Autismus und Sehen « Le Syndrome de Schorderet- Munier ... - ophta
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ORIGINALIA<br />
Die Sakka<strong>de</strong> führt die Netzhautmitte zur<br />
nächsten ausserhalb <strong>de</strong>s Fixationsfel<strong>de</strong>s<br />
in <strong>de</strong>r Peripherie liegen<strong>de</strong>n anvisierten<br />
Stelle von Interesse, beim <strong>Le</strong>sen z.B. zur<br />
nächsten Buchstabengruppe, o<strong>de</strong>r beim<br />
Betrachten eines Gesichts z.B. von einem<br />
Auge zum an<strong>de</strong>rn.<br />
Nach <strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>r vier Autisten zu<br />
schliessen ist<br />
1. das Fixationsfeld eingeengt, es wird<br />
nur eine kleines Detail auf einmal<br />
wahrgenommen, z.B. <strong>de</strong>r M<strong>und</strong> beim<br />
Betrachten eines Gesichtes<br />
2. die Fixation flüchtig, sie kann nicht bis<br />
zum Erkennen aufrecht erhalten wer<strong>de</strong>n<br />
3. setzt die Sakka<strong>de</strong> zu früh ein <strong>und</strong> ist<br />
ungenau, sie führt nicht zielgerecht<br />
zur beabsichtigten Fixationstelle.<br />
Diese Gegebenheiten erklären vielleicht,<br />
warum Autisten nicht ein Gesicht anschauen<br />
mögen. Es mag, wie Donna<br />
Williams es schil<strong>de</strong>rt, etwa als angsterregen<strong>de</strong><br />
Fratze erscheinen, o<strong>de</strong>r als eigenartiges<br />
Objekt wie vielleicht ein Bild<br />
von Picasso in seiner Spätphase, wobei<br />
die einzelnen Teile sich noch dazu fortwährend<br />
bewegen. Möglicherweise sind<br />
damit die oben angeführten typischen<br />
autistischen Sehverhaltensweisen – <strong>de</strong>r<br />
fehlen<strong>de</strong> Blickkontakt, die Fixationsscheu,<br />
aus <strong>de</strong>n Augenwinkeln schauen,<br />
<strong>de</strong>n gegenüberstehen<strong>de</strong>n Menschen nicht<br />
direkt, son<strong>de</strong>rn durch ihn hindurchschauen<br />
– zu erklären.<br />
Spekulation über die Pathogenese<br />
<strong>de</strong>r Fixationsanomalie<br />
Bei einem grossen Teil von Autisten<br />
fin<strong>de</strong>t man die typischen Zeichen eines<br />
Irlen-Syndroms <strong>und</strong> dabei wie oben<br />
geschil<strong>de</strong>rt eine z.T. dramatische Verbesserung<br />
ihrer autistischen Verhaltensweisen<br />
durch Farbfilter. Obschon<br />
Whiting <strong>und</strong> Robinson 9 in einer Studie<br />
bei nichtautistischen Kin<strong>de</strong>rn mit Irlen-<br />
Syndrom einen Mangel <strong>de</strong>s Erkennens<br />
<strong>de</strong>r Gemütslage am Gesicht eines an<strong>de</strong>rn<br />
Menschen feststellten, zeigen Kin<strong>de</strong>r<br />
mit Irlen-Syndrom keine Verhaltensstörungen.<br />
Ausser<strong>de</strong>m sind bei ihnen die<br />
Symptome <strong>de</strong>s Irlen-Syndrom weniger<br />
ausgeprägt, <strong>und</strong> ausser <strong>de</strong>r Lichtscheu<br />
fällt auch ihr Sehverhalten <strong>de</strong>r Umgebung<br />
nicht auf.<br />
Unsere Theorie über die Pathogenese<br />
<strong>de</strong>r Fixationsanomalie stützt sich auf das<br />
Prinzip aller neuralen Aktivitäten:<br />
Diese beruhen auf zwei Systemen, die reziprok<br />
antagonistisch miteinen<strong>de</strong>r koordiniert<br />
sind <strong>und</strong> die Aktionen gegenseitig<br />
durch Hemmung begrenzen.<br />
Der Sehvorgang beim Betrachten eines<br />
Objekts o<strong>de</strong>r beim <strong>Le</strong>sen beruht auf <strong>de</strong>r<br />
Aktivität <strong>de</strong>s Parvozellulären Systems<br />
(= P-System) <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Magnozellulären<br />
Systems (= M-System). Das P-System ist<br />
kleinzellig <strong>und</strong> anhaltend (sustained) erregt<br />
<strong>und</strong> leitet seine Informationen über<br />
die Farbe <strong>und</strong> durch Wahrnehmung von<br />
Details bei <strong>de</strong>r Fixation über die Form<br />
eines Sehobjekt im Gesichtsfeldzentrum<br />
langsam <strong>de</strong>n kortikalen Zentren im Temporallappen<br />
zu. Sein Gegenpart ist das<br />
M- System. Dieses ist nur kurz erregt <strong>und</strong><br />
leitet rasch (transient) über grosse Zellen<br />
Informationen über Lage <strong>und</strong> Bewegungen<br />
in <strong>de</strong>r Peripherie <strong>de</strong>s Gesichtsfeld<br />
liegen<strong>de</strong>n Sehobjekten, z.B. <strong>de</strong>m nächsten<br />
Wort beim <strong>Le</strong>sen, zu <strong>de</strong>n kortikalen<br />
Zentren <strong>de</strong>s hinteren Parietallappens zur<br />
weiteren Verarbeitung <strong>und</strong> Einleitung <strong>de</strong>r<br />
Augenbewegung für die Sakka<strong>de</strong>.<br />
Das P-System o<strong>de</strong>r »Wie-System» informiert<br />
somit über die Beschaffenheit eines<br />
Sehobjekt, ist aber bewegungsblind, das<br />
M-System o<strong>de</strong>r <strong>«</strong>Wo-System» informiert<br />
über <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>s Sehobjekts, ist farbenblind,<br />
aber auf Hell-Dunkelkontrast<br />
empfindlich.<br />
Seit min<strong>de</strong>stens zehn Jahren ist das koordinierte<br />
Zusammenspiel <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />
Systeme als Voraussetzung für die sinnvolle<br />
Wahrnehmung eines Sehobjekts beschrieben,<br />
wobei hinsichtlich <strong>de</strong>s Ablaufs<br />
Differenzen bestehen. Sicher ist, dass<br />
während <strong>de</strong>r Fixation das P-System aktiv,<br />
das M-System gehemmt ist <strong>und</strong> keine<br />
Sakka<strong>de</strong> erfolgt; während (vor? nach?)<br />
<strong>de</strong>r Sakka<strong>de</strong> ist das M-System aktiv <strong>und</strong><br />
die Fixation wird mit <strong>de</strong>r Unterdrückung<br />
<strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s vom fixierten Sehobjekt (=Metakontrast)<br />
unterbrochen. Eine Schwäche<br />
<strong>de</strong>s P-Systems mag somit eine Übererregbarkeit<br />
<strong>de</strong>s M-systems zur Folge haben,<br />
wobei die Fixation immer wie<strong>de</strong>r durch<br />
neue Sakka<strong>de</strong>n vorzeitig unterbrochen<br />
wird <strong>und</strong> das Fixierte sich weg bewegt.<br />
Bei Schwäche <strong>de</strong>s M-systems hingegen,<br />
erfolgt kein richtiger Metakontrast, was<br />
zur Überlagerung <strong>de</strong>s Fixierten mit <strong>de</strong>m<br />
neuen Fixationsobjekt <strong>und</strong> zu unregelmässigen<br />
<strong>und</strong> ungenauen Sakka<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />
z.B. beim <strong>Le</strong>sen zur Überlagerung von<br />
Buchstaben <strong>und</strong> Wörtern führen wür<strong>de</strong>.<br />
Nach diesem Mo<strong>de</strong>ll weisen die oben beschriebenen<br />
Anomalien <strong>de</strong>r Fixation auf<br />
eine Übererregbarkeit <strong>de</strong>s M-Systems hin:<br />
– Durch <strong>de</strong>n stark ausgeprägten Metakontrast<br />
wird das Fixationsfeld <strong>und</strong> damit<br />
das Bild bis auf ein kleines Zentrum<br />
eingeengt, wobei nach Breitmeyer 10 , Alpern<br />
11 <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rn Autoren <strong>de</strong>r innerste<br />
Teil <strong>de</strong>s Netzhautzentrums am wenigsten<br />
auf Suppression empfindlich ist, <strong>und</strong><br />
nur ein kleiner, innerer Teil vom ganzen<br />
Sehobjekt wahrgenommen wird.<br />
– Die Sakka<strong>de</strong>n erfolgen rasch hintereinan<strong>de</strong>r<br />
<strong>und</strong> verursachen dadurch nur<br />
kurze, rasch hintereinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong><br />
unverarbeitete Fixationen, wodurch<br />
Teile <strong>de</strong>s Sehobjekts vorbeizuflitzen<br />
scheinen, ehe sie richrig wahrgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n konnten.<br />
– Die Sakka<strong>de</strong>n erfolgen nicht zielgerecht,<br />
dadurch wird es schwierig, von<br />
einem Teil <strong>de</strong>s Sehobjekts zu einem an<strong>de</strong>rn<br />
zu wechseln <strong>und</strong> das Verlorengegangene<br />
wie<strong>de</strong>r aufzufin<strong>de</strong>n.<br />
Versuch zur Erklärung <strong>de</strong>r Farbfilterwirkung<br />
Farbfilter eliminieren einen Teil <strong>de</strong>s<br />
Lichtspektrums. Das gefilterte Licht erregt<br />
selektiv die Rezeptoren <strong>de</strong>r Netzhaut<br />
<strong>und</strong> ist energieärmer, Schwarzweiss-<br />
Kontrast wird in farbig-schwarzen Kontrast<br />
umgewan<strong>de</strong>lt. Die Wirkung <strong>de</strong>r<br />
Farbfilter bei <strong>de</strong>n oben beschriebenen<br />
Symptomen kann somit auf Schwächung<br />
<strong>de</strong>s hyperaktiven M-Systems o<strong>de</strong>r Stärkung<br />
<strong>de</strong>s antagonistischen, hemmen<strong>de</strong>n<br />
P-Systems beruhen, <strong>und</strong> zwar durch die<br />
selektive Erregung von Rezeptoren <strong>de</strong>r<br />
Netzhaut, von welcher die Signale auf<br />
<strong>de</strong>r P-Bahn <strong>und</strong> <strong>de</strong>r M-Bahn zu ihren eigenen<br />
kortikalen Zentren weitergeleitet<br />
wer<strong>de</strong>n (Abb. 3).<br />
Robinson al. 12 bearbeitete die an Studien,<br />
Mitteilungen <strong>und</strong> Theorien reiche<br />
Literatur über die Ursache <strong>de</strong>r Irlen-<br />
Symptome <strong>und</strong> die Wirkung <strong>de</strong>r Farbfilter,<br />
darunter auch <strong>de</strong>s Verhältnisses<br />
von P-System <strong>und</strong> M-System, wobei im<br />
Gegenteil von unserer Ansicht eher ein<br />
<strong>de</strong>fizitäres M-System mit ungenügen<strong>de</strong>r<br />
Hemmung <strong>de</strong>s P-Systems <strong>und</strong> die Farbfilterwirkung<br />
als <strong>«</strong> stärkend» auf das M-<br />
System angenommen wird. Vielfach wird<br />
eine Anomalie <strong>de</strong>r retinalen Rezeptoren<br />
– Anzahl, Verteilung, Qualität <strong>de</strong>r Zapfen,<br />
ihr morphologisches Verhältnis zum<br />
Pigmentepithel – diskutiert. Galaburda 13<br />
<strong>ophta</strong> • 4|2008 263