. Heinze 2002).<br />

10.3.3 Geschwister-Konflikt<br />

Konflikt zwischen Geschwistern entsteht immer dann, wenn die Mitglieder<br />

einer Brut mehr Ressourcen und Investment verlangen, als von den Eltern<br />

bereitgestellt werden kann. Dieser Konflikt tritt vor allem dann auf, wenn<br />

die Mitglieder einer Brut gezwungenermaßen zusammen sind, also beispielsweise<br />

im Körper der Mutter, einem Bau oder Nest. Die Mitglieder<br />

einer Brut sind zwar nah miteinander verwandt, da sie zumindest im<br />

Durchschnitt die Hälfte der mütterlichen Allele teilen, aber sie sind primär<br />

an ihrem eigenen Überleben und Wohlergehen interessiert. Wenn die Geschwister<br />

einen gemeinsamen Vater haben, teilen sie die Hälfte ihrer Gene<br />

miteinander. Von daher sollte in dieser Situation jedes Individuum die<br />

nächste Einheit elterlichen Investments so lange für sich beanspruchen, bis<br />

diese Einheit für ein Vollgeschwister mehr als doppelt so wertvoll ist (oder<br />

mehr als viermal so wertvoll für Halbgeschwister; Parker et al. 1989).<br />

Die Konkurrenz zwischen Geschwistern kann verschiedene Formen annehmen.<br />

So kann es Rangeleien um eine besonders vorteilhafte Position,<br />

zum Beispiel in der Nähe des Eingangs des Baues oder der Nesthöhle,<br />

durch den die Eltern zu den Jungen kommen, geben. Da bei Säugetieren in<br />

der Regel die Zahl der Zitzen an die Wurfgröße angepasst ist, tritt diese<br />

Form der Konkurrenz seltener auf, aber es kann zu Konkurrenz um die<br />

beste der Zitzen kommen, wenn diese sich in ihrer Ergiebigkeit unterscheiden.<br />

Bei Vögeln kann es zu Pickereien zwischen den Nestlingen und<br />

so zur Ausbildung von Dominanzbeziehungen kommen, die dazu führen,<br />

dass dominante Junge häufiger gefüttert werden. Im Extremfall kann eskalierende<br />

Aggression zwischen Nestgenossen, in Kombination mit reduzierter<br />

Versorgung durch die Eltern, zur Schwächung und zum Tod führen.<br />

Diese Geschwistertötung (Siblizid) tritt bei manchen Vögeln (bestimmte<br />

Adler, Pelikane und Tölpel) sogar obligat auf (Abb. 10.14). Bei anderen<br />

Arten erfolgt Siblizid fakultativ, vermutlich in Abhängigkeit von der Ressourcenlage<br />

(Lougheed u. Anderson 1999).


438 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.14. Bei Blaufußtölpeln<br />

(Sula nebouxii)<br />

kommt es bei Nahrungsknappheit<br />

obligat zu Siblizid:<br />

Das jüngere Geschwister wird<br />

vom anderen Jungen getötet<br />

Ein extremes Beispiel von Siblizid wurde bei einer parasitierenden<br />

Wespenart (Copidosoma floridanum) beobachtet. Deren Weibchen legen je<br />

ein männliches und ein weibliches Ei in eine Raupe, welche für die Jungen<br />

eine limitierte Nahrungsressource darstellt. Durch Klonierung (Polyembryonie)<br />

entstehen aus den beiden Eiern rasch hunderte von Zwillingsgeschwistern.<br />

Ungefähr 50 Weibchen entwickeln sich schneller als alle anderen<br />

Geschwister zu Larven ohne Geschlechtsorgane, aber mit riesigen<br />

Kiefern. Sie suchen und kannibalisieren ihre Brüder (Grbic et al. 1992).<br />

Dieses Verhalten ist erklärbar, wenn man weiß, dass die Männchen ihre<br />

eigenen Schwestern schon vor der Verpuppung befruchten. Da sie mit den<br />

Schwestern dreimal mehr abstammungsidentische Allele teilen und selbst<br />

nicht zur Fortpflanzung befähigt sind, ist ein möglichst zugunsten der<br />

Schwestern verschobenes Geschlechterverhältnis in ihrem genetischen Interesse.<br />

Außerdem wird so mehr von der limitierten Nahrung für ihre<br />

Schwestern verfügbar.<br />

Bei Säugetieren sind einige Beispiele von fakultativem Siblizid bekannt.<br />

Ferkel (Sus scrofa) sind vermutlich aus diesem Grund schon von Geburt an<br />

mit Zähnen ausgestattet (Fraser u. Thompson 1991). Bei Tüpfelhyänen<br />

(Crocuta crocuta) kommt es zwischen den ebenfalls mit einem kompletten<br />

Gebiss ausgestatteten Jungen zu intensiver Konkurrenz und regelmäßig<br />

(9% der Würfe) zum Siblizid, vor allem dann, wenn die Nahrungsversorgung<br />

schlecht ist (Hofer u. East 2008).<br />

Wie lassen sich diese Beobachtungen mit den Interessen der Eltern vereinbaren?<br />

Solche Brutreduktion ist offenbar in manchen Fällen für die Eltern<br />

vorteilhaft. Vorteile müssen zumindest für Fälle angenommen werden,<br />

in denen es zu mütterlichem Kannibalismus kommt oder in denen die Mutter<br />

Geschwisterkannibalismus aktiv unterstützt. Bei vielen Nagetieren und<br />

einigen Vögeln fressen nämlich Mütter einige ihrer Jungen oder lassen


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 439<br />

manche gezielt verhungern (Elgar u. Crespi 1992). Beim Sandtigerhai<br />

(Carcharias taurus) entwickeln dagegen die Embryos rasch Zähne und beginnen<br />

„in utero“ ihre Geschwister zu fressen, wobei die Mutter über Monate<br />

Tausende weitere befruchtete Eier produziert, die dem einzigen übrig<br />

bleibenden Jungen als Nahrung dienen (Gilmore 1993). Worin die Vorteile<br />

der Mütter in diesem kannibalistischen Verhalten liegen, ist nicht bekannt.<br />

In anderen Fällen wird daher argumentiert, dass durch die „Überproduktion“<br />

von Eiern oder Jungen die Möglichkeit besteht, durch Brutreduktion<br />

flexibel auf unvorhersagbare Ressourcenschwankungen zu reagieren oder<br />

dass sie eine Art Versicherung gegen extrinsische Mortalität einzelner<br />

Jungtiere darstellt (Mock u. Parker 1998). Auf der proximaten Ebene spielt<br />

die aktuelle Kondition der Eltern eine wichtige Rolle dabei, wie sie ihr<br />

Fürsorgeverhalten modulieren (Markman et al. 2002). Außerdem variiert<br />

die Fähigkeit von Eltern, Fürsorge zu leisten auch als Funktion ihrer genetischen<br />

Qualität (Senar et al. 2002).<br />

10.3.4 Brutparasitismus<br />

Bei oviparen Arten mit elterlicher Fürsorge existiert die theoretische Möglichkeit,<br />

eigene Eier zu einem Gelege oder in ein Nest eines anderen Individuums<br />

zu legen. Die Wirte solcher Brutparasiten können derselben<br />

oder einer anderen Art angehören. Die Brutparasiten haben dabei den Vorteil,<br />

dass ihre Jungen von anderen aufgezogen werden, ohne dass sie selbst<br />

die Kosten des elterlichen Investments tragen müssen. Das Risiko dieser<br />

Strategie besteht allerdings darin, dass der Wirt den Betrug bemerkt und<br />

die Eier oder die Jungen vernichtet. Für den Wirt ist diese Strategie dagegen<br />

nur mit Nachteilen verbunden, da er in fremde Junge investiert. Daher<br />

sind Abwehrstrategien der betroffenen Wirte zu erwarten, die wiederum zu<br />

Gegenstrategien bei den Brutparasiten führen sollten. Diese evolutionären<br />

Wettrennen finden tatsächlich sowohl innerhalb als auch zwischen Arten<br />

statt. Die bekanntesten Beispiele stammen dabei von Insekten und Vögeln.<br />

Interspezifischer Brutparasitismus ist eine obligate Fortpflanzungsstrategie<br />

von ungefähr einem Prozent aller Vogelarten (Winfree 1999). Die<br />

beiden in dieser Hinsicht am besten untersuchten Arten, der Europäische<br />

Kuckuck (Cuculus canorus) und der amerikanische Braunkopf-Kuhstärling<br />

(Molothrus ater), verfolgen dabei völlig unterschiedliche Strategien. Obwohl<br />

der Kuckuck über sein gesamtes Verbreitungsgebiet mehr als 100<br />

verschiedene Arten parasitiert, sind es an einem gegebenen Ort nur ganz<br />

wenige Arten, die betroffen sind. Jedes individuelle Weibchen ist auf eine<br />

einzige Wirtsart spezialisiert, wobei die verschiedenen Weibchen unterschiedlich<br />

gefärbte und gemusterte Eier legen, die denen ihrer Wirte äußerlich<br />

sehr ähnlich sind (Soler u. Møller 1996). Diese Variabilität im Aus-


440 10 Elterliche Fürsorge<br />

sehen der Kuckuckseier ist vermutlich das Ergebnis von Gegenselektion<br />

durch den Wirt in Form von verbesserter Diskriminierung von Eiern anhand<br />

deren Aussehens (Davies u. Brooke 1989). Das Aussehen der<br />

Kuckuckseier wird dabei von Genen auf dem mütterlichen W-Chromosom<br />

kontrolliert (Gibbs et al. 2000). Die Anpassungen der Eierfarbe an spezifische<br />

Wirte entstanden dabei erst, nachdem die parasitische Fortpflanzungsweise<br />

entstanden war (Krüger u. Davies 2002).<br />

Wenn ein Kuckucks-Weibchen ein Wirtsnest ausgespäht hat, nutzt es<br />

einen kurzen Moment, in dem das Nest unbewacht ist, entfernt eines der<br />

schon gelegten Eier und legt ein eigenes dazu – alles in weniger als 10 Sekunden<br />

(Davies 2000). Wenn der Betrug von den Wirtseltern nicht bemerkt<br />

wird, profitiert der junge Kuckuck von seiner viel rascheren Entwicklung<br />

und schlüpft als Erster. Wenige Stunden nach dem Schlüpfen<br />

befördert das noch nackte und blinde Junge nacheinander alle Eier seiner<br />

Wirte aus dem Nest. Von da an wird der junge Kuckuck unablässig gefüttert,<br />

selbst wenn er schon ein Vielfaches der Körpergröße der Eltern erreicht<br />

hat (Abb. 10.15). Nach dem Schlüpfen besteht theoretisch noch<br />

einmal das Risiko, dass der Schwindel auffliegt, da die Wirtseltern Unterschiede<br />

in der Rachenfärbung und in den Bettelrufen zu ihren eigenen Jungen<br />

bemerken könnten. Der junge Kuckuck sendet aber scheinbar unwiderstehliche<br />

Signale aus, mit denen er seine Wirtseltern zum Füttern<br />

Abb. 10.15. Ein Drosselrohrsänger<br />

(Acrocephalus arundinaceus) füttert<br />

sein „Kuckuckskind“


10.3 Fürsorge, Investment und Konflikt 441<br />

animiert (Kilner et al. 1999). Dabei kompensiert er sein mangelhaftes Rachenmuster<br />

durch einen besonders effektiven Bettelruf, der die Wirtseltern<br />

dazu veranlasst, genauso viel Futter herbeizuschaffen, wie sie es normalerweise<br />

für die gesamte eigene Brut tun. Bei einer anderen Kuckucksart<br />

(Cuculus fugax) sind die Innenseiten der Flügel so gefärbt, dass sie wie zusätzliche<br />

aufgesperrte Rachen aussehen. Wenn man dieses Muster experimentell<br />

durch Übermalen verschwinden lässt, nimmt die Fütterungsrate<br />

der Gasteltern tatsächlich ab (Tanaka u. Ueda 2005).<br />

Vom Kuhstärling sind über 200 Wirtsarten bekannt, wobei jedes Weibchen<br />

zahlreiche Arten parasitiert. Diese Generalisten versuchen nicht, ihre<br />

Eier an die des Wirts anzupassen. Trotzdem werden sie von Wirten zumeist<br />

nicht entfernt. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass die jungen<br />

Kuhstärlinge ihre artfremden Nestgenossen nicht aus dem Nest werfen und<br />

der Reproduktionserfolg der Wirte damit nicht komplett in Frage gestellt<br />

wird. Dadurch ist möglicherweise die Selektion auf die Fähigkeit, fremde<br />

Eier zu erkennen, nicht so stark wie beim Kuckuck. Eine andere Erklärung<br />

für dieses Brutparasiten-Wirt-System besteht darin, dass das evolutionäre<br />

Wettrennen noch in einem relativ frühen Stadium ist, da Kuhstärlinge erst<br />

vor wenigen hunderttausend Jahren nach Nordamerika gekommen sind<br />

(Takasu 1998).<br />

Einer sehr viel schwierigeren Verteidigung gegenüber Brutparasiten sehen<br />

sich Individuen gegenüber, die von Mitgliedern der eigenen Art parasitiert<br />

werden. In diesem Fall ist es sehr schwierig, fremde Eier zu erkennen<br />

und gegen sie zu diskriminieren. Dadurch dass Brutparasitismus<br />

zusätzlich zu eigenem Brüten eingesetzt wird, kann der Fortpflanzungserfolg<br />

bis zum Doppelten ansteigen (Ahlund u. Andersson 2001). Der Erfolg<br />

dieser Strategie ist aber häufigkeitsabhängig und stellt Weibchen theoretisch<br />

vor die Frage, wie sie ihre Eier über das eigene und andere Nester<br />

verteilen sollen (Ruxton u. Broom 2002). Neben einigen Insekten zeigen<br />

auch mehr als 200 Vogelarten dieses Verhalten. Interessanterweise ist innerartlicher<br />

Brutparasitismus nicht zufällig über alle Vogelarten verteilt,<br />

sondern tritt besonders gehäuft bei Entenvögeln (Anseriformes) auf (Lyon<br />

u. Eadie 2000). Diese besitzen das für Vögel ungewöhnliche Merkmal der<br />

weiblichen Philopatrie. Wenn die Ergebnisse der Untersuchungen an einer<br />

Art (Andersson u. Ahlund 2000) in dieser Hinsicht generalisierbar sind,<br />

wäre es möglich, dass zumindest bei diesen Arten parasitierende Weibchen<br />

einen Teil ihrer Eier in die Nester von nahen Verwandten legen und so die<br />

Kosten des Brutparasitismus durch Verwandtenselektion abgemildert werden.<br />

In dieser Situation wären damit die theoretischen Voraussetzungen<br />

dafür geschaffen, dass das parasitierende Weibchen am Nest bleibt und<br />

dem betroffenen Wirts-Weibchen bei der Aufzucht einer gemeinsamen<br />

Brut assistiert (Zink 2000). Modellierungen haben gezeigt, dass diese Be-


442 10 Elterliche Fürsorge<br />

ziehung zwischen Wirt und Parasit unter Berücksichtigung der inklusiven<br />

Fitness der Beteiligten als evolutionäres Spiel analysiert werden kann, aber<br />

über die dabei entscheidenden Vor- und Nachteile der beiden Rollen ist<br />

bislang noch wenig bekannt (Andersson 2001).<br />

10.4 Fürsorge und Kooperation<br />

Fürsorge und Investment sind nicht nur durch verschiedene Konkurrenzbeziehungen<br />

charakterisiert, sondern sie bieten auch einmalige Möglichkeiten,<br />

bei der Jungenaufzucht mit anderen zu kooperieren. Kooperation ist<br />

dabei allgemein als eine Verhaltensweise definiert, die einem Artgenossen<br />

einen Vorteil verschafft. Wenn der Akteur oder Träger zusätzlich einen<br />

persönlichen Nachteil durch dieses Verhalten oder Merkmal in Kauf<br />

nimmt, handelt es sich per Definition um Altruismus. Im Zusammenhang<br />

der Jungenfürsorge ist reproduktiver Altruismus weit verbreitet. Dabei<br />

verzichten Individuen für begrenzte Zeit oder permanent auf eigene Fortpflanzung<br />

und helfen anderen Artgenossen bei der Aufzucht ihrer Jungen.<br />

Verzicht auf eigene Fortpflanzung stellt ein herausragendes Paradoxon<br />

der Evolutionsbiologie dar, dessen Erklärung schon Darwin (1859) große<br />

Probleme machte. Wie kann natürliche Selektion ein Merkmal fördern,<br />

dessen Träger sich gar nicht fortpflanzen? Zum einen ist es paradox, weil<br />

diese Individuen scheinbar nicht darauf bedacht sind, Kopien der eigenen<br />

Gene in die nächste Generation weiterzugeben. Zum anderen ist nicht unmittelbar<br />

klar, wie sich die genetischen Grundlagen solcher Merkmale<br />

ausbreiten können, wenn sich die Träger dieses Merkmals selber gar nicht<br />

fortpflanzen. Bei Insekten, Vögeln und Säugetieren, bei denen die meisten<br />

Fälle von reproduktivem Altruismus auftreten, ist dieses Paradoxon von<br />

William Hamilton (1964) mit Verwandtenselektion erklärt worden; allerdings<br />

wurden in neuerer Zeit zusätzliche Faktoren als bedeutsam identifiziert<br />

(Clutton-Brock 2002). Bei Systemen, in denen reproduktiver Altruismus<br />

auftritt, existiert ein Kontinuum in der Dauer des Verzichts auf eigene<br />

Fortpflanzung und der damit verbundenen Varianz im Fortpflanzungserfolg<br />

zwischen Gruppenmitgliedern, innerhalb dessen gewöhnlich zwischen<br />

eusozialen Arten und solchen mit Helfern am Nest unterschieden wird<br />

(Sherman et al. 1995).<br />

10.4.1 Eusozialität und reproduktiver Altruismus<br />

Kooperative Brutfürsorge ist ein definierendes Merkmal von eusozialen<br />

Gesellschaften. Eusozialität ist außerdem durch reproduktive Arbeitsteilung<br />

und überlappende Generationen definiert (Hölldobler u. Wilson


10.4 Fürsorge und Kooperation 443<br />

1990). Überlappende Generationen sind deswegen Bestandteil dieser Definition,<br />

weil sie die Voraussetzung dafür darstellen, dass sich Mitglieder der<br />

älteren Generationen an der Aufzucht jüngerer Geschwister beteiligen<br />

können. Die reproduktive Arbeitsteilung liegt darin begründet, dass die<br />

Fortpflanzungsaktivität auf eine oder wenige Königinnen beschränkt ist.<br />

Königinnen entstehen unter dem Einfluss von bestimmten Umweltfaktoren<br />

aus befruchteten Eiern, wobei bei manchen Arten genetische Faktoren diese<br />

Entwicklung begünstigen (Volny u. Gordon 2002). Bei einigen Arten<br />

sind Arbeiterinnen allerdings auch in der Lage, unbefruchtete Eier zu legen.<br />

Innerhalb der Arbeiterinnen gibt es häufig zusätzliche Arbeitsteilung,<br />

die dadurch charakterisiert ist, dass ein stabiles Verteilungsmuster der Gesamtaufgaben<br />

einer Kolonie existiert, indem jede Arbeiterin sich auf eine<br />

Reihe von Spezialaufgaben aus dem Gesamtrepertoire der Aufgaben konzentriert<br />

(Beshers u. Fewell 2001). Diese Arbeitsteilung kann zeitlich organisiert<br />

sein, so dass jedes Individuum im Laufe seines Lebens nacheinander<br />

verschiedene Aufgaben wahrnimmt. Häufig kümmern sich junge<br />

Arbeiterinnen beispielsweise um die Brutfürsorge und andere Aufgaben<br />

innerhalb der Kolonie, wohingegen ältere Tiere sich außerhalb der Kolonie<br />

um die Verteidigung und Nahrungsbeschaffung kümmern. Bei Termiten<br />

und manchen Ameisen gibt es außerdem einen morphologischen Polyethismus,<br />

d. h. verschiedene Kasten von Arbeiterinnen mit unterschiedlichen<br />

Aufgaben unterscheiden sich in ihrer Körperform und -größe.<br />

Diese Kombination von Merkmalen findet sich bei allen Ameisen<br />

(Hölldobler u. Wilson 1990) und Termiten (Thorne 1997) sowie den meisten<br />

Bienen und Wespen (Abb. 10.16). In den letzten Jahren wurde Eusozialität<br />

außerdem bei einigen Arten von Blasenläusen (Pemphigidae: Aoki<br />

1977), Thripsen (Thysanoptera: Crespi 1992), Schwammgarnelen (Synal-<br />

Abb. 10.16. Ameisen sind die<br />

ökologisch erfolgreichsten eusozialen<br />

Insekten


444 10 Elterliche Fürsorge<br />

Tabelle 10.1. Durchschnittliche Verwandtschaftsverhältnisse bei haplodiploiden<br />

und diploiden Arten<br />

Haplodiploidie<br />

Sohn Tochter Bruder Schwester Nichte Neffe<br />

Weibchen 0,5 0,5 0,25 0,75 0,375 0,375<br />

Männchen 0,0 1,0 0,5 0,5 0,25 0,25<br />

Diploidie<br />

Sohn Tochter Bruder Schwester Nichte Neffe<br />

Weibchen 0,5 0,5 0,5 0,5 0,25 0,25<br />

Männchen 0,5 0,5 0,5 0,5 0,25 0,25<br />

pheus spp.: Duffy 1996), Rüsselkäfern (Curculionidae: Kent u. Simpson<br />

1992) sowie Sandgräbern (Bathyergidae: Jarvis 1981) entdeckt. Die große<br />

Mehrzahl der eusozialen Arten (d. h. die Hymenoptera und Thysanoptera)<br />

teilen das Merkmal der Haplodiploidie ( Kap. 7.3). Dabei teilen<br />

Schwestern im Durchschnitt 75% ihrer Gene, wohingegen Weibchen nur<br />

50% ihrer Gene mit ihren eigenen Töchtern oder Söhnen gemeinsam haben<br />

(Tabelle 10.1). Weibchen dieser Arten können daher außerordentlich hohe<br />

indirekte Fitnessgewinne erzielen, wenn sie ihrer Mutter dabei helfen,<br />

weibliche Geschwister zu produzieren (Hamilton 1964). Ein ähnlich hoher<br />

durchschnittlicher Verwandtschaftsgrad findet sich auch zwischen den<br />

Mitgliedern der Kolonien von Thripsen (Chapman et al. 2000), aber nicht<br />

bei Nacktmullen (Braude 2000). Blasenläuse pflanzen sich zum Großteil<br />

parthenogenetisch fort und sind daher genetisch identisch; die anderen eusozialen<br />

Arten sind diploid.<br />

(1) Verwandtenselektion und Eusozialität. Der Verwandtschaftsgrad<br />

wird als eine notwendige evolutionäre Ursache von Eusozialität betrachtet.<br />

Eine vergleichende Studie des Paarungssystems von 267 Hymenopterenarten<br />

zeigte, dass Paarungen der Königin mit einem Männchen, welche den<br />

Verwandtschaftskoeffizienten zwischen den Nachkommen maximieren, in


10.4 Fürsorge und Kooperation 445<br />

allen unabhängig entstandenen eusozialen Gruppen den ursprünglichen<br />

Zustand darstellen (Hughes et al. 2008). Innerhalb der eusozialen Insekten<br />

gibt es aber neben den verschiedenen dominierenden genetischen Systemen<br />

(> 12 000 haplodiploide Hymenopterenarten und > 2 000 diploide<br />

Termitenarten) interessante Variabilität in der Zahl der Königinnen und<br />

deren Reproduktionsmonopol, den Aufgaben der Arbeiterinnen, dem<br />

Ausmaß der Kastenbildung, der Koloniegröße sowie der Gründung von<br />

neuen Kolonien. Zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von<br />

Eusozialität müssen daher neben genetischen auch ökologische Faktoren<br />

berücksichtigt werden (Korb u. Heinze 2008).<br />

Die Bedeutung der genetischen Verwandtschaft für die Evolution von<br />

Eusozialität wird deutlich, wenn die Produktion von weiteren Schwestern<br />

durch Arbeiterinnen betrachtet wird. Zu ihren Brüdern sind Arbeiterinnen<br />

allerdings nur zu ¼ verwandt, so dass ihre durchschnittliche Verwandtschaft<br />

zu allen Geschwistern nur ½ beträgt, wenn diese im Verhältnis 1:1<br />

produziert werden, was im Interesse der Königin ist. Da das Geschlechterverhältnis<br />

auf Populationsebene 1:1 sein sollte, kann Eusozialität daher nur<br />

dann entstehen, wenn das Geschlechterverhältnis in manchen Kolonien<br />

oder zu manchen Zeiten zugunsten von Weibchen verschoben ist; aus Sicht<br />

der Arbeiterinnen im Verhältnis 3:1.<br />

Diese einfachste Situation wird aber durch zwei Faktoren kompliziert.<br />

Wenn sich Königinnen nämlich mit mehr als einem Männchen verpaaren,<br />

reduziert sich der durchschnittliche Verwandtschaftsgrad zwischen<br />

Schwestern. Derselbe Effekt entsteht, wenn eine Kolonie mehrere Königinnen<br />

enthält. In manchen Arten existiert Variabilität in beiden Faktoren<br />

innerhalb einer Population. In diesem Fall kommt es zu gespaltenen Geschlechterverhältnissen<br />

(split sex ratios): Kolonien mit einer Königin oder<br />

mit einer nur einfach verpaarten Königin produzieren mehr Töchter, die<br />

anderen produzieren mehr Söhne. Allerdings gibt es auch immer mehr dokumentierte<br />

Abweichungen von diesen Vorhersagen, für die es noch keine<br />

schlüssige Erklärung gibt (Korb u. Heinze 2004).<br />

Genetische Faktoren komplizieren auch die Entscheidungen der Arbeiterinnen<br />

in denjenigen Hymenopterenarten, in denen die Weibchen die Fähigkeit<br />

beibehalten haben, zumindest unbefruchtete Eier zu legen. Sie sind<br />

nämlich mit ihren Söhnen oder sogar mit ihren Neffen näher verwandt als<br />

mit ihren Brüdern (Tabelle 10.1). Diese Arbeiterinnen könnten also durch<br />

die Produktion eigener Söhne oder durch die Hilfe bei der Aufzucht der<br />

Söhne ihrer Schwestern ihre inklusive Fitness stärker erhöhen, als wenn sie<br />

in die Söhne der Königin investieren. Die Königin ist aber mit ihren Söhnen<br />

näher verwandt als mit ihren Enkelsöhnen und sollte daher die Fortpflanzung<br />

von Arbeiterinnen unterbinden. Der Ausgang dieses Konflikts<br />

hängt im Wesentlichen von der Koloniegröße ab. In kleinen Kolonien sind


446 10 Elterliche Fürsorge<br />

Königinnen besser in der Lage, Arbeiterinnen zu kontrollieren und gegebenenfalls<br />

durch Aggression oder Fressen der Eier der Arbeiterinnen ihre<br />

Interessen durchzusetzen (queen policing, Ratnieks 1988), als in großen<br />

Kolonien. Mehrfachverpaarungen der Königin stellen einen weiteren<br />

Trumpf der Königin in diesem Konflikt dar, da dadurch Arbeiterinnen im<br />

Durchschnitt näher mit ihren Brüdern verwandt sind als mit den Söhnen<br />

ihrer Schwestern und sich gegenseitig die Eier zerstören (worker policing,<br />

Foster u. Ratnieks 2001). Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Königinnen<br />

in den meisten Arten diesen Konflikt für sich entschieden haben<br />

(Korb u. Heinze 2004).<br />

(2) Nicht-genetische Faktoren. Da eigenständige Reproduktion für Weibchen<br />

in manchen eusozialen Arten zumindest eine theoretische Option darstellt,<br />

müssen also auch nicht-genetische Faktoren an der Entstehung von<br />

Eusozialität beteiligt gewesen sein. Außerdem tritt Eusozialität auch bei<br />

diploiden Termiten sowie Nackt- und Graumullen auf, wo die erwähnten<br />

genetischen Vorteile in dieser Stärke nicht existieren können. Die unabhängige<br />

eigene Fortpflanzung stellt die grundsätzliche Alternative zum<br />

Helfen bei der Aufzucht von Nachkommen der Mutter dar. Zwischen diesen<br />

solitären und den eusozialen Arten gibt es bei Insekten einige Abstufungen,<br />

die Hinweise auf entscheidende Schritte und zusätzliche Faktoren<br />

bei der Evolution der Eusozialität geben können.<br />

Subsoziale Arten unterscheiden sich von solitären Arten dadurch, dass<br />

die Adulten wenigstens zeitweise Fürsorge für die eigene Brut leisten. Bei<br />

kommunalen Arten nutzen mehrere Weibchen ein gemeinsames Nest, aber<br />

es gibt keine Kooperation bei der Brutfürsorge. Bei quasisozialen Arten<br />

findet kooperative Brutfürsorge in einem gemeinsamen Nest statt. Semisoziale<br />

Arten besitzen zusätzlich eine Arbeiterinnenkaste, also reproduktive<br />

Arbeitsteilung. Bei eusozialen Arten kommen überlappende Generationen<br />

als zusätzliches Merkmal dazu. Was sind also die Vor- und Nachteile des<br />

gemeinsamen bzw. des solitären Brütens und welche Zwänge schränken<br />

diese Entscheidung möglicherweise ein?<br />

Der wichtigste Vorteil der kooperativen Jungenaufzucht besteht in<br />

der verbesserten Effizienz und Produktivität aufgrund der Arbeitsteilung<br />

bei der Fortpflanzung. Ein Vergleich von nahverwandten Wespenarten<br />

(Ammophila spp.) mit und ohne Brutfürsorge zeigte, dass Brutfürsorge sowohl<br />

das Risiko als auch die Kosten von Parasiteninfektionen der Brut reduziert<br />

(Field u. Brace 2004). Vergleichende Untersuchungen der eusozialen<br />

Schwammgarnelen haben außerdem gezeigt, dass diese tatsächlich eine<br />

höhere Produktivität und damit verbesserte ökologische Konkurrenzfähigkeit<br />

haben als solitäre Arten (Duffy et al. 2000).


10.4 Fürsorge und Kooperation 447<br />

Zudem gibt es ökologische Vorteile: Termiten, Thripse, Gallläuse und<br />

Nacktmulle leben in „Befestigungen“, in denen sie auch ihre Nahrung finden.<br />

Hymenopteren müssen dagegen außerhalb ihrer Behausungen nach<br />

Nahrung suchen, was zwar mit einem höheren Mortalitätsrisiko behaftet<br />

ist, aber infolge der Präsenz mehrerer Arbeiterinnen durch eine Art Lebensversicherung<br />

für die Juvenilen abgesichert ist. Durch Entfernung von<br />

Helfern einer Wespenart (Liostenogaster flavolineata) konnte dieser positive<br />

Effekt experimentell nachgewiesen werden (Field et al. 2000). Ein<br />

weiterer Vorteil des kooperativen Brütens besteht in der Aussicht, selbst in<br />

die Fortpflanzungsrolle zu gelangen, wenn es ein hohes externes Mortalitätsrisiko<br />

gibt. Aus diesem Grund können bei manchen Wespen (z. B.<br />

Polistes dominulus) sogar Nicht-Verwandte bei der Brutfürsorge miteinander<br />

kooperieren (Queller et al. 2000). Die Subordinaten passen dabei sogar<br />

die Intensität ihres Fürsorgeverhaltens an die Wahrscheinlichkeit an, dass<br />

sie die Fortpflanzungsrolle übernehmen (Cant u. Field 2001). Die Kosten<br />

des Helfens bestehen hauptsächlich im Verzicht auf eigene Reproduktion.<br />

Direkte Fortpflanzung wäre umgekehrt der größte Vorteil der eigenen<br />

Reproduktion, aber vor allem ökologische Zwänge, wie die Schwierigkeit,<br />

einen geeigneten Nistplatz zu finden und sich dort erfolgreich mit einer<br />

eigenen Brut zu etablieren, stehen dem im Wege (Bourke u. Heinze 1994).<br />

Die Vor- und Nachteile der eigenen Reproduktion werden mit Hilfe<br />

von Reproductive-skew-Modellen analysiert ( Kap. 9.7). Drei Parameter<br />

beeinflussen die Verteilung der Fortpflanzung zwischen Individuen und<br />

damit die Entscheidung, alleine zu brüten oder die gesamte oder einen Teil<br />

der Fortpflanzung zugunsten kooperativer Jungenaufzucht zu opfern: (1)<br />

die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den betroffenen Individuen, (2)<br />

die Gesamtproduktivität aller Individuen, wenn Subordinate kooperieren,<br />

und (3) die Chancen erfolgreicher selbständiger Fortpflanzung durch Subordinate.<br />

Im Unterschied zu Vögeln (siehe unten) gibt es bislang aber nur<br />

einige wenige Hinweise darauf, dass ökologische Zwänge die eigenständige<br />

Fortpflanzung von Insekten limitieren (Bourke u. Heinze 1994). Bei Arten<br />

mit kooperativer Brutpflege scheint dagegen die Erfolgsrate der Jungenaufzucht<br />

wesentlich höher zu sein als bei solitären Arten (Queller<br />

1989). Die genetischen Voraussetzungen für die Evolution von Eusozialität<br />

sind bei haplodiploiden Arten am besten erfüllt, wenn Töchter mit ihren<br />

Müttern kooperieren, da in diesem Fall starker und stabiler reproductive<br />

skew zugunsten der Mutter erwartet wird (Reeve u. Keller 1995).<br />

(3) Eusozialität ohne Haplodiploidie. Bei diploiden Termiten werden<br />

ökologische und Life history-Faktoren bei der Evolution von Eusozialität<br />

als wichtig erachtet (Thorne 1997). Dazu zählen Vorteile der Philopatrie in<br />

Habitaten mit reichhaltigem Nahrungsangebot in Kombination mit hohen


448 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.17. Nacktmulle<br />

(Heterocephalus glaber)<br />

gehören zu den wenigen<br />

eusozialen Säugetierarten<br />

Risiken der Abwanderung, langsame Individualentwicklung mit überlappenden<br />

Generationen, Iteroparie, Vorteile der gemeinsamen Nestverteidigung<br />

sowie eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Nestübernahme durch<br />

philopatrische Individuen (Thorne et al. 2003). Da praktisch alle rezenten<br />

Termitenarten diese Kombination von Merkmalen aufweisen, ist es<br />

schwierig, die Evolution von Eusozialität in dieser Ordnung über Zwischenstufen<br />

zu rekonstruieren. Phylogenetische Rekonstruktionen legen in<br />

der Tat nahe, dass Eusozialität nur einmal früh in der evolutionären Geschichte<br />

entstanden ist (Thompson et al. 2000).<br />

Bei Sandgräbern ist Eusozialität mindestens zweimal entstanden. Bei<br />

diesen von unterirdischen Geophyten lebenden Nagetieren reproduziert<br />

sich in jeder Kolonie nur eine Königin, die morphologische Anpassungen<br />

in Form von Wirbelverlängerungen an diese Rolle entwickelt (O’Riain et al.<br />

2000a). Reproduktive Aktivität in anderen Weibchen kann aber durch die<br />

Präsenz von nicht-verwandten Männchen ausgelöst werden (Cooney u.<br />

Bennett 2000). Als Ursachen der Eusozialität werden neben hohen Verwandtschaftskoeffizienten<br />

aufgrund des monogamen Paarungssystems und<br />

der limitierten Abwanderungsmöglichkeiten (Burda et al. 2000) auch ökologische<br />

Faktoren diskutiert. Insbesondere das Vorkommen von geklumpter<br />

Nahrung in Gegenden mit wenigen, aber variablen Niederschlägen wird<br />

als wichtiger Zwang angesehen, der die Kosten der Abwanderung und der<br />

eigenständigen Fortpflanzung erhöht (Faulkes et al. 1997). Da es bei Sandgräbern<br />

auch solitäre und in nicht-eusozialen Gruppen lebende Arten gibt,<br />

können die Ursachen und Erhaltungsmechanismen von Eusozialität in dieser<br />

Familie durch vergleichende Untersuchungen bestimmt werden (Faulkes<br />

u. Bennett 2001).


10.4 Fürsorge und Kooperation 449<br />

10.4.2 Helfersysteme<br />

Bei zahlreichen Vogel- und Säugetierarten existieren Individuen, die sich<br />

selber nicht fortpflanzen und anderen bei der Aufzucht von deren Nachkommen<br />

helfen. Im Unterschied zu eusozialen Arten ist der reproduktive<br />

Altruismus allerdings nicht permanent und irreversibel, so dass man bei<br />

der gleichzeitigen Betrachtung beider Phänomene auch von einem Eusozialität-Kontinuum<br />

sprechen kann (Sherman et al. 1995). Für Arten mit<br />

Helfern am Nest können die genetischen Vorteile von haplodiploiden<br />

Arten in Bezug auf ihre inklusive Fitness nicht in gleicher Weise zutreffen.<br />

Hier sind es neben anderen Vorteilen vor allem Aspekte der Ökologie und<br />

Life history, die diese Form der Kooperation wahrscheinlicher machen.<br />

(1) Genetische Vorteile. In den allermeisten Fällen, in denen Vögel oder<br />

Säugetiere den Beginn ihrer eigenen Fortpflanzung verzögern und anderen<br />

Artgenossen bei der Jungenaufzucht helfen, handelt es sich bei den Nutznießern<br />

um die eigenen Eltern oder andere Verwandte (Russell et al.<br />

2007). Diese helfenden Individuen werden als primäre Helfer bezeichnet<br />

und von sekundären Helfern unterschieden, die Nicht-Verwandten bei der<br />

Jungenaufzucht helfen. Die Entscheidung, fremden Tieren bei der Jungenaufzucht<br />

zu helfen, kann damit erklärt werden, dass sie sich dadurch die<br />

Toleranz der Dominanten und damit die Gruppenmitgliedschaft „erkaufen“,<br />

in der Hoffung, später eine Fortpflanzungsposition in dieser Gruppe<br />

zu übernehmen (Pay-to-stay-Hypothese; Hamilton u. Taborsky 2005). Bei<br />

Helfern am eigenen Nest scheint diese Perspektive aber nicht bedeutsam<br />

zu sein (Komdeur u. Edelaar 2001). Eine dritte Option für Individuen, die<br />

keine Gelegenheit zur eigenen Fortpflanzung haben, besteht darin, niemandem<br />

zu helfen und auf eigene Fortpflanzungsgelegenheiten zu warten.<br />

Was sind die Vor- und Nachteile dieser drei Taktiken? Primäre Helfer erfahren<br />

durch ihr Verhalten genetische Vorteile, indem sie ihre inklusive<br />

Fitness erhöhen. Durch ihre Mithilfe bei der Versorgung und beim Schutz<br />

jüngerer Geschwister ermöglichen sie den Eltern mehr Junge aufzuziehen<br />

als ohne diese Hilfe. Bei Florida-Buschhähern (Aphelocoma coerulescens)<br />

führt die Mithilfe von 1–2 Helfern bei unerfahrenen Brutpaaren zu einer<br />

Verdoppelung des Fortpflanzungserfolgs; bei erfahrenen Brutpaaren erhöht<br />

sich der Fortpflanzungserfolg um immerhin 58%. Wenn man die Helfer<br />

experimentell entfernt, sinkt der Fortpflanzungserfolg des Brutpaares um<br />

mehr als 50% im Vergleich zu Kontrollpaaren (Mumme 1992). Da sekundäre<br />

Helfer und Nicht-Helfer diese Vorteile nicht erfahren, muss Helfen<br />

auch mit Nachteilen verbunden sein, ansonsten gäbe es keinen Grund,<br />

nicht zu helfen. Energetische Kosten und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko gehören<br />

zu den wichtigsten Kosten des Helfens (Heinsohn u. Legge 1999).


450 10 Elterliche Fürsorge<br />

Inklusive Fitness männlicher Graufischer<br />

1. Jahr 2. Jahr<br />

Taktik Z r w N r p(s) p(F) w<br />

1 2<br />

primäre Helfer<br />

1,8<br />

0,32<br />

0,58<br />

2,5<br />

0,5<br />

0,54<br />

0,60<br />

0,41<br />

sekundäre Helfer<br />

1,3<br />

0<br />

0<br />

2,5<br />

0,5<br />

0,74<br />

0,91<br />

0,84<br />

Nicht-Helfer<br />

0<br />

0<br />

0<br />

2,5<br />

0,5<br />

0,70<br />

0,33<br />

0,29<br />

Abb. 10.18. Vergleich der inklusiven Fitnessgewinne von männlichen Graufischern<br />

(Ceryle rudis) mit unterschiedlichen Helfer-Taktiken im 1. und 2. Lebensjahr.<br />

Z = Zugewinn der Eltern durch Helfer; r = Verwandtschaftskoeffizient<br />

zwischen Helfer und Geschwister (1. Jahr) und eigenen Jungen (2. Jahr); w 1 (w 2 ) =<br />

Fitness im 1. und 2. Jahr; N = Anzahl der eigenen Nachkommen; p(s) = Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

vom 1. in das 2. Jahr; p(F) = Wahrscheinlichkeit, im<br />

2. Jahr einen Fortpflanzungspartner zu finden. Die Fitness im 1. und 2. Jahr berechnet<br />

sich als das Produkt der zugehörigen Parameter<br />

Die Kosten des Helfens hat Uli Reyer (1984) an Graufischern (Ceryle<br />

rudis) quantifiziert. Primäre Helfer haben bei dieser Art nur eine 54%ige<br />

Chance, die nächste Paarungszeit zu erleben, wohingegen 74% der sekundären<br />

Helfer und 70% der Nicht-Helfer ihr zweites Lebensjahr erreichen.<br />

Dieser Unterschied lässt sich dadurch erklären, dass primäre Helfer mehr<br />

als dreimal so viele Kalorien herbeischaffen als sekundäre Helfer; sie verausgaben<br />

sich also viel stärker und haben aufgrund der höheren Aktivität<br />

und ihrer höheren Beteiligung an der Nestverteidigung vermutlich ein höheres<br />

extrinsisches Mortalitätsrisiko. Zudem beginnt ein geringerer Anteil<br />

der primären Helfer im folgenden Jahr mit der eigenen Fortpflanzung,<br />

hauptsächlich weil mehr sekundäre Helfer eine frei gewordene Brutposition<br />

in ihrer „Gastfamilie“ füllen konnten.<br />

Mit diesen Daten lassen sich die direkten und indirekten Fitnessgewinne<br />

für die drei Taktiken berechnen und vergleichen (Abb. 10.18). Primäre<br />

Helfer trugen im Durchschnitt zur Produktion von 1,8 zusätzlichen Geschwistern<br />

bei. Da in manchen Fällen einer ihrer Eltern ersetzt wurde,<br />

waren sie mit diesem im Durchschnitt von nur 0,32 verwandt. Daraus ergeben<br />

sich im ersten Jahr 0,58 indirekte Fitnesseinheiten, wohingegen die<br />

beiden anderen Taktiken im ersten Jahr zu keinem Fitnessgewinn führten.<br />

Wenn man nun im 2. Jahr nur Tiere vergleicht, die ihre Brut ohne Helfer<br />

aufzogen, hatten alle im Durchschnitt 2,5 flügge Junge, mit denen sie die


10.4 Fürsorge und Kooperation 451<br />

Hälfte ihrer Gene teilen. Durch unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten, das<br />

2. Jahr zu erleben und dann einen Partner zur Fortpflanzung zu finden, ergaben<br />

sich die höchsten Fitnessgewinne für sekundäre Helfer. Da der Fitnessunterschied<br />

zwischen primären und sekundären Helfern im 2. Jahr geringer<br />

ist als der Fitnessgewinn der primären Helfer im 1. Jahr, haben sie<br />

insgesamt die beste Bilanz.<br />

Primäre Helfer opfern also einen Teil ihrer zukünftigen eigenen Fortpflanzung<br />

für die indirekten Fitnessgewinne des Helfens. Außerdem verlängern<br />

sie durch ihr Helfen die Lebenserwartung ihrer Eltern, so dass diese<br />

zusätzliche Geschwister produzieren können und damit die indirekte<br />

Fitness der primären Helfer weiter erhöhen. Das Verhalten der primären<br />

Helfer kann bei Graufischern also durch Verwandtenselektion erklärt werden.<br />

In Ausnahmefällen, wie beim Blauen Staffelschwanz (Malurus cyaneus),<br />

können männliche Helfer sich auch direkt fortpflanzen, indem sie<br />

einen stattlichen Anteil von Extra-pair-Vaterschaften mit Nachbarinnen,<br />

die eigentlich den Territoriumsinhaber aufsuchen wollten, für sich verbuchen<br />

(Double u. Cockburn 2003).<br />

(2) Ökologische und Life history-Zwänge. Die grundlegende Alternative<br />

zu Beteiligung an kooperativer Jungenaufzucht besteht in der eigenen<br />

Fortpflanzung. Zur Erklärung des Phänomens des Helfens am Nest kann<br />

man daher entweder auf die Vorteile des Helfens oder aber auf die Gründe,<br />

die die eigene Fortpflanzung verhindern, fokussieren (Koenig et al. 1992).<br />

Erfolgreiche eigene Fortpflanzung erfordert bei vielen Vogelarten Zugang<br />

zu einem Territorium. Wenn in dieser Hinsicht Habitatsättigung vorliegt,<br />

haben Jungvögel aus diesem Grund keine Möglichkeit, mit der eigenen<br />

Fortpflanzung zu beginnen. In dieser Situation ist es am sinnvollsten, im<br />

vertrauten Gebiet der Geburtsgruppe zu bleiben. In manchen Fällen können<br />

auch die Kosten der Abwanderung so hoch sein, dass Bleiben vorteilhaft<br />

ist (Russell 2001). Wenn man in der Geburtsgruppe bleibt, kann<br />

eigene Fortpflanzung aus Gründen der Inzestvermeidung, aus ökologischen<br />

(Ressourcenknappheit) oder sozioendokrinologischen Gründen (Unterdrückung<br />

durch Eltern oder Dominante) unterbunden werden. Bleiben im<br />

elterlichen Revier bzw. verzögerte Abwanderung in ein eigenes Brutgebiet<br />

führt aber nicht zwangsläufig zum Helfen. Bei Graufischern und anderen<br />

Arten gibt es ja Individuen, die nicht abwandern, aber auch nicht helfen.<br />

Umgekehrt ist Bleiben aber eine Voraussetzung für kooperatives Brüten.<br />

Warum bleiben also manche Jungtiere in ihrer Geburtsgruppe? Bei<br />

manchen Arten scheint in der Tat die Knappheit an geeigneten Brutterritorien<br />

dazu zu führen, dass Jungvögel im elterlichen Territorium verbleiben<br />

(Emlen 1995). Untersuchungen an Seychellen-Rohrsängern (Acrocephalus<br />

sechellensis) haben diese Hypothese am eindrucksvollsten bestätigt. Diese


452 10 Elterliche Fürsorge<br />

kleinen Singvögel waren bis Ende der 1980er Jahre in ihrer Verbreitung<br />

auf eine Insel des Seychellen-Archipels beschränkt. Die gesamte Insel war<br />

mit Territorien belegt, und die meisten Töchter blieben daher im elterlichen<br />

Territorium und halfen ihren Eltern bei der Aufzucht weiterer Geschwister<br />

(Komdeur 1992). Aufgrund dieses Vorteils variierten Eltern das<br />

Geschlechterverhältnis sogar zugunsten von Töchtern (Komdeur 2003).<br />

Dann transferierte Jan Komdeur 58 Vögel auf zwei benachbarte bis dahin<br />

von dieser Art nicht bewohnte Inseln. Dadurch wurden auf der Ursprungsinsel<br />

zahlreiche Territorien frei, und die Rohrsänger stellten das Helferverhalten<br />

umgehend ein. Auf den beiden anderen Inseln gab es anfangs noch<br />

viele freie Territorien und dort blieb zunächst auch keiner der Jungvögel<br />

im elterlichen Territorium. Junge Vögel scheinen somit nicht deswegen im<br />

elterlichen Territorium zu bleiben, weil sie damit rechnen können, dieses<br />

in absehbarer Zeit übernehmen zu können (Kokko u. Ekman 2002).<br />

Vergleichende Untersuchungen der Ökologie von Vogelarten mit und<br />

ohne Helfer-am-Nest zeigten, dass Helfen mit bestimmten ökologischen<br />

Faktoren wie geringer Nahrungs- oder Nistplatzverfügbarkeit korreliert<br />

(Rubenstein u. Lovette 2007). Diese Einschränkungen treffen aber nicht<br />

auf alle Arten mit kooperativer Jungenfürsorge zu. Andere vergleichende<br />

Untersuchungen konzentrierten sich daher auf die Identifikation von Life<br />

history-Merkmalen, die Arten mit Helfern auszeichnen. Diese Studien<br />

zeigten, dass vergleichsweise geringe Mortalitätsraten für diese Arten<br />

charakteristisch sind (Arnold u. Owens 1999). Durch die geringe Mortalität<br />

der Altvögel kommt es zu reduziertem turn-over in der Population und<br />

geeignete Territorien bleiben lange besetzt. Wenn dies unter entsprechenden<br />

ökologischen Bedingungen geschieht, haben die Jungvögel kaum Gelegenheiten,<br />

rasch mit eigener Fortpflanzung zu beginnen und verzögern<br />

daher ihre Abwanderung, was die entscheidende Voraussetzung für das<br />

Helfen darstellt (Hatchwell u. Komdeur 2000). Diese Untersuchungen zeigen<br />

auch eindrucksvoll, dass entgegengesetzte Faktoren zum selben Ergebnis<br />

führen können. Bei eusozialen Insekten nimmt man an, dass hohe<br />

Mortalitätschancen der Dominanten in manchen Arten Subordinate dazu<br />

veranlassen zu helfen, in der Hoffnung, dass sie die Fortpflanzungsrolle<br />

selbst in absehbarer Zeit übernehmen können. Bei Vögeln sind dagegen<br />

geringe Mortalitätswahrscheinlichkeiten der Brüter der letztendlich ausschlaggebende<br />

Faktor dafür, zu bleiben und zu helfen.<br />

(3) Helfer bei Säugetieren. Wie der Name schon impliziert, wurde Helfen-am-Nest<br />

vor allem bei Vögeln untersucht. Helfer-Systeme mit hohem<br />

reproductive skew gibt es aber auch bei Säugetieren, z. B. bei Krallenaffen<br />

und einigen Karnivoren, insbesondere bei Raubtieren, bei denen Helfer oft,<br />

aber nicht immer (Woodroffe u. Macdonald 2000) dazu beitragen, dass


10.4 Fürsorge und Kooperation 453<br />

Abb. 10.19. Erdmännchen<br />

(Suricata suricatta)<br />

verfügen über das am<br />

besten untersuchte Helfersystem<br />

bei Säugetieren.<br />

Die Jungen profitieren<br />

von der Wachsamkeit<br />

der Helfer und werden<br />

von diesen auch<br />

gefüttert<br />

mehr Junge aufwachsen (Mitani u. Watts 1997). Da es insgesamt wenige,<br />

aber taxonomisch geklumpte Beispiele für Helfersysteme bei Säugetieren<br />

gibt, könnten bestimmte Kombinationen von gemeinsamen intrinsischen<br />

und ökologischen Merkmalen diese Arten zum Verzicht auf eigene Fortpflanzung<br />

und Beteiligung an der Aufzucht der Jungen der Dominanten<br />

disponieren.<br />

Von diesen Arten sind Erdmännchen (Suricata suricatta; Abb. 10.19)<br />

am gründlichsten untersucht. Bei diesen kleinen afrikanischen Raubtieren<br />

werden die Jungen eines dominanten Paares von den anderen Gruppenmitgliedern<br />

bewacht und gefüttert (Clutton-Brock et al. 1999). In der Regel<br />

pflanzt sich nur ein dominantes Paar fort (Griffin et al. 2003). Die Fortpflanzungsaktivität<br />

der anderen Gruppenmitglieder ist durch Inzestvermeidung<br />

und Unterdrückung durch die Dominanten unterbunden (O’Riain<br />

et al. 2000b). Helfer haben einen positiven Effekt auf das Wachstum, den<br />

Erfolg bei der Nahrungssuche und das Überleben der Jungen (Clutton-<br />

Brock et al. 2001). Außerdem wirken sich Präsenz und Anzahl von Helfern<br />

positiv auf die Kondition der züchtenden Weibchen aus, was sich wiederum<br />

in erhöhter Wurfgröße und Geburtsgewichten niederschlägt (Russell<br />

et al. 2003). Schließlich reduzieren Helfer durch ihren Beitrag die Laktationskosten<br />

der Mütter beträchtlich (Scantlebury et al. 2002). Der Fürsorgeaufwand<br />

der Helfer ist dabei aber unabhängig von ihrem Verwandtschaftsgrad<br />

zu den Jungen (Clutton-Brock et al. 2000), so dass Vorteile<br />

durch Verwandtenselektion nicht ausreichend sind, um Helfen zu erklären.<br />

Allerdings helfen weibliche Helfer mehr als männliche, vermutlich weil sie<br />

als das philopatrische Geschlecht stärker von den Vorteilen erhöhter Gruppengröße<br />

aufgrund der Effekte des Helfens profitieren (Clutton-Brock<br />

et al. 2002). Helfen ist mit direkten Kosten für die Helfer verbunden (Clutton-Brock<br />

et al. 1998) – manche fressen beispielsweise 24 h nichts, solan-


454 10 Elterliche Fürsorge<br />

ge sie den Bau mit den Jungen bewachen – aber diese Kosten werden über<br />

aufeinander folgende Helferzeiten verrechnet (Russell et al. 2003). Bei<br />

Erdmännchen erklärt also eine Kombination von Faktoren (indirekte genetische<br />

Vorteile, ökologische Zwänge, mutualistische und egoistische Vorteile<br />

sowie physiologische Mechanismen), warum Subordinate helfen und<br />

sich nicht selber fortpflanzen.<br />

(4) Andere Vor- und Nachteile des Helfens. Neben genetischen Vorteilen<br />

und diversen Zwängen können eine Reihe zusätzlicher Vorteile die<br />

Evolution von Helfer-Systemen bei Wirbeltieren begünstigt haben. Obwohl<br />

genetische Vorteile lange Zeit im Mittelpunkt adaptiver Erklärungen<br />

standen, sind diese wohl überschätzt worden, z. B. weil geschlechtsspezifische<br />

Helfer- und Fortpflanzungsstrategien nicht ausreichend differenziert<br />

wurden (Cockburn 1998). Inzwischen wurde deutlich, dass die Vorteile<br />

von Verwandtenselektion auch durch unvermeidbare Konkurrenz zwischen<br />

Verwandten in anderen Verhaltensdomänen geschwächt werden können<br />

(West et al. 2002). Ebenso wurden möglicherweise die Kosten des Helfens<br />

in manchen Fällen überschätzt. So können nullipare Tiere durch das<br />

Verbleiben in der Geburtsgruppe Erfahrungen in der Jungenaufzucht sammeln<br />

oder allgemeine Vorteile des Gruppenlebens in Anspruch nehmen<br />

und durch ihre Beiträge zur Gruppenverteidigung gegenüber Nachbarn und<br />

Räubern letztendlich egoistische Ziele verfolgen, die quasi als Nebenprodukt<br />

für andere von Vorteil sind (by-product mutualism; Clutton-Brock<br />

2002). Bei anderen Aspekten kann es sich um wahren Mutualismus handeln,<br />

d. h. alle Beteiligten haben unmittelbare oder verzögerte Vorteile von<br />

einer bestimmten Verhaltensweise. Die Erhöhung der Gruppengröße ist ein<br />

solcher Faktor, der besonders in kleinen Gruppen positive Effekte auf die<br />

Überlebenschancen ( Kap. 6.3) aller Mitglieder hat und der Helferverhalten<br />

in Arten mit geringen durchschnittlichen Verwandtschaftsgraden erklären<br />

kann (Kokko et al. 2001). Bei einer solchen weiter gefassten Betrachtung<br />

der Vor- und Nachteile von kooperativer Brutfürsorge wird deutlich,<br />

dass es nicht nur eine Ursache gibt und dass taxonspezifische Merkmale<br />

des Fortpflanzungssystems, der Ökologie und der Life history berücksichtigt<br />

werden müssen (Pen u. Weissing 2000).<br />

(5) Andere Formen des Helfens. Fürsorge in Nachkommen durch Individuen,<br />

die nicht die Eltern sind (alloparenting), ist insgesamt selten im<br />

Tierreich. Dort wo diese Form von Kooperation auftritt, kann anhand der<br />

Anzahl der sich fortpflanzenden Mitglieder einer Gruppe eine Unterscheidung<br />

in zwei Kategorien getroffen werden. Wenn ein Individuum die Gene,<br />

alle anderen Gruppenmitglieder aber nur Fürsorge für die Nachkommen<br />

in einer Gruppe beitragen, handelt es sich um ein Helfer-am-Nest-


10.4 Fürsorge und Kooperation 455<br />

Abb. 10.20. Bei Hausmäusen<br />

(Mus musculus) ziehen in der<br />

Regel zwei verwandte Weibchen<br />

ihre Jungen gemeinsam<br />

auf und säugen die Mitglieder<br />

beider Würfe<br />

System, das durch hohen reproductive skew charakterisiert ist. Wenn dagegen<br />

alle oder die meisten Individuen Gene und Fürsorge beisteuern,<br />

handelt es sich um ein System mit gemeinsamer Fürsorge (communal care<br />

oder communal breeding) mit geringem reproductive skew.<br />

Diese Form der Jungenfürsorge ist vor allem bei Säugetieren verbreitet<br />

und untersucht. Die betroffenen Jungen profitieren von Schutz, Wärmen,<br />

Füttern oder sogar Säugen durch andere Weibchen als die Mutter (König<br />

1997; Abb. 10.20). Im Unterschied zu Helfern am Nest verzichten diese<br />

Weibchen nicht auf eigene Fortpflanzung, solange sie in die Jungen anderer<br />

investieren. Kooperation schmälert die direkte Fitness in diesem Fall<br />

also nicht. Trotzdem ist dieses Verhalten mit Kosten und Risiken verbunden.<br />

Zum einen haben laktierende Weibchen schon hohe direkte Kosten<br />

der Fortpflanzung durch die Milchproduktion für die eigenen Jungen. Zum<br />

anderen existiert die Möglichkeit des Betrügens, d. h. es wäre eigentlich<br />

vorteilhaft, die eigenen Jungen zusätzlich von anderen versorgen zu lassen,<br />

ohne selbst in die Jungen der anderen zu investieren. Bei Löwen (Panthera<br />

leo) tragen daher vermutlich nur Weibchen, die gerade selber Junge haben,<br />

zur gemeinsamen Fürsorge bei (Packer et al. 2001).<br />

Gemeinsame Jungenaufzucht kann mit oder ohne gemeinsamem Säugen<br />

auftreten (Hayes 2000). Für das Säugen aller Jungen in einer Gruppe, ohne<br />

zwischen eigenen und fremden Jungtieren zu unterscheiden, gibt es eine<br />

Reihe von adaptiven, nicht-adaptiven und proximaten Erklärungen (Roulin<br />

2002), für die aus verschiedenen Arten unterstützende Beobachtungen vorliegen.<br />

Die gemeinsame Fürsorge kann durch Verwandtenselektion gefördert<br />

werden, da es sich bei den betreffenden Weibchen häufig um Mütter<br />

und Töchter bzw. Schwestern handelt. In experimentellen Studien hatten<br />

beispielsweise Paare von laktierenden Präriewühlmäusen (Microtus ochrogaster)<br />

einen größeren Fortpflanzungserfolg als Paare, in denen nur ein


456 10 Elterliche Fürsorge<br />

Weibchen Junge hatte, oder als Mütter, die ihre Jungen allein aufzogen<br />

(Hayes u. Solomon 2004).<br />

Ein weiterer Vorteil der gemeinsamen Fürsorge zwischen Verwandten<br />

besteht in der gegenseitigen Rückversicherung durch Adoption der Jungen<br />

der Partnerin im Todesfall (Avital et al. 1998). Bei Arten mit hohem Mortalitätsrisiko<br />

kann dieser Fall relativ häufig eintreten (Eberle u. Kappeler<br />

2006). In einigen wenigen Arten wird Fürsorge in fremde Junge teilweise<br />

durch postreproduktive Weibchen geleistet, bei denen dadurch keine Beschränkungen<br />

der eigenen Fortpflanzung mehr auftreten können. Bei Pavianen<br />

und Löwen unterstützen alte Weibchen beispielsweise ihre Töchter<br />

bei der Jungenaufzucht, aber sie erzielen dadurch keinen messbaren Fitnessgewinn<br />

(Packer et al. 1998).<br />

Bei Vögeln gibt es einige Arten, bei denen zwei oder mehr Weibchen<br />

ihre Eier in ein gemeinsames Nest legen und diese dann von Männchen<br />

bebrütet werden (Vehrencamp 2000). Bestimmte Merkmale der Life history,<br />

wie relativ kleine Eier und hohe energetische Kosten der Eiproduktion,<br />

haben die Evolution dieses Fürsorgesystems gefördert. Aufgrund der<br />

physiologischen Zwänge der Laktation gibt es dazu bei Säugetieren kein<br />

Gegenstück. Bei manchen Fischen mit elterlicher Fürsorge kommt es auch<br />

dazu, dass mehrere Weibchen gemeinsam ablaichen und Adulte anschließend<br />

in fremde Junge investieren (Wisenden 1999). Es gibt schließlich<br />

auch einige Vogelarten, wie z. B. Tasmanische Hühner (Gallinula mortierii),<br />

die kooperative Polyandrie betreiben, d. h. zwei Männchen kümmern<br />

sich gemeinsam um die Brut eines Weibchens (Goldizen et al. 1998).<br />

Dieses seltene System wird aber instabil, sobald zusätzliche Weibchen<br />

zur Verfügung stehen. Bei Säugetieren ist kooperative Polyandrie auf<br />

einige Gattungen südamerikanischer Krallenaffen beschränkt (Callitrichidae:<br />

Heymann 2000). Die Fortpflanzung ist zumeist auf ein Weibchen pro<br />

Gruppe beschränkt, welches Zwillinge produziert (Löttker et al. 2004). Die<br />

Männchen und anderen Mitglieder einer Gruppe tragen die Jungen teilweise<br />

von Geburt an, was energetisch teuer ist (Sanchez et al. 1999), und<br />

geben sie nur kurzfristig zum Säugen an die Mütter ab. Die Verwandtschaftskoeffizienten<br />

innerhalb von Gruppen sind hoch, was auf mögliche<br />

Vorteile von Helfern durch Verwandtenselektion hinweist, aber Männchen<br />

tragen auch Junge, die sie nicht gezeugt haben (Huck et al. 2004), so dass<br />

ihr Verhalten auch noch durch andere Faktoren beeinflusst sein muss.


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 457<br />

10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens<br />

Eine der vier grundsätzlichen von Niko Tinbergen (1963) aufgeworfenen<br />

Fragen über das Verhalten betrifft dessen Entwicklung im Laufe der Ontogenese<br />

( Kap. 1.3). Untersuchungen der Entwicklung des Verhaltens<br />

haben eine lange Geschichte, die bis in die klassische Ethologie zurück<br />

reicht. Heute werden Probleme der Verhaltensentwicklung zunehmend<br />

von Neurowissenschaftlern und Verhaltensgenetikern, die sich für molekulare<br />

Grundlagen und physiologische Konsequenzen von Erfahrungen bzw.<br />

die genetische Kontrolle des Verhaltens interessieren, behandelt (Bolhuis<br />

1999). Während der frühen Individualentwicklung beginnen frisch geschlüpfte<br />

oder neugeborene Jungtiere durch ihr Verhalten mit ihrer belebten<br />

und unbelebten Umwelt zu interagieren. Vom ersten Moment an werden<br />

die Fähigkeiten, ihre grundlegenden Körperfunktionen zu stabilisieren,<br />

für das energetisch kostspielige Wachstum ausreichend Nahrung zu gewinnen<br />

und nicht gefressen zu werden, von natürlicher Selektion bewertet.<br />

Verhaltensweisen, die diese Fähigkeiten beeinflussen, sollten daher weitestgehend<br />

abrufbereit vorliegen, also einer genetischen Kontrolle unterliegen.<br />

Ein Beispiel dafür liefert die angeborene Erkennung von Raubfeinden<br />

(Veen et al. 2000). Andere Verhaltensweisen sind artspezifisch, treten nur<br />

bei einem Geschlecht oder nur zu bestimmten Phasen der Individualentwicklung<br />

auf, was ebenfalls auf einen genetischen Einfluss hindeutet. Mit<br />

zunehmendem Alter nimmt aber auch die individuelle Erfahrung zu, so<br />

dass es im Laufe der Individualentwicklung zu Modifikation und Anpassung<br />

des Verhaltens durch verschiedene Lernprozesse kommt. Diese beiden<br />

Prozesse werfen grundlegende Fragen über die Kontrolle des Verhaltens<br />

auf, die zunehmend interdisziplinär von Genetikern, Neurobiologen<br />

und Verhaltensforschern bearbeitet werden (Robinson 1999).<br />

10.5.1 Gene und Verhalten<br />

Praktisch alle Ausführungen und Beispiele in den vorangegangenen Kapiteln<br />

basieren auf der Annahme, dass Verhalten evoluiert. Damit Selektion<br />

das Verhalten von Individuen bewerten kann, muss es genetisch kodiert<br />

und replizierbar abgerufen werden. Diejenigen Individuen, die erfolgreich<br />

überleben, sich fortpflanzen und gegebenenfalls ihre Jungen bis zu deren<br />

Unabhängigkeit umsorgen, geben ihre Gene in den Genpool der nächsten<br />

Generation weiter. Die genetischen Grundlagen von Verhaltensweisen, die<br />

positiv zu diesen Fertigkeiten beitragen, werden selektiert und beibehalten.<br />

Die Weitergabe von genetischen Grundlagen erfolgreicher Verhaltensweisen<br />

hat den Vorteil, dass ein Individuum sich auf einen bewährten Satz an


458 10 Elterliche Fürsorge<br />

Lösungsvorgaben für grundlegende Probleme verlassen kann. Andererseits<br />

können starre Vorgaben unter sich ändernden sozialen oder ökologischen<br />

Bedingungen nachteilig sein. Um zu verstehen, wie Evolution diesen Trade-off<br />

zwischen Kontinuität und Flexibilität gelöst hat, ist es notwendig, zu<br />

verstehen, wie Gene, Erfahrung und Verhalten proximat miteinander verknüpft<br />

sind. In Bezug auf andere Merkmale wird die Verbindung zwischen<br />

Entwicklung und Evolution in der evolutionären Entwicklungsbiologie<br />

(evo-devo) untersucht (Arthur 2002).<br />

Vom Genotyp zum Phänotyp. Alle erblichen Merkmale sind in der Basensequenz<br />

der DNA kodiert. Die zugrunde liegenden Informationen sind<br />

in funktionale DNA-Abschnitte (Gene) kodiert, die in mehreren Allelen<br />

vorliegen können. Die in den Genen enthaltene Information wird abgelesen<br />

und in Proteine übersetzt. Gene kodieren also nicht für Verhalten, sondern<br />

für Proteine. Proteine sind aber auch noch kein Verhalten, sondern Enzyme,<br />

Transmitter oder am Aufbau verschiedener Organe beteiligte Strukturelemente.<br />

Obwohl diese Genprodukte und ihre Funktion teilweise bis in<br />

molekulare Details verstanden sind, vernebelt sich unser derzeitiges Verständnis<br />

der kausalen Beziehung zwischen spezifischen Genen und Verhaltensweisen<br />

aber auf der Ebene der Genprodukte.<br />

Generell beginnt man langsam zu verstehen, dass es viele und komplex<br />

interagierende Zwischenstufen zwischen DNA-Sequenzen und der Ausprägung<br />

bestimmter Verhaltensweisen gibt (Abb. 10.21). Diese Interaktionen<br />

finden einerseits zwischen den Genen und ihren direkten Produkten<br />

statt, welche die Aktivität anderer Gene regulieren und diese nach<br />

Bedarf oder Entwicklungsstadium an- oder abschalten, sowie zwischen<br />

dem Organismus und seiner Umwelt (Sokolowski 2001). Weit verbreitete<br />

Pleiotropie und Polygenie potenzieren die Komplexität der Zusammenhänge<br />

zusätzlich.<br />

Wie morphologische Merkmale im Laufe der Entwicklung durch genetische<br />

Prozesse gesteuert werden, beginnt man zunehmend zu verstehen<br />

(z. B. Kopp et al. 2000). Proteine sind zwar wesentlich an Aufbau und<br />

Funktion von Bewegungsapparat, Nervensystem, Sinnesorganen und chemischen<br />

Botenstoffen im Körper beteiligt, aber diese Proteine können das<br />

Verhalten allein nicht kontrollieren. Zwar sind inzwischen auch Funktionsweisen<br />

von Muskel-, Sinnes-, Drüsen- und Nervenzellen sowie deren<br />

Entwicklung und Verknüpfungen bis in kleinste molekulare und physiologische<br />

Details verstanden (z. B. Neumann u. Nuesslein-Volhard 2000),<br />

so dass wir viel über die neuronalen und endokrinen Grundlagen und Kontrollmechanismen<br />

des Verhaltens wissen (Heldmaier u. Neuweiler 2004),<br />

aber über welche Kaskaden molekularer und physiologischer Prozesse eine<br />

bestimmte angeborene Verhaltensweise ausgelöst wird, ist nicht bekannt.


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 459<br />

Abb. 10.21. Vom Genotyp zum Verhalten. Genetische Information über Verhaltensweisen<br />

ist in der Sequenz der DNA-Basen kodiert und wird in Proteine übersetzt.<br />

Proteine haben vielfältige Funktionen (Enzyme, Hormone etc.), die unter<br />

anderem direkt oder indirekt mit der Kontrolle des Verhaltens zu tun haben. Wie<br />

aber spezifische angeborene Verhaltensweisen über diese Kaskade ausgelöst und<br />

kontrolliert werden, ist noch nicht bekannt, da es zahlreiche Pleiotropien und Polygenien<br />

(blaue Pfeile) gibt und manche Genprodukte eine regulierende Rückkoppelungsfunktion<br />

auf die DNA ausüben (rote Pfeile). Aus Gründen der Übersicht<br />

sind nur einige wenige der möglichen funktionalen Verbindungen schematisch<br />

dargestellt<br />

Durch entsprechende physiologische Messungen könnte man zwar im<br />

Detail beschreiben, was beispielsweise in einem frisch geschlüpften<br />

Kuckuck passiert, wenn er, selbst noch blind und nackt, ohne Gelegenheit<br />

von einem Artgenossen etwas gelernt zu haben, ein fremdes Ei nach dem<br />

anderen aus dem Nest seiner Wirtseltern befördert. Dabei handelt es sich<br />

eindeutig um ein genetisch kontrolliertes, adaptives Verhalten, aber wir<br />

können es funktional nicht in Bezug zu bestimmten DNA-Sequenzen und<br />

deren Aktivität setzen. In sehr viel besser bearbeitbaren Arten wie Drosophila<br />

kennt man inzwischen schon Effekte verschiedener Mutationen<br />

einzelner, an der synaptischen Übertragung beteiligter Enzyme auf verschiedene<br />

Lernprozesse (Putz et al. 2004). Aber wie sich scheue und bissige<br />

Füchse (Vulpes vulpes) nach nur 40 Jahren Selektion von ihren neugierigen<br />

und kuschelbedürftigen Nachfahren genetisch unterscheiden (Trut<br />

1999) oder durch welche genetischen Mechanismen Richtung und Zeit-


460 10 Elterliche Fürsorge<br />

punkt der Herbstwanderung von Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla)<br />

wie verändert werden (Pulido et al. 2001), entzieht sich bislang noch komplett<br />

unserem Verständnis.<br />

Die Untersuchung der genetischen Grundlagen des Verhaltens ist aus<br />

mehreren Gründen schwierig (Sokolowski 2001). Erstens ist es nicht einfach,<br />

bearbeitbare Grundeinheiten des Verhaltens zu identifizieren. Selbst<br />

stereotype Verhaltensweisen, wie die Balz männlicher Taufliegen, deren<br />

genetische Kontrolle schon lange bekannt ist (Belote u. Baker 1987), können<br />

in viele Einzelbestandteile zerlegt werden. An diesem Beispiel wird<br />

ein zweites, grundsätzliches Problem deutlich: beim Balzen findet ein ständiger<br />

Austausch olfaktorischer, mechanischer und visueller Signale statt,<br />

die einerseits Einzelbestandteile dieses Verhaltens sind und andererseits<br />

die Ausführung des nächsten Elements unmittelbar beeinflussen können.<br />

Drittens existiert interindividuelle Variabilität im Verhalten in Abhängigkeit<br />

von Alter, Geschlecht, Erfahrung, Fortpflanzungszustand und Umweltbedingungen,<br />

die kontrolliert werden muss. Von daher ist es nicht<br />

verwunderlich, dass ein Großteil der bisherigen Untersuchungen der genetischen<br />

Grundlagen des Verhaltens an Drosophila oder noch einfacheren<br />

Organismen durchgeführt wurden. Die Beschreibung von komplexen Verhaltensweisen<br />

in Mikroorganismen, die keine Neurone oder Nervensysteme<br />

besitzen, eröffnet beispielsweise neue Möglichkeiten in diese Richtung<br />

(Crespi 2001). Klassische Methoden der Verhaltensgenetik umfassen Mutationsanalysen,<br />

Kreuzungen von Populationen oder Arten sowie Kaspar-<br />

Hauser-Experimente, bei denen Individuen isoliert aufgezogen werden. Sie<br />

können aber nur zeigen, dass und gegebenenfalls welche Gene an der Kontrolle<br />

bestimmter Verhaltensweisen beteiligt sind, aber nicht wie sie proximat<br />

Verhalten kontrollieren.<br />

Untersuchungen der molekulargenetischen Grundlagen des Verhaltens<br />

von Drosophila haben sich auf circadiane Rhythmen, Balz- und Fressverhalten<br />

sowie auf Lernen und Gedächtnisleistungen konzentriert (Sokolowski<br />

2001). Dabei konnten einzelne Gene identifiziert werden, die mit einzelnen<br />

Verhaltenselementen aus diesen Verhaltenskontexten assoziiert sind<br />

(z. B. Manoli et al. 2005). Außerdem sind in allen diesen Fällen die molekularen<br />

Funktionen der Genprodukte, z. B. als Enzyme, Transkriptionsfaktoren<br />

oder in Ionenkanälen und Hormonrezeptoren, bekannt. In vielen<br />

Fällen wurde ein Polymorphismus für Gene gefunden, die Verhalten in bestimmten<br />

Situationen steuern. Verschiedene Allele desselben Gens werden<br />

unter verschiedenen Umweltbedingungen durch frequenzabhängige<br />

Selektion beibehalten (Fitzpatrick et al. 2007). Eine weitere wichtige<br />

Erkenntnis besteht darin, dass alle diese Gene pleiotrope Effekte auf mehrere<br />

Verhaltensweisen sowie auf andere morphologische und physiologische<br />

Merkmale haben. Das heißt, es gibt kein Gen für das Verhalten X


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 461<br />

oder Y. Vielmehr beeinflussen Gene die Entwicklung und Funktion von<br />

Verhaltensweisen, indem sie zum Aufbau und der Funktion der Bestandteile<br />

des Nervensystems und Bewegungsapparates beitragen, die für die Ausführung<br />

eines Verhaltens notwendig sind. Letztendlich gilt es also zu verstehen,<br />

wie genetisch basierte Signale neuronale Netzwerke aufbauen und<br />

steuern.<br />

Verallgemeinerungen von Funktionsprinzipien in diesem Zusammenhang<br />

sind dadurch möglich, dass in den letzten Jahren eine Reihe von<br />

Kandidaten-Genen (candidate genes) identifiziert wurden. Dabei handelt<br />

es sich um Gene, deren Funktion von Nematoden bis zu Säugetieren weitgehend<br />

identisch ist (Fitzpatrick et al. 2005). So existiert bei Drosophila<br />

ein Gen, das über die Aktivität der korrespondierenden Kinase kontrolliert,<br />

wie eine Larve nach Nahrung sucht (Osborne et al. 1997). Das orthologe<br />

Gen kontrolliert bei Honigbienen (Apis mellifera) unter Beteiligung derselben<br />

Kinase den Übergang zwischen der Phase zu Beginn des Lebens, in<br />

der Arbeiterinnen sich im Stock um die Brut kümmern, und der darauf<br />

folgenden Zeit als Nahrungssammlerin außerhalb des Stocks (Ben-Shahar<br />

et al. 2002). Auch der Vergleich Gen-basierter Unterschiede zwischen<br />

nahverwandten Arten kann Aufschluss über die genetische Kontrolle von<br />

Verhalten ergeben. Bei Wühlmäusen (Microtus spp.) fand man beispielsweise,<br />

dass sich monogame und promiske Arten in der Verteilung eines<br />

Vasopressin-Rezeptors in einem bestimmten Gehirn-Areal unterscheiden<br />

(Young et al. 1999). Vasopressin und andere Neuropeptide, die nur aus<br />

neun Aminosäuren bestehen, werden mit anderen Geschlechts- und Artunterschieden<br />

im Sozialverhalten in Verbindung gebracht (Insel u. Young<br />

2000). So ist Oxytozin bei Mäusen beispielsweise notwendig, um ein soziales<br />

Gedächtnis zu entwickeln (Ferguson et al. 2002).<br />

Ob und wie stark bestimmte Verhaltensweisen durch genetische Faktoren<br />

kontrolliert werden, wurde im Laufe der Domestikation verschiedener<br />

Haustiere deutlich. Bei Nutztieren sind Kenntnisse über genetisch basierte<br />

Verhaltensweisen heutzutage wichtig für deren artgerechte Haltung und sie<br />

haben weitreichende ökonomische Konsequenzen (Schutz u. Pajor 2001).<br />

Unterschiedliche Hunderassen unterscheiden sich auch unter anderem systematisch<br />

in bestimmten Aspekten ihres Verhaltens, die grobe genetische<br />

Korrelate besitzen (Parker et al. 2004). Domestikation hat auch bei anderen<br />

Arten, z. B. bei Meerschweinchen, zu einer Reduktion von Aggression und<br />

Zunahme sozialer Toleranz geführt (Sachser 1998).<br />

Die in dieser Hinsicht beeindruckendsten Daten stammen von einem<br />

Domestikationsexperiment mit Silberfüchsen (Vulpes vulpes; Abb. 10.22).<br />

1959 begann Dmitry Belyaev damit, Füchse selektiv zu züchten (Trut<br />

1999). Das einzige Selektionskriterium war ein Verhaltensmerkmal:<br />

Zahmheit gegenüber Menschen, die versuchten, sie von Hand zu füttern


462 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.22. Silberfüchse<br />

(Vulpes vulpes)<br />

wurden innerhalb<br />

weniger Generationen<br />

erfolgreich auf<br />

Zahmheit selektiert<br />

und zu streicheln. Bei einer Reihe von Tests bis zum Erreichen der Geschlechtsreife<br />

wurden junge Füchse diesbezüglich in vier Kategorien eingeteilt<br />

und jedes Jahr 5% der Männchen mit 20% der Weibchen aus der<br />

höchsten Kategorie verpaart. Die Heritabilität für dieses Merkmal betrug<br />

0,35, d. h. 35% der Varianz in diesem Merkmal sind genetisch bedingt, der<br />

Rest ist umweltbedingt. Nach 10 Generationen zählten bereits 18% der<br />

Jungtiere zur höchsten Kategorie, nach 20 Generationen 35%, und nach 40<br />

Generationen waren es bereits 80%. Heute konkurrieren die jungen Füchse<br />

untereinander, um mit einem Menschen Körperkontakt zu bekommen, den<br />

sie an Händen und Gesicht ablecken.<br />

Das Verhaltensmerkmal „Zahmheit“ hat also eine genetische Basis, die<br />

auf Selektion reagiert. Soweit nichts Außergewöhnliches; es gibt zahlreiche<br />

andere Beispiele dafür, dass verschiedene Verhaltensmerkmale rasch<br />

auf direkte Selektion reagieren. Das Besondere an der Studie an Silberfüchsen<br />

liegt darin, dass auch Änderungen in anderen Merkmalen sorgfältig<br />

dokumentiert wurden. Wohlgemerkt: Zahmheit war das einzige Selektionskriterium.<br />

40 Jahre später unterscheiden sich die zahmen Füchse<br />

von ihren Vorfahren in zahlreichen anderen Merkmalen. Augen und Ohren<br />

öffnen sich inzwischen mehrere Tage früher, ein Anstieg in Kortikosteroiden,<br />

der mit einer Furchtreaktion korreliert, ist um Wochen verzögert.<br />

Fellfarbe, Ohrenform, Schwanz- und Beinlänge änderten sich genauso<br />

wie Schädelproportionen hin zu infantileren Ausprägungen. Zahme<br />

Füchse werden früher geschlechtsreif, haben größere Würfe und eine verlängerte<br />

Paarungszeit. Selektion auf eine Verhaltensweise hat also generell<br />

zu Verschiebungen im timing von Entwicklungsprozessen geführt, die<br />

damit erklärt werden können, dass pleiotrope Gene, die in der Hierarchie<br />

des Genoms weit oben stehen, durch diese künstliche Selektion bewertet<br />

wurden. Diese Studie liefert auch eines der anschaulichsten Beispiele


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 463<br />

dafür, wie sehr Verhalten, Morphologie und Life history miteinander<br />

verzahnt sind ( Kap. 2), hin bis zur genetischen Kontrolle, und wie wichtig<br />

es ist, den gesamten Organismus und seine Entwicklung zu studieren<br />

(Bateson 2005).<br />

10.5.2 Umwelt, Erfahrung und Verhalten<br />

Das Verhalten eines Organismus wird von den frühesten Phasen der Entwicklung<br />

an durch verschiedene Umwelteinflüsse modifiziert. Je nach<br />

Entwicklungsplan können verschiedene Phasen der Individualentwicklung<br />

zwischen der Zygote und dem adulten Individuum unterschieden werden.<br />

Auf Eier, Larven, Puppen, Embryonen und Imagines wirken dabei im Laufe<br />

ihrer Entwicklung zahlreiche interne und externe Stimuli ein, die ihr<br />

unmittelbares Verhalten oder ihr Verhalten in späteren Entwicklungsphasen<br />

beeinflussen. Vom ersten Moment an existiert daher ein intensiver<br />

Dialog zwischen dem sich exprimierenden Genotyp eines Individuums und<br />

seiner inneren und äußeren Umwelt.<br />

In den frühen Entwicklungsphasen manifestieren sich vorwiegend biochemische<br />

Einflüsse in Form von organisierenden Effekten auf proximate<br />

Mechanismen der Verhaltenssteuerung, also beispielsweise auf die Gehirnoder<br />

Gonadenentwicklung. Für weiter entwickelte, aktive Individuen, also<br />

z. B. Larven oder frisch geschlüpfte Jungvögel, sind es primär von der unbelebten<br />

oder sozialen Umwelt aufgenommene Sinnesreize, die zu Veränderungen<br />

und Anpassungen des Verhaltens führen und deren Effekte bis<br />

ins Adultstadium anhalten. Bei Prägungsprozessen existieren dabei mehr<br />

oder weniger starre genetische Vorgaben darüber, was wann von einem<br />

Individuum gelernt wird. Auch jenseits der Juvenilphase findet Lernen<br />

statt; es kommt also zu „relativ permanenten Verhaltensänderungen auf-<br />

Tabelle 10.2. Übersicht über die wichtigsten Lernmechanismen<br />

Individuelles Lernen<br />

• Prägung<br />

• Sensitivierung und Habituation<br />

• Konditionierung<br />

Soziales Lernen<br />

• lokale Verstärkung<br />

• Reizverstärkung<br />

• Stimmungsübertragung<br />

• Beobachtungs-Konditionierung<br />

• Imitation<br />

• Unterrichten


464 10 Elterliche Fürsorge<br />

grund von Erfahrungen“ (Shettleworth 1998), wobei zwischen individuellem<br />

und sozialem Lernen unterschieden wird (Tabelle 10.2).<br />

(1) Frühe organisierende Effekte. Geschlechtsunterschiede im Verhalten<br />

liefern deutliche Beispiele dafür, wie Verhalten früh in der Entwicklung<br />

durch organisierende Effekte beeinflusst wird. Bei Wirbeltieren initiiert<br />

der Genotyp die Entwicklung von Ovarien oder Hoden, die geschlechtsspezifische<br />

Steroidhormone produzieren, welche ihrerseits wichtige organisierende<br />

Effekte sowohl auf die weitere Genaktivität als auch auf die<br />

Entwicklung von sekundären Geschlechtsmerkmalen haben. Bei oviparen<br />

Arten variieren die Eier im Gehalt an Dotter und verschiedenen, für die<br />

Entwicklung wichtigen Substanzen. Bei Vögeln gelangt bei der Eiproduktion<br />

beispielsweise mütterliches Testosteron in den Dotter, was die Entwicklung<br />

der Jungen nachhaltig beeinflusst. Bei Kanarienvögeln (Serinus<br />

canaria) ist der Testosterongehalt der Eier sowohl positiv mit der Reihenfolge,<br />

in der sie gelegt wurden, als auch mit dem späteren Dominanzrang<br />

der daraus schlüpfenden Vögel korreliert (Schwabl 1993). Bei Haussperlingen<br />

(Passer domesticus) wurde durch experimentelle Erhöhungen des<br />

Testosterongehalts der Eier ebenfalls eine verbesserte Konkurrenzfähigkeit<br />

der daraus geschlüpften Vögel dokumentiert und damit der direkte Zusammenhang<br />

zwischen der Hormonkonzentration im Ei und dem Verhalten<br />

des adulten Individuums nachgewiesen (Strasser u. Schwabl 2004).<br />

Bei viviparen Arten besteht durch den intimen Kontakt zwischen Mutter<br />

und Jungen über die Plazenta, aber auch zwischen Jungen innerhalb des<br />

Uterus, ebenfalls die Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung durch<br />

Hormone während der frühen Entwicklung. Untersuchungen an Nagern<br />

haben gezeigt, dass bei polytoken Arten die Position eines Fötus im<br />

Uterus in Abhängigkeit vom Geschlecht seiner benachbarten Geschwister<br />

mehrere geschlechtsspezifische Merkmale im späteren Leben beeinflusst<br />

(Ryan u. Vandenbergh 2002). Der entscheidende Mechanismus dabei ist<br />

der Transfer von Testosteron zwischen männlichen Föten und ihren benachbart<br />

gelegenen Geschwistern. Weibliche Föten, die sich zwischen<br />

zwei Brüdern entwickeln, sind später sehr viel maskuliner als solche mit<br />

einem bzw. keinem benachbarten Bruder. Derselbe Effekt existiert bei<br />

Männchen. Bei Wüstenrennmäusen (Meriones unguiculatus) zeigen Männchen,<br />

die zwischen zwei Brüdern herangewachsen sind, beispielsweise höhere<br />

Häufigkeiten an Markierverhalten, und sie kopulieren früher und ejakulieren<br />

schneller als andere Männchen (Clark et al. 1990). Umgekehrt<br />

zeigen Männchen, die zwischen zwei Schwestern herangewachsen sind, als<br />

Adulte teilweise sehr niedrige Testosteronkonzentrationen und haben kein<br />

Interesse an östrischen Weibchen. Stattdessen helfen sie ihren Müttern bei<br />

der Aufzucht weiterer Geschwister (Clark u. Galef 2000). Bei diesen Un-


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 465<br />

tersuchungen werden die Jungen übrigens kurz vor dem Geburtstermin<br />

durch Kaiserschnitt entbunden und dabei ihre Position im Uterus bestimmt.<br />

(2) Prägung. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Verhalten<br />

und Gene während der Entwicklung aufeinander abgestimmt sind, stellt<br />

das Phänomen der Prägung (imprinting) dar. Es handelt sich dabei um einen<br />

Prozess, bei dem innerhalb eines genetisch festgelegten Zeitfensters,<br />

einer sensiblen Phase, bestimmte Reize nachhaltige, oft irreversible Verhaltensmuster<br />

induzieren (Immelmann 1972). Hier wird dem Organismus<br />

sozusagen genetisch vorgegeben, wann er was lernen kann. Prägung wurde<br />

hauptsächlich bei Vögeln untersucht, wo sie in drei Kontexten eine wichtige<br />

Funktion hat.<br />

Das bekannteste Beispiel, die Nachfolgeprägung (filial imprinting),<br />

wurde von Konrad Lorenz an Graugänsen ausführlich beschrieben. Bei<br />

diesen und vielen anderen Vögeln mit nestflüchtenden Jungen erfolgt kurz<br />

nach dem Schlüpfen eine Prägung auf das erste sich bewegende Objekt,<br />

dem die jungen Vögel dann unaufhörlich nachfolgen (Abb. 10.23). Damit<br />

wird unter natürlichen Bedingungen sichergestellt, dass die Jungen für geraume<br />

Zeit während ihrer frühen Entwicklung in der Nähe der Mutter bleiben.<br />

Dass die frisch geschlüpften Jungen keine Vorstellung vom Aussehen<br />

der eigenen Art haben, zeigen Unfälle oder Experimente, in denen just<br />

zum Zeitpunkt des Schlüpfens ein Mitglied einer anderen Art vor Ort ist<br />

und die Nachfolgeprägung auslöst. In der aktuellen Forschungslandschaft<br />

stellt Nachfolgeprägung ein Paradigma dar, an dem neuronale Grundlagen<br />

des Lernens untersucht werden (Bolhuis et al. 2000).<br />

Durch sexuelle Prägung werden spätere Partnerpräferenzen in einem<br />

frühen Alter festgelegt. Dabei dienen die eigenen Eltern in der Regel als<br />

Abb. 10.23. Frisch geschlüpfte<br />

Küken (hier<br />

Stockenten, Anas platyrhynchos)<br />

bleiben aufgrund<br />

einer Nachfolgeprägung<br />

immer nah bei<br />

ihrer Mutter


466 10 Elterliche Fürsorge<br />

Modell, um artspezifische Merkmale zu lernen, die später die Arterkennung<br />

bei der Partnerwahl erleichtern oder ermöglichen (Irwin u. Price<br />

1999). Die wichtigste Bedeutung sexueller Prägung besteht daher darin,<br />

unter natürlichen Bedingungen Mitglieder der eigenen Art in einem ersten<br />

Selektionsschritt bei der Partnerwahl ( Kap. 9.3) als solche zu erken-<br />

Box 10.3<br />

Sexuelle Prägung und Partnerwahl<br />

• Frage: Welche Bedeutung hat sexuelle Prägung als Nestling auf die spätere<br />

Partnerwahl?<br />

• Hintergrund: Sexuelle Prägung ist bei Vögeln weit verbreitet, aber die relative<br />

Bedeutung vererbter und erlernter Informationen für die Partnerwahl<br />

ist in natürlichen Populationen kaum untersucht.<br />

• Methode: In einem Austauschexperiment wurden die Gelege zwischen<br />

Kohlmeisen (KM, Parus major), Blaumeisen (BM, Cyanistes caeruleus)<br />

und Tannenmeisen (TM, Periparus ater) ausgetauscht*. Im darauf folgenden<br />

Jahr wurde ermittelt, wie viele der so aufgewachsenen Jungvögel<br />

sich mit Partnern welcher Art verpaarten.<br />

% Paarungserfolg<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

20<br />

100 18 100 100<br />

82<br />

0 Junge<br />

Eltern<br />

N<br />

KM<br />

BM<br />

11<br />

*<br />

KM<br />

KM<br />

20<br />

BM<br />

KM<br />

17<br />

*<br />

BM<br />

TM<br />

5<br />

*<br />

BM<br />

BM<br />

11<br />

• Ergebnis: Im Vergleich zu Kontrollen ( ) beeinträchtigte die Umsetzung<br />

nur den Paarungserfolg von Kohlmeisen. Alle der wenigen fremd aufgezogenen<br />

Kohlmeisen, die sich verpaarten, taten dies mit Blaumeisen; bei<br />

Blaumeisen waren es nur 82% ( ); der Rest verpaarte sich mit Kohlmeisen.<br />

• Schlussfolgerung: Die Bedeutung sexueller Prägung für die spätere Partnerwahl<br />

variiert zwischen Arten. Mit Blaumeisen aufgezogene Kohlmeisen<br />

können sich nicht erfolgreich verpaaren, wohingegen der Effekt auf<br />

Blaumeisen sehr viel schwächer ist. Die Ursachen und Funktion dieses<br />

Artunterschiedes sind nicht bekannt.<br />

Slagsvold et al. 2002<br />

* aus praktischen Gründen sind nicht alle denkbaren Kombinationen möglich


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 467<br />

nen, um so Hybridisierungen zu vermeiden (Immelmann 1972). Bei sehr<br />

ähnlichen und nah miteinander verwandten Arten wie z. B. Galapagos-<br />

Finken (Geospiza spp.) können diese Prägungsmechanismen aber nicht<br />

spezifisch genug sein, um heterospezifische Paarungen zu verhindern<br />

(Grant u. Grant 1997). Ein Umsetzungsexperiment zwischen Arten zeigte,<br />

dass die Bedeutung sexueller Prägung sich auch zwischen nah verwandten<br />

Arten unterscheidet (Box 10.3).<br />

In den meisten Ordnungen der Vögel sind Vokalisationen angeboren.<br />

Bei vielen Singvögeln (Passeriformes) und manchen Mitgliedern von drei<br />

nah verwandten Ordnungen (Kolibris, Spechte und Papageien) wird der<br />

Gesang von Artgenossen gelernt. Gesangslernen umfasst zwei getrennte<br />

Prozesse, einen sensorischen und einen motorischen, die manchmal Monate<br />

auseinander liegen. Der sensorische Prozess erfolgt meist während einer<br />

sensitiven Phase, in der ein junger Vogel über Gesangsprägung den artspezifischen<br />

Gesang erwirbt. Junge Männchen lernen dabei bevorzugt den<br />

Gesang der eigenen Art, den sie in der Regel von ihrem Vater hören (Marler<br />

1997). Es folgt eine Phase von Wochen oder Monaten, in denen der<br />

junge Vogel selbst nicht singt. Erst danach folgt die motorische Phase, in<br />

der die Tiere zu singen beginnen, allerdings auf eine noch recht variable<br />

Art und Weise (Tchernichovski et al. 2001). Während dieser Übungsphase<br />

müssen die Tiere in der Lage sein, sich selbst singen zu hören, um sich in<br />

der nachfolgenden Kristallisationsphase auf einen Gesang festzulegen, der<br />

dem Gesang des während der sensiblen Phase gehörten Tutors weitgehend<br />

entspricht (Janik u. Slater 2000). Dabei scheinen bestimmte Vorgaben darüber,<br />

wie einzelne Gesangselemente strukturiert sein müssen, angeboren<br />

zu sein (Gardner et al. 2005).<br />

Prägungsähnliche Lernvorgänge wurden bei anderen Arten auch in weiteren<br />

Funktionszusammenhängen beschrieben. Pazifische Lachse (Oncorhynchus<br />

spp.) werden über den Geruch auf das Gewässer geprägt, das sie<br />

nach Jahren im offenen Ozean zur eigenen Eiablage wieder aufsuchen<br />

(Dittman u. Quinn 1996; Kap. 4.3). Bei der Entwicklung von Präferenzen<br />

von Insekten, Vögeln und Säugetieren für bestimmte Habitattypen<br />

( Kap. 5.1) oder Nahrung ( Kap. 5.3) sind vermutlich ebenfalls prägungsähnliche<br />

Vorgänge beteiligt. So finden Kuckucks-Weibchen (Cuculus<br />

canorus) möglicherweise ihren spezifischen Wirt, indem sie auf dessen<br />

Nisthabitat geprägt werden (Teuschl et al. 1998), und Springspinnen (Oxyopes<br />

salticus) können auf einen bestimmten Beutetyp geprägt werden<br />

(Punzo 2002). Schließlich wird bei Ziegen und anderen Huftieren in den<br />

ersten Stunden nach jeder Geburt von den Müttern durch intensives Belecken<br />

eine irreversible Bindung an das eigene Jungtier hergestellt, welche<br />

anschließend eine eindeutige individuelle Erkennung erlaubt (Klopfer et al.<br />

1964).


468 10 Elterliche Fürsorge<br />

(3) Individuelles Lernen. Verschiedene Formen individuellen Lernens<br />

wurden vor allem unter kontrollierten Laborbedingungen untersucht.<br />

Diese Untersuchungen charakterisierten die Arbeiten der Behavioristen<br />

( Kap. 1.3), die davon ausgehen, dass jegliches Verhalten das Ergebnis<br />

von Erfahrungen darstellt. Im einfachsten Fall modifizieren Tiere ihr Verhalten<br />

als Reaktion auf einen bestimmten Reiz. Wenn dieser Reiz wiederholt<br />

geboten wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Tiere schenken<br />

ihm zunehmend mehr oder weniger an Aufmerksamkeit. Im ersten Fall<br />

handelt es sich um Sensitivierung; im zweiten Fall um Habituation. Beide<br />

Prozesse sind vor allem bei experimentellen Untersuchungen, in denen<br />

Tiere mehrfach denselben Reizen ausgesetzt sind, von praktischer Bedeutung,<br />

da sie „natürliche“ Reaktionen verstärken oder abschwächen können.<br />

Man versucht daher häufig, Habituation zu vermeiden, indem man die Rate<br />

der Reizpräsentation reduziert. Habituation kann aber auch elegant in Experimenten<br />

eingesetzt werden, in denen man das Unterscheidungsvermögen<br />

für bestimmte Reize ermitteln will. In diesem Fall wird ein Reiz präsentiert<br />

und die darauf folgende Reaktion gemessen. Danach wird die<br />

Präsentation solange wiederholt, bis keine Reaktion mehr messbar ist, also<br />

bis komplette Habituation stattgefunden hat. Dann kann man einen zweiten<br />

Reiz präsentieren. Wenn die beiden Reize unterschieden werden können,<br />

ist nun eine erneute starke Reaktion zu erwarten – es findet eine Dishabituation<br />

statt. Mit dieser Methode kann man beispielsweise untersuchen, ob<br />

Tiere einander am Geruch unterscheiden können (Zenuto u. Fanjul 2002).<br />

Durch die Kombination von zwei Reizen ist es möglich, eine klassische<br />

Konditionierung herbeizuführen. In diesem Fall wird ein zunächst neutraler<br />

Reiz mit einem unbedingten Reiz (unconditioned stimulus) in zeitlicher<br />

Nähe kombiniert. Unbedingte Reize sind solche, die spontan stark positive<br />

(appetitive) oder negative (aversive) Reaktionen auslösen, wie z. B. der<br />

Anblick von Futter bzw. eines Raubfeindes. Wenn die Tiere eine Verbindung<br />

zwischen beiden Reizen herstellen und schon der neutrale Reiz ausreicht,<br />

eine entsprechende Reaktion auszulösen, ist der neutrale Reiz zu<br />

einem bedingten Reiz (conditioned stimulus) geworden und es hat eine<br />

klassische Konditionierung stattgefunden. Dieser Lernmechanismus wurde<br />

von Ivan Pavlov bei Hunden entdeckt, denen er mit einem Lichtreiz die<br />

unmittelbar bevorstehende Gabe von Futter signalisierte. Die klassische<br />

Konditionierung kann sowohl mit einem belohnenden Reiz (z. B. Futter)<br />

als auch mit einem Strafreiz (z. B. Stromstoß) hergestellt werden; es findet<br />

also eine positive bzw. negative Verstärkung (reinforcement) statt. Im Unterschied<br />

zur Prägung kann eine klassische Konditionierung auch wieder<br />

gelöscht werden, indem man den zeitlichen Abstand zwischen beiden Reizen<br />

vergrößert (extinction).


10.5 Entwicklung und Kontrolle des Verhaltens 469<br />

Bei der operanten Konditionierung wird dem Versuchstier kein Reiz<br />

vorgegeben. Stattdessen wird ein spontan gezeigtes Verhalten sofort belohnt<br />

oder bestraft. Die Fähigkeit von Ratten und Tauben, den Zusammenhang<br />

zwischen dem Drücken oder Picken eines Hebels mit einer Futterbelohnung<br />

in Verbindung zu bringen, wurde in Skinner-Boxen ausgiebig<br />

untersucht. Da Tiere bei beiden Formen der Konditionierung eine mentale<br />

Verbindung zwischen zwei Ereignissen herstellen müssen, werden sie auch<br />

als assoziatives Lernen bezeichnet. Über die Bedeutung von assoziativem<br />

Lernen unter natürlichen Bedingungen ist bislang wenig bekannt (siehe<br />

aber Hammer u. Menzel 1995). Man kann diese assoziativen Prozesse aber<br />

so weit abstrahieren, dass man das Lernen von Zusammenhängen zwischen<br />

Reizen und das Lernen der Konsequenzen des eigenen Verhaltens als diejenigen<br />

Ereignisse definiert, die den Großteil der Vorhersagbarkeit unserer<br />

Welt darstellen (Brembs et al. 2002).<br />

(4) Soziales Lernen. Wenn Tiere ihr Verhalten aufgrund von Interaktionen<br />

mit Artgenossen modifizieren, spricht man von sozialem Lernen, welches<br />

auf mehreren Mechanismen basieren kann, die nicht immer alle leicht<br />

voneinander zu unterscheiden sind. Bei einer lokalen Verstärkung (local<br />

enhancement) wird die Aufmerksamkeit eines Individuums von Artgenossen<br />

zunächst primär auf einen Ort gelenkt. Dort beobachtet es den oder die<br />

Artgenossen bei einer Aktivität, die dabei gelernt wird. Tiere, die eine ergiebige<br />

Nahrungsquelle gefunden haben, locken beispielsweise Artgenossen<br />

an, die vor Ort lernen, dass es sich an dieser Stelle lohnt, selbst nach<br />

Nahrung zu suchen. Wenn ein Artgenosse dagegen die Aufmerksamkeit<br />

eines anderen auf ein bestimmtes Objekt richtet, wird dies als Reizverstärkung<br />

(stimulus enhancement) bezeichnet. Dieser Mechanismus könnte<br />

dem Kopieren von Partnerwahlentscheidungen (mate copying; Kap. 9.3)<br />

zugrunde liegen. In manchen Fällen ist es weder der Ort noch ein Objekt,<br />

sondern das Verhalten an sich, das von Artgenossen gezeigt wird und das<br />

in einem Tier dieselbe Aktivität auslöst. Solche Stimmungsübertragung<br />

(contagion) findet beispielsweise statt, wenn ein Tier andere auf der Flucht<br />

sieht und sich ihnen anschließt. Mobbing von Raubfeinden ( Kap. 6.3) ist<br />

ein anderes Beispiel für Stimmungsübertragung.<br />

Wenn Tiere beobachten, dass eine bestimmte Verhaltensweise für einen<br />

Artgenossen mit einer Konsequenz verbunden ist, kann es durch Beobachtungskonditionierung<br />

(observational conditioning) aus dieser Beobachtung<br />

lernen und das entsprechende Verhalten übernehmen oder vermeiden.<br />

Rhesusaffen (Macaca mulatta), die in Gefangenschaft aufgewachsen sind,<br />

haben weder Angst vor einer Schlange noch zeigen sie eine besondere<br />

Reaktion auf einen ängstlichen Artgenossen (Abb. 10.24). Wenn allerdings<br />

ein in freier Wildbahn geborener Affe eine Angstreaktion auf eine Schlan-


470 10 Elterliche Fürsorge<br />

Abb. 10.24. In Gefangenschaft<br />

geborene Rhesusaffen (Macaca<br />

mulatta) können durch Beobachtungskonditionierung<br />

adaptive<br />

Angstreaktionen von Artgenossen<br />

lernen<br />

ge zeigt, können sie diese lernen (Mineka et al. 1984). Auch bei Derbywallabies<br />

(Macropus eugenii) wurde experimentell gezeigt, dass sie so von<br />

Artgenossen Informationen über Raubfeinde erlernen (Griffin u. Evans<br />

2003). Beobachtungskonditionierung wird aber auch in anderen Kontexten<br />

eingesetzt; Hühner können auf diese Weise beispielsweise eine Futterpräferenz<br />

entwickeln (Sherwin et al. 2002).<br />

Imitation findet statt, wenn von einem Tier eine neue Verhaltensweise<br />

kopiert wird, die nicht zum artspezifischen Repertoire gehört (Zentall<br />

2001). Das erfolgreiche Kopieren kann dabei voraussetzen, dass das beobachtende<br />

Tier die Zielgerichtetheit der Handlung des Akteurs verstehen<br />

muss, um die betreffende Verhaltensweise zu imitieren. Verschiedene Problemlösungsaufgaben<br />

für Vögel und Primaten stellen ein beliebtes Paradigma<br />

dar, an dem verschiedene Aspekte und Grundlagen (z. B. Motivation)<br />

von Imitation im Labor untersucht werden (Heyes 2001).<br />

Die bisher erwähnten Mechanismen des sozialen Lernens basieren auf<br />

Beobachtung. Bei aktivem Unterrichten (teaching) muss dagegen ein<br />

„Lehrer“ durch die Modifikation seines Verhaltens in der Präsenz eines<br />

„Schülers“ bei diesem den Erwerb einer Verhaltensweise oder von Wissen<br />

beschleunigen, ohne dass der Lehrer selbst einen unmittelbaren Vorteil<br />

durch dieses Verhalten erfährt (Caro u. Hauser 1992). Eine Katzenmutter,<br />

die ihren Jungen eine lebende Maus bringt und dafür sorgt, dass diese mit<br />

ihr „spielen“ können, könnte eine Form des Unterrichtens darstellen, die<br />

man in ähnlicher Form bei Geparden (Acinonyx jubatus) beobachtet hat<br />

(Caro 1994). Bei Arten, die Werkzeuge einsetzen, um an Nahrung zu gelangen,<br />

ist Unterrichten in manchen Fällen notwendig für effizientes Lernen<br />

der dafür notwendigen Techniken. Schimpansen (Pan troglodytes), die<br />

mit Steinen und Stöcken harte Nüsse knacken, unterrichten ihre Jungen in<br />

dieser Fertigkeit (Boesch 1991). Allerdings gibt es auch einfachere Me-


10.6 Zusammenfassung 471<br />

chanismen für den Erwerb der Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen. Von<br />

Hand aufgezogene Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) stellen<br />

Werkzeuge spontan her und benutzen sie korrekt, ohne jemals einen Tutor<br />

dabei gesehen zu haben (Kenward et al. 2005). Auch die auf Galapagos<br />

lebenden Spechtfinken (Cactospiza pallida) benutzen einen Zweig oder<br />

Kaktusstachel als Werkzeug bei der Nahrungssuche, unabhängig davon, ob<br />

sie als Juvenile Gelegenheit hatten, dies bei einem Artgenossen zu beobachten<br />

(Tebbich et al. 2001).<br />

10.6 Zusammenfassung<br />

Individuen, die Zeit und Energie in die Fürsorge ihres Nachwuchses<br />

investieren, können dadurch dessen Qualität und Überlebenschancen,<br />

und damit ihre Fitness, verbessern. Ob Brutfürsorge auftritt oder nicht<br />

und welche Form sie annimmt, hängt von Zwängen des Bauplans und<br />

der jeweiligen Life history ab. Die Art der Fertilisation (intern oder<br />

extern) ist eine wichtige Determinante dafür, welcher Elter die Brutfürsorge<br />

leistet. Da elterliches Investment mit Kosten verbunden ist,<br />

ergeben sich drei Konflikte. Zum einen entsteht ein Konflikt zwischen<br />

den Eltern, wenn die Option besteht, aktuelles Investment zu reduzieren,<br />

um mit einem anderen Partner weitere Nachkommen zu produzieren.<br />

Zum anderen entsteht ein Konflikt zwischen Eltern und Nachkommen<br />

aufgrund ihrer unterschiedlichen genetischen Interessen.<br />

Eltern sollten in alle ihre Jungen gleichermaßen investieren, wohingegen<br />

Junge ein Interesse daran haben, mehr Investment zu bekommen<br />

als ihre zukünftigen Geschwister. Wenn die Produktionskosten und<br />

der erwartete Fitnessgewinn sich zwischen Nachkommen unterscheiden,<br />

können Eltern aber auch differenziert investieren und beispielsweise<br />

das Geschlechterverhältnis der Nachkommen manipulieren.<br />

Schließlich kann es auch Konflikte über die Verteilung des limitierten<br />

elterlichen Investments zwischen Geschwistern geben. Die Kosten des<br />

elterlichen Investments haben auch dazu geführt, dass manche Arten<br />

die Bruten von Artgenossen oder von anderen Arten parasitieren und<br />

ihre Jungen von diesen aufziehen lassen.<br />

Im Kontext der Jungenfürsorge finden sich auch die extremsten<br />

Beispiele für Kooperation im Tierreich. Bei eusozialen Arten verzichten<br />

die meisten Individuen auf eigene Fortpflanzung und investieren<br />

stattdessen in den Nachwuchs anderer. Bei haplodiploiden Arten kann<br />

dies mit dem außergewöhnlich hohen Zugewinn an indirekter Fitness


472 10 Elterliche Fürsorge<br />

durch Verwandtenselektion erklärt werden. Vor allem bei Vögeln und<br />

Säugern gibt es Individuen (Helfer-am-Nest), die temporär auf eigene<br />

Fortpflanzung verzichten und anderen bei der Jungenfürsorge helfen.<br />

Obwohl diese Hilfe häufig Verwandten zugute kommt, wird die Entscheidung<br />

zu helfen auch von eigenen Vorteilen und verschiedenen<br />

ökologischen und Life history-Zwängen beeinflusst.<br />

Das Verhalten der heranwachsenden Jungtiere wird durch permanente<br />

Interaktion zwischen genetischen und Umweltfaktoren bestimmt.<br />

Die genetische Grundlage ermöglicht die Evolution von Verhalten,<br />

aber die Mechanismen der proximaten Umsetzung von<br />

genetischer Information in Verhalten sind nur ansatzweise verstanden.<br />

Ein viel differenzierteres Wissen existiert über die verschiedenen Mechanismen<br />

individuellen und sozialen Lernens, die zu nachhaltigen<br />

Anpassungen des Verhaltens an individuelle Erfahrungen führen.<br />

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V SOZIALE EVOLUTION<br />

Der rote Faden der ersten drei Abschnitte dieses Buches bestand darin, die<br />

Determinanten individueller Fitness (Überleben, Fortpflanzung und Jungenfürsorge)<br />

zu betrachten. Viele Aspekte dieser einzelnen Fitnessdeterminanten<br />

haben eine soziale Komponente, die ich in diesem letzten Abschnitt<br />

explizit beleuchten möchte. Dabei ist es nicht immer offensichtlich,<br />

was Ursache und Konsequenz oder entscheidender Vor- oder Nachteil ist.<br />

So können Individuen beispielsweise durch die Bildung von Gruppen<br />

zwar ihr individuelles Prädationsrisiko verringern ( Kap. 6.3), andererseits<br />

dadurch aber auch intensiverer Nahrungskonkurrenz ausgesetzt sein<br />

( Kap. 5.4). Ein ähnliches Spannungsfeld entsteht, wenn sich Verwandte<br />

zusammenschließen, weil sich dann einerseits Möglichkeiten der Kooperation<br />

ergeben, die indirekte Fitness zu erhöhen ( Kap. 10.4). Andererseits<br />

erhöht sich aber das Risiko, individuelle Fortpflanzungsmöglichkeiten aufgrund<br />

von Inzestvermeidung ( Kap. 9.2) oder Konkurrenz ( Kap. 9.7)<br />

einzubüßen. Die Diversität der Sozialsysteme ist enorm, wobei die Spannbreite<br />

von kurzlebigen Wirbellosen, die nur einmal im Leben einen Artgenossen<br />

zur Paarung treffen, bis hin zu großen Säugetieren, die Jahrzehnte<br />

mit denselben Individuen in großen Gruppen verbringen, reicht. Es muss<br />

also Selektion für verschiedene Formen des Zusammenlebens geben. Welche<br />

Ursachen und Konsequenzen diese Variabilität hat, bespreche ich in<br />

diesem letzten Abschnitt.


11 Sozialsysteme<br />

11.1 Soziale Organsiation<br />

11.1.1 Sozioökologie<br />

11.1.2 Organisationsformen<br />

11.1.3 Abwanderung und Philopatrie<br />

11.2 Paarungssysteme<br />

11.2.1 Diversität der Paarungssysteme<br />

11.2.2 Konsequenzen<br />

11.3 Sozialstruktur<br />

11.3.1 Kommunikation<br />

11.3.2 Koordination<br />

11.3.3 Konkurrenz<br />

11.3.4 Kooperation<br />

11.3.5 Kognition<br />

11.3.6 Kultur<br />

11.4 Zusammenfassung<br />

Analysen von Sozialsystemen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen<br />

(societies), die als Menge von Individuen, die regelmäßig<br />

miteinander interagieren und dies häufiger miteinander tun als mit<br />

Mitgliedern anderer Gesellschaften, definiert werden können. Die zunächst<br />

unüberschaubare Vielfalt der Sozialsysteme kann aus heuristischen Gründen<br />

in drei Bestandteile zerlegt werden (Abb. 11.1). Dabei charakterisiert<br />

die soziale Organisation ( Kap. 11.1), wie Individuen in Raum und Zeit<br />

verteilt sind, welche Alters- und Geschlechterzusammensetzung soziale<br />

Einheiten haben und welche genetische Struktur diese besitzen. Die soziale<br />

Struktur ( Kap. 11.3) beschreibt das Muster sozialer Interaktionen und<br />

der daraus resultierenden Beziehungen der Mitglieder einer Gesellschaft.<br />

Davon getrennt wird das Paarungssystem ( Kap. 11.2) betrachtet, um zu<br />

analysieren, wer sich mit wem wie häufig verpaart. Wenn diese Beschreibungen<br />

durch genetische Vaterschaftsanalysen ergänzt werden, lässt sich<br />

auch das Fortpflanzungssystem bestimmen, also wer sich tatsächlich fortgepflanzt<br />

hat.


490 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.1. Sozialsysteme können in drei Komponenten zerlegt werden. Soziale<br />

Organisation beschreibt die Zusammensetzung einer Gesellschaft. Das Paarungssystem<br />

drückt aus, wer sich mit wem verpaart; daraus ergibt sich, wer sich letztendlich<br />

mit wem fortpflanzt. Alle anderen sozialen Interaktionen charakterisieren<br />

die Sozialstruktur<br />

Um zu verstehen, wie es zu Diversität in Sozialsystemen kommt, ist es<br />

zunächst notwenig, die Einheiten und Mechanismen der relevanten Selektionskräfte<br />

zu klären. Sozialsysteme sind nicht das Ergebnis von Selektion<br />

für bestimmte Gruppeneigenschaften, auch wenn Einheiten höherer Ordnung,<br />

wie Gruppen oder Arten, gut an ihre Umwelt angepasst sind. Zu Zeiten<br />

der klassischen Ethologie ( Kap. 1.3) lieferte Gruppenselektion eine<br />

weithin akzeptierte Erklärung für bestimmte Aspekte von Sozialsystemen,<br />

die mit individuellen Nachteilen verbunden sind (Wynne-Edwards 1962).<br />

Demnach hätten Individuen in manchen Situationen das Wohl der gesamten<br />

sozialen Einheit im Sinn und würden ihr Verhalten dementsprechend<br />

zum Wohle der Gruppe oder Art anpassen und dafür auch individuelle<br />

Nachteile in Kauf nehmen. Ein solcher, auf freiwillige individuelle Nachteile<br />

basierter Altruismus, kann sich in der Evolution aber nicht durchsetzen,<br />

da er immer von egoistischen Individuen verdrängt wird.<br />

Dies lässt sich an einem hypothetischen Beispiel verdeutlichen. Nehmen<br />

wir an, dass eine Art die Tragfähigkeit ihres Habitats erreicht hat und dass<br />

eine weitere Zunahme der Population die nachhaltige Nutzung wichtiger<br />

Ressourcen unmöglich machen würde, so dass die Population zusammenbrechen<br />

würde. Gruppenselektionisten haben eine in dieser Situation zu


11 Sozialsysteme 491<br />

beobachtende Reduktion der Nachkommenzahl ( Kap. 6.1; z. B. Schneeschuh-Hasen,<br />

Lepus americanus und Luchse, Lynx lynx) so interpretiert,<br />

dass Individuen zum Wohl der Art ihre Fortpflanzung einschränken und<br />

damit das Populationswachstum und den Druck auf die Ressourcen verringern.<br />

In dieser Situation würde aber eine Mutante, die dieses Verhalten<br />

nicht zeigt und sich stärker vermehrt, rasch in der Population zunehmen<br />

und die Altruisten verdrängen. Gruppenselektion kann also keine Verhaltensstrategien<br />

hervorbringen, die evolutionär stabil sind und sich gegenüber<br />

individuellen Strategien behaupten können (Williams 1966).<br />

Eine zweite Form von Gruppenselektion, die man besser als Merkmalsgruppen-Selektion<br />

(trait group selection oder multilevel selection)<br />

bezeichnet, wird heutzutage wieder diskutiert, vor allem in Bezug auf<br />

menschlichen Altruismus (Bergstrom 2002). Diese Form der Selektion<br />

kann nur wirken, wenn Individuen in scharf abgegrenzten sozialen Einheiten<br />

leben, die Fitness aller Individuen einer Einheit gegenseitig abhängig<br />

ist und es Selektion innerhalb und zwischen Gruppen gibt (Sober u. Wilson<br />

1998). Unter diesen restriktiven Bedingungen kann man theoretisch zeigen,<br />

dass Vorteile, die sich beim Vergleich zwischen Gruppen offenbaren,<br />

Nachteile von Verhaltensweisen innerhalb von Gruppen übertreffen können<br />

(Korb u. Heinze 2004).<br />

Alarmrufe gegenüber Raubfeinden ( Kap. 6.3) liefern ein eingängiges<br />

Beispiel zur Veranschaulichung dieses Prozesses. Individuen, die Artgenossen<br />

vor Raubfeinden warnen, haben von diesem Verhalten zunächst<br />

keinen erkennbaren Überlebens- oder Fortpflanzungsvorteil. Ganz im Gegenteil:<br />

Rufende Tiere werden womöglich leichter entdeckt und häufiger<br />

erbeutet. Wie kann sich ein solches Verhalten ausbreiten? Rufer könnten<br />

direkt oder indirekt davon profitieren, dass beim nächsten Angriff ein anderer<br />

Artgenosse warnt (reziproker Altruismus Kap. 11.3) bzw. dass<br />

Verwandte aufgrund ihrer Rufe ein reduziertes Mortalitätsrisiko haben<br />

(Verwandtenselektion). Man kann sich theoretisch aber auch vorstellen,<br />

dass Gruppen mit Rufern langfristig insgesamt erfolgreicher sind als<br />

Gruppen mit weniger oder keinen Rufern. Bislang gibt es aber kein überzeugendes<br />

Beispiel für Merkmalsgruppen-Selektion, bei dem alle notwendigen<br />

Voraussetzungen erfüllt sind.<br />

Heutzutage geht man davon aus, dass Sozialsysteme und ihre Komponenten<br />

das Ergebnis zahlreicher individueller Entscheidungen darstellen,<br />

die durch natürliche und sexuelle Selektion auf Individuen bewertet<br />

werden. Es ist also die Summe der Verhaltensentscheidungen aller einzelnen<br />

Individuen, die bestimmt, ob sich Gruppen bilden, welche Größe und<br />

Zusammensetzung diese haben und wer mit wem interagiert und kopuliert<br />

(Cahan et al. 2002). Es handelt sich dabei aber nicht um bewusste Entscheidungen,<br />

sondern um das Ergebnis eines Ausleseprozesses: Indivi-


492 11 Sozialsysteme<br />

duen, die sich in einer bestimmten Weise verhalten, erzielen unter den<br />

vorherrschenden Bedingungen im Durchschnitt höhere Fitness als solche,<br />

die sich anders verhalten. Es sind vor allem Interaktionen zwischen ökologischen<br />

(Ressourcenverteilung, Räuberrisiko), intrinsischen (Körpergröße,<br />

Aktivitätsphase) und sozialen (Zugang zu Geschlechtspartnern, Philopatrie,<br />

eigene Fortpflanzung, Jungenfürsorge, Infantizidrisiko) Faktoren, die<br />

in verschiedenen Kombinationen die Überlebens- und Fortpflanzungschancen<br />

von Individuen maximieren, wenn sie in einer bestimmten Form organisiert<br />

sind und miteinander interagieren.<br />

11.1 Soziale Organisation<br />

Die Verteilung von Individuen in Raum und Zeit unterscheidet sich zwischen<br />

Arten und manchmal auch zwischen Populationen innerhalb von<br />

Arten. Webervögel liefern ein klassisches Beispiel für solche Variabilität<br />

in der sozialen Organisation innerhalb einer Gruppe nah verwandter Arten<br />

( Abb. 1.5). Da sympatrische Schwesterarten sich diesbezüglich grundlegend<br />

voneinander unterscheiden können, ist soziale Organisation nur in<br />

geringem Maße durch phylogenetische Zwänge eingeschränkt. Vielmehr<br />

erfolgt eine flexible Anpassung an lokale ökologische und soziale Bedingungen.<br />

Die Selektionsfaktoren, welche die Verteilung von Individuen<br />

dabei letztendlich beeinflussen, werden im sozioökologischen Modell logisch<br />

zusammengeführt. Die grundlegendste Entscheidung, die Individuen<br />

in diesem Zusammenhang treffen können, ist die zwischen einem solitären<br />

Leben und dem Leben in Gruppen. Die wichtigsten Mechanismen, mit denen<br />

die Größe und Zusammensetzung von sozialen Einheiten modifiziert<br />

werden können, sind die Zu- bzw. Abwanderung, die auch weitreichende<br />

Konsequenzen für die genetische Struktur und das Paarungssystem haben.<br />

11.1.1 Sozioökologie<br />

Der Einfluss von grundlegenden Selektionsfaktoren auf den Überlebensund<br />

Fortpflanzungserfolg von Individuen wird durch das sozioökologische<br />

Modell beschrieben (Abb. 11.2). Der individuelle Überlebenserfolg beider<br />

Geschlechter wird demnach maßgeblich von Strategien zur Reduktion des<br />

Prädationsrisikos bestimmt. Je nach der Lebensweise potentieller Beutetiere<br />

und den Jagdstrategien ihrer wichtigsten Räuber kann es für Tiere<br />

entweder vorteilhaft sein, möglichst kryptisch und damit einzelgängerisch<br />

zu sein, oder sich zu Gruppen zusammenzuschließen. Der individuelle<br />

Fortpflanzungserfolg wird dagegen von geschlechtsspezifischen Faktoren


11.1 Soziale Organisation 493<br />

Abb. 11.2. Grundzüge des sozioökologischen Modells. Die Verteilung von Ressourcen<br />

und Risiken bestimmt die Verteilung der Weibchen, welche die Verteilung<br />

der Männchen maßgeblich beeinflusst (rote Pfeile). Infantizidrisiko und Jungenfürsorge<br />

haben bei manchen Arten einen zusätzlichen Einfluss auf die<br />

Verteilung der Geschlechter (schwarze Pfeile). Ökologische Faktoren sind für<br />

Männchen von nachgeordneter Bedeutung (gestrichelte Pfeile)<br />

bestimmt. Für Weibchen ist der Zugang zu Ressourcen in der Regel der die<br />

Fortpflanzung limitierende Faktor, wohingegen der Fortpflanzungserfolg<br />

von Männchen durch den Zugang zu rezeptiven Weibchen begrenzt wird.<br />

Das sozioökologische Modell geht daher davon aus, dass sich das Verhalten<br />

von Weibchen primär in Bezug auf die ökologischen Faktoren Ressourcenverteilung<br />

und Prädationsrisiko ausrichtet und dass die Verteilung<br />

der Männchen sich in einem zweiten Schritt der gegebenen Verteilung der<br />

Weibchen anpasst (Emlen u. Oring 1977). Männchen können sich außerdem<br />

aufgrund von zwei sozialen Gründen permanent mit Weibchen zusammenschließen:<br />

entweder hat väterliche Jungenfürsorge einen positiven<br />

Einfluss auf den männlichen Fortpflanzungserfolg oder sie können dadurch<br />

das Infantizidrisiko für ihren Nachwuchs reduzieren.<br />

Eine Grundannahme des sozioökologischen Modells über die Bedeutung<br />

der vielfältigen Vorteile der Gruppenbildung in Bezug auf die Reduktion<br />

des Prädationsrisikos wurde bereits ausführlich besprochen ( Kap. 6.3).<br />

Eine zweite Grundannahme betrifft die Beziehung zwischen Ressourcenverteilung<br />

und der daran angepassten Verteilung von Individuen. Hierzu<br />

gibt es zwei Hypothesen. Die erste basiert auf Überlegungen zur optimalen<br />

Territoriumsgröße ( Kap. 5.5). Nahrung, Wasser sowie Schutzund<br />

Ruheplätze stellen demnach die entscheidenden Ressourcen dar, deren


494 11 Sozialsysteme<br />

Verteilung in Raum und Zeit dafür ausschlaggebend sind, ob Tiere allein,<br />

in Paaren oder in größeren Gruppen ein Territorium verteidigen, das für<br />

alle ausreichend Ressourcen bereithält (Johnson et al. 2002). Dabei ist die<br />

gleichzeitige Betrachtung der Verteilung der Ressourcen sowohl im Raum<br />

als auch in der Zeit notwendig.<br />

Eine zentrale Annahme dieser Ressourcendispersions-Hypothese besteht<br />

darin, dass es bei fleckenhafter Verteilung einer Ressource für ein<br />

Individuum notwendig ist, eine größere Gesamtfläche zu verteidigen, als<br />

dies für die Befriedigung des eigenen Bedarfs notwendig ist. Daher ist es<br />

ohne wesentlich größere Kosten für ein zweites Individuum möglich, im<br />

selben Gebiet Zugang zu ausreichend vielen Ressourcen zu gewinnen. Die<br />

Territoriumsgröße wird demnach also durch die Ressourcenverteilung<br />

bestimmt, wohingegen die Gruppengröße unabhängig davon durch die<br />

Ressourcenqualität festgelegt wird. Nach dieser Hypothese kann Gruppenleben<br />

zunächst ohne besondere Vorteile entstehen, weil durch diesen Zusammenhang<br />

die Kosten des Zusammenlebens entscheidend reduziert<br />

werden. In einem Experiment mit Heckenbraunellen (Prunella modularis)<br />

führte räumlich-zeitlich unvorhersagbare Zusatzfütterung tatsächlich dazu,<br />

dass Weibchen kleine, exklusive Territorien aufgaben und mit 1–3 anderen<br />

Weibchen ein gemeinsames Gebiet nutzten (Davies u. Hartley 1996).<br />

Eine zweite einflussreiche Hypothese (female-bonding-Hypothese)<br />

stellt die Vorteile der gemeinsamen Ressourcenverteidigung in den Mittelpunkt.<br />

Demnach ist es bei bestimmten Kombinationen von Ressourceneigenschaften<br />

vorteilhaft, diese zu verteidigen. Dabei handelt es sich vor<br />

allem um mittelgroße, hoch konzentrierte Nahrung, die räumlich und zeitlich<br />

ungleichmäßig und unvorhersagbar verteilt ist und Interferenzkonkurrenz<br />

wahrscheinlich macht ( Kap. 5.4). Wenn die gemeinsame Verteidigung<br />

von Ressourcen durch mehrere Weibchen in dieser Situation<br />

vorteilhaft ist, bilden sich Gruppen von Weibchen (female-bonded groups;<br />

Wrangham 1980), da Gruppen kooperierender Weibchen besser in der<br />

Lage sind, diese Ressourcen zu monopolisieren, als solitäre oder nichtkooperierende<br />

Weibchen. Die resultierenden Kosten der Nahrungskonkurrenz<br />

innerhalb der Gruppe werden demnach durch die Vorteile aufgewogen,<br />

die aus der gemeinsamen Verteidigung der Nahrung gegenüber<br />

anderen Gruppen entstehen. Die Vorteile der gemeinsamen Verteidigung<br />

werden durch Verwandtenselektion verstärkt, wenn sich verwandte Tiere<br />

zusammenschließen. Indirekte Tests dieser Hypothese fokussierten vor<br />

allem auf die Bedeutung der Konkurrenz zwischen Gruppen bei Primaten<br />

und Raubtieren (Wrangham et al. 1993) sowie auf die Populationswachstumsrate,<br />

mit der man die Effekte von Konkurrenz innerhalb und zwischen<br />

Gruppen vergleichen kann (van Schaik 1983).


11.1 Soziale Organisation 495<br />

Die Annahmen des sozioökologischen Modells über geschlechtsspezifische<br />

Determinanten von Verteilungsmustern wurden experimentell an<br />

Graurötelmäusen (Clethrionomys rufocanus) untersucht, indem die Verteilung<br />

von Individuen und Ressourcen manipuliert wurde (Ims 1988). Dazu<br />

wurden auf einer kleinen Insel zunächst die Aktionsräume von Männchen<br />

und Weibchen bestimmt. Als danach zusätzliches Futter an bestimmten<br />

Stellen ausgebracht wurde, kollabierten die Streifgebiete der weiblichen<br />

Graurötelmäuse um diese Futterstellen herum. Die Männchen verlagerten<br />

ihre Streifgebiete aber auch in dieselben Gebiete. Um herauszufinden, ob<br />

die Männchen den Weibchen folgten oder ob sie ebenfalls durch das Futter<br />

angelockt wurden, verteilte Ims entweder Männchen oder Weibchen in unterschiedlichen<br />

Mustern in Drahtkäfigen über die Insel, während die Mitglieder<br />

des anderen Geschlechts beobachtet wurden. Wenn Weibchen in<br />

Käfigen weiträumig verteilt wurden, folgten die Männchen und überlagerten<br />

ihre Aktivitätsgebiete mit denen der Weibchen. Wenn die Weibchen nahe<br />

beieinander aufgestellt wurden, konzentrierten sich die Aktivitäten der<br />

Männchen auf diese Stellen. Als dagegen die Verteilung der Männchen<br />

manipuliert wurde, änderte sich die räumliche Aktivität der Weibchen<br />

nicht. Diese Weibchen orientieren sich in ihrer räumlichen Verteilung also<br />

tatsächlich an der Verteilung der Ressourcen, wohingegen Männchen der<br />

Verteilung der Weibchen folgen.<br />

11.1.2 Organisationsformen<br />

Die Vielfalt sozialer Organisationsformen kann in drei Kategorien eingeteilt<br />

werden: Tiere können solitär, in Paaren oder in Gruppen leben. Eine<br />

grundsätzliche Unterscheidung besteht darin, einzelgängerische Tiere von<br />

allen anderen zu unterscheiden, bei denen mindestens zwei Artgenossen<br />

dauerhaft assoziiert sind. Dabei liegt das Augenmerk immer auf den Adulten,<br />

da Gruppen aus Elter(n) und Nachkommen häufig nur temporär sind<br />

und einzig aus Gründen der Brutpflege existieren. Paare aus einem Männchen<br />

und einem Weibchen kann man zwar als kleinste Gruppe betrachten,<br />

aber sie bilden sich aus anderen Gründen als größere Gruppen (siehe unten),<br />

so dass es sinnvoll ist, sie getrennt zu klassifizieren. Gruppen aus<br />

mehr als zwei Individuen weisen extreme Variabilität in ihrer Größe, Kohäsion,<br />

Zusammensetzung und Anonymität auf, die vielfältige Untergruppierungen<br />

zulässt. Im Folgenden werde ich die wichtigsten Vor- und<br />

Nachteile dieser Organisationsformen besprechen, um einen Eindruck darüber<br />

zu vermitteln, warum sie im Laufe der Evolution in den verschiedensten<br />

Taxa immer wieder unabhängig voneinander entstanden sind.


496 11 Sozialsysteme<br />

(1) Solitäre Arten. Wenn Individuen während ihrer Aktivitätsphase nicht<br />

permanent mit Artgenossen assoziiert sind und ihre Bewegungen nicht<br />

direkt mit anderen koordinieren, werden sie als einzelgängerisch oder solitär<br />

bezeichnet. Natürlich kommunizieren und interagieren diese Tiere regelmäßig<br />

mit Artgenossen oder sie gruppieren sich während der Inaktivitätsphase,<br />

aber sie werden in der Regel allein angetroffen. Damit<br />

unterscheiden sie sich grundlegend von (nicht-sessilen) Tieren, die immer<br />

in Gruppen anzutreffen sind. Die Mehrzahl der Tierarten ist solitär; nennenswerte<br />

Ausnahmen finden sich aber in manchen Insektenordnungen,<br />

bei Fischen, Vögeln und manchen Säugetieren.<br />

Ein traditioneller Schwerpunkt der Verhaltensökologie bestand darin, zu<br />

erklären, warum Tiere in Gruppen leben (Bertram 1978). Dabei wurde implizit<br />

der Vergleich mit solitären Arten angestellt, aber die Evolution des<br />

Einzelgängertums wurde bislang kaum explizit untersucht. Stattdessen<br />

wird zumeist angenommen, dass entweder die potentiellen Vor- und<br />

Nachteile des Gruppenlebens zu gering bzw. zu hoch sind. Ein solitäres<br />

Leben kann aber auch unabhängige Gründe haben, da eine solitäre Lebensweise<br />

auch sekundär (d. h. von gruppenlebenden Vorfahren) entstand<br />

(Wcislo u. Danforth 1997). In Arten mit eingeschränkter Lokomotionsfähigkeit,<br />

wie z. B. Chamäleons (Chameleon chameleon: Cuadrado et al.<br />

2001), kann eine solitäre Lebensweise beispielsweise durchaus zur verbesserten<br />

Krypsis beitragen. In anderen Fällen sind dagegen potentielle Vorteile<br />

des Gruppenlebens nicht zutreffend. Für nachtaktive Arten ist erhöhte<br />

Sicherheit durch verbesserte Wachsamkeit z. B. kein Grund, Gruppen zu<br />

bilden, da Räuber von mehreren Tieren bei Nacht nicht eher oder besser<br />

entdeckt werden. Andere Arten, wie die Top-Prädatoren (Macdonald<br />

1983), sind vermutlich deshalb solitär, weil sie aufgrund ihrer Größe oder<br />

anderer Schutzmechanismen praktisch immun vor Räubern sind. Es können<br />

auch Eigenschaften der wichtigsten Nahrung eine solitäre Lebensweise<br />

fördern, wenn diese Nahrung nur allein erfolgreich aufgenommen werden<br />

kann (Carr u. Macdonald 1986). Dieser Grund trifft z. B. auf primär insektivore<br />

Arten zu, bei denen die Nahrung in der Regel nicht geteilt werden<br />

kann und Artgenossen sich bei der Suche und beim Fang eher stören, so<br />

dass eine solitäre Nahrungssuche (solitary foraging) vorteilhaft ist.<br />

Die räumliche Verteilung von solitären Tieren ist durch ein variables<br />

Maß an gegenseitiger Streifgebietsüberlappung gekennzeichnet. Die<br />

Spannbreite reicht von exklusiver Territorialität bis hin zu multiplen Überlappungen<br />

der Streifgebiete mehrerer Artgenossen (Abb. 11.3). Überlappungen<br />

zwischen den Streifgebieten von Männchen und Weibchen sowie<br />

die Existenz von exklusiven Kerngebieten sind weit verbreitet, wenn keine<br />

strikte Territorialität vorliegt (z. B. Kerr u. Bull 2006). Da bei vielen Arten<br />

die Mitglieder eines Geschlechts in ihrem Geburtsgebiet verbleiben,


11.1 Soziale Organisation 497<br />

N<br />

100 0 100<br />

Abb. 11.3. Madame Berthes Mausmaki (Microcebus berthae), der kleinste Primat<br />

der Welt, lebt nachtaktiv und solitär (Dammhahn u. Kappeler 2005). Die Streifgebiete<br />

von Männchen (blau) und Weibchen (rot) überlappen sich teilweise<br />

kommt es zu einer räumlichen Anhäufung von Verwandten, die mit genetischen<br />

Analysen erkannt werden können (z. B. McEachern et al. 2007).<br />

Selbst wenn keine strikte Philopatrie vorliegt, kann es zu einer genetischen<br />

Struktur auf Populationsebene kommen, d. h. Individuen sind<br />

nicht zufällig verteilt, sondern räumliche und genetische Abstände zwischen<br />

Individuen sind miteinander korreliert (z. B. Matocq u. Lacey 2004).<br />

(2) Paare. Die kleinste soziale Einheit besteht aus einem Männchen und<br />

einem Weibchen, die sich assoziieren und ihre Aktivitäten und Bewegungen<br />

miteinander koordinieren (Abb. 11.4). Bei Insekten sind Paare in der<br />

Regel meist kurzlebig (Prokopy u. Roitberg 2001); bei anderen Arten können<br />

Paare aber lebenslang zusammen bleiben (z. B. Albatrosse: Bried et al.<br />

2003). Eine weitere Unterscheidung existiert zwischen seriellen und permanenten<br />

Paaren, je nachdem ob Paare nur für eine Saison oder mehrere<br />

Brutzyklen zusammenbleiben. Serielle Paarbildung ist bei einem verschobenen<br />

operationalen Geschlechterverhältnis und bei großer Variabilität in<br />

der Partnerqualität zu erwarten (Maness u. Anderson 2007). „Scheidungen“<br />

können aber auch durch Vertreibungen durch Dritte erfolgen (Jeschke<br />

et al. 2007). Auf der Verhaltensebene gibt es zudem Variabilität in der Kohäsion<br />

der Paarpartner, da es neben räumlich kohäsiven auch disperse Paare<br />

gibt, die zwar gemeinsam ein Territorium verteidigen, aber selten zusammen<br />

anzutreffen sind (Schülke u. Kappeler 2003). Paarlebende Arten<br />

sind häufig territorial und zeigen die Paarbindung durch stereotype Verhaltensweisen<br />

an, wie zum Beispiel durch vokale Duette (Logue 2007).


498 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.4. Fettschwanzmakis<br />

(Cheirogaleus medius)<br />

sind paarlebende Lemuren,<br />

die viele konvergente<br />

Anpassungen an das Paarleben<br />

zeigen, die für andere<br />

paarlebende Säugetiere<br />

charakteristisch sind<br />

Da Paare eine Fortpflanzungseinheit darstellen, werden die Ursachen<br />

des Paarlebens zumeist direkt oder indirekt mit Fortpflanzungsvorteilen in<br />

Zusammenhang gebracht. Trotzdem muss konsequent zwischen Paarleben<br />

und Monogamie unterschieden werden, da es bei vielen paarlebenden Arten<br />

regelmäßig zu Kopulationen außerhalb des Paarverbundes (extra-pair<br />

copulations Kap. 11.2) kommt (Petrie u. Kempenaers 1998). Aufgrund<br />

der Konsequenzen der Anisogamie ( Kap. 7.3), ist Paarleben aus Sicht<br />

der Männchen erklärungsbedürftig. Um die Frage nach den selektiven<br />

Zwängen, die ein Leben in Paaren begünstigen, zu beantworten, wurden<br />

mehrere Hypothesen postuliert. Allerdings herrscht über die relative Bedeutung<br />

einzelner Faktoren noch wenig Klarheit. Folglich ist zu erwarten,<br />

dass nicht nur verschiedene Arten aus unterschiedlichen Gründen paarlebend<br />

sind, sondern dass auch die Geschlechter einer Art aus unterschiedlichen<br />

Gründen sich in dieser Art und Weise organisieren.<br />

Als wichtiger Grund, warum sich Männchen auf nur eine Sozial- bzw.<br />

Paarungspartnerin beschränken, wird angenommen, dass die direkte elterliche<br />

Fürsorge beider Paarpartner für das Überleben des Nachwuchses<br />

essentiell ist (Fische: DeWoody et al. 2000; Vögel: Møller 2000). Dieser<br />

Aspekt ist insbesondere in Bezug auf männliche Jungenfürsorge entscheidend,<br />

da diese bei Arten mit interner Fertilisation nicht zu erwarten ist<br />

( Kap. 10.2). Männchen sollten ihre Partnerin und Brut nicht verlassen,<br />

um in eine weitere Brut zu investieren, wenn die resultierende Reduktion<br />

des Fortpflanzungserfolgs mit der aktuellen Brut größer ist als mögliche<br />

Zugewinne mit einer weiteren Brut. Obligate biparentale Jungenfürsorge<br />

und hohe Hürden für das Verlassen der Brut können Paarleben daher<br />

prinzipiell erklären (Gubernick 1994). Bei Vögeln leben die meisten Arten<br />

(> 92%) vermutlich aus diesem Grund in Paaren. Bei paarlebenden Säugetieren<br />

gibt es dafür aber bislang meist nur indirekte Befunde (Gubernick u.<br />

Teferi 2000). So haben zum Beispiel paarlebende Caniden im Vergleich zu


11.1 Soziale Organisation 499<br />

nicht paarlebenden Arten eine durchschnittlich höhere Anzahl an Nachkommen<br />

(Geffen et al. 1996). Die inhaltlich damit zusammenhängende<br />

Ressourcenverteidigungs-Hypothese geht davon aus, dass Männchen indirekt<br />

die Überlebenschancen der Nachkommen erhöhen, indem sie maßgeblich<br />

ein Territorium und die darin enthaltenen Ressourcen für den<br />

Nachwuchs und die Paarpartnerin verteidigen.<br />

Als weitere Ursache des Paarlebens wird die aus Sicht der Männchen<br />

ungünstige Verteilung rezeptiver Weibchen in Raum und Zeit angesehen.<br />

Wenn Weibchen räumlich weit verteilt sind, hat ein Männchen aufgrund<br />

des ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Verteidigung nicht die<br />

Möglichkeit, mehr als ein Weibchen zu monopolisieren. Die Mateguarding-Hypothese<br />

geht davon aus, dass die Paarbildung dadurch zustande<br />

kommt, dass Männchen sich einem Weibchen anschließen, um<br />

dieses gegen Rivalen zu verteidigen (Komers u. Brotherton 1997). Bei<br />

einer verstreuten Weibchenverteilung sollte die Monopolisierung eines<br />

Weibchens die beste Strategie zur Maximierung des männlichen Reproduktionserfolges<br />

sein. Insbesondere bei einem zu Gunsten der Männchen<br />

verschobenen Geschlechterverhältnis könnten Männchen so Extra-pair-<br />

Kopulationen der Weibchen verhindern oder zumindest die Möglichkeit<br />

der Weibchen, Informationen über fremde Männchen zu erhalten, vermindern.<br />

Diese Hypothese postuliert keine Vorteile für die Weibchen. Es<br />

wird stattdessen angenommen, dass Weibchen die Präsenz der Männchen<br />

tolerieren, weil diese Toleranz weniger aufwändig ist, als Männchen andauernd<br />

zu vertreiben (Fuentes 2000). Bei manchen Arten (z. B. Tannenzapfenechsen,<br />

Tiliqua rugosa) ist die Bewachung, und damit das Paarleben,<br />

nur auf ein paar Wochen vor der jährlichen Paarungszeit beschränkt<br />

(Bull 2000).<br />

Auch bei starker Synchronität der Fortpflanzungsaktivität der Weibchen<br />

können Männchen gezwungen sein, sich auf ein Weibchen zu beschränken<br />

(Weatherhead u. Yezerinac 1998). Hier entsteht für Männchen<br />

mit zunehmender Synchronität der Fortpflanzungsaktivität benachbarter<br />

Weibchen ein Dilemma, weil sie ihre Paarpartnerin nicht unbewacht lassen<br />

können, ohne selbst eine Fremdvaterschaft zu riskieren (Kokko u. Morell<br />

2005). Die Bewachung von Weibchen kann auch zur permanenten Assoziation<br />

von Paarpartnern führen, wenn die Rezeptivität der Weibchen, wie<br />

bei Knallkrebsen (Alpheus angulatus), lange andauert (Mathews 2002).<br />

Die Infantizid-Hypothese postuliert, dass sich Männchen mit einem<br />

Weibchen assoziieren, um den gemeinsamen Nachwuchs vor Infantizid<br />

durch fremde Männchen zu schützen (van Schaik u. Kappeler 1997). Für<br />

Männchen kann die Strategie, bei einem Weibchen zu bleiben und deren<br />

abhängigen Nachwuchs zu verteidigen, bei einer hohen Vaterschaftswahrscheinlichkeit<br />

durchaus vorteilhaft sein (Palombit 1999). Die Infantizid-


500 11 Sozialsysteme<br />

Hypothese wurde zur Erklärung von Paarleben bei Gibbons (Hylobatidae)<br />

plausibel diskutiert (Reichard 2003).<br />

Die Optimale-Gruppengröße-Hypothese geht schließlich davon aus,<br />

dass Paarleben unter bestimmten ökologischen Gegebenheiten den besten<br />

Kompromiss zwischen erhöhter Sicherheit gegenüber Räuberdruck einerseits<br />

und Kosten in der Effizienz der Nahrungsbeschaffung andererseits<br />

darstellt. Große Gruppen bieten zwar einen verbesserten Schutz gegenüber<br />

Prädatoren, aber gleichzeitig steigt die Nahrungskonkurrenz innerhalb der<br />

Gruppe. So sollten vor allem bei gleichmäßig verteilten kleinen Ressourcen<br />

und relativ geringem Prädationsdruck die Gruppen klein sein, um lange<br />

Wanderstrecken und Konflikte innerhalb der Gruppe zu minimieren<br />

(Janson u. Goldsmith 1995).<br />

(3) Gruppen. Arten, bei denen drei oder mehr adulte Individuen permanent<br />

assoziiert sind, werden als gruppenlebend bezeichnet. Innerhalb der<br />

gruppenlebenden Arten kann man in Bezug auf deren Stabilität und Anonymität<br />

mehrere Kategorien unterscheiden. Gruppen können sich bilden,<br />

weil Tiere durch Wind- oder Wasserströmungen passiv an bestimmte Orte<br />

verdriftet werden, ohne dass dies mit besonderen Vorteilen verbunden ist.<br />

Ebenso können sie durch andere Außenfaktoren temporär an einem Ort<br />

angehäuft werden (z. B. Geier an einem Aas). Diese Gruppen werden<br />

als Konglobationen bezeichnet. Wenn es zu temporären Ansammlungen<br />

kommt, in denen sich Individuen nicht individuell kennen, handelt es sich<br />

um anonyme Zweckgemeinschaften oder Aggregationen, die ökologische<br />

oder soziale Ursachen haben können. Möwen, die an einer dafür besonders<br />

geeigneten Stelle brüten (Rissa tridactyla: Danchin et al. 1998), und Frösche,<br />

die sich an einem Teich zur Paarung treffen (Physalaemus pustulosus:<br />

Marsh et al. 2000), sind Beispiele für diese Ursachen. In Gesellschaften<br />

findet ständig reziproke Kommunikation zwischen individuell<br />

bekannten Tieren statt. Ihre Mitglieder sind auch häufig durch Kooperation<br />

und Brutpflege charakterisiert und beziehen Vorteile daraus, dass sich stabile<br />

Dominanzbeziehungen etablieren können (Barber u. Ruxton 2000).<br />

Viele gruppenlebende Säugetiere fallen in diese Kategorie. Die Kolonien<br />

eusozialer Arten können davon unterschieden werden, da sie zusätzlich<br />

durch Arbeitsteilung charakterisiert sind (Costa u. Fitzgerald 1996).<br />

Das Leben in Gruppen hat mehrere Vorteile, die als ultimate Faktoren in<br />

verschiedenen Kombinationen zur vielfach unabhängigen Evolution dieser<br />

Form der sozialen Organisation geführt haben. Die wichtigsten Vorteile<br />

des Gruppenlebens wurden im Kontext des Nahrungsverhaltens und Räubervermeidungsverhaltens<br />

bereits ausführlich besprochen ( Kap. 5 und 6).<br />

Sie werden daher an dieser Stelle nur kurz in diesem Zusammenhang<br />

erwähnt und ergänzt (Tabelle 11.1). Die wichtigsten Vorteile basieren auf


11.1 Soziale Organisation 501<br />

Tabelle 11.1. Die wichtigsten Vor- und Nachteile des Gruppenlebens<br />

Leben in Gruppen<br />

Vorteile<br />

• Verdünnungseffekt<br />

• Verwirrungseffekt<br />

• Räuberentdeckung<br />

• geteilte Wachsamkeit<br />

• Räuberabwehr<br />

• Nahrungssuche<br />

• Ressourcenverteidigung<br />

• Informationstransfer<br />

• Energie sparen<br />

• Kooperation<br />

Nachteile<br />

• Auffälligkeit<br />

• Nahrungskonkurrenz<br />

• größere Streifgebiete<br />

• Fortpflanzungskonkurrenz<br />

• Pathogentransfer<br />

• Verwandtenkonkurrenz<br />

mehreren Mechanismen zur Verringerung des Prädationsrisikos. Aufgrund<br />

des Verdünnungseffekts reduziert sich das individuelle Risiko, von einem<br />

Räuber ausgewählt zu werden, umgekehrt proportional zur Gruppengröße<br />

(Sword et al. 2005). Angreifende Räuber können auch durch die Vielzahl<br />

der potentiellen Beutetiere verwirrt werden (Schradin 2000). Mit zunehmender<br />

Gruppengröße steigt die Zahl der Augen und Ohren (oder anderer<br />

an der Räuberentdeckung beteiligter Sinnesorgane) und damit die Wahrscheinlichkeit,<br />

einen herannahenden Räuber frühzeitig zu entdecken (Elgar<br />

1989). Ein Vergleich innerhalb einer Art (Weißrüssel-Nasenbären, Nasua<br />

narica), in denen Individuen solitär oder gruppenlebend sein können, zeigte,<br />

dass solitäre Tiere viel häufiger gefressen werden und dass das Prädationsrisiko<br />

mit zunehmender Gruppengröße abnimmt (Hass u. Valenzula<br />

2002). Die erhöhte Gesamtwachsamkeit erlaubt es Individuen, ihre individuelle<br />

Wachsamkeit zu reduzieren und die dadurch gewonnene Zeit zum<br />

Fressen oder für soziale Aktivitäten zu nutzen (Roberts 1996). Tiere in<br />

Gruppen sind auch besser in der Lage, sich aktiv gegen Räuber zu wehren,<br />

als einzelne Individuen (Lingle 2001).<br />

Gruppen können auch Nahrung effektiver finden, erschließen oder verteidigen<br />

als einzelne Tiere (Rubenstein u. Wrangham 1986) und Informationen<br />

über die Lage von Nahrung (Sonerud et al. 2001) oder geeignete<br />

Schlafplätze (Kerth u. Reckardt 2003) austauschen. Für warmblütige Tiere<br />

bieten Gruppen auch die Möglichkeit, durch die Bildung von „Kuschelgruppen“<br />

Energie bei der Wärmeproduktion zu sparen (Arnold 1990). An-


502 11 Sozialsysteme<br />

dere energetische Vorteile entstehen bei der koordinierten Fortbewegung in<br />

Gruppen von fliegenden oder schwimmenden Tieren aufgrund aero- bzw.<br />

hydrodynamischer Vorteile (Parrish u. Edelstein-Keshet 1999). Schließlich<br />

stellt die Gruppenbildung eine Voraussetzung dafür dar, dass Verwandte<br />

zusammenleben und miteinander kooperieren können.<br />

Da nicht alle Tiere in Gruppen leben, müssen diese Vorteile auch durch<br />

verschiedene Nachteile in Schach gehalten werden. Zunächst sind Gruppen<br />

von Tieren auffälliger und für Raubfeinde leichter zu entdecken<br />

(Hebblewhite u. Pletscher 2002). Außerdem ist es unvermeidbar, dass mit<br />

zunehmender Gruppengröße die Konkurrenz um Nahrung und andere Ressourcen<br />

ansteigt (Dubois et al. 2003). Zudem müssen mit zunehmender<br />

Gruppengröße größere Streifgebiete genutzt werden, um die Pro-Kopf-<br />

Energieaufnahmerate konstant zu halten. Längere Tageswegstrecken sind<br />

mit erhöhtem Energieverbrauch für die Fortbewegung und mit weniger<br />

Zeit zum Fressen verbunden (Janson u. Goldsmith 1995). Innerhalb von<br />

Gruppen kann es auch zu Konkurrenz um Fortpflanzung und damit zur<br />

Ungleichverteilung des Fortpflanzungserfolgs (reproductive skew) kommen.<br />

In Gruppen kann auch die Wahrscheinlichkeit, dass von Artgenossen<br />

Parasiten und Pathogene übertragen werden, erhöht sein (Côté u. Pulin<br />

1995). Da in vielen Gruppen die Mitglieder eines Geschlechts philopatrisch<br />

sind (siehe unten), kommt es unweigerlich zu Konkurrenz zwischen<br />

Verwandten, wobei die resultierenden Nachteile durch den Verwandtschaftskoeffizienten<br />

verstärkt werden (West et al. 2001).<br />

Eine elegante Möglichkeit, den Trade-off zwischen Vor- und Nachteilen<br />

des Gruppenlebens zu lösen, besteht darin, gemischte Gruppen mit Mitgliedern<br />

anderer Arten (mixed-species groups) zu bilden. Aufgrund der<br />

unterschiedlichen nahrungsökologischen Einnischung werden dadurch vor<br />

allem die zusätzlichen Kosten der Nahrungskonkurrenz kontrolliert, wohingegen<br />

die Vorteile des erhöhten Prädationsschutzes in den so vergrößerten<br />

Gruppen uneingeschränkt wahrgenommen werden können. Zudem<br />

bringen die beteiligten Arten zumeist spezifische Anpassungen und Fertigkeiten<br />

zur Prädationsvermeidung mit, so dass der gemeinsame Vorteil aus<br />

der Assoziation über die passiven Effekte der Erhöhung der Gruppengröße<br />

hinausgehen (Heymann u. Buchanan-Smith 2000). Ein eigennütziger Vorteil<br />

für die Teilnahme an einer gemischten Gruppe kann darin bestehen,<br />

dass Räuber die Mitglieder der anderen Art als Beute bevorzugen (Fitzgibbon<br />

1990). Assoziationen mit einseitigen Vorteilen können auch stabil<br />

sein, wenn sie umgekehrt mit keinen erkennbaren Kosten verbunden sind<br />

(Waterman u. Roth 2007). Die Bildung von Gruppen mit Mitgliedern aus<br />

mehr als zwei Arten findet sich u. a. bei Fischen, Vögeln und Säugetieren.


11.1 Soziale Organisation 503<br />

(3a) Gruppengröße. Eine evolutionäre Abwägung der Vor- und Nachteile<br />

des Gruppenlebens kann grundsätzlich den Ausschlag darüber geben, ob<br />

sich Tiere in Gruppen organisieren oder nicht. Diese Entscheidung kann<br />

bei einzelnen Arten durchaus zwischen Populationen oder innerhalb von<br />

Populationen über die Zeit variieren (Box 11.1). Vor dem Hintergrund der<br />

verschiedenen Vor- und Nachteile des Gruppenlebens stellt sich aber auch<br />

bei gruppenlebenden Tieren die Frage nach der optimalen Gruppengröße,<br />

bei der die Differenz zwischen Vor- und Nachteilen maximal ist<br />

(Pulliam u. Caraco 1984). Bei unterschiedlicher Bedeutung einzelner Faktoren<br />

ist anzunehmen, dass die Gruppengröße an das lokale Verhältnis von<br />

Vor- und Nachteilen angepasst wird. Veränderungen in der Gruppengröße<br />

und Zusammensetzung sind proximat auf vier Faktoren zurückzuführen.<br />

Gruppen können durch Geburt und Immigration vergrößert sowie durch<br />

Tod und Emigration verkleinert werden. In den meisten Fällen, d. h. wenn<br />

es sich nicht um sehr kurzlebige Assoziationen handelt, können diese Faktoren<br />

als demografische Variablen über definierte Zeiträume gemessen<br />

werden. Vorhersagen über die optimale Gruppengröße unter verschiedenen<br />

Bedingungen werden auch mit Hilfe theoretischer Modelle untersucht<br />

(z. B. Hamilton 2000).<br />

Zu den ultimaten Determinanten der Gruppengröße gehören mehrere<br />

ökologische und soziale Faktoren. Die zeitliche und räumliche Verteilung<br />

von Ressourcen sollte einen wichtigen Einfluss auf die Gruppengröße haben<br />

(Giraldeau u. Beauchamps 1999). Die Größe einer Nahrungsressource<br />

(patch) kann die Anzahl der Tiere, die gleichzeitig darin fressen<br />

können, allein limitieren. Die Dichte und Verteilung der patches haben<br />

einen indirekten Effekt auf die Gruppengröße, der durch ihren Bezug zu<br />

den energetischen Kosten der Nahrungssuche vermittelt wird. Die räumliche<br />

Verteilung sollte dabei die wichtigste Rolle spielen; wenn Ressourcen<br />

geklumpt vorkommen, sollten Tiere unabhängig von der Größe und Dichte<br />

der Ressourcen große Gruppen bilden, da die Fortbewegungskosten geringer<br />

sind als bei gleichmäßiger Verteilung. Bei gleichmäßiger Verteilung<br />

hat die Dichte der Ressourcen einen wichtigeren Einfluss als deren Größe,<br />

da sie die Fortbewegungskosten stärker beeinflusst. Kleinere Gruppen sollten<br />

daher vorteilhaft sein, wenn einzelne Ressourcen klein und schnell erschöpft<br />

sind sowie in geringer Dichte und räumlich geklumpt vorkommen<br />

(Chapman et al. 1995).<br />

Die zeitliche Variabilität der Ressourcenverfügbarkeit, die durch ihre<br />

Vorhersagbarkeit ausgedrückt werden kann, hat schwieriger vorherzusagende<br />

Effekte auf die Gruppengröße. Wenn nämlich die Vorhersagbarkeit<br />

gering ist, erhöhen sich die Zeit und Strecke, die für das Suchen einer<br />

Ressource investiert werden müssen. Damit erhöhen sich auch die Kosten<br />

der Fortbewegung, was die Bildung kleinerer Gruppen fördern kann. An-


504 11 Sozialsysteme<br />

Box 11.1<br />

Intraspezifische Variabilität in der sozialen Organisation<br />

• Frage: Unterscheiden sich Populationen der afrikanischen Striemengrasmaus<br />

(Rhabdomys pumilio) in verschiedenen Habitaten in ihrer sozialen<br />

Organisation?<br />

• Hintergrund: Soziale Flexibilität bei Nagern wurde bislang hauptsächlich<br />

beim Vergleich zwischen wilden und Gefangenschaftspopulationen beschrieben.<br />

Striemengrasmäuse bewohnen ökologisch sehr unterschiedliche<br />

Habitate im südlichen Afrika. Das sozioökologische Modell sagt für diesen<br />

Fall Unterschiede in der sozialen Organisation voraus.<br />

• Methode: In zwei südafrikanischen Populationen (eine in einem Trockengebiet,<br />

die andere in feuchtem Grasland) wurden R. pumilio gefangen,<br />

markiert und besendert. Mit den gewonnenen Radiopeil-Daten wurden die<br />

Größe und Lage der einzelnen Streifgebiete bestimmt.<br />

50 m<br />

50 m<br />

Männchen<br />

Weibchen<br />

• Ergebnis: Tiere im feuchten Habitat schlafen alleine und haben große,<br />

kaum überlappende Streifgebiete (links). Im trockenen Gebiet leben<br />

Striemengrasmäuse in kleinen Gruppen bestehend aus einem Männchen<br />

und mehreren Weibchen, die bis zu 10-mal kleinere, stark gegenseitig<br />

überlappende Streifgebiete haben (rechts).<br />

• Schlussfolgerung: Die beschriebenen Unterschiede in der sozialen Organisation<br />

zwischen Populationen stellen Anpassungen an unterschiedliche<br />

lokale Bedingungen in Bezug auf Nahrungsverfügbarkeit, Populationsdichte<br />

und Thermoregulation dar, die aber noch nicht im Einzelnen bestimmt<br />

sind.<br />

Schradin u. Pillay 2005 (siehe auch www.stripedmouse.com)


11.1 Soziale Organisation 505<br />

dererseits können mehrere Tiere unter Umständen auch in der Lage sein,<br />

eine neu verfügbare Ressource schneller zu entdecken, so dass bei geringer<br />

Vorhersagbarkeit auch die Bildung größerer Gruppen begünstigt sein kann.<br />

Die relative Bedeutung der beiden Prozesse hängt daher entscheidend von<br />

der Art der Ressource ab (Chapman et al. 1995).<br />

Der Schutz vor Raubfeinden ist ein zweiter ökologischer Faktor, der die<br />

Gruppengröße beeinflusst. Mit zunehmendem Prädationsrisiko sollte die<br />

Gruppengröße aufgrund der vielen diesbezüglichen Vorteile zunehmen. In<br />

einem Experiment mit Gestreiften Topelritzen (Fundulus diaphanus) vergrößerte<br />

sich tatsächlich die durchschnittliche Schwarmgröße, wenn durch<br />

Zugabe eines Schreckstoffs die Präsenz eines Räubers simuliert wurde<br />

(Hoare et al. 2004). Diese Hypothese kann auch durch Vergleiche von Populationen<br />

mit unterschiedlichem Prädationsrisiko überprüft werden. So<br />

leben beispielsweise Javaneraffen (Macaca fascicularis) in Sumatra in fast<br />

doppelt so großen und trotzdem sehr viel kompakteren Gruppen als ihre<br />

Artgenossen auf einer kleinen vorgelagerten Insel ohne Raubkatzen (van<br />

Schaik u. van Noordwijk 1985). Da die Habitate dieser Makaken in beiden<br />

Gebieten ansonsten weitgehend identisch sind, müssen in diesem Fall die<br />

Vorteile durch den verbesserten Räuberschutz größer sein als die Nachteile<br />

höherer Lokomotionskosten und intensiverer Nahrungskonkurrenz. Ein<br />

Vergleich der Gruppengrößen von 46 Vogelarten zwischen Festlands- und<br />

Inselpopulationen zeigte ebenfalls durchgehend reduzierte Gruppengrößen<br />

auf Inseln mit reduziertem Prädationsrisiko (Beauchamp 2004).<br />

Modelle der optimalen Gruppengröße, die nur die Zahl der Individuen<br />

berücksichtigen, sind aber zu vereinfachend, da es Unterschiede zwischen<br />

Gruppenmitgliedern gibt, die deren Vorstellung über die optimale Gruppengröße<br />

beeinflussen sollten. Solche Unterschiede bestehen in Bezug auf<br />

Geschlecht, Alter, Fortpflanzungszustand, Verwandtschaftsgrad und Dominanzstatus.<br />

So gelingt es beispielsweise dominanten Tieren, ihren Zugang<br />

zu Ressourcen, ihren Fortpflanzungserfolg oder ihre Sicherheit auf<br />

Kosten der subordinaten Gruppenmitglieder zu erhöhen (Polo u. Bautista<br />

2002). Die Kosten und Nutzen der Gruppenmitgliedschaft unterscheiden<br />

sich deshalb für dominante und subordinate Tiere und es sollte einen Interessenskonflikt<br />

zwischen ihnen über die Größe und Zusammensetzung der<br />

Gruppe geben.<br />

Man kann sich daher fragen, warum subordinate Tiere sich mit ihrer<br />

Situation abfinden und nicht in eine andere Gruppe wechseln, in der sie<br />

vielleicht einen höheren Status erreichen können. Sind die Kosten eines<br />

solchen Wechsels zu hoch oder werden die Kosten ihres niedrigen Rangs<br />

anderweitig kompensiert? Andererseits könnten Dominante auch ein Interesse<br />

am Verbleib der Subordinaten haben, falls größere Gruppen besser in<br />

der Lage sind, Räuber zu entdecken oder mit anderen Gruppen zu konkur-


506 11 Sozialsysteme<br />

rieren. Man sollte daher Unterschiede im Grad des Despotismus der Dominanten<br />

erwarten ( concession models, Kap. 8.4). Ein ähnlicher Konflikt<br />

kann innerhalb und zwischen den Geschlechtern über die optimale<br />

Zahl von Männchen bzw. Weibchen existieren (siehe unten).<br />

Die Fitnesskonsequenzen unterschiedlicher Gruppengrößen wurden in<br />

mehreren Studien auf indirekte Weise abgeschätzt. So nimmt beispielsweise<br />

die individuelle Fortpflanzungsrate von Primatenweibchen mit der<br />

Gruppengröße ab (van Noordwijk u. van Schaik 1999), woraus man schließen<br />

kann, dass die untere Gruppengröße durch die Räubervermeidung und<br />

die obere Gruppengröße durch die Intensität der Nahrungskonkurrenz<br />

innerhalb von Gruppen bestimmt wird (van Schaik 1983).<br />

In einer Studie von Gelbaugenjuncos (Juncos phaeonotus), die sich im<br />

Winter zu Fressgruppen zusammenschließen, wurden Zeitbudgets bestimmt,<br />

um den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Gruppengröße zu<br />

untersuchen (Caraco et al. 1980). Drei sich gegenseitig ausschließende<br />

Verhaltensweisen können benutzt werden, um das Räuberrisiko und das<br />

Risiko zu verhungern bei diesen Vögeln über Zeitbudgets abzuschätzen:<br />

Wachsamkeit, Fressen und Kämpfen (um Futter). Dabei sollte die Zeit, die<br />

ein Tier mit Wachsamkeit verbringt, mit zunehmender Gruppengröße abnehmen,<br />

die Häufigkeit von Kämpfen mit der Gruppengröße zunehmen<br />

und bei einer intermediären Gruppengröße daher die meiste Zeit für Fressen<br />

zur Verfügung stehen (Pulliam et al. 1982). Diese Vorhersagen wurden<br />

durch Beobachtungen weitgehend bestätigt und anschließend experimentell<br />

validiert (Caraco 1981, 1982).<br />

Diese Vögel bilden also Gruppen, weil die einzelnen Tiere mehr Zeit<br />

zum Fressen zur Verfügung haben, da sie sich die Wachsamkeit teilen. Die<br />

maximale Gruppengröße hängt von der Zeit ab, die dominante Tiere zum<br />

Vertreiben anderer zur Verfügung haben. Diese soziale Ungleichheit zwischen<br />

Gruppenmitgliedern führt auch dazu, dass nicht die für eine maximale<br />

Fressrate optimale Gruppengröße erreicht wird, da die optimale<br />

Gruppengröße für dominante und subdominante offensichtlich verschieden<br />

ist. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass Tiere in Gruppen optimaler<br />

Größe leben, da die Vorstellung von Optimalität zwischen Individuen variiert<br />

und Gruppen optimaler Größe nicht stabil sind.<br />

(3b) Gruppenzusammensetzung. Die sexuellen Strategien von Männchen<br />

und Weibchen können ebenfalls einen Einfluss auf die Zusammensetzung<br />

einer Gruppe haben. Männchen in bisexuellen Gruppen sollten daran interessiert<br />

sein, den Zugang zu Weibchen mit möglichst wenigen Rivalen teilen<br />

zu müssen ( Kap. 8.4). Männchen, die eine Gruppe von Weibchen<br />

monopolisieren, können mit einem höheren Fortpflanzungserfolg rechnen,<br />

als wenn sie den Zugang zu diesen Weibchen mit Rivalen teilen müssen.


11.1 Soziale Organisation 507<br />

Die Frage, ob eine Gruppe ein oder mehrere Männchen enthält, ist daher<br />

von grundlegender Bedeutung für die Fortpflanzungsstrategien beider Geschlechter<br />

(Kappeler 2000a). Die Zahl der Weibchen in Gruppen mit<br />

einem Männchen ist variabel; im Durchschnitt können es bis zu sechs sein,<br />

in Einzelfällen aber auch doppelt oder dreimal so viele. Solche Haremsgruppen<br />

finden sich unter anderen bei manchen Fledermäusen (Heckel u.<br />

von Helversen 2003), Pferden (Asa 1999), Zebras (Klingel 1975) und Primaten<br />

(Kappeler u. van Schaik 2002). Auch wenn keine Monopolisierung<br />

durch ein Männchen stattfindet, ist aufgrund der letalen Konsequenzen der<br />

Konkurrenz zwischen Männchen das sekundäre Geschlechterverhältnis<br />

vieler Gruppen zu Gunsten der Weibchen verschoben (Mitani et al. 1996).<br />

Weibchen könnten aber ein Interesse daran haben, mehr Männchen in<br />

der Gruppe zu haben, als für die Männchen optimal ist. Das wäre zu erwarten,<br />

weil Weibchen so mehr Auswahl bei der Partnerwahl haben und weil<br />

sie ihnen als mögliche Koalitionspartner, als Helfer bei der Jungenaufzucht<br />

oder als zusätzliche Wachposten bei der Räuberentdeckung nützlich sein<br />

können (Kappeler 2000b). Es kann also einen Konflikt zwischen den Geschlechtern<br />

über die Gruppenzusammensetzung geben. Bei Heckenbraunellen<br />

(Prunella modularis) haben die Weibchen beispielsweise ein Interesse<br />

an einem zusätzlichen Männchen, das sich an der Jungenfürsorge<br />

beteiligt, wohingegen Männchen ein zusätzliches Weibchen bevorzugen,<br />

mit dem sie eine zweite Brut beginnen können (Davies 1985). Als Ergebnis<br />

dieses Konflikts finden sich bei Heckenbraunellen sowohl Paare, Trios<br />

mit zwei Männchen oder Weibchen als auch Gruppen aus zwei Paaren.<br />

Bei Primaten scheinen Weibchen diesen Konflikt häufig zu gewinnen.<br />

Van Schaik u. Hörstermann (1994; Abb. 11.5) verglichen die Gruppenzusammensetzung<br />

von asiatischen Schlankaffen, afrikanischen Stummelaffen<br />

und südamerikanischen Brüllaffen, allesamt ähnlich große Blattfresser, die<br />

in Gruppen aus fünf bis zehn Tieren mit mehreren Männchen und Weibchen<br />

leben. Basierend auf Hinweisen, dass Männchen bessere Wachposten<br />

sind, sagten sie voraus, dass Weibchen daran interessiert sein sollten, bei<br />

stärkerem Räuberdruck mehrere Männchen in der Gruppe zu haben. In<br />

Asien, wo keine Affen fressenden Adler vorkommen, enthalten die Gruppen<br />

im Durchschnitt ein Männchen weniger als in Südamerika und in den<br />

Teilen Afrikas, in denen solche Adler vorkommen. In verschiedenen Taxa<br />

werden also von beiden Geschlechtern unterschiedliche Faktoren bei der<br />

Findung ihrer Interessen bewertet, und Männchen und Weibchen können<br />

diese Interessen unterschiedlich gut durchsetzen.<br />

In manchen Fällen existieren Gruppen, die nur Mitglieder eines Geschlechts<br />

enthalten. In Arten, in denen Männchen Gruppen von Weibchen<br />

monopolisieren, schließen sich junge Männchen und solche ohne Zugang<br />

zu Weibchen oder Territorien zu Junggesellen-Gruppen (bachelor groups)


508 11 Sozialsysteme<br />

4<br />

Anzahl adulter Männchen<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

0 2 4 6 8 10<br />

Anzahl adulter Weibchen<br />

Abb. 11.5. Gruppenzusammensetzung von arborealen Primaten. Regressionsgeraden<br />

für die Beziehung zwischen der Zahl der Weibchen und Männchen pro<br />

Gruppe. Asiatische Langurengruppen (rot), die keinen Affen fressenden Adlern<br />

ausgesetzt sind, enthalten im Durchschnitt ein Männchen weniger als Colobus-<br />

(blau) und Brüllaffengruppen (gelb)<br />

zusammen. Diese Gruppen bilden sich vorwiegend zur Verringerung des<br />

Prädationsrisikos und sind durch gegenseitige Toleranz gekennzeichnet<br />

(Robbins 1996), die sich deutlich von der intensiven Konkurrenz zwischen<br />

Männchen unterscheidet, die ausbricht, wenn einer der Junggesellen den<br />

gestürzten Haremshalter ablösen will (Rajpurohit et al. 1995).<br />

Bei vielen Ungulaten, aber auch bei einigen anderen Säugetieren, Vögeln<br />

und Fischen bilden die Geschlechter mit Ausnahme der Paarungszeit<br />

getrennte Gruppen. Die Ursachen dieser sexuellen Segregation sind noch<br />

wenig verstanden und unterscheiden sich vermutlich zwischen Arten. Erklärungen<br />

für Ungulaten fokussieren auf deren sexuellen Dimorphismus.<br />

Demnach unterscheiden sich die größeren Männchen von den Weibchen in<br />

Bezug auf ihr Prädationsrisiko und ihren Nahrungsbedarf, so dass die Geschlechter<br />

getrennte Mikrohabitate bevorzugen, um so ihren unterschiedlichen<br />

Aktivitätsbudgets nachzukommen (Ruckstuhl u. Neuhaus 2002).<br />

Eine getrennte Einnischung in verschiedene Mikrohabitate kann auch aufgrund<br />

von morphologischen Zwängen des Sexualdimorphismus erfolgen<br />

(Phillips et al. 2004).


11.1 Soziale Organisation 509<br />

11.1.3 Abwanderung und Philopatrie<br />

Natürliche Populationen sind in der Regel in diskrete soziale Untereinheiten<br />

organisiert. Für Individuen kann es aus ökologischen oder sozialen<br />

Gründen vorteilhaft oder notwendig sein, zwischen Untereinheiten zu<br />

wandern. Neben der Abwanderung vom Geburtsort (natal dispersal) können<br />

anschließend weitere Wanderungen (secondary dispersal) erfolgen. Da<br />

sowohl Abwanderung als auch der Verbleib im Geburtsgebiet (Philopatrie)<br />

mit Vor- und Nachteilen behaftet sind, hat die Entscheidung, zu bleiben<br />

oder zu wandern, nachhaltige Konsequenzen für den individuellen Überlebens-<br />

und Fortpflanzungserfolg. Ein Verständnis der ultimaten Ursachen<br />

von Philopatrie und Abwanderung ist daher grundlegend für die Analyse<br />

von Sozialsystemen. Da Inzuchtvermeidung und Konkurrenz bzw. Kooperation<br />

mit Verwandten wichtige Komponenten der Vor- und Nachteile beider<br />

Strategien darstellen, kommt der Fähigkeit der Verwandtenerkennung<br />

in diesem Zusammenhang eine wichtige proximate Bedeutung zu (Perrin<br />

u. Lehmann 2001).<br />

Philopatrie ist aus mehreren Gründen vorteilhaft. Tiere, die in ihrem<br />

Geburtsgebiet verbleiben, befinden sich in vertrautem Gebiet mit bekannten<br />

Fress-, Schutz- und Schlafplätzen. Sie erhöhen auch die Größe ihrer<br />

Geburtsgruppe und profitieren von allen Vorteilen des Lebens in größeren<br />

Gruppen. Philopatrische Individuen können gegebenenfalls auch das elterliche<br />

Territorium erben, und sie können mit Verwandten interagieren,<br />

wodurch sie im Fall von kooperativen Verhaltensweisen auch ihre Gesamtfitness<br />

erhöhen. Philopatrie erhöht aber auch das Risiko, sich mit Verwandten<br />

zu verpaaren (Perrin u. Mazalov 1999). Außerdem ist Konkurrenz<br />

um Ressourcen oder Paarungspartner mit Verwandten unausweichlich<br />

(Perrin u. Mazalov 2000), so dass Aggression durch Eltern oder andere<br />

Residente manchmal eine proximate Ursache des Abwanderns darstellt<br />

(Ferreras et al. 2004).<br />

Natale und sekundäre Abwanderung sind mit offensichtlichen Risiken<br />

und Nachteilen verbunden. Bei der Wanderung wird zusätzliche Energie<br />

verbraucht, und in unbekanntem Terrain kann es schwierig sein, Nahrung,<br />

Wasser und Schutzplätze zu finden. Allein wandernde Tiere haben ein erhöhtes<br />

Risiko, Räubern zum Opfer zu fallen (Ferreras et al. 2004), und sie<br />

können bei der Immigration mit Aggression und Verletzungen rechnen.<br />

Manche Tiere verzögern daher ihre Emigration (delayed dispersal), bis sie<br />

in guter körperlicher Verfassung sind (Alberts u. Altman 1995) oder bis<br />

andere (verwandte) Individuen sie begleiten (Ostner u. Kappeler 2004).<br />

Durch Abwanderung können aber auch die Risiken und Kosten der Inzucht<br />

vermieden werden und es ist möglich, in Gruppen oder Gebiete mit zahlreicheren<br />

Paarungsgelegenheiten oder besseren Ressourcen zu wechseln.


510 11 Sozialsysteme<br />

Bei den meisten Tierarten ist die Entscheidung, philopatrisch zu sein<br />

oder abzuwandern, an das Geschlecht gekoppelt. Bei Vögeln sind Männchen<br />

in der Regel philopatrisch, wohingegen Männchen bei den meisten<br />

Säugetieren das wandernde Geschlecht sind (Greenwood 1980). Diese Geschlechtsunterschiede<br />

werden letztendlich mit dem jeweils dominierenden<br />

Paarungssystem in Verbindung gebracht. Die meisten Vögel sind paarlebend<br />

und territorial, so dass Männchen Vorteile aus der Übernahme eines<br />

elterlichen Territoriums beziehen oder es einfacher ist, in einem bekannten<br />

Gebiet ein eigenes Territorium zu etablieren. Ökologische Faktoren, wie<br />

die Sättigung eines Habitats mit Territorien, können außerdem die Kosten<br />

des Abwanderns erhöhen (Weatherhead u. Forbes 1994). Bei Arten mit<br />

kooperativer Jungenfürsorge ( Kap. 10.4) wird zudem angenommen,<br />

dass Männchen, die bleiben und helfen, dadurch zusätzliche Vorteile der<br />

Philopatrie erfahren (Stacey u. Ligon 1991). Proximat ist bei Kohlmeisen<br />

(Parus major) die Entfernung, die Individuen abwandern, mit der Intensität<br />

ihres Neugierverhaltens korreliert (Dingemanse et al. 2003). Wenn<br />

Männchen erst einmal philopatrisch sind, werden Weibchen gezwungen<br />

abzuwandern, um Inzucht zu vermeiden, und sie könnten zusätzlich dadurch<br />

profitieren, dass sie so mehrere Männchen begutachten können,<br />

bevor sie sich für einen Territoriumsbesitzer entscheiden ( Kap. 9.3).<br />

Bei der Mehrzahl der Säugetiere existiert dagegen weibliche Philopatrie<br />

in Kombination mit männlicher Emigration (Abb. 11.6). Die meisten Säugetiere<br />

besitzen zudem ein polygynes Paarungssystem ( Kap. 11.2), welches<br />

dadurch charakterisiert ist, dass der Fortpflanzungserfolg der Männchen<br />

durch den Zugang zu paarungsbereiten Weibchen limitiert ist und<br />

dass Männchen sich nicht direkt an der Jungenaufzucht beteiligen (Clutton-Brock<br />

1989). Im Laufe der Evolution haben daher solche Männchen<br />

die meisten Nachkommen und Gene hinterlassen, die befruchtete<br />

Abb. 11.6. Ausschlaggebende Vor- und Nachteile der Philopatrie und des Abwanderns<br />

für die Mehrzahl der männlichen und weiblichen Säugetiere


11.1 Soziale Organisation 511<br />

Weibchen verlassen und sich auf die Suche nach weiteren Paarungspartnerinnen<br />

begeben. Da Weibchen keine Hilfe bei der Jungenaufzucht erwarten<br />

können und ihr momentaner Fortpflanzungserfolg nicht durch zusätzliche<br />

Paarungen erhöht werden kann, ist der Fortpflanzungserfolg der<br />

Weibchen primär durch Zugang zu Nahrungsressourcen, deren Energie in<br />

Schwangerschaft und Laktation investiert wird, begrenzt. Da die Effizienz<br />

der Nahrungssuche und -aufnahme durch Vertrautheit mit einem Gebiet<br />

erhöht werden sollte, wird angenommen, dass Weibchen einen größeren<br />

Vorteil durch das Verbleiben in einem vertrauten Gebiet erfahren als<br />

Männchen. Sobald es einen kleinen Anfangsvorteil für weibliche Philopatrie<br />

gibt, kann er dadurch verstärkt werden, dass miteinander verwandte<br />

Weibchen gemeinsam Ressourcen gegen Nachbargruppen verteidigen<br />

(Wrangham 1980).<br />

Obwohl es für Männchen auch vorteilhaft sein könnte, in einem ihnen<br />

vertrauten Gebiet zu bleiben, können sie durch Umherwandern mehr potentiellen<br />

Paarungspartnerinnen begegnen (Dobson 1982). Diese Abwanderungstendenz<br />

der Männchen wird weiterhin dadurch verstärkt, dass<br />

Männchen aufgrund der intensiven Fortpflanzungskonkurrenz aus einer<br />

Gruppe vertrieben werden und daher mehrmals im Leben die soziale<br />

Einheit wechseln (Alberts u. Altmann 1995). Sobald dieser Geschlechtsunterschied<br />

im Migrationsverhalten tendenziell etabliert ist, wird männliches<br />

Abwanderungsverhalten auch durch die Inzestvermeidung residenter<br />

Weibchen in der Geburtsgruppe gefördert ( Kap. 9.2). Das für Säugetiere<br />

typische Muster der weiblichen Philopatrie und männlichen Abwanderung<br />

kann also dadurch erklärt werden, dass Weibchen relativ höhere Vorteile<br />

des Bleibens und Männchen relativ höhere Vorteile des Abwanderns haben.<br />

Die Kosten der Emigration sind vermutlich für beide Geschlechter<br />

ähnlich.<br />

Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist nun, ob die Faktoren in<br />

dieser Kosten-Nutzen-Analyse auch den seltenen, umgekehrten Fall männlicher<br />

Philopatrie und weiblicher Emigration bei Säugetieren erklären können.<br />

Bei äthiopischen Wölfen (Canis simensis) sind Männchen philopatrisch,<br />

weil Habitatsättigung ihr Abwandern verhindert (Sillero-Zubiri<br />

et al. 1996) und bei Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) führen spezifische<br />

Partnerwahlkriterien der Weibchen dazu, dass die meisten Männchen aus<br />

ihrer Geburtsgruppe abwandern (Höner et al. 2007). Männchen können<br />

auch philopatrisch sein, weil sie wichtige Ressourcen verteidigen, um damit<br />

Weibchen anzulocken (Nagy et al. 2007). Die wichtigsten Nahrungsressourcen<br />

der betreffenden Arten sind von einer solchen Qualität oder so<br />

in Raum und Zeit verteilt, dass deren gemeinsame Verteidigung nicht<br />

möglich oder nicht ökonomisch ist (Isbell u. van Vuren 1996), so dass die<br />

typischen Vorteile der weiblichen Philopatrie reduziert sind. Außerdem


512 11 Sozialsysteme<br />

kann lokale Ressourcenkonkurrenz mit der Mutter die Abwanderung von<br />

Töchtern fördern (Le Galliard et al. 2006). Weibchen können unter bestimmten<br />

Bedingungen auch abwandern, um Konkurrenz um Ressourcen<br />

mit residenten Verwandten zu vermeiden (Favre et al. 1997) oder um sich<br />

einem Männchen anzuschließen, das sie effizient vor fremden, potentiell<br />

infantizidalen Männchen schützen kann (Steenbeek et al. 2000). Schließlich<br />

wandern junge Weibchen auch ab, um Inzucht mit ihren Vätern zu<br />

vermeiden, wenn dominante Männchen eine lange Residenzzeit haben<br />

(Dechmann et al. 2007).<br />

11.2 Paarungssysteme<br />

Arten und Populationen unterscheiden sich darin, wie adulte Männchen<br />

und Weibchen Zugang zu Geschlechtspartnern erlangen, mit wie vielen<br />

Mitgliedern des anderen Geschlechts sie sich verpaaren sowie in der Qualität<br />

und Dauer zwischengeschlechtlicher Beziehungen. Diese Variabilität<br />

lässt sich kategorisieren und als unterschiedliche Paarungssysteme beschreiben.<br />

Die Unterteilung kann anhand mehrerer Merkmale vorgenommen<br />

werden. Theoretisch sinnvoll erscheint dabei eine Unterscheidung<br />

nach Geschlechtsunterschieden in der Varianz des Reproduktionserfolgs<br />

(Arnold 1994), wobei die Varianz die durchschnittliche Abweichung vom<br />

Mittelwert beschreibt. Tatsächlicher Fortpflanzungserfolg lässt sich aber<br />

nur mit relativ aufwändigen genetischen Methoden bestimmen, so dass die<br />

Einteilung meist nach Verhaltensbeobachtungen des „Wer-mit-wem-wieoft“<br />

erfolgt. Kategorien der sozialen Organisation schränken dabei zwar<br />

die Anzahl der jeweils möglichen Paarungssysteme ein (z. B. ist Monogamie<br />

bei gruppenlebenden Arten unwahrscheinlich, dafür bei paarlebenden<br />

Arten sehr wahrscheinlich), aber es gibt keine automatischen 1:1-Beziehungen,<br />

so dass diese beiden Komponenten eines Sozialsystems klar getrennt<br />

werden sollten (Kappeler u. van Schaik 2002).<br />

11.2.1 Diversität der Paarungssysteme<br />

Die Vielfalt der Paarungssysteme kann in vier Kategorien eingeteilt werden:<br />

Monogamie, Polyandrie, Polygynie und Polygynandrie. Die nichtmonogamen<br />

Paarungssysteme werden auch als Polygamie zusammengefasst.<br />

Diese Klassifizierungen basieren auf der Anzahl der Geschlechtspartner,<br />

berücksichtigen aber oftmals nur die Perspektive eines Geschlechts<br />

(in der Regel die männliche). Wenn aber beispielsweise ein<br />

Meisen-Weibchen außer mit ihrem sozialen Partner auch noch mit einem


11.2 Paarungssysteme 513<br />

Tabelle 11.2. Definition der grundlegenden Kategorien von Paarungssystemen<br />

über die Anzahl der Partner von Männchen und Weibchen<br />

Paarungssystem<br />

Anzahl Paarungspartner<br />

von Männchen von Weibchen<br />

Monogamie 1 1<br />

Polyandrie 1 > 1<br />

Polygynie > 1 1<br />

Polygynandrie > 1 > 1<br />

benachbarten, ebenfalls verpaarten Männchen kopuliert, handelt es sich<br />

aus Sicht des Weibchens um Polyandrie, aus Sicht des ersten Männchens<br />

um Monogamie und aus Sicht des Nachbarn um Polygynie. Deswegen<br />

werden Arten diesbezüglich nach den modalen Paarungskombinationen<br />

klassifiziert (Tabelle 11.2).<br />

Über die Art des bevorzugten Paarungssystems gibt es bei den wenigsten<br />

getrenntgeschlechtlichen Arten Übereinstimmung zwischen den Geschlechtern.<br />

Aufgrund der Konsequenzen der Anisogamie ( Kap. 7.3)<br />

existieren geschlechtsspezifische Präferenzen für bestimmte Fortpflanzungsstrategien.<br />

Wie dieser Konflikt zwischen den Geschlechtern gelöst<br />

wird, hängt aus männlicher Sicht vor allem von der Verteilung und Synchronität<br />

der Weibchen ab (Emlen u. Oring 1977), wohingegen für Weibchen<br />

direkte und indirekte männliche Beiträge zur Jungenqualität und<br />

-fürsorge ausschlaggebend sind (Trivers 1972). Bei simultanen Hermaphroditen,<br />

bei denen jedes Individuum sowohl Spermien übertragen als<br />

auch empfangen kann, erfolgt zumeist eine reziproke Insemination, obwohl<br />

es darüber theoretisch auch einen Konflikt gibt (Michiels u. Streng<br />

1998).<br />

(1) Monogamie. Ein Männchen und ein Weibchen bilden eine exklusive<br />

Fortpflanzungseinheit für einen oder mehrere Fortpflanzungszyklen. Wenn<br />

sich Paare nur für jeweils einen Fortpflanzungszyklus bilden und danach<br />

ein Partnerwechsel stattfindet, handelt es sich um serielle Monogamie. Da<br />

beide Geschlechter identischen Fortpflanzungserfolg haben, unterscheiden<br />

sie sich nicht in der Varianz des Fortpflanzungserfolgs. Monogamie ist<br />

dann zu erwarten, wenn der Fortpflanzungserfolg beider Geschlechter mit<br />

diesem Paarungssystem am höchsten ist oder wenn Polygamie durch verschiedene<br />

Zwänge verhindert wird. Aufgrund der in den meisten Fällen


514 11 Sozialsysteme<br />

höheren potentiellen Fortpflanzungsraten der Männchen ist Monogamie<br />

nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Trotzdem existieren monogame Arten<br />

in allen großen Tiergruppen, bei Insekten (Eggert u. Sakaluk 1995), Krebsen<br />

(Mathews 2002), Knorpelfischen (Chapman et al. 2004), Knochenfischen<br />

(Whiteman u. Côté 2004), Reptilien (Bull 2000) und Säugetieren<br />

(Kleiman 1977). Bei Vögeln ist Monogamie das häufigste Paarungssystem<br />

(Greenwood u. Harvey 1982).<br />

Verschiedene Faktoren werden als ultimate und proximate Ursachen<br />

von Monogamie diskutiert. Sie sind im Wesentlichen mit den Ursachen<br />

des Paarlebens identisch. Die Möglichkeit und Notwendigkeit biparentaler<br />

Jungenfürsorge stellt die Erklärung für Monogamie bei der Mehrzahl<br />

der Arten, insbesondere bei Vögeln (Mock u. Fujioka 1990) dar, aber auch<br />

bei manchen Fischen (DeWoody et al. 2000) und Säugetieren (Gubernick<br />

u. Teferi 2000) ist dies die entscheidende Ursache.<br />

Die Bedeutung des männlichen Beitrags zur Jungenfürsorge konnte<br />

bei Heckenbraunellen (Prunella modularis, Abb. 11.7) aufgrund der bei<br />

dieser Art natürlichen Variabilität im Paarungssystem quantifiziert werden<br />

(Davies u. Houston 1986). Monogame Paare zogen im Durchschnitt 5,0<br />

Junge auf. Mit der Hilfe zweier Männchen konnten polyandrische Weibchen<br />

im Durchschnitt 6,7 Junge aufziehen; der durchschnittliche Fortpflanzungserfolg<br />

der beiden Männchen lag aber unter dem ihrer monogamen<br />

Artgenossen. Genau umgekehrt war die Situation bei polygynen<br />

Gruppen: Dort hatten die Weibchen im Durchschnitt nur 3,8 flügge Junge,<br />

wodurch der Reproduktionserfolg polygyner Männchen auf 7,6 anstieg.<br />

Trotz der Bedeutung der väterlichen Fürsorge existiert bei Vögeln daher<br />

auch ein sexueller Konflikt über die Maximierung des individuellen Fortpflanzungserfolgs,<br />

der in vielen Fällen zu Paarungen außerhalb des Paarverbundes<br />

führt (Hasselquist u. Sherman 2001).<br />

Abb. 11.7. Heckenbraunellen<br />

(Prunella modularis) haben – wie<br />

die meisten Vögel – ein zumeist<br />

monogames Paarungssystem.<br />

Bei dieser Art wurde der sexuelle<br />

Konflikt über das Paarungssystem<br />

besonders gut untersucht


11.2 Paarungssysteme 515<br />

Bei Säugetieren können Männchen neben direkter Beteiligung an der<br />

Jungenfürsorge auch zum erfolgreichen Überleben ihres Nachwuchses beitragen,<br />

indem sie ihn vor Infantizid schützen. Im Laufe der Primatenevolution<br />

kam es immer dann, wenn Junge für Infantizid anfällig wurden,<br />

auch zu einer Assoziation zwischen den Geschlechtern, in manchen Fällen<br />

in Form von Paaren (van Schaik u. Kappeler 1997).<br />

Monogamie existiert aber auch in Arten ohne väterliche Fürsorge und ist<br />

in diesen Fällen oft das Ergebnis zu hoher Kosten der Polygynie. Diese<br />

Box 11.2<br />

Monogamie und Extra-pair-Vaterschaft<br />

• Frage: Gibt es bei paarlebenden Spitzhörnchen Vaterschaften durch<br />

fremde Männchen?<br />

• Hintergrund: Monogamie ist bei Säugetieren selten (ca. 5% der Arten).<br />

Spitzhörnchen (Scandentia) sind in dieser Hinsicht außergewöhnlich, da<br />

alle Mitglieder dieser Ordnung paarlebend sind. Bislang gab es keine genetischen<br />

Vaterschafts-Untersuchungen bei Spitzhörnchen.<br />

• Methode: In zwei Populationen Großer Spitzhörnchen (Tupaia tana)<br />

wurden Tiere gefangen, besendert und Gewebeproben für genetische Vaterschaftsanalysen<br />

genommen. Pro Wurf werden zwei Jungtiere geboren.<br />

Anteil Vaterschaften [%]<br />

50 50<br />

43<br />

sozialer Nachbar gemischte<br />

Vater<br />

Vaterschaften<br />

• Ergebnis: Von 22 Jungtieren wurden 50% nicht vom sozialen Vater gezeugt.<br />

In 3 von 7 komplett gefangenen Würfen lagen gemischte Vaterschaften<br />

vor, d. h. die beiden Jungen hatten verschiedene Väter.<br />

• Schlussfolgerung: Die Mehrzahl der Jungtiere wird nicht vom sozialen<br />

Vater gezeugt. In den meisten Fällen handelte es sich bei den genetischen<br />

Vätern um Nachbarn der betreffenden Weibchen. Da Große Spitzhörnchen<br />

in „dispersed pairs“ leben, also Männchen und Weibchen nicht permanent<br />

zusammen sind, ist dadurch das Bewachungspotential der Männchen<br />

entscheidend reduziert.<br />

Munshi-South 2007


516 11 Sozialsysteme<br />

Kosten treten dann auf, wenn die Verteilung rezeptiver Weibchen in Raum<br />

und Zeit Männchen dazu zwingt, sich auf ein Weibchen zu beschränken. In<br />

diesen Fällen ist es für Männchen vorteilhaft, ein Weibchen permanent zu<br />

bewachen, um so ein Mindestmaß an Fortpflanzungserfolg zu sichern<br />

(Vincent et al. 2004). Bei manchen Arten ist es für Männchen aber schwierig,<br />

rezeptive Weibchen zu bewachen, so dass es zu einem hohen Anteil<br />

Fremdvaterschaften kommen kann (Box 11.2). Wenn soziale Väter Vaterschaften<br />

verlieren, kann dies aber auch durch Wahlentscheidungen der<br />

Weibchen zustande kommen, da sie so die genetische Qualität ihrer Jungen<br />

verbessern können (Schwensow et al. 2008). Monogamie kann schließlich<br />

auch ohne Bewachung der Weibchen stabil sein, weil die Kosten von EPCs<br />

für Weibchen hoch sind (Wallander et al. 2001). In diesem Fall können<br />

Männchen ihren Einsatz bei der Jungenfürsorge reduzieren und Weibchen<br />

so zur Treue zwingen (Lifjeld et al. 1998).<br />

Auf der proximaten Ebene können beide Geschlechter ihre Partner mit<br />

Hilfe von Verhaltensmechanismen zur Monogamie nötigen. Bei Totengräbern<br />

(Nicrophorus defodiens) stören Weibchen ihre Partner dabei, wenn<br />

diese versuchen, mit Hilfe von Pheromonen weitere Weibchen zur Eiablage<br />

an ein Aas zu locken (Eggert u. Sakaluk 1995). Bei der Schabe Nauphoeta<br />

cinerea wird durch die Insertion einer Spermatophore die sexuelle<br />

Rezeptivität der Weibchen blockiert. Männchen erfahren durch die resultierende<br />

erzwungene Monogamie einen Vorteil, weil es dadurch nicht zu<br />

weiteren Verpaarungen und Spermienkonkurrenz kommt (Montrose et al.<br />

2004). Monogamie kann schließlich auch proximat auf bestimmten physiologischen<br />

Mechanismen basieren. Monogame Präriewühlmäuse (Microtus<br />

ochrogaster) sind im Vergleich zu nahverwandten polygynen Arten beispielsweise<br />

durch eine bestimmte Verteilung von Vasopressin-Rezeptoren<br />

im Gehirn charakterisiert, die ihrerseits genetisch kontrolliert wird (Lim<br />

et al. 2004). Inwieweit und wie solche komplexen Verhaltensstrukturen<br />

wie Paarungsstrategien genetisch kontrolliert sind, ist aber nicht bekannt<br />

( Kap. 10.5).<br />

(2) Polyandrie. Ein Weibchen verpaart sich mit mehreren Männchen und<br />

jedes dieser Männchen verpaart sich nur mit diesem einen Weibchen. Da<br />

Weibchen um Männchen konkurrieren und sich daher nicht alle Weibchen<br />

gleichermaßen erfolgreich fortpflanzen, ist die Varianz im Fortpflanzungserfolg<br />

der Weibchen größer. Polyandrie ist in der Regel mit obligater<br />

männlicher Jungenfürsorge verbunden. Polyandrie ist aufgrund der<br />

typischen Geschlechterrollen theoretisch nur selten zu erwarten. Polyandrische<br />

Arten werden deshalb auch als Arten mit umgekehrten Geschlechterrollen<br />

(sex role reversed) bezeichnet. Der Begriff der Polyandrie wird<br />

häufig auch angewandt, um die direkten und indirekten Vorteile von Mehr-


11.2 Paarungssysteme 517<br />

fachverpaarungen für den weiblichen Fortpflanzungserfolg zu untersuchen<br />

(Zeh u. Zeh 2001; Kap. 9.6). Da die Männchen der betreffenden Arten<br />

aber sich auch mehrfach verpaaren können, handelt es sich dabei nicht<br />

notwendigerweise um polyandrische Paarungssysteme. Klassische Polyandrie,<br />

d. h. solche mit väterlicher Brutfürsorge, ist auf Fische, Vögel und<br />

einige Säugetiere beschränkt (Andersson 2005).<br />

Aus Sicht der Weibchen existieren hauptsächlich Vorteile der Polyandrie,<br />

außer die Kopulationen an sich sind mit hohen Kosten verbunden.<br />

Durch Verpaarungen mit mehreren Männchen erhöhen sich für sie mögliche<br />

direkte und indirekte Vorteile der Partnerwahl. Dazu zählen genetische<br />

Vorteile wie erhöhte genetische Diversität der Nachkommen und<br />

gegebenenfalls materielle Vorteile in Form von zusätzlichen Ressourcen.<br />

Die wichtigsten direkten Vorteile bestehen allerdings darin, dass Weibchen<br />

bei der Jungenaufzucht auf die Hilfe mehrerer Männchen zählen können.<br />

Dies ermöglicht höhere Fekundität und höhere Fortpflanzungsraten. Bei<br />

Krallenaffen (Callitrichidae) ist Polyandrie beispielsweise im Unterschied<br />

zu anderen anthropoiden Primaten mit obligaten Zwillingsgeburten verbunden<br />

(Terborgh u. Goldizen 1985). Bei eusozialen Insekten können Königinnen<br />

über Mehrfachverpaarungen den durchschnittlichen Verwandtschaftsgrad<br />

der Koloniemitglieder manipulieren und so ihre Interessen<br />

besser gegenüber den Arbeiterinnen durchsetzen ( Kap. 10.4) oder über<br />

erhöhte genetische Diversität für verbesserte Parasitenresistenz bei ihren<br />

Nachkommen sorgen (Baer u. Schmid-Hempel 1999). Insgesamt sind multiple<br />

Verpaarungen von Königinnen bei Hymenopteren aber selten (Strassmann<br />

2001).<br />

Bei Arten mit klassischer Polyandrie können Weibchen Zugang zu mehreren<br />

Männchen auf zwei Arten bewerkstelligen. Bei Blatthühnchen (Jacana<br />

jacana, Abb. 11.8) und anderen Arten mit Ressourcenverteidigungs-Polyandrie<br />

verteidigt ein Weibchen ein Territorium, in dem sich<br />

bis zu vier Männchen befinden, denen sie Eier in ihre Nester legt und die<br />

Aufzucht der Jungen überlässt (Emlen et al. 1998). Bei dieser Art ist bemerkenswert,<br />

dass ein hoher Anteil der Jungen nicht vom jeweiligen<br />

Männchen gezeugt wurde. Bei Prärieläufern (Actitis macularia) betreiben<br />

manche ältere Weibchen auch Männchenverteidigungs-Polyandrie, indem<br />

sie untereinander um Zugang zu Männchen kämpfen und diese verteidigen<br />

(Oring et al. 1994). Die Vorteile jeglicher Form von Polyandrie für<br />

Männchen liegen noch völlig im Dunkeln. Zwar gibt es Hypothesen darüber,<br />

wie väterliche Jungenfürsorge und weibliche Strategien koevoluiert<br />

sein könnten (Andersson 2005), aber warum Männchen diese Entwicklung<br />

mitgemacht haben, ist nicht bekannt. Insgesamt sind polyandrische Paarungssysteme<br />

daher immer labil, und Polyandrie tritt häufig innerhalb


518 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.8. Blatthühnchen (Jacana<br />

jacana) stellen eine der am besten<br />

untersuchten Arten mit Ressourcenverteidigungs-Polyandrie<br />

dar<br />

von Populationen fakultativ zu Monogamie (Goldizen 1987) oder sogar zu<br />

Polygynie und Polygynandrie (Goldizen et al. 2000) auf.<br />

(3) Polygynie. Ein Männchen paart sich mit mehreren Weibchen, wobei<br />

die betreffenden Weibchen sich nur mit diesem einen Männchen paaren. In<br />

polygynen Paarungssystemen sind manche Männchen per Definition von<br />

der Fortpflanzung ausgeschlossen, so dass die Varianz im Fortpflanzungserfolg<br />

der Männchen größer ist. In einem polygynen Paarungssystem können<br />

erfolgreiche Männchen ihren Fortpflanzungserfolg maximieren, so<br />

dass Polygynie für Männchen immer vorteilhaft ist, wenn ihre Beteiligung<br />

an der Jungenaufzucht nicht essentiell ist. Polygyne Arten sind daher durch<br />

intensive Konkurrenz zwischen Männchen charakterisiert. Polygynie kann<br />

in solitären Arten entstehen, wenn Männchen die Streifgebiete von zwei<br />

oder mehr Weibchen kontrollieren oder aber wenn Weibchen in Gruppen<br />

leben, die ökonomisch verteidigt werden können.<br />

Dementsprechend werden zwei Hauptformen der Polygynie unterschieden.<br />

Weibchenverteidigungs-Polygynie liegt dann vor, wenn ein Männchen<br />

eine Gruppe von Weibchen erfolgreich verteidigt und monopolisiert<br />

(Abb. 11.9). Die Weibchen können dabei aus ökologischen Gründen<br />

Gruppen bilden oder sie können sich von sich aus um ein Männchen scharen.<br />

Weibliche Nördliche See-Elefanten (Mirounga angustirostris) versammeln<br />

sich beispielsweise an geeigneten Stränden mit gutem Nahrungsangebot<br />

und geringem Prädationsrisiko, wo sie von einzelnen Männchen<br />

monopolisiert werden (Hoelzel et al. 1999). Bei Thomas-Languren (Presbytis<br />

thomasi) bilden sich dagegen Gruppen von Weibchen um ein Männ-


11.2 Paarungssysteme 519<br />

Abb. 11.9. Mantelpaviane<br />

(Papio hamadryas) leben in<br />

Gruppen, in denen einzelne<br />

Männchen (links) Zugang zu<br />

mehreren Weibchen<br />

verteidigen<br />

chen, das ihren Nachwuchs vor Infantizid durch fremde Männchen schützen<br />

soll. Kranke und alte Männchen werden von den Weibchen umgehend<br />

verlassen (Steenbeek et al. 2000). Aus männlicher Sicht wird die Anzahl<br />

der monopolisierbaren Weibchen durch deren Verteilung im Raum bzw.<br />

deren Gruppengröße bestimmt. Zudem hat die Synchronität ihrer Fortpflanzungsaktivität<br />

einen unabhängigen Einfluss auf das männliche Monopolisierungspotential<br />

(Nunn 1999). Für Weibchen sollte in diesem Paarungssystem<br />

vor allem die Qualität des Männchens von Bedeutung sein, da<br />

sie im Wesentlichen indirekte Vorteile aus der Verpaarung mit einem bestimmten<br />

Männchen erzielen können ( Kap. 9.5).<br />

Wenn Weibchen aus verschiedenen Gründen nicht von einzelnen Männchen<br />

monopolisiert werden können, haben diese unter bestimmten Voraussetzungen<br />

die Möglichkeit, für Weibchen wichtige Ressourcen zu kontrollieren<br />

und sich exklusiv mit den Weibchen zu verpaaren, die diese<br />

Ressourcen nutzen. Solche Ressourcenverteidigungs-Polygynie ist dann<br />

möglich, wenn entscheidende Ressourcen wie Nahrung oder Nistplätze so<br />

geklumpt vorkommen, dass sie ökonomisch zu verteidigen sind, oder wenn<br />

es Heterogenität in der Habitatqualität gibt. Die meisten Untersuchungen<br />

zur Ressourcenverteidigungs-Polygynie wurden an Vögeln durchgeführt,<br />

aber sie kommt auch bei manchen Insekten (Schlyter u. Zhang 1996) und<br />

Fischen (Sato 1994) vor. Für Männchen ist dieses Paarungssystem in jedem<br />

Fall lohnenswert. Ob sich Weibchen auf diese Form der Polygynie<br />

einlassen, hängt von deren Kosten-Nutzen-Bilanz ab.<br />

Nach welchen Kriterien Weibchen diese Kosten-Nutzen-Bilanz in Verhaltensentscheidungen<br />

umsetzen, wird von einem Klassiker der Verhaltensökologie<br />

beschrieben: dem Polygynie-Schwellenmodell (Orians 1969).<br />

Wenn es demnach Qualitätsunterschiede zwischen den von Männchen verteidigten<br />

Territorien gibt, können sich Weibchen zwischen einem guten


520 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.10. Das Polygynie-Schwellenmodell sagt voraus, wann Weibchen Polygynie<br />

akzeptieren und sich mit einem bereits verpaarten Männchen assoziieren<br />

sollten. Die Situation, in der ein Territorium nur ein Weibchen enthält, ist durch<br />

die blaue Linie dargestellt. Die rote Linie repräsentiert die Situation, in der zwei<br />

Weibchen ein Territorium nutzen. Wenn ein Weibchen die Wahl zwischen zwei<br />

Territorien gleicher Qualität hat, sollte es dasjenige wählen, das kein anderes<br />

Weibchen enthält (A). Wenn jedoch die Wahl zwischen einem schlechteren, freien<br />

Territorium (B) und einem besseren, aber schon besetzten Territorium (C) besteht,<br />

kann der Fitnessgewinn auf einem besetzten Territorium größer sein. In diesem<br />

Fall sollte ein Weibchen die Polygynie-Schwelle überschreiten und sich für das<br />

besetzte Territorium entscheiden<br />

Territorium mit einem bereits verpaarten Männchen und einem schlechteren<br />

Territorium mit einem noch unverpaarten Männchen entscheiden<br />

(Abb. 11.10). Demnach nimmt der weibliche Fortpflanzungserfolg einerseits<br />

mit der Qualität des Territoriums zu, wird aber andererseits durch das<br />

Teilen des Territoriums mit anderen Weibchen reduziert. Daher ist der<br />

Fortpflanzungserfolg von sekundären Weibchen (die ein schon verpaartes<br />

Männchen wählen) unabhängig von der Habitatsqualität immer geringer<br />

als der von primären Weibchen. Wenn nun der Unterschied in der Territoriumsqualität<br />

zwischen einem verpaarten und einem unverpaarten Männchen<br />

größer ist als der Unterschied im Fortpflanzungserfolg unter diesen<br />

beiden Bedingungen, wenn also die Polygynie-Schwelle überschritten<br />

wird, ist für Weibchen die polygyne Alternative vorteilhafter.<br />

Eine Annahme dieses Modells über die proximate Umsetzung besteht<br />

darin, dass Weibchen mehrere Territorien begutachten, bevor sie sich für


11.2 Paarungssysteme 521<br />

eines davon entscheiden. Bei vielen Zugvögeln kommen die Männchen<br />

zuerst aus den Winterquartieren zurück und teilen das verfügbare Habitat<br />

unter sich auf. Eine Studie an Drosselrohrsängern (Acrocephalus arundinaceus)<br />

zeigte, dass Weibchen nach ihrer Ankunft zwischen 3 und 11 Territorien<br />

besichtigen und sich dann innerhalb eines Tages für eines davon<br />

entscheiden. Entsprechend den Vorhersagen dieses Modells kehrten Weibchen<br />

zu schon besichtigten Territorien zurück und ließen sich auch als sekundäre<br />

Weibchen nieder, obwohl noch freie Territorien vorhanden waren<br />

(Bensch u. Hasselquist 1992).<br />

Wählen die Weibchen dabei nun das Territorium oder das Männchen?<br />

Bei Trauerschnäppern (Ficedula hypoleuca) gibt es eine enge Korrelation<br />

zwischen der Reihenfolge, in der sich Weibchen niederlassen, und der<br />

Reihenfolge, in der Männchen davor Territorien besetzten. Indem Nistkästen<br />

in zufälliger Weise nacheinander in einem Gebiet aufgehängt wurden,<br />

konnten die Männchen dazu gezwungen werden, sich unabhängig von der<br />

Habitatsqualität zu verteilen. Die Weibchen ließen sich danach in einer<br />

ganz anderen Reihenfolge nieder, was zeigt, dass die Verteilung beider<br />

Geschlechter von der Habitatsqualität bestimmt wird und dass Weibchen<br />

also nicht bestimmte Männchen an sich bevorzugen (Alatalo et al. 1986).<br />

Wenn man weiblichen Rotschulterstärlingen (Agelaius phoeniceus) gleichzeitig<br />

ein unverpaartes Männchen in einem schlechteren Territorium und<br />

ein bereits verpaartes Männchen in einem besseren Territorium anbietet,<br />

entscheiden sie sich ebenfalls mit überwältigender Mehrheit für das bessere<br />

Territorium (Pribil u. Searcy 2001).<br />

Welche Kosten der Polygynie entstehen für Weibchen und durch welche<br />

Faktoren werden sie kompensiert? Wenn Männchen keinen Beitrag zur<br />

Brutpflege leisten, können sich aus dem reduzierten Ressourcenzugang für<br />

die Weibchen Nachteile ergeben (Searcy u. Yasukawa 1989). Bei Arten<br />

mit väterlicher Jungenfürsorge sind Aggression zwischen Weibchen und<br />

die geteilte väterliche Fürsorge die bedeutsamsten Kosten der Polygynie<br />

für sekundäre Weibchen (Slagsvold u. Lifjeld 1994). Hier haben sekundäre<br />

Weibchen sogar oft einen geringeren Fortpflanzungserfolg als monogame<br />

Weibchen (Johnson et al. 1993). Wenn keine unverpaarten Männchen zur<br />

Verfügung stehen, weil das Geschlechtsverhältnis zufällig verschoben ist<br />

oder weil alle geeigneten Nistplätze belegt sind, kann ein Weibchen vor<br />

der Entscheidung stehen, sich polygyn oder überhaupt nicht zu verpaaren.<br />

In diesem Fall haben Weibchen also keine Wahl und müssen die Kosten<br />

der Polygynie akzeptieren. Manche Weibchen lassen sich auch mit einem<br />

bereits verpaarten Männchen ein, weil sie von ihm getäuscht werden bzw.<br />

weil sie nicht zwischen verpaarten und unverpaarten Männchen unterscheiden<br />

können (Alatalo et al. 1990). Schließlich sind manche Weibchen


522 11 Sozialsysteme<br />

wohl auch deshalb polygyn verpaart, weil sie andere Weibchen nicht vertreiben<br />

können (Langmore u. Davies 1997).<br />

(4) Polygynandrie. Sowohl Männchen als auch Weibchen paaren sich<br />

mehrmals mit verschiedenen Individuen. Dieses Paarungssystem wird auch<br />

als Promiskuität bezeichnet. Dabei ist in der Regel die Varianz im männlichen<br />

Fortpflanzungserfolg größer. Dieses Paarungssystem findet sich<br />

ebenfalls bei solitären und gruppenlebenden Arten. Hier sind Männchen<br />

allerdings nicht in der Lage, mehrere Weibchen oder für sie wichtige Ressourcen<br />

zu monopolisieren. Väterliche Fürsorge ist in den meisten Fällen<br />

nicht vorhanden. In promisken Paarungssystemen überschneiden sich daher<br />

geringes männliches Monopolisierungspotential und Bestrebungen zur<br />

Maximierung der männlichen Verpaarungsrate ( Kap. 8.1) mit den Vorteilen<br />

multipler Verpaarungen der Weibchen ( Kap. 9.6); bei vielen<br />

Insekten erhöhen Paarungen mit mehreren Männchen beispielsweise<br />

die weibliche Fertilität und Fekundität (Arnqvist u. Nilsson 2000). Aufgrund<br />

multipler Paarungen kommt es zu intensiver Spermienkonkurrenz<br />

( Kap. 8.5), und postkopulatorische Mechanismen der Partnerwahl<br />

( Kap. 9.3) können den Fortpflanzungserfolg entscheiden.<br />

Bei Arten, bei denen mehrere Männchen und Weibchen zusammenleben,<br />

verpaaren sich die Weibchen mit mehreren Männchen, die Kopulationen<br />

durch Rivalen nicht verhindern können. Hier bilden Männchen typischerweise<br />

Rangordnungen aus, und dominante Männchen verpaaren sich<br />

häufiger oder bewachen Weibchen in Zeiten, in denen Fertilisationen am<br />

wahrscheinlichsten sind, so dass der Fortpflanzungserfolg zu Gunsten der<br />

dominanten Männchen verschoben ist (Altmann et al. 1996). Diese Form<br />

der Promiskuität findet sich bei vielen Primaten (Setchell u. Kappeler<br />

2003). Bei Löwen (Panthera leo) und anderen Arten mit hohem Infantizidrisiko<br />

können die Weibchen durch zahlreiche Verpaarungen mit allen<br />

Männchen die Vaterschaft effektiv verschleiern (Wolff u. Macdonald<br />

2004).<br />

Unter dem Überbegriff der Polygynandrie können außerdem zwei spezifische<br />

Paarungssysteme unterschieden werden. Wenn Weibchen räumlich<br />

weit verstreut und mehr oder weniger gleichzeitig paarungsbereit sind, ist<br />

es für Männchen vorteilhaft, Weibchen zu suchen und sich nach der Kopulation<br />

rasch auf die Suche nach weiteren Weibchen zu machen, um so die<br />

Begegnungsrate mit Weibchen im Laufe der kurzen Paarungszeit zu maximieren.<br />

Es kommt also zu einem Wettsuchen zwischen den Männchen<br />

( Kap. 8.1). Aus männlicher Perspektive wird dieses Paarungssystem<br />

als opportunistische Polygynie (scramble competition polygyny) bezeichnet.<br />

Da sich Weibchen aber in der Regel auch mit mehreren Männchen<br />

verpaaren, handelt es sich eigentlich um ein promiskes Paarungssystem.


11.2 Paarungssysteme 523<br />

Opportunistische Polygynie ist unter anderem bei Zieseln (Spermophilus<br />

tridecemlineatus: Schwagmeyer u. Woontner 1985) und Lemuren (Mirza<br />

coquereli: Kappeler 1997) beobachtet worden. Bei Dungfliegen (Scathophaga<br />

stercoraria: Parker 1974) und Mausmakis (Microcebus murinus:<br />

Eberle u. Kappeler 2004) versuchen manche Männchen, ein frisch verpaartes<br />

Weibchen noch eine Zeitlang gegen Rivalen zu verteidigen, so dass<br />

auch noch andere Mechanismen männlicher Konkurrenz ins Spiel kommen<br />

können ( Kap. 8.2).<br />

Auf einem Lek (Balzarena) verteidigen Männchen einen kleinen Balzplatz,<br />

den Weibchen nur zur Paarung aufsuchen. Weibchen können sich<br />

dabei ein- oder mehrfach verpaaren. Diese kleinen Territorien sind<br />

manchmal nur wenige Quadratmeter groß und enthalten keine für die<br />

Weibchen wichtigen Ressourcen. Da Männchen auf Leks weder Ressourcen<br />

noch Brutfürsorge anbieten, sind Leks geeignete Modelle, um die indirekten<br />

Vorteile der weiblichen Partnerwahl ( Kap. 9.5) zu untersuchen.<br />

Obwohl dieses Paarungssystem nur bei ca. 35 Vogelarten vorkommt<br />

(Höglund u. Alatalo 1995), erhalten Leks daher viel empirisches und theoretisches<br />

Interesse. Leks kommen außerdem bei Insekten und allen anderen<br />

Wirbeltieren vor (Widemo u. Owens 1999).<br />

Ansammlungen balzender Männchen könnten deshalb entstanden sein,<br />

weil Weibchen sehr viel Zeit an diesen Stellen (hotspots) verbringen oder<br />

weil Weibchen zu attraktiven Männchen (hotshots) angezogen werden<br />

und subordinate Männchen dort eine Gelegenheit haben, als Satelliten<br />

( Kap. 8.7) zu kopulieren. Wenn rezeptive Weibchen sexuell belästigt<br />

werden und deshalb von Männchen wegwandern, können Ansammlungen<br />

von mehreren Männchen sich gegenseitig Weibchen „zuschieben“ und<br />

Weibchen verbleiben so insgesamt länger an diesem Ort (Black-hole-<br />

Hypothese: Clutton-Brock et al. 1992). Insbesondere bei Ungulaten ist<br />

diese Form der sexuellen Belästigung und Lek-Bildung weit verbreitet<br />

(Bro-Jørgensen 2003).<br />

Weibchen könnten die Männchen theoretisch auch zur Lek-Bildung<br />

zwingen, um so im direkten Vergleich die besten Gene wählen zu können<br />

(Kokko 1997). Innerhalb eines Leks gibt es besonders attraktive Positionen,<br />

um welche die Männchen erbittert kämpfen, da Weibchen eine Präferenz<br />

für Männchen an solchen arbiträren Stellen (oft in der Mitte des<br />

Leks) haben (Bro-Jørgensen 2002). Diese Männchen haben sich in der<br />

Konkurrenz zwischen Männchen durchgesetzt, und Weibchen können<br />

durch entsprechende Präferenzen die genetischen Grundlagen dieses Erfolgs<br />

an ihre Nachkommen weitergeben ( Lek-Paradox: Kap. 9.4). Als<br />

Konsequenz kann die Varianz im Fortpflanzungserfolg zwischen den<br />

Männchen eines Leks extrem hoch sein (Widemo u. Owens 1995).


524 11 Sozialsysteme<br />

Aus der Diversität von Paarungssystemen lassen sich zwei übergreifende<br />

Schlussfolgerungen festhalten.<br />

Erstens ist es notwendig, sowohl zwischen sozialer Organisation und<br />

Paarungssystem als auch zwischen Paarungs- und Fortpflanzungssystem<br />

zu unterscheiden. Einerseits schränken bestimmte demografische Konstellationen<br />

die möglichen Paarungssysteme ein, legen sie aber nicht fest. So<br />

sind neben Extra-pair-Vaterschaften bei paarlebenden Arten auch Vaterschaften<br />

von Nicht-Gruppenmitgliedern bei gruppenlebenden Arten relativ<br />

häufig (Isvaran u. Clutton-Brock 2007). Andererseits ist aus Beobachtungen<br />

des „Wer-mit-wem“ in den meisten Fällen nicht möglich, auf das<br />

Fortpflanzungssystem zu schließen. Immer wenn Weibchen sich mehrfach<br />

verpaaren, kann der Fortpflanzungserfolg der Männchen im einen Extremfall<br />

zufällig zwischen ihnen verteilt sein oder im anderen Extremfall auf<br />

ein Männchen konzentriert sein.<br />

Zweitens ist es aufgrund der ökologischen Heterogenität und des ständig<br />

schwelenden sexuellen Konflikts nicht überraschend, dass Paarungssysteme<br />

nicht nur zwischen nah verwandten Arten variieren, sondern dass es<br />

diesbezüglich auch innerhalb von Arten Variabilität in Raum und Zeit gibt.<br />

So können innerhalb lokaler Populationen Monogamie und Polygynie koexistieren<br />

(Chapple u. Keogh 2005), Polyandrie existiert häufig gleichzeitig<br />

mit allen anderen Paarungssystemen (Goldizen et al. 2000), und bei vielen<br />

Vögeln wird Monogamie durch ein latentes EPC-Risiko überschattet (Hasselquist<br />

u. Sherman 2001).<br />

11.2.2 Konsequenzen<br />

Verschiedene Paarungssysteme haben mindestens drei wichtige Konsequenzen<br />

für die Biologie einer Art.<br />

Erstens beeinflusst das Paarungssystem die Übertragungsraten von Geschlechtskrankheiten<br />

(Lockhart et al. 1996). Zahlreiche Pathogene haben<br />

sich auf Übertragung durch Kopulationen spezialisiert und führen zu Sterilität<br />

oder anderen Beeinträchtigungen, so dass dadurch – insbesondere für<br />

Weibchen – Selektion zu Gunsten von Monogamie entsteht (Thrall et al.<br />

2000). Einerseits beeinflusst das Risiko der Übertragung von Geschlechtskrankheiten<br />

das Paarungsverhalten von Individuen (Boots u. Knell 2002),<br />

andererseits steuert ihr Verhalten aber auch die weitere Ausbreitung dieser<br />

Pathogene (Nunn 2003). Das mit verschiedenen Paarungssystemen und<br />

-strategien verbundene Risiko der Übertragung von Geschlechtskrankheiten<br />

hat zudem auch Auswirkungen auf das jeweilige Immunsystem. So<br />

haben Primaten mit promisken Paarungssystemen höhere Dichten an<br />

weißen Blutkörperchen und damit eine verbesserte Immunkompetenz als<br />

monogame Arten (Nunn et al. 2000).


11.2 Paarungssysteme 525<br />

Abb. 11.11. Konsequenzen verschiedener Paarungssysteme für das Maß an Sexualdimorphismus<br />

in der Körper- und Eckzahngröße sowie die relative Hodengröße<br />

bei anthropoiden Primaten. Monogame (gelb), polygyne (orange) und promiske<br />

(grün) Arten weisen charakteristische Merkmalskombinationen auf. Für polyandrische<br />

Arten gibt es diesbezüglich zu wenige Daten. Y-Achse: Maß an Sexualdimorphismus<br />

(Männchen/Weibchen) bzw. relative Hodengröße (mm 3 /kg)<br />

Verschiedene Paarungssysteme haben zweitens auch morphologische<br />

Konsequenzen (Abb. 11.11). Bei monogamen Arten unterscheiden sich<br />

die Geschlechter weder in der Körpergröße, noch in anderen morphologischen<br />

Merkmalen in auffälliger Weise. Bei ihnen liegt daher kein Sexualdimorphismus<br />

vor. Da es auch theoretisch keine Spermienkonkurrenz gibt,<br />

sind die Hoden der Männchen vergleichsweise klein ( Kap. 8.5). Bei polygynen<br />

Arten spielt Größe und Stärke eine wichtige Rolle bei der Verteidigung<br />

von Weibchen oder Ressourcen. Dementsprechend finden sich bei<br />

diesen Arten die extremsten Beispiele für Sexualdimorphismus (Lindenfors<br />

et al. 2002). Männchen sind teilweise doppelt so groß wie Weibchen<br />

und können zudem noch artspezifische Waffen besitzen ( Kap. 8.3).<br />

Wenn sie Weibchen erfolgreich monopolisieren, gibt es auch nur ein geringes<br />

Risiko der Spermienkonkurrenz, und die Hoden dieser Männchen<br />

sind daher relativ klein. Bei promisken Arten gibt es sowohl Konkurrenz<br />

um den Zugang zu Weibchen als auch intensive Spermienkonkurrenz, so<br />

dass diese Arten durch moderaten Sexualdimorphismus und vergleichsweise<br />

große Hoden charakterisiert sind (Gomendio et al. 1998). Bei polyandrischen<br />

Arten konkurrieren die Weibchen um Männchen und sind tatsächlich<br />

auch häufig größer als diese. Diese bei Säugetieren in mehreren<br />

Ordnungen bestätigten Muster fallen bei Vögeln ganz ähnlich aus (Dunn<br />

et al. 2001). Das relative Hodenvolumen von kolonialen Vogelarten, solchen<br />

ohne männliche Brutfürsorge sowie nicht-monogamen Arten, ist jeweils<br />

größer als das der entsprechenden Vergleichsgruppe (Pitcher et al.


526 11 Sozialsysteme<br />

2005). Artunterschiede im Sexualdichromatismus (Männchen und Weibchen<br />

sind unterschiedlich gefärbt) sind bei Vögeln nicht mit dem Maß an<br />

Sexualdimorphismus, sondern positiv mit der Häufigkeit von Extra-pair-<br />

Vaterschaften korreliert (Owens u. Hartley 1998).<br />

Drittens schließlich haben unterschiedliche Paarungssysteme wichtige<br />

Konsequenzen für die genetische Struktur der sozialen Einheiten, da sich<br />

die Anzahl der Reproduzierenden, ihre Verwandtschaftsbeziehungen sowie<br />

ihr individueller Fortpflanzungserfolg in verschiedenen Paarungssystemen<br />

unterscheiden (Ross 2001). Außerdem beeinflussen auch die räumlichen<br />

Bewegungen von Individuen die Verteilung von Genen innerhalb und zwischen<br />

Gruppen oder anderen Fortpflanzungseinheiten (Chesser 1991). So<br />

führen Philopatrie und verzögerte Abwanderung dazu, dass Verwandte mit<br />

abstammungsidentischen Allelen geklumpt auftreten. Unter diesen Bedingungen<br />

sind wichtige Voraussetzungen für die Entstehung von kooperativen<br />

Verhaltensweisen zwischen Verwandten geschaffen.<br />

Die genetisch einfachsten sozialen Einheiten sind Familiengruppen mit<br />

monogamen Eltern bzw. Kolonien mit einer einmalig verpaarten Königin.<br />

Im Vergleich zu promisken Arten können monogame Familiengruppen reduzierte<br />

genetische Diversität aufweisen (Sommer et al. 2002). Bei Arten<br />

mit mehreren reproduzierenden Weibchen erhöht sich die genetische Variabilität<br />

zwischen Nachkommen und deren durchschnittlicher Verwandtschaftskoeffizient<br />

wird reduziert (Heinze u. Keller 2000). Wenn sich mehrere<br />

Männchen in einer sozialen Einheit fortpflanzen, hängt die genetische<br />

Diversität der Nachkommen davon ab, ob die Weibchen sich monandrisch<br />

oder polyandrisch verpaaren und wie stark der reproductive skew zwischen<br />

Männchen ausgeprägt ist.<br />

Der Verwandtschaftsgrad zwischen sich reproduzierenden Individuen<br />

desselben Geschlechts bestimmt auch den Verwandtschaftsgrad zwischen<br />

Matrilinien bzw. Patrilinien innerhalb einer Gruppe (Rossiter et al. 2005).<br />

Auf der Populationsebene interagiert das Paarungssystem zudem mit der<br />

sozialen Organisation bei der Verteilung von genetischer Diversität über<br />

die verschiedenen räumlich-hierarchischen Ebenen, d. h. innerhalb von<br />

Gruppen, zwischen benachbarten Gruppen, zwischen nicht unmittelbar benachbarten<br />

Gruppen usw. (Richardson et al. 2002). Selbst bei solitären Arten<br />

kommt es durch Philopatrie zur räumlichen Klumpung von genetisch<br />

ähnlichen Individuen (Kappeler et al. 2002). Philopatrie führt aber auch<br />

nicht zwingend zur lokalen Aggregation von Verwandten (van Horn et al.<br />

2004), und umgekehrt können abgewanderte Tiere sich auch überzufällig<br />

häufig in ihren neuen Gruppen zusammenfinden (Bradley et al. 2007).


11.3 Sozialstruktur 527<br />

11.3 Sozialstruktur<br />

Alle Individuen interagieren mehr oder weniger häufig mit Artgenossen.<br />

Diese Interaktionen beinhalten den Austausch von Aktionen oder Signalen.<br />

Der Austausch von Signalen wird als Kommunikation bezeichnet und<br />

stellt eine Grundlage zur Etablierung von sozialen Beziehungen, aber auch<br />

zum allgemeinen Austausch von Information zwischen Individuen, dar.<br />

Wenn dieselben Individuen regelmäßig miteinander interagieren, kann<br />

man über die Bewertung der Häufigkeit und Inhalte ihrer Interaktionen<br />

Rückschlüsse über die soziale Beziehung zwischen ihnen treffen. Aus den<br />

Merkmalen der Beziehungen zwischen allen Individuen einer sozialen<br />

Einheit kann deren soziale Struktur charakterisiert werden (Hinde 1976;<br />

Abb. 11.12).<br />

Die Häufigkeit und Reziprozität von sozialen Interaktionen können<br />

leicht beobachtet und quantifiziert werden. Die Beurteilung der funktionalen<br />

Qualität einer Interaktion ist dagegen schwieriger. Die gröbste Klassifizierung<br />

der Funktion sozialer Interaktionen unterscheidet zwischen Konflikt<br />

und Konkurrenz einerseits und Kooperation andererseits. Balz- und<br />

Paarungsverhalten ist ein wichtiger anderer Funktionskontext, in dem Tie-<br />

Abb. 11.12. Hierarchie der Sozialstruktur. Aktionen und Signale sind die operationalisierbaren<br />

Grundelemente des Verhaltens, deren Austausch zwischen Individuen<br />

(A, B, C usw.) als Interaktionen beobachtet werden kann. Aus der Häufigkeit<br />

und Qualität der Interaktionen lassen sich die sozialen Beziehungen einzelner Dyaden<br />

(A-B, A-C, B-C) ermitteln. Die Gesamtbetrachtung aller dyadischen Beziehungen<br />

innerhalb einer sozialen Einheit beschreibt deren Sozialstruktur


528 11 Sozialsysteme<br />

re interagieren. Wenn ein Individuum ein anderes „angreift“ und „beißt“,<br />

ist die Bedeutung dieser Verhaltensweisen als Aggression im Kontext des<br />

Konkurrenzverhaltens offensichtlich. Um die Funktion anderer Verhaltenselemente,<br />

insbesondere die von Signalen, benennen zu können, sind<br />

jedoch objektive analytische Schritte notwendig. So kann „Zähne entblößen“<br />

beispielsweise je nach Kontext oder Art eine freundliche oder<br />

drohende Funktion haben. Solche funktionalen Zuordnungen einzelner<br />

Elemente können objektiv mit Hilfe von multivariaten Klassifikationsverfahren<br />

erfolgen. Dabei werden einige wenige Verhaltenselemente mit eindeutigem<br />

Funktionskreis wie Aggression, Submission, Affiliation oder<br />

Balz festgelegt. Durch Identifikation überzufälliger Häufung im zeitlichen<br />

Fenster eines solchen Elements können andere Elementen funktionell zugeordnet<br />

werden (Preuschoft u. van Hooff 1995). Wenn beispielsweise<br />

eine bestimmte Vokalisation immer unmittelbar mit dem Weglaufen vor<br />

einem aggressiven Artgenossen assoziiert ist, kann sie als „Submissionanzeigender<br />

Laut“ klassifiziert werden. Ein ausführliches Beispiel für<br />

diese objektive Vorgehensweise findet sich bei Pereira u. Kappeler (1997).<br />

Soziale Beziehungen können also nicht direkt gemessen werden. Vielmehr<br />

handelt es sich um ein virtuelles Konstrukt, das durch die Summe<br />

und Art der Interaktionen zwischen zwei Individuen definiert ist. Es gilt<br />

also, eine Verbindung zwischen einzelnen Verhaltensweisen und deren Integration<br />

über die Zeit herzustellen. Einzelne Interaktionen sind dabei<br />

durch die Kombination bestimmter Verhaltenselemente definiert. Nach<br />

diesem Ansatz lassen sich aus einer Vielzahl von Interaktionen die sozialen<br />

Beziehungen zwischen allen Mitgliedern einer Gruppe charakterisieren<br />

(Whitehead 1997). Die u. a. durch Methoden der Sozialen Netzwerktheorie<br />

beschreibbaren Sozialstrukturen können dann in Bezug auf herausragende<br />

Muster, meist in Bezug auf das Geschlecht oder den Verwandtschaftsgrad,<br />

charakterisiert und zwischen sozialen Einheiten verglichen werden (Krause<br />

et al. 2007).<br />

Warum Individuen bestimmte Verhaltensweisen miteinander austauschen,<br />

kann in mehreren Funktionskontexten, wie Partnerwahl und Kooperation,<br />

sinnvoll mit biologischer Markttheorie analysiert werden (Noë u.<br />

Hammerstein 1994). Demnach stellen bestimmte Verhaltensweisen Waren<br />

(commodities) dar, deren Wert beim Austausch zwischen Individuen durch<br />

Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Individuen unterscheiden sich darin,<br />

wie viel Kontrolle sie über einzelne Waren besitzen. Sie wählen ihre<br />

Tauschpartner frei, wobei angenommen wird, dass die Interaktion mit einem<br />

bestimmten Partner einen höheren Gewinn erbringt als dieselbe Interaktion<br />

mit einem zufälligen Partner. Dadurch entsteht Konkurrenz zwischen<br />

Individuen darüber, als Tauschpartner gewählt zu werden. Mit<br />

diesem Konzept kann unter anderem erklärt werden, warum Pavianmütter


11.3 Sozialstruktur 529<br />

(Papio ursinus) in Gruppen mit wenigen Jungen länger gegroomt werden<br />

als solche in Gruppen mit vielen Jungen (Henzi u. Barrett 2002), warum<br />

Putzerfische (Labroides dimidiatus) zufriedene Kunden haben (Bshary u.<br />

Schäffer 2002) und wie grooming und agonistische Unterstützung bei<br />

Schimpansen (Pan troglodytes) miteinander verrechnet werden (Watts<br />

2002). Zahlreiche andere Beispiele für die Anwendung dieses Ansatzes<br />

finden sich in Noë et al. (2001).<br />

11.3.1 Kommunikation<br />

Soziale Interaktionen basieren zum Großteil auf dem Austausch von Signalen<br />

in Form von Lauten, Gerüchen, Bewegungen, Vibrationen, elektrischen<br />

Impulsen und visuellen Mustern (Abb. 11.13). Wenn mit Hilfe eines<br />

Signals Information von einem Sender an einen Empfänger übertragen<br />

wird und der Empfänger als Reaktion darauf sein Verhalten oder seine<br />

Physiologie verändert, findet Kommunikation statt. Es ist dabei bedeutsam,<br />

dass der Transfer von Information mit Vorteilen für den Sender und<br />

Empfänger verbunden ist (Bradbury u. Vehrencamp 1998). Information,<br />

deren Verwertung für den Sender nachteilig ist, wird dagegen als Reiz<br />

(cue) bezeichnet (Maynard Smith u. Harper 2003). Die Ausbeutung von<br />

Reizen zum Vorteil des Empfängers wird als Lauschen (eavesdropping)<br />

benannt (Valone 2007). Räuber belauschen beispielsweise Reize ihrer<br />

Beute, um sie zu lokalisieren (z. B. Fledermäuse orten Frösche: Page u.<br />

Ryan 2005). Manche Beutetiere wechseln bei ihrer Kommunikation daher<br />

Abb. 11.13. Ein Großteil der Kommunikation zwischen Tieren erfolgt durch den<br />

Austausch von chemischen, akustischen und visuellen Signalen, hier illustriert<br />

durch einen markierenden Katta, brüllenden Löwen und balzenden Paradiesvogel


530 11 Sozialsysteme<br />

auf „private Kanäle“, die von ihren Räubern nicht wahrgenommen werden<br />

können (z. B. UV-Signale bei Fischen: Cummings et al. 2003). Bestimmte<br />

Kommunikationsformen, wie Elektrokommunikation bei Fischen, sind dagegen<br />

explizit auf Kommunikation mit heterospezifischen Empfängern<br />

ausgerichtet (Scheffel u. Kramer 2000). Manche Signale, wie die Ortungslaute<br />

von Fledermäusen oder Delfinen, dienen der Autokommunikation.<br />

Da Eigenschaften und Übertragung von Signalen mit verschiedenen physiologischen,<br />

sozialen und ökologischen Kosten und Nutzen verbunden<br />

sind, existieren verschiedene Optimierungskriterien für Signalsysteme<br />

(Lachmann et al. 2000). Die Art und Menge der übertragenen Information<br />

variiert zudem erheblich, je nach Funktion und Struktur eines Signals<br />

(Endler u. Basolo 1998). Aufgrund dieser Eigenschaften stellt Kommunikation<br />

den Kitt dar, der tierische Gesellschaften zusammenhält und Individuen<br />

wichtige Mechanismen an die Hand gibt, ihre Fitness zu maximieren.<br />

(1) Signale und Modalitäten. Tiere produzieren Signale in verschiedenen<br />

Modalitäten, die sich in wichtigen Merkmalen unterscheiden (Tabelle<br />

11.3). Daher sind manche Signale für bestimmte Funktionen besser geeignet<br />

als andere. Die stammesgeschichtlich ältesten Signale im Tierreich<br />

sind chemische Stoffe, die mit Geruchs- oder Geschmacksrezeptoren<br />

wahrgenommen werden. Sowohl Stoffwechselabfallprodukte (Urin, Kot),<br />

Moleküle an der Körperoberfläche als auch von spezifischen Drüsen hergestellte<br />

Substanzen dienen dabei als Signale (Pheromone). Die Kosten<br />

Tabelle 11.3. Vergleich der Eigenschaften von Signalen in verschiedenen Modalitäten.<br />

Details im Text<br />

Signale<br />

optisch<br />

olfaktorisch<br />

akustisch<br />

vibratorisch<br />

elektrisch<br />

Produktionskosten<br />

gering hoch gering hoch hoch<br />

Reichweite weit weit gering gering gering<br />

Überwindung<br />

Hindernisse<br />

gut gut schlecht schlecht gut<br />

Flexibilität gering hoch variabel hoch hoch<br />

Persistenz hoch gering variabel gering gering


11.3 Sozialstruktur 531<br />

ihrer Herstellung sind daher in der Regel vergleichsweise gering. Chemische<br />

Signale können über größere Entfernungen wirken und physikalische<br />

Hindernisse überwinden. Sie können im Wasser, an Land und in der Luft<br />

eingesetzt werden. Sie haben den Vorteil, dass sie nach dem Ausbringen<br />

länger an einem Ort persistieren als der Sender selbst und von mehreren<br />

Empfängern nacheinander wahrgenommen werden können, aber sie sind in<br />

Bezug auf Änderungen der Signalhäufigkeit sehr träge. Die Modulation<br />

von Information kann über Änderung der Signalhäufigkeit oder Zusammensetzung<br />

erfolgen. Wenn chemische Signale auf Stoffwechselprodukten<br />

basieren oder diese enthalten, handelt es sich um weitgehend ehrliche<br />

Signale.<br />

Laute werden von Tieren auf vielfältige Weise erzeugt und mit fast<br />

ebenso vielen unterschiedlichen Organen wahrgenommen. Die Produktion<br />

von Lauten ist für den Sender vergleichsweise aufwändig und energetisch<br />

kostspielig. Durch Veränderung der Frequenz und Amplitude ist eine sehr<br />

flexible Modulation dieser Signale möglich. Außerdem kann über die Häufigkeit<br />

und Dauer der Lautproduktion sowie durch variablen Einsatz und<br />

Kombination von Einzelelementen ein Höchstmaß an Flexibilität und Informationsübertragung<br />

gewährleistet werden. Der Einsatz von Lauten erfordert<br />

daher permanente neuronale Kontrolle. Die Reichweite von Lauten<br />

ist sowohl in der Luft als auch im Wasser groß, aber die Nachhaltigkeit<br />

dieser Signale ist minimal.<br />

Visuelle Signale können in permanente Zustände und diskrete Ereignisse<br />

unterteilt werden. Bestimmte Merkmale eines Senders, wie seine<br />

Größe oder Färbung, senden permanent Informationen an seine soziale<br />

Umwelt. Andere Signale basieren dagegen auf kurzen Bewegungen oder<br />

Präsentationen. Da sie in jedem Fall Sichtkontakt zwischen Sender und<br />

Empfänger erfordern, erlauben sie die beste individuelle Zuordnung aller<br />

Signale. Allerdings ist ihre Reichweite dafür beschränkt, und für viele Tiere<br />

ist ihr erfolgreicher Einsatz auf den Tag beschränkt. Körpergröße und<br />

bunte oder extravagante Ornamente sind ehrliche Hinweise (siehe unten)<br />

auf bestimmte Eigenschaften des Senders, sie können dafür aber nicht<br />

kurzfristig moduliert werden.<br />

Vor dem Hintergrund der verschiedenen Vor- und Nachteile einzelner<br />

Signale sind drei Aspekte bemerkenswert. Erstens werden physische<br />

Merkmale von Signalen dahingehend optimiert, dass ihre Übertragung unter<br />

widrigen Umweltbedingungen maximiert wird (Slabbekoorn u. Peet<br />

2003). Außerdem können Empfänger ihre Fähigkeit, Signale unterschiedlicher<br />

Qualität zu bewerten, optimieren (Naguib u. Wiley 2001). Zweitens<br />

werden Signale im Lauf der Evolution durch Ritualisierung optimiert. Dabei<br />

werden sie verstärkt, wiederholt und immer stereotyper und damit für<br />

den Empfänger eindeutiger (Zahavi 1979). Drittens kann durch die Kom-


532 11 Sozialsysteme<br />

bination von Signalen die Wahrscheinlichkeit der Wahrnehmung erhöht<br />

werden (Hebets u. Papaj 2005). Außerdem können durch die Kombination<br />

von Signalen neue Bedeutungen generiert werden (Johnstone 1996).<br />

Die Übertragung eines Signals kann in mehrere Schritte untergliedert<br />

werden, an denen Selektion unabhängig ansetzen kann (Endler u. Basolo<br />

1998). Ob überhaupt ein Signal produziert wird, hängt zunächst von der<br />

Verfassung und Motivation des Senders ab. Die Struktur eines Signals ist<br />

auch stark von morphologischen Vorgaben eingeschränkt. Bei Darwin-<br />

Finken (Geospiza spp.) korreliert beispielsweise die Frequenzbreite und<br />

Wiederholungsrate einzelner Laute negativ mit der Schnabel- und Körpergröße<br />

(Podos 2001). Bei der eigentlichen Übertragung zum Empfänger<br />

sind je nach Signal verschiedene Umweltfaktoren bedeutsam, die mit der<br />

Struktur des Signals interagieren. Der Empfang eines Signals durch einen<br />

Empfänger hängt von der Empfindlichkeit des Rezeptors und der Intensität<br />

des Hintergrundrauschens ab. Die Transduktion und Kodierung eines empfangenen<br />

Signals hängen im Wesentlichen von den physiologischen Eigenschaften<br />

des Rezeptor(organ)s ab. Danach erfolgt im zentralen Nervensystem<br />

die Wahrnehmung und Klassifizierung der kodierten Information.<br />

Der Bewertung dieser Information durch kognitive Prozesse folgt schließlich<br />

die Entscheidung des Empfängers für eine bestimmte Reaktion.<br />

(2) Ehrlichkeit. Ein entscheidendes Kriterium bei der Bewertung des Einsatzes<br />

und der Funktion von Signalen betrifft deren Ehrlichkeit. In der<br />

klassischen Ethologie wurde Kommunikation als kooperative Interaktion<br />

betrachtet, die dem effektiven Informationstransfer dient. Kommunikation<br />

zwischen Artgenossen wird demnach durch „konspiratives Flüstern“ bewerkstelligt<br />

(Johnstone 1998). Vor dem Hintergrund der Einsicht, dass es<br />

Interessenskonflikte zwischen Individuen beim Versuch, ihre individuelle<br />

Fitness zu maximieren, gibt, haben Dawkins u. Krebs (1978) den einflussreichen<br />

Vorschlag gemacht, dass Signale die wichtigste Möglichkeit von<br />

Tieren darstellen, das Verhalten anderer zu ihrem Vorteil zu manipulieren.<br />

Da in diesem Kontext auch unehrliche Signale eingesetzt werden könnten,<br />

gibt es Selektion auf Empfänger, ehrliche und unehrliche Signale zu unterscheiden.<br />

Das vorhergesagte Ergebnis ist ein evolutionäres Wettrennen,<br />

das zur Entwicklung von immer stärker übertriebenen Signalen führt.<br />

Empfänger können auf die Ehrlichkeit von Signalen setzen, weil manche<br />

Signale nicht gefälscht werden können. Die Grundfrequenz der Rufe<br />

von Erdkröten (Bufo bufo) ist beispielsweise eng negativ mit der Körpergröße<br />

korreliert, so dass andere die Größe eines rufenden Männchens verlässlich<br />

einschätzen können (Davies u. Halliday 1978). Ein zweiter Grund,<br />

warum Signale ehrlich sein können, besteht darin, dass es sehr teuer und<br />

aufwändig ist, ein unehrliches Signal zu produzieren (Zahavi 1977). Dem-


11.3 Sozialstruktur 533<br />

nach stellt die Produktion eines ehrlichen (Qualitäts-)Signals ein handicap<br />

dar, das sich nur Individuen in entsprechender Kondition leisten können<br />

( Kap. 8.3). Dabei könnte Ritualisierung den Prozess darstellen, durch<br />

den Signale ihre Ehrlichkeit gewinnen und behalten (Zahavi 1979).<br />

Die Koppelung von Qualitätssignalen an den Testosterongehalt, der mit<br />

positiv energetischen und immunologischen Nachteilen korreliert, könnte<br />

einen proximaten Mechanismus darstellen, der für die Ehrlichkeit mancher<br />

Signale sorgt (Folstad u. Karter 1992). Bei Haussperlingen (Passer domesticus)<br />

sind beispielsweise die Größe des männlichen Brustflecks und<br />

die Stoffwechselrate positiv mit dem Testosterontiter korreliert (Buchanan<br />

et al. 2001). Zwänge durch die Limitierung neuronalen Speicherplatzes<br />

könnten dazu beitragen, dass Vogelgesang ehrlich bleibt (Gil u. Gahr<br />

2002). Soziale Kosten in Form von Aggression gegenüber entdeckten Betrügern<br />

stellen einen weiteren Mechanismus zur Aufrechterhaltung der<br />

Ehrlichkeit von Signalen dar. Gallische Feldwespen (Polistes dominulus)<br />

besitzen beispielsweise ein schwarz-gelbes Gesichtsmuster, das mit dem<br />

individuellen Dominanzstatus korreliert. In Konflikten zwischen Wespen<br />

mit experimentell veränderten Mustern erhielten Betrüger deutlich mehr<br />

Aggression von Dominanten als Kontrollen (Tibbetts u. Dale 2004).<br />

Trotz starker Selektion auf die Ehrlichkeit von Signalen können Tiere<br />

Artgenossen durch den Einsatz von Signalen täuschen (Semple u. McComb<br />

1996). Es ist aber zu erwarten, dass unehrliche Signale nur mit geringer<br />

Frequenz eingesetzt werden (Dawkins u. Guilford 1991), so dass unehrliche<br />

Signale selten so häufig vorkommen wie die kleinen, nachgewachsenden<br />

Scheren von Winkerkrabben (Uca annulipes), die als visuelle Signale<br />

eingesetzt werden (Backwell et al. 2000).<br />

(3) Bedeutung. Wie wissen Tiere, welches Signal sie wann produzieren<br />

müssen bzw. welche Bedeutung ein empfangenes Signal hat? Sowohl auf<br />

der Sender- als auch auf der Empfängerseite spielen genetische Kontrolle<br />

und Lernen die entscheidende Rolle ( Kap. 10.5). Die Produktion der<br />

meisten Signale basiert auf genetischer Information. Prinzipiell lässt sich<br />

das angeborene Repertoire an Signalen durch Aufzucht in Isolation ermitteln.<br />

Neugeborene oder frisch geschlüpfte Individuen sind häufig in der<br />

Lage, zumindest manche artspezifischen Signale zu produzieren. Die Produktion<br />

von Signalen ist auch vom Entwicklungszustand abhängig und erfolgt<br />

erst, wenn die zur Produktion notwendigen Strukturen vollständig<br />

entwickelt sind. So gibt es beispielsweise olfaktorische Signale, die von<br />

Säugetieren erst mit Beginn der Geschlechtsreife erzeugt werden können.<br />

Manche Signale sind so stereotyp, dass sie von Beginn an in ein und derselben<br />

Form produziert werden (Hammerschmidt et al. 2000), wohingegen


534 11 Sozialsysteme<br />

andere langsam im Laufe der Individualentwicklung in die endgültige Version<br />

„kristallisieren“ (Todt u. Hultsch 1996).<br />

Die einzige große Ausnahme im Tierreich in Bezug auf die genetische<br />

Grundlage der Signalproduktion stellt der Vogelgesang dar. Wenn Vögel<br />

Gesangselemente unter dem Einfluss von Artgenossen oder deren Signale<br />

modifizieren, handelt es sich um Produktions-Lernen (Janik u. Slater<br />

2000). Manchmal können existierende Signale auch in einem neuen Kontext<br />

eingesetzt werden und dort eine neue Bedeutung annehmen, was als<br />

Gebrauchs-Lernen bezeichnet wird. Primaten können ihre funktional referentiellen<br />

Alarmrufe beispielsweise relativ früh produzieren, müssen aber<br />

den korrekten Einsatz lernen (Seyfarth u. Cheney 1997, Fichtel 2008). Die<br />

Struktur von eigentlich stereotypen Signalen kann unter anderem durch<br />

Änderung des sozialen Umfeldes (Rukstalis et al. 2003), des emotionalen<br />

Zustandes des Senders (Fichtel et al. 2001), seines Reproduktions-<br />

(Semple u. McComb 2000) und Dominanzstatus (Fischer et al. 2004), seines<br />

Alters (Osada et al. 2003) und seiner Immunkompetenz (Rantala et al.<br />

2002) sowie durch die Dringlichkeit der Bedrohung durch Räuber (Manser<br />

2001) modifiziert werden. Bei akustischen Signalen sind auch populationsspezifische<br />

Modifikationen von Signalstrukturen bekannt, die als Dialekte<br />

betrachtet werden können. Bei Gelbrücken-Papageien (Amazona auropalliata)<br />

gibt es auf Populationsebene keine Korrelation zwischen genetischer<br />

Variabilität und der Variabilität eines Kontaktrufs, was darauf hindeutet,<br />

dass lokale Dialekte durch soziales Lernen erhalten werden (Wright u.<br />

Wilkinson 2001).<br />

Auf der Seite der Empfänger gibt es ebenfalls zahlreiche Hinweise auf<br />

ein angeborenes Erkennen von artspezifischen Signalen. Bei Roten Ernteameisen<br />

(Pogonomyrmex barbatus) modifizieren Arbeiterinnen beispielsweise<br />

ihre nächste Aufgabe in Abhängigkeit von verschiedenen Kohlenwasserstoffmolekülen,<br />

die sie auf der Körperoberfläche von Artgenossen<br />

perzipieren (Greene u. Gordon 2003), und bei Honigbienen (Apis mellifera)<br />

wird durch Kontakt mit der „Königinnensubstanz“ die eigene Fortpflanzung<br />

unterdrückt (Moritz et al. 2000). Die Bedeutung von Signalen<br />

wird aber auch von Anfang an gelernt. So können frisch geschlüpfte<br />

Lachmöwen (Larus ridibundus) ihre Eltern beim Anflug auf das Nest unter<br />

Hunderten von anderen Erwachsenen am Ruf erkennen und schon vor<br />

deren Landung mit Betteln beginnen (Charrier et al. 2001). In manchen<br />

Kommunikationssystemen gibt es aber hinreichend Flexibilität, so dass ein<br />

existierendes Signal in seiner Bedeutung mit einem neuen Kontext assoziiert<br />

werden kann (Verständnis-Lernen; Janik u. Slater 2000). So können<br />

Signale für den Sender und Empfänger neue Bedeutung gewinnen (van<br />

Baalen u. Jansen 2003). Außerdem gibt es Hinweise von Vögel- und Pri-


11.3 Sozialstruktur 535<br />

matenstudien, dass die Bedeutung heterospezifischer Signale (Alarmrufe)<br />

gelernt werden kann (Zuberbühler 2000, Fichtel 2004).<br />

(4) Signalfunktion. Viele Signale haben eine ganz spezifische Funktion.<br />

Das Bombykol-Molekül des Seidenspinners (Bombyx mori; Kap. 8.1) ist<br />

eines der extremsten Beispiele dafür. Andere Signale werden dagegen in<br />

so großer Zahl und unterschiedlicher Kombination abgegeben, dass die<br />

Funktion eines einzelnen Elements, wie z. B. eine Strophe im Gesang einer<br />

Amsel, nicht erkennbar ist. Die verschiedenen Modalitäten unterscheiden<br />

sich auch darin, wie dynamisch Signale ausgetauscht werden können (Todt<br />

u. Naguib 2000) oder wie gezielt sie an einen bestimmten Empfänger adressiert<br />

werden können (Kappeler 1998). Trotzdem lassen sich Funktionen<br />

der meisten Signale den großen, evolutionär bedeutsamen funktionalen<br />

Kontexten zuordnen. Da diese Funktionen in den vorangegangenen Kapiteln<br />

an den entsprechenden Stellen erwähnt wurden, erfolgt hier nur eine<br />

rekapitulierende Übersicht.<br />

Bei der Nahrungssuche dient Kommunikation (Stichwort: Bienentanz,<br />

Ameisenstraße, Futterrufe) dem Austausch von Information über die Lage<br />

von Futterquellen. Das Kennzeichnen und Verteidigen von Territorien<br />

dient in vielen Fällen auch primär der Ressourcensicherung. Im Kontext<br />

der Räubervermeidung spielen Alarmrufe eine wichtige Rolle dabei, Artgenossen<br />

vor Raubfeinden zu warnen. Außerdem kommunizieren Tiere<br />

mit besonders auffälligen oder kryptischen Signalen mit ihren potentiellen<br />

Räubern. Kommunikation spielt im Kontext der sexuellen Selektion eine<br />

entscheidende Rolle bei mehreren Prozessen. Signale dienen dazu, potentielle<br />

Paarungspartner der eigenen Art zu erkennen und Verwandte zu<br />

vermeiden. Bei der Konkurrenz zwischen Mitgliedern eines Geschlechts<br />

spielen Signale eine herausragende Rolle bei der Etablierung von Dominanzbeziehungen<br />

oder Paarungsterritorien. Die Partnerwahl basiert bei<br />

vielen Tieren auf Signalen, die Information über die Qualität des Senders<br />

enthalten. Bei der Brutfürsorge erfolgen sowohl die Erkennung der Jungen<br />

als auch Konflikte über elterliches Investment über den Austausch<br />

von Signalen. Die Erkennung und Diskriminierung von Verwandten basiert<br />

ebenfalls auf Signalen, die Information über genetische Ähnlichkeit<br />

enthalten.<br />

11.3.2 Koordination<br />

Gruppen von Tieren unterscheiden sich in ihrer Größe (von wenigen Individuen<br />

bis mehr als 10 Millionen), Zusammensetzung, Permanenz und<br />

Kohäsion (Parrish u. Edelstein-Keshet 1999). Um die Kohäsion einer


536 11 Sozialsysteme<br />

Gruppe zu gewährleisten, müssen die Aktivitäten und Bewegungen der<br />

einzelnen Gruppenmitglieder miteinander koordiniert werden, da es Interessenskonflikte<br />

zwischen individuellen Bedürfnissen oder Präferenzen<br />

gibt (Conradt u. Roper 2003). Wenn eine Primatengruppe nach einer Rast<br />

zu einer Futterquelle aufbricht, ein Vogelschwarm einen Futterplatz verlässt<br />

oder ein Bienenvolk ein neues Nest sucht, verlieren diejenigen Individuen,<br />

die sich der Entscheidung der Gruppe nicht anschließen, zumindest<br />

temporär die Vorteile des Gruppenlebens. Wenn es unvereinbare Interessenskonflikte<br />

gibt, kann es aber zur Bildung von temporären Untergruppen<br />

kommen (Kerth et al. 2006). In jedem Fall müssen aber Verhaltensmechanismen<br />

existieren, mit deren Hilfe Entscheidungen auf Gruppenebene<br />

unter anderem darüber herbeigeführt werden, welche Aktivitäten<br />

ausgeführt werden, wann andere Aktivitäten aufgenommen werden (Côté<br />

et al. 1997) und in welche Richtung sich eine Gruppe bewegt (Byrne<br />

2000).<br />

Die Vielfältigkeit und Bedeutung von Gruppenentscheidungen (communal<br />

decisions) lassen sich an einigen Beispielen verdeutlichen. Wenn<br />

Honigbienen (Apis mellifera) eine neue Unterkunft für ihr Volk suchen,<br />

werden potentielle neue Quartiere von einzelnen scouts inspiziert (Seeley<br />

u. Buhrman 1999). Diese übermitteln die gewonnenen Informationen zurück<br />

an das Volk, welches daraufhin in eines der möglichen neuen Quartiere<br />

umsiedelt (Seeley u. Visscher 2004). Dabei übermitteln die scouts<br />

ihre Informationen mit Hilfe des Bienentanzes, mit dem ansonsten Nahrungsquellen<br />

angezeigt werden. Jeder scout besucht normalerweise nur ein<br />

potentielles neues Quartier (Camazine et al. 1999), erfasst bestimmte Aspekte<br />

davon und „wirbt“ mit einer Intensität des Tanzes dafür, die seinem<br />

„Enthusiasmus“ entspricht, wobei die Intensität des Tanzes im Laufe der<br />

Zeit linear abnimmt (Seeley 2003); es findet also keine Entscheidung zwischen<br />

Alternativen durch einzelne scouts statt. Bienen, die diese Information<br />

nutzen, inspizieren das vorgeschlagene Quartier und werben nach ihrer<br />

Rückkehr ebenfalls dafür; es kommt dadurch zur parallelen<br />

Verstärkung von Tänzen zu Gunsten verschiedener Quartiere. Zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt kommt es dann dazu, dass die scouts ihre Tänze einstellen,<br />

stattdessen ein Aufbruchsignal (piping signal) geben und der<br />

Schwarm geschlossen zu einem der möglichen neuen Quartiere aufbricht<br />

(Visscher u. Seeley 2007). Der Prozess, der zu dieser Entscheidung führt,<br />

besteht offenbar nicht darin, einen Konsensus herzustellen, sondern dem<br />

scheint ein Quorum zu Grunde zu liegen (Seeley u. Visscher 2004).<br />

In den Kolonien eusozialer Insekten gibt es auch andere Funktionen und<br />

Mechanismen für Gruppenentscheidungen (Anderson u. Franks 2001). So<br />

entscheiden in Kolonien mit multiplen Königinnen die Arbeiterinnen beispielsweise<br />

darüber, welche und wie viele Individuen als neue Königinnen


11.3 Sozialstruktur 537<br />

herangezogen werden (Tarpy u. Gilley 2004). Manche Ameisen (z. B. Leptothorax<br />

albipennis) entscheiden auf Kolonieebene darüber, welcher Ort<br />

für ein neues Nest am besten geeignet ist, allerdings mit anderen Mechanismen<br />

als Honigbienen: Sie legen entweder mit Duftstoffen eine Straße<br />

für ihre Genossinnen oder geleiten (tandem running) bzw. tragen sie persönlich<br />

zu einem möglichen neuen Nest (Mallon et al. 2001). Dabei kann<br />

auch über ein Quorum eine Entscheidung für ein neues Nest herbeigeführt<br />

werden (Pratt et al. 2002). Auch bei baumlebenden Ameisen (Oecophylla<br />

spp.), die aus ihren Körpern Ketten bilden, um Zwischenräume zu überbrücken,<br />

entscheidet die Anzahl der Individuen, die sich an einer von zwei<br />

Ketten beteiligen, darüber, welche Kette letztendlich von allen weitergebaut<br />

und benutzt wird (Lioni u. Deneubourg 2004).<br />

Fisch- oder Vogelschwärme, die zum Teil Millionen von Individuen<br />

umfassen, müssen die Richtung und Dauer ihrer Gruppenbewegungen koordinieren,<br />

um den gegensätzlichen Anforderungen von Nahrungssuche<br />

und Prädationsvermeidung gerecht zu werden. Diese Schwärme sind in der<br />

Regel so groß, dass die Mitglieder sich nicht individuell erkennen, nicht<br />

wissen, welche Individuen entscheidende Informationen besitzen, und es<br />

keine Rekrutierungssignale gibt (Couzin et al. 2005). Deren Zusammenhalt<br />

sowie die geordnete Bewegung des gesamten Schwarmes werden durch<br />

einfache Regel der Selbstorganisation, wie „halte einen bestimmten Abstand<br />

zu deinem Nachbarn ein“, koordiniert (Abb. 11.14; Hemelrijk 2002).<br />

Bei Wanderheuschrecken reicht das Erreichen einer bestimmten Mindest-<br />

Abb. 11.14. Koordination der Gruppenbewegung eines Raupenschwarms. Hunderte<br />

Individuen einer madagassischen Raupe bewegen sich als koordinierter<br />

Schwarm, wobei dessen Zusammenhalt vermutlich durch einfache Regeln der<br />

Selbstorganisation gewährleistet wird


538 11 Sozialsysteme<br />

größe, um eine geordnete Bewegung des gesamten Schwarmes herbeizuführen<br />

(Buhl et al. 2006).<br />

Innerhalb von Gruppen kann es im Rahmen von Aufgabenteilung auch<br />

dazu kommen, dass die Aktivität von Untergruppen einer bestimmten Koordination<br />

bedarf. Bei Schimpansen (Pan troglodytes) bilden sich beispielsweise<br />

regelmäßig Untergruppen, die Stummelaffen jagen. Zwischen<br />

den beteiligten Individuen muss ebenfalls eine Entscheidung über den<br />

Zeitpunkt der nächsten Jagd, die Identität der Beute sowie die Rollenverteilung<br />

zwischen den Jägern getroffen werden (Boesch 1994). Kooperativ<br />

jagende Schimpansen übernehmen dabei unterschiedliche Rollen, was ein<br />

Höchstmaß an Koordination sowie mehr als 20 Jahre Erfahrung bis zur<br />

Perfektion erfordert (Boesch 2002). Ähnliche Formen des kooperativen<br />

Jagens finden sich auch bei manchen sozialen Karnivoren (Löwen, Wildhunde:<br />

Packer u. Ruttan 1988) und bei Delfinen (Gazda et al. 2005).<br />

Wenn die Koordination auf Gruppenebene mit Vorteilen verbunden ist,<br />

profitieren die betroffenen Individuen davon, Entscheidungen gemeinsam<br />

zu treffen. Die Mechanismen der Entscheidungsfindung auf Gruppenebene<br />

stellen das Kernstück sozialer Kommunikation dar. Prinzipiell können<br />

gemeinsame Entscheidungen demokratisch, despotisch oder durch<br />

Mechanismen der Selbstorganisation herbeigeführt werden (Conradt u.<br />

Roper 2003). Dabei können eher passive Signale, wie individuelles Blicken,<br />

Ausrichten oder Bewegen in eine bestimmte Richtung, Grundlage<br />

einer Entscheidung sein (Conradt u. Roper 2003). Akustische Signale können<br />

zusätzliche und komplexere Informationen zur Beeinflussung von<br />

Gruppenmitgliedern übertragen (Trillmich et al. 2004). Bei sich selbst organisierenden<br />

Systemen kann es ausreichend sein, einen bestimmten konstanten<br />

Abstand zu seinen Nachbarn einzuhalten. In allen Fällen handelt es<br />

sich letztendlich um Entscheidungen einzelner Individuen, eine bestimmte<br />

Aktivität aufzunehmen oder sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen.<br />

Die Kriterien demokratischer Mechanismen sind noch wenig verstanden<br />

(Conradt u. Roper 2007). Despotische Entscheidungen einzelner Gruppenmitglieder<br />

könnten auf intrinsischen Qualitäten der betreffenden Individuen<br />

oder auf einem Informationsvorsprung basieren. In welchen Arten,<br />

unter welchen kognitiven Voraussetzungen und bei welchen interindividuellen<br />

Asymmetrien welche Prozesse möglich und vorteilhaft sind,<br />

wurde aber noch nicht systematisch untersucht.<br />

11.3.3 Konkurrenz<br />

Interessenskonflikte zwischen Individuen über die Maximierung ihrer inklusiven<br />

Fitness sind eine unvermeidliche Konsequenz des Lebens in


11.3 Sozialstruktur 539<br />

Gruppen. Individuen konkurrieren ständig um Nahrung, um oder mit Fortpflanzungspartnern<br />

oder um elterliche Fürsorge. Im Rahmen dieser Konflikte<br />

versuchen Individuen, das Verhalten anderer zu ihren Gunsten zu<br />

manipulieren. Der Ausgang dieser Konflikte wird meist durch Asymmetrien<br />

in der individuellen Wettbewerbsfähigkeit bestimmt, welche zur<br />

Ausbildung von Dominanzbeziehungen führen, die ihrerseits den Zugang<br />

zu Ressourcen und die Kontrolle von Fortpflanzungsmöglichkeiten regeln.<br />

Durch ritualisierte Dominanzbeziehungen werden Konflikte zwar proximat<br />

entschärft, aber die Ursachen der Konflikte nicht beseitigt. Konkurrenz<br />

und Konflikt verursachen daher zentrifugale soziale Kräfte, die eine Auflösung<br />

von Gruppen fördern. Dem stehen die Vorteile des Gruppenlebens<br />

entgegen, insbesondere diejenigen, die das Prädationsrisiko senken. Gerade<br />

wenn das Leben in Gruppen durch ökologische Zwänge erzwungen<br />

wird, ist zu erwarten, dass soziale Mechanismen zur Konfliktlösung entstanden<br />

sind, welche die Kosten der Konkurrenz reduzieren.<br />

(1) Konkurrenz und Sozialstruktur. Das sozioökologische Modell liefert<br />

nicht nur Vorhersagen darüber, wie sich Männchen und Weibchen im<br />

Raum verteilen ( Kap. 11.1), sondern auch darüber, wie ökologische<br />

Faktoren und Verwandtschaftsmuster zusammenwirken, um Diversität in<br />

sozialen Strukturen zu generieren. Diese Zusammenhänge wurden besonders<br />

intensiv an Primaten untersucht.<br />

Eine auffällige Beobachtung über die soziale Struktur von Primaten betrifft<br />

deren Variabilität zwischen nahverwandten Arten mit vergleichbarer<br />

sozialer Organisation. Zwei zum Verwechseln ähnliche Arten südamerikanischer<br />

Totenkopfaffen (Abb. 11.15) leben zum Beispiel in Gruppen aus<br />

Abb. 11.15. Peruanische (Saimiri sciureus, links) und Costa-Ricanische Totenkopfaffen<br />

(S. oerstedii) haben ähnliche Größe und Habitus, aber grundverschiedene<br />

Sozialstrukturen


540 11 Sozialsysteme<br />

mehreren Männchen und Weibchen, besitzen aber völlig unterschiedliche<br />

Sozialstrukturen (Mitchell et al. 1991). Bei Peruanischen Totenkopfaffen<br />

(Saimiri sciureus) existieren klare, stabile Dominanzbeziehungen zwischen<br />

den Weibchen, die außerdem häufig untereinander Koalitionen bilden und<br />

philopatrisch sind. Bei der Schwesterart aus Costa Rica (Saimiri oerstedii)<br />

gibt es dagegen keine erkennbaren Dominanzstrukturen und Koalitionen,<br />

und die meisten Weibchen wandern aus ihrer Geburtsgruppe ab. Ein detaillierter<br />

Vergleich ihrer Ökologie ergab, dass sich ihre Körper- und Gruppengröße,<br />

Populationsdichten und Prädationsrisiken nicht unterscheiden<br />

(Mitchell et al. 1991). Der einzige auffällige Unterschied betrifft die Verteilung<br />

ihrer Nahrung im Raum. Peruanische Totenkopfaffen nutzen große<br />

Ressourcen wie Feigenbäume, die gut zu verteidigen sind, wohingegen die<br />

Art aus Costa Rica hauptsächlich in kleinen Baumkronen mit einigen wenigen<br />

Früchten fressen, deren Verteidigung sich offensichtlich nicht lohnt.<br />

Diese Unterschiede in der Hauptnahrungsquelle resultieren in unterschiedlichen<br />

Wettbewerbsformen um Nahrung, die ihrerseits zu unterschiedlichen<br />

Sozialstrukturen führen.<br />

Das kompetitive Regime einer Gruppe oder Population wird von<br />

Eigenschaften der Nahrungsressourcen wie deren Größe, räumlicher Verteilung<br />

und Verteidigbarkeit bestimmt und hat zwei distinkte Komponenten:<br />

Ausbeutungs- und Interferenzkonkurrenz ( Kap. 5.4). Beide Formen<br />

der Konkurrenz können sowohl innerhalb als auch zwischen Gruppen auftreten.<br />

Die Rahmenbedingungen dieser möglichen kompetitiven Regimes<br />

werden von drei nicht voneinander unabhängigen Variablen moduliert:<br />

Philopatrie, Nepotismus und Despotismus, aus deren Kombination sich<br />

vier realistische Fälle konstruieren lassen (Sterck et al. 1997). In Residenten-Nepotisten-Gruppen<br />

sind die Weibchen philopatrisch, unterstützen ihre<br />

Verwandten und kooperieren mit ihnen, und sie haben despotische Dominanzbeziehungen<br />

als Folge intensiver Interferenzkonkurrenz innerhalb der<br />

Gruppe. In Emigranten-Egalitaristen-Gruppen wechseln die Weibchen<br />

zwischen Gruppen, bilden keine agonistischen Allianzen und kooperieren<br />

auch nicht in anderen Kontexten miteinander; außerdem existieren keine<br />

stabilen, linearen Dominanzhierarchien aufgrund der vorherrschenden<br />

schwachen Ausbeutungskonkurrenz innerhalb der Gruppe. Wenn die Nahrungskonkurrenz<br />

zwischen Gruppen intensiv ist, kommt es dagegen zur<br />

Bildung von Residenten-Egalitaristen-Gruppen, die durch weibliche Philopatrie<br />

sowie das Fehlen von Dominanzbeziehungen und kooperativem<br />

Verhalten charakterisiert sind. Wenn schließlich die Nahrungskonkurrenz<br />

sowohl innerhalb als auch zwischen Gruppen ausgeprägt ist, bilden sich<br />

tolerante Residenten-Nepotisten-Gruppen, die durch weibliche Philopatrie,<br />

klare Dominanzbeziehungen, kooperatives Verhalten und Toleranz der<br />

Dominanten gegenüber den Subordinaten charakterisiert sind.


11.3 Sozialstruktur 541<br />

(2) Mechanismen der Konfliktlösung. Die Art und Weise, wie Konflikte<br />

zwischen Gruppenmitgliedern gelöst werden, ist noch vergleichsweise wenig<br />

verstanden. Für vier Mechanismen gibt es mehrere Hinweise: Bestechung,<br />

Zwang, Bestrafung und Versöhnung.<br />

Für niederrangige Tiere kann durch die Benachteiligung in Konkurrenzsituationen<br />

ein Selektionsdruck entstehen, die Gruppe zu verlassen, um<br />

anderswo ihre Situation zu verbessern. Wenn Dominante in größeren<br />

Gruppen mehr vom Gruppenleben profitieren, sollte es in ihrem Interesse<br />

liegen, dass die Subordinaten bleiben. Das heißt, bei der Lösung von Konflikten<br />

zwischen Dominanten und Subordinaten gehen auch individuelle<br />

Kosten-Nutzen-Bilanzen der Dominanten mit ein, so dass Konflikte nicht<br />

einfach despotisch gelöst werden können. Daher ist es denkbar, dass es<br />

zwischen den Beteiligten zu Kompromissen kommt, bei denen Dominante<br />

von ihnen gewünschtes Verhalten bei Subordinaten durch Zugeständnisse<br />

auslösen. Vereinbarungen zwischen Individuen zur Vermeidung eskalierender<br />

Konflikte können auf einem Belohnungssystem mit reziprokem Altruismus<br />

beruhen, das man als Bestechung bezeichnen kann. Diese Anreize<br />

bestehen meist in der Gewährung von limitierten Fortpflanzungsmöglichkeiten,<br />

da es allen Beteiligten bei Konflikten letztendlich um deren Maximierung<br />

geht. Diese Anreize werden als Bleibe- und Friedensanreize (stay<br />

and peace incentives) bezeichnet und wurden bislang vor allem bei eusozialen<br />

Arten im Rahmen von Reproductive-skew-Problemen dokumentiert<br />

( Kap. 9.7).<br />

Mit Belästigung (harassment) und Bestrafung (punishment) stehen prinzipiell<br />

zwei Verhaltensmechanismen zur Verfügung, mit deren Hilfe das<br />

Verhalten von Artgenossen durch Zwang manipuliert wird. Durch sexuelle<br />

Belästigung oder Nötigung können beispielsweise Männchen Weibchen zu<br />

Kopulationen veranlassen; ein für die Weibchen nachteiliges oder kostenträchtiges<br />

Verhalten, das aber den Männchen nützt ( Kap. 9.8). Durch<br />

die für die Beteiligten unterschiedlichen Interessen und Zwänge sind die<br />

Voraussetzungen für einen Zermürbungskrieg zwischen den Geschlechtern<br />

gegeben (Hammerstein u. Parker 1982). Es geht dabei um die Frage, ob die<br />

Männchen mit der Belästigung aufhören, bevor die Weibchen nachgeben,<br />

oder umgekehrt. Der Ausgang dieses Konflikts hängt vor allem von den<br />

Weibchen ab, da die Männchen in der Regel sehr viel größere potentielle<br />

Nutzen und geringere Kosten haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass<br />

es in den meisten Fällen zu erzwungenen Kopulationen kommt und Männchen<br />

auf diese Weise diesen Konflikt zu ihren Gunsten entscheiden können<br />

(Clutton-Brock u. Parker 1995a).<br />

Im Fall von Belästigung gibt es zunächst für beide Beteiligten Kosten,<br />

die aber für Dominante später auf Kosten der Subordinaten mehr als ausgeglichen<br />

werden. Im Fall der Bestrafung kompliziert sich die Situation


542 11 Sozialsysteme<br />

durch eine zusätzliche Interaktion. Hier gibt es zunächst eine Situation<br />

oder Interaktion, die dem Subordinaten nützt und dem Dominanten schadet.<br />

Dieser reagiert darauf mit der eigentlichen Bestrafung, die für beide<br />

mit Kosten verbunden ist, wobei die Kosten für Subordinate aber viel größer<br />

sind. Diese boshafte Interaktion hat zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit,<br />

mit welcher Subordinate die für Dominante nachteilige Aktion<br />

wiederholen, stark reduziert wird (Clutton-Brock u. Parker 1995b). Damit<br />

entsteht Dominanten durch Bestrafung ein Gewinn oder zumindest kein<br />

weiterer Verlust. Belästigung und Bestrafung führen also zu derselben Reaktion<br />

des Opfers. Sie unterscheiden sich aber darin, dass Belästigung für<br />

Dominante mit größeren Kosten verbunden ist als Bestrafung, da letztere<br />

oft schon mit Drohungen funktioniert, besonders bei wiederholten Interaktionen.<br />

Außerdem kann die Wirkung von Bestrafung theoretisch durch<br />

einen Zuschauereffekt potenziert werden.<br />

Es gibt einige Beispiele für den Einsatz von Bestrafung in verschiedenen<br />

Kontexten. Bei der Etablierung von Dominanzbeziehungen zwischen<br />

zwei Tieren kommt es oft zunächst zu einem Austausch von Aggression<br />

und Drohungen, bis einer die dominante Position des anderen anerkennt.<br />

Danach reichen meist zufällig verteilte Drohungen, um das Verhalten von<br />

Subordinaten zu kontrollieren (Silk 2002a). Von Zeit zu Zeit sollten Subordinate<br />

aber testen, ob sie die Beziehung zu ihren Gunsten wenden können.<br />

Solche nicht erfolgreichen Versuche haben oft erhöhte Aggression<br />

durch Dominante zur Folge, die als Bestrafung angesehen werden können.<br />

Aggressive Interaktionen zwischen jungen Blaufußtölpeln (Sula nebouxii)<br />

wurden beispielsweise in dieser Weise interpretiert (Drummond et al.<br />

2003). Bei der Ameise Dinoponera quadriceps lässt das Alpha-Weibchen<br />

Herausforderinnen durch andere Arbeiterinnen bestrafen, indem sie die<br />

Rivalin mit einer Substanz markiert, die bei den anderen Koloniemitgliedern<br />

Aggression auslöst (Monnin et al. 2002). Bei Mantelpavianen (Papio<br />

hamadryas) werden Weibchen, die sich zu weit von ihrem Haremshalter<br />

entfernen, von ihm mit einem Nackenbiss zurückgetrieben (Kummer<br />

1968). Bei Blässhühnern (Fulica atra) werden Junge, welche die Eltern<br />

beim Jagen nach Insekten durch ihr Bettelverhalten stören, dadurch bestraft,<br />

dass sie geschnappt und geschüttelt werden. Die Bestrafungsrate ist<br />

dabei negativ mit der Fütterungsrate korreliert, d. h. wer viel bestraft wird,<br />

bekommt auch weniger zu fressen (Leonard et al. 1988).<br />

Es gibt auch Beispiele für Täuschung zwischen Artgenossen, bei der falsche<br />

Signale ausgesendet oder erwartete Verhaltensweisen unterlassen<br />

werden. Wenn Betrüger entdeckt werden, ist Bestrafung möglich. Beispielsweise<br />

signalisieren Rhesusaffen (Macaca mulatta) das Finden von<br />

Nahrung mit spezifischen Lauten an ihre Gruppenmitglieder, wobei diese<br />

Rufe auch unterdrückt werden können. In einem Experiment präsentierte


11.3 Sozialstruktur 543<br />

Hauser (1992) einzelnen Tieren am Rand der Gruppe ein begehrtes Futter.<br />

In 45% der Versuche rief das betreffende Tier Gruppenmitglieder herbei.<br />

In insgesamt 92% der Versuche wurde das Tier aber entdeckt, worauf es<br />

meist zu aggressiven Auseinandersetzungen um das Futter kam. Tiere, die<br />

nicht gerufen hatten, waren dabei sehr viel mehr Aggression ausgesetzt als<br />

Rufer.<br />

Durch Bestrafung kann auch Kooperation eingefordert werden. Beim<br />

australischen Prachtstaffelschwanz (Malurus cyaneus) bleiben bis zu drei<br />

subadulte Männchen bei einem Brutpaar und helfen bei der Revierverteidigung<br />

und beim Füttern ihrer Geschwister. Das brütende Männchen ist<br />

dominant über alle anderen und aggressive Interaktionen sind normalerweise<br />

sehr selten. Mulder u. Langmore (1993) haben Helfer zu verschiedenen<br />

Phasen des Fortpflanzungszyklus gefangen und für 24 h festgehalten.<br />

Wenn dies außerhalb der Paarungszeit geschah, wurden die Helfer am<br />

nächsten Tag wieder problemlos in die Gruppe aufgenommen. Während<br />

der Paarungs-, Brut- und Futterphase wurde aber mehr als die Hälfte der<br />

heimkehrenden Helfer vom adulten Männchen minutenlang gejagt und attackiert.<br />

Dieses Verhalten kann als Bestrafung der Abwesenheit interpretiert<br />

werden, da dem dominanten Männchen dadurch erhebliche Kosten<br />

entstehen. Zusätzliche Beobachtungen zeigten nämlich, dass die Fütterungsaktivität<br />

der Helfer die Fütterungsrate des Männchens, aber nicht die<br />

des Weibchens, reduziert (Mulder et al. 1994). Wenn Männchen mehr Zeit<br />

mit Füttern verbringen müssen, haben sie weniger Zeit für andere Aktivitäten,<br />

vor allem Paarungen mit Nachbarinnen, die in dieser Zeit sehr häufig<br />

und erfolgreich sind, was wiederum die Bestrafung erklärt. Theoretische<br />

Modelle unterstützen die Annahme, dass Helfen durch Nötigung und Bestrafung<br />

stabilisiert werden kann (Crespi u. Ragsdale 2000).<br />

Die aus Konflikten und Aggressionen stammenden Spannungen zwischen<br />

Individuen können schließlich auch durch Versöhnung (reconciliation)<br />

nach Konflikten beseitigt werden. Über deren Existenz und Funktion<br />

wissen wir vor allem aus Untersuchungen an Primaten (de Waal 2000).<br />

Nach einer agonistischen Interaktion zwischen zwei Individuen kann sich<br />

die Wahrscheinlichkeit für weitere Aggression zwischen den Kontrahenten<br />

erhöhen, und der Empfänger von Aggression kann ökologische und physiologische<br />

Kosten in Form von reduzierter Nahrungsaufnahme, Verdrängung<br />

in Randbereiche der Gruppe oder emotionaler Erregung erfahren. In<br />

dieser Situation können affiliative Interaktionen zwischen ehemaligen<br />

Gegnern diese negativen Effekte abmildern. Bei Schimpansen (Pan troglodytes)<br />

wurde erstmals beobachtet, dass vormalige Gegner sich nicht vermeiden,<br />

sondern häufig unmittelbar nach einem Konflikt zusammenkommen<br />

und sich groomen oder umarmen (de Waal u. van Roosmalen<br />

1979). Diese Interaktionen werden funktional als Versöhnung interpretiert.


544 11 Sozialsysteme<br />

Eine signifikante Erhöhung der Häufigkeit solcher freundlicher Interaktionen<br />

in den ersten Minuten nach Konflikten, im Vergleich zu Kontrollsituationen<br />

ohne vorausgehende Aggression zwischen denselben Tieren,<br />

wurde mittlerweile bei zahlreichen Arten nachgewiesen (Aureli et al.<br />

2002).<br />

Dass Versöhnung auch tatsächlich als solche funktioniert, zeigten Vergleiche<br />

der Häufigkeiten, mit denen sich Opfer von Aggression nach<br />

einem Konflikt selbst kratzen. Dieses Verhalten ist ein Indikator für innere<br />

Anspannung. Nach Versöhnungen sind diese Raten deutlich geringer als<br />

nach Konflikten ohne Versöhnung (Das et al. 1998). Nach Versöhnung<br />

steigt auch die Toleranz zwischen früheren Kontrahenten messbar an<br />

(Cords 1992). Allerdings werden nie 100% der Konflikte von Versöhnung<br />

gefolgt, so dass Merkmale der individuellen Beziehung betrachtet werden<br />

müssen, um diese Variabilität zu verstehen.<br />

11.3.4 Kooperation<br />

Evolution durch natürliche Selektion basiert primär auf der Bewertung von<br />

interindividuellen Unterschieden in kompetitiven Fähigkeiten. Diejenigen<br />

Individuen, die Artgenossen beim Wettbewerb um Ressourcen und Paarungspartner<br />

übertreffen, erzielen eine höhere Fitness als weniger erfolgreiche<br />

Individuen. Es ist daher zunächst verwunderlich, dass es auch Verhaltensweisen<br />

gibt, die anderen Artgenossen Vorteile verschaffen. Solche<br />

kooperativen Verhaltensweisen lassen sich in Bezug auf ihre Konsequenzen<br />

für den Akteur und Empfänger klassifizieren. Wenn Kooperation Vorteile<br />

für beide Beteiligte bringt, handelt es sich um Mutualismus. Wenn<br />

dadurch für den Akteur Kosten entstehen, liegt Altruismus vor; wenn die<br />

beiden Individuen miteinander verwandt sind, spricht man von Nepotismus.<br />

Kooperation ist dabei der übergeordnete Begriff für alle Merkmale<br />

und Verhaltensweisen, die für andere vorteilhaft sind.<br />

Schon Darwin (1859) bereitete es erhebliches Kopfzerbrechen, dass die<br />

Kolonien der Ameisen-, Bienen- und Wespen zum größten Teil aus sterilen<br />

Individuen bestehen. Diese Form der Selbstaufopferung war für ihn<br />

nicht mit den Prinzipien der Theorie der natürlichen Selektion vereinbar.<br />

Er versuchte diesen Schwachpunkt seiner Theorie – den altruistischen<br />

Verzicht auf eigene Fortpflanzung – damit zu erklären, dass die sterilen<br />

Arbeiterinnen anderen Familienmitgliedern helfen sich fortzupflanzen und<br />

so ein irgendwie gearteter Vorteil auf der Familienebene entsteht, der die<br />

Sterilität mehr als kompensiert. Da ihm Wissen über die genetischen<br />

Grundlagen dieses Altruismus fehlte, konnte Darwin allerdings keine wirklich<br />

stichhaltige Erklärung dieses Phänomens liefern.


11.3 Sozialstruktur 545<br />

Kooperation kann in Form einzelner Verhaltensweisen auftreten, sich<br />

aber auch in langfristigen Taktiken manifestieren. Die bekanntesten Beispiele<br />

für kooperatives Verhalten liefern neben dem Verzicht auf eigene<br />

Fortpflanzung Alarmrufe, agonistische Unterstützung (Koalitionen), gegenseitiges<br />

Lausen, Teilen von Nahrung, gemeinsames Jagen und Verteidigen<br />

von Ressourcen oder Territorien (Clutton-Brock 2002). Kooperation<br />

findet sich aber auch auf anderen Ebenen biologischer Ordnung, bei denen<br />

das Verhalten keine Rolle spielt (Hammerstein 2003). Erklärungen für kooperative<br />

Verhaltensweisen zu finden, die nicht auf Gruppenselektion beruhen,<br />

war im historischen Rückblick die wichtigste Antriebsfeder der<br />

Entwicklung der modernen Soziobiologie. Heute existieren drei Antworten<br />

auf die Frage, wie Kooperation im Laufe der Evolution entstehen konnte:<br />

Verwandtenselektion, reziproker Altruismus und Mutualismus.<br />

Wenn altruistisches Verhalten zwischen verwandten Tieren auftritt,<br />

kann es durch Verwandtenselektion elegant erklärt werden (Hamilton<br />

1964). Bei Verhaltensweisen, durch die Verwandten geholfen wird, fallen<br />

die daraus resultierenden Vorteile, gewichtet nach dem jeweiligen<br />

Verwandtschaftskoeffizienten, auch indirekt auf den Altruisten zurück<br />

und können dessen Kosten mehr als kompensieren (Hamiltons Regel,<br />

Kap. 10.4). Da Verwandte häufig zusammen leben und daher viele Interaktionen<br />

zwischen Verwandten stattfinden, ist es nicht verwunderlich,<br />

dass sich darunter auch viele altruistische Interaktionen befinden. Man<br />

kann daraus aber umgekehrt nicht schließen, dass alle Interaktionen zwischen<br />

Verwandten nepotistisch sind; Verwandte konkurrieren sehr wohl<br />

auch miteinander (West et al. 2002; Kap. 10.3)! Außerdem können Verwandte<br />

auch Mutualismus oder Reziprozität an den Tag legen (Clutton-<br />

Brock 2002), so dass kooperatives Verhalten zwischen Verwandten nicht<br />

automatisch als Hinweis auf das Wirken von Verwandtenselektion angesehen<br />

werden kann.<br />

Reproduktiver Altruismus in eusozialen Gesellschaften und anderen<br />

Helfersystemen liefert die herausragenden Beispiele dafür, dass altruistisches<br />

Verhalten durch Verwandtenselektion entsteht und stabilisiert werden<br />

kann ( Kap. 10.4). Alarmrufe ( Kap. 6.3) stellen ein anderes Beispiel<br />

dafür dar, dass Tiere Risiken und Kosten auf sich nehmen, wenn sie<br />

dadurch Verwandten einen Vorteil verschaffen können. Bei Primaten unterstützen<br />

sich Verwandte auch häufig gegenseitig in agonistischen Auseinandersetzungen<br />

mit Dritten, was zu einem höheren Lebensfortpflanzungserfolg<br />

beiträgt (Silk et al. 2003). Koalitionen zwischen verwandten<br />

Männchen dienen bei Truthähnen (Meleagris gallopavo: Krakauer 2005),<br />

Delfinen (Tursiops spp.: Krützen et al. 2003) und Schimpansen (Pan<br />

troglodytes: Watts u. Mitani 2001) auch dazu, Weibchen zu verteidigen.


546 11 Sozialsysteme<br />

Wichtige proximate Grundlage für Verwandtenselektion ist die Fähigkeit,<br />

Verwandte zu erkennen ( Kap. 9.2), wobei Verwandtenerkennung<br />

und Nepotismus aber unabhängig voneinander entstehen können (Mateo<br />

2002). Arbeiterinnen der Schwarzen Sklavenameise (Formica fusca) können<br />

in Kolonien mit mehreren Königinnen die mit ihnen am nächsten verwandten<br />

Geschwister erkennen und selektiv pflegen (Hannonen u. Sundström<br />

2003). Bei Rabenkrähen (Corvus corone) helfen nicht nur die<br />

eigenen Nachkommen bei der Aufzucht weiterer Geschwister, sondern<br />

auch Immigranten, die sich gezielt Verwandten anschließen (Baglione<br />

et al. 2003). Bei Schwanzmeisen (Aegithalos caudatus) konnte gezeigt<br />

werden, dass Helfer bei der Jungenaufzucht ihre Verwandten an erlernten<br />

Details ihrer Kontaktrufe erkennen (Sharp et al. 2005). In Primatengruppen,<br />

in denen zahlreiche Verwandte unterschiedlichsten Grades zusammenleben<br />

und Individuen daher unterschiedliche Verwandtschaftskoeffizienten<br />

erkennen und berücksichtigen müssen, scheint ein r von 0,125 eine<br />

kritische Schwelle darzustellen, jenseits derer Altruismus nur selten auftritt<br />

(Chapais et al. 2001).<br />

Kooperation zwischen nicht miteinander verwandten Tieren stellt ein<br />

größeres Erklärungsproblem dar (Dugatkin 2002). Robert Trivers (1971)<br />

hatte die genial einfache Einsicht, dass Kooperation zwischen Nicht-<br />

Verwandten durch reziproken Altruismus erklärt werden kann, wenn die<br />

Beteiligten regelmäßig miteinander interagieren und dabei die Rollen des<br />

Altruisten und Empfängers getauscht werden. Durch die Reziprozität werden<br />

die Kosten langfristig durch die Vorteile mehr als kompensiert. Dieser<br />

Mechanismus der Kooperation ist besonders bei langlebigen Tieren zu<br />

erwarten, da es bei ihnen im Verlauf des Lebens mehr Gelegenheiten für<br />

reziproke Interaktionen gibt. Stabile Gruppenzusammensetzung und individuelles<br />

Erkennen sind die einzigen anderen Voraussetzungen von Reziprozität.<br />

Im Unterschied zu Mutualismus existiert bei Reziprozität eine<br />

zeitliche Verzögerung zwischen dem „Geben“ und „Nehmen“. Wenn diese<br />

Zeitdifferenz sich Null annähert, wird aus Reziprozität Mutualismus (Stephens<br />

et al. 2002).<br />

Reziprozität ist Inhalt zahlreicher theoretischer Untersuchungen im Rahmen<br />

des Gefangenendilemmas (prisoner’s dilemma: Axelrod u. Hamilton<br />

1981), dem Paradebeispiel der Spieltheorie. Dabei handelt es sich um eine<br />

hypothetische Situation, in der zwei Individuen (Spieler) die Wahl haben,<br />

mit dem anderen zu kooperieren oder ihn zu betrügen. Dabei sind die Vorund<br />

Nachteile beider Strategien so gewichtet, dass es für beide vorteilhaft<br />

ist, zu betrügen, wenn es nur eine Interaktion gibt (one shot game,<br />

Abb. 11.16). Wenn es allerdings wiederholte Interaktionen gibt (iterated<br />

game), kann es aufgrund von Reziprozität zu stabiler Kooperation kommen.<br />

Die in diesem Fall evolutionär stabile Strategie (ESS; Kap. 1.4)


11.3 Sozialstruktur 547<br />

Abb. 11.16. Das Gefangenendilemma-Spiel. Jeder der beiden Spieler hat die<br />

Wahl, mit dem anderen zu kooperieren oder ihn zu betrügen. Wenn beide kooperieren,<br />

werden beide belohnt (R: Reward). Wenn beide betrügen, werden beide bestraft<br />

(P: Punishment). Wenn Spieler 1 kooperiert und Spieler 2 betrügt, wird<br />

Spieler 1 maximal bestraft (S: Sucker’s payoff). Wenn Spieler 1 betrügt und Spieler<br />

2 kooperiert, wird Spieler 1 maximal belohnt (T: Temptation to cheat). Wenn<br />

T > R > P > S, dann sollte keiner kooperieren, obwohl die Belohnung dafür, wenn<br />

sie es beide tun, größer ist, als wenn beide betrügen<br />

besteht darin, im ersten Schritt zu kooperieren und in allen folgenden Runden<br />

den vorhergehenden Zug des Gegenübers zu kopieren. Diese Strategie<br />

des „Wie-du-mir-so-ich-dir“ wurde als „tit-for-tat“ bekannt (Axelrod u.<br />

Hamilton 1981).<br />

Diese Situation des einfachen Spiels ist allerdings so künstlich, dass sie<br />

in der biologischen Realität selten hilft, das Verhalten von Tieren zu erklären<br />

(de Waal 2005). Das größte Problem mit dem Versuch, Kooperation<br />

zwischen Tieren mit dem wiederholten Gefangenendilemma zu erklären,<br />

besteht darin, dass es nur einen Aspekt einer Interaktion berücksichtigt,<br />

nämlich Entscheidungen in Abhängigkeit vom Verhalten anderer in früheren<br />

Interaktionen. Dieser Mechanismus kann unter bestimmten experimentellen<br />

Bedingungen durchaus zum Tragen kommen; so helfen Ratten (Rattus<br />

norvegicus) eher denjenigen Artgenossen, von denen ihnen selbst<br />

schon geholfen wurde (Rutte u. Taborsky 2008). Unter natürlichen Bedingungen<br />

bleibt dabei aber außer Acht, dass Tiere die Partner wählen, mit<br />

denen sie interagieren, dass sie sich in ihrer Bereitschaft zu kooperieren<br />

unterscheiden und dass die Verteilung von Vor- und Nachteilen flexibel<br />

sein kann. Daher bietet biologische Markttheorie einen Erklärungsansatz,<br />

der Tieren die Wahl ihrer Interaktionspartner und den Inhalt ihrer Interaktionen<br />

gewissermaßen freistellt (Noë et al. 1991).<br />

Außerdem kommunizieren Tiere miteinander, bevor sie sich auf kostspielige<br />

Kooperationen einlassen. Sie scheinen auch den Wert bestimmter<br />

Leistungen der Nachfrage anzupassen, so dass die Kosten und Nutzen


548 11 Sozialsysteme<br />

situationsbedingt angepasst werden (Henzi et al. 2003). Schließlich scheinen<br />

zumindest Primaten nicht nur isolierte Interaktionen zu betrachten,<br />

sondern die Kosten-Nutzen-Bilanz einer Interaktion wird im Rahmen exis-<br />

Box 11.3<br />

Reziproker Altruismus beim Hassen<br />

• Frage: Kann das gemeinsame Hassen ( Kap. 6.3) eines Raubfeindes<br />

durch reziproken Altruismus erklärt werden?<br />

• Hintergrund: Wenn zwei Tiere kooperieren und gemeinsam hassen,<br />

können sie einen Räuber eher vertreiben. Wird das erste Individuum aber<br />

nicht durch andere unterstützt hat es ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Benachbarte<br />

Tiere befinden sich daher in dieser Situation in einem „Gefangenendilemma“.<br />

• Methode: In einer Population von Trauerschnäppern (Ficedula hypoleuca)<br />

wurden Nistkästen so angebracht, dass jeweils drei Paare (A, B und C;<br />

44 Replikate) in unmittelbarer Nähe lebten. Paar A wurde ein (ausgestopfter)<br />

Räuber präsentiert, nachdem Paar B weggesperrt wurde. In allen<br />

41 Versuchen half Paar C beim Hassen der Räuberattrappe. Eine Stunde<br />

später, nachdem Paar B wieder frei war, wurden gleichzeitig Attrappen<br />

am Nest von Paar B und C präsentiert. Die Reaktion von Paar A auf die<br />

„Hilferufe“ von Paar B und C wurde protokolliert.<br />

30<br />

Anzahl "Paare A"<br />

0<br />

Hilfe für Hilfe für bleibt am<br />

Kooperierende Betrüger eigenen Nest<br />

2<br />

• Ergebnis: In 30 von 32 Fällen unterstützte Paar A das Hassen von Paar C.<br />

In 2 Versuchen blieb Paar A am eigenen Nest; in keinem Fall wurde Paar<br />

B unterstützt.<br />

• Schlussfolgerung: Die Reaktion der Tiere in der Rolle von Paar A kann<br />

nur unter Einbeziehung der zuvor erbrachten Kooperation (bzw. deren<br />

vermeintlicher Verweigerung) erklärt werden. Gemeinsames Hassen basiert<br />

auf reziproken Altruismus nach dem „Wie-Du-mir-so-ich-Dir“-<br />

Prinzip.<br />

Krams et al. 2008


11.3 Sozialstruktur 549<br />

tierender, sich über lange Zeiträume entwickelnder sozialer Beziehungen<br />

bewertet (Cheney et al. 1986). Um Kosten und Nutzen jeder einzelnen<br />

Handlung zu bewerten, sind keine hoch entwickelten kognitiven Fähigkeiten<br />

vonnöten (Stevens u. Hauser 2004). Stattdessen scheinen sich Tiere<br />

in diesem Zusammenhang auf einfache emotionsbasierte Mechanismen zu<br />

verlassen (Brosnan u. de Waal 2003).<br />

Beispiele für reziproken Altruismus im Tierreich sind selten (Box 11.3).<br />

Zum einen ist der Verwandtschaftsgrad zwischen den Beteiligten nicht<br />

immer bekannt, so dass Verwandtenselektion nicht ausgeschlossen werden<br />

kann. Dieser Einwand trifft auf ein häufig zitiertes Beispiel über den Austausch<br />

von Blutmahlzeiten bei Vampirfledermäusen (Desmodus rotundus)<br />

zu, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere Mahlzeiten teilen, davon<br />

abhängt, ob in der Vergangenheit schon vom anderen geholfen wurde<br />

(Wilkinson 1984). Zum anderen ist nicht notwendigerweise davon auszugehen,<br />

dass identische Verhaltensweisen ausgetauscht werden, was den<br />

praktischen Nachweis von Reziprozität erheblich erschwert. So gibt es bei<br />

einigen Primaten Hinweise dafür, dass grooming mit agonistischer Unterstützung<br />

(Schino 2007) oder der Häufigkeit des Futterteilens (de Waal<br />

1997) verrechnet wird. Es ist außerdem in manchen Fällen schwierig auszuschließen,<br />

dass dem Helfer tatsächlich Kosten entstehen und dass es sich<br />

nicht vielleicht doch um Mutualismus handelt. Schließlich entfernen sich<br />

beispielsweise Impalas (Aepyceros melampus) abwechselnd Ektoparasiten<br />

durch grooming, wobei sich die jeweils kurzen grooming-Ereignisse rasch<br />

abwechseln (Hart u. Hart 1992). Durch diesen kurzen Abstand zwischen<br />

den Rollenwechseln nähert sich dieser Austausch de facto Mutualismus an.<br />

Die einfachste evolutionäre Erklärung für Verhaltensweisen, die anderen<br />

einen Vorteil bescheren, besteht darin, dass der Akteur dadurch gleichzeitig<br />

selbst einen Vorteil erfährt. In diesem Sinn kann zum Beispiel das<br />

Leben in Gruppen als Mutualismus betrachtet werden, da alle Gruppenmitglieder<br />

gleichermaßen Vorteile daraus beziehen (Clutton-Brock 2002).<br />

Diese Vorteile können auch als Nebenprodukt-Mutualismus auftreten, bei<br />

dem ein Individuum eigentlich nur den eigenen Vorteil im Sinn hat. Australische<br />

Winkerkrabben (Uca mjoebergi) helfen beispielsweise ihren<br />

Nachbarn bei der Revierverteidigung, wodurch das Risiko reduziert wird,<br />

dass ein neuer, stärkerer Nachbar dessen Platz und möglicherweise einen<br />

Teil des eigenen Territoriums einnimmt (Backwell u. Jennions 2004). Mutualismus<br />

tritt auch zwischen Mitgliedern verschiedener Arten auf (Bshary<br />

u. Bronstein 2004), was den Vorteil hat, dass Verwandtenselektion als Erklärung<br />

ausgeschlossen werden kann. Ein klassisches Beispiel für interspezifischen<br />

Mutualismus liefern Putzerfische (Labroides dimidiatus), die<br />

sich von den Ektoparasiten ihrer „Kunden“ ernähren. Dabei können die<br />

Putzer auch betrügen, indem sie stattdessen Schleim von der Körperober-


550 11 Sozialsysteme<br />

seite ihrer Kunden fressen. Die Kunden wehren sich gegen diesen Betrug<br />

dadurch, dass sie Putzer bevorzugen, die sie beim Kooperieren beobachtet<br />

haben (Bshary u. Grutter 2006).<br />

Nicht nur Mutualismus, sondern alle Formen der Kooperation teilen das<br />

Problem, dass kooperierende Tiere durch selbstsüchtige Artgenossen ausgebeutet<br />

werden (können). Zum einen entstehen Gelegenheiten zum<br />

Betrügen durch den Zeitverzug zwischen wiederholten Interaktionen, die<br />

auf Reziprozität basieren. Nachdem ein Tier Empfänger einer kooperativen<br />

Handlung wurde, kann es entweder seine Verpflichtung zur Reziprozität<br />

nicht einhalten oder weniger geben, als es selbst erhalten hat. Außerdem<br />

besteht bei mutualistischen Verhaltensweisen das Risiko, dass „Trittbrettfahrer“<br />

(free-riders) zwar die Leistungen von Artgenossen annehmen, selber<br />

aber nichts beitragen. Aus diesem Verhalten ergibt sich ein kollektives<br />

Handlungsproblem (collective action problem), z. B. in Bezug auf individuelle<br />

Beiträge zur Territoriumsverteidigung (Nunn u. Deaner 2004).<br />

Manche Löwinnen (Leo panthera), die sich bei der gemeinsamen, riskanten<br />

Revierverteidigung permanent vornehm zurückhalten, werden von ihren<br />

Gruppengenossinen allerdings nicht dafür bestraft (Heinsohn u. Packer<br />

1995). Scheinbar betrügerischen Trauerschnäppern wird aber in Zukunft<br />

die Kooperation verweigert (Box 11.3).<br />

11.3.5 Kognition<br />

Alle Tiere nehmen ökologische und soziale Informationen aus ihrer Umwelt<br />

auf, verarbeiten und speichern diese, und machen sie zur Grundlage<br />

zukünftigen Handelns (Shettleworth 2001). Damit zusammenhängende<br />

Phänomene und Prozesse, wie Aufmerksamkeit, Kategorisierung, mentale<br />

Repräsentation, Lernen, Gedächtnis und Problemlösung treten in praktisch<br />

allen Verhaltensdomänen auf. Diese proximaten Aspekte des Verhaltens<br />

wurden traditionell vor allem von Schülern des Behaviorismus und der<br />

vergleichenden Tierpsychologie ( Kap. 1.3) bearbeitet. Unter dem integrativen<br />

Einfluss der Verhaltensökologie wurde aber auch damit begonnen,<br />

Fragen nach dem Anpassungswert dieser Verhaltensweisen zu untersuchen.<br />

Dabei haben sich zwei Schwerpunkte herausgebildet, die sich mit<br />

Fragen der ökologischen (Healy u. Braithwaite 2000) bzw. sozialen (Byrne<br />

u. Bates 2007) Kognition beschäftigen und versuchen, interspezifische Variation<br />

in kognitiven Fähigkeiten und relativer Gehirngröße zu erklären.<br />

Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Untersuchungen abstrakter mentaler<br />

Fähigkeiten und Leistungen, wie die Fähigkeit von Ratten, Kausalität<br />

zu erkennen (Blaisdell et al. 2006), oder der Gedächtnisleistungen von


11.3 Sozialstruktur 551<br />

Schimpansen (Inoue u. Matsuzawa 2007), deren adaptive Relevanz aber<br />

nicht evident ist, und auf die ich daher nicht näher eingehe.<br />

Da verschiedene Tierarten sich offenkundig in ihren kognitiven Leistungsfähigkeiten<br />

unterscheiden, sind drei Vorbemerkungen von Bedeutung.<br />

Zum einen ist zwischen spezifischen kognitiven Leistungen zu<br />

unterscheiden, die sich aufgrund von spezifischen Selektionskräften entwickelt<br />

haben. Arten, die Nahrungsverstecke anlegen, haben beispielsweise<br />

ausgezeichnete räumliche kognitive Fähigkeiten (Emery u. Clayton<br />

2001). In anderen Verhaltensdomänen fallen diese Tiere aber nicht unbedingt<br />

durch außergewöhnliche kognitive Leistungen auf und umgekehrt.<br />

Zum anderen unterscheiden sich verschiedene Taxa in ihren kognitiven<br />

Leistungen aufgrund der Limitationen ihrer zentralen Nervensysteme.<br />

Primaten besitzen neben Walen die relativ größten und leistungsfähigsten<br />

Gehirne. Ihre kognitiven Fähigkeiten werden dementsprechend allgemein<br />

hoch eingeschätzt. Auch innerhalb der Primaten korreliert die Häufigkeit,<br />

mit der Fälle von dokumentiertem sozialen Lernen, Werkzeuggebrauch<br />

und Erfindungen bekannt sind, mit der absoluten und relativen Gehirngröße<br />

verschiedener Arten (Reader u. Laland 2002). Vergleichbare komplexe<br />

kognitive Fähigkeiten sind aber auch unabhängig von der absoluten<br />

Gehirngröße mehrfach unabhängig entstanden, zum Beispiel bei Rabenvögeln<br />

(Emery u. Clayton 2004). Schließlich ist zu betonen, dass kognitive<br />

Leistungen weder mit Bewusstsein gleichzusetzen sind, noch Bewusstsein<br />

voraussetzen.<br />

(1) Ökologische Kognition. Eine Reihe von ökologischen Problemen verlangen<br />

kognitive Leistungen zu deren erfolgreicher Lösung. Viele dieser<br />

Lösungen werden durch individuelles oder soziales Lernen vermittelt<br />

( Kap. 10.5). So lernen Tiere mit Hilfe unterschiedlicher Mechanismen,<br />

geeignete Nahrung zu erkennen oder gefährliche Räuber zu meiden (z. B.<br />

Bonnie u. de Waal 2007). Für manche Arten stellen sich aber auch noch<br />

spezifische Fragen im Kontext des Nahrungserwerbs, die besondere räumliche<br />

Fähigkeiten verlangen.<br />

Viele Vögel und Säugetiere legen externe Nahrungsspeicher an, die zu<br />

einem späteren Zeitpunkt genutzt werden (caching; Smith u. Reichmann<br />

1984). Kiefernhäher (Nucifraga columbiana) verstecken beispielsweise bis<br />

zu 33000 Kiefernsamen, die bis zu 11 Monate später gefressen werden<br />

(Bednekoff et al. 1997). Tiere, die solche Speicher anlegen, müssen daher<br />

über ein sehr gutes räumliches Gedächtnis verfügen. Experimente mit<br />

Westlichen Buschhähern (Aphelocoma californica, Abb. 11.17) zeigten,<br />

dass diese Tiere nicht nur wissen, wo ihre Verstecke sind, sondern auch,<br />

was sie dort wann versteckt haben (Clayton u. Dickinson 1998); sie besitzen<br />

in dieser Hinsicht ein episodisches Gedächtnis. Die Fähigkeit, die zeit-


552 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.17. Das Überleben von Westlichen<br />

Buschhähern (Aphelocoma<br />

californica) hängt wesentlich davon ab,<br />

dass sie in Speichern versteckte Nahrung<br />

wieder finden. In diesem Zusammenhang<br />

haben sie mehrere überragende kognitive<br />

Leistungen entwickelt<br />

liche Information zu verarbeiten, wurde dadurch gezeigt, dass die Buschhäher<br />

verderbliche Larven vor unverderblichen Erdnüssen aus ihren Verstecken<br />

holen.<br />

Das Anlegen von Nahrungsspeichern birgt ein weiteres Problem für die<br />

versteckenden Tiere. Wenn sie nämlich von Artgenossen dabei beobachtet<br />

werden, besteht die Gefahr, dass diese Verstecke von Schmarotzern<br />

(scroungers) ausgeräumt werden. Es ist daher zu erwarten, dass Versteckstrategien<br />

an dieses Risiko angepasst werden (Dally et al. 2006a). In einem<br />

Experiment konnten Buschhäher Futter verstecken, wenn ein Dominanter,<br />

ein Subordinater, ihr Partner oder niemand zuschaute. Wenn sie 3 Stunden<br />

später wieder Zugang zu ihren Verstecken hatten, verlegten sie vor allem<br />

das Futter in andere Verstecke, welches sie gespeichert hatten, als der Dominante<br />

ihnen zuschauen konnte (Dally et al. 2006b). Dieses Umschichten<br />

zwischen verschiedenen Speichern wird nur von Tieren gemacht, die beobachtet<br />

wurden und denen schon einmal Futter aus ihren Speichern stibitzt<br />

wurde (Emery u. Clayton 2001). Die kognitiven Fähigkeiten dieser<br />

Buschhäher gehen sogar soweit, dass sie ihre Speicher strategisch in Bezug<br />

auf zukünftige Bedürfnisse anlegen. Sie speicherten Futter nämlich bevorzugt<br />

in Teilen ihres Käfigs, in denen sie am kommenden Morgen kein Futter<br />

zu erwarten hatten (Raby et al. 2007). Die Fähigkeit, für die Zukunft zu<br />

planen, wurde ansonsten nur bei Orang-Utans (Pongo pygmaeus) und Bonobos<br />

(Pan paniscus) demonstriert. Diese Menschenaffen konnten in<br />

einem Experiment Werkzeuge, die sie zu einem späteren Zeitpunkt brauchten,<br />

auswählen und entsprechend lagern (Mulcahy u. Call 2006).


11.3 Sozialstruktur 553<br />

Eine ähnliche kognitive Leitung vollbringen Tiere, die in ihrem Streifgebiet<br />

räumliche Informationen über die Lage wichtiger Ressourcen für<br />

deren optimale Nutzung effizient verarbeiten. Neben verschiedenen Orientierungsleistungen<br />

( Kap. 4.3) kommt in diesem Zusammenhang auch<br />

die Fähigkeit, sich anhand von kognitiven Karten zu orientieren, zum Tragen<br />

(Janson u. Byrne 2007). Diese Fähigkeit ist insbesondere dann vorteilhaft,<br />

wenn Ressourcen in ihrer Qualität variieren und die Tiere Informationen<br />

über deren relative Lage besitzen. So zeigten Beobachtungen an<br />

Weißgesicht-Sakis (Pithecia pithecia), dass die Gruppen dieser Neuweltaffen<br />

etwa viermal längere Strecken zurücklegten, als dies aufgrund von<br />

Modellierungen der Bewegungen naiver Tiere zu erwarten wäre (Cunningham<br />

u. Janson 2007). Diese Abweichungen deuten darauf hin, dass sie gezielt<br />

bestimmte Fressbäume ansteuerten und andere, näher gelegene Alternativen<br />

ignorierten. Erdmännchen (Suricata suricatta) haben eine ähnliche<br />

räumliche Vorstellung davon, wo sich die nächste von über 1000 Erdhöhlen,<br />

die sie bei Gefahr aufsuchen, befindet (Manser u. Bell 2004). Die Fähigkeit,<br />

sich von jedem Punkt aus mit einem Karten-ähnlichen räumlichen<br />

Gedächtnis gezielt in seinem Streifgebiet zu bewegen, besitzen aber auch<br />

Honigbienen (Menzel et al. 2005), was ebenfalls die ökologische Bedeutung<br />

und nicht die Komplexität der neuronalen Grundlage dieser Leistung<br />

betont.<br />

(2) Soziale Kognition. Das Leben in permanenten Gruppen stellt Tiere vor<br />

eine Reihe sozialer Probleme, deren Lösungen ebenfalls besondere kognitive<br />

Fähigkeiten begünstigen. Dabei ist zunächst zu betonen, dass soziale<br />

Komplexität nicht automatisch mit Gruppengröße korreliert ist, sondern<br />

dass vielmehr Details der sozialen Struktur dafür ausschlaggebend sind.<br />

Riesige Fischschwärme oder Vogelkolonien sind also nicht diejenigen sozialen<br />

Gruppierungen, die ein Höchstmaß an sozialer Kognition verlangen<br />

oder fördern. Gegenseitige Unterstützung in agonistischen Interaktionen<br />

zwischen Verwandten (Silk et al. 2004), Koalitionen zwischen Nicht-Verwandten<br />

(Noë u. Sluijter 1995), Aufrechterhaltung von „Freundschaften“<br />

(Silk 2002b), Versöhnung nach Konflikten (Aureli et al. 2002) und taktische<br />

Täuschung von Artgenossen (Bugnyar u. Kotrschal 2002) sind einige<br />

der Aspekte der sozialen Struktur, die besondere kognitive Fähigkeiten zur<br />

Verarbeitung von sozialer Information voraussetzen bzw. vorteilhaft machen.<br />

Außerdem können verschiedene Arten von sozialen Interaktionen<br />

miteinander verrechnet werden, so dass eine aufwändige Buchführung<br />

darüber notwendig ist, wie man mit wem wann interagiert hat (Schino<br />

2007). Diese Typen sozialer Beziehungen sind insofern vergleichsweise<br />

einfach, als dass sie ein Individuum selbst einbeziehen. Wenn diese Informationen<br />

über Beziehungen zwischen Dritten gesammelt werden, also


554 11 Sozialsysteme<br />

darüber, wer wann was mit welchem anderen Individuum gemacht hat, erhöht<br />

sich die Komplexität der sozialen Information, die verarbeitet werden<br />

muss, noch einmal. Die Fähigkeit, diese Fülle an sozialen Informationen<br />

zu verarbeiten, wird auch als soziale oder Machiavelli’sche Intelligenz<br />

bezeichnet (Byrne 1997) und ist bei Primaten und manchen anderen Säugetieren<br />

besonders gut ausgeprägt.<br />

Eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung sozialer Kognition ist<br />

das individuelle Erkennen von Artgenossen. Diese Fähigkeit kann auf Informationen<br />

aus unterschiedlichen Modalitäten beruhen und ist weit verbreitet.<br />

Dass Tiere aber auch noch nach Monaten oder Jahren einzelne Individuen<br />

erkennen, wurde nur für wenige Arten gezeigt (Insley 2000).<br />

Damit einher geht auch die Fähigkeit, Dyaden-spezifische Informationen<br />

über Dominanz- oder Verwandtschaftsbeziehungen wahrzunehmen und zu<br />

behalten. So können Amerikanische Hummer (Homarus americanus) sich<br />

bis zu zwei Wochen lang daran erinnern, gegen welche Individuen sie<br />

einen Kampf verloren haben (Karavanich u. Atema 1998). Diese Fähigkeiten<br />

erklären einen Großteil der Variabilität in sozialen Interaktionen, also<br />

wer mit wem konkurriert oder kooperiert. Dass Tiere sich selbst erkennen,<br />

wurde bislang nur in Spiegelversuchen mit Menschenaffen, Delfinen und<br />

Elefanten gezeigt (Plotnik et al. 2006, Abb. 11.18).<br />

In bestimmten Situationen kann es aber auch vorteilhaft sein, soziale<br />

Informationen über andere Dyaden zu erkennen, zu verfolgen und zu verwerten.<br />

So kopieren beispielsweise manche Tiere die Partnerwahl von anderen<br />

Individuen ( Kap. 9.3). Zwischen anderen Gruppenmitgliedern<br />

existieren auch Verwandtschafts- und Dominanzbeziehungen, die beispielsweise<br />

Pavianen (Papio cynocephalus) bekannt sind (Abb. 11.19).<br />

Bergman et al. (2003) haben dies gezeigt, indem sie eine Kombination von<br />

Droh- und Unterwürfigkeitslauten von Weibchen aus verschiedenen Matri-<br />

Abb. 11.18. Die Fähigkeit,<br />

sich selbst im Spiegel zu erkennen,<br />

fehlt den allermeisten<br />

Tieren wie auch diesem<br />

Schopf-Makaken (Macaca<br />

nigra)


11.3 Sozialstruktur 555<br />

Abb. 11.19. Paviane können<br />

allein aus den Drohund<br />

Unterwürfigkeitslauten,<br />

die kämpfende Tiere<br />

ausstoßen, Informationen<br />

über Rang und Verwandtschaftsbeziehung<br />

der Kontrahenten<br />

extrahieren<br />

linien kombiniert, einer Paviangruppe über versteckte Lautsprecher vorgespielt<br />

und die Reaktion der Tiere als Blickdauer zum Lautsprecher gemessen<br />

haben. Wenn man auf diese Art und Weise eine Interaktion simuliert,<br />

in der ein niederrangiges Weibchen den Drohlaut und das höherrangige<br />

Weibchen den Unterwürfigkeitslaut abgibt, zeigen die Paviane in Abhängigkeit<br />

der Matrilinien-Zugehörigkeit der Beteiligten unterschiedliche<br />

Reaktionen. Auf solche experimentellen Umkehrungen der realen Dominanzverhältnisse<br />

innerhalb einer Matrilinie gibt es nämlich eine deutlich<br />

stärkere Reaktion als auf die Kontrollsituation, in der die normalen Dominanzbeziehungen<br />

vorgespielt werden. Wenn man nun eine Umkehrung der<br />

Dominanzbeziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Matrilinien<br />

simuliert, bekommt man eine nochmal deutlich stärkere Reaktion als im<br />

ersten Experiment. Das heißt, Pavian-Weibchen sind in der Lage, andere<br />

Individuen gleichzeitig und unabhängig von einander sowohl nach ihrem<br />

Rang als auch nach ihrer matrilinialen Zugehörigkeit einzuordnen.<br />

Schwarzkehlmaulbrüter (Astatotilapia burtoni), kleine afrikanische<br />

Cichliden, können sogar aus Beobachtungen von Kämpfen anderer transitive<br />

Rückschlüsse über Dominanzbeziehungen zwischen Individuen ziehen,<br />

die sie nicht haben kämpfen sehen. Wenn sie also in einem Kampf A<br />

gegen B und B gegen C gewinnen sehen, können sie daraus schließen, dass<br />

A auch C überlegen ist (Grosenick et al. 2007). In ähnlicher Weise können<br />

Nacktschnabelhäher (Gymnorhinus cyanocephalus) ihren eigenen Dominanzstatus<br />

zu Fremden einschätzen, die sie bei Interaktionen mit bekannten<br />

Individuen zuvor beobachtet haben (Paz-y-Mino et al. 2004).<br />

Schließlich könnten Individuen auch Vorteile daraus beziehen, wenn<br />

sie sich in andere Tiere hineinversetzen und deren Motivationen und Absichten<br />

vorhersagen könnten, wenn sie also eine theory-of-mind besitzen<br />

(Premack u. Woodruff 1978). Ein offensichtlicher Zugang zum Wissen


556 11 Sozialsysteme<br />

anderer besteht darin, deren Blick zu folgen. In Experimenten, bei denen<br />

Altwelt- und Menschenaffen einem Individuum Futter gezeigt wurde,<br />

konnte beobachtet werden, dass ein Artgenosse dem Blick des ersten Tiers<br />

folgte (Tomasello et al. 1998). Diese Fähigkeit wurde inzwischen auch bei<br />

Kattas (Lemur catta), also vergleichsweise „primitiven“ Primaten, nachgewiesen<br />

(Shepherd u. Platt 2008). Dass Schimpansen aus der Blickrichtung<br />

von Artgenossen relevante Information beziehen, wurde in einem Experiment<br />

gezeigt, bei dem zwei Tiere um eine Belohnung konkurrierten,<br />

die vom Subordinaten, aber nicht vom Dominanten gesehen werden konnte.<br />

In dieser Situation wählte das subordinate Tier immer diejenige von<br />

zwei Belohnungen, die das dominante Tier nicht sehen konnte (Hare et al.<br />

2001). Bei einer anderen experimentellen Aufgabe konnte gezeigt werden,<br />

dass Schimpansen diese kognitiven Fähigkeiten in kompetitiven Situationen<br />

sehr viel effektiver einsetzen als in kooperativen Situationen (Hare<br />

u. Tomasello 2004), was einen Hinweis auf die natürlichen Bedingungen<br />

gibt, unter denen diese Fähigkeiten entstanden sind.<br />

Um Artgenossen gezielt altruistisches Verhalten zukommen zu lassen,<br />

ist möglicherweise die Fähigkeit, sich in die Bedürfnisse eines anderen<br />

hineinversetzen zu können, vonnöten. Bei Menschen wurde diese Fähigkeit<br />

experimentell im Ultimatum-Spiel untersucht. Dabei macht ein Spieler<br />

einem anderen ein Angebot darüber, wie eine Ressource zwischen<br />

ihnen geteilt werden soll. Wenn der andere akzeptiert, wird entsprechend<br />

geteilt; wenn er ablehnt, bekommen beide nichts. Man würde erwarten,<br />

dass rein eigennützige Individuen möglichst wenig anbieten und der andere<br />

jedes noch so geringe Angebot akzeptiert. Bei einem Experiment mit<br />

Schimpansen wurde gezeigt, dass hier die Anbieter für sich immer die größere<br />

Belohnung wählen und dass Entscheider nur dann ihr Ultimatum einsetzen,<br />

wenn sie komplett leer ausgehen (Jensen et al. 2007). In einem<br />

anderen Experiment konnte gezeigt werden, dass Schimpansen nur Individuen<br />

bestrafen, die ihnen Futter gestohlen hatten, aber sie verhielten sich<br />

nicht spontan hinterhältig gegenüber ihren Artgenossen (Jensen et al.<br />

2006). Schimpansen fehlt also offensichtlich diese Fähigkeit, sich in die<br />

Bedürfnisse anderer hineinzuversetzen (Silk et al. 2005). Vor diesem Hintergrund<br />

ist der experimentelle Befund, dass Weißbüscheläffchen (Callithrix<br />

jacchus) spontan nicht-verwandten Tieren Nahrung zugänglich machen<br />

(Burkart et al. 2007), verblüffend, da diese kleinen Neuweltaffen<br />

nicht über die kognitiven Fähigkeiten verfügen, die man Schimpansen in<br />

diesem Zusammenhang zugestehen würde. Da es sich um eine Art mit kooperativer<br />

Jungenfürsorge handelt, wird vermutet, dass solche spontane<br />

Prosozialität bei Arten mit einem kooperativen Jungenaufzuchtsystem entstanden<br />

ist.


11.3 Sozialstruktur 557<br />

In diesem Zusammenhang ist es schließlich auch interessant, dass<br />

Schimpansen ihre Artgenossen in Bezug auf ihre Eignung als Kooperationspartner<br />

beurteilen können. Dabei spielt die gegenseitige Toleranz eine<br />

wichtige Rolle. Tiere, die unter normalen Bedingungen soziale Toleranz<br />

aufweisen und beispielsweise Futter miteinander teilen, können auch erfolgreich<br />

eine kooperative experimentelle Aufgabe lösen (Melis et al.<br />

2006). Außerdem können Schimpansen offenbar einschätzen, wann sie zur<br />

Lösung einer Aufgabe die Hilfe eines Artgenossen benötigen und welche<br />

Individuen für diese Aufgabe besonders gut geeignet sind.<br />

11.3.6 Kultur<br />

Verschiedene Formen des sozialen Lernens ( Kap. 10.5) haben zur<br />

Folge, dass Verhaltensweisen innerhalb von Populationen und zwischen<br />

Generationen weitergegeben werden. Soziales Lernen ist immer dann vorteilhaft,<br />

wenn individuelles Lernen mit Kosten verbunden ist (Laland<br />

2004). Die Erkennung von Raubfeinden stellt einen solchen Kontext dar,<br />

und soziales Lernen dieser überlebenswichtigen Information wurde u. a.<br />

bei Kohlmeisen (Parus major: Curio et al. 1985) und Kaulquappen (Rana<br />

sylvatica: Ferrari et al. 2007) demonstriert. Damit existiert ein nichtgenetischer<br />

Mechanismus zur kulturellen Weitergabe von Information,<br />

der Einfluss auf den Verlauf von Evolution nehmen kann. Diese Weitergabe<br />

kann vertikal erfolgen, indem Junge von ihren Eltern lernen. Wenn sich<br />

Informationen oder Verhaltensweisen unter Gleichaltrigen ausbreiten,<br />

handelt es sich um horizontale Weitergabe. Wenn der Transfer zwischen<br />

Generationen stattfindet, aber nicht auf Interaktionen zwischen Eltern und<br />

Nachkommen beruht, liegt oblique Transmission vor. Darüber, wie Kultur<br />

bei Tieren definiert werden kann und ob es sich um eine Nebenprodukt<br />

kognitiver Fähigkeiten oder lokale Anpassungen handelt, gibt es unterschiedliche<br />

Vorstellungen (Byrne et al. 2004).<br />

Die Entdeckung eines jungen Japan-Makaken (Macaca fuscata), dass<br />

man mit Sand verunreinigte Süßkartoffeln mit Meerwasser abwaschen<br />

kann, hat sich rasch in seiner Gruppe ausgebreitet (Kawamura 1959) und<br />

liefert ein inzwischen klassisches Beispiel für kulturelle Weitergabe im<br />

Tierreich (Abb. 11.20). In neueren experimentellen Studien mit Kapuzineraffen<br />

(Cebus apella) konnte gezeigt werden, dass neue Methoden der<br />

Nahrungsgewinnung auch bei anderen Arten an Artgenossen weitergegeben<br />

werden (Dindo et al. 2008). Soziale Transmission neuer Nahrungsgewohnheiten<br />

sind aber nicht auf Primaten beschränkt, wie die Ausbreitung<br />

einer alternativen Art, Nektar aus Blüten zu entnehmen, bei Hummeln<br />

(Bombus terrestris) zeigt (Leadbeater u. Chittka 2007). Aufgrund solcher


558 11 Sozialsysteme<br />

Abb. 11.20. Japan-Makaken<br />

einer lokalen Population<br />

haben von einem Tier gelernt,<br />

dass gewaschene Süßkartoffeln<br />

besser schmecken als<br />

sandige. Dieses Verhalten hat<br />

sich rasch in der Population<br />

ausgebreitet<br />

Lern- und Ausbreitungsprozesse kann es zur Ausbildung von lokalen Traditionen,<br />

also zur Ausbreitung von distinkten Verhaltensweisen, die von<br />

mehreren Individuen gezeigt und durch soziales Lernen weiter verbreitet<br />

werden (Fragaszy u. Perry 2003), kommen. Wenn mehrere Traditionen in<br />

verschiedenen Verhaltensdomänen vorliegen, wird weithin akzeptiert, dass<br />

es gerechtfertigt ist, von Kultur bei Tieren zu sprechen (Whiten 2005).<br />

Diskussionen über Kultur bei Tieren fokussierten lange auf semantischen<br />

und operationalen Aspekten kultureller Muster und möglichen<br />

zugrunde liegenden Mechanismen. So ist es für Galef (1992) wichtig,<br />

dass nur Verhaltensweisen, die durch Imitation oder soziales Lernen<br />

( Kap. 10.5) weitergegeben werden, als Kultur bezeichnet werden. Andere<br />

betonen den möglichen Einfluss von genetischen und ökologischen<br />

Faktoren auf Populationsunterschiede in einzelnen Verhaltensweisen (Laland<br />

u. Janik 2006). Beobachtungen von spontaner Herstellung und spontanem<br />

Einsatz von Werkzeugen durch von Hand aufgezogene Geradschnabelkrähen<br />

(Corvus moneduloides) zeigen, dass Verhaltensweisen, die bei<br />

anderen Arten als Beispiele für soziales Lernen und Kultur diskutiert werden,<br />

in der Tat auch eine angeborenen Komponente haben können (Kenward<br />

et al. 2005). Solche genetischen Ursachen sind aber nicht zu verwechseln<br />

mit der Ausbreitung einer neuen Verhaltensweise entlang von<br />

Verwandtschaftslinien. Bei Delfinen (Tursiops spp.) breitete sich die Benutzung<br />

eines Werkzeugs beispielsweise (nur) innerhalb einer Matrilinie<br />

einer größeren Gemeinschaft aus (Krützen et al. 2005).<br />

Aktuelle Forschungen zum Thema Kultur können entlang einer konzeptionellen<br />

und entlang einer thematischen Schiene organisiert werden.<br />

Im konzeptionellen Bereich existieren zwei Ansätze. Im Rahmen deskriptiver<br />

Untersuchungen liegt der Schwerpunkt auf der ethnographischen Beschreibung<br />

von Variabilität zwischen Populationen einer Art. Dieser An-


11.3 Sozialstruktur 559<br />

satz geht darüber hinaus, einzelne Verhaltensweisen zu vergleichen. So ergab<br />

der Vergleich von sieben Schimpansen-Populationen beispielsweise,<br />

dass insgesamt 39 Verhaltensweisen in manchen Populationen regelmäßig,<br />

in anderen dagegen gar nicht auftreten (Whiten et al. 1999). Eine vergleichbare<br />

Variabilität findet sich in Gesängen von Walen und Delfinen<br />

(Rendell u. Whitehead 2001) oder im Werkzeuggebrauch und in den Gelegenheiten<br />

für soziales Lernen bei Orang-Utans (van Schaik et al. 2003).<br />

Ein anderer konzeptioneller Ansatz besteht darin, die Ausbreitung von<br />

neuen Verhaltensweisen unter kontrollierten Bedingungen zu verfolgen.<br />

Dabei handelt es sich z. B. um äquivalente praktische Lösungen experimenteller<br />

Aufgaben, die „Lehrern“ in verschiedenen Gefangenschafts-<br />

Populationen beigebracht werden und deren Weitergabe untersucht wird<br />

(Bonnie et al. 2007).<br />

Inhaltlich beschäftigen sich aktuelle Studien kultureller Variation im<br />

Wesentlichen mit vier Themenbereichen. Erstens stehen traditionell lokale<br />

Techniken des Nahrungserwerbs und der Nahrungserschließung im Fokus<br />

vieler Untersuchungen (siehe oben). Zweitens, und funktional eng damit<br />

verbunden, gibt es interessante Variation in der Herstellung und im Einsatz<br />

von Werkzeugen. So gibt es beispielsweise zwischen Schimpansen-<br />

Populationen lokale Unterschiede darin, ob Werkzeuge zum Nüsseknacken<br />

verwendet werden (Boesch u. Boesch 1993) oder mit welchen Techniken<br />

Termiten gefischt werden (Whiten et al. 2001). Bei Kapuzineraffen wurde<br />

der Einsatz von Werkzeugen zwischen Tieren in Gefangenschaft und freier<br />

Wildbahn verglichen (de A Moura u. Lee 2004). Werkzeuge werden aber<br />

auch von manchen Vögeln (Lefebvre et al. 2002) und Delfinen (Krützen<br />

et al. 2005) hergestellt und eingesetzt.<br />

Drittens wird kulturelle Variation in Abhängigkeit von sozialen Strukturen<br />

untersucht. Dieser Ansatz geht davon aus, dass soziale Toleranz sich<br />

entscheidend zwischen Arten und Populationen unterscheidet und dass Situationen<br />

hoher gegenseitiger Toleranz und Nähe den Nährboden für erleichterte<br />

Erfindungen und deren Ausbreitung darstellen (van Schaik et al.<br />

1999). So korreliert die Häufigkeit lokal besonderer Verhaltensweisen bei<br />

Schimpansen und Orang-Utans mit einem Maß für soziale Aggregation<br />

(van Schaik et al. 2003). In diesem Zusammenhang sind auch lange Zeiten<br />

der Abhängigkeit juveniler Individuen bedeutsam, da sie Gelegenheit zum<br />

Lernen von Müttern und andern Adulten bieten. So benötigen junge<br />

Schimpansen mehrere Jahre, um die Komplexität des Termitenangelns von<br />

ihren Müttern zu lernen (Lonsdorf 2006).<br />

Schließlich gibt es viertens auch innerartliche Variation in der Software<br />

des Sozialverhaltens: den Kommunikationssignalen und sozialen Konventionen.<br />

So hat sich in manchen Schimpansen-Populationen eine eigentümliche<br />

Form des gegenseitigen Lausens ausgebreitet, bei dem die beteiligten


560 11 Sozialsysteme<br />

Individuen die nicht benötigten Arme gemeinsam ausstrecken (McGrew u.<br />

Tutin 1978). Bei Weißstirn-Kapuzineraffen (Cebus albifrons) existieren<br />

mehrere bizarre Verhaltensweisen wie „Handriechen“ in bestimmten Populationen<br />

(Perry u. Manson 2003). Bei Bonobos und Schimpansen ergab<br />

eine vergleichende Studie des Einsatzes von Vokalisationen und Gesten,<br />

dass, im Gegensatz zu Lauten, der Einsatz von Gesten innerhalb und zwischen<br />

Arten enorm variierte (Pollick u. de Waal 2007). Vokale Imitation,<br />

also die Produktion neuer Lautäußerungen als Reaktion auf eigene akustische<br />

Erfahrungen, die u. a. anderem bei Elefanten dokumentiert wurde (Poole<br />

et al. 2005), kann als Anpassung an soziale Bedürfnisse in Gesellschaften<br />

mit flexibler Zusammensetzung interpretiert werden. Bei madagassischen<br />

Sifakas wurde erstmals gezeigt, dass sich sogar die Bedeutung einer Vokalisation<br />

zwischen Populationen unterscheidet (Fichtel u. van Schaik 2007).<br />

11.4 Zusammenfassung<br />

Überleben, Fortpflanzung und Jungenaufzucht finden nicht in einem<br />

sozialen Vakuum statt. Vielmehr sind Tiere in vielfältiger Weise dabei<br />

aufeinander angewiesen oder konkurrieren miteinander um dieselben<br />

Ressourcen. Individuen verschiedener Arten können ihre inklusive<br />

Fitness in unterschiedlichen sozialen Konstellationen am besten<br />

maximieren. Die Diversität der resultierenden Sozialsysteme kann in<br />

drei heuristische Komponenten zerlegt werden. Soziale Organisation<br />

beschreibt die demografische Struktur und Kohäsion von sozialen<br />

Einheiten, bei denen sich solitäre, paarlebende und gruppenlebende<br />

Arten unterscheiden lassen. Verschiedene Paarungssysteme beschreiben,<br />

mit wie vielen Partnern sich Männchen und Weibchen im Mittel<br />

verpaaren. Auf dieser Ebene wird entschieden, welche Gene letztendlich<br />

in die nächste Generation kommen. Dem Verständnis der Ursachen<br />

und Konsequenzen verschiedener Paarungssysteme kommt<br />

deshalb eine besondere evolutionäre Bedeutung zu. Die vielfältigen<br />

Interaktionen zwischen Artgenossen generieren schließlich unterschiedliche<br />

Sozialstrukturen. Neben direkten Interaktionen stellt der<br />

Austausch von Signalen den herausragenden Mechanismus zur Ausbildung<br />

von sozialen Beziehungen dar. Kommunikation hat zudem<br />

entscheidende funktionale Bedeutung in allen fitnessrelevanten Verhaltenskontexten.<br />

Die Vielfalt sozialer Beziehungen manifestiert sich<br />

besonders in den zahlreichen Facetten der sozialen Konkurrenz und<br />

Kooperation. Wie sich Tiere auf Gruppenebene koordinieren, ist eine


Literatur 561<br />

der spannendsten neuen Fragen der Verhaltensbiologie. Zum Teil<br />

hoch spezialisierte kognitive Leistungen sind als Anpassungen an<br />

ökologische und soziale Herausforderungen mehrfach unabhängig<br />

entstanden. Genauso wie kulturelle Variation zwischen Populationen<br />

in verschiedenen Verhaltensweisen wurden kognitive Leistungen bislang<br />

hauptsächlich an Vögeln und Primaten untersucht.<br />

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Sachverzeichnis<br />

Abortion 292<br />

Abwanderung(s-) 328, 509<br />

Möglichkeiten<br />

limitierte 329<br />

Abwehr(-)<br />

Mechanismen<br />

chemische 183<br />

induzierbare 203<br />

mechanische 183<br />

Adoption 456<br />

Aggregation 500<br />

Aggression<br />

direkte 181<br />

Alarm(-)<br />

Pheromone 221<br />

Rufe 221<br />

Signale 221<br />

Allokationsproblem 41<br />

alloparenting 454<br />

Allostasis 80<br />

Altruismus 423, 442, 544<br />

reproduktiver 442, 545<br />

reziproker 546<br />

Anemochorie 185<br />

Anisogamie 242<br />

Evolution 243<br />

Konsequenzen 243<br />

Anpassung 32, 492<br />

Ansitzjäger 204<br />

Anti-Prädationsstrategien 203<br />

Aposematismus 210<br />

Evolution 211<br />

Arrenotokie 431<br />

Art(-)<br />

Bildung 324, 386<br />

Erkennung 319<br />

kommunale 446<br />

polytypische 326<br />

quasisoziale 446<br />

semisoziale 446<br />

subsoziale 446<br />

Vergleiche 19<br />

artificial selection Siehe Selektion:<br />

künstliche<br />

Asexualität 237<br />

Aufbruchsignal 536<br />

Aufnahmeregel 17<br />

Aufzeichnungsregel 18<br />

Ausbeutungskonkurrenz 168, 540<br />

Aussterben 202<br />

Automimikry 213<br />

Autotomie 216<br />

bachelor group Siehe Junggesellen-<br />

Gruppe<br />

Balzarena Siehe Lek<br />

Batemans Prinzipien 244<br />

Bates’sche Mimikry 213<br />

Bedürftigkeit<br />

ehrliche 426<br />

Signal 426<br />

Befruchtung<br />

externe 257<br />

interne 258<br />

Behaviorismus 10<br />

Belästigung 541<br />

sexuelle 388<br />

Beschützer 296, 351<br />

best male 338<br />

best of n 338<br />

Bestäubung 185<br />

Bestechung 541


582 Sachverzeichnis<br />

Best-man-Hypothese 241<br />

Bestrafung 541<br />

bet-hedging 371<br />

Bettelverhalten 426<br />

Beute(-)<br />

Strategien 208<br />

Typ 161<br />

Bewachung von Weibchen 286<br />

Bienentanz 123, 158<br />

Bimaturismus<br />

sexueller 50<br />

Black-hole-Hypothese 523<br />

Bleibe- und Friedensanreize 541<br />

Brauseflug 124<br />

Brautgeschenk 347<br />

Bruce-Effekt 292, 296<br />

Brut(-)<br />

Parasitismus 439<br />

innerartlicher 441<br />

Pflege 34, 409<br />

Reduktion 438<br />

by-product mutualism 454<br />

caching 551<br />

candidate genes Siehe Kandidaten-<br />

Gene<br />

central place forager 87<br />

Chase-away-Selektion 383<br />

Chemorezeption 104<br />

collective action problem Siehe<br />

Kollektivhandlungsproblem<br />

communal<br />

breeding 455<br />

care Siehe Fürsorge:<br />

gemeinsame<br />

decisions Siehe<br />

Gruppenentscheidungen<br />

concession models Siehe<br />

Konzessions-Modelle<br />

conditioned stimulus Siehe Reiz:<br />

bedingter<br />

contagion Siehe<br />

Stimmungsübertragung<br />

contest competition Siehe<br />

Interferenzkonkurrenz<br />

costs 423<br />

counter shading Siehe<br />

Konterschattierung<br />

Crook 14<br />

cryptic female choice Siehe<br />

Partnerwahl: kryptische<br />

Weibchenwahl<br />

cue Siehe Reiz<br />

Darwin 9<br />

Darwin’scher Dämon 41<br />

dear enemy phenomenon Siehe<br />

Lieber-Feind-Effekt<br />

Dekoration 209<br />

Despotismus 540<br />

Diapause 116<br />

Diplont 238<br />

Dishabituation 468<br />

dispersal<br />

delayed 509<br />

natal 509<br />

secondary 509<br />

dispersed pairs 515<br />

display 181, 270, 325, 378, Siehe<br />

auch Kommunikationssignale<br />

visueller 181<br />

Domestikation 461<br />

Dominanz(-) 275<br />

Beziehung 276, 539<br />

Rang 276<br />

Dringlichkeitsruf 222<br />

Drive-Gen 423<br />

Dyade 276<br />

eavesdropping Siehe Lauschen<br />

Ehrlichkeit 532<br />

Eier 243<br />

Einnischung 146<br />

Einzelgängertum 496<br />

Ejakulat<br />

Austausch 283<br />

Elektrorezeption 105<br />

Eltern-Kind-Konflikt 56, 409, 422<br />

differentielles Investment 428<br />

Evolution 422


Sachverzeichnis 583<br />

geschlechtsspezifisches<br />

Investment 430<br />

Mechanismen 425<br />

Ursachen 424<br />

Emigranten-Egalitaristen-Gruppen<br />

540<br />

Energie(-) 74<br />

Aufnahmerate 161<br />

Effizienz 87<br />

Gesamteffizienz 88<br />

Gewinnrate<br />

Maximierung 89<br />

Kontrolle 90<br />

Speicher<br />

externer 90<br />

interner 90<br />

Entfernungsmessung 124<br />

Entscheidungsfindung<br />

Mechanismen 538<br />

Entwöhnungskonflikt 427<br />

Ereignisse 16<br />

Erfahrung 340<br />

Ethogramm 16<br />

Ethologie<br />

klassische 11<br />

Eusozialität 442, 444<br />

nicht-genetische Faktoren 446<br />

ohne Haplodiploidie 447<br />

Verwandtenselektion 444<br />

evo-devo 458<br />

evolutionär stabile Strategie (ESS)<br />

29, 546<br />

extra-pair<br />

copulation (EPC) 367, 498<br />

paternity 416<br />

young (EPY) 368<br />

feeding patch Siehe Futterplatz<br />

Fekundität 47, 306, 346, 409<br />

female-bonded groups 494<br />

female-bonding-Hypothese 494<br />

Fertilisation 286, 411<br />

Fertilität 346<br />

filial imprinting Siehe<br />

Nachfolgeprägung<br />

first male advantage 282<br />

Fisher-Muller-Theorie 241<br />

Fisher-Prozess 353<br />

freilaufender Prozess 353<br />

genetische Kovarianz 353<br />

Koevolutionsmodell 353<br />

weibliche Präferenz 354<br />

Fitness 31<br />

direkte 31, 423<br />

Gesamtfitness 25, 423<br />

indirekte 31, 423<br />

individuelle 31<br />

Konsequenz 506<br />

Flucht 217<br />

fluktuierende Asymmetrie (FA)<br />

361<br />

Fortpflanzung(s-)<br />

Aufwand<br />

Evolution 53<br />

Verhalten 57<br />

Biologie 237<br />

eingeschlechtliche 237<br />

Erfolg 244, 246, 266, 278,<br />

330, 502<br />

Varianz 234<br />

erste<br />

Evolution 47<br />

Verhalten 50<br />

getrenntgeschlechtliche 240<br />

iteropar 429<br />

Konkurrenz 347<br />

Verdrängungskonkurrenz 260<br />

nullipar 454<br />

Physiologie<br />

Zwänge 284<br />

Rate<br />

potentielle 247<br />

sexuelle 238<br />

Nachteile 240<br />

Vorteile 241<br />

Strategien 299<br />

alternative 300<br />

Evolution 59<br />

flexible 248<br />

konditionale 302


584 Sachverzeichnis<br />

sexuell selektierte 294<br />

Verhalten 64<br />

System 524<br />

Taktiken 299<br />

verzögerte 48<br />

vivipar 464<br />

Wert 58<br />

free-riders 550<br />

Fressverhalten 154<br />

Fürsorge<br />

biparentale 411<br />

elterliche 405<br />

gemeinsame 455<br />

geschlechtsspezifische 411<br />

Kompensation 419<br />

mütterliche 406, 412<br />

uniparentale 411<br />

väterliche 412<br />

Futterplatz 160<br />

Gebrauchs-Lernen 534<br />

Gedächtnis<br />

episodisches 551<br />

Gefangenendilemma 546<br />

Gegenselektion 184<br />

Gegenstrategien<br />

weibliche 296<br />

Gelegegröße 55<br />

Gene<br />

pleiotrope 462<br />

selbstsüchtige 423<br />

Genitalien 386<br />

mechanischen Passgenauigkeit<br />

322<br />

Genitalmorphologie 290<br />

genomic imprinting Siehe Prägung:<br />

genomische<br />

Genotyp 44, 458<br />

Gesangsprägung 467<br />

Geschlecht(s-)<br />

Bestimmung<br />

cytoplasmatische 431<br />

genetische 430<br />

ökologische 431<br />

heterogames 238<br />

Krankheiten 82, 524<br />

Merkmal<br />

sekundäres 234, 280<br />

Evolution 268<br />

Umwandlung 304<br />

Wechsel 239<br />

Geschlechter(-)<br />

Rolle 242, 248<br />

traditionelle 242, 246<br />

umgekehrte 247, 306<br />

Verhältnis 248, 430<br />

ausgeglichenes 250<br />

Evolution 249<br />

gespaltenes 445<br />

operationales 248<br />

Geschwister(-)<br />

Konflikt 437<br />

Tötung 437<br />

Gesellschaftsform 489<br />

Gezeitenrhythmus 112<br />

Giftapparate 207<br />

Gilden 103<br />

Grenzertragstheorem 27<br />

grooming 82, 529, 543, Siehe auch<br />

Lausen<br />

Grundregel des wissenschaftlichen<br />

Arbeitens 21<br />

Gruppe(n-) 500<br />

Bildung 223<br />

Entscheidungen 536<br />

Größe 503<br />

optimale 503<br />

Hypothese 500<br />

Leben<br />

Nachteile 502<br />

Vorteile 500<br />

Mitglieder<br />

Unterschiede 505<br />

Selektion 293, 490<br />

Zusammensetzung 506<br />

guards 304<br />

Gute-Gene(-) 353, 357, 365<br />

Modelle 366<br />

Selektion 356<br />

Gynogenese 240, 327


Sachverzeichnis 585<br />

Habitat(-)<br />

Ansprüche 147<br />

Sättigung 451<br />

sink- 148<br />

source- 148<br />

Wahl 146<br />

Mechanismen 148<br />

phänotypische Plastizität 147<br />

Präferenz 148<br />

Habituation 468<br />

Haldanes Regel 319<br />

Hamiltons Ungleichung 423<br />

Hamilton-Zuk-Hypothese 360<br />

handicap(-) 271, 533<br />

Hypothese 270, 357<br />

offenbarendes (revealing) 358<br />

strategisches 358<br />

handling time Siehe Nahrungswahl:<br />

Bearbeitungszeit<br />

Haplodiploidie 240, 444<br />

Haplont 238<br />

harassment Siehe Belästigung<br />

Haremsgruppe 507<br />

Hassen 216<br />

Haupthistokompatibilitäts-Komplex<br />

332<br />

Hautschilde 264<br />

Heinroth 10<br />

Helfer(-)<br />

bei Säugetieren 452<br />

genetische Vorteile 449<br />

Helfer-am-Nest 449<br />

Kosten 450<br />

ökologische und Life history-<br />

Zwänge 451<br />

primäre 449<br />

sekundäre 449<br />

Systeme 449<br />

Vor- und Nachteile 454<br />

Herbivorie 154<br />

Evolution 183<br />

Heritabilität 45, 462<br />

Hermaphrodit 239<br />

Hermaphroditismus<br />

protogyner 304<br />

Heterosiseffekt 366<br />

Himmelskompass 127<br />

Hodengröße 289<br />

innerartliche Variabilität 289<br />

zwischenartliche Variation 289<br />

home range Siehe Streifgebiete<br />

Homologien 23<br />

Homöostasis 74<br />

honest signalling of need Siehe<br />

Bedürftigkeit: ehrliche<br />

Hören 102<br />

hotshots 523<br />

hotspots 523<br />

Hybridisierung 319, 326<br />

Hybridogenese 327<br />

Hybridzonen 321<br />

Imitation 470<br />

Immunkompetenz 524<br />

imprinting Siehe Prägung<br />

Inaktivität 116<br />

incentive<br />

peace 375<br />

staying 375<br />

inclusive fitness Siehe Fitness:<br />

Gesamtfitness<br />

Infantizid(-) 293, 297<br />

Hypothese 499<br />

Life history 297<br />

Inklinationskompass 125<br />

innere Uhr 110<br />

Intelligenz<br />

Machiavelli’sche 554<br />

soziale 554<br />

Interaktionen 527<br />

Tier-Pflanze 182<br />

Interferenzkonkurrenz 168, 261,<br />

494, 540<br />

Interlokus-Konflikt 382<br />

Intralokus-Konflikt 382<br />

Investment<br />

elterliches 246, 418<br />

terminales 429<br />

Inzest(-)<br />

Vermeidung 327<br />

Mechanismen 328


586 Sachverzeichnis<br />

Inzucht(-)<br />

Depression 327<br />

Risiko 328<br />

Isogamie 243<br />

Isolation<br />

präzygotische 321, 324<br />

reproduktive 320, 324, 326<br />

Iteroparie 53<br />

Jagd<br />

Gruppenjäger 206<br />

kooperative 207<br />

solitäre Jäger 206<br />

Jungen(-)<br />

Aufzucht<br />

gemeinsame 455<br />

kooperative 446<br />

Fürsorge<br />

biparentale 498, 514<br />

männliche 516<br />

Junggesellen-Gruppe 507<br />

Kampf- oder Flucht-Syndrom 80<br />

Kandidaten-Gene 461<br />

Kannibalismus 294<br />

sexueller 385<br />

Karnivoren 154<br />

Karotenoide 273<br />

Karte 120<br />

kognitive 120, 553<br />

Kaspar-Hauser-Experiment 460<br />

Kathemeralität 108<br />

kin selection Siehe<br />

Verwandtenselektion<br />

Kinese 117, Siehe auch<br />

Klinokinese, Orthokinese<br />

Klino(-)<br />

Kinese 117<br />

Taxis 118<br />

Koevolution<br />

mutualistische 384<br />

Kognition 550<br />

ökologische 551<br />

soziale 553<br />

Kollektivhandlungsproblem 182, 550<br />

Kommunikation(s-) 158, 529<br />

Signale 181<br />

Kompass 121, Siehe auch<br />

Himmelskompass,<br />

Inklinationskompass,<br />

Magnetkompass, Mondkompass,<br />

Sonnenkompass, Sternenkompass<br />

Konditionierung<br />

Beobachtungskonditionierung<br />

469<br />

klassische 468<br />

operante 469<br />

Verstärkung 468<br />

Konduktion 78<br />

Konflikt(-) Siehe auch Eltern-Kind-<br />

Konflikt, Entwöhnungskonflikt,<br />

Geschwisterkonflikt, Interlokus-<br />

Konflikt, Intralokus-Konflikt,<br />

Mutter-Fötus-Konflikt<br />

Bewältigung 421<br />

intragenomischer 425<br />

Lösung<br />

Mechanismen 541<br />

sexueller 236, 380, 419<br />

Konglobation 500<br />

Konkurrenz 538, Siehe auch<br />

Ausbeutungskonkurrenz,<br />

Fortpflanzungskonkurrenz,<br />

Interferenzkonkurrenz,<br />

Nahrungskonkurrenz,<br />

Partnerkonkurrenz,<br />

Ressourcenkonkurrenz,<br />

Spermienkonkurrenz,<br />

Verdrängungskonkurrenz<br />

interspezifische 149<br />

intraspezifische 150<br />

Machtasymmetrie 375<br />

Mechanismen 377<br />

postkonzeptionelle 292<br />

postkopulatorische 281<br />

Umweltfaktoren 374<br />

Verwandtschaftsgrad 374, 375<br />

zwischen Weibchen 373<br />

Konterschattierung 210<br />

Konvektion 78


Sachverzeichnis 587<br />

Konvention<br />

arbiträre 179<br />

Konvergenz 19<br />

Konzessions-Modelle 374<br />

Kooperation 442, 544<br />

Kopulation(s-)<br />

Anzahl 287<br />

Dauer 288<br />

Verhalten 286<br />

korrelatives Modell 276<br />

Kosten-Nutzen-Analyse 25<br />

Krypsis 209<br />

Kultur 557<br />

Weitergabe 557<br />

Lack-clutch 55<br />

Laktationsamenorrhoe 295, 298<br />

Landmarke 119<br />

Lauschen 529<br />

Lausen 82<br />

Leben(s-)<br />

Dauer 59<br />

Fortpflanzungserfolg<br />

Varianz 268<br />

Laufgeschwindigkeiten 49<br />

Lek(-) 301, 523<br />

Paradoxon 351<br />

Lernen Siehe auch Gebrauchs-<br />

Lernen, Produktions-Lernen,<br />

Verständnis-Lernen<br />

assoziatives 469<br />

individuelles 164, 468<br />

soziales 469<br />

lokale Verstärkung 469<br />

Lernmuster 151<br />

Lieber-Feind-Effekt 179<br />

Life history 39, 237, 297, 406<br />

Diversität 41<br />

Evolution 44<br />

Merkmale 46<br />

Problem 54<br />

local<br />

mate competition Siehe<br />

Partnerkonkurrenz: lokale<br />

resource competition Siehe<br />

Ressourcenkonkurrenz: lokale<br />

resource enhancement 435<br />

local enhancement Siehe Lernen:<br />

soziales: lokale Verstärkung<br />

Lorenz 11<br />

Lotterie-Prinzip 283<br />

Luminosität 114<br />

Lunarperiodik 114<br />

Magnetkompass 125<br />

Magnetorezeption 105<br />

major histocompatibility complex<br />

(MHC) Siehe<br />

Haupthistokompatibilitäts-<br />

Komplex<br />

making the best of a bad job 303<br />

Männchen(-)<br />

Produktion<br />

Kosten 241<br />

Verteidigungs-Polyandrie 517<br />

Markttheorie<br />

biologische 528<br />

mate<br />

copying 343<br />

desertion Siehe Partner:<br />

Verlassen<br />

guarding 286, 350, Siehe auch<br />

Bewachung von Weibchen<br />

Hypothese 499<br />

Mechanorezeption 104<br />

Meiose 422<br />

Menotaxis 119<br />

Merkmal(s-)<br />

Gruppen-Selektion 491<br />

Verschiebung<br />

reproduktive 319<br />

Methode der unabhängigen<br />

Kontraste 23<br />

Mikrohabitatnutzung 151<br />

Mimese 209<br />

Mimikry Siehe auch Automimikry,<br />

Bates’sche Mimikry, Müller’sche<br />

Mimikry


588 Sachverzeichnis<br />

akustische 214<br />

Evolution 213<br />

mixed-species groups 502<br />

Mnemotaxis 119<br />

mobbing Siehe Hassen<br />

Mobilität 260<br />

Mondkompass 125<br />

Monogamie 513<br />

Monopolisierung(s-) 261<br />

Potential 260<br />

Mortalität(s-) 60<br />

extrinsische 61<br />

intrinsische 61<br />

Rate 452<br />

Wahrscheinlichkeit 265<br />

Muller’s ratchet 241<br />

Müller’sche Mimikry 213<br />

multilevel selection Siehe<br />

Merkmalsgruppen-Selektion<br />

Mutter-Fötus-Konflikt 425<br />

Mutualismus 454, 544, 549<br />

Tier-Pflanze 184<br />

Nachfolgeprägung 465<br />

Nachkommenzahl 53, 429<br />

Nachtaktivität 108<br />

Nährstoffgehalt 164<br />

Nahrung(s-) 32, 74<br />

Aufnahmerate 171<br />

Generalisten 155, 162<br />

Konkurrenz 166<br />

Dominanzbeziehungen 169<br />

Formen und Ursachen 167<br />

Geschlechtsunterschied 167<br />

ideal freie Verteilung 170<br />

kompetitives Regime 167<br />

Konkurrenzstrategien 167<br />

ultimate Aspekte 167<br />

Pyramide 154<br />

Qualität 164<br />

Energiegehalt 165<br />

Nährstoffe 165<br />

Pflanzeninhaltsstoffe 165<br />

Ressource 503<br />

Spezialisten 154<br />

Suche 153, 155, 535<br />

Gedächtnisleistung 156<br />

Informationszentren 158<br />

kognitive Aspekte 156<br />

ökologische Aspekte 159<br />

operante Konditionierung 157<br />

optimale Wiederkehrzeit 156<br />

solitäre 496<br />

soziale Aspekte 158<br />

Suchstrategie 157<br />

Suchzeit 161<br />

trapline foraging 157<br />

Verteilung der Nahrung 157<br />

Vorräte 157<br />

Wahl 160<br />

Bearbeitung(s-)<br />

Aufwand 160<br />

Zeit 161, 247<br />

optimale 161<br />

Profitabilität 161<br />

Verfügbarkeit der Nahrung<br />

161<br />

Zusammensetzung 154<br />

Navigation 120<br />

Nebenprodukt-Mutualismus 549<br />

Nepotismus 540, 544<br />

Nest(-)<br />

Flüchter 57, 410, 416<br />

gemeinsames 456<br />

Hocker 57, 410, 416<br />

Netto-Energiegewinn 89<br />

Nische 150<br />

Nötigung<br />

sexuelle 386<br />

Nutzen-Kosten-Bilanz 25<br />

observational conditioning Siehe<br />

Konditionierung:<br />

Beobachtungskonditionierung<br />

Omnivoren 154<br />

one shot game 546<br />

optic flow 128<br />

Optimal-foraging-Theorie 153<br />

Optimalitätsmodelle 26, 87


Sachverzeichnis 589<br />

Organisation(s-)<br />

Formen 495, Siehe auch Gruppe,<br />

Paar, solitär<br />

soziale 14, 20, 182, 489, 492<br />

Orientierung(s-)<br />

idiothetische 119<br />

räumliche 116<br />

Reize 117<br />

Vermögen 260<br />

zeitliche 107<br />

Ornament 265, 270, 352<br />

akustisches 274, 358<br />

olfaktorisches 362<br />

Qualität 358<br />

visuelles 272, 360<br />

weibliches 378<br />

Orthokinese 117<br />

Ortstreue 117<br />

Oviparie 407<br />

Ovoparie 53<br />

Ovoviviparie 408<br />

Evolution 408<br />

Ovulation 284<br />

induzierte 285<br />

spontane 285<br />

Oxytozin 461<br />

Paar 497<br />

disperses 497<br />

permanentes 497<br />

serielles 497<br />

Paarung(s-)<br />

assortative 321<br />

Erfolg 246, 268, 276<br />

Experimente 281<br />

heterospezifische 319<br />

polyandrische 381<br />

Präferenz 335<br />

Systeme 381, 489, 512, Siehe<br />

auch Monogamie, Polyandrie,<br />

Polygynandrie, Polygynie<br />

Diversität 512<br />

Konsequenzen 524<br />

genetische 526<br />

morphologische 525<br />

monandrische 323, 337<br />

polyandrische 323, 337<br />

Taktiken 305<br />

Zeit 260<br />

Paradigma der Ökologie 149<br />

Parasiten(-) 81<br />

Befall 273<br />

parental care Siehe Fürsorge:<br />

elterliche<br />

Parthenogenese 237<br />

Partner(-)<br />

Findung 257<br />

Konkurrenz<br />

lokale 435<br />

Verlassen 421<br />

Wahl 306<br />

Arterkennung 340<br />

direkte Vorteile 345<br />

Effekte auf Fertilität und<br />

Fekundität 346<br />

Erhebungstaktiken 337<br />

genetische Kompatibilität 366<br />

indirekte Vorteile 318, 352<br />

innerartliche Auswahl 341<br />

kryptische Weibchenwahl<br />

343<br />

Mechanismen 335<br />

MHC-abhängig 363<br />

Nachahmungseffekte 343<br />

Präexistenz von Präferenzen<br />

342<br />

proximate Grundlagen 340<br />

Qualität von Männchen<br />

346, 350<br />

Selektivität der Weibchen 336<br />

sensorische Ausbeutung 341<br />

patch 22, 28, Siehe auch<br />

Nahrungsressource<br />

Pathogenbelastung 351<br />

Pavlov 10<br />

Pay-to-stay-Hypothese 449<br />

Penisanatomie 290<br />

Periodik<br />

circannuale 115<br />

semilunare 114


590 Sachverzeichnis<br />

Pfadintegration 127<br />

Phänotyp 44, 301, 458<br />

Plastizität 45<br />

Pheromon 105, 259, 530<br />

Philopatrie 509, 540<br />

Photoperiode 115<br />

phylogenetic inertia Siehe<br />

phylogenetischer Ballast<br />

phylogenetische Effekte 49<br />

phylogenetischer Ballast 23<br />

piping signal<br />

Siehe Aufbruchsignal<br />

Playback-Experiment 219<br />

Pleiotropie 460<br />

antagonistische 62<br />

Polarisationsmuster 127<br />

Polaritätskompass 126<br />

Polyandrie 368, 516, Siehe auch<br />

Männchenverteidigungs-<br />

Polyandrie, Ressourcenverteidigungs-Polyandrie<br />

direkte Vorteile 369<br />

indirekte Vorteile 371<br />

klassische 517<br />

kooperative 456<br />

Polyethismus 443<br />

Polygynandrie 522<br />

Polygynie 267, 518, Siehe auch<br />

Ressourcenverteidigungs-<br />

Polygynie, Weibchenverteidigungs-Polygynie<br />

Kosten 521<br />

opportunistische 522<br />

Schwellenmodell 519<br />

Polymorphismus 210<br />

Polyphänismus 300<br />

Populationsdynamik 201<br />

Post-partum-Östrus 297, 418<br />

Prädation(s-) 197<br />

Evolution 198<br />

gekoppelte Oszillation 199<br />

Rate 201<br />

Risiko 151, 159, 173, 201, 505<br />

Selektionsdruck 198<br />

synchronisierte Oszillation 199<br />

Präferenz<br />

angeborene 340<br />

Funktion 340<br />

Prägung(s-) 326, 340, 465<br />

genomische 426<br />

Muster 151<br />

sexuelle 340, 465<br />

Priority-of-access-Modell 276<br />

prisoner’s dilemma Siehe<br />

Gefangenendilemma<br />

Produktions-Lernen 534<br />

Promiskuität 246, 522<br />

Protandrie 239<br />

Protogynie 239<br />

Psychologie<br />

vergleichende 12<br />

punishment Siehe Bestrafung<br />

P-Wert 282<br />

P 1 -Wert 291<br />

P 2 -Wert 282, 291<br />

queen policing 446<br />

Radiation 78<br />

raffle principle 284<br />

Rapid Eye Movements Siehe REM<br />

Räuber(-)<br />

Druck 201<br />

giftige 207<br />

Räuber-Beute-System 199<br />

Strategien 203<br />

Vermeidung 33, 535<br />

Verwirrung 223<br />

reconciliation Siehe Versöhnung<br />

Red-queen-Hypothese 242<br />

Regime<br />

kompetitives 540<br />

reinforcement Siehe<br />

Konditionierung: Verstärkung<br />

Reiz(-) 529<br />

bedingter 468<br />

unbedingter 468<br />

Verstärkung 469<br />

Rekombination<br />

Kosten 241


Sachverzeichnis 591<br />

REM-Schlaf 86<br />

reproductive skew 278, 279, 373,<br />

452, 455, 502, 541, Siehe auch<br />

Fortpflanzungserfolg<br />

Modelle 447<br />

Reproduktion<br />

eigene 447<br />

reproduktive Ungleichverteilung<br />

Siehe reproductive skew<br />

Residenten-Egalitaristen-Gruppen<br />

540<br />

Residenten-Nepotisten-Gruppen<br />

540<br />

Resorption von Embryonen 292<br />

Ressourcen(-)<br />

Dispersions-Hypothese 494<br />

Konkurrenz 294<br />

lokale 433<br />

Quantität 175<br />

Verfügbarkeit<br />

zeitliche Variabilität 503<br />

Verteidigung(s-)<br />

Hypothese 499<br />

Polyandrie 517<br />

Polygynie 519<br />

Verteidigungspotential 181<br />

Verteilung<br />

räumliche 175<br />

Verteilung(s-) 493<br />

restraint models Siehe<br />

Zurückhaltungsmodelle<br />

Reziprozität 546<br />

Rhythmus Siehe auch<br />

Gezeitenrhythmus<br />

circadianer 108<br />

Phasenverschiebung 111<br />

endogener 107<br />

Riechen 104<br />

Ritualisierung 533<br />

Romanes 9<br />

Ruf<br />

funktional referentieller 222<br />

runaway Siehe Fisher-Prozess:<br />

freilaufender Prozess<br />

Samenausbreitung 185<br />

sampling tactic Siehe<br />

Erhebungstaktik<br />

satellites 304<br />

Schlaf(-) 83<br />

Platz 85<br />

Schlüssel-und-Schloss-Hypothese<br />

290, 322<br />

Schmarotzer 552<br />

Schmecken 104<br />

Schreckstoff 104, 221<br />

Schwellenwert 302<br />

Schwesterart<br />

allopatrische 319<br />

sympatrische 319<br />

scouts 536<br />

scramble competition Siehe<br />

Ausbeutungskonkurrenz<br />

scramble competition polygyny<br />

Siehe Polygynie: opportunistische<br />

scroungers Siehe Schmarotzer<br />

Segregation<br />

sexuelle 508<br />

Sehen 100<br />

Sehschärfe 101<br />

Seilzieh-Modelle 374<br />

Seitenlinienorgan 104<br />

Selbstmedikation 166<br />

Selektion(s-) Siehe auch Chaseaway-Selektion,<br />

Gegenselektion,<br />

Gruppenselektion, Gute-Gene-<br />

Selektion, Merkmalsgruppen-<br />

Selektion, Prädationsselektion,<br />

Verwandtenselektion<br />

frequenzabhängige 210,<br />

301, 460<br />

intersexuelle 235<br />

intrasexuelle 235, 255<br />

Kosten 264<br />

Kräfte<br />

spezifische 551<br />

künstliche 234<br />

natürliche 31, 234, 491<br />

sexuelle 234, 491, 535<br />

Hypothese 290, 322


592 Sachverzeichnis<br />

intersexuelle 318, 324<br />

postkopulatorische 343<br />

Theorie<br />

sexuelle 294<br />

selfish genes 423<br />

self-reference 365<br />

Semelparie 53<br />

Sensitivierung 468<br />

sensory bias 341<br />

sentinel calls Siehe Wächterlaute<br />

sex<br />

allocation theory 432<br />

ratio Siehe<br />

Geschlechterverhältnis<br />

role reversal 379, 516<br />

sexual<br />

coercion Siehe Zwang: sexueller<br />

harassment Siehe Belästigung:<br />

sexuelle<br />

Sexual(-)<br />

Dichromatismus 325<br />

Dimorphismus 167, 265, 266,<br />

269, 525<br />

umgekehrter 269<br />

sexy sons 353<br />

sibling scramble competition 426<br />

Siblizid 437<br />

Signal 530<br />

akustisches 260, 320<br />

Bedeutung 533<br />

chemisches 105, 221, 530<br />

ehrliches 263, 272, 274, 358<br />

Ehrlichkeit 532<br />

Funktion 535<br />

Laute 531<br />

olfaktorisches 322<br />

Testosteron-abhängiges 363<br />

Übertragung 532<br />

visuelles 259, 531<br />

Sinnesphysiologie 100<br />

sit-and-wait predators Siehe<br />

Ansitzjäger<br />

sneaks 304<br />

social queuing 375<br />

society Siehe Gesellschaftsform<br />

solitär 496<br />

solitary foraging Siehe<br />

Nahrungssuche: solitäre<br />

Sonarsystem 102<br />

Sonnenkompass 121, 123<br />

Sozial(-)<br />

Struktur 489, 527, 539<br />

Koordination 535<br />

Systeme 489<br />

Sozio(-)<br />

Biologie 14, 545<br />

Ökologie 169<br />

Modell 492, 539<br />

Spermatophore 283<br />

Spermatothek 283<br />

Spermien(-) 243, 291<br />

Entfernung 283<br />

Konkurrenz 261, 281, 343, 381,<br />

522, 525<br />

anatomische Anpassungen 289<br />

Mechanismen 281<br />

Verhaltensanpassungen 286<br />

Morphologie<br />

Variabilität 291<br />

Speicherorgan 285<br />

Übertragung 286<br />

Verlust<br />

passiver 283<br />

Spieltheorie 546<br />

split sex ratios 445<br />

stay and peace incentives Siehe<br />

Bleibe- und Friedensanreize<br />

Sternenkompass 125<br />

Steroidhormone 464<br />

Stimmungsübertragung 469<br />

stimulus enhancement Siehe<br />

Reizverstärkung<br />

Stoffwechsel 74<br />

Störvariable 22<br />

Stratifikation 282<br />

Streifgebiete 173<br />

Stress 79<br />

soziale Stressoren 80<br />

Suchjäger 205<br />

Synchronität 499


Sachverzeichnis 593<br />

Tagaktivität 108<br />

Taktiken 29<br />

tandem running 537<br />

Tangled-bank-Hypothese 242<br />

Tarnmuster 209<br />

Taxis 118, Siehe auch Klinotaxis,<br />

Menotaxis, Mnemotaxis,<br />

Telotaxis<br />

teaching Siehe Unterrichten<br />

Telotaxis 119<br />

Territorialität 173<br />

Entfernungsexperimente 178<br />

floater 178<br />

Mechanismen 178<br />

Ökonomie 176<br />

Playback-Experimente 179<br />

Qualität der Ressource 175<br />

Saisonalität der Nahrungsquellen<br />

175<br />

Ursachen 175<br />

Territorium(s-)<br />

Größe<br />

optimale 26, 177<br />

Modell 176<br />

Qualität 350<br />

Testosteron 363<br />

Thelytokie 431<br />

theory-of-mind 555<br />

Thermo(-)<br />

Regulation 77<br />

Rezeption 105<br />

threshold rule 338<br />

Tinbergen 12<br />

vier Fragen 4<br />

Trade-off 41, 159, 286, 458<br />

Tradition 558<br />

trait group selection Siehe<br />

Merkmalsgruppen-Selektion<br />

Transaktions-Modelle 374<br />

Trinken 76<br />

Trivers-Willard-Hypothese 432<br />

tug-of-war models<br />

Siehe Seilzieh-Modelle<br />

turn-over 452<br />

Uhr<br />

circadiane<br />

Maskierungseffekte 111<br />

Schrittmacher 111<br />

circalunare 114<br />

circannuale 115<br />

circatidale 113<br />

innere<br />

externer Zeitgeber 111<br />

Ultimatum-Spiel 556<br />

unconditioned stimulus Siehe Reiz:<br />

unbedingter<br />

Ungenießbarkeit 210<br />

Ungleichverteilung<br />

reproduktive 278<br />

Unterdrückung<br />

reproduktive 279<br />

Unterrichten 470<br />

Varianz<br />

additive genetische 45, 351<br />

Vaterqualitäten 348<br />

Vaterschaft(s-)<br />

Sicherheit 413<br />

Test 295<br />

Verschleierung 296<br />

Verdrängungseffekt 150<br />

Verdünnungseffekt 218, 224, 501<br />

Verdunstung 78<br />

Verhalten(s-) 3<br />

Anpassung 5<br />

Biologie<br />

Geschichte 8<br />

klassische Methoden 16<br />

moderne Konzepte 19<br />

Entwicklung 4, 457<br />

Erfahrung 463<br />

Evolution 457<br />

Genetik 457<br />

Konsequenzen 16<br />

Ökologie 13<br />

pathologisches 294<br />

phylogenetischer Ursprung 5<br />

proximate Ursachen 4<br />

Strategie 29


594 Sachverzeichnis<br />

Struktur 16<br />

submissives 276<br />

ultimate Funktion 5<br />

Umwelteinflüsse 463<br />

Verletzungsrisiko 262<br />

Vermehrung<br />

ungeschlechtliche 237<br />

Versöhnung 543<br />

Verständnis-Lernen 534<br />

Verteidigung(s-) 264<br />

gemeinsame 223<br />

Mechanismen<br />

chemische 216<br />

Strukturen 262<br />

Verwandten(-)<br />

Diskriminierung 328<br />

Erkennung 331<br />

direkte 332<br />

Phänotyp-Abgleich 332<br />

räumliche Information 332<br />

Selektion 32, 212, 423, 442, 444,<br />

494, 545<br />

Verwandtschaftskoeffizient (r) 32,<br />

422<br />

vier<br />

Fragen 4<br />

Probleme 3, 31<br />

Vigilanz 217<br />

Viviparie 53, 406<br />

Evolution 408<br />

Vogelzug<br />

energetische Kosten 131<br />

Evolution 131<br />

von Frisch 11<br />

von Uexküll 11<br />

Wachsamkeit(s-) 217, 350, 501<br />

geteilte 218, 219<br />

Verhalten 218<br />

visuelle 217<br />

Wächterlaute 219<br />

Waffen 263, 386<br />

Wanderung 116, 130, 134<br />

proximate Kontrolle 132<br />

war of attrition Siehe<br />

Zermürbungskrieg<br />

Wärmeerzeugung 78<br />

Warn(-)<br />

Färbung 210<br />

Ruf 218<br />

Signal 215<br />

Wasserhaushalt 76<br />

Watson 10<br />

Wehrhaftigkeit 210, 215<br />

mechanischer Schutz 216<br />

Weibchen(-)<br />

Verteidigungs-Polygynie 518<br />

Wahl<br />

kryptische 323<br />

Werkzeug 559<br />

Wettbewerbsfähigkeit 167, 173<br />

Wettrennen<br />

evolutionäres 81, 183, 198,<br />

439, 532<br />

Gegenstrategien 202<br />

Strategien 202<br />

Wettrüsten 269<br />

Whitman 9<br />

Wiederverpaarungsrate<br />

optimale 382<br />

Wilson 14<br />

Winter(-)<br />

Schlaf 116<br />

Starre 116<br />

within-pair young (WPY) 368<br />

worker policing 446<br />

Zeitgeber 107<br />

Zermürbungskrieg 388, 541<br />

Zoochorie 185<br />

Zugunruhe 132<br />

Erblichkeit 133<br />

genetische Basis 132<br />

Zurückhaltungs-Modelle 374<br />

Zustände 16<br />

Zwang 541<br />

sexueller 236<br />

Zwitter Siehe Hermaphrodit


Tierverzeichnis<br />

Aal 134<br />

Aaskäfer 283<br />

Acinonyx jubatus 470<br />

Acrocephalus<br />

arundinaceus 440, 521<br />

schoenobaenus 349<br />

sechellensis 222, 435, 451<br />

Actitis<br />

hypoleuca 330<br />

macularia 517<br />

Aegithalos caudatus 546<br />

Aegolius funereus 85<br />

Aepyceros melampus 169, 549<br />

Agaonidae 435<br />

Agelaius phoeniceus 521<br />

Aglyptodactylus securifer 6, 257,<br />

338<br />

Ährenmaus 50<br />

Albatross 65<br />

Alcedo vintsioides 205<br />

Alces alces 165<br />

Aleochara curtula 283<br />

Alouatta palliata 222<br />

Alpen-Murmeltier 279<br />

Alpheus angulatus 499<br />

Alytes 414<br />

Amazona auropalliata 534<br />

Amazonenkärpfling 233, 240, 327<br />

Amblyrhynchus<br />

cristatus 83, 304, 336<br />

Ameise 117, 126, 437, 443, 537, 542<br />

Argentinische 329<br />

Ammophila 446<br />

Amsel 126, 182, 273<br />

Anas platyrhynchos 172, 347,<br />

429, 465<br />

Anatidae 388<br />

Anguilla rostrata 134<br />

Anolis sagrei 202<br />

Ansells Graumull 60<br />

Anseriformes 441<br />

Antechinus stuartii 372<br />

Anthozoa 207<br />

Anthus spinoletta 164<br />

Antilope 175<br />

Antrozous pallidus 85<br />

Anubispavian 296<br />

Aphelocoma<br />

californica 551<br />

coerulescens 449<br />

Apis mellifera 87, 120, 123, 233,<br />

413, 461, 534, 536<br />

Arachnidomyia lindae 202<br />

Araneae 119<br />

Arctocephalus gazella 368<br />

Astatotilapia burtoni 555<br />

Astyanax fasciatus 120<br />

Atrax 207<br />

Azurbischof 349<br />

Babylonia 210<br />

Bachforelle 407<br />

Bahama-Anolis 203<br />

Bär 164<br />

Bärenpavian 293<br />

Bathyergidae 444<br />

Bechstein-Fledermaus 83<br />

Bergpieper 164<br />

Beuteltier 297, 417<br />

Biene 119, 185, 213<br />

Bienenwolf 413<br />

Bitterling 350<br />

Blasenlaus 443<br />

Blässhuhn 542<br />

Blattella germanica 333<br />

Blatthühnchen 517


596 Tierverzeichnis<br />

Blattlaus 172<br />

Blattschwanzgecko 6<br />

Blaubuschhäher 157<br />

Blaufußtölpel 438, 542<br />

Blaukehlchen 368<br />

Blaukiemen-Sonnenbarsch 164,<br />

304, 413<br />

Blaukopf 304<br />

Blaukopflippfisch 233<br />

Bläulinge 260<br />

Blaumeise 55, 88, 326, 337, 341,<br />

367, 466<br />

Blindmaus 126<br />

Blutschnabel-Webervogel 270<br />

Bohnenkäfer<br />

Vierfleckiger 323, 345, 386<br />

Bombus terrestris 125, 156,<br />

385, 557<br />

Bombyx mori 258, 259, 535<br />

Bonobo 290, 552<br />

Boviden 263<br />

Braunbär 371<br />

Braunkopf-Kuhstärling 439<br />

Braunrückentamarin 377<br />

Breitflossenkärpflinge 327<br />

Breitfußbeutelmaus 372<br />

Breitkopfotter 204<br />

Brieftaube 103, 120, 122<br />

Brüllaffe 222<br />

Bufo 210<br />

bufo 532<br />

Buntbarsch 63<br />

Buschhäher 551<br />

Buschschwanzratte 115<br />

Cactospiza pallida 471<br />

Calamospiza melanocorys 337<br />

Calidris 379<br />

mauri 329<br />

Calliphora vicina 101<br />

Callithrix jacchus 556<br />

Callitrichidae 377, 456, 517<br />

Callosobruchus maculatus 323,<br />

345, 386<br />

Canis<br />

lupus 80, 201<br />

simensis 511<br />

Canthigaster valentini 215<br />

Caprimulgidae 114<br />

Carcharias taurus 439<br />

Cardiocondyla obscurior 437<br />

Caretta caretta 126<br />

Cataglyphis fortis 120, 127<br />

Cavia 410<br />

aperea 268, 427<br />

Cebus<br />

albifrons 560<br />

apella 557<br />

Certhidea<br />

fusca 147<br />

olivacea 147<br />

Cervidae 263<br />

Cervus<br />

canadensis 201<br />

elaphus 61, 262, 274, 359,<br />

382, 433<br />

Ceryle rudis 450<br />

Chaetodon 155<br />

Chamäleon 101, 119, 210, 496<br />

Chameleon chameleon 496<br />

Charadriides 270<br />

Charadrius alexandrinus 330<br />

Cheirogaleus medius 498<br />

Chelidonura hirundinina 239<br />

Chironex fleckeri 207<br />

Chlorocebus pygerythrus 222<br />

Chorthippus albomarginatus 321<br />

Cichliden 324, 379<br />

Ciliaten 199<br />

Clethrionomys rufocanus 495<br />

Cnemidophorus uniparens 237<br />

Coenagrion puella 287<br />

Columba livia 103<br />

Condylura cristata 156<br />

Connochaetes taurinus 264<br />

Copepoden 118<br />

Copidosoma floridanum 438<br />

Corvidae 122<br />

Corvus 151<br />

corax 158<br />

corone 158, 546<br />

moneduloides 427, 471, 558<br />

Crenicichla alta 63<br />

Crocidura russula 328


Tierverzeichnis 597<br />

Crocuta crocuta 205, 278, 438, 511<br />

Crotalidae 105, 208<br />

Crotalus 105<br />

Cryptomys<br />

anselli 60<br />

damarensis 329, 377<br />

Cryptoprocta ferox 257, 291<br />

Cuculus<br />

canorus 332, 439, 467<br />

fugax 441<br />

Curculionidae 444<br />

Cyanistes caeruleus 55, 88, 337,<br />

466<br />

Cyanocitta cristata 157<br />

Cycnia tenera 214<br />

Cyrtodiopsis dalmanni 356<br />

Dachs 170<br />

Danaus plexippus 134, 155, 184<br />

Daphnia magna 81<br />

Darwin-Fink 149, 532<br />

Decamorium decem 117<br />

Delfin 102, 158, 538, 545, 558<br />

Dendrobatidae 210<br />

Derbywallaby 470<br />

Desmodus rotundus 549<br />

Dickhornschaf 42, 263, 268<br />

Dinoponera quadriceps 542<br />

Diomedea exulans 130<br />

Diomedeidae 65<br />

Diplosoma listerianum 282<br />

Dipodomys spectabilis 371<br />

Diptera 413<br />

Dornschwanz-Leguan 79<br />

Drosophila 244, 306, 459<br />

melanogaster 110, 150, 347,<br />

382, 384<br />

Drosselrohrsänger 440, 521<br />

Dungfliege 287, 523<br />

Dungkäfer 291<br />

Dunkellaubsänger 359<br />

Dyacopterus spadiceus 417<br />

Eichhörnchen 92<br />

Eidechse 202, 406<br />

Eierfliege 65<br />

Eistaucher 52<br />

Eisvogel 205<br />

Elapidae 208<br />

Elch 165<br />

Elefant 167<br />

Eleutherodactylus johnstonei 415<br />

Elsterdrosslinge 219<br />

Ente 172, 388<br />

Entenvögel 441<br />

Eptesicus fuscus 214<br />

Erdkröte 532<br />

Erdmännchen 220, 222, 278, 377,<br />

453, 553<br />

Erithacus rubecula 43, 91<br />

Ernteameise<br />

Rote 534<br />

Erythrura gouldiae 274<br />

Eulemur<br />

fulvus rufus 76, 109, 223<br />

fulvus sanfordi 82<br />

Eunice viridis 114<br />

Euplectes 342<br />

Euplotes octocarinatus 199<br />

Falco tinnunculus 89<br />

Falterfisch 155<br />

Fasan 272<br />

Feigenwespe 185, 435<br />

Feldgrille 266, 359<br />

Mittelmeer- 330<br />

Feldheuschrecke 321<br />

Feldwespe 376<br />

Gallische 379, 533<br />

Fettschwanzgecko<br />

Gefleckter 202<br />

Fettschwanzmaki 498<br />

Feuerwanze 213<br />

Ficedula 326<br />

albicollis 346<br />

hypoleuca 121, 521, 548<br />

Fisch<br />

elektrischer 105, 364<br />

Fiskalwürger 80<br />

Fledermaus 85, 103, 115, 186, 214<br />

Fliege 202<br />

Fliegenschnäpper 326<br />

Flinkwallaby 77<br />

Flohkäfer 184


598 Tierverzeichnis<br />

Florida-Buschhäher 449<br />

Flughund 417<br />

Forficula auricularia 268, 303<br />

Formica<br />

fusca 546<br />

rufa 6<br />

Fossa 257, 291<br />

Frosch 6, 257, 338, 342, 346, 415,<br />

500, 557<br />

Fuchs 459<br />

Fukomys anselli 126<br />

Fulica atra 542<br />

Fundulus diaphanus 505<br />

Furcifer labordi 101<br />

Galapagos-<br />

Fink 147, 467<br />

Meerechse 83, 304, 336<br />

Spechtfink 471<br />

Gallinula mortierii 456<br />

Gallus gallus 6, 158, 292,<br />

350, 387<br />

Gambusia holbrooki 350<br />

Gartenrotschwanz 132<br />

Gasterosteus aculeatus 159, 171,<br />

247, 339, 361<br />

Gavia immer 52<br />

Gazella thomsonii 217<br />

Geburtshelferkröte 414<br />

Gelbaugenjunco 506<br />

Gelbbauchmolch<br />

Rauhhäutiger 245<br />

Gelbrücken-Papagei 534<br />

Geospiza 467, 532<br />

Gepard 470<br />

Geradschnabelkrähe 427, 471, 558<br />

Gerridae 386<br />

Gespenstkrabbe 282<br />

Gibbon 500<br />

Giftnatter 208<br />

Giraffa camelopardalis rothschildi<br />

182<br />

Giraffe 182<br />

Glühwürmchen 259<br />

Gnu 175, 264<br />

Gobiusculus flavescens 306<br />

Gonatus onxy 413<br />

Gorilla gorilla 49, 166, 278,<br />

289, 296<br />

Gouldamadine 274<br />

Grasammer 126<br />

Grasfrosch 300, 415<br />

Graufischer 450<br />

Graumull<br />

Ansells 126<br />

Damaraland- 329, 377<br />

Graurötelmaus 495<br />

Grille 271, 322<br />

Grubenotter 105, 208<br />

Gryllus<br />

bimaculatus 330<br />

campestris 359<br />

integer 271<br />

Guiraca caerulea 349<br />

Guppy 63, 249, 343, 345, 356, 362<br />

Gymnorhinus cyanocephalus<br />

122, 555<br />

Gymnotidae 105<br />

Halsbandschnäpper 346<br />

Hammerhai 105, 408<br />

Hamster 127, 285<br />

Goldener 332<br />

Hanuman-Langur 294<br />

Harpia harpyja 222<br />

Harpobittacus nigriceps 344<br />

Harpyie 222<br />

Hausmaus 307, 455<br />

Algerische 163<br />

Hausrotschwanz 132<br />

Haussperling 175, 299, 378, 421,<br />

464, 533<br />

Hausspitzmaus 328<br />

Heckenbraunelle 283, 370, 379,<br />

385, 494, 507, 514<br />

Hemianax papuensis 204<br />

Hemilepistus reaumuri 413<br />

Heringsmöwe 326<br />

Heterocephalus glaber 448<br />

Heuschrecke 283, 321<br />

Hippocampus 379<br />

Hirsch 263<br />

Hirundo rustica 130, 134, 275, 299,<br />

362, 408


Tierverzeichnis 599<br />

Höhlenfisch 120<br />

Holothuridae 210<br />

Homarus americanus 554<br />

Honigbiene 87, 120, 123, 233, 413,<br />

461, 534, 536<br />

Hoplocephalus bungaroides 204<br />

Hornträger 263<br />

Hufeisen-Azurjungfer 287<br />

Huftiere 169<br />

Huhn 6, 158, 283, 292, 350, 387<br />

Tasmanisches 456<br />

Hummel 125, 126, 156, 185,<br />

385, 557<br />

Hummer<br />

Amerikanische 554<br />

Hydrophiidae 208<br />

Hydrozoa 207<br />

Hyla versicolor 365<br />

Hylobatidae 500<br />

Hymenoptera 413, 436, 444<br />

Hyperolius marmoratus 346<br />

Hypolimnas bolina 65<br />

Hyposoter horticola 120<br />

Impala 169, 549<br />

Inachus phalangium 282<br />

Jacana jacana 517<br />

Japan-Makake 557<br />

Javaneraffe 85, 505<br />

Juncos phaeonotus 506<br />

Kaiserlibelle<br />

Gelbe 204<br />

Kammspinne 207<br />

Kampfläufer 301<br />

Kanarienvogel 426, 464<br />

Känguru 264<br />

Kängururatte 371<br />

Kapuzineraffe 557<br />

Kardinalfisch 429<br />

Kaskadenfrosch 260<br />

Katta 556<br />

Kellerassel 117<br />

Kiefernhäher 120, 551<br />

Klapperschlange 105<br />

Knallkrebs 499<br />

Knochenfisch 104, 406, 413<br />

Knorpelfisch 406, 413<br />

Koala 166<br />

Koboldmaki 101<br />

Kobus ellipsiprymnus 220<br />

Kohlmeise 53, 55, 88, 164, 180,<br />

212, 233, 326, 341, 466, 510, 557<br />

Kolibri 75, 177, 185<br />

Königspython 415<br />

Kopfschildschnecke 239<br />

Krabbenspinne<br />

Gehöckerte 208<br />

Krähe 151<br />

Krallenaffe 377, 456, 517<br />

Kranich 172<br />

Kröte 210<br />

Kuckuck 332, 441, 459, 467<br />

Europäischer 439<br />

Kudu 169<br />

Kugelfisch 210<br />

Kuhstärling 441<br />

Küstenseeschwalbe 130<br />

Küstentaube 176<br />

Labroides dimidiatus 529, 549<br />

Lacerta agilis 237<br />

Lachmöwe 25, 534<br />

Lachs 57, 62, 134, 172<br />

Pazifischer 467<br />

Lagopus lagopus 181<br />

Lampyridae 259<br />

Landschnecke 385<br />

Lanius collaris 80<br />

Larus<br />

argentatus 326<br />

delawarensis 427<br />

fuscus 326<br />

ridibundus 25, 534<br />

Lasiurus borealis 214<br />

Laubfrosch<br />

Grauer 365<br />

Laupala 322<br />

Leiocephalus carinatus 202<br />

Lembadion bullinum 199<br />

Lemur 260, 523, 556<br />

Leo panthera 207, 550<br />

Lepilemur ruficaudatus 84


600 Tierverzeichnis<br />

Lepomis macrochirus 164, 304, 413<br />

Leptothorax albipennis 537<br />

Lepus americanus 199, 491<br />

Libelle 283, 287<br />

Linepithema humile 329<br />

Liostenogaster flavolineata 447<br />

Locusta migratoria 77<br />

Lonchura leuco 342<br />

Longitarsus 184<br />

Löwe 77, 207, 296, 337, 455, 522,<br />

538, 550<br />

Luchs 199, 491<br />

Luscinia svecica 368<br />

Lycaon pictus 206, 435<br />

Lynx lynx 199, 491<br />

Macaca<br />

fascicularis 85, 505<br />

fuscata 557<br />

mulatta 469, 542<br />

nigra 554<br />

Macropus<br />

agilis 77<br />

eugenii 470<br />

rufus 264<br />

Magicicada 337<br />

Malurus cyaneus 451, 543<br />

Mandrillus sphinx 272<br />

Mantelpavian 519, 542<br />

Marcusenius pongolensis 364<br />

Marmota marmota 78, 279<br />

Marsupialia 297, 417<br />

Mauereidechse<br />

adriatische 147<br />

Maultierhirsch 223<br />

Maus 128, 306, 364<br />

Mausmaki 49<br />

Grauer 75, 280, 337, 523<br />

Madame Berthes 497<br />

Meerassel 302<br />

Meeresschildkröte 126<br />

Meerkatze<br />

Grüne 222<br />

Meerschweinchen 268, 410,<br />

427, 461<br />

Mehlkäfer 371<br />

Mehlschwalbe 275, 408<br />

Meleagris gallopavo 237, 545<br />

Meles meles 170<br />

Melospiza melodia 81<br />

Meriones unguiculatus 464<br />

Mesocricetus auratus 285, 332<br />

Metepeira incrassata 202<br />

Microcebus<br />

berthae 497<br />

murinus 49, 75, 280, 337, 369, 523<br />

Microchiroptera 103<br />

Microtus 461<br />

agrestis 50<br />

ochrogaster 293, 455, 516<br />

oeconomus 201<br />

pennsylvanicus 292<br />

Miesmuschel 203<br />

Mink 85<br />

Mirounga angustirostris 518<br />

Mirza coquereli 260, 523<br />

Mistkäfer 127, 265, 304<br />

Molch 203, 216, 282<br />

Molothrus ater 439<br />

Monarchfalter 134, 155, 184<br />

Mönchsgrasmücke 132, 150, 460<br />

Monotremata 417<br />

Mormyridae 105<br />

Moskitofisch 350<br />

Motte 370<br />

Möwe 500<br />

Mücke 118<br />

Mufflon 268<br />

Mungos mungo 181, 278, 378<br />

Muräne 210<br />

Murenidae 210<br />

Murmeltier 78<br />

Mus<br />

domesticus 128<br />

musculus 307, 455<br />

spicilegus 50<br />

spretus 163<br />

Mustela vision 85<br />

Myotis bechsteinii 83<br />

Myriapoda 119<br />

Mytilus edulis 203<br />

Nacktmull 448<br />

Nacktschnabelhäher 122, 555


Tierverzeichnis 601<br />

Nasua narica 501<br />

Nauphoeta cinerea 516<br />

Nectarinia reichenowi 27<br />

Nektarvögel 27, 177, 421<br />

Neochromis omnicaeruleus 379<br />

Neotoma cinerea 115<br />

Nephila<br />

inaurata 205<br />

plumipes 288<br />

Nesseltiere 207<br />

Nicrophorus 413<br />

defodiens 516<br />

Nucifraga columbiana 120, 551<br />

Nycticebus coucang 210<br />

Ochotona princeps 148<br />

Odocoileus hemionus 223<br />

Odorrana tormota 260<br />

Oecophylla 537<br />

Oedura lesueurii 202<br />

Ohrwurm 268, 303<br />

Oleanderbärenspinner 214<br />

Oncorhynchus 134, 467<br />

mykiss 52, 127<br />

nerka 62<br />

Onthophagus 265<br />

binodis 304<br />

taurus 291<br />

Oplurus cuvieri 79<br />

Orang-Utan 280, 289, 388,<br />

552, 559<br />

Osteichthyes 104<br />

Otus rutilus 101<br />

Ovis<br />

aries 268, 289<br />

canadensis 42, 263, 268<br />

Oxyopes salticus 467<br />

Palolowurm 114<br />

Pan<br />

paniscus 290, 552<br />

troglodytes 158, 166, 207, 287,<br />

290, 337, 387, 470, 529, 538,<br />

543, 545<br />

Panorpa vulgaris 347, 348, 388<br />

Panthera leo 77, 296, 337,<br />

455, 522<br />

Panulirus argus 126<br />

Papio<br />

anubis 296<br />

cynocephalus 217, 222, 330, 554<br />

hamadryas 519, 542<br />

ursinus 91, 274, 293, 379, 529<br />

Paracerceis sculpta 302<br />

Paradiesvogel 271<br />

Paradisea minor jobiensis 271<br />

Paramecium 243<br />

Pararge aegeria 179<br />

Parus<br />

ater 368<br />

major 53, 55, 88, 164, 180, 233,<br />

326, 427, 466, 510, 557<br />

Passer<br />

domesticus 175, 299, 378, 421,<br />

464, 533<br />

petronia 422<br />

Passerculus sandwichensis 126<br />

Passeriformes 467<br />

Pavian 91, 217, 222, 274, 379, 528,<br />

554<br />

Pavo cristatus 234, 347<br />

Pelzrobbe 367<br />

Pemphigidae 443<br />

Periophthalmus 113<br />

Periparus ater 466<br />

Perisoreus infaustus 151<br />

Peromyscus<br />

boylii 152<br />

polionotus 306<br />

Pfau 234, 347<br />

Pfeifhase 148<br />

Pfeilgiftfrosch 210<br />

Phascolarctus cinereus 166<br />

Phasianus colchicus 272<br />

Phasmatodea 209<br />

Philantus triangulum 413<br />

Philomachus pugnax 301<br />

Phoca vitulina 104<br />

Phodopus sungorus 127<br />

Phoenicurus<br />

ochruros 132<br />

phoenicurus 132<br />

Pholcus phalangioides 268<br />

Phoneutria 207


602 Tierverzeichnis<br />

Photuris 259<br />

Phylloscopus fuscatus 359<br />

Physalaemus 342<br />

pustulosus 500<br />

Physeter macrocephalus 102<br />

Pieris napi 385<br />

Pinselmaus 152<br />

Pithecia pithecia 553<br />

Plazentalia 417<br />

Ploceus sakalava 21<br />

Podarcis melisellensis 147<br />

Poecile atricapilla 222<br />

Poecilia<br />

formosa 233, 240, 327<br />

latipinna 240, 327<br />

mexicana 240<br />

reticulata 63, 249, 343, 356<br />

Pogonomyrmex barbatus 534<br />

Polistes dominulus 376, 379,<br />

447, 533<br />

Polyommatus icarus 260<br />

Pongo 289<br />

abelii 388<br />

pygmaeus 280, 552<br />

Porcellio 117<br />

Possum 433<br />

Pottwal 102<br />

Prachtfink 274, 342<br />

Prachtstaffelschwanz 543<br />

Prärieammer 337<br />

Prärieläufer 517<br />

Präriewühlmaus 455, 516<br />

Presbytis thomasi 518<br />

Primaten 165, 186<br />

Propithecus verreauxi 109, 278<br />

Prunella<br />

modularis 283, 494, 507, 514<br />

vulgaris 370, 379, 385<br />

Pterapogon kauderni 429<br />

Ptilonorhynchus violaceus 340<br />

Pufferfisch 215<br />

Pundamilia<br />

nyererei 324, 325<br />

pundamilia 324, 325<br />

Putzerfisch 529, 549<br />

Pyrrhocoridea 213<br />

Python regius 415<br />

Quelea quelea 270<br />

Rabe 158<br />

Rabenkrähe 158, 546<br />

Rabenvögel 122, 551<br />

Rana<br />

esculenta 209, 320<br />

temporaria 300, 415<br />

Rangifer tarandus 111, 434<br />

Rapsweißling 385<br />

Ratiten 416<br />

Ratte 547, 550<br />

Rattus norvegicus 547<br />

Rauchschwalbe 130, 134, 299, 362<br />

Raufußkauz 85<br />

Regenbogenforelle 52, 127<br />

Rentier 111, 434<br />

Rhabdomys pumilio 328, 504<br />

Rhesusaffe 469, 542<br />

Rhodeus sericeus 350<br />

Riesenbachling 63<br />

Ringschnabelmöwe 427<br />

Rivulus hartii 63<br />

Röhrenspinne 299<br />

Rotaugenvireos 131<br />

Rothirsch 61, 262, 268, 274, 359,<br />

382, 433<br />

Rotkehlchen 43, 91<br />

Rotschulterstärling 521<br />

Rotstirnmaki 76, 109<br />

Rüsselkäfer 444<br />

Saguinus fuscicollis 377<br />

Saimiri<br />

oerstedii 540<br />

sciureus 540<br />

Sakalava-Weber 21<br />

Salmo<br />

salmar 57<br />

trutta 407<br />

Salticidae 101<br />

Salvelinus alpinus 292<br />

Sandgräber 444, 448<br />

Sandtigerhai 439<br />

Sanfordmaki 82<br />

Savannenpaviane 330<br />

Saxicola torquata 80


Tierverzeichnis 603<br />

Scandentia 515<br />

Scarabaeus zambesianus 127<br />

Scathophaga stercoraria<br />

287, 523<br />

Schabe 333, 335, 516<br />

Schaufelfußkröte 326<br />

Schilfrohrsänger 349<br />

Schimpanse 158, 166, 207, 287,<br />

290, 337, 387, 470, 529, 538,<br />

543, 545, 551, 557<br />

Schistocerca gregaria 135<br />

Schlammspringer 113<br />

Schlupfwespe 120<br />

Schmeißfliege 101<br />

Schnappgrundel 306<br />

Schnecke 210<br />

Schneehuhn 181<br />

Schneeschuh-Hase 199, 491<br />

Schopf-Makake 554<br />

Schwammgarnele 443<br />

Schwanzmeise 546<br />

Schwarzkehlchen 80<br />

Schwarzkehlmaulbrüter 555<br />

Schwarzkopfmeise 222<br />

Schwebfliege 213<br />

Schwein 438<br />

Schwertträger 342<br />

Zwerg- 322<br />

Schwirrammer 151<br />

Sciurus vulgaris 92<br />

Scorpaeniformes 210<br />

Sechsstreifen-Rennechse 237<br />

See-Elefant<br />

Nördlicher 518<br />

Seegurke 210<br />

Seehund 104<br />

Seenadel 379, 414<br />

Seepferdchen 247, 379, 414<br />

Seesaibling 292<br />

Seescheide 282<br />

Seeschlange 208<br />

Seidenlaubvogel 340<br />

Seidenspinne 205, 288<br />

Seidenspinner 258, 259, 535<br />

Seitenfleckenleguan 302<br />

Semnopithecus entellus 294<br />

Serinus canaria 426, 464<br />

Seychellen-Rohrsänger 222,<br />

435, 451<br />

Sifaka 278<br />

Verreaux’s 109<br />

Silberfuchs 461<br />

Silbermöwe 326<br />

Silurus glanis 205<br />

Singammer 81<br />

Singvögel 467<br />

Sklavenameise<br />

Schwarze 546<br />

Skorpionsfisch 210<br />

Skorpionsfliege 344, 347,<br />

348, 388<br />

Spalax ehrenbergi 126<br />

Spea<br />

bombifrons 326<br />

multiplicata 326<br />

Spermophilus<br />

beecheyi 105<br />

richardsoni 249<br />

tridecemlineatus 260, 523<br />

Sphyrna mokarran 105<br />

Sphyrnidae 408<br />

Spinne 119, 202<br />

Spitzhörnchen<br />

Großes 515<br />

Spizella passerina 152<br />

Springspinne 101, 467<br />

Squamata 406<br />

Stabheuschrecke 209<br />

Stachelhummer 126<br />

Staffelschwanz<br />

Blauer 451<br />

Star 89, 120, 359, 416<br />

Stegodyphus lineatus 299<br />

Steinsperling 421<br />

Sterna paradisea 130<br />

Sternmull 156<br />

Stichling 159, 171, 247, 339, 348,<br />

361, 365, 366<br />

Stielaugenfliege 356, 357<br />

Stockente 172, 347, 429, 465<br />

Strandflohkrebs 125<br />

Strandläufer 270, 379<br />

arktische 329<br />

Berg- 329


604 Tierverzeichnis<br />

Streifenhörnchen 260<br />

Streifenmanguste 278<br />

Streifenmungo 378<br />

Streptopelia 321<br />

Striemengrasmaus 328, 334, 504<br />

Strumpfbandnatter 203, 216, 237<br />

Sturnus vulgaris 89, 120, 359, 416<br />

Sula nebouxii 438, 542<br />

Sumpfmaus 201<br />

Sumpfschwalbe 427<br />

Suricata suricatta 220, 222, 278,<br />

377, 453, 553<br />

Sus scrofa 264, 438<br />

Sylvia atricapilla 132, 150, 460<br />

Synalpheus 443<br />

Syngnathidae 379, 414<br />

Syngnathus typhle 247<br />

Syntomeida epilais 214<br />

Syrphidae 213<br />

Tachycineta bicolor 427<br />

Taeniopygia guttata 55, 273, 342,<br />

362, 420, 429<br />

Talitrus 125<br />

Tannenmeise 368, 466<br />

Tannenzapfenechse 408, 499<br />

Taricha 203, 216<br />

granulosa 245, 282<br />

Tarsius lariang 101<br />

Taufliege 110, 347, 382, 384<br />

Tausendfüßler 119<br />

Teichfrosch 209, 320<br />

Teleogryllus commodus 266<br />

Temora longicornis 118<br />

Termite 447<br />

Tetradontidae 210<br />

Thalassoma bifasciatum 233, 304<br />

Thamnophis 237<br />

sirtalis 203, 216<br />

Thomas-Langur 518<br />

Thomisus onustus 208<br />

Thomson-Gazelle 217<br />

Thripse 443<br />

Thysanoptera 443<br />

Tigerspinner 214<br />

Tiliqua rugosa 408, 499<br />

Tintenfisch 209, 413<br />

Topelritze<br />

Gestreifte 505<br />

Totengräber 413, 516<br />

Totenkopfaffe<br />

Costa-Ricanischer 540<br />

Peruanischer 540<br />

Tragelaphus 169<br />

Trauerschnäpper 121, 521, 548<br />

Tribolium castaneum 371<br />

Trichosurus vulpecula 433<br />

Trochilidae 75, 177<br />

Truthahn 237, 545<br />

Tunnelspinne 207<br />

Tupaia tana 515<br />

Tüpfelhyäne 205, 278, 438, 511<br />

Turdoides bicolor 219<br />

Turdus merula 126, 182, 273<br />

Turmfalke 89<br />

Tursiops 545, 558<br />

truncatus 102, 158<br />

Turteltaube 321<br />

Uca 119<br />

annulipes 533<br />

mjoebergi 549<br />

Unglückshäher 151<br />

Ungulata 169<br />

Uperoleia laevigata 346<br />

Uroplatus guentheri 6<br />

Ursus<br />

americanus 164<br />

arctos 164, 371<br />

Uta stansburiana 302<br />

Utetheisa ornatrix 370<br />

Vampirfledermaus 549<br />

Viper 208<br />

Viperidae 208<br />

Vireo olivaceus 131<br />

Vulpes vulpes 459, 461<br />

Wal 559<br />

Waldameise 6<br />

Waldbrettspiel 179<br />

Wanderalbatross 130<br />

Wanderheuschrecke 77, 135, 537<br />

Wapitihirsch 201


Tierverzeichnis 605<br />

Wasserbock 220<br />

Wasserfloh 81<br />

Wasserläufer 386<br />

Webervogel 20, 21<br />

Weißbüscheläffchen 556<br />

Weißgesicht-Saki 553<br />

Weißrüssel-Nasenbär 501<br />

Weißstirn-Kapuzineraffe 560<br />

Wels 205<br />

Wespe 213, 438, 446, 447<br />

Wieselmaki 84<br />

Wiesenwühlmaus 292<br />

Wildhund 206, 435, 538<br />

Wildschaf 289<br />

Wildschwein 264<br />

Winkerkrabbe 119, 533, 549<br />

Witwenvogel 342<br />

Wolf 80, 201, 511<br />

Wühlmaus 50, 292, 461<br />

Würfelqualle 207<br />

Wüstenameise 120, 127<br />

Wüstenassel 413<br />

Wüstenrennmaus 464<br />

Xiphophorus 342<br />

cortezi 322<br />

pygmaeus 322<br />

Zauneidechse 237<br />

Zebrafink 55, 273, 342, 362,<br />

420, 429<br />

Zebramanguste 181<br />

Zenaida aurita 176<br />

Ziegenmelker 114<br />

Ziesel 105, 249, 523<br />

Zikade 337<br />

Zitterspinne<br />

Große 268<br />

Zweiflügler 413<br />

Zwergohreule 101

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