Journal - Allianz
Journal - Allianz
Journal - Allianz
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ALLIANZ GROUP<br />
<strong>Journal</strong><br />
Deutsche Ausgabe 3 | 2012<br />
13<br />
50<br />
Geschosse im Orbit<br />
Müllhalde Weltraum<br />
Erstaunlich wetterfest<br />
Neuer Anlauf in Asien<br />
Im Land der<br />
Zwiebeltürme<br />
Die <strong>Allianz</strong> in Russland<br />
Stern
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 2<br />
INHALT<br />
3 Neues aus der<br />
<strong>Allianz</strong> Welt<br />
9 »Autoritäre Züge«<br />
Wohin steuert Russland?<br />
28 Im Land der Zwiebeltürme<br />
Zwischen Wodka und<br />
Pussy Riot<br />
31 Sinn für Chancen<br />
Die <strong>Allianz</strong> in Russland<br />
34 Geschichten von der Wolga<br />
Lebenslinien: Umbruch und<br />
Neubeginn<br />
37 Unbegrenzte Möglichkeiten<br />
Schub für Industrieversicherung<br />
38 Väterchen Frost im Tank<br />
Bewährungsprobe für Pannenhelfer<br />
48 Dienstfahrt mit Hindernissen<br />
König Kunde? Nur wenn’s gut<br />
läuft<br />
50 Erstaunlich wetterfest<br />
Neuer Anlauf in Asien<br />
13 Geschosse im Orbit<br />
Müllhalde Weltraum<br />
16 Die Überflieger<br />
Werbung zum Abheben<br />
18 Grüner Moloch<br />
Stadt der Zukunft<br />
40 … Eltern sein dagegen sehr<br />
Wie schütze ich mein Kind?<br />
41 Begegnungen im Untergrund<br />
Konferenzzentrum unterm<br />
Rasen<br />
53 Potenzieller Lebensretter<br />
Notfallortung übers Handy<br />
55 Dilbert<br />
21 »Die Vorwürfe sind<br />
unberechtigt«<br />
Jay Ralph zur Investitionspolitik<br />
der <strong>Allianz</strong><br />
23 »Das funktioniert<br />
wirklich«<br />
Hoffnung für Vertreter<br />
25 Wert und Wirkung<br />
Streitobjekt Marke<br />
43 Große Räder, kleiner Markt<br />
Zwei Erdbeben und die Folgen<br />
46 Team <strong>Allianz</strong><br />
Auf der Olympia-Welle<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 (September)<br />
Zeitschrift für Mitarbeiter und Pensionäre<br />
der <strong>Allianz</strong> Gesellschaften<br />
Herausgeber <strong>Allianz</strong> SE<br />
Verantwortlich für den Herausgeber<br />
Emilio Galli-Zugaro<br />
Chefredaktion Frank Stern<br />
Layout volk:art51<br />
Produktion repromüller<br />
Anschrift der Redaktion<br />
<strong>Allianz</strong> SE, Redaktion <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong><br />
Königinstraße 28, 80802 München<br />
Tel 089-3800-3804, Fax 089-3800-2840<br />
journal@allianz.de
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 3<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Spieglein, Spieglein<br />
an der Wand …<br />
Mit einem simplen Trick hat die <strong>Allianz</strong> in Brasilien im Sommer das Thema Alkohol am Steuer ins öffentliche Bewusstsein<br />
gerückt. Schauplatz war eine Bar in Sao Paulo, wo Mitarbeiter der <strong>Allianz</strong> Tochter den Spiegel in einem Vorraum<br />
gegen einen Bildschirm und eine Kamera austauschten. Die Wirkung der Aktion beruhte schlicht darauf, dass eine<br />
allgemeine Gewissheit unvermittelt außer Kraft gesetzt wurde.<br />
Normalerweise lügt ein Spiegel nicht. Was er sieht, wirft er in Echtzeit zurück. Der <strong>Allianz</strong> »Spiegel« aber gab die zuvor<br />
per Kamera aufgezeichneten Bilder mit kurzer Verzögerung wieder. Wer also davor stand, sah seine Bewegungen<br />
irritierenderweise zeitversetzt. Dass es sich dabei um mehr als einen schrägen Partygag handelte, wurde allerdings<br />
schnell klar, denn wenig später erschien auf dem Bildschirm der Hinweis, dass ein Drink eine ebenso verzögernde<br />
Wirkung auf die Reaktionsfähigkeit eines Menschen hat wie gerade im Spiegel gesehen. Es folgte der Ratschlag: »Fahr<br />
nicht unter Alkoholeinfluss«.<br />
Die Marketing-Abteilung der <strong>Allianz</strong> Brasilien produzierte aus dem aufgenommenen Material ein Video, das auf YouTube<br />
innerhalb von nur zehn Tagen mehr als eine halbe Million mal aufgerufen wurde. Zahlreiche Zeitungen berichteten<br />
über die Nummer mit dem Trickspiegel, und auch auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sorgte die Aktion<br />
für Furore.<br />
HTTP://VIMEO.COM/47171653 | WWW.ALLIANZ.COM.BR<br />
dpa / picture-alliance<br />
<strong>Allianz</strong> Belgien kauft ein<br />
Die <strong>Allianz</strong> Belgien hat das Versicherungsgeschäft von Mensura, einem auf<br />
Arbeitsunfallversicherungen spezialisierten Unternehmen, übernommen.<br />
Die Vereinbarung wurde im Juni bekanntgegeben. Mit mehr als 30 000 Kunden<br />
hat Mensura einen Marktanteil von 14 Prozent und nimmt unter den belgischen<br />
Anbietern von Arbeitsunfallversicherungen im Privatsektor den dritten Platz ein.<br />
Die Prämieneinnahmen lagen 2011 bei 136 Millionen Euro.<br />
Die <strong>Allianz</strong> Belgien und Mensura arbeiten bereits seit Jahren im Bereich Arbeitsunfallversicherung<br />
zusammen. Mit der Übernahme des Arbeitsunfallversicherungs-<br />
Geschäfts vervollständigt die <strong>Allianz</strong> Tochter ihr Produktangebot für Selbständige,<br />
Mittelstand und Großunternehmen. In Belgien ist die <strong>Allianz</strong> hauptsächlich in der<br />
Schaden- und Unfallversicherung und in der Lebensversicherung aktiv.<br />
WWW.ALLIANZ.BE
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 4<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Preis für My Finance Coach<br />
My Finance Coach, die gemeinnützige Initiative zur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung von Kindern und<br />
Jugendlichen, ist mit dem Comenius EduMedia-Siegel ausgezeichnet worden. Mit dem Preis würdigt die Gesellschaft<br />
für Pädagogik und Information pädagogisch-inhaltlich, didaktisch-methodisch sowie gestalterisch besonders wertvolle<br />
Bildungsmedien. Mehr als 200 Kandidaten aus 18 Ländern hatten sich in diesem Jahr um das Siegel beworben.<br />
Im vergangenen Jahr war My Finance Coach bereits von der deutschen UNESCO-Kommission ausgezeichnet worden.<br />
Seit dem Start im Jahr 2010 hat sich die gemeinnützige Initiative zu einem der erfolgreichsten privatwirtschaftlich<br />
getragenen Angebote im Bereich der finanziellen Allgemeinbildung entwickelt. Rund 500 Mitarbeiter aus den beteiligten<br />
Partner- und Förderunternehmen engagieren sich mittlerweile als Finance Coaches und haben bereits über 1400<br />
Klassenbesuche bestritten.<br />
Die My Finance Coach Stiftung wird von den Partnern und Förderern <strong>Allianz</strong>, Haniel & Cie., Grey, KPMG und McKinsey<br />
getragen. Nach dem erfolgreichen Start in Deutschland findet das Modell inzwischen auch im Ausland immer mehr<br />
Anklang. In Indonesien und Malaysia ist My Finance Coach bereits aktiv. Sechs weitere Länder sollen bald folgen.<br />
WWW.MYFINANCECOACH.DE<br />
Club Marine Assist<br />
für Kiwis<br />
Stern<br />
2009 brachte <strong>Allianz</strong> Tochter Club Marine, Australiens größter<br />
Boots- und Yachtversicherer, ein Produkt auf den Markt, das Hobby-<br />
Skippern auch dann unter die Arme greift, wenn sie an Land Hilfe<br />
benötigen. Tausende australische Bootseigner haben das Angebot<br />
in der Zwischenzeit in Anspruch genommen. Seit Mai gibt es den<br />
Schutzbrief nun auch in Neuseeland.<br />
Er bietet nicht nur Hilfe, wenn es auf dem Weg vom oder zum Hafen mit Auto oder Trailer Probleme gibt. Er umfasst<br />
auch Übernachtungskosten oder ein Ersatzfahrzeug, den Abschleppdienst oder die Bereitstellung von Benzin, falls<br />
man auf offener Strecke liegenbleibt. Streikt das Boot auf See und man wird von der Seenotrettung in den nächsten<br />
Hafen geschleppt, organisiert Club Marine die Rückfahrt zum Ausgangspunkt, um Auto und Anhänger zu holen. Für<br />
Clubmitglieder ist der Zusatzservice kostenlos.<br />
Der Hafen von Auckland<br />
WWW.CLUBMARINE.COM.NZ
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 5<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Investition in ein selbst bestimmtes Leben:<br />
Die <strong>Allianz</strong> übergab einen Scheck über 50 000 Euro<br />
an ein Straßenkinderprojekt in Mexiko City<br />
<strong>Allianz</strong> Mexico<br />
Hilfe für<br />
Straßenkinder<br />
Vor 19 Jahren wurde die Fundación Por Niños de la<br />
Calle gegründet. Seither hat die Stiftung Hunderte<br />
obdachlose Kinder und Jugendliche von Mexiko Citys Straßen geholt und ihnen neue Perspektiven eröffnet. Seit<br />
Juni hat die Sozialeinrichtung einen Fürsprecher mehr: Die <strong>Allianz</strong> Foundation for North America (<strong>Allianz</strong> Stiftung für<br />
Nordamerika) und die <strong>Allianz</strong> Mexico stellten sich mit einer Spende von 50 000 Euro an ihre Seite. Das Geld kommt<br />
einem Projekt zugute, das die Jungen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren in einem Übergangsheim auf ein selbst<br />
bestimmtes Leben abseits von Missbrauch, Drogen und Prostitution vorbereiten soll. Die Erfolgsquote der Stiftung liegt<br />
bei 85 Prozent. <strong>Allianz</strong> Mexico-Chef Sergio Ghibelini kündigte an, dass die <strong>Allianz</strong> neben der finanziellen Unterstützung<br />
auch Programme wie etwa Computerschulungen organisieren werde, mit denen die Jugendlichen auf dem Weg in die<br />
Unabhängigkeit unterstützt werden sollen.<br />
WWW.ALLIANZ.MX | WWW.PRONINOSDELACALLE.ORG.MX<br />
»Originell und verständlich«<br />
Das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> zählt zu den Preisträgern des diesjährigen inkom Grand Prix der<br />
Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG). Beim ältesten deutschen Wettbewerb<br />
für Mitarbeitermedien wurde das Magazin der <strong>Allianz</strong> Gruppe mit einem Silver Award<br />
ausgezeichnet. Die neunköpfige Jury aus Medienwissenschaftlern, Kommunikationsfachleuten<br />
und <strong>Journal</strong>isten hob insbesondere Originalität, journalistische Vielfalt und<br />
verständliche Sprache hervor. »Das Mitarbeitermedium hat Vorzeigecharakter – von der<br />
Konzeption bis zum Layout. Die Belegschaft wird professionell angesprochen«, so die Einschätzung der Jury.<br />
Die Mitarbeitermagazine der Deutschen Telekom »you and me« und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit<br />
»wir« wurden mit Platin ausgezeichnet, Gold ging an Bosch, Deutsche Bank, Audi und die Bundeswehr. Die Preisverleihung<br />
fand im Juni im Axel-Springer-Haus in Hamburg statt. Seit 1995 bewertet der inkom Grand Prix Mitarbeiterzeitschriften<br />
und -zeitungen, die in Deutschland von Unternehmen, Regierungsorganisationen und nichtstaatlichen Institutionen<br />
herausgegeben werden. Inzwischen kommen die Wettbewerbsteilnehmer auch aus Österreich und der Schweiz.<br />
ALLIANZ GROUP<br />
<strong>Journal</strong><br />
Deutsche Ausgabe 1 | 2012 2011<br />
Raumfahrt für Anfänger<br />
Countdown in der Wüste<br />
26<br />
51<br />
Digitale Breitseite<br />
Die <strong>Allianz</strong> geht ins Netz<br />
Krokodile auf Abwegen<br />
Thailand im Kampf gegen<br />
die Fluten<br />
<strong>Journal</strong>_1-12_dt_2202_P.indd 1 27.02.2012 11:59:26<br />
WWW.INKOM-GRANDPRIX.DE<br />
<strong>Journal</strong> im Netz<br />
Das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> geht online: Ab dieser Ausgabe steht<br />
das Mitarbeitermagazin der <strong>Allianz</strong> Gruppe unter http://<br />
knowledge.allianz.com im Internet zur Verfügung.<br />
Auch die älteren Ausgaben des <strong>Journal</strong>s sind künftig auf der<br />
Wissensseite der <strong>Allianz</strong> zu finden. Die Dezemberausgabe<br />
wird ausschließlich in elektronischer Form erscheinen.<br />
HTTP://KNOWLEDGE.ALLIANZ.COM
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 6<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Afrika: Zahlung per Handy<br />
dpa / picture-alliance<br />
Die <strong>Allianz</strong> geht in der Elfenbeinküste neue Wege bei der Prämienzahlung. Im Juni<br />
brachte die <strong>Allianz</strong> Côte d’Ivoire Assurance Vie eine Mikroversicherung für den<br />
Todesfall und ein Sparprodukt auf den Markt, für die die Mobiltelefongesellschaft<br />
des Versicherungsnehmers als Gebühreneinzugszentrale dient. Statt bar oder per<br />
Scheck zu zahlen, werden die Beiträge automatisch über das Handykonto abgebucht.<br />
Für die mobile Todesfallversicherung fallen monatlich 1,30 US-Dollar an, für den Sparplan mindestens 4,50 US-Dollar.<br />
Mit ihren Mikroversicherungen ist die <strong>Allianz</strong> mittlerweile in elf Ländern aktiv. Neben Afrika (Ägypten, Burkina Faso,<br />
Elfenbeinküste, Kamerun, Madagaskar, Mali und Senegal) werden die Versicherungen für Geringverdiener auch in<br />
Kolumbien, Indien, Indonesien und Malaysia angeboten. Die überwiegende Mehrheit der mehr als 3,8 Millionen<br />
Mikroversicherungskunden der <strong>Allianz</strong> stammt aus Asien.<br />
Im Frühjahr wurden neun Männer und Frauen aus Kolumbien, Indien und Indonesien interviewt, die mit Hilfe ihrer<br />
Mikroversicherung nach einem schweren Schicksalsschlag wieder auf die Beine gekommen waren. Die Videointerviews<br />
wurden anschließend ins Internet gestellt, sie sind auf YouTube abrufbar.<br />
<strong>Allianz</strong>4Good steuerte je 2500 Euro zur Produktion der Videos bei.<br />
WWW.ALLIANZ-AFRICA.COM | WWW.YOUTUBE.COM/PLAYLIST?LIST=PL61FDCCF84210DE1A& FEATURE=VIEW_ALL<br />
Shutterstock<br />
Senioren gefragt<br />
Nachdem im vergangenen Jahr rund 100 <strong>Allianz</strong> Pensionäre dem<br />
Aufruf von <strong>Allianz</strong>4Good gefolgt waren, sich beim sozialen Netzwerk<br />
startsocial als Berater zu engagieren (siehe <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2012),<br />
ist das Angebot nun auf zwei weitere Organisationen ausgeweitet<br />
worden: auf die Social Entrepreneurship Akademie und My Finance<br />
Coach.<br />
Bei startsocial können sich die <strong>Allianz</strong> Senior Experten als Juroren oder<br />
Berater engagieren und sozialen Projekten bei der Weiterentwicklung<br />
helfen. Die Social Entrepreneurship Akademie bietet die Möglichkeit,<br />
junge Sozialunternehmer zu unterstützen, und bei My Finance Coach geben sie ihr Wissen rund um die Themen<br />
Wirtschaft und Finanzen an Schüler weiter.<br />
»Unsere Pensionäre haben ein enormes Wissen und wertvolle Lebenserfahrung«, sagt Katharina Rauscher von<br />
<strong>Allianz</strong>4Good. »Genau das wollen wir wirksam einsetzen, um soziale Projekte professioneller zu managen und unternehmerisches<br />
Handeln mit sozialem Denken in Einklang zu bringen.«<br />
WWW.SEAKADEMIE.DE | WWW.STARTSOCIAL.DE | WWW.MYFINANCECOACH.DE
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 7<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
OP-Versicherung für Pferde<br />
In Deutschland gibt es rund eine Million Pferde, allerdings sind bislang nur etwa zehn Prozent<br />
davon krankenversichert. Dabei kann eine tierärztliche Behandlung von Pferden, vor allem bei<br />
Operationen, richtig teuer werden. Seit Juli bietet die <strong>Allianz</strong> Deutschland nun eine eigene<br />
Operationskostenpolice für Pferde an. Hunde und Katzen konnte man bei der <strong>Allianz</strong><br />
bereits seit 2008 versichern.<br />
Die neue Pferdepolice gibt es in drei Varianten. Bei allen werden Kosten für bestimmte<br />
operative Eingriffe inklusive Untersuchungen am letzten Untersuchungstag vor der<br />
Operation, Medikamente sowie Verbrauchsmaterialien und Nachbehandlungen von bis zu zehn<br />
Tagen erstattet. Ebenfalls finanziell abgedeckt werden Unterbringungs- und Futterkosten bei einem<br />
eventuellen Aufenthalt des Pferdes in einer Tierklinik bis zu zehn Tagen. Für den Kunden gibt es keine<br />
Selbstbeteiligung. Pro Jahr werden von der Versicherung Kosten von bis zu 10 000 Euro übernommen. Je nach gewähltem<br />
Leistungsumfang beträgt der monatliche Beitrag zwischen 13 und 30 Euro.<br />
WWW.ALLIANZ.DE<br />
<strong>Allianz</strong> France baut Maklergeschäft<br />
aus<br />
Die <strong>Allianz</strong> France hat die Schaden- und Unfallsparte von Gan Eurocourtage übernommen,<br />
einer Tochter der französischen Versicherungsgesellschaft Groupama. Darauf haben<br />
sich beide Unternehmen im Juni verständigt. Gan Eurocourtage gehört zu den führenden<br />
Schaden- und Unfallversicherungen im französischen Maklermarkt. Nach der Transaktion,<br />
die mit der Übertragung des Prämienvolumens von rund 800 Millionen Euro einhergeht,<br />
werden rund 2500 Makler zum <strong>Allianz</strong> Netz in Frankreich gehören. Damit entsteht eine der<br />
größten Makler-Plattformen in Frankreich. 600 Mitarbeiter von Gan Eurocourtage werden<br />
zur <strong>Allianz</strong> wechseln.<br />
WWW.ALLIANZ.FR | WWW.GROUPAMA.COM<br />
Personalien<br />
Remi Vrignaud ist seit 1. August Chef der <strong>Allianz</strong>-Tiriac Asigurari in Rumänien. Zuvor war er elf Jahre lang in verschiedenen<br />
Funktionen für die <strong>Allianz</strong> Elementar in Wien tätig. Sein Vorgänger bei der <strong>Allianz</strong>-Tiriac, Rangam Bir,<br />
hat zeitgleich die Leitung des Sach- und Unfallgeschäfts bei <strong>Allianz</strong> Asia Pacific übernommen und ist in das regionale<br />
Managementteam mit Sitz in Singapur gewechselt.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 8<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Haller<br />
Kultur im Kleinen<br />
TAM<br />
Seit zehn Jahren unterstützt die <strong>Allianz</strong> Kulturstiftung<br />
gemeinsam mit <strong>Allianz</strong> Vertretern in Deutschland Projekte<br />
auf kommunaler Ebene, bei denen die Förderung des<br />
europäischen Gedankens im Vordergrund steht. Zwei Drittel der Projektkosten – bis zu einer Höchstsumme von 2100<br />
Euro – werden von der Kulturstiftung übernommen, jeweils ein Drittel trägt der Vertreter. Vor einem Jahr wurde das<br />
erfolgreiche Konzept auch auf Österreich ausgeweitet, wo <strong>Allianz</strong> Vertreter mittlerweile mehr als 20 solcher Initiativen<br />
gesponsert haben.<br />
Bei einer davon handelte es sich um den Integrationskindergarten »Wiener Kinderfreunde«, in dem 37 Mädchen und<br />
Jungen aus zwölf Ländern betreut werden. Die Kinder lernen dort gemeinsam, Instrumente zu spielen, studieren Musikund<br />
Theaterstücke ein und führen sie anschließend in Altenheimen und anderen sozialen Einrichtungen auf. Michael<br />
Haller, Generalvertreter aus Wien, steuerte 1000 Euro zum Ankauf von Musikinstrumenten<br />
und Spielmaterial für die Sprachförderung bei.<br />
Ein anderes Beispiel einer gelungenen Kultur <strong>Allianz</strong> kommt aus Waidhofen in<br />
Niederösterreich, wo <strong>Allianz</strong> Vertreter Andreas Hanisch die Produktion von»Träume<br />
und Albträume« am Theater an der Mauer (TAM) sponserte. In dem Theaterstück<br />
drücken die 15- bis 17-jährigen Mitglieder der TAM-Juniorgruppe ihre Träume<br />
und Sehnsüchte genauso wie ihre Zukunftsängste aus. Ein Ziel der Aktion war es,<br />
über Probleme und enttäuschte Hoffnungen offen sprechen zu lernen. Hanisch<br />
unterstützte die Produktion des Stücks sowie die Werbung in lokalen Printmedien<br />
mit 1500 Euro.<br />
Aufgrund der gestiegenen Nachfrage wird die <strong>Allianz</strong> Kulturstiftung ihren Etat für<br />
die Kultur <strong>Allianz</strong>en im nächsten Jahr um 20 Prozent auf 120 000 Euro erhöhen.<br />
WWW.ALLIANZ-KULTURSTIFTUNG.DE<br />
Ausgezeichnet<br />
<strong>Allianz</strong> Life ist vom Magazin Fortune in die Liste der 100 arbeitnehmerfreundlichsten US-Unternehmen (Fortune 100<br />
Best Companies to Work For) aufgenommen worden. Die amerikanische <strong>Allianz</strong> Tochter hatte sich zum ersten Mal<br />
beworben. Landesweit schafften es nur vier Versicherungsunternehmen in die Top 100.<br />
Genialloyd, Direktkanal der <strong>Allianz</strong> Italien, ist von allen italienischen Versicherern die Gesellschaft mit der stärksten<br />
Präsenz in sozialen Netzwerken. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von OssCom, dem Forschungszentrum für<br />
Medien und Kommunikation der Katholischen Universität Mailand.<br />
<strong>Allianz</strong> SE Investor Relations ist im Juni vom IR Magazine für die beste IR-Arbeit in Deutschland und im Versicherungssektor<br />
insgesamt ausgezeichnet worden. Außerdem gewann das Team den Grand Prix als bestes IR-Team in<br />
Europa über die Branchengrenzen hinweg. Darüber hinaus wurde der Leiter der Einheit, Oliver Schmidt, zum besten IR<br />
Professional Europas gewählt.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 9<br />
MEINUNGEN<br />
Roth<br />
Wahlbetrug, Korruption, politische Justiz –<br />
Russland macht wieder Schlagzeilen, und<br />
meist sind es keine guten. Verzerrte Wahrnehmung<br />
des Westens oder Abbild der Realität?<br />
Fragen an Professor Hans-Henning Schröder,<br />
Leiter der Forschungsgruppe Russland der<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.<br />
INTERVIEW: FRANK STERN<br />
»Autoritäre Züge«<br />
Herr Professor, im Oktober letzten Jahres wurde Ihnen die Einreise nach Russland trotz gültigen Visums<br />
verwehrt. Was hatten Sie verbrochen?<br />
(Lacht) Ich hatte nichts verbrochen. Wie mir der Gesandte der russischen Botschaft hier in Berlin später versicherte,<br />
handelte es sich um ein Missverständnis.<br />
Ein Missverständnis?<br />
Die Botschaft hat sich offiziell bei mir entschuldigt. Dabei würde ich es gern belassen.<br />
Vielleicht war man darüber verärgert, dass Sie die Putin-Partei Einiges Russland als Chaoshaufen<br />
bezeichnet haben.<br />
Darüber waren sie sicher nicht glücklich, aber es gibt in Russland und auch hier im Westen sehr viel schärfere Töne.<br />
Herr Professor, wohin steuert Russland? Richtung Demokratie oder Diktatur?<br />
Es gibt beide Trends. In den letzten Wochen und Monaten aber zeigt der Staat zunehmend autoritäre Züge. Auf der<br />
anderen Seite entwickelt sich in der Bevölkerung ein demokratisches und zunehmend kritisches Potenzial. Die Gesellschaft<br />
wird wacher und fordert mehr Mitsprache. Damit kann die russische Führung im Moment offensichtlich nur<br />
schwer umgehen.<br />
Wie beeinflusst dieses Unvermögen die Presse- und Meinungsfreiheit?<br />
Es gibt in Russland eigentlich keine Zensur. Wenn Sie in einen Buchladen gehen, dann finden Sie alles – von den Protokollen<br />
der Weisen von Zion, also übles rechtsradikales Material, über Interviews mit Beresowski, dem Oligarchen, der<br />
jetzt aus der Emigration heraus versucht, die russische Führung zu attackieren, bis hin zu linksradikalen Schriften jeder >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 10<br />
MEINUNGEN<br />
Couleur. Das Fernsehen allerdings steht weitgehend unter staatlicher<br />
Kontrolle, kritische Stimmen kommen dort kaum zu Wort. Es gibt<br />
also eine breite, sehr vielschichtige und vielstimmige Gesellschaft. Auf<br />
der anderen Seite versucht die Staatsführung, durch Manipulation der<br />
elektronischen Medien ihre Meinung zur herrschenden zu machen.<br />
Das ist in den letzten zwei Jahren allerdings immer schwieriger<br />
geworden, weil mehr und mehr Russen das Internet<br />
nutzen, das im Moment völlig unzensiert ist. Das heißt, es gibt<br />
neben dem offiziellen Informationsraum, die die Putin- und früher<br />
die Medwedjew-Administration bespielt, einen Raum, der nahezu<br />
herrschaftsfrei ist. Und das schafft natürlich eine Situation, die für die<br />
Hans-Henning<br />
Schröder<br />
Führung zunehmend unbequem geworden ist. Deshalb wurde in den Wochen vor den Sommerferien eine ganze<br />
Reihe von Gesetzen verabschiedet, die diese Möglichkeiten einengen sollen. Wir haben also eine breite, sehr lebendige<br />
Gesellschaft mit unterschiedlichen kritischen Stimmen, und wir haben eine Führungsgruppe, die damit immer größere<br />
Schwierigkeiten hat.<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik<br />
Wie stark ist die Opposition?<br />
Die Opposition ist schwach, und zwar vor allem deshalb, weil sie nicht geschlossen agiert. Nicht verwunderlich, denn<br />
sie reicht von rechts außen bis links außen. Sie hat keine gemeinsamen Ziele, außer, dass sie gegen Putin ist. Das, was<br />
wir bei den großen Demonstrationen in Moskau und auch in Petersburg gesehen haben, ist im Moment eine <strong>Allianz</strong><br />
gegen das System. Aber sie hat keine positiven Ziele, und sie hat keine Führer, die von allen akzeptiert werden. Das ist<br />
ihre große Schwäche.<br />
Der zweite Schwachpunkt ist, dass sie im Moment auf die urbanen Metropolen, also Moskau und mit Abstrichen<br />
Petersburg, konzentriert ist. In der Fläche, selbst in anderen Millionenstädten wie Wolgograd, Nischni Nowgorod oder<br />
Jekaterinburg ist sie nicht präsent. Und sie wird dort auch kaum wahrgenommen. Dort sind die Sorgen der Menschen<br />
andere, sie sind viel materieller. Da geht es wirklich ums Einkommen, um soziale Sicherung und dergleichen.<br />
Wie groß ist Putins Rückhalt in der Bevölkerung?<br />
Nach den Umfragen und Wahlergebnissen kann man davon ausgehen – selbst wenn man die Manipulationen und<br />
Fälschungen in Rechnung stellt –, dass deutlich über 50 Prozent der Bevölkerung hinter ihm stehen. Die Dumawahlen<br />
sind etwas anderes. Einiges Russland hat nur geringen Rückhalt in der Bevölkerung. Ihre Wahlergebnisse hat die Partei<br />
nur durch Fälschungen erreicht. Putin aber ist ein anderes Thema. Seine Stellung ist deshalb so stark, weil er in der<br />
Bevölkerung nach wie vor große Glaubwürdigkeit genießt – auch wenn sie bröckelt. Der andere Grund ist: Es gibt<br />
keine Alternative. Weder im eigenen Lager, noch im Lager der Opposition gibt es eine politische Figur, die ähnliches<br />
Vertrauen genießt wie Putin.<br />
Russlands Wohl und Wehe hängt vom Export von Öl und Gas ab. Wie stabil ist das System Putin?<br />
Ich sehe im Moment keine alternative politische Kraft, die dieses System ablösen könnte. Denkbar ist dagegen, dass<br />
es sich von innen heraus reformiert, flexibler reagiert, anderen Parteien größere Spielräume einräumt. Es könnte aber<br />
auch repressiver agieren. Beide Optionen sind denkbar, und beide Muster hat es in der Vergangenheit schon gegeben.<br />
Im Moment deutet das Pendel auf eine eher repressive Entwicklung. Intelligenter wäre sicher ein flexibleres Einbinden<br />
der Opposition. Ich sehe bei den Mittelschichten eigentlich eher die Bereitschaft, in dem System konstruktiv mitzuarbeiten<br />
und weniger eine Totalopposition zu verfolgen. Nur hat die Putinsche Führung in den letzten Monaten kaum<br />
Anstalten gemacht, diesem Potenzial Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 11<br />
MEINUNGEN<br />
Wie hat sich in den letzten Jahren die Lage der Bevölkerung entwickelt?<br />
Der Lebensstandard ist nach 1992, also nach dem Übergang zur Marktwirtschaft, geradezu abgestürzt. In den 90er<br />
Jahren unter Jelzin ging es der Masse der Bevölkerung extrem schlecht, etwa 30 Prozent lebten unter dem Existenzminimum.<br />
Inzwischen ist dieser Anteil auf etwa zehn Prozent gesunken. Doch gibt es auch heute noch eine große<br />
Schicht der Bevölkerung, die nur knapp über dem Existenzminimum lebt. Sie leidet besonders darunter, wenn zum<br />
Beispiel die Heizungsabgaben steigen. Im Juli sind die Gaspreise im Land um fünf Prozent erhöht worden. Insgesamt<br />
ist dadurch die Inflationsrate im Vergleich zu den Vormonaten fühlbar höher. Und dabei wird es nicht bleiben.<br />
Im Moment gibt es bei Gazprom einen deutlichen Unterschied zwischen Inlands- und Auslandspreisen. Nach dem<br />
Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO ist das nicht mehr statthaft. Es ist also abzusehen, dass die Gaspreise<br />
im Inland weiter steigen werden – und damit auch die für kommunale Dienstleistungen. Die Regierung muss<br />
die Auswirkungen durch höhere Renten, bessere Sozialleistungen und steigende Einkommen abfedern. Das kann<br />
sie aber nur, wenn der Ölpreis auf hohem Niveau bleibt. Alles hängt vom Ölpreis ab. Im Moment kalkuliert die Regierung<br />
mit 100 Dollar pro Barrel, doch wenn der Preis einbricht, könnte es zu sozialen Spannungen kommen. Es ist ein<br />
Vabanque-Spiel, das auf dem Ölpreis basiert.<br />
Gibt es Tendenzen der Abschottung gegen den Westen? Wird er als Bedrohung gesehen?<br />
Natürlich gibt es solche Stimmen, die hat es schon immer gegeben. Manch einer vermutet, der Westen sei an Russland<br />
nur als Rohstofflieferant interessiert, will das Land ansonsten aber klein halten. Doch es gibt auch eine gegenläufige<br />
Tendenz, vor allem unter den Jüngeren in der Bevölkerung. Sie reisen, sie lernen Fremdsprachen und viele orientieren<br />
sich am Westen.<br />
Das Verfahren gegen die Punkband Pussy Riot<br />
hat im Westen scharfe Kritik hervorgerufen.<br />
Wie wird das in der russischen Bevölkerung<br />
wahrgenommen?<br />
Auch in Russland gab es heftige Kritik an den Urteilen,<br />
insbesondere von der Opposition. Allerdings hat eine<br />
große Mehrheit der Bevölkerung den Auftritt in der<br />
Kathedrale verurteilt. Von denen sprach sich zudem<br />
ein beachtlicher Teil für eine schwere Strafe aus. Das<br />
heißt, das Gericht und diejenigen in der Kirche und in<br />
der politischen Führung, die das Gericht dazu ermutigt<br />
haben, diese Urteile zu fällen, können sich darauf berufen,<br />
eine Mehrheit zu repräsentieren.<br />
Stichwort Kirche: Welche Rolle spielt sie für Putins<br />
Herrschaft?<br />
Die russisch-orthodoxe Kirche ist sicher kein klassisches<br />
Herrschaftsinstrument. Aber sie ist neben der Armee<br />
nach wie vor die Institution, der die Russen das größte<br />
Vertrauen entgegenbringen. Die Kirche verkörpert für<br />
viele Menschen russische Identität – gleichgültig, ob sie<br />
gläubig sind oder nicht. Man muss sich vergegen- >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 12<br />
MEINUNGEN<br />
wärtigen, dass der russische Staat nach 1991 völlig neu erfunden werden musste. Es hat über Jahrhunderte keinen<br />
russischen Staat gegeben, der über ein kleineres Territorium herrschte als der jetzige. Das Zarenreich war so groß wie<br />
die Sowjetunion. Da gehörte Zentralasien dazu, die Ukraine, Weißrussland. Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich die<br />
Bevölkerung quasi halbiert. Und dieses neue Russland sucht nach einer Identität. Als Sinnstifterin spielt die Kirche eine<br />
bedeutende Rolle. Sie repräsentiert russische Kontinuität, russische Identität.<br />
Ist Russland für ausländische Investoren sicheres Terrain?<br />
Ja und nein. Für große Investoren, die politischen Rückhalt in der Regierung genießen, ist es ein vergleichsweise sicheres<br />
Terrain. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist es dagegen schwierig, weil es noch immer kein unabhängig<br />
funktionierendes Rechtssystem gibt. Die Wirtschaftsrechtssprechung in den Regionen ist weiterhin eine schwieriges<br />
Thema. Wenn es gelingt, einen Prozess auf die Bundesebene zu heben, hat man eine relativ große Chance auf ein<br />
faires Verfahren. In den Regionen, wo Oligarchen, Gouverneure und regionale Eliten ihren Einfluss ausüben, ist die<br />
Chance eher gering. Und wenn politische Interessen im Spiel sind, ist es mit der Unabhängigkeit der Richter auch auf<br />
der föderalen Ebene nicht weit her.<br />
Könnte der Beitritt zur WTO zur Bildung einer unabhängigen Justiz beitragen?<br />
Es ist sicher ein wichtiger Schritt. Es gibt ja schon den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und<br />
die Menschenrechtscharta, die Russland unterschrieben hat. Russen, die sich vom eigenen Gerichtssystem ungerecht<br />
behandelt fühlen, können nach Straßburg gehen. Und in vielen Fällen hat Straßburg dann auch anders geurteilt als die<br />
russischen Gerichte. Der russische Staat hat diese Gerichtsurteile immer anerkannt. Das hat bisher allerdings nicht auf<br />
die russische Rechtssprechung selbst zurückgewirkt, aber der Staat verhält sich zumindest konform. Insofern wird er<br />
auch die WTO-Regeln einhalten. Aber bis sich das in der Rechtssprechung vor Ort niederschlägt, wird es Zeit brauchen.<br />
In den nächsten Jahren sind in Russland riesige Infrastrukturprojekte geplant. Kann sich das Land von der<br />
Rohstoffwirtschaft emanzipieren?<br />
In den letzten 20 Jahren ist in die Infrastruktur des Landes kaum investiert worden. Pipelines, Straßen, Eisenbahnen –<br />
vieles ist in einem äußerst schlechten Zustand. Wenn Russland zu einem Staat werden will, der mehr ist als ein Rohstoffexporteur,<br />
dann muss er Geld in die Infrastruktur stecken. Viel Geld. Die Frage ist, wie effektiv diese Mittel eingesetzt<br />
werden. Es gibt Analysen, die zeigen, dass der Straßenbau in Russland um ein Vielfaches teurer ist als in anderen<br />
Ländern. Man kann davon ausgehen, dass da viel Korruption im Spiel ist. Das heißt, dass neben dem Infrastrukturausbau<br />
auch bei der Korruptionsbekämpfung etwas getan werden muss. Dazu bräuchte man allerdings unabhängige<br />
Gerichte, die so was steuern könnten.<br />
Das allein aber wird nicht ausreichen. Der Staat müsste dafür sorgen, dass junge Ingenieure, Entwickler und Wissenschaftler<br />
nicht in Scharen das Land verlassen. In den letzten 20 Jahren ist die Innovationskraft Russlands immer mehr<br />
zurückgegangen. Tausende junger, gut ausgebildeter Russen gehen ins Ausland. Es gibt tatsächlich einen Brain Drain,<br />
ein Abwandern von Fachkräften, die für Russlands Entwicklung wichtig wären, die unter den jetzigen Umständen für<br />
sich jedoch keinen Platz im Land sehen. Eine russische Führung, die dieser Abwanderung entgegenwirken will, müsste<br />
Lebensbedingungen schaffen, die es für junge Menschen attraktiv machen, im eigenen Land zu bleiben.<br />
WWW.SWP-BERLIN.ORG
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 13<br />
GLOBAL<br />
dpa / picture-alliance<br />
Geschosse im Orbit<br />
Am 1. Oktober 1957 läuteten die Russen mit dem Start von<br />
Sputnik 1 das Zeitalter der Weltraumfahrt ein. 55 Jahre später<br />
umkreisen bereits Millionen von Objekten jeder Form und<br />
Größe die Erde – und die meisten davon völlig unkontrolliert.<br />
Für Astro- und Kosmonauten wird es eng.<br />
FRANK STERN<br />
SATELLITENVERSICHERUNG<br />
2011 lagen die Gesamtprämien der Branche<br />
im Bereich Satellitenversicherung weltweit bei<br />
800 Millionen Dollar, die Schäden beliefen sich<br />
auf 600 Millionen Dollar. SpaceCo’s Prämieneinnahmen<br />
aus dem Satellitengeschäft betrugen<br />
2011 rund 116 Millionen Dollar.<br />
WWW.SPACECO.EU<br />
Schon zweimal gab es in den vergangenen zwei Jahren Alarm auf der<br />
Internationalen Raumstation ISS: Bruchstücke von älteren Flugkörpern<br />
befanden sich auf Kollisionskurs, und es war reines Glück, dass sie die<br />
Station verfehlten – für ein Ausweichmanöver wäre der Crew keine Zeit<br />
mehr geblieben. Nach einer Studie, die <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty<br />
(AGCS) im Juli veröffentlicht hat, wird es solche Begegnungen in Zukunft<br />
wohl noch häufiger geben, wenn es nicht bald gelingt, den Schrotthaufen<br />
abzubauen, der sich in den letzten fünfeinhalb Jahrzehnten im erdnahen<br />
Raum angesammelt hat. Die Gefahren für die bemannte und unbemannte<br />
Raumfahrt werden größer.<br />
»Das Weltall wird immer mehr zur Müllhalde«, sagt Thierry Colliot, Chef von<br />
SpaceCo, dem <strong>Allianz</strong> Spezialisten für Satellitenversicherungen. Selbst >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 14<br />
GLOBAL<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik<br />
ohne weitere Flugkörper im All würde<br />
das Problem wachsen, denn die Zahl der<br />
umher fliegenden Fragmente wird mit<br />
jedem Zusammenprall größer. Derzeit<br />
kreisen etwa 800 Geo-, Wetter- und<br />
Telekommunikationssatelliten auf einer<br />
kontrollierten Umlaufbahn um die Erde.<br />
Daneben aber sind etwa 16 000 Objekte<br />
mit einem Durchmesser von über zehn Zentimetern unterwegs, 330 000 Fragmente zwischen einem und zehn<br />
Zentimetern und 35 Millionen Minibruchstücke unter einem Zentimeter. Doch auch die können enormen Schaden<br />
anrichten, wenn sie auf einen Satelliten oder eine<br />
Raumstation treffen – mit einer Geschwindigkeit<br />
von zehn Kilometern pro Sekunde sind sie zehn<br />
mal so schnell wie eine Gewehrkugel.<br />
Kontrollierter Absturz<br />
Sonnenstürme<br />
Als die Erde 1859 von einem solaren Hurrikan getroffen wurde,<br />
war das eher ein Kuriosum, das für Polarlichter bis hinunter nach<br />
Südeuropa und Kuba sorgte und das ein paar Telegrafenstationen<br />
in Brand setzte. Heute hätte ein solcher Sonnensturm unabsehbare<br />
Konsequenzen. »Theoretisch tritt so ein Ereignis nur alle<br />
500 Jahre auf«, sagt Michael Bruch, Leiter des Bereichs Forschung<br />
und Entwicklung im Ingenieurnetzwerk von <strong>Allianz</strong> Global Corporate<br />
& Specialty. »Das heißt allerdings nicht, dass bis zum nächsten<br />
Mal noch 350 Jahre Zeit bleibt.«<br />
Mit jedem technischen Fortschritt der letzten hundert Jahre hat<br />
sich die Menschheit immer anfälliger für die extraterrestrischen<br />
Attacken gemacht. Die Energieversorgung, das Rückgrat der<br />
heutigen Industrie- und Informationsgesellschaft, ist, wenn man<br />
so will, zugleich ihre Achillesferse. Dabei braucht es nicht einmal<br />
einen Supersturm wie 1859, um auf der Erde Unheil zu stiften.<br />
Im März 1989 löste ein um den Faktor 20 milderer Sonnensturm<br />
in Kanada derart heftige geomagnetische Schwankungen in<br />
den Überlandleitungen aus, dass das Stromnetz in der Provinz<br />
Quebec innerhalb von nur 92 Sekunden zusammenbrach und<br />
erst nach neun Stunden wieder hergestellt werden konnte.<br />
Der kontrolliert eingeleitete Absturz von ausgedienten<br />
Satelliten, die beim Wiedereintritt in die<br />
Erdatmosphäre zum großen Teil verglühen, werde<br />
nicht ausreichen, um das Problem in den Griff zu<br />
bekommen, warnt Colliot. Zusätzlich müssten jedes<br />
Jahr zehn große Trümmer eingefangen und unschädlich<br />
gemacht werden, um die Zahl der umher<br />
fliegenden Objekte nicht noch weiter ansteigen zu<br />
lassen. 2009 stießen der russische Satellit Kosmos<br />
2251 und der amerikanische Iridium 33 zusammen<br />
und schleuderten Tausende neuer Bruchstücke in<br />
die Umlaufbahn.<br />
Gefahr droht Satelliten und Raumkapseln nicht<br />
nur durch Kollisionen mit Weltraumtrümmern,<br />
auch Sonnenstürme, gewaltige Strahlungs- und<br />
Partikelausbrüche, können Fehlfunktionen und<br />
Systemausfälle auslösen. Schätzungen gehen<br />
davon aus, dass bislang rund 40 Satelliten durch<br />
Solarstürme beschädigt oder zerstört wurden.<br />
Selbst auf der Erde können Sonneneruptionen<br />
erhebliche Folgen nach sich ziehen (siehe Kasten).<br />
Kein Wunder, dass Colliot die Alarmglocken läutet.<br />
Rund ein Viertel der 800 Satelliten in der Erdumlaufbahn<br />
im Gesamtwert von 22 Milliarden US-Dollar >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 15<br />
GLOBAL<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik<br />
sind gegen Schäden und Funktionsstörungen<br />
versichert. Schäden an den Geosatelliten,<br />
die 300 bis 2000 Kilometer über der Erde<br />
ihre Kreise ziehen, werden meist von den<br />
betreibenden Staaten selbst getragen. Die Telekommunikationssatelliten,<br />
die in einer Höhe von<br />
36 000 Kilometern über dem Äquator stationiert<br />
sind und von denen jeder an die 200 Millionen<br />
US-Dollar kostet, sind zum großen Teil von<br />
privaten Anbietern gedeckt. Jedes Jahr gehen<br />
weitere 20 bis 25 kommerzielle Satelliten mit<br />
Versicherungsschutz an den Start.<br />
Abschuss per Laser<br />
Mittlerweile sind Satellitenbetreiber verpflichtet,<br />
nach Ablauf der Mission sämtliches Weltraumgerät<br />
aus dem Orbit zu holen. Allerdings<br />
verfügt nur die neueste Satellitengeneration<br />
über derartige Rückführungsprogramme, wovon<br />
der kontrollierte Absturz die häufigste Methode<br />
ist. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre<br />
verglüht der Großteil des Weltraumschrotts,<br />
der Rest geht gezielt über unbewohntem<br />
Gebiet oder über dem Meer nieder. Meistens<br />
jedenfalls.<br />
Außer Kontrolle<br />
Im April dieses Jahres verlor die Europäische Raumfahrtagentur<br />
(ESA) den Kontakt zu ihrem Erd beobachtungssatelliten Envisat,<br />
ein Trumm von acht Tonnen, der nun ohne Steuerung in 790 Kilometern<br />
Höhe seine Runden dreht. Nach heutigen Schätzungen<br />
könnte Envisat noch 150 Jahre unkontrolliert durchs All trudeln,<br />
bevor er auf dem Weg zur Erde verglüht. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass er zuvor mit einem anderen Objekt kollidiert, liegt allerdings<br />
bei 30 Prozent. In diesem Fall wäre auf der orbitalen Müllhalde<br />
für reichlich Nachschub gesorgt.<br />
Letztes Jahr stürzte der US-Satellit UARS vor der kanadischen Küste unkontrolliert in den Pazifik. Auch der<br />
Wiedereintrittskurs der russischen Raumsonde Phobos-Grunt, die im Januar dieses Jahres über dem Ostpazifik<br />
niederging, konnte nur grob geschätzt werden. So was könnte auch mal schiefgehen.<br />
Inzwischen gibt es vielversprechende Ansätze, wie abgeworfene Raketenstufen, ausgediente Raumkapseln und<br />
Satelliten aus dem Orbit entfernt werden könnten. Diskutiert wird der Einsatz von Lasern oder das Andocken von<br />
Satelliten, die dann den gezielten Absturz des Tandems einleiten. Eine andere Möglichkeit wäre, Satelliten im<br />
All wieder aufzutanken, um sie auf ihrer Umlaufbahn zu halten. »Es gibt interessante Konzepte«, meint Colliot,<br />
»allerdings sind die Kosten dafür sehr hoch. Ein wirklicher Durchbruch ist bislang nicht in Sicht.«
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 16<br />
GLOBAL<br />
Der Mann hetzt durch das überfüllte Flughafengebäude<br />
und wirft gestresst einen Blick<br />
auf die Uhr: nur noch fünf Minuten, um für<br />
seinen Flug nach Frankfurt einzuchecken. Das<br />
Meeting dort darf er auf keinen Fall verpassen,<br />
ein wichtiges Geschäft steht auf dem Spiel.<br />
Das genau ist der Typ, auf den die aktuelle<br />
<strong>Allianz</strong> Kampagne an Flughäfen zielt – und<br />
sie macht Eindruck.<br />
LOIS HOYAL<br />
Believe in yourself.<br />
allianz.com/believe2<br />
Die Überflieger<br />
© <strong>Allianz</strong> SE, Germany<br />
Katrin Green, Sprinter<br />
Partner of the International<br />
Paralympic Committee.<br />
With you from A-Z<br />
Reisende erleben am Flughafen nicht selten eine emotionale Achterbahnfahrt: Stress wegen des Zeitdrucks, ein<br />
mulmiges Gefühl, was die bevorstehende Reise mit sich bringt und was am Ziel auf sie wartet, und dann wieder die<br />
nervige Warterei am Flugsteig. In so einer Umgebung die Aufmerksamkeit von internationalen Geschäftsreisenden<br />
auf sich zu ziehen, ist nicht ganz einfach, aber genau das will die aktuelle Flughafenwerbung der <strong>Allianz</strong> erreichen.<br />
»Flughäfen waren schon immer bevorzugte Orte für die globale Markenbildung«, sagt Christian Deuringer, Leiter des<br />
Global Brand Management der <strong>Allianz</strong> SE. Die neue Kampagne setzt mehr auf digitale Technologien und integriert<br />
verschiedene Werbeansätze von großen Bannern bis hin zu interaktiven Postern. Im Mai an Flughäfen in Europa und<br />
Asien gestartet, darunter Paris, München, Frankfurt, London, Seoul, Hongkong, Singapur und Jakarta, läuft sie noch bis<br />
zum Dezember dieses Jahres.<br />
Die Werbung richtet sich vorwiegend an Reisende, die pro Jahr mehr als drei mal im Ausland geschäftlich unterwegs<br />
sind, das heißt, bei ihnen handelt es sich um gut ausgebildete Meinungsführer und Entscheidungsträger. »Gerade bei<br />
dieser Zielgruppe wollen wir das Bewusstsein für die Marke <strong>Allianz</strong> deutlich stärken«, erklärt Matthias Fichtl von <strong>Allianz</strong><br />
Group Market Management, »denn sie üben einen großen Einfluss auf andere aus und treffen wichtige Geschäftsentscheidungen.«<br />
Die verschiedenen Aspekte der Flughafenkampagne, wie etwa die Pannenhilfe von <strong>Allianz</strong> Global<br />
Assistance, das Sponsering der Paralympischen Spiele oder das Thema finanzielle Stabilität, sollen das Interesse gerade<br />
dieses Publikums wecken. ><br />
»Flughäfen waren schon immer bevorzugte<br />
Orte für die globale Markenbildung.«<br />
Christian Deuringer
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 17<br />
GLOBAL<br />
<strong>Allianz</strong> Global Assistance<br />
Helping people in over<br />
230 countries and territories.<br />
allianz-assistance.com<br />
With you from A-Z<br />
© <strong>Allianz</strong> SE, Germany<br />
Catherine Porte Arondelle, <strong>Allianz</strong> Global Assistance Doctor<br />
Bewusstsein für die Marke stärken: Die Flughafenkampagne nutzt kurze Ratschläge und aussagekräftige Botschaften<br />
Auf dem Pannenhilfeposter zum Beispiel wird ein junger Deutscher vorgestellt, der gerade dabei ist, in seinem Camper<br />
eine Reise um die Welt anzutreten. »Indem wir in unserer Kampagne diese Angebote vorstellen, können wir die Stärken<br />
unserer Marke und unsere Kompetenz in diesem Bereich hervorheben«, sagt Sophy Rigommier Hunter von <strong>Allianz</strong><br />
Global Assistance. »Das sind Situationen, in denen sich internationale Geschäftsreisende im Ausland wiederfinden<br />
können, und wir wollen sie davon überzeugen, dass <strong>Allianz</strong> Global Assistance dafür die richtige Wahl ist.«<br />
Die verschiedenen Werbeauftritte richten sich sowohl an Reisende, die in Eile sind, aber auch an solche, die mehr Zeit<br />
haben, die am Flugsteig warten müssen und für etwas Ablenkung ganz dankbar sind. Für die unter Zeitdruck eignen sich<br />
am besten große Werbeflächen mit kurzen Ratschlägen und aussagekräftigen Botschaften, während für die anderen<br />
interaktive Poster angeboten werden, die Elemente wie Internetlinks und die so genannten QR-Codes enthalten (Quick<br />
Response/schnelle Antwort). Über sie haben Reisende Zugriff auf Webseiten oder sie scannen den Code in ihr Smartphone<br />
und laden MyTravelAid herunter. MyTravelAid ist eine Anwendung, die nützliche Reisetipps und Informationen<br />
bietet, unter anderem internationale Notfallnummern, einen Arzneimittel-Übersetzer, ein Erste-Hilfe-Wörterbuch sowie<br />
ein internationales Krankenhausverzeichnis.<br />
Über dieses Quick Response-Feld<br />
gelangen Nutzer direkt auf ein<br />
Video, in dem die Geschichte einer<br />
der Paralympics-Teilnehmerinnen<br />
erzählt wird
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 18<br />
GLOBAL<br />
Grüner Moloch<br />
Stern<br />
Jeder kennt die Bilder aus den Elendsvierteln dieser Welt: schäbige Wellblechhütten,<br />
verdreckte Abwasserkanäle, vernachlässigte Kinder. Nach Angaben<br />
der UN lebt ein Drittel der heutigen Stadtbevölkerung in Slums – über eine<br />
Millarde Menschen. Und doch, die Attraktivität der urbanen Verheißung scheint<br />
ungebrochen. Um den Run auf die Städte zu bewältigen, werden in den nächsten<br />
Jahren enorme Investitionen in die Infrastruktur nötig. Bei der <strong>Allianz</strong> hat man<br />
schon mal angefangen zu rechnen.<br />
Gardens by the Bay in<br />
Singapur. Der erste Teil<br />
des Megaparks wurde im<br />
Juni eröffnet. Kosten bislang:<br />
650 Millionen Euro<br />
FRANK STERN<br />
Intelligent sollen sie sein, umwelt- und familienfreundlich, die Folgen des Klimawandels sollen sie abfedern,<br />
Mobilität erlauben, aber in Maßen, Energie – selbstverständlich aus grünen Quellen – möglichst effizient nutzen,<br />
den Wasserverbrauch niedrig halten, mit den Alten menschlich umgehen und den Jungen Spielräume lassen – kurz:<br />
die Städte der Zukunft werden das Paradies auf Erden. Zumindest wenn es nach den Visionären geht, den Planern<br />
und Entwicklern, den Politikern und Unternehmenslenkern, die im Juli in Singapur auf dem WorldCitiesSummit 2012<br />
zusammengesessen haben.<br />
Was am Ende von den Reißbrettträumen übrig bleibt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sich genügend private Geldgeber<br />
finden, die das Geschäftspotenzial dahinter erkennen. Die öffentliche Hand jedenfalls fällt als Investor mangels<br />
Masse in weiten Teilen aus. Das ist mehr als fatal, denn ohne Erneuerung, Aus- und Neubau der Infrastruktur drohen<br />
die Megacitys dieser Welt im Chaos zu versinken. Der Zustrom vom Land jedenfalls reißt nicht ab: Im Jahr 2050 werden<br />
rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Heute ist es noch jeder Zweite der derzeit sieben Milliarden >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 19<br />
GLOBAL<br />
Roth<br />
Erkundungstour im Neuland: Trendanalyst Peter Köferl<br />
Erdbewohner. Sie sind die Träger des wirtschaftlichen Wachstums und erzeugen zwischen 60 und 80 Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts eines Landes. Allerdings blasen sie auch 70 Prozent der Treibhausgase in die Luft und<br />
verbrauchen schon jetzt fast 80 Prozent der weltweiten Energiereserven.<br />
Manche Schätzungen gehen davon aus, dass für die umweltgerechte und nachhaltige Anpassung, Erneuerung und<br />
Erweiterung der städtischen Infrastruktur in den nächsten 25 Jahren weltweit Investitionen von rund 40 Billionen<br />
US-Dollar nötig sein werden. 40 Billionen! Dabei schweben Stadtplanern und Politikern integrierte Lösungen vor, die<br />
alles umfassen, was zum Leben in der Stadt dazugehört – von der Energie- und Wasserversorgung bis zur öffentlichen<br />
Sicherheit, vom Nahverkehr, über Schulen, Unis, Krankenhäuser und Pflegheime bis hin zur Abfallbeseitigung. Wobei<br />
der klimafreundliche Generalumbau einer gewachsenen Metropole ungleich schwieriger und teurer ist als die<br />
Errichtung einer neuen Stadt auf der grünen Wiese.<br />
Die ideale Stadt<br />
Peter Köferl, im Bereich Unternehmensentwicklung der <strong>Allianz</strong> unter anderem für Zukunfts- und Trendanalysen<br />
zuständig, spricht von der grünen Transformation der urbanen Landschaft. Mancherorts hat sie schon begonnen:<br />
London war Gastgeber der ersten »grünen« Olympischen Spiele, Kopenhagen will 2025 die erste klimaneutrale<br />
Großstadt sein, München sich im selben Jahr vollständig aus erneuerbaren Energien versorgen.<br />
Als Musterbeispiel für die ideale Stadt gilt vielen Experten aber Singapur. »Wegen der Insellage kann die Stadt<br />
nicht einfach weiter wachsen, sie muss sich immer neu erfinden«, hob etwa Siemens-Vorstand Roland Busch, Chef<br />
des Geschäftsfelds »Infrastructure & Cities«, im April in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau hervor.<br />
»Das geschieht dort auf intelligente Weise.«<br />
Singapur zeigt, dass sich mit innovativen Modellen etwa zu Wasseraufbereitung und Recycling auch eine hohe<br />
Bevölkerungskonzentration managen lässt, dass die Versorgung der Städter gegenüber dem Land mit seinen langen<br />
Wegen und der geringen Vernetzung sogar effizienter und umweltschonender möglich ist. Zugegeben, die Löwenstadt<br />
gehört zu den wenigen, die sich die Intelligenz leisten können, und verglichen mit Megacitys wie Tokio, New<br />
York, Sao Paulo, Bombay oder Manila ist der Stadtstaat mit seinen fünf Millionen Einwohnern auch recht überschaubar.<br />
Doch Effizienz und intelligenter Mitteleinsatz sind auch in größeren Dimensionen nicht völlig utopisch. Allerdings<br />
stellt sich die Frage, woher das nötige Geld für die Milliardenprojekte kommen soll angesichts weithin knapper<br />
öffentlicher Kassen.<br />
Vor diesem Hintergrund könnte man der Finanzkrise sogar eine gute Seite abgewinnen. Die anhaltend niedrigen Zinsen<br />
haben dazu geführt, dass Investoren wie Lebensversicherer und Pensionsfonds, die das Geld ihrer Kunden langfristig, >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 20<br />
GLOBAL<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik<br />
Ein Drittel der städtischen Weltbevölkerung lebt in Slums<br />
gewinnbringend und sicher anlegen sollen, händeringend nach rentablen Ausweichmöglichkeiten Ausschau halten.<br />
Investitionen in den nachhaltigen Um- und Neubau urbaner Infrastruktur – wie gesagt, es geht um ein Volumen von<br />
40 Billionen Dollar in den nächsten 25 Jahren – könnten eine Antwort liefern. Zumal sie über die zum Teil mehrere<br />
Jahrzehnte andauernde Laufzeit der Projekte stabile Renditen bieten, die relativ wenig vom Auf und Ab der Kapitalmärkte<br />
beeinflusst werden. Die notorisch klammen Kommunen hätten die Möglichkeit, eine staatsunabhängige Geldquelle<br />
anzuzapfen, Investoren könnten langfristig planen und direkt in künftiges Wachstum investieren.<br />
Die Zeit der Traumrenditen ist zwar vorbei, die neue Normalität mit ihren bescheidenen Kapitalgewinnen hat Einzug<br />
gehalten. Doch sieben Prozent wären mit grünen Entwicklungsprojekten durchaus drin, meinen Experten. Und<br />
das langfristig. »Allerdings ist das Ganze für Investoren weitgehend Neuland«, sagt Peter Köferl. »Bislang gibt es die<br />
klimafreundliche urbane Infrastruktur als eigene Anlageklasse noch nicht.« Bei der <strong>Allianz</strong> lotet man gerade aus, wie<br />
eine passende Investitionsform aussehen könnte. Grüne Infrastruktur- oder auch Energieeffizienzfonds wären zwei<br />
Möglichkeiten. Voraussetzung für den Einstieg wäre allerdings, dass die Politik für die nötige Investitionssicherheit<br />
und stabile Rahmenbedingungen sorgt.<br />
Holpriger Weg in die Zukunft<br />
An Projekten, die für Investoren von Interesse sein könnten, wird es auf absehbare Zeit kaum mangeln, allerdings<br />
dürfte der Weg in die grün-urbane Zukunft noch ziemlich holprig werden. Einerseits wird auf Klimakonferenzen seit<br />
Jahren darauf gedrängt, den Kohlendioxidausstoß massiv herunterzufahren, was auf kommunaler Ebene zum Beispiel<br />
durch den Umbau des städtischen Verkehrssystems, die Umstellung der Energieversorgung oder die energetische<br />
Sanierung von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden unterstützt werden könnte. Andererseits scheint die kohlenstofffreie<br />
Welt gerade in den Schwellenländern Asiens noch in weiter Ferne. China und Indien etwa befeuern ihr<br />
Wirtschaftswachstum weiter massiv mit Kohle, Indien produziert mittlerweile massenhaft Billigautos, die auch für<br />
die wachsende Mittelschicht erschwinglich sind.<br />
Wie die urbane Zukunft letztlich auch aussieht, welche Strategien bei der Abfederung des Klimawandels zum<br />
Zuge kommen, welche Transportsysteme Vorrang erhalten, wie die Wasserversorgung so sichergestellt wird, dass<br />
der Grundwasserspiegel stabil bleibt – die Antworten auf all diese Fragen könnten schon bald auch von privaten<br />
Investoren mitformuliert werden.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 21<br />
STRATEGIE<br />
Shutterstock<br />
»Die Vorwürfe<br />
sind unberechtigt«<br />
Als erstes Unternehmen weltweit hat die <strong>Allianz</strong> im Juli auf Vorstandsebene ein Gremium<br />
eingerichtet, das für eine stärkere Einbeziehung von ökologischen und sozial-gesellschaftlichen<br />
Aspekten bei Unternehmensentscheidungen sorgen soll. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden<br />
des ESG Boards (Environmental, Social, Governance/Ökologisch, Sozial, Unternehmensführung),<br />
Jay Ralph, über die Hintergründe.<br />
INTERVIEW: MICHAEL GRIMM<br />
Mr. Ralph, war die Einrichtung des ESG Boards eine Reaktion auf die Kritik von Nichtregierungsorganisationen<br />
an den Investitionen der <strong>Allianz</strong> in Kohleunternehmen in China und in Agrarfonds?<br />
Die Vorwürfe auf unserer Hauptversammlung im Mai waren nicht der Auslöser, aber sie haben die Einrichtung des<br />
ESG Boards beschleunigt. Wir haben als Versicherer und Vermögensmanager Einfluss auf wichtige Themen. Diesen<br />
Einfluss wollen wir bewusst und verantwortungsvoll nutzen und durch das ESG Board steuern.<br />
Wird die <strong>Allianz</strong> nun aus diesen Investitionen aussteigen?<br />
Als erste »Amtshandlung« des ESG Boards haben wir mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen den Dialog<br />
aufgenommen. Mit Greenpeace haben wir uns im Juli in Hongkong getroffen und mit Oxfam in Berlin. Die Investments<br />
in China sind eine relativ kleine Position. Gemeinsam mit Greenpeace wägen wir nun ab, ob wir diese Anteile verkaufen,<br />
oder wie wir als Aktionär der Kohleunternehmen auf besseres Umweltmanage ment drängen können.<br />
Von Oxfam haben wir uns ihre Bedenken erklären lassen, danach zusammen mit unseren Experten von PIMCO unsere<br />
Anlagestrategie erläutert und detailliert zu allen Vorwürfen Stellung genommen. Außer der pauschalen Wiederholung<br />
der Kritik haben wir von Oxfam allerdings keine Antwort auf unsere Erklärungen erhalten.<br />
Was sagt die <strong>Allianz</strong> denn im Detail zu den Vorwürfen von Oxfam?<br />
Die Vorwürfe sind unberechtigt. Manche lassen sich sehr einfach widerlegen, für andere muss man etwas tiefer in<br />
die Materie einsteigen. Bereits auf unserer Hauptversammlung im Mai haben wir klarstellen können, dass die Gelder<br />
unserer Versicherungskunden nicht in Rohstoffe oder in Rohstoff-Indexfonds investiert sind. Bei dem Thema geht<br />
es ausschließlich um Investitionen von Kunden unserer Vermögensverwalter PIMCO und <strong>Allianz</strong> Global Investors,<br />
von denen derzeit etwa zwei Prozent in Rohstoff-Indexfonds investiert sind. Knapp ein Drittel davon lassen sich<br />
Agrarrohstoffen zuordnen. Diese Anlagen dienen dazu, Bauern gegen schwankende Preise abzusichern. Die Bauern >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 22<br />
STRATEGIE<br />
<strong>Allianz</strong><br />
wollen sichergehen, dass sie einen bestimmten<br />
Preis für ihre Ernte erzielen. Wer sich das Risiko mit<br />
einem Partner teilen kann, investiert eher in Saatgut,<br />
Maschinen und Arbeitskräfte. Das verspricht bessere<br />
Ernten in der Zukunft und davon profitieren sowohl<br />
Jay Ralph<br />
die Bauern als auch die Anleger.<br />
Für diese Investments unserer Kunden gilt: Sie sind<br />
langfristiger Natur, sie führen dem Markt keine realen Rohstoffe zu oder entziehen sie ihm, sie können bei steigenden<br />
und bei fallenden Preisen Erträge erwirtschaften und nehmen nicht am Handel im Liefermonat der Rohstoffe teil –<br />
dann sind am ehesten Preisschwankungen zu beobachten. Hinzu kommt, dass unsere Kunden bisher eher antizyklisch<br />
investieren, was dabei hilft, den Markt zu stabilisieren. Ein Rückzug dieser Investoren hätte daher negative Folgen für<br />
die Bauern und für die Preise.<br />
Wer ist denn dann schuld am Preisanstieg bei Nahrungsmitteln?<br />
Hauptursachen für die steigenden Nahrungsmittelpreise sind laut UN, FAO und OECD vor allem das Bevölkerungswachstum,<br />
der steigende Konsum in Schwellenländern, Handelsbarrieren, Klimaeinflüsse und die zunehmende<br />
Verwendung landwirtschaftlicher Flächen für die Produktion von Biosprit. Das lässt sich auch an den aktuellen<br />
Preissteigerungen bei Weizen, Mais und Soja aufgrund der Dürre in den USA verfolgen. Wir sind daher gemeinsam<br />
mit vielen Experten überzeugt, dass die Preise an den Warenterminmärkten den realen Rohstoffpreisen folgen,<br />
nicht umgekehrt. Das ist die Aufgabe und die Logik dieses Marktes. Aber selbst derjenige, der diese Logik bezweifelt,<br />
müsste die negativen Folgen eines Ausstiegs von Investoren erkennen, die wie unsere Kunden handeln.<br />
Was kann die <strong>Allianz</strong> tun, um die Folgen steigender Nahrungsmittelpreise zu begrenzen?<br />
Ein Rückzug als Investor wäre fatal. Die steigenden Preise zeigen, dass die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage<br />
weiter wächst. Um dem zu begegnen, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Investitionen in die Leistungsfähigkeit<br />
der Agrarwirtschaft, der Nahrungsmittelproduktion und ihren Vertrieb. Ein Rückzug der langfristigen<br />
Investoren aus den Rohstoff- und Indexfonds wäre ebenso schädlich.<br />
Die Bauern in den USA sind gegen die Folgen und Risiken einer Dürre durch Ernteversicherungen und die Liquidität<br />
an den Warenterminbörsen gut abgesichert. Die meisten Bauern in den Entwicklungs- und Schwellenländern haben<br />
diese Möglichkeit bisher nicht. Wir diskutieren derzeit, ob Mikro-Versicherungen und ein Mikro-Warenterminmarkt<br />
Bauern und Kunden in den Entwicklungsländern helfen könnte. Wenn das der Fall ist, werden wir überlegen, wie wir<br />
dazu beitragen können.<br />
Ist der Disput damit für die <strong>Allianz</strong> erledigt?<br />
Der Dialog mit Oxfam scheint am Ende, das Thema dagegen ist für uns nicht erledigt. Oxfam vertritt ein wichtiges<br />
Anliegen, das wir teilen. Die wachsende Lücke in der Versorgung mit Nahrungsmitteln ist aus unserer Sicht neben dem<br />
Klimawandel und der demographischen Entwicklung eine der drei größten Herausforderungen, zu deren Lösung wir<br />
beitragen können.<br />
Welche Rolle soll dabei das ESG Board konkret spielen?<br />
Das ESG Board wird sicherstellen, dass wir im Dialog mit internen und externen Fachleuten die wichtigen sozialen<br />
und ökologischen Themen rechtzeitig erkennen, richtig einschätzen und pragmatische Umsetzungsmöglichkeiten<br />
entwickeln. Wir werden dabei nicht für jedes Thema eine einheitliche Umsetzung finden, weil Gesetze, Kulturen und<br />
das Selbstverständnis der Beteiligten in unseren über 70 Märkten weltweit unterschiedlich sind. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 23<br />
STRATEGIE<br />
Aber wir möchten unseren Kunden mit den bestmöglichen nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen zur Seite<br />
stehen. Das ESG Board wird daher den <strong>Allianz</strong> Unternehmen vor Ort inhaltliche Orientierung für ihr Handeln geben,<br />
um auf die Bedürfnisse der Kunden und der Gesellschaft gleichermaßen eingehen zu können. Es wird bei einigen<br />
Themen allerdings auch allgemein verbindliche Regeln geben, wie dem bereits geltenden Ausschluss von Geschäften<br />
mit bestimmten Waffenherstellern oder jeglicher Waffengeschäfte in Krisenregionen.<br />
Das ESG Board wird aber nicht nur Geschäfte verhindern, es wird auch Geschäfte gezielt durch Koordination fördern.<br />
Dazu zählen auch Ansätze, die wir im Dialog mit Oxfam entwickelt haben und unabhängig weiter verfolgen werden,<br />
wie die Verknüpfung unserer Mikroversicherung mit der satellitengestützten Ernteanalyse und die Idee eines Mikro-<br />
Warenterminmarktes für Bauern in Entwicklungsländern.<br />
Noch sorgen sie für den größten Umsatz<br />
in der <strong>Allianz</strong> Gruppe: 2011 fuhren <strong>Allianz</strong><br />
Vertreter weltweit Prämieneinnahmen von<br />
rund 34 Milliarden Euro ein, 30 Milliarden<br />
davon in Europa. Doch die Einnahmen bröckeln,<br />
die Kundenzahlen gehen zurück – seit Jahren<br />
schon. Ein neues Geschäftsmodell soll den<br />
Abwärtstrend stoppen.<br />
Shutterstock<br />
FRANK STERN<br />
»Das funktioniert wirklich«<br />
Es ist nicht der erste Anlauf, mit dem die <strong>Allianz</strong> ihren Vertreterkanal wieder auf Wachstum trimmen will. In der<br />
Vergangenheit gab es in Tochtergesellschaften und auf Gruppenebene schon etliche Projekte, aber den erhofften<br />
Durchbruch hat keines gebracht. Mit dem Agency Future Program (AFP), davon jedenfalls ist Projektleiter Johan van<br />
Tholen überzeugt, könnte sich das ändern. »Wir haben das Programm zusammen mit verschiedenen Gruppengesellschaften<br />
entwickelt und es in Deutschland und Frankreich ausgiebig getestet«, sagt er, »und es funktioniert<br />
wirklich.« Ein wenig klingt es so, als sei er davon selbst überrascht.<br />
Bevor das AFP Ende 2010 gestartet wurde, hatten van Tholen und sein internationales Team die aktuellen Defizite im<br />
europäischen Agenturvertrieb eingehend analysiert. Dabei stießen sie auf zwei grundlegende Probleme: Zum einen<br />
fehlen häufig aussagekräftige Kundendaten, die eine bedarfsgerechte Beratung erlauben. Zum anderen werden<br />
Kunden zu selten persönlich angesprochen, weil ihre Vertreter mit Verwaltungsarbeit eingedeckt sind. Im Schnitt wird<br />
gerade mal jeder fünfte Versicherungsnehmer umfassend betreut, der Rest kennt seinen Vertreter oft nur vom Hörensagen.<br />
Bei diesen Kunden ist die Gefahr, dass sie zur Konkurrenz wechseln, besonders groß. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 24<br />
STRATEGIE<br />
AGENCY FUTURE PROGRAM (AFP)<br />
Das AFP ist ein neues Geschäftsmodell für den Agenturvertrieb<br />
und ist aus einer Vielzahl von Vorschlägen und Ideen<br />
aus verschiedenen Gruppengesellschaften hervorgegangen.<br />
Es unterstützt die beteiligten Gruppengesellschaften mit<br />
einer gründlichen Analyse ihres Agenturvertriebs und passt<br />
den Ansatz auf die lokalen Eigenheiten und Anforderungen<br />
der verschiedenen Märkte an. Das Programm ist inzwischen<br />
in Deutschland, Frankreich, Indien, Italien, Österreich, der<br />
Schweiz, Spanien und Tschechien im Einsatz.<br />
Louis de Montferrand (li.) und Johan van Tholen<br />
Roth<br />
Dabei sind persönlicher Kontakt und individuelle Beratung die eigentlichen Stärken des Vertretervertriebs. »Das ist der<br />
Mehrwert, den kein anderer Vertriebsweg bietet«, hebt Louis de Montferrand hervor, der sämtliche Vertriebsinitiativen<br />
innerhalb der <strong>Allianz</strong> Gruppe leitet. »Wenn das nicht funktioniert, stellt sich irgendwann die Frage, wozu man diesen<br />
Verkaufskanal eigentlich noch braucht.« Möglichkeiten, sich anderweitig zu orientieren, gebe es schließlich genug.<br />
Genau an dieser Stelle setzt das AFP an.<br />
Wenn der Vertretervertrieb langfristig überleben soll, dann muss er nach Meinung von Vertriebsexperten sicherstellen,<br />
dass der Anteil jener Kunden mit mehr als einer Police deutlich steigt. Sie halten einem Unternehmen nicht nur<br />
länger die Treue, es rechnet sich auch eher, mehrere Verträge zu verwalten als mit fast demselben Aufwand nur einen.<br />
In den großen europäischen Märkten Deutschland, Frankreich und Italien gibt es da noch einigen Spielraum: Bislang<br />
verfügen die meisten <strong>Allianz</strong> Kunden dort über nur eine Versicherung.<br />
Auf dem Sofa<br />
Das Rezept dafür klingt relativ einfach: Mit der Verlagerung von Verwaltungsaufgaben in den Innendienst – von der<br />
Schadenaufnahme über die Terminvereinbarung bis hin zur Eingabe von Kundendaten – soll den Vertretern Luft<br />
verschafft werden, um sich mehr ihrer eigentlichen Aufgabe widmen zu können, der persönlichen Kundenbetreuung.<br />
»Damit besinnen wir uns wieder auf die Stärken des Agenturkanals«, sagt van Tholen. Und das Konzept scheint aufzugehen:<br />
Die Testphase in Deutschland und Frankreich hat gezeigt, dass sich mit der Umorganisation in den Agenturen<br />
eine Produktivitätssteigerung von über 25 Prozent erreichen lässt.<br />
Mehr Zeit auf dem Sofa allein dürfte allerdings kaum ausreichen, um Kunden bei der Stange zu halten. Nach Ansicht<br />
van Tholens, der wie alle seine Teamkollegen früher selbst im Vertrieb tätig war, muss sich am Beratungs- und Verkaufsprozess<br />
etwas ändern. Aktuell sei der weniger auf Interessen und Bedarf des Kunden ausgerichtet als auf den<br />
Absatz von Policen, bemängelt der Niederländer. »Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein. Die genaue Analyse der<br />
Kundensituation ist das wichtigste Element des AFP. Es ist die Basis für eine vertrauensvolle Kundenbeziehung.« Was<br />
seine Kunden wirklich brauchen, erfährt ein Vertreter freilich nur, wenn er mit ihnen in engem Kontakt steht und nicht<br />
nur alle Jubeljahre mal einen Infobrief verschickt.<br />
Um jedoch mit einiger Aussicht auf Erfolg in ein Kundengespräch zu gehen, müssen verlässliche Kundendaten zur Verfügung<br />
stehen. Auch so ein Schwachpunkt. Klare Regeln zum Sammeln und Verwalten von Kundeninformationen gibt<br />
es bislang ebenso wenig wie den automatischen Datenaustausch zwischen Innendienst und Agenturen. Die digitale Welt<br />
eröffnet für den Vertrieb enorme Chancen. Beispiel Frankreich: Dort erhalten Vertreter zu Anfang jeder Woche über das<br />
Agentursystem Lagon eine Liste jener Kunden, die sich nach Datenlage für ein Verkaufsgespräch besonders anbieten. Das<br />
System zeigt sogar deren Kaufneigung für bestimmte Produkte an, so dass sie gezielt darauf angesprochen werden können.<br />
Dass die Leute in Zeiten von Internet und Direktvertrieb lieber auf den Vertreterkontakt verzichten, lässt sich nach<br />
van Tholens Beobachtung so nicht bestätigen. »Viele sind weiterhin an einer professionellen Beratung interessiert, >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 25<br />
STRATEGIE<br />
gerade bei komplizierten Lebensfragen«, sagt er. »Da geht es auch um Vertrauen – die Domäne des Agenturvertriebs.«<br />
Diese Stärke aber lasse sich nur dann richtig nutzen, wenn ein Vertreter weiß, mit wem er es zu tun hat.<br />
Pläne und Wünsche<br />
Die <strong>Allianz</strong> Österreich hat schon vor einigen Jahren damit begonnen, dafür ganz systematisch die Basis zu schaffen.<br />
Mit ihrem Life Check-Modell rückte sie damals die Kundenberatung wieder in den Mittelpunkt des Verkaufsprozesses.<br />
Seither werden gezielt und strukturiert Informationen zur persönlichen Situation des Versicherungsnehmers abgefragt,<br />
ausführlich seine Pläne und Wünsche besprochen und Lösungen aufgezeigt, wie sie sich verwirklichen lassen.<br />
Der erfolgreiche Beratungsansatz der Österreicher beeinflusste die Entwicklung des Agency Future Program maßgeblich.<br />
In Deutschland ist er inzwischen als Pro3 im Breiteneinsatz, in Frankreich unter dem Namen S’Energy. Erste Testläufe<br />
haben auch dort deutlich bessere Verkaufsergebnisse und steigende Kundenzufriedenheitswerte ergeben. In Tschechien<br />
wurde das AFP-Projekt im April gestartet, im Mai in Spanien und Indien. »Das Konzept funktioniert überall«, sagt van<br />
Tholen. »Damit bleibt der Agenturvertrieb auch in Zukunft einer der wichtigsten Erfolgsgaranten der <strong>Allianz</strong>.«<br />
JOHAN.VAN_THOLEN@ALLIANZ.COM<br />
Vor mehr als zehn Jahren<br />
begann die <strong>Allianz</strong> damit,<br />
Tochtergesellschaften, die<br />
noch unter ihrer lokalen<br />
Marke auftraten, Schritt für<br />
Schritt unter ihr Markendach<br />
zu holen – in den meisten<br />
Ländern kein Problem, in<br />
manchen ein Fall für die<br />
Gerichte.<br />
Timmich<br />
FRANK STERN<br />
Wert und Wirkung<br />
Die Markenwächter: Tobias Unter-guggenberger,<br />
Patricia Schulz-Moll, Steffen Drögsler (v.l.)<br />
Bevor die kolumbianische Colseguros im Mai dieses Jahres in <strong>Allianz</strong> Colombia umbenannt werden konnte, hatten<br />
die Juristen der Rechtsabteilung der <strong>Allianz</strong> SE (Group Legal & Compliance) erstmal gut zu tun. Die Alianza Fiduciara,<br />
ein kleiner Vermögensverwalter aus Bogota, hatte wegen Verwechslungsgefahr geklagt – und er konnte auf ältere<br />
Markenrechte verweisen. »Normalerweise ist es anders rum«, sagt Tobias Unterguggenberger, der bei Group Legal >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 26<br />
STRATEGIE<br />
zusammen mit Steffen Drögsler für Markenschutz zuständig ist. Am Ende einigten sich beide Seiten auf eine außergerichtliche<br />
Lösung.<br />
So enden Markenkonflikte häufig. Nicht selten aber geht die <strong>Allianz</strong> auch als Sieger vom Platz. »Oft reicht es schon,<br />
wenn wir deutlich machen, über welche Markenrechte wir in dem jeweiligen Land verfügen«, sagt Unterguggenberger.<br />
2011 konnte die <strong>Allianz</strong> Unternehmen und Organisationen in Brasilien, Deutschland, Frankreich, der Slowakei, der<br />
Türkei und den USA überzeugen, auf die Verwendung des Begriffs <strong>Allianz</strong>, Alliance oder Alianza als Marke oder Namen<br />
zu verzichten. In einigen Fällen entschieden den Namensstreit Markenämter und Gerichte. »Unsere rechtlichen<br />
Durchsetzungsmöglichkeiten unterscheiden sich von Land zu Land, je nachdem wie stark und etabliert unsere eigene<br />
Marke ist und für welche Geschäftsbereiche sie dort verwendet wird«, erklärt Steffen Drögsler.<br />
Die <strong>Allianz</strong> hat ihre Marke inzwischen in der ganzen Welt registrieren lassen – außer in Ländern, in denen es generell<br />
keinen Markenschutz gibt, wie in Eritrea oder Somalia. Seit sie ernst macht mit ihrer Ein-Marken-Strategie, wurden<br />
bereits zahlreiche Tochterunternehmen auf die <strong>Allianz</strong> Marke umgestellt. 2007 kam Italien, 2009 Frankreich unters<br />
blaue Dach – wichtige Stationen auf dem Weg zu einer globalen Marke. Mittlerweile werden 80 Prozent des Umsatzes<br />
der Gruppe unter der <strong>Allianz</strong> Marke erwirtschaftet. 2007 waren es noch 65 Prozent. »Wir wollen in eine starke Marke<br />
investieren, statt die Kräfte auf fünf oder zehn aufzuteilen«, sagt Patricia Schulz-Moll von Group Market Management.<br />
Unter den Versicherern rangiert die <strong>Allianz</strong> beim Markenwert hinter Axa an zweiter<br />
Position, nimmt man die Banken mit in die Übersicht, an achter. Spitzenreiter unter<br />
allen Finanzdienstleistern ist American Express. Wertvollste Marke aller Branchen ist<br />
Coca Cola, die von Interbrand auf knapp 72 Milliarden Dollar taxiert wird<br />
MARKENWERTE<br />
Die Top 10 Finanzdienstleister, 2010<br />
Milliarden US Dollar 0 3<br />
6 9 12 15<br />
American Express<br />
JP Morgan<br />
HSBC<br />
Goldman Sachs<br />
Citi<br />
Axa<br />
Etablierte Marken sind so etwas wie ein Versprechen,<br />
eines, das Orientierung gibt und Vertrauen<br />
weckt und für das Kunden auch bereit sind, tiefer<br />
in die Tasche zu greifen. Bis sie im Bewusstsein<br />
der Menschen verankert sind, können allerdings<br />
Jahre vergehen. »Man muss bereit sein, dafür<br />
Geld in die Hand zu nehmen und die Marke als<br />
Wert betrachten«, erklärt Schulz-Moll. »Und man<br />
muss für dieses Ziel mitunter auch eine etablierte,<br />
lokale Marke aufgeben.«<br />
Beispiel Russland. Dort operierte die <strong>Allianz</strong> bis<br />
Anfang dieses Jahres mit drei Tochtergesellschaften<br />
unter verschiedenen Marken. Eine<br />
davon war Rosno, eines der bekanntesten Versicherungsunternehmen<br />
des Landes. Nach der<br />
Verschmelzung mit Industrieversicherer <strong>Allianz</strong><br />
Russia und Sachversicherer Progress Garant tritt<br />
Rosno seit April als <strong>Allianz</strong> Russland auf.<br />
Morgan Stanley<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Santander<br />
Visa<br />
Quelle: Interbrand<br />
Eine Umstellung, die ihre eigenen Risiken birgt.<br />
»In Russland machen wir uns für eine Übergangszeit<br />
weiter die Bekanntheit der lokalen<br />
Marke Rosno zunutze. Nach zwei Jahren steigen<br />
wir dann vollständig auf <strong>Allianz</strong> um«, erläutert >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 27<br />
STRATEGIE<br />
beide Fotos: <strong>Allianz</strong><br />
Umfirmierung mit Hindernissen – in Kolumbien klagte ein Vermögensverwalter<br />
gegen die Verwendung der Marke <strong>Allianz</strong>. Auch beim<br />
Wechsel von Mondial auf <strong>Allianz</strong> Global Assistance geht nicht immer<br />
alles glatt<br />
Schulz-Moll. Dabei konnte man nicht sicher sein, dass der Wechsel bei den Kunden auf ungeteilte Zustimmung stößt.<br />
Doch auch die Russen wissen Finanzstärke, internationales Renommee, Vertrauen und Zuverlässigkeit zu schätzen –<br />
gerade in unsicheren Zeiten wie diesen. In ihrer Markenkampagne hatte die <strong>Allianz</strong> diese Werte besonders herausgestellt.<br />
»Eine Kampagne mit russischem Feeling«, so Drögsler.<br />
Dass sich Investitionen in eine globale Marke auszahlen, lässt sich an dem Beitrag ablesen, den sie zum Unternehmenswert<br />
leisten kann. Laut Ranking des Markenberaters Interbrand Best Global Brands 2011 ist die <strong>Allianz</strong> Marke<br />
rund 5,4 Milliarden Euro wert und verzeichnete im letzten Jahr den höchsten Wertzuwachs unter den europäischen<br />
Finanzdienstleistern. Unter den globalen Versicherern wird nur Axa höher eingeschätzt (6,7 Milliarden Euro). Gut<br />
nachvollziehbar also, warum Unterguggenberger und seine Kollegen mit Argusaugen über die Marke wachen. Eine<br />
Verwässerung würden Wert und Wirkung erheblich mindern.<br />
Im Moment sind die Markenwächter noch mit der Umstellung von Mondial Assistance auf <strong>Allianz</strong> Global Assistance<br />
beschäftigt. Der Wechsel von Rot auf Blau in 28 Ländern erstreckt sich über mehrere Jahre. »Klar, dass ein Rebranding<br />
in diesen Dimensionen mitunter Sonderlösungen erfordert«, erläutert Tobias Unterguggenberger.<br />
In Italien etwa wird der Reiseversicherer und Pannenhelfer nur als <strong>Allianz</strong> Assistance auftreten: Um sich nicht mit<br />
dem dortigen Wettbewerber Global Assistance ins Gehege zu kommen, verzichtet man dort auf den Zusatz Global.<br />
Zudem bleibt für einige ausgewählte Großkunden die Marke Mondial Assistance erhalten, weil sie, wie etwa Air France,<br />
mit anderen Versicherern verbunden sind. Ein Link von der Internetseite der französischen Fluglinie auf das Portal<br />
eines Reiseversicherers unter dem <strong>Allianz</strong> Logo käme da nicht besonders gut an.<br />
Solche Sonderlösungen könnten bald noch häufiger nötig werden, denn mit ihrem Assistance-Unternehmen will<br />
die <strong>Allianz</strong> in Zukunft auch in neue Geschäftsfelder vorstoßen, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. »Da«, glaubt<br />
Unterguggenberger, »warten dann wieder neue Herausforderungen für die Markenführung.«<br />
WWW.INTERBRAND.COM
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 28<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Stern<br />
Russland – ein Land, das es sich<br />
leisten kann, zwei Zeitzonen<br />
abzuschaffen und dann immer<br />
noch neun davon zu haben; ein<br />
Land, in dem die Zwiebeltürme aus<br />
dem Boden schießen wie Pilze nach<br />
einem Sommerregen; ein Land, in<br />
dem es den Männern gelungen ist,<br />
ihre Lebenserwartung mit Wodka<br />
und Tabak auf 62 Jahre zu drücken,<br />
in dem der Präsident und der<br />
Regierungschef in regelmäßigen<br />
Abständen die Ämter tauschen und<br />
Autos in bar bezahlt werden. Reise<br />
in ein Land, das mit dem Verstand<br />
nicht zu fassen ist.<br />
TEXTE: FRANK STERN<br />
Im Land der Zwiebeltürme<br />
Birken. Birken, so weit das Auge reicht. Wer sich mit dem Zug in die russische Provinz aufmacht – und die beginnt<br />
gleich am Stadtrand von Moskau –, landet unweigerlich im Birkenwald. Die Kanadier haben ihren Ahorn, die<br />
Deutschen ihre Eiche. Die Russen haben Birken. »Die halten viel aus«, sagt Olga, unsere Begleiterin. Die meisten<br />
Russinnen heißen übrigens Olga. Vera Alexandrowna Emelina ist eine der wenigen Ausnahmen. Doch dazu später.<br />
Ein weiteres prägendes Element des Landes, in dem weniger Menschen als in Bangladesh auf einem mehr als<br />
hundertmal so großen Territorium leben, sind die Zwiebeltürme. Bunt und golden, verspielt und prall kugeln sie in<br />
immer größerer Zahl in den russischen Himmel und künden nach Jahrzehnten frevelhafter Gottlosigkeit von der<br />
Wiederauferstehung der russisch-orthodoxen Kirche. Keine Bibelseite passt zwischen ihr Oberhaupt, Patriarch Kirill,<br />
und Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den der Kirchenmann auch schon mal gern als Geschenk Gottes preist. ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 29<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Shutterstock<br />
Stern<br />
Nicht jeder im Land hält den aktuellen Präsidenten für einen Segen, zumindest in der Hauptstadt des Riesenreichs hat<br />
sich spürbare Opposition gegen Putins System der »gelenkten Demokratie« formiert. Doch hinter den Birkenwäldern<br />
scheint der Rückhalt für den einstigen KGB-Offizier ungebrochen. Auch wenn er nicht alles gutheiße, was der Kreml<br />
verordne, könne man nicht leugnen, dass Putin dem Land ein gewisses Maß an Stabilität verschafft habe, meint einer<br />
unserer Gesprächspartner. »Außer ihm ist derzeit niemand in Sicht, der das Land führen könnte.«<br />
Extrem anfällig<br />
Mit der Stabilität freilich könnte es schnell vorbei sein, wenn die Weltmarktpreise für Öl und Gas in den Keller gehen,<br />
an die Wohl und Wehe Russlands gekoppelt sind, sagt Professor Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft<br />
und Politik in Berlin (siehe Interview Seite 9). Die Rohstoffwirtschaft macht das Land extrem anfällig für Konjunkturschwankungen<br />
auf dem Weltmarkt. Als vor drei Jahren die Preise für Rohöl an den internationalen Börsen einbrachen,<br />
sank das Bruttoinlandsprodukt Russlands um acht Prozent.<br />
Doch keiner bestreitet, dass das Land, von dem der Lyriker Fjodor Tjutschew einst meinte, es sei mit dem Verstand<br />
nicht zu fassen, über ein ungeheures Potenzial verfügt. Viele westliche Unternehmen jedenfalls setzen auf anhaltenden<br />
Aufschwung und nehmen bereits gezielt die wachsende Riege wohlhabender Russen ins Visier. Bei einem<br />
Pressetermin im Juli in St. Petersburg schätzte BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson die Zahl der russischen Haushalte<br />
mit einem Jahreseinkommen von mindestens 60 000 Dollar auf sieben Millionen. Robertson rechnet damit, dass<br />
sich das Kontingent zahlungskräftiger Russen bis 2025 verdoppeln wird. In diesem Jahr peilt BMW den Absatz von<br />
30 000 Fahrzeugen in Russland an, zehnmal so viele wie 2003.<br />
Der Grad des Fortschritts lässt sich auch an einem<br />
anderen Indikator ablesen, weniger spektakulär als<br />
eine deutsche Luxuskarosse, doch für die Zukunft<br />
des 140 Millionen-Volkes wohl von größerer<br />
Bedeutung: die Zahl der Lebensversicherungen<br />
im Land. Viele Russen sind heute im Alter auf die<br />
Unterstützung ihrer Kinder angewiesen. Wo die<br />
fehlt, wird es eng – die staatliche Unterstützung ><br />
Wie viele andere westliche Firmen setzt auch BMW auf die<br />
wachsende Schicht wohlhabender Russen. In diesem Jahr will der<br />
deutsche Autobauer in Russland 30 000 Fahrzeuge verkaufen<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 30<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Stern<br />
Die Christ-Erlöser-Kathedrale an der Moskwa (Bild oben) war<br />
im Februar Bühne eines Anti-Putin-Auftritts der Gruppe Pussy Riot.<br />
Avantgarde, Dekadenz und Flower Power liegen in Moskau nah<br />
beieinander<br />
ist minimal. Private Vorsorge könnte Abhilfe schaffen, doch mit acht Dollar pro Kopf und Jahr bewegt sich die Lebensversicherung<br />
noch immer auf äußerst niedrigem Niveau. Sachversicherungen, vor allem die fürs Auto, lassen sich die<br />
Russen dagegen jährlich im Schnitt 295 Dollar kosten, die meist bar an die Versicherungsvertreter gezahlt werden.<br />
Russland ist nach wie vor eine Cash-Gesellschaft. Nach etlichen Finanzkrisen, bei denen viele Menschen all ihr Erspartes<br />
verloren, tendiert das Vertrauen in Banken gegen null. Selbst der Kaufpreis fürs Auto – für einen BMW geht das schon<br />
mal locker über die 100 000 Euro-Grenze – wird gelegentlich bar beglichen, »mit Rubel aus der Plastiktüte«, wie ein<br />
<strong>Journal</strong>ist neulich notierte. Doch das hat vermutlich andere Gründe.<br />
Für internationale Firmen ist der russische Markt seit jeher schwieriges Terrain. So schwierig, dass etliche Auslandsunternehmen<br />
die Segel inzwischen schon wieder gestrichen haben. Hakan Danielsson, seit Juli 2011 Chef der<br />
russischen <strong>Allianz</strong> Tochter Rosno, kennt die Hürden, wie zum Beispiel, dass mancher Industriebereich für ausländische<br />
Versicherer tabu ist – aus Gründen der nationalen Sicherheit. Auf der anderen Seite steht Danielsson mit Behörden<br />
und Branchenvertretern durchaus in regem Austausch. »Die Russen sind sehr an unseren Erfahrungen aus anderen<br />
Märkten interessiert«, sagt der Schwede. »Welche Versicherungen sollten zur Pflicht gemacht werden, welche nicht?<br />
Wie lässt sich eine nachhaltige Altersvorsorge etablieren, wie die Krankenversicherung entwickeln – alles Fragen, zu<br />
denen sie unsere Meinung hören wollen.«<br />
Willfährige Justiz<br />
Reformbedarf gibt es nicht nur im Versicherungsbereich, auch das russische Justizwesen hinkt der Entwicklung hinterher.<br />
»Zu Sowjetzeiten waren die Gerichte ein Instrument des Staates«, sagt Danielsson. »Und auch heute sind sie nicht<br />
wirklich unabhängig. Das ist ein Problem.« Von dem gerade erfolgten Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation<br />
WTO – nach 18 Jahren Verhandlungen – versprechen sich ausländische Investoren nun eine deutliche Verbesserung<br />
des Geschäftsklimas und größere Rechtssicherheit. Russische Unternehmen dagegen sehen der Marktöffnung mit<br />
gemischten Gefühlen entgegen, müssen sie sich doch künftig gegen internationale Konkurrenz behaupten.<br />
Die Sommerabende an der Moskwa versöhnen für ein paar Stunden mit all den Unzulänglichkeiten, die ein Land<br />
prägen, das seit mehr als 25 Jahren einen Umbruch nach dem anderen durchlebt hat. Vergessen das Chaos am<br />
Flughafen, die Staus auf den Straßen, die runtergekommenen Plattensiedlungen. Moskau ist jung und laut und schrill.<br />
Die neureiche Schicht haut die Rubel in den angesagten Restaurants raus, als gäbe es kein Morgen, die anderen treffen<br />
sich auf ein paar Bier im Park und machen Musik. Es scheint, als wolle die Zehn-Millionen-Metropole die westliche<br />
Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte im Zeitraffer nachholen. Avantgarde und Dekadenz und Flower Power –<br />
alles liegt nah beieinander. ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 31<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Hinter der Christ-Erlöserkirche auf der anderen Seite der Moskwa geht die Sonne unter und taucht den Fluss in ein<br />
weiches Licht. Im Februar hatten dort drüben Mitglieder der Frauenpunkband Pussy Riot den Altar gestürmt und<br />
die Muttergottes angefleht, Russland von Putin zu erlösen. Monatelang saßen drei von ihnen in Untersuchungshaft.<br />
Patriarch Kirill hatte in dem Stunt den Teufel höchstselbst am Werk gesehen.<br />
Ein paar irre Motorradfahrer jagen mit Überschallgeschwindigkeit die Uferstraße entlang, Stretchlimos fahren betont<br />
langsam vorbei, und auf der Moskwa-Brücke entledigt sich ein junges Mädchen ihres T-Shirts, um barbusig ihre Chance<br />
auf eine billige Mitfahrgelegenheit zu erhöhen. Taxis kosten in Moskau ein Vermögen. Lange warten muss sie nicht.<br />
Sinn für Chancen<br />
Stern<br />
Wie man einen Marktführer lenkt, hat Hakan Danielsson schon<br />
vorgemacht. Jetzt soll er zeigen, wie man einer wird. Da hat er<br />
einiges vor sich: Noch ist die <strong>Allianz</strong> in Russland von der Spitze<br />
ein gutes Stück entfernt.<br />
»Schweden ist echt langweilig«, sagt Hakan Danielsson über seine<br />
Hakan Danielsson<br />
Heimat. »Alles dort ist so geordnet und stabil.« Nichts für einen Mann,<br />
für den der Weg das Ziel ist. Inzwischen kann sich der 51-Jährige über<br />
Langeweile nicht mehr beklagen. Ordnung und Stabilität jedenfalls sind eher nicht die Attribute, die einem auf Anhieb<br />
zu Russland einfallen würden, wo Danielsson seit gut einem Jahr lebt. Bevor er nach Moskau kam, war er einige Jahre<br />
Chef von Länsförsänkringar – Marktführer unter Schwedens Sachversicherern. »Wenn wir unseren Anteil um 0,2 Prozent<br />
ausbauen konnten, war das schon ein Grund zum Feiern«, erzählt er. »So was macht einfach keinen Spaß.«<br />
Vor gut einem Jahr holte ihn <strong>Allianz</strong> Chef Michael Diekmann an die Spitze von Unternehmenstochter Rosno. Obwohl<br />
in Russland weithin ein Begriff, liegt Rosno im Sachgeschäft aktuell nur auf Rang acht, in der Lebensversicherung auf<br />
Platz sechs – außerhalb des Bereichs, den Diekmann für ein Weltunternehmen für angemessen hält.<br />
»Wir haben das Ziel, unter den ersten drei zu sein«, erklärte er im Juli in einem Interview mit der russischen Zeitung<br />
Vedomosti. Nur dann sei man in einer Position, den Markt aktiv mitzugestalten. Allerdings müsse Russland auch bereit<br />
sein, der <strong>Allianz</strong> eine solche Position zuzugestehen, so Diekmann weiter. »Wir wissen wie’s geht. Wir wissen wie man<br />
das Versicherungsgeschäft nachhaltig betreibt und können unsere ganze Expertise einbringen.«<br />
Auch beim Thema saubere Unternehmensführung. Aktuell steht Russland im Korruptionsindex von Transparency<br />
International an Position 143. Durchstechereien sind in der russischen Geschäftswelt gang und gäbe, und wer das<br />
Spiel nicht mitspielt, hat nicht selten das Nachsehen. »Zuweilen geht uns dadurch Geschäft verloren«, bestätigt Hakan<br />
Danielsson. Auf der anderen Seite suchten gerade internationale Unternehmen Geschäftspartner mit weißer Weste.<br />
»Solche wie uns.« ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 32<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Stern<br />
Seit April tritt die frühere Rosno zusammen<br />
mit der Industrieversicherungssparte<br />
und Progress Garant als <strong>Allianz</strong> Russland auf<br />
Bei einem Treffen mit rund 500 Mitarbeitern verschiedener Gruppengesellschaften im Juli in Moskau unterstrich<br />
Michael Diekmann die Bedeutung von Image und Reputation, gerade in Zeiten, da Finanzdienstleistern weithin Misstrauen<br />
entgegenschlägt. Er würde eher auf ein lukratives Geschäft verzichten, als den Ruf des Unternehmens aufs<br />
Spiel zu setzen, hob der Konzernchef hervor. Dass Rosno seit April landesweit unter dem Namen <strong>Allianz</strong> auftritt, sieht<br />
Diekmann daher auch als Verpflichtung für das Management vor Ort. »Es gibt in der Geschäftswelt keinen größeren<br />
Vertrauensbeweis als die Übertragung der Markenrechte an ein Tochterunternehmen«, sagt er.<br />
Gleichzeitig mit der Umfirmierung wurden die Sach- und Industrieversicherer Progress Garant und <strong>Allianz</strong> Russia mit<br />
Rosno zusammengeführt. Dass dabei nicht alles rund lief, daraus macht Hakan Danielsson keinen Hehl. Etliche Mitarbeiter<br />
sind im Zuge der Neustrukturierung denn auch abgesprungen, und es waren nicht immer die schlechtesten.<br />
Danielsson will nun ein neues Kapitel aufschlagen, und er scheint den richtigen Ton zu treffen – im wahrsten Sinne:<br />
Schon nach einem Jahr beherrschte der studierte Mathematiker erstaunlich gut Russisch. »Nicht perfekt«, sagt er, »aber<br />
die Leute verstehen mich.« Monatelang hatte er dafür nach der Arbeit noch bis in die Nacht gebüffelt.<br />
Der Vater eines Sohns und einer Tochter mag die Sprache, und er hat einen guten Draht zu den Menschen. »Schweden<br />
und Russen haben viel gemeinsam«, findet er. »Wir spielen Eishockey, wir lieben die Jagd und gehen fischen. Wir<br />
haben unsere Datschen im Wald und wir haben unsere Saunen. Man könnte sagen, Schweden ist eine Miniversion<br />
von Russland.« Nur, wie schon erwähnt, um einiges langweiliger. Danielsson zieht Wachstumsmärkte wie Russland<br />
vor. »Es passiert einfach mehr – in positiver wie in negativer Hinsicht«, sagt er. »Und man kann stärker Einfluss auf<br />
Entwicklungen nehmen.«<br />
Mittlerweile hat er sich im ganzen Land umgesehen und sich den Mitarbeitern in vielen der 92 Niederlassungen<br />
zwischen Kaliningrad und Kamtschatka vorgestellt. Gefragt, welcher Ort ihm bei seinen Reisen am besten gefallen<br />
hat, muss er nicht lange überlegen: »Wladiwostok«, sagt er, die Stadt ganz fern im Osten am Japanischen Meer.<br />
»Es sieht aus wie San Francisco«, schwärmt Danielsson. »Sonne auf den schneebedeckten Hügeln, unten der Hafen –<br />
unbeschreiblich.«<br />
Sjukow<br />
Bei seinen Begegnungen sei er bei den Russen<br />
auf einen enormen Unternehmergeist getroffen,<br />
preist er die Qualitäten der Einheimischen. Und als<br />
sein deutscher Gesprächspartner dies mit einem<br />
ungläubigen Blick quittiert – eine russische Autorin<br />
hat ihr Land erst kürzlich wieder als groß und träge<br />
beschrieben –, legt Danielsson nach. Anders als ><br />
<strong>Allianz</strong> Chef Michael Diekmann stellte sich in Moskau den Fragen<br />
der Mitarbeiter zur Zukunft der <strong>Allianz</strong> in Russland<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 33<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
die Deutschen seien die Russen weit experimentierfreudiger, sagt er: »Sie probieren Dinge aus, und wenn sie nicht<br />
klappen, versuchen sie einen anderen Weg. Russen haben einen Sinn für Chancen, die Deutschen bilden eine Arbeitsgruppe<br />
und entwickeln Pläne.«<br />
Das wäre also auch geklärt.<br />
WWW.ALLIANZ.RU<br />
Moskau<br />
RUSSLAND<br />
Die <strong>Allianz</strong> in Russland<br />
1991 Gründung der Ost-West <strong>Allianz</strong><br />
(später <strong>Allianz</strong> Russia)<br />
2002 die <strong>Allianz</strong> beteiligt sich mit 45 Prozent<br />
an Rosno<br />
2003 Gründung der Rosno Lebensversicherung<br />
2007 die <strong>Allianz</strong> wird alleiniger Eigentümer von Rosno<br />
2010 die <strong>Allianz</strong> startet das Pensionsfondsgeschäft in Russland<br />
2012 Rosno, Progress Garant und <strong>Allianz</strong> Russia werden<br />
zusammengeführt und treten im Markt gemeinsam<br />
unter der Marke <strong>Allianz</strong> auf<br />
SACHVERSICHERUNG ROSNO<br />
• Umsatz 2011 535 Millionen Euro<br />
• Marktposition acht<br />
• 5400 Mitarbeiter<br />
• 10 000 Vertreter<br />
LEBENSVERSICHERUNG ALLIANZ ROSNO LIFE<br />
• Umsatz 2011 60 Millionen Euro<br />
• Marktposition sechs<br />
• 370 Mitarbeiter<br />
• 4500 Vertreter<br />
Versicherungsmarkt Russland<br />
Bevölkerung 140 Millionen<br />
Territorium<br />
17 Millionen Quadratkilometer<br />
VERSICHERUNGSDURCHDRINGUNG<br />
(Prämien in Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2011)<br />
• Gesamtgeschäft 2,4 Prozent<br />
• Lebensgeschäft 0,1 Prozent<br />
• Sachgeschäft 2,3 Prozent<br />
• Position weltweit 53<br />
VERSICHERUNGSDICHTE 2011<br />
Prämien Lebensversicherung pro Kopf acht US-Dollar<br />
Prämien Sachversicherung pro Kopf 295 US-Dollar<br />
(Angaben: Swiss Re, sigma Nr. 3/2012)<br />
(Angaben: <strong>Allianz</strong> Russland)<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 34<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Geschichten<br />
von der Wolga<br />
Stern<br />
Die Wolga ist mit mehr als 3500 Kilometern der längste Fluss Europas<br />
Bei einem ihrer ersten Kundenbesuche flog Vera Alexandrowna Emelina gleich wieder raus, kaum dass<br />
sie das Wort Versicherung auch nur ausgesprochen hatte. Heute ist die studierte Physikerin Chefin des<br />
Wolga-Direktorats der <strong>Allianz</strong> Russland. Das Gebiet ist größer als Polen.<br />
Es gab Zeiten, da arbeitete Vera Alexandrowna Emelina als Ingenieurin am sowjetischen Raumfahrtprogramm mit.<br />
Zehn Jahre lang. Dann hob Michail Gorbatschow die Welt aus den Angeln, das Sowjetreich zerbrach, und Emelina, die<br />
ihr Fach theoretische Physik an der Uni einst mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, verlor ihren Job. Für den Griff<br />
nach den Sternen hatte das Land kein Geld mehr.<br />
Vera Emelina gehört zu jener Generation von Russen, deren Lebensplanung durch den gesellschaftlichen Umbruch<br />
vor 20 Jahren auf den Kopf gestellt wurde. »Mit der Perestroika änderte sich alles«, sagt sie. »Und eher zum Besseren.«<br />
Emelina versuchte, in der neuen Ordnung einen Platz zu finden, sattelte um und schlug sich in ihrer Heimatstadt<br />
Nischni Nowgorod zunächst mit dem Verkauf von Versicherungen durch. Sie ließ sich auch von Rückschlägen wie<br />
bei jenem Chef einer Bäckerei nicht abschrecken, der sie, kaum dass sie den Fuß in der Tür hatte, wieder rauswarf.<br />
»Er hatte mit seiner alten Versicherungsgesellschaft ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht«, erzählt sie. »War ein<br />
ungünstiger Zeitpunkt.« Heute ist er einer ihrer treuesten Kunden.<br />
Auch Jewgeni Garin, Leiter der <strong>Allianz</strong> Agentur in Jaroslawl an der Wolga, knapp 300 Kilometer nordöstlich von Moskau,<br />
ist ein Quereinsteiger. Nach dem Studium, das er noch unterm roten Stern begonnen hatte, stand er erstmal auf<br />
der Straße. Wie viele andere damals versuchte er sein Glück als fliegender Händler. Alles, was sich irgendwie zu Geld<br />
machen ließ, Garin kaufte und verkaufte. Keine schlechte Schule: 1996, nach drei Jahren Durststrecke, schaffte er es in<br />
die Vertriebsabteilung einer lokalen Brauerei. Seit 2007 leitet er die Rosno-Filiale in Jaroslawl. Inzwischen leuchtet am<br />
Bürogebäude das <strong>Allianz</strong> Logo.<br />
64 Millionen Rubel, rund 1,6 Millionen Euro, haben er und seine 25 Mitarbeiter in Jaroslawl und Umgebung im letzten<br />
Jahr an Prämien eingenommen. Mit 27 Millionen Rubel ist die Firmenversicherung der größte Beitragsposten – Energie, ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 35<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
»Russische Frauen können alles«,<br />
findet Vera Emelina, »auch schwierige<br />
Kunden erweichen. Männer sind zu<br />
undiplomatisch und zu wenig kompromissbereit.«<br />
Irina Petrjankina,<br />
Marina Pogudina und Tatjana Pintschuk<br />
(v.l.) sind ihre besten Verkäuferinnen<br />
privat<br />
alle Fotos: Stern (wenn nicht anders angegeben)<br />
Vera Emelina<br />
In Jaroslawl können sich Sergej Milykh (li.) und Ilja<br />
Muraschow dagegen ganz gut neben der Topverkäuferin<br />
Elena Balnikowa behaupten<br />
Chemie, Transport. Jaroslawl, eine alte Handelsmetropole mit tausendjähriger Geschichte, ist nicht nur beliebtes<br />
Touristenziel, sondern auch ein wichtiger Industriestandort. In diesem Jahr will Garin die Prämieneinnahmen um zehn<br />
Millionen Rubel steigern.<br />
Bar auf die Hand<br />
Während Firmen in Russland ihre Versicherungsprämien per Bank überweisen, zahlen Privatkunden ihre Beiträge<br />
dem Vertreter bar auf die Hand. Der liefert das Geld regelmäßig in der <strong>Allianz</strong> Filiale ab, wo es zunächst im Tresor und<br />
dann auf der Bank landet. Es ist ein aufwändiges und intransparentes Verfahren, das auch <strong>Allianz</strong> Russland-Chef Hakan<br />
Danielsson Kopfschmerzen bereitet: »Solche Geldströme sind nur schwer zu kontrollieren.« Er setzt darauf, dass mit<br />
fortschreitender Verbreitung des Internets immer mehr Kunden auf Online-Banking umsteigen. Dann könnte Garin<br />
seinen Safe ausmustern.<br />
Wie seine Kollegin Emelina in Nischni Nowgorod hat auch Garin nie daran gedacht, seine Stadt Richtung Moskau zu<br />
verlassen, obwohl das Gehaltsniveau in der Hauptstadt zwei- bis dreimal höher ist als in der Provinz. Die paar mal, die<br />
er zu Besprechungen in die Zentrale muss, reichen ihm vollkommen, sagt der 44-Jährige. Garin liebt die Wolga, der<br />
Traum eines jeden Anglers. Seine Datscha liegt 70 Kilometer von der Stadt entfernt, das Brennholz für Ofen und Sauna<br />
schlägt er selbst. Im Winter – die Temperaturen können dann locker die Marke von minus 20 Grad unterschreiten –<br />
geht er mit seiner Tochter Eisbaden. Der dreijährige Sohn ist für solche Abenteuer noch zu klein.<br />
Man könnte sagen, Garin hat es geschafft. Nicht verwunderlich, dass er die neue Zeit als Befreiung empfindet. Waren<br />
die Lebensumstände der meisten früher annähernd gleich, gibt es heute allerdings massive Unterschiede. Dennoch<br />
zieht Garin ein System vor, in dem es jeder selbst in der Hand hat, etwas aus seinem Leben zu machen. »Es geht gar<br />
nicht darum, reich zu sein«, sagt er. »Viel wichtiger ist die Freiheit, über sein Leben selbst zu bestimmen und Chancen<br />
zu nutzen.« Die jüngere Generation hat da oft etwas andere Vorstellungen. »Die sind zum Teil schon sehr fordernd«,<br />
hat Garin festgestellt. Die Anspruchshaltung des potenziellen Nachwuchses macht es ihm jedenfalls nicht immer<br />
leicht, neue Mitarbeiter zu finden: »Die Jungen wollen alles auf einmal – und das sofort.« ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 36<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
In Jaroslawl, 300 Kilometer<br />
nordöstlich von Moskau an der<br />
Mündung des Flusses Kotorosl<br />
in die Wolga gelegen, leben<br />
heute fast 600 000 Einwohner<br />
Stern<br />
Renaissance des Glaubens<br />
Vera Emelina, Direktionsleiterin in Nischni<br />
Nowgorod, 400 Kilometer die Wolga stromabwärts,<br />
hat mit dem Nachwuchs weniger<br />
Probleme. Sie rekrutiert viele Mitarbeiter direkt<br />
von der Uni, das Gros ihrer Vertreter hat einen<br />
höheren Schulabschluss. »Die meisten jungen Leute bleiben hier«, sagt sie, »Nachwuchssorgen haben wir keine.« Was<br />
auch für die Bevölkerung insgesamt gilt. Die Renaissance des Glaubens habe dazu geführt, dass sich Familien wieder<br />
für mehr Kinder entschieden, sagt die Mutter von zwei Jungen und zwei Mädchen. Ihre jüngste Tochter hat sie aus<br />
einem Waisenhaus adoptiert.<br />
14 Geschäftsfilialen mit insgesamt 1200 Vertretern gehören zu Emelinas Reich. Und wo andere zu kämpfen haben,<br />
damit verdient sie Geld. »Die Autoversicherung ist unser profitabelstes Geschäftssegment«, sagt die Direktionschefin,<br />
die mit Nischni Nowgorod gleichzeitig auch die erfolgreichste Filiale der Region führt. »Das funktioniert natürlich nur,<br />
wenn man die richtige Risikoauswahl trifft«, sagt sie. So ist zum Beispiel der gesamte Fuhrpark der Regionalverwaltung<br />
von Nischni Nowgorod über Emelinas Geschäftsstelle versichert – 18 Millionen Rubel an Prämieneinnahmen pro Jahr.<br />
Schadenmeldungen gibt es so gut wie keine: Werden die Beamten in einen Verkehrsunfall verwickelt, haben immer<br />
die anderen schuld.<br />
Stern<br />
Weniger glücklich ist die Direktionschefin mit dem Bereich Agrarversicherung. »Das ist ein sehr risikoreiches Geschäft,<br />
mit dem sich kaum Geld verdienen lässt«, lautet ihr Resümee. »Sämtliche Einnahmen müssen wir an Schäden wieder<br />
auszahlen.« Auch dieses Jahr gab es keine Entspannung: Entlang der Wolga, im Süd-Ural und in Westsibirien verursachte<br />
anhaltende Dürre schwere Ernteausfälle. An einigen Orten<br />
holten sich Gebietsfunktionäre und Bauern in ihrer Verzweiflung<br />
göttlichen Beistand an die Seite: Priester der orthodoxen Kirche<br />
hielten öffentliche Messen ab, in denen die versammelte Gemeinde<br />
für Regen betete.<br />
Von einem durchschlagenden Erfolg geht das russische Landwirtschaftsministerium<br />
offenbar nicht aus. Für dieses Jahr hat es seine<br />
Prognosen für die Getreideernte auf 80 bis 85 Millionen Tonnen<br />
gesenkt – zehn bis 15 Millionen Tonnen weniger als 2011.<br />
Denkmäler für Minin und Poscharski, den Anführern des<br />
Volksaufstandes 1611 gegen die polnische Invasion, finden sich<br />
wie hier in Nischni Nowgorod in vielen Städten Russlands<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 37<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Die <strong>Allianz</strong> ist an der Versicherung des neuen<br />
Zenit-Stadions in St. Petersburg (Bild rechts)<br />
und des Olympischen Dorfs in Sotschi beteiligt<br />
dpa / picture-alliance<br />
Unbegrenzte Möglichkeiten<br />
Für einen Industrieversicherer wie <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty (AGCS) ist Russland so etwas wie das Land der<br />
unbegrenzten Möglichkeiten. Theoretisch zumindest. In der Praxis tun sich bislang allerdings doch etliche Hürden auf.<br />
Eine davon ist der weiterhin beträchtliche staatliche Einfluss und die Abschottung verschiedener Wirtschaftsbereiche<br />
gegen ausländische Anbieter. Zudem decken viele Großkonzerne ihre Risiken intern über so genannte Captives, was<br />
dem Versicherungsmarkt einen Großteil des Geschäfts entzieht. Andere, wie Gazprom, mischen selbst im Versicherungsmarkt<br />
mit.<br />
Ein weiteres Handicap ist die generell geringe Neigung der Russen, sich gegen mögliche Gefahren abzusichern. Das<br />
gilt nicht nur für den kleinen Mann auf der Straße. Auch viele Firmen sind entweder gar nicht oder notorisch unterversichert,<br />
sagt Willy Schaugg, Landesmanager der AGCS für Russland, die bisher als <strong>Allianz</strong> Russia auftrat und seit April<br />
unter dem Dach der <strong>Allianz</strong> Russland angesiedelt ist.<br />
Trotz der schwierigen Ausgangslage ist es der russischen Industrieversicherungssparte der <strong>Allianz</strong> zwischen 2006<br />
und 2011 gelungen, den Umsatz von 38 Millionen Dollar auf 100 Millionen Dollar zu steigern. Und das keineswegs<br />
nur durch die Kooperation mit Auslandsunternehmen, die von ihr in Russland betreut werden wie Toyota oder VW<br />
oder Siemens. Mittlerweile ist AGCS auch in der russischen Wirtschaft eine gefragte Adresse. Von der engeren Anbindung<br />
der Industriesparte an die <strong>Allianz</strong> Russland verspricht sich deren Chef Hakan Danielsson für die Zukunft noch<br />
größere Durchschlagskraft.<br />
»Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das in Wladiwostok eine Produktionsstätte errichten will«, entwickelt der<br />
Schwede ein mögliches Szenario. »Einer unserer lokalen Repräsentanten steht als direkter Kontakt vor Ort zur Verfügung,<br />
und am nächsten Tag fliegt ein <strong>Allianz</strong> Experte aus den USA ein, um die für diesen Betrieb spezifischen Risiken<br />
zu analysieren.« Das sei ein wirklich starkes Signal in den Markt, so Danielsson. Kein anderes Unternehmen könne mit<br />
einer solchen Kombination aus lokaler Präsenz und globalem Know-how aufwarten.<br />
Trotz der noch vorhandenen Hürden: Werner Lellinger, bis April Geschäftsführer der Industriesparte <strong>Allianz</strong> Russia,<br />
sieht deutliche Fortschritte. »Der Markt öffnet sich immer mehr. Nicht zuletzt, weil auch für russische Unternehmen<br />
die finanzielle Stabilität ihrer Versicherung zunehmend zum Thema wird«, beschreibt er die Lage. »Sie schätzen das<br />
hohe Rating der <strong>Allianz</strong>.« Mit rund 60 der 150 größten, an der russischen Börse notierten Unternehmen hat die <strong>Allianz</strong><br />
inzwischen Versicherungsverträge abgeschlossen, darunter Sovcomflot, eines der weltweit größten Tankerunternehmen,<br />
oder mit den Energiegiganten Gazprom, Lukoil und Rosneft. ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 38<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Russland will in den nächsten Jahren<br />
Milliarden in den Ausbau des Streckennetzes<br />
und den Kauf moderner Züge stecken. Der<br />
Sapsan von Siemens verkehrt bislang nur auf<br />
den Strecken Moskau – St. Petersburg und<br />
Moskau – Nischni Nowgorod<br />
Stern<br />
Einen Schub erwarten sich Schaugg und<br />
Lellinger auch von den sportlichen Großereignissen,<br />
die in den kommenden Jahren<br />
in Russland anstehen: die Weltsommerspiele<br />
der Studenten 2013, die Olympischen Winterspiele<br />
2014, die Eishockey-WM 2016 und die<br />
Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Allein für<br />
die Fußball-WM beziffert das russische Sportministerium<br />
den Investitionsbedarf auf knapp 16 Milliarden Euro. Die <strong>Allianz</strong> ist unter anderem an der Rückversicherung<br />
für den Bau des Zenit-Stadions in St. Petersburg beteiligt, und auch einige Projekte für die Winterspiele in Sotschi,<br />
wie die Eishockeyarena und das Olympische Dorf, stehen auf ihrer Liste.<br />
Doch die Perspektiven gehen über die mit solchen Großveranstaltungen verbundenen Investitionen hinaus. In den<br />
kommenden Jahren wird Russland enorme Summen in seine marode Infrastruktur stecken müssen, will es im Wettbewerb<br />
mit anderen Staaten nicht zurückfallen. Allein für Ausbau und Erneuerung des Schienennetzes und die<br />
Anschaffung neuer Züge will die Regierung bis 2030 rund 380 Milliarden Euro aufbringen – ein Konjunkturprogramm,<br />
von dem auch die Versicherungswirtschaft profitieren dürfte.<br />
Väterchen<br />
Frost im Tank<br />
dpa / picture-alliance<br />
Russische Winter haben es in sich. »Bei<br />
minus 40 Grad gefriert auch der beste<br />
Diesel«, sagt Nicholas Hall, Chef von<br />
Mondial Assistance in Moskau. Für eine<br />
Firma, die sich auf Pannen spezialisiert<br />
hat, ist das wie Werbung. »Im Winter«,<br />
sagt Hall, »brummt das Geschäft.«<br />
Dieses Video, in dem ein BBC-Reporter irgendwo in Sibirien den Kaffee aus seiner Tasse in die Luft schüttet und das<br />
eben noch kochend heiße Getränk wie Schnee zur Erde rieselt – plastischer kann man nach Ansicht von Nicholas Hall<br />
nicht darstellen, was Winter in Russland bedeutet. »Bei den extremen Temperaturen haben manchmal sogar unsere<br />
Techniker Probleme, bis zu einem liegen gebliebenen Fahrzeug vorzudringen«, berichtet der Brite. Von der Vor-Ort-<br />
Reparatur ganz zu schweigen. »Wer bei dieser Kälte die Handschuhe auszieht, dem frieren die Finger ab«, sagt Hall.<br />
In so einem Fall bleibt nur eine Option: Auto an den Haken und ab in die Werkstatt. ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2011 3/2012 | Seite 39<br />
AMERIKA<br />
RUSSLAND<br />
SPEZIAL<br />
Stern<br />
2011 gingen in der Telefonzentrale von Mondial Assistance<br />
in Moskau 45 000 Pannennotrufe ein. Vor allem im Winter,<br />
wenn Väterchen Frost so richtig die Muskeln spielen lässt,<br />
laufen die Drähte heiß. Dann wird die Mitarbeiterzahl von<br />
den üblichen 75 auf mehr als 100 aufgestockt. Viele internationale<br />
Automarken wie BMW, Mitsubishi, Volvo, Peugeot<br />
und Lamborghini setzen auf den Service der <strong>Allianz</strong> Tochter,<br />
die 2008 in Russland an den Start gegangen ist. Im letzten<br />
Jahr hat sie ihren Aktionsradius auch auf die Ukraine, nach<br />
Kasachstan und Weißrussland ausgedehnt.<br />
Nicholas Hall<br />
Aktuell sind etwa 550 000 Fahrzeuge in Russland über<br />
Mondial Assistance gegen frostgeschockte Autobatterien<br />
und andere Unbilden abgesichert, die einen auf Russlands<br />
Straßen ereilen können. Kein anderer Anbieter deckt mehr Fahrzeuge ab. Gegenwärtig macht die Pannenhilfe noch<br />
den größten Teil des Mondial-Umsatzes aus, der im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Euro erreichte – 75 Prozent mehr<br />
als ein Jahr zuvor. In diesem Jahr könnten es um die acht Millionen Euro werden, und wenn es weitergeht wie geplant,<br />
sagt Hall, könnten es in drei, vier Jahren schon 15 bis 17 Millionen Euro sein.<br />
Den Markt dominieren russische Anbieter, die nicht selten mit Dumpingpreisen Newcomer auf Abstand halten. Allerdings<br />
beginnt sich im Markt immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass Qualität nicht für Dumpingpreise zu haben<br />
ist. »Wir positionieren uns bewusst als Unternehmen, das zwar nicht zu den billigsten zählt, dafür aber exzellenten<br />
Service bietet«, sagt Hall. »Und das zahlt sich aus.«<br />
Im Bereich Pannenhilfe arbeitet Mondial Assistance Russland, die ab Oktober als <strong>Allianz</strong> Global Assistance firmieren<br />
wird, derzeit landesweit mit Serviceunternehmen in 110 größeren Städten zusammen. Deren Reichweite beschränkt<br />
sich allerdings auf einen überschaubaren Radius und deckt nicht jeden Winkel des Riesenreiches ab. Wer also irgendwo<br />
in der Wildnis in Kamtschatka liegenbleibt, für den könnte die Rückführung seines Fahrzeugs richtig teuer werden.<br />
Wie groß Russland ist, davon hat sich Hall bei Reisen nach St. Petersburg und Irkutsk, nach Nowosibirsk und Samara<br />
selbst einen Eindruck verschaffen können. »Es sind völlig andere Dimensionen, als wir sie gewohnt sind«, sagt der<br />
55-Jährige, dessen Familie in Großbritannien lebt. Auch mit seinem aktuellen Arbeitsplatz Moskau hat er sich mittlerweile<br />
angefreundet. »Ich fühle mich hier sicherer als in London«, sagt er. »In London haben sie überall Kameras<br />
installiert. Die sind nützlich, aber im Ernstfall ist man tot, bevor jemand zu Hilfe kommt. Hier in Moskau sind einfach<br />
mehr Polizisten auf der Straße.«<br />
Dass das Gefühl von Sicherheit trügerisch sein kann, zeigte sich einmal mehr im Januar 2011, als Terroristen auf dem<br />
Moskauer Flughafen Domodejevo einen Bombenanschlag verübten, bei dem 36 Menschen getötet wurden. Querbeet:<br />
Russen, Kirgisen, Tadschiken, Usbeken, Deutsche, Engländer, Österreicher. Über 150 Menschen wurden verletzt. Zwei<br />
von Halls Kollegen befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion in unmittelbarer Nähe. Doch sie hatten Glück – beide<br />
blieben unverletzt.<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 40<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
Shutterstock<br />
Wenn es darum geht, ihre Kinder<br />
vor den Fährnissen des Lebens zu<br />
schützen, lassen sich die Deutschen<br />
von kaum einem Volk übertreffen.<br />
Fahrradhelm, Steckdosensicherung,<br />
Schutzimpfung – nichts wird dem<br />
Zufall überlassen. Auf den Ernstfall<br />
sind sie trotzdem nur unzureichend<br />
vorbereitet.<br />
FRANK STERN<br />
... Eltern sein dagegen sehr<br />
Welche Befürchtungen haben Eltern mit kleinen Kindern und wie sichern sie sich ab? Dieser Frage sind die <strong>Allianz</strong><br />
Deutschland und die Zeitschrift ELTERN Anfang dieses Jahres in einer repräsentativen Untersuchung nachgegangen.<br />
Befragt wurden 1000 Frauen und Männer in Deutschland, deren erstes Kind unter vier Jahre alt war. Das Ergebnis:<br />
Fast drei Viertel der Teilnehmer fühlen sich gut abgesichert, doch eine Risikolebensversicherung, die die Angehörigen<br />
für den Fall des Todes absichert, hatte von ihnen lediglich ein gutes Drittel (35 Prozent). Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
waren es 28 Prozent.<br />
Nicht besser sieht es bei der Versicherung für den Nachwuchs aus. Nicht einmal jeder Zweite schließt für sein Kind<br />
überhaupt eine Police ab. Nur 31 Prozent der Eltern haben eine Kinderunfallversicherung, gerade mal zwölf Prozent<br />
eine Kinderinvaliditätsversicherung. Zu wenig Geld ist meist nicht der Grund. »Vielmehr verdrängen Eltern oft den<br />
Gedanken, gerade ihr Kind könnte an Krebs oder Epilepsie erkranken«, sagt <strong>Allianz</strong> Deutschland-Vorstand Severin Moser.<br />
»Für den Ernstfall sind sie schlecht vorbereitet.«<br />
Wie eine Parallelumfrage der <strong>Allianz</strong> Suisse zeigte, sind Schweizer Eltern in dieser Beziehung besser gerüstet. Sie<br />
blicken nicht nur optimistischer in die Zukunft als die Deutschen, sie sichern ihre Kinder auch besser ab. 82 Prozent<br />
der Befragten gaben an, dass sie sich schon vor der Geburt ihres Kindes über den optimalen Versicherungsschutz<br />
informiert hätten, bei den Nachbarn im Norden waren es nur 62 Prozent.<br />
Mit Informieren allein lassen es die Eidgenossen nicht bewenden:<br />
Fast jeder Zweite hat eine Kinderunfallversicherung<br />
abgeschlossen, jeder fünfte eine Kinderinvaliditätsversicherung.<br />
Auch insgesamt wenden die Schweizer mehr für ihre<br />
Sicherheit und die ihrer Familie auf. Während die Deutschen<br />
monatlich im Schnitt 113 Euro für Versicherungen ausgeben,<br />
sind es rund ums Matterhorn fast 280 Euro. ><br />
Jedes Jahr verunglücken in Deutschland<br />
rund 1,67 Millionen Kinder, mehr als<br />
537 000 von ihnen im Heim- und<br />
Freizeitbereich. Damit gehören Unfälle zu den<br />
größten Gesundheitsrisiken für Kinder.<br />
(Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder)
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 41<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
»Den Beschützerinstinkt in allen Ehren, doch zuviel<br />
Fürsorge kann die Entwicklung von Kindern auch<br />
hemmen.« Prof. Michael Schulte-Markwort<br />
Bei der Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut und sozialem Abstieg, auch das hat die Studie ergeben, liegen dann wieder<br />
die Deutschen vorn, genau wie bei der alltäglichen Sorge um den Nachwuchs. Sie mahnen öfter, nicht mit Fremden<br />
mitzugehen, sie verplomben Steckdosen und Schubladen, sperren Treppen mit Schutzgittern vor kindlichem Zutritt<br />
und lassen die Kleinen auf dem Spielplatz keine Minute aus den Augen. Die Schweizer sind da etwas lockerer. Zwar<br />
führt auch bei ihnen die Furcht vor dem Tod des eigenen Kindes oder vor einem schweren Unfall die Hitliste der Ängste<br />
an, doch sind sie bei ihnen weniger ausgeprägt. Nur die Befürchtung, dass ihr Kind gemobbt werden könnte, ist in der<br />
Alpenrepublik größer als in Deutschland.<br />
Den Beschützerinstinkt in allen Ehren, doch zuviel Fürsorge kann die Entwicklung von Kindern auch hemmen. Sagt<br />
jedenfalls Kinderpsychiater Professor Michael Schulte-Markwort, den das Magazin ELTERN zum Thema »Wie viel Sicherheit<br />
braucht mein Kind?« befragt hat. »Ich muss einem Kind auch negative Erfahrungen zugestehen«, meint der Leiter<br />
der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Ob nun das Dreijährige mal von der<br />
Schaukel fällt oder der Zehnjährige sich in einem unbekannten Stadtteil verirrt, an solchen Erfahrungen wachse ein Kind,<br />
sagt der Mediziner.<br />
Wenn man es denn lässt: Schon heute ist zu beobachten, dass Kinder und Jugendliche motorisch deutlich weniger<br />
geschickt sind als vor 30 Jahren. Laut Schulte-Markwort eine Folge der Überfürsorge.<br />
WWW.KINDERSICHERHEIT.DE<br />
Begegnungen<br />
im Untergrund<br />
wkp / Dan Pearlman<br />
Manche setzen klotzige Glaspaläste in die Welt, um Größe<br />
und Anspruch zu symbolisieren. Die <strong>Allianz</strong> versenkt ihr<br />
neues Konferenzzentrum im Keller.<br />
FRANK STERN<br />
Die <strong>Allianz</strong> ist einer der größten Finanzdienstleister der Welt, doch einen<br />
angemessenen Versammlungsort an ihrem Stammplatz München<br />
konnte sie bislang nicht vorweisen. Seit letztem Mai entsteht nun direkt<br />
am Englischen Garten im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt ein<br />
Bau, der für Abhilfe sorgen soll – und das weitgehend unter Tage. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 42<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
wkp / Dan Pearlman<br />
Am äußeren Erscheinungsbild der unter Denkmalschutz stehenden<br />
Konzernzentrale, die 1954 im Beisein von Bundeskanzler Konrad<br />
Adenauer eröffnet wurde, wird sich also kaum etwas ändern. Doch<br />
unterhalb der Grasnarbe errichten Bautrupps derzeit nach den Plänen<br />
des Münchner Architekturbüros Weickenmeier, Kunz + Partner und der<br />
Berliner Markenarchitekturagentur dan pearlman einen hochmodernen<br />
Konferenzsaal, der für bis zu 300 Plätze ausgelegt ist. Die Eröffnung des<br />
<strong>Allianz</strong> Auditoriums ist für Herbst nächsten Jahres geplant.<br />
Der Bau – die Kosten liegen im unteren zweistelligen Millionenbereich –<br />
soll Offenheit und Leichtigkeit ausstrahlen und den kreativen Gedankenaustausch<br />
sowohl innerhalb der <strong>Allianz</strong> Gemeinschaft als auch darüber<br />
hinaus anregen. Für ein Gebäude im Kellergeschoss klingt das reichlich<br />
ambitioniert. Und doch, Konzept und Design des Konferenzzentrums<br />
wirken originell und großzügig, nichts daran schwer oder bedrückend.<br />
So wenig wie der Außenauftritt hat das Innendesign etwas Prunkvolles<br />
an sich. Zeitlos soll es sein, qualitätsvoll und technisch auf dem neuesten<br />
Stand, doch weder verschwenderisch noch übertrieben edel.<br />
Nach außen hin – die Auflagen von Denkmal- und Landschaftsschutz<br />
hatten Veränderungen an Gebäudeensemble und angrenzendem Park<br />
ausgeschlossen – bleibt wie gesagt alles beim Alten. Doch der C-Bau, ein<br />
etwas nach hinten versetzter Seitenflügel, in dem in den 50er Jahren die<br />
Lochkartenabteilung und später das Pressereferat des Konzerns untergebracht waren, erhält eine völlig neue Funktion<br />
und wird künftig als Foyer und Zugang zum Auditorium dienen. Zudem soll er Mitarbeitern und Besuchern Raum zur<br />
Begegnung bieten und eine möglichst flexible Nutzung ermöglichen – vom Stehempfang bis hin zum informellen<br />
Austausch von Arbeitsgruppen. Auf der Rückseite entsteht eine Terrasse, die sich zum Englischen Garten hin öffnet.<br />
Während im ersten Stock des Gebäudes verschiedene Besprechungszimmer vorgesehen sind, wird das Auditorium<br />
selbst künftig die Möglichkeit bieten, auch größere Veranstaltungen wie etwa das jährliche Treffen des internationalen<br />
Top-Managements, das <strong>Allianz</strong> International (AZI), abzuhalten. Als Halbzylinder mit Hubpodien konzipiert, lässt sich der<br />
Saal in eine Art Amphitheater verwandeln. Mobile Trennwände erlauben darüber hinaus die Anpassung der Raumgröße<br />
an die jeweilige Teilnehmerzahl. Zudem wird er mit modernster Digitaltechnik ausgestattet, über die per Videokonferenz<br />
und Live-Übertragung die Verbindung zur <strong>Allianz</strong> Welt hergestellt werden kann.<br />
Das neue Konferenzzentrum, das barrierefrei und behindertengerecht gestaltet wird, ist als Ort der Gemeinschaftsbildung<br />
und Inspiration angelegt, an dem auch die Öffentlichkeit teilhaben soll. Die Ausstattung erlaubt die flexible<br />
Anpassung an verschiedene Anforderungen – von der Aufsichtsratssitzung mit 30 Plätzen bis zur Großkonferenz, vom<br />
Analystenmeeting über Pressekonferenzen und Podiumsdiskussionen bis hin zu Karrieretagen, Kunstausstellungen<br />
oder Public Viewing-Veranstaltungen wie etwa die Übertragung der <strong>Allianz</strong> Sports.<br />
Im Herbst 2013 geht die <strong>Allianz</strong> in den Untergrund.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 43<br />
EUROPA<br />
dpa / picture-alliance<br />
Große Räder, kleiner Markt<br />
Im Mai dieses Jahres erschütterten zwei heftige Erdbeben die Region Emilia Romagna in Norditalien.<br />
Auch eine Fabrik von Titan Italia, Marktführer bei Traktorrädern, wurde getroffen, wochenlang stand<br />
die Produktion still. Joachim Hufenreuter, Schadenregulierer bei <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty,<br />
war vor Ort.<br />
HEIDI POLKE<br />
Ein, zwei, drei Felgen, jede mit knapp einem Meter Durchmesser, liegen am Boden. Eine magere Ausbeute, normalerweise<br />
laufen hier täglich knapp 2000 Stück vom Band. Doch Produktionsleiter Massimo Columbini ist ausgesprochen<br />
zufrieden. Die drei Felgen, die probeweise gefertigt wurden, haben die Qualitätsprüfung bestanden. Offenbar sind die<br />
beiden exakt justierten Produktionsroboter bei den Beben nicht beschädigt worden. Ein gutes Zeichen, denn in Kürze<br />
soll die Fertigung wieder anlaufen.<br />
Fast sechs Wochen lang standen die Maschinen im Werk von Titan Italia in Finale Emilia still. Dort fertigt Europas<br />
führender Zulieferer von Rädern für Traktoren und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge. Das Epizentrum der beiden<br />
Erdbeben, die im Mai mit Stärken von 6,0 und 5,9 auf der Richterskala die Provinz Emilia Romagna erschüttert hatten,<br />
lag nicht weit von Finale Emilia entfernt. ><br />
Titan Italia<br />
Titan Italia ist europäischer Marktführer für die Herstellung von Rädern für<br />
Landmaschinen, Traktoren, Mähdrescher und Bewässerungsanlagen. An seinen<br />
Produktionsstandorten Crespellano (Bologna), Finale Emilia (Modena) and Jesi<br />
(Ancona) beschäftigt das Unternehmen über 500 Mitarbeiter. Titan Italia ist eine<br />
Tochtergesellschaft von Titan Europe, die für die Entwicklung von Rädern und<br />
Fahrwerkkomponenten für geländegängige Raupen- und Radfahrzeuge bekannt<br />
ist. Die Gruppe ist in aller Welt vertreten, mit Standorten in Großbritannien,<br />
Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, der Türkei, Südafrika, den USA,<br />
Brasilien, Chile, Peru, Australien, Indonesien, China und Japan.<br />
WWW.TITANEUROPE.COM
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 44<br />
EUROPA<br />
Nach dem zweiten Beben am 29. Mai untersagten die Behörden aus Sicherheitsgründen den Zutritt zur Fabrik. Teile<br />
des Dachs waren herabgestürzt, viele Stützsäulen beschädigt. Das Risiko für die 250 Arbeiter wäre zu hoch gewesen.<br />
Keiner der Beschäftigten war bei den Beben verletzt worden, doch die Belastung vor allem in der Zeit der Nachbeben<br />
– bis zu 60 am Tag – war groß: Viele schliefen in ihren Autos oder in Zelten, weil sie sich nicht mehr in ihre Häuser<br />
trauten oder diese zerstört waren.<br />
Die Erdbeben in der Emilia Romagna kamen für Seismologen nicht überraschend – die Erde in Italien wackelt immer<br />
mal wieder. Allerdings galt die Gegend um Modena als weniger gefährdet. »Wir waren natürlich geschockt«, sagt<br />
Maria Cecilia la Manna, Geschäftsführerin von Titan Italia. »Aber wir sind sofort aktiv geworden und haben alles getan,<br />
damit wir so schnell wie möglich wieder produzieren können.«<br />
Bereits Anfang Juli war das Werk wieder so sicher, dass sich Joachim Hufenreuter, Schadenregulierer bei <strong>Allianz</strong> Global<br />
Corporate & Specialty, einen Eindruck von der Lage verschaffen konnte. Hufenreuter begutachtet weltweit industrielle<br />
Großschäden und ist häufig mit den Folgen von Naturkatastrophen konfrontiert. Er weiß: »Nach einem Erdbeben geht<br />
es zunächst immer um die provisorische Stabilisierung der Gebäude, erst dann können die eigentlichen Reparaturen<br />
beginnen.«<br />
Der Sachschaden für die Reparatur der Produktionshalle und der Maschinen beläuft sich auf einen zweistelligen<br />
Millionenbetrag. Größere Sorgen bereitet dem Titan-Management indes der Betriebsausfall. Das Werk in Finale Emilia<br />
ist das Herzstück des Produktionsverbunds aus drei Werken: Es ist alleiniger Produzent der Felgen, die an den Nachbarstandorten<br />
in Crespellano und Jesi mit Innenscheiben verschweißt und dann bereift werden. »Große Räder sind ><br />
Erdbeben in Italien<br />
Bei zwei Erdbeben in der norditalienischen<br />
Emilia Romagna sind im Mai<br />
26 Menschen ums Leben gekommen,<br />
400 Personen wurden verletzt, 15 000<br />
obdachlos. Viele historische Gebäude<br />
und Kirchen fielen in Trümmer, einige<br />
kleinere Städte wurden von ihren Bewohnern<br />
aufgegeben. Die vom Beben<br />
betroffene Region ist hoch industrialisiert,<br />
viele biomedizinische Unternehmen<br />
haben in der Emilia Romagna<br />
ihren Sitz, wo zahlreiche Lagerhallen<br />
und Produktionsstätten einstürzten<br />
oder stark beschädigt wurden. Viele<br />
Opfer starben an ihrem Arbeitsplatz,<br />
was Fragen nach der Sicherheit der<br />
zum Teil neuen Industrieanlagen<br />
ausgelöst hat.<br />
Die <strong>Allianz</strong> Italien hatte keine Opfer<br />
unter Mitarbeitern und Vertretern<br />
zu beklagen, doch wurden vier Agenturen<br />
im Erdbebengebiet schwer<br />
in Mitleidenschaft gezogen. Damit<br />
die Vertreter ihre Arbeit wieder aufnehmen<br />
und Kunden vor Ort zur Seite<br />
stehen konnten, stellte ihnen die<br />
<strong>Allianz</strong> Wohnmobile als provisorische<br />
Ausweichbüros zur Verfügung. Zudem<br />
wurde für Versicherungsnehmer die<br />
Zahlungsfrist für ausstehende Autound<br />
Sachversicherungsbeiträge in der<br />
betroffenen Region verlängert. Daneben<br />
organisierten die Mitarbeiter der<br />
<strong>Allianz</strong> Italien eine Spendensammlung<br />
für die Opfer, bei der über 66 000 Euro<br />
zusammenkamen.<br />
Die Summe wurde von der <strong>Allianz</strong><br />
Italien verdoppelt und an das italienische<br />
Rote Kreuz übergeben. Darüber<br />
hinaus initiierte Gian Marco Diani vom<br />
<strong>Allianz</strong> Investment Management in<br />
Mailand eine Hilfsaktion für Produktionsbetriebe<br />
des berühmten Parmesankäses.<br />
Viele Käseräder waren<br />
bei dem Naturereignis so beschädigt<br />
worden, dass sie nicht mehr als Ganzes<br />
vermarktet werden konnten. Diani<br />
holte knapp 300 Kilogramm Käse aus<br />
Piacenza und verkaufte ihn stückweise<br />
an Kollegen. Selbst im Ausland fanden<br />
sich Abnehmer.<br />
WWW.ALLIANZ.IT<br />
dpa / picture-alliance
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 45<br />
EUROPA<br />
dpa / picture-alliance<br />
Verona<br />
Padua<br />
Venedig<br />
Parma<br />
ITALIEN<br />
Modena<br />
Finale Emilia<br />
Bologna<br />
Ravenna<br />
A D R I A<br />
40 km<br />
Quelle: USGS<br />
Der gesamte Nordosten des Mittelmeerraums von Italien bis zur Türkei ist von Erdbeben<br />
bedroht – hier treffen die afrikanische und die eurasische Erdplatte aufeinander<br />
ein kleiner Markt. Unsere Wettbewerber lauern schon«, erklärt Gary Chesteron, Finanzchef von Titan Europe. »Daher<br />
tun wir alles, um unsere Kunden weiterhin beliefern zu können, koste es was es wolle.«<br />
Eine Arbeitsgruppe entwickelte eine Reihe von Maßnahmen, um den Produktionsstopp zu begrenzen. Teile der<br />
Felgenproduktion – und mit ihr auch der Belegschaft – wurden an die beiden anderen Standorte verlagert, wo in drei<br />
Schichten rund um die Uhr gearbeitet wurde. Zudem lieferten die Titan-Niederlassungen in der Türkei und Frankreich<br />
Felgen zu. Die üblichen Betriebsferien im August wurden gestrichen. Doch damit ließ sich die Lücke noch nicht ganz<br />
schließen – einen Teil der Felgen musste Titan von anderen Produzenten hinzukaufen.<br />
»Nicht alle Unternehmen werden nach einem Schaden selbst so schnell und professionell aktiv«, meint Hufenreuter.<br />
Dabei lasse sich oft nur ein Teil des Ausfallschadens – beispielsweise durch entgangenen Umsatz, höheren Mehraufwand<br />
für Ersatzbeschaffungen oder Kundenverlust – über Versicherungen decken, sagt er. Ganz abgesehen davon,<br />
dass einmal verlorene Marktanteile ein Unternehmen langfristig schwächen können. Hufenreuther: »Eine aktive<br />
Schadenbegrenzung dient also beiden Seiten – dem Versicherer wie dem Unternehmen.<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM<br />
Mitten ins Herz<br />
Die Produkte der Emilia Romagna gelten als Inbegriff von »italianitá« und sind<br />
Exportschlager des Landes: In der fruchtbaren Tiefebene nördlich des Apennin<br />
werden Parmesan und Grana Padano ebenso hergestellt wie Parma-Schinken,<br />
Aceto balsamico und Lambrusco-Wein. Nach einer Schätzung des Landwirtschaftsverbandes<br />
Coldirette beläuft sich der durch die Beben entstandene<br />
Schaden auf 500 Millionen Euro. Rund 300 000 Laibe Parmesankäse wurden<br />
zerstört, ein Zehntel der Jahresproduktion. Die turmhohen Regale, auf denen<br />
die bis zu 40 Kilo schweren Käseräder reifen, waren umgestürzt. Auch zahlreiche<br />
Essigfabriken wurden beschädigt, viele Fässer mit teilweise mehrere<br />
Jahre altem Aceto balsamico liefen aus.<br />
Neben der Landwirtschaft wurde auch die Industrie getroffen. In der Po-Ebene<br />
sind viele Automobilhersteller und -zulieferer angesiedelt – nicht umsonst trägt<br />
die Region auch den Beinamen Land der Motoren. Fabriken und Warenhäuser<br />
wurden besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, da eine erdbebensichere<br />
Bauweise in der Region erst seit 2003 vorgeschrieben ist. Dagegen hielten<br />
private Wohnhäuser den Erschütterungen besser stand. Die versicherten<br />
Schäden schätzt die Branchenorganisation der italienischen Versicherer<br />
ANIA auf 700 bis 800 Millionen Euro.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 46<br />
EUROPA<br />
Aaron Cook, Nummer 1 der<br />
Weltrangliste im Taekwondo,<br />
war einer der Top-Sportler im<br />
Team <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Allianz</strong> UK<br />
Team<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Die Olympischen Spiele in London waren ein Riesenerfolg. Milliarden Menschen auf der ganzen<br />
Welt verfolgten gebannt die Wettbewerbe. Bei der <strong>Allianz</strong> UK gab es doppelt Grund, mitzufiebern.<br />
Sie hatte mit dem Team <strong>Allianz</strong> eine eigene Mannschaft am Start.<br />
DAVID KEEL<br />
Zum Kern des Team <strong>Allianz</strong> gehörten elf olympische und paralympische Leichtathletik-, Schwimm-, Rad-, Reit-, Ruder-,<br />
Triathlon- und Taekwondosportler. Angeführt wurde das Team von den beiden Olympiamedaillengewinnern und<br />
Fernsehmoderatoren Steve Cram und Sharron Davies sowie von Rebecca Romero, der einzigen britischen Sportlerin,<br />
die jemals Olympiamedaillen in zwei unterschiedlichen Sportarten gewinnen konnte. Die Sportler wurden aber nicht<br />
nur aufgrund ihrer sportlichen Leistungen für das <strong>Allianz</strong> Team ausgewählt.<br />
Über einen Zeitraum von zwei Jahren hatten Mitarbeiter und Geschäftspartner der <strong>Allianz</strong> Gelegenheit, die Vorbereitungen<br />
der Sportler auf die Olympischen Spiele 2012 in London vom Training bis hin zur Qualifizierung mitverfolgen.<br />
Zunächst wurden die Mitglieder des Team <strong>Allianz</strong> durch eine Reihe von Videos, im Intranet sowie auf einer eigenen<br />
Maklerwebseite vorgestellt. <strong>Allianz</strong> Mitarbeiter interviewten die Sportler und gaben Einblicke in das Training und die<br />
Motivation. Die Videos waren so gut, dass sie es sogar in die Endauswahl des Wettbewerbs Cannes Lions 2011 für<br />
kreative Kommunikation schafften.<br />
Gleichzeitig ging ein Olympia-Bus auf Tournee durch Großbritannien. An über 20 <strong>Allianz</strong> Standorten wurde den Besuchern<br />
einiges an Unterhaltung geboten. Sie konnten an einem Handrad Kraft und Ausdauer unter Beweis stellen, an<br />
einem anderen Gerät wurden Reflexe getestet und bei einem Quiz waren die grauen Zellen gefragt. Die Ergebnisse der<br />
verschiedenen Teams wurden elektronisch aufgezeichnet und zusammen mit Fotos und Aufnahmen von Mitarbeitern<br />
und Sportlern online veröffentlicht.<br />
<strong>Allianz</strong> UK<br />
Die Geschäftsstellen, die auf der Route des Olympiabusses<br />
lagen, nutzten die Chance, um ihrerseits Veranstaltungen<br />
zu organisieren, bei denen Mitarbeiter<br />
und Geschäftspartner gegeneinander antreten<br />
konnten. Außerdem gab es Gelegenheit, die Sportler<br />
von Team <strong>Allianz</strong> persönlich kennenzulernen. Die<br />
Besuche waren zwanglos, die Sportler schauten in<br />
den Büros vorbei, gaben Autogramme und standen<br />
Rede und Antwort. Das Programm 2011 wurde ><br />
Andy Turner, Europameister über 110 Meter Hürden, schaffte es bei<br />
Olympia bis ins Halbfinale
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 47<br />
EUROPA<br />
Olympiasieger<br />
Alistair Brownlee<br />
(Triathlon)<br />
<strong>Allianz</strong> UK<br />
schließlich mit der Veröffentlichung einer Reihe<br />
von Videos abgerundet, in denen die Sportler über<br />
ihren Weg an die Spitze berichteten.<br />
Das Thema Höchstleistungen wurde vom Team<br />
<strong>Allianz</strong> auch im Jahr 2012 weiterverfolgt. Im März<br />
wurden einhundert von ihren Abteilungsleitern<br />
vorgeschlagene Mitarbeiter für ihre hervorragenden<br />
Leistungen mit einem Essen in einem Londoner<br />
5-Sterne-Hotel ausgezeichnet. Auch die Team <strong>Allianz</strong>-Sportler waren anwesend und beantworteten Fragen über<br />
ihre Hoffnungen und Ängste für die Olympischen und Paralympischen Spiele. Bei einer Tombola gab es zudem Karten<br />
für olympische Wettbewerbe zu gewinnen.<br />
Eines der beliebtesten Elemente des Programms war eine Reihe von Meisterkursen, bei denen vielversprechende Sportler<br />
aus der <strong>Allianz</strong> mit den Elitesportlern zusammen trainieren durften. Zu den Sportarten zählten Reiten, Schwimmen,<br />
Radfahren und Leichtathletik. Für den Rest des Jahres sind weitere Kurse geplant. Zu den weiteren Highlights gehörten<br />
Vorführungen der derzeitigen Nummer 1 der Weltrangliste im Taekwondo, Aaron Cook. Leider war Cook einer der<br />
Sportler, die aufgrund einer kontroversen Entscheidung nicht für die Spiele nominiert wurden. Eine andere Olympiahoffnung,<br />
Sprinterin Jodie Williams, verletzte sich noch vor den Spielen bei einem Wettkampf in Birmingham.<br />
Insgesamt schafften es vier der Team <strong>Allianz</strong>-Sportler, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Reitstar William<br />
Fox-Pitt gewann die erste Medaille des Team <strong>Allianz</strong> – Silber in der Vielseitigkeitsprüfung der Reiter, es folgte Andy Hodge<br />
mit Gold im Ruder-Vierer. Den Glanzpunkt setzte Alistair Brownlee, der den Triathlon unangefochten für sich entschied,<br />
und das, obwohl er sich Anfang des Jahres eine schwere Verletzung zugezogen hatte. Höchstleistung in Aktion!<br />
Zwei weitere Sportler aus dem Team <strong>Allianz</strong> qualifizierten sich für die Paralympischen Spiele: der Rennrollstuhlfahrer<br />
David Weir und die Schwimmerin Ellie Simmonds, beide Medaillengewinner in Peking.<br />
<strong>Allianz</strong> UK<br />
WWW.TEAMALLIANZ.CO.UK<br />
USERNAME: TEAMALLIANZ → PASSWORD: GOLDMEDAL<br />
Rebecca Romero (links) gewann bei den Olympischen Spielen 2004 Silber im<br />
Ruder-Doppelvierer, vier Jahre später Gold in der 3000 Meter-Einerverfolgung auf<br />
dem Rad. Rechts: Olympiasieger Andy Hodges (Ruder-Vierer)
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 48<br />
AMERIKA<br />
Stern<br />
Dienstfahrt mit Hindernissen<br />
Der Kunde ist König? Nur wenn er Glück hat. Nancy Jones, Marketingchefin von <strong>Allianz</strong> Life<br />
in Minneapolis, hat mit dem Thema ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Hier ihr Bericht.<br />
NANCY JONES<br />
Die Reisebranche hat es nicht leicht. Vor allem nicht im Internetzeitalter. Oft wird sie in den sozialen Medien zur Zielscheibe<br />
von Spott und Kritik. Wer kennt nicht das YouTube-Video »United macht Gitarren kaputt«? Es wurde inzwischen<br />
schon über zwölf Millionen Mal aufgerufen. Während das Video für alle, die nicht bei United arbeiten, sehr unterhaltsam<br />
ist, ist es für den Ruf der Fluggesellschaft natürlich verheerend.<br />
In den Fällen, von denen ich berichten möchte, geht es um ein Taxiunternehmen und eine Autovermietung. Zuerst<br />
zur Sache mit dem Taxi: Vor nicht allzu langer Zeit fuhr ich wie immer mit Airport Taxi zum Flughafen in Minneapolis.<br />
Statt meine Tasche im Kofferraum zu verstauen, ließ sie der Fahrer in der Auffahrt zu meinem Wohnblock stehen.<br />
Nach Eintreffen am Flughafen und einer kurzen Panikattacke rief ich Airport Taxi an. Sie schickten ein anderes Taxi,<br />
um die Tasche zu holen und am Flughafen abzuliefern. Ich müsste erst einmal auch dieses Taxi bezahlen, hieß es, aber<br />
nach meiner Rückkehr werde man sich mit mir wegen der Rückerstattung in Verbindung setzen.<br />
Ich war natürlich froh, dass ich meine Tasche wieder hatte, auch wenn in der Auffahrt ein anderes Auto drüber gefahren<br />
war (aber das ist eine andere Geschichte). Meinen Flug erwischte ich auf den letzten Drücker und war natürlich etwas<br />
gestresst. Sehr gestresst, um ehrlich zu sein: Ich stürmte wie eine Verrückte zum Flugsteig und schaffte es gerade noch<br />
vorm Schließen der Türen in die Kabine, die Hände verschmiert mit Creme und Öl aus der überfahrenen Tasche.<br />
Von Airport Taxi hörte ich danach natürlich nichts mehr. Also rief ich an. Ich landete auf dem Anrufbeantworter eines<br />
Kundendienstmanagers und hinterließ eine Nachricht. Kein Rückruf. Ich rief wieder an. Wieder Anrufbeantworter,<br />
diesmal von einem anderen Kundenbetreuer. So ging das einige Male – von Kundendienst keine Spur. Beim sechsten<br />
Mal hatte ich dann schließlich eine ausgesprochen nette Mitarbeiterin in der Leitung, die mir versprach, dass das ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 49<br />
AMERIKA<br />
privat<br />
Geld für beide Taxis zurückerstattet und obendrein mein beschädigter Koffer<br />
ersetzt werden würde. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf 250 Dollar.<br />
Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von Kundendienstmanager Nummer<br />
eins, der erklärte, dass er nicht für den ausgebliebenen Rückruf verantwortlich<br />
gewesen sei, da er mich an Betreuer Nummer zwei weitergeleitet habe.<br />
Einige Tage später rief mich dann Manager Nummer zwei an, um mir mitzuteilen,<br />
dass es keine Rückerstattung geben werde und dass ich eine Reiseversicherung<br />
hätte abschließen sollen. Echt? Für eine Fahrt zum Flughafen?<br />
Ich fragte nach, ob der Kundendienst von Airport Taxi die Telefongespräche<br />
aufzeichnet und klärte ihn darüber auf, dass mir zwei seiner Kollegen eine<br />
Rückerstattung zugesichert hatten. Die werden gefeuert, antwortete er.<br />
Nancy Jones<br />
Ich entschloss mich also zu einer drastischen Aktion und teilte die Geschichte über die sozialen Netzwerke allen<br />
meinen Bekannten mit. Airport Taxi wird mich nie wiedersehen. Sie haben mich angelogen und darüber hinaus ihre<br />
Mitarbeiter, die richtig vorgegangen sind, mies behandelt. Wie teuer sind Airport Taxi diese 250 Dollar am Ende zu<br />
stehen gekommen?<br />
Es gibt auch andere Beispiele. Eines habe ich mit einer Autovermietung erlebt. Ich war mit drei Kollegen in einem Mietwagen<br />
von Hertz unterwegs. Als wir den Wagen nach ungefähr sechs Stunden zurückbrachten, betrug die Rechnung<br />
fast 350 Dollar. Ich zahlte, aber als ich mit den Kollegen das Gelände von Hertz verließ, unterhielten wir uns über den<br />
übertrieben hohen Preis. Davon hätten wir uns auch einen Lamborghini leisten können, meinte einer. Das müssen<br />
zwei Hertz-Mitarbeiter gehört haben, jedenfalls kamen sie hinter uns her, schnappten sich die Rechnung und stellten<br />
uns eine neue über 100 Dollar aus.<br />
Seitdem buche ich nur noch bei Hertz. Und ich erzähle die Geschichte allen, die ich kenne. Ich schickte dem Unternehmen<br />
auch eine kurze Mitteilung mit einem Lob für seine hilfreichen Mitarbeiter und erhielt eine sehr nette Antwort.<br />
Keine Rede davon, die Mitarbeiter wegen einer Entscheidung im Wert von 250 Dollar zu feuern. Denn diese 250 Dollar<br />
machen sich für das Unternehmen in Zukunft bezahlt.<br />
Ein positives Erlebnis ist schnell erzählt, noch schneller aber verbreitet sich eine negative Geschichte. Es ist heutzutage<br />
so einfach, Tausenden von Leuten ein negatives Erlebnis mitzuteilen – ob durch einen Artikel wie diesem oder über<br />
Facebook, LinkedIn oder andere soziale Netzwerke. Wie viel sind 250 Dollar am Ende wirklich wert? Airport Taxi hat<br />
eine treue Kundin verloren, die weit mehr als 250 Dollar im Jahr an Umsatz brachte. Hertz dagegen hat eine Kundin<br />
gewonnen. Was also sind Kundentreue und Geschichten, die einem Unternehmen einen guten oder einen schlechten<br />
Ruf eintragen, wert? Es ist schwer, eine konkrete Zahl zu nennen, aber in beiden Fällen dürfte es sich auf Tausende von<br />
Dollar summieren.<br />
NANCY.JONES@ALLIANZLIFE.COM | WWW.YOUTUBE.COM/WATCH?V=5YGC4ZOQOZO<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 50<br />
ASIEN<br />
Stern<br />
Während sich Europa weiter mit der Finanzkrise herumschlägt,<br />
zeigen sich die Länder Asiens gegenüber<br />
den Turbulenzen auf den Finanzmärkten erstaunlich<br />
wetterfest. Die <strong>Allianz</strong> Gesellschaften in der Region<br />
haben es eher mit anderen Problemen zu tun. Wir<br />
sprachen mit David Fried, seit Februar Chef von <strong>Allianz</strong><br />
Asia Pacific, über Behinderungen der Geschäftstätigkeit<br />
im Allgemeinen und über China im Besonderen.<br />
David Fried<br />
FRANK STERN<br />
Erstaunlich wetterfest<br />
Mr. Fried, nach 27 Jahren bei HSBC sind Sie zu einer schwierigen Zeit zur <strong>Allianz</strong> gewechselt. Die Märkte sind<br />
unberechenbarer denn je, die <strong>Allianz</strong> musste eine Serie an Naturkatastrophen verdauen und wird in einigen<br />
Ländern Asiens durch die Gesetzgebung behindert. Wie wollen Sie daraus eine Erfolgsgeschichte machen?<br />
Mich hat immer die Stärke der <strong>Allianz</strong> beeindruckt. Das war ein Grund, warum ich gewechselt bin. Und weil ich und<br />
meine Kollegen bei HSBC die <strong>Allianz</strong> immer als großartigen Partner kennengelernt haben. Ich bin überzeugt, dass die<br />
<strong>Allianz</strong> einer der führenden Anbieter in Asien werden kann, weit stärker als sie es bisher ist. Es stimmt, es sind unsichere<br />
Zeiten, aber die <strong>Allianz</strong> ist einer der stabilsten Versicherer weltweit, und sie hat das auch in den jüngsten Turbulenzen<br />
immer wieder unter Beweis gestellt.<br />
Und was Naturkatastrophen angeht – das ist es doch, wofür wir da sind, oder? Wenn Kunden bei uns eine Police<br />
abschließen, dann kaufen sie das Versprechen, dass sie im Schadensfall auf uns bauen können. Ich habe in den letzten<br />
Monaten live erlebt, mit welchem Einsatz unsere Kollegen in Thailand ihren Job gemacht haben, nachdem das Land<br />
von der Flutkatastrophe getroffen wurde. Dass sie auch bei widrigsten Umständen rausgegangen sind, um Schäden<br />
zu begutachten und dafür zu sorgen, dass unsere Kunden angemessen entschädigt werden.<br />
Da konnte man ein Unternehmen in Aktion sehen, das all seine Fähigkeiten in schwierigster Zeit unter Beweis stellt. Das<br />
hat mich von Anfang an an der <strong>Allianz</strong> beeindruckt. Ich bin überzeugt, dass die <strong>Allianz</strong> in Asien zum Erfolg wird, wenn<br />
alle Geschäftsfelder dabei zusammenarbeiten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und mit einer Stimme zu<br />
sprechen, und wenn es uns gelingt, die Stärken unserer globalen Einheiten wie Euler Hermes, <strong>Allianz</strong> Global Assistance<br />
oder <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty zu nutzen.<br />
Die <strong>Allianz</strong> begann ihre Expansion nach Asien vor über 20 Jahren. Die Ergebnisse bislang sind eher bescheiden.<br />
Viele Leute sprechen von Asien, als handele es sich dabei um ein Land. Doch Asien ist vielfältig und weist eine Reihe<br />
von sehr unterschiedlichen Ländern auf. Ich teile sie grob in vier Kategorien ein: in die Schwellenländer der ASEAN-<br />
Gruppe, in entwickelte Staaten wie Japan, Korea und Taiwan, in Stadtstaaten wie Hongkong und Singapur und in die<br />
Kolosse China und Indien.<br />
In den ASEAN-Ländern verfügen wir derzeit über einige sehr starke Geschäftseinheiten mit wachsendem Marktanteil.<br />
Sicher, auch sie sind in letzter Zeit in schwierigeres Fahrwasser geraten. Vor allem das Sachgeschäft in Indonesien<br />
und Thailand, aber auch in Indien hatte mit Widrigkeiten zu kämpfen, angefangen bei veränderten gesetzlichen >
RUSSLAND<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 51<br />
KASACHSTAN<br />
MONGOLEI<br />
ASIEN<br />
SÜDKOREA<br />
JAPAN<br />
Stern<br />
CHINA<br />
PAKISTAN<br />
INDIEN<br />
LAOS<br />
THAILAND<br />
TAIWAN<br />
PHILIPPINEN<br />
SRI LANKA<br />
MALAYSIA<br />
SINGAPUR<br />
INDONESIEN<br />
AUSTRALIEN<br />
Bestimmungen bis hin zu schweren Überschwemmungen. Dennoch sind es Einheiten, die in den Wachstumsmärkten<br />
weiterhin eine starke Marktstellung haben.<br />
Bei China wiederum haben wir es mit dem wohl schwierigsten Markt in Asien zu tun. Bislang war die <strong>Allianz</strong> dort nicht<br />
sehr erfolgreich. Aber andere ausländische Versicherer auch nicht. Für uns stellt sich jetzt die Frage, ob wir für China<br />
eine erfolgversprechende Strategie entwickeln können.<br />
Und wie soll die aussehen?<br />
Angefangen von einer völligen Neustrukturierung des Geschäfts über die Einführung neuer Managementstrukturen<br />
bis hin zur Etablierung neuer Partnerschaften mit anderen Gesellschaften ist alles auf dem Tisch. Als ich zur <strong>Allianz</strong><br />
kam, wurde mir gesagt, dass China ganz oben auf der Agenda steht. Es gibt noch andere Felder, wo es einiges zu tun<br />
gibt. Zum Beispiel müssen wir unser Risikoprofil verbessern, um Kapital sinnvoller für Wachstum einzusetzen. Doch<br />
auf China werden wir in nächster Zeit unser Hauptaugenmerk richten.<br />
Manche Experten sagen, China behandele ausländische Unternehmen unfair.<br />
China bietet keine gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen. Kein ausländisches Joint Venture kann sich dort so entwickeln<br />
wie in anderen Ländern. Wenn man in Indien eine Geschäftslizenz erhält, kann man als Unternehmen im ganzen Land<br />
von Nord nach Süd und Ost nach West operieren. In China muss man sich von Stadt zu Stadt vorarbeiten. Und typischerweise<br />
erhält man nicht mehr als eine Lizenz pro Jahr. Die inländischen Gesellschaften haben diese Restriktionen nicht.<br />
Laut Vorschrift muss man zudem in jeder neuen Stadt eine eigene Gesellschaft gründen, was natürlich die Kosten<br />
hochtreibt. Unter diesen Bedingungen einen Gewinn zu erwirtschaften, ist äußerst schwierig.<br />
Der nächste Punkt ist, dass die lokalen Marktführer wie China Life, PICC oder Ping An eine halbe bis eine Million Vertreter<br />
ins Feld schicken können. Sie haben Bankkooperationen und manche verfügen über ein ausgezeichnetes Telemarketing.<br />
Sie haben die kritische Masse, um schnell zu expandieren. All das macht es für ausländische Anbieter so schwer, diese<br />
kritische Masse zu erreichen und profitabel zu arbeiten. Uns eingeschlossen.<br />
Was erwarten Sie sich von der Öffnung des Kfz-Versicherungsmarktes, die die chinesische Regierung im Mai<br />
angekündigt hat?<br />
Es ist ein positives Zeichen, bringt für unser Produktangebot allerdings keine große Veränderung. Durch unsere Kooperation<br />
mit dem lokalen Versicherer Taiping konnten wir auch bisher schon Kfz-Haftpflichtpolicen anbieten. Das holen<br />
wir jetzt nur unter unser eigenes Dach. Für unser Geschäft hat das keine großen Auswirkungen. Wir haben weiter mit<br />
denselben Einschränkungen zu kämpfen und müssen trotzdem überall erst eine Geschäftslizenz beantragen.<br />
Gibt es ein Geschäftsfeld in China, wo die <strong>Allianz</strong> derzeit Geld verdient?<br />
Nicht wirklich. Der Grund liegt zum einen darin, dass wir in der Vergangenheit zunächst in den Aufbau unserer<br />
Geschäftseinheiten investieren mussten, zum anderen in die Expansion unseres Vertriebskanals. Das ist nötig, um die<br />
kritische Masse zu erreichen, die es uns erlaubt, die Vertriebskosten auszugleichen. Im Moment sind wir dabei, ein<br />
Geschäftsmodell zu entwickeln, dass unseren Lebens- und Sachversicherungsgesellschaften Querverkäufe erlaubt.<br />
Die dafür nötigen Investitionen und die gesetzlichen Vorgaben werden den Gewinn noch für einige Zeit schmälern. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 52<br />
ASIEN<br />
Zur Person<br />
David Fried (50) ist seit 27 Jahren im Versicherungsgeschäft tätig. Bevor<br />
er zu <strong>Allianz</strong> Asia Pacific nach Singapur wechselte, war der gebürtige<br />
Amerikaner für das Versicherungsgeschäft der HSBC-Bank mit Sitz in<br />
Hongkong zuständig, ein Geschäftsfeld, das unter anderem die Bereiche<br />
Lebens- und Sachversicherung, Rückversicherung sowie Makler- und<br />
Agenturgeschäft in Asien, Amerika, Großbritannien und im Nahen Osten<br />
umfasste – insgesamt 54 Länder. Fried ist verheiratet und hat zwei Kinder.<br />
Welche Auswirkungen hat die Finanzkrise in Europa auf die asiatischen Volkswirtschaften? Wird Asien am<br />
Ende der Krise stärker und Europa schwächer dastehen?<br />
Außer Japan sind alle asiatischen Volkswirtschaften trotz der Finanzkrise weiter gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt<br />
der ASEAN-Staaten wird in diesem Jahr um fünf Prozent steigen. Chinas Wachstum verlangsamt sich etwas, aber die<br />
Prognosen sagen dennoch acht Prozent plus für 2012 voraus. Indien steckt auch etwas zurück, doch sechs bis sieben<br />
Prozent sind auch hier drin. Das sind immer noch ziemlich hohe Steigerungsraten, die für weiteres Wachstum der<br />
Mittelschicht sorgen und den Regierungen erlauben werden, noch stärker die Werbetrommel für private Rücklagen<br />
und Altersvorsorge in einer immer älter werdenden Bevölkerung zu rühren.<br />
Obwohl die europäische Finanzkrise natürlich auch hier nicht ohne Auswirkungen bleibt, haben sich die asiatischen<br />
Volkswirtschaften doch erstaunlich widerstandsfähig gezeigt. Was zum großen Teil damit zu tun hat, dass der interasiatische<br />
Handel in den letzten fünf Jahren beträchtlich zugelegt hat. Früher waren Europa und die USA die größten<br />
Handelspartner, inzwischen wurden sie vom interasiatischen Handel abgelöst. Die Länder Asiens haben gelernt, enger<br />
zusammenzuarbeiten. Das nützt ihrer eigenen Entwicklung und versetzt sie in die Lage, die Auswirkungen der europäischen<br />
Finanzkrise zu dämpfen.<br />
Um in Asien erfolgreich zu sein, werden Sie den Vertrieb ausbauen müssen. In welchem Kanal sind die Erfolgsaussichten<br />
am größten?<br />
Wir nutzen verschiedene Vertriebskanäle, aber im Moment liegt ein Schwerpunkt auf dem Bankenbereich. Er könnte<br />
für uns zu einem ganz entscheidenden Vertriebsweg im Bereich Vermögens- und Lebensversicherungsprodukte werden<br />
und uns in die Lage versetzen, das dichte Netzwerk und die Kundenbasis der Banken für das Wachstum unserer<br />
Gesellschaften in Asien zu nutzen. Dadurch könnten wir das ganze Gewicht der <strong>Allianz</strong> in Asien besser zur Geltung<br />
bringen. Das ist uns in der Vergangenheit nicht genügend gelungen.<br />
Inwiefern?<br />
Nach Umsatz und operativem Gewinn ist die <strong>Allianz</strong> der größte Versicherer der Welt. Sie ist auch der einzige Versicherer<br />
mit einem AA-Rating. Eigentlich verfügt die <strong>Allianz</strong> über eine Position der Stärke, nur nicht hier in Asien. In Asien<br />
gibt es nur eine Tochtergesellschaft, nämlich unsere Sachversicherung in Malaysia, die den Markt mit einem Anteil von<br />
mehr als zehn Prozent anführt. Normalerweise rangieren unsere Gesellschaften bei einem Marktanteil von drei bis<br />
fünf Prozent zwischen Position sechs und zehn.<br />
Und wie wollen Sie das ändern?<br />
Ich möchte, dass wir in unseren Märkten der führende internationale Anbieter werden und unter allen Marktteilnehmern<br />
– internationalen und lokalen – in der Liga der Top 5 mitspielen. Dazu sind Investitionen in den Vertrieb nötig<br />
und vielleicht auch in das organische Wachstum von innen heraus. Mein Ziel ist es, dass die <strong>Allianz</strong> in Asien als einer<br />
der führenden Finanzdienstleister wahrgenommen wird. Von Kunden und Investoren.<br />
WWW.ALLIANZ.COM.SG
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 53<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
Shutterstock<br />
Hilfe aus dem All – die <strong>Allianz</strong><br />
OrtungsServices<br />
Schiffe navigieren zielsicher durch die Weiten des Ozeans, Flugzeuge landen selbst bei schlechter<br />
Sicht punktgenau auf der Rollbahn – ohne GPS wäre das kaum denkbar. Doch das Global Positioning<br />
System kann mehr. Die <strong>Allianz</strong> OrtungsServices GmbH nutzt es, um Menschenleben zu retten. Mit der<br />
Notfallortung ist die Palette der Anwendungsmöglichkeiten allerdings noch längst nicht ausgeschöpft.<br />
FRANK STERN<br />
Potenzieller Lebensretter<br />
Hätte Wendong Wang im Oktober 2010 kein Handy dabei gehabt, wäre es für ihn womöglich eng geworden. Der<br />
38-Jährige war mit einem akuten Hirninfarkt zusammengebrochen und gerade noch in der Lage gewesen, die Notrufnummer<br />
112 zu wählen. Da er aber weder Deutsch noch Englisch sprach, konnte er seinen genauen Standort nicht<br />
durchgeben. Doch über die Plattform der <strong>Allianz</strong> OrtungsServices (AOS) gelang es der Leitstelle der Düsseldorfer<br />
Feuerwehr, ihn schnell zu lokalisieren. Binnen weniger Minuten war ein Rettungsteam vor Ort und konnte ihn noch<br />
rechtzeitig ins Krankenhaus bringen.<br />
Seit 2006 betreibt die AOS eine Plattform zur Handyortung, anfangs noch auf der Basis von LBS (Location Based Services).<br />
Das System hatte allerdings den Nachteil, dass es nur den Bereich einer Funkzelle, aus dem ein Notruf abgesetzt<br />
wird, ausmachen kann. Gerade in ländlichen Gebieten, wo die Basisstationen zum Teil weit auseinander liegen, ist<br />
diese Methode oft zu ungenau. Mit der netzunabhängigen, weltweit verfügbaren GPS-Technologie dagegen ist eine<br />
fast metergenaue Ortung möglich. Bei einem Notfall kann das unter Umständen über Leben und Tod entscheiden.<br />
Voraussetzung für die schnelle Ortung ist allerdings, dass der Betroffene über ein GPS-fähiges Handy verfügt, das mit<br />
einer speziellen, von AOS entwickelten Software ausgestattet ist. »Im Notfall werden über unsere kostenlose Help-<br />
App die per Satellit ermittelten GPS-Koordinaten sekundenschnell an die Rettungsleitstellen weitergeleitet«, erläutert<br />
AOS-Geschäftsführer Tobias Fritsch das Verfahren. Mittlerweile verfügen bundesweit rund 10 000 Nutzer über den<br />
potenziellen Lebensretter. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 54<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
Roth<br />
Tobias Fritsch<br />
Doch die AOS-Notfallortung, die heute von 95 Prozent aller Rettungsleitstellen in Deutschland genutzt wird, ist längst<br />
nicht das einzige Einsatzgebiet. Vom entlaufenen Pferd über den vermissten Bergsteiger bis zur abhanden gekommenen<br />
Oma – mit AOS lassen sich binnen kürzester Zeit alle wiederfinden.<br />
Auch Energieriese RWE und der Automobilclub von Deutschland (AvD) setzen mittlerweile auf das AOS-Notfallsystem.<br />
Die einen, um ihre Reparaturspezialisten von Hochspannungsleitungen bei einer Havarie möglichst schnell lokalisieren<br />
zu können, die anderen, um ihren Mitgliedern einen zusätzlichen Sicherheitsservice zu bieten.<br />
Der schließt zudem die Möglichkeit ein, eine digitale Notfallakte anzulegen, in der medizinische Daten und Befunde<br />
sowie Informationen zu bestehenden Gesundheitsrisiken, Allergien oder der aktuellen Medikation verzeichnet sind, die<br />
bei Bedarf direkt an die Rettungsleitstellen übermittelt werden. So ist ab der ersten Sekunde eine optimale Erstversorgung<br />
sichergestellt. Welche Daten im Notfall zur Verfügung stehen sollen, entscheidet der Kunde.<br />
Kombinieren ließe sich die Notfallakte auch mit dem eCall-System moderner Fahrzeuge, das bei einem Unfall automatisch<br />
die nächste Rettungsleitstelle alarmiert. Neben Informationen zu Unfallzeitpunkt, Unfallort und Schweregrad<br />
des Unfalls können auch gesundheitsrelevante Daten der Fahrzeuginsassen übermittelt werden. »Die Möglichkeiten<br />
sind damit aber bei weitem noch nicht ausgereizt«, sagt Fritsch. »Wir haben die IT-Plattform, wir haben das Netz, wir<br />
haben die Expertise, die wir auch anderen <strong>Allianz</strong> Gesellschaften anbieten können. Sie müssen nur darauf zugreifen.«<br />
Denkbar wäre zum Beispiel eine App, die Kunden der <strong>Allianz</strong> Privaten Krankenversicherung bei einer Fahrt ins Ausland<br />
per SMS automatisch an eine Auslandsreiseversicherung erinnert – Abschluss per Knopfdruck. Auch die Servicepalette<br />
von <strong>Allianz</strong> Global Assistance oder von <strong>Allianz</strong> Global Automotive ließe sich mit dem AOS-System erweitern. »So könnten<br />
wir uns im Wettbewerb noch besser aufzustellen«, hebt Fritsch hervor.<br />
Und das bei Wahrung höchster Informationssicherheit. »Datenschutz steht bei uns an erster Stelle«, versichert der AOS-<br />
Chef. »Gegen den Zugriff von außen ist unser Service bestens abgeschirmt. Im Notfallbereich können nur Leitstellenmitarbeiter<br />
auf die Plattform zugreifen, jede Ortung wird nachvollziehbar gespeichert, um Missbrauch auszuschließen.«<br />
Den untreuen Ehemann mit dem AOS-Tool auf den Fersen zu bleiben, dürfte also kaum gelingen, schließlich müsste er<br />
zuvor sein Einverständnis zur Ortung geben. Ist eher unwahrscheinlich.<br />
<br />
WWW.ALLIANZ-ORTUNG.DE
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 55<br />
Leser-Forum<br />
Hat Ihnen das <strong>Journal</strong> gefallen? Oder ging Ihnen etwas<br />
gegen den Strich? Wenn Sie Anregungen, Hinweise oder<br />
Kritik haben – hier können Sie sie loswerden:<br />
journal@allianz.de<br />
Redaktion <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong>, Königinstr. 28, 80802 München<br />
Group Intranet (GIN) → <strong>Allianz</strong> key information → <strong>Journal</strong><br />
Redaktionsschluss für das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 4/2012 ist der<br />
20. Oktober 2012.<br />
HTTP://KNOWLEDGE.ALLIANZ.COM<br />
Das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> ist dort auch in der Screen-Version für iPad<br />
oder iPhone zu finden: einfach das PDF per E-Mail versenden,<br />
und das Magazin steht jederzeit offline zur Verfügung.