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Autismus und Sehen « Le Syndrome de Schorderet- Munier ... - ophta

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ORIGINALIA<br />

W.M.<br />

Ich trage nun seit 1,5 Wochen meine neue<br />

Brille <strong>und</strong> habe Folgen<strong>de</strong>s festgestellt:<br />

– die Objekte treten viel <strong>de</strong>utlicher vom<br />

Hintergr<strong>und</strong> hervor, alles wirkt grösser<br />

<strong>und</strong> klarer, viel weniger unscharf<br />

– ich kann ca. 2–3 Objekte in einem Moment<br />

wahrnehmen (sonst sehe ich nur<br />

ein Objekt in einem Bild)<br />

– ich kann zwischen 2 Objekten, die ich in<br />

einem Bild sehe, hin <strong>und</strong> her wechseln<br />

– die Farbnuancen fallen viel <strong>de</strong>utlicher<br />

aus, was sehr schön ist für mich<br />

– ich kann mittelgrosse Bäume als Ganzes/als<br />

Einheit wahrnehmen<br />

– ich sehe auch Wolken am Himmel<br />

o<strong>de</strong>r Häuser zusammenhängend<br />

(was für mich sehr schön ist – es gibt<br />

schöne Häuser, was ich bislang nicht<br />

wusste<br />

– ich kann <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong> (z.B. Wald)<br />

als Ganzes wahrnehmen<br />

– ich nehme die Geschwindigkeit <strong>de</strong>r Autos<br />

als viel schneller wahr als früher<br />

– ich sehe auch auf vertrauten Wegen<br />

Verkehrsschil<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Strassenschil<strong>de</strong>r,<br />

die ich nie gesehen habe früher<br />

– meine PC-Arbeiten kann ich 30–40%<br />

schneller absolvieren <strong>und</strong> das mit viel<br />

weniger Stress <strong>und</strong> Anstrengung<br />

– im Treppensteigen bin ich etwas sicherer<br />

<strong>und</strong> schneller<br />

– ich kann Menschen länger in die Augen<br />

schauen <strong>und</strong> es stresst mich viel weniger<br />

– Ich kann mehr Objekte wahrnehmen<br />

– diese Objekte ganzheitlich(er) wahrnehmen<br />

– zwischen Objekten besser differenzieren<br />

– meine Aufmerksamkeit besser auf ausgewählte<br />

Objekte lenken<br />

Ich sehe die Welt ganz neu <strong>und</strong> das ist zwar<br />

schön, aber auch anstrengend. Auch mein<br />

eigenes Gesicht scheint mir schöner, da ich<br />

es nicht so zerrissen sehe. Erschreckend<br />

fin<strong>de</strong> ich, dass ich Auto gefahren bin <strong>und</strong><br />

dabei so Vieles nicht gesehen habe!!! Eigentlich<br />

sollte es ein Politikum sein, dass<br />

eine so schwerwiegen<strong>de</strong> Sehstörung nicht<br />

routinemässig abgeklärt wird.<br />

Wenn ich etwas Neues bemerke, mel<strong>de</strong> ich<br />

mich wie<strong>de</strong>r. Wahrscheinlich ist das Kernproblem<br />

im <strong>Autismus</strong> die fragmentierte<br />

Wahrnehmung, die die Welt so chaotisch<br />

<strong>und</strong> angsterregend macht, zu einer solchen<br />

seelischen <strong>und</strong> geistigen Überfor<strong>de</strong>rung<br />

führt, dass man um zu überleben, soviel als<br />

möglich ausblen<strong>de</strong>n muss.<br />

W.M. 10.6.2007<br />

Abb. 2 Nach Beschreibung von Betroffenen <strong>de</strong>s<br />

Irlen-Syndroms wer<strong>de</strong>n nur kleine Teile eines<br />

Bil<strong>de</strong>s auf einmal gesehen. Das stark eingeengte<br />

Fixationsfeld ist von herumwirbeln<strong>de</strong>n Schriftzeichen<br />

umgeben, aus 7 .<br />

Zu Fritz Steiner gelangten u.a. drei Fälle<br />

von <strong>Autismus</strong>, zwei Erwachsene <strong>und</strong> ein<br />

Kind, die wegen <strong>Le</strong>seschwierigkeiten mit<br />

Irlen-Farbfilterbrillen behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n,<br />

nach<strong>de</strong>m er bei ihnen Symptome <strong>de</strong>s Irlen-Syndroms<br />

festgestellt hatte. Sie hatten<br />

wegen <strong>Le</strong>sestörungen an<strong>de</strong>rweitig mit<br />

<strong>de</strong>n konventionellen Untersuchungsmetho<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> Hilfsmitteln keine effektive<br />

Besserung ihrer Beschwer<strong>de</strong>n erfahren.<br />

Die Erfahrung mit <strong>de</strong>n Farbfiltern war<br />

frappant. Da sie nun imstan<strong>de</strong> waren zu<br />

vergleichen, was sie mit <strong>und</strong> ohne Farbfilter<br />

sahen, konnten sie schil<strong>de</strong>rn, was sie<br />

bis dahin gestört hat. Das Folgen<strong>de</strong> sind<br />

die schriftlich nie<strong>de</strong>rgelegten Aussagen<br />

<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n erwachsenen Asperger-Autisten<br />

mit <strong>de</strong>ren Erlaubnis wie<strong>de</strong>rgegeben:<br />

Eine an<strong>de</strong>re Aussage war die <strong>de</strong>s 10-jährigen<br />

Autisten, nach<strong>de</strong>m er die Filtergläser<br />

aufgesetzt bekam:<br />

<strong>«</strong>Ich sehe zum ersten Mal das Gesicht<br />

meiner Mutter!»<br />

Analyse <strong>de</strong>r subjektiven Seheindrücke<br />

von Autisten<br />

Allen ihren Aussagen gemeinsam war,<br />

dass vor <strong>de</strong>r Farbfilterbehandlung nur<br />

einzelne Objekte ohne Umfeld o<strong>de</strong>r Teile<br />

eines grösseren Objekts, die nicht zusammengebracht<br />

wer<strong>de</strong>n konnten, wahrgenommen<br />

wur<strong>de</strong>n (Abb. 2). Es bestand<br />

Scheu o<strong>de</strong>r kein Interesse in menschliche<br />

Gesichter zu blicken. Die Dreidimensionalität<br />

<strong>de</strong>r Dinge im alltäglichen <strong>Le</strong>ben<br />

wie <strong>de</strong>r Treppen beim Gehen, war nur<br />

theoretisch bekannt.<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r subjektiven Seherfahrung<br />

dieser drei Autisten <strong>und</strong> Donna<br />

Williams’ mit <strong>de</strong>r Farbfilterbrille stand<br />

die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

vor allem <strong>de</strong>s Gesichts als Ganzes. War<br />

dieses zerrissen <strong>und</strong> bestand ohne Filter<br />

aus einzelnen, sich bewegen<strong>de</strong>n Teilen,<br />

die mühsam zusammengesucht wer<strong>de</strong>n<br />

mussten, aber nicht zu einem Ganzen<br />

zusammengesetzt wer<strong>de</strong>n konnten, sahen<br />

sie nun ein Gesicht mit allen seinen<br />

Teilen auf einmal.<br />

Wie in <strong>de</strong>n <strong>Le</strong>hrbüchern dargestellt, betrachten<br />

wir ein Gesicht unbewusst <strong>und</strong><br />

mühelos in mehreren Blickwendungen<br />

z.B. von Auge zu Auge, von Stirn zum<br />

Kinn etc. Das dies <strong>de</strong>n Autisten ohne<br />

Filter nicht gelingt, scheint uns mit einer<br />

Fehlfunktion <strong>de</strong>r Fixation zu tun zu haben.<br />

Fixation heisst: Festhalten eines Bil<strong>de</strong>s<br />

auf <strong>de</strong>m über das schärfste <strong>Sehen</strong> verfügen<strong>de</strong><br />

Netzhautzentrum, so lange bis<br />

das Bild erfasst wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Sie wird unterbrochen durch die Sakka<strong>de</strong>,<br />

die Augenbewegung, die das Netzhautzentrum<br />

auf einen an<strong>de</strong>rn Teil <strong>de</strong>s<br />

Bil<strong>de</strong>s zur nächsten Fixation transportiert<br />

(=Einstellbewegung). Das normale<br />

Fixationsfeld ist die Projektion <strong>de</strong>r Netzhautmitte,<br />

<strong>de</strong>r Fovea, <strong>de</strong>s Ortes schärfsten<br />

<strong>Sehen</strong>s, ins Gesichtsfeld. Es umfasst<br />

<strong>de</strong>n zentralen Teil <strong>de</strong>s ganzen Bil<strong>de</strong>s ohne<br />

weitere Einstellbewegung. Es beträgt etwa<br />

2 Winkelgra<strong>de</strong>, das entspricht beim <strong>Le</strong>sen<br />

etwa 6 Buchstaben mittlerer Druck-<br />

grösse. Eine Fixation kann etwa 10 bis 15<br />

Sek<strong>und</strong>en aufrecht erhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

260 <strong>ophta</strong> • 4|2008

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