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Offener Brief - Demokratie hinter Gittern

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Sabine Kriechhammer-Yağmur, Florastr.11, 60487 Frankfurt am Main, 069-700116<br />

Julius Niebergall, Breite Str.14, 41186 Bad Vilbel, 06101-41866<br />

Der Bundesminister des Auswärtigen<br />

Herrn Dr. Guido Westerwelle<br />

11013 Berlin<br />

<strong>Offener</strong> <strong>Brief</strong> zur Verhaftung des Menschenrechtsaktivisten Ragip Zarakolu und<br />

seines Sohnes Deniz in der Türkei<br />

Frankfurt am Main/Bad Vilbel, 25.2.2012<br />

Sehr geehrter Herr Minister,<br />

seit dem 28. Oktober 2011 ist der Verleger des türkischen Belge-Verlags und<br />

Menschenrechtsaktivist Ragip Zarakolu in Haft. Wenige Wochen zuvor wurde bereits<br />

sein Sohn Deniz, der Geschäftsführer des Belge-Verlags ist, inhaftiert. Diese<br />

Verhaftungen sind Bestandteil einer anhaltenden Verfolgungswelle, in der Intellektuelle<br />

und Politiker legaler Parteien als vermeintliche Mitglieder der PKK festgenommen<br />

werden.<br />

Grundlage für all diese Verhaftungen ist das Antiterrorgesetz, nach dem seit einer<br />

Entscheidung des Kassationshofes im Jahr 2008 nach Artikel 220/6 türkisches STGB<br />

Personen, die im Namen einer Organisation eine Straftat begehen, wie Mitglieder dieser<br />

Organisation zu bestrafen sind, auch wenn sie keine Mitglieder sind. Dieser Artikel wird<br />

weit interpretiert. Jeder, der an einer Demonstration teilnimmt oder sonst eine Handlung<br />

begeht, die als Straftat gewertet und politisch einer Organisation zugeordnet wird (z.B.<br />

das Vorbringen der Forderung nach Unterricht in kurdischer Sprache im staatlichen<br />

Schulsystem) kann wegen Organisationsmitgliedschaft verurteilt werden, ohne<br />

tatsächlich Mitglied zu sein, bzw. ohne dass das Bestehen einer solchen Mitgliedschaft<br />

nachgewiesen werden müsste.<br />

Die Türkei hat inzwischen einen traurigen Rekord erreicht: sie ist in Europa das Land, in<br />

dem die meisten Verstöße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu<br />

verzeichnen sind. Für das Jahr 2011 liegen dem Kommissar für Menschenrechte des<br />

Europarats in Straßburg bereits 9000 Meldungen über diesbezügliche Verstöße vor.<br />

Insgesamt wurden in den letzten eineinhalb Jahren mindestens 1.500 Menschen


festgenommen. In den letzten drei Monaten waren mehr als 100 Personen betroffen,<br />

darunter Ragip Zarakolu und die Verfassungsrechtlerin Prof. Büsra Ersanli von der<br />

Marmara Universität in Istanbul, die auch Mitglied der Verfassungskommission des<br />

Türkischen Parlaments ist. Es ist zu befürchten, dass sich diese Verhaftungswelle<br />

fortsetzt, die sich gegen Alle richtet, die den nationalistischen Kurs der türkischen<br />

Regierung in Frage stellen oder kritisieren.<br />

Alle diese Verhafteten wurden des Terrorismus oder der Unterstützung einer<br />

terroristischen Vereinigung beschuldigt. Eine Beschuldigung, die angesichts der Person<br />

und Vita von Ragip Zarakolu besonders absurd erscheint. Denn Herr Zarakolu ist seit<br />

vielen Jahren ein international geschätzter und mit Preisen ausgezeichneter Verleger,<br />

der es bei der Verteidigung der Freiheit des Wortes nicht bei Proklamationen bewenden<br />

ließ, sondern selbst Bücher herausbrachte, an deren Veröffentlichung sich sonst<br />

niemand wagte. Beispielsweise publizierte er eine Reihe von Veröffentlichungen zum<br />

Genozid am armenischen Volk (u.a. Die 40 Tage des Musa Dagh von Franz Werfel)<br />

oder Werke von VerfasserInnen der unterschiedlichsten ethnischen Minderheiten in der<br />

Türkei. Aufgrund dieser verlegerischen Tätigkeit wurden Ragip Zarakolu und seine 2002<br />

verstorbene Ehefrau Ayse Nur bereits in der Vergangenheit von den<br />

Strafverfolgungsbehörden mit Prozessen überhäuft und es wurden mehrere Anschläge<br />

auf das Verlagshaus verübt. Das Ziel war eindeutig: kritische Stimmen zum Schweigen<br />

zu bringen.<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Westerwelle, wir sind in großer Sorge um Ragip und Deniz<br />

Zarakolu sowie all die anderen Menschen, die unter unhaltbaren und fadenscheinigen<br />

Anschuldigungen inhaftiert wurden.<br />

Wir appellieren an Sie: Wenden Sie sich öffentlich an den türkischen<br />

Ministerpräsidenten und fordern Sie mit allem Nachdruck die Einhaltung der<br />

Menschenrechte in der Türkei ein.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Anlage: Liste der Unterzeichnenden

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