Journal - Allianz
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ALLIANZ GROUP<br />
<strong>Journal</strong><br />
Deutsche Ausgabe 2 | 2013<br />
10<br />
26<br />
Dialog in Zeiten des Terrors<br />
Brückenschlag gegen den Hass<br />
»Eine ungemein hässliche<br />
Spezies«<br />
Altersforschung am faltigen<br />
Objekt<br />
Am Rande<br />
Portugal und die Krise<br />
Stern
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 2<br />
INHALT<br />
44 26 20<br />
alle Fotos: Shutterstock | links: Asianet-Pakistan / shutterstock.com<br />
44 Manchmal reicht schon ein stümperhaftes Video oder eine Mohammed-Karikatur, um am anderen Ende der Welt für Aufruhr zu sorgen | 26 Methusalem<br />
im Faltenrock: Bis zu 30 Jahre können Nacktmulle werden. Wissenschaftler sind dem Rätsel der Langlebigkeit auf der Spur | 20 Männer und Frauen passen nicht<br />
zusammen – jedenfalls nicht, was ihre Vorstellungen von Aufstieg und Karriere angeht<br />
KURZ BERICHTET<br />
3 Neues aus der <strong>Allianz</strong> Welt<br />
MEINUNGEN<br />
7 Leserbriefe<br />
10 Dialog in Zeiten des Terrors<br />
Shamil Idriss über Vorurteile<br />
und Annäherung<br />
GLOBAL<br />
13 Kein Ort. Nirgends<br />
Naturgewalten und die Kosten<br />
des Risikos<br />
15 Signal aus Spanien<br />
<strong>Allianz</strong> International in Barcelona<br />
DEUTSCHLAND<br />
17 Land der Nörgler?<br />
Bürgerwille contra Großprojekte<br />
20 Vom Ende der Männer und<br />
der Feigheit der Frauen<br />
Studie zum Frauenmangel<br />
in Chefetagen<br />
23 Vorsicht Schuldenfalle!<br />
My Finance Coach und die<br />
Verlockungen der Konsumwelt<br />
25 »Wir verstecken nichts«<br />
Christian Keller über Schuldenprävention<br />
im Klassenzimmer<br />
EUROPA<br />
26 »Eine ungemein hässliche<br />
Spezies«<br />
Hauptsache gesund: Der Nacktmull<br />
in der Altersforschung<br />
28 Am Rande<br />
Portugal und die Krise<br />
32 Baustelle Europa<br />
Finanzspritze für<br />
Infrastrukturprojekte<br />
33 Rendezvous mit Hamilton<br />
Formel 1 hautnah<br />
AMERIKA<br />
34 »Wie in einem Kriegsgebiet«<br />
Wirbelsturm Sandy – Solidarität<br />
nach der Katastrophe<br />
AUSTRALIEN<br />
36 Elefanten ins Outback<br />
Risikomanagement auf Australisch<br />
ASIEN<br />
39 »Extrem harter Wettbewerb«<br />
Uwe Michel zur Neuaufstellung<br />
in China<br />
GESELLSCHAFT<br />
42 Boulevard der Freiheit<br />
Aufbruch in Casablanca<br />
44 Todfeind am Bildschirm<br />
Toleranztraining im Chatroom<br />
47 Dilbert<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 (Juni)<br />
Zeitschrift für Mitarbeiter<br />
der <strong>Allianz</strong> Gesellschaften<br />
Herausgeber <strong>Allianz</strong> SE<br />
Verantwortlich für den Herausgeber<br />
Emilio Galli-Zugaro<br />
Chefredaktion Frank Stern<br />
Layout volk:art51<br />
Produktion repromüller<br />
Anschrift der Redaktion<br />
<strong>Allianz</strong> SE<br />
Redaktion <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong><br />
Königinstraße 28, 80802 München<br />
Tel 089-3800-3804<br />
journal@allianz.de
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 3<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Kreditversicherung für HSBC-Kunden<br />
Euler Hermes wird exklusiver Anbieter von Kredit versicherungen für Geschäftskunden der Bank HSBC. Eine entsprechende<br />
Übereinkunft wurde im Mai geschlossen. Die globale Vertriebsvereinbarung sichert HSBC-Kunden, die Handel auf<br />
offene Rechnung betreiben, Schutz vor Forderungsausfall. HSBC und <strong>Allianz</strong> Tochter Euler Hermes sind seit 2008 bereits<br />
strategische Partner in Brasilien, Mexiko, den USA, Hongkong, Großbritannien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.<br />
WWW.HSBC.COM<br />
Marktführer in der Türkei<br />
Shutterstock<br />
Die <strong>Allianz</strong> übernimmt von der viertgrößten Privatbank der Türkei, Yapi<br />
Kredi, deren Sach-, Lebens- und Rentengeschäft und wird damit die<br />
Nummer 1 im türkischen Versicherungsmarkt. Gleichzeitig sichert sie<br />
sich eine auf 15 Jahre angelegte, exklusive Bankvertriebsvereinbarung.<br />
Das gaben beide Partner im März bekannt. Mit der Übernahme des<br />
Schaden- und Unfallversicherers Yap Kredi Sigorta sowie der Lebensund<br />
Rentenversicherungstochter Yap Kredi Emeklilik steigt die <strong>Allianz</strong><br />
Türkei zur Nummer 1 im Sachversicherungsgeschäft, zur Nummer 2 im<br />
Rentengeschäft und zur Nummer 3 im Lebensversicherungsgeschäft des Landes auf.<br />
Die Stellung der <strong>Allianz</strong> im türkischen Markt wird zusätzlich durch eine zehnjährige Vertriebsvereinbarung mit der<br />
Bank HSBC gestärkt. Beide Unternehmen arbeiten bereits in verschiedenen asiatischen Märkten beim Vertrieb von<br />
Lebens-, Kranken- und Kreditversicherungen sowie in der Vermögensverwaltung zusammen. Gegen eine Barzahlung<br />
von 23 Millionen Euro wird HSBC ab dem zweiten Halbjahr 2013 in der Türkei exklusiv Lebensversicherungen und<br />
Altersvorsorgeprodukte der <strong>Allianz</strong> an ihre Kunden vertreiben. Weitere europäische Länder sollen folgen.<br />
WWW.HSBC.COM | WWW.ALLIANZ.COM.TR<br />
<strong>Allianz</strong> Stadion in São Paulo<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Die <strong>Allianz</strong> hat sich auf 20 Jahre die Namensrechte für das neue<br />
Stadion des Fußball-Clubs Palmeiras in São Paulo gesichert. Die<br />
Nova Arena wird nicht nur als Sportstadion dienen, sondern soll<br />
auch für Großveranstaltungen und Megashows genutzt werden.<br />
Neben der <strong>Allianz</strong> Arena in München ist die <strong>Allianz</strong> bereits<br />
Namensgeber für Stadien in Australien, England und Frankreich.<br />
Die Baukosten für das Palmeiras-Stadion betragen rund 125<br />
Millionen Euro.<br />
WWW.PALMEIRAS.COM.BR/HOME
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 4<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Botschafter am Piano<br />
Der chinesische Starpianist Lang Lang und die <strong>Allianz</strong> haben im Januar eine globale<br />
Partnerschaft gestartet. Sie ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt und soll der<br />
<strong>Allianz</strong> den Zugang zu neuen Kundensegmenten eröffnen. Lang Lang wird dabei<br />
als globaler Markenbotschafter der <strong>Allianz</strong> fungieren. Darüber hinaus wurde vereinbart,<br />
dass die <strong>Allianz</strong> ein neues Jugendprogramm der Lang Lang International Music Foundation unterstützen wird.<br />
Lang Lang zählt zu den Superstars in der internationalen Musikszene und tritt regelmäßig mit den besten Orchestern<br />
der Welt auf. Pro Jahr gibt er mehr als 120 Konzerte.<br />
WWW.LANGLANG.COM<br />
Arena in Grün<br />
Referenz an Irlands Schutzpatron, den Heiligen Patrick: Am 17. März leuchtete die <strong>Allianz</strong> Arena in München in<br />
ungewohnter Farbe. Statt rot (FC Bayern), blau (1860 München) oder neutral weiß erstrahlte der Fußballtempel irisch<br />
Grün. Anlass war der St. Patrick’s Day, der Nationalfeiertag der Iren. Auch in anderen Teilen der Welt wurden berühmte<br />
Gebäude in die Aktion einbezogen, vom Empire State Building in New York über den Schiefen Turm von Pisa bis zur<br />
Christus-Statue in Rio de Janeiro.<br />
<strong>Allianz</strong> kauft Gasnetz in Tschechien<br />
Shutterstock<br />
Nach der Beteiligung am norwegischen Gastransportnetz Gassled Anfang<br />
letzten Jahres hat die <strong>Allianz</strong> im März zusammen mit der kanadischen Borealis<br />
Infrastructure auch den Gasnetzbetreiber Net4Gas in Tschechien übernommen.<br />
Net4Gas, eine Tochter des deutschen Energieversorgers RWE, betreibt ein<br />
mehr als 3600 km langes Netzwerk von Hochdruckleitungen, die sowohl den<br />
tschechischen Binnenmarkt versorgen als auch russisches Erdgas nach Zentralund<br />
Westeuropa transportieren. Der Kaufpreis beträgt 1,6 Milliarden Euro.<br />
Die <strong>Allianz</strong> und Borealis werden jeweils 50 Prozent an Net4Gas halten.<br />
<strong>Allianz</strong> Life in den Top 100<br />
Zum zweiten Mal in Folge hat es <strong>Allianz</strong> Life in die Liste der 100 besten Arbeitgeber der USA geschafft, die das Magazin<br />
Fortune jedes Jahr herausgibt. Die amerikanische Lebensversicherungstochter mit Sitz in Minneapolis landete auf Rang 59,<br />
Sieger wurde wie im letzten Jahr die Firma Google. An der Umfrage nahmen 259 Unternehmen teil, mehr als 277 000 Mitarbeiter<br />
gaben Auskunft über ihre Führungskräfte, die Zufriedenheit mit dem Job und Fördermaßnahmen im Unternehmen.<br />
WWW.ALLIANZLIFE.COM
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 5<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
ACIS<br />
Flashmob zum Zehnten<br />
Vor zehn Jahren gründete die <strong>Allianz</strong> Großbritannien im indischen<br />
Trivandrum ihre IT-Tochter ACIS. Was als kleiner Laden mit 50 Angestellten<br />
begann, hat sich inzwischen zu einem Unternehmen mit vier Büros und 1600 Mitarbeitern gemausert.<br />
Beim Besuch von <strong>Allianz</strong> UK-Chef Andrew Torrance zum zehnjährigen Bestehen gab es für den Briten eine kleine Überraschung:<br />
Dutzende ACIS-Mitarbeiter starteten zur Begrüßung einen Flashmob zur Musik des koreanischen Popsongs<br />
»Gangnam Style«. Das Jubiläumsjahr will ACIS unter anderem dazu nutzen, sich verstärkt in Sozialprojekten der Stadt<br />
zu engagieren und das Unternehmen in Schulen und Universitäten vorzustellen.<br />
WWW.ACIS.CO.IN<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Kooperation mit<br />
Paralympischem Komitee<br />
Die <strong>Allianz</strong> wird auch in den nächsten vier Jahren den Behindertensport<br />
in der Welt aktiv unterstützen. Im April unterzeichneten Sir<br />
Philip Craven (rechts im Bild), Präsident des Internationalen Paralym<br />
pischen Komitees (IPC) und <strong>Allianz</strong> Vorstand Werner Zedelius<br />
in München eine entsprechende Vereinbarung. Die <strong>Allianz</strong> arbeitet<br />
bereits seit 2006 mit dem IPC zusammen, um dem Behindertensport in der Öffentlichkeit zu mehr Aufmerksamkeit zu<br />
verhelfen. Der Vierjahresvertrag umfasst einen vollen olympischen Zyklus und schließt die Unterstützung zahlreicher<br />
nationaler paralympischer Komitees bei der Vorbereitung auf die Winterspiele 2014 im russischen Sotschi sowie auf<br />
die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro ein. Dazu zählen die Verbände in Australien, Deutschland, Irland, Kroatien,<br />
Mexiko, Österreich, Portugal, der Schweiz, Tschechien und Ungarn.<br />
WWW.SPONSORING.ALLIANZ.COM<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> im Internet<br />
Seit März steht das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> den Lesern auch im Internet zur Verfügung.<br />
Auf der Knowledge-Seite, dem Wissensportal der <strong>Allianz</strong> Gruppe, verfügt das<br />
<strong>Journal</strong> über einen eigenen Bereich, über den man auf die Inhalte des Magazins<br />
zugreifen kann. Zudem finden sich dort sowohl die PDFs der Druckversion,<br />
als auch die für Smartphones und Tablets angepassten Formate.<br />
HTTP://KNOWLEDGE.ALLIANZ.COM/JOURNAL
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 6<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Junior Football<br />
Camp in München<br />
Im August steigt zum fünften Mal das <strong>Allianz</strong> Junior Football<br />
Camp in München. Vom 7. bis 12. August werden<br />
75 Teenager aus 25 Ländern die Gelegenheit erhalten, den<br />
Alltag ihrer Fußballhelden vom FC Bayern auf dem Vereinsgelände in der Säbener Straße hautnah zu erleben. Daneben<br />
erwartet sie ein besonderes Programm: Training mit Jugendtrainern des Bayernclubs, Besuch eines Heimspiels, eine<br />
exklusive Führung durch die <strong>Allianz</strong> Arena und ein Blick hinter die Kulissen des FCB. Und als besonderes Highlight: ein<br />
persönliches Treffen mit den Stars des Champions League-Siegers.<br />
WWW.FOOTBALL-FOR-LIFE.COM<br />
Ende der <strong>Allianz</strong> Bank<br />
Die <strong>Allianz</strong> Bank stellt zum 30. Juni ihre Geschäftstätigkeit ein. Als Grund nannte Andree Moschner, Vorstandschef der<br />
<strong>Allianz</strong> Beratungs- und Vertriebs-AG, die seit Jahren anhaltenden Verluste. Eine Trendwende sei nicht in Sicht gewesen,<br />
so Moschner. Die bundesweit 450 Arbeitsplätze bei der Bank entfallen, die 45 Filialen in <strong>Allianz</strong> Agenturen werden geschlossen.<br />
Die <strong>Allianz</strong> Bank wurde 2009 als Zweigniederlassung der zum <strong>Allianz</strong> Konzern gehörenden Oldenburgischen<br />
Landesbank gegründet.<br />
WWW.OLB.DE<br />
Versicherung vom Handy<br />
Als erstes Unternehmen in Kroatien hat die <strong>Allianz</strong> Zagreb eine Smartphone-Anwendung für Reisekrankenversicherungen<br />
auf den Markt gebracht. Die m-<strong>Allianz</strong>-App ist kostenlos und führt den Nutzer in wenigen Schritten zum Abschluss<br />
einer Versicherung. Es genügt, einige persönliche Daten einzutragen sowie Art der Versicherung und Dauer der Reise<br />
anzugeben. Der entsprechende Beitrag wird dann über die Kreditkarte eingezogen. Selbst, wer sich kurz fristig zu einer<br />
Reise entschließt, kann sich über die App unkompliziert absichern. Die Police wird per E-Mail zugestellt. Ein Serviceteam,<br />
das telefonisch rund um die Uhr erreichbar ist, unterstützt bei Sprachproblemen im Ausland, informiert die<br />
Familie des Betroffenen bei Notfällen und leitet Meldungen über anfallende Kosten an <strong>Allianz</strong> Assistance weiter. Die<br />
Schadenmeldung nach der Rückkehr entfällt damit.<br />
WWW.ALLIANZ.HR
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 7<br />
KURZ<br />
BERICHTET<br />
Ausgezeichnet<br />
Die <strong>Allianz</strong> ist aus der Leserbefragung Reader’s Digest<br />
European Trusted Brands 2013 als vertrauenswürdigste<br />
Marke unter Europas Versicherern hervorgegangen.<br />
Rund 20 000 Leser in zwölf europäischen Ländern nahmen<br />
an der Umfrage teil. Es ist das zwölfte Mal in Folge,<br />
dass die <strong>Allianz</strong> die Spitzenposition erreichen konnte.<br />
Die <strong>Allianz</strong>-Tiriac ist vom rumänischen Versicherungsmagazin<br />
PRIMM zum Versicherer des Jahres 2012 gekürt<br />
worden. Es ist bereits das elfte Mal, dass der <strong>Allianz</strong><br />
Tochter die Auszeichnung zuerkannt wurde.<br />
Euler Hermes ist vom Fachmagazin Trade and Export<br />
Middle East in Dubai als beste Kreditversicherung des<br />
Jahres ausgezeichnet worden.<br />
Personalien<br />
Noboru Tsuda ist seit 1. März Chef der <strong>Allianz</strong> Life<br />
Insurance Japan. Er hat die Nachfolge von Olaf Kliesow<br />
angetreten, der bei der <strong>Allianz</strong> SE in München den<br />
Bereich Global Life & Health Portfolio Management<br />
übernommen hat.<br />
Pawel Dangel tritt nach mehr als 15 Jahren an der Spitze<br />
der <strong>Allianz</strong> in Polen in den Ruhestand. Sein Nachfolger<br />
wird Witold Jaworski.<br />
David Fried, Regional-Chef der <strong>Allianz</strong> Asia Pacific in<br />
Singapur, hat das Unternehmen im Januar auf eigenen<br />
Wunsch verlassen, um neue Aufgaben außerhalb der<br />
<strong>Allianz</strong> Gruppe zu übernehmen. Seine Aufgaben hat<br />
interimsmäßig <strong>Allianz</strong> Vorstand Manuel Bauer übernommen.<br />
Chris James, Chef von <strong>Allianz</strong> Taiwan Life, ist im Mai in<br />
den Ruhestand getreten. Nachfolger wurde Danny Lam.<br />
MEINUNGEN<br />
Zu kurz gegriffen<br />
Leserbriefe<br />
Heidrun Naujoks von <strong>Allianz</strong> Leben in München kommentiert den Artikel »Fruchtbare Investitionen«<br />
im <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 1/2013:<br />
In dem Artikel »Fruchtbare Investitionen« von Michael Grimm wird auf die Frage »Warum müssen (trotz wachsender<br />
Erträge der Landwirtschaft) immer noch Millionen Menschen hungern?« Bryan Agbabian von <strong>Allianz</strong> Global Investors<br />
mit der Antwort zitiert: »Wir produzieren immer noch nicht genug.« Diese Aussage wird einfach so stehen gelassen,<br />
als handele es sich um eine unstrittige Wahrheit.<br />
Die Antwort greift aber viel zu kurz, ist vielleicht sogar falsch. Laut den Vereinten Nationen werden zum Beispiel<br />
weltweit jährlich zirka 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel in den Müll geworfen. Die in den Industrienationen<br />
weggeworfene Menge allein könnte theoretisch ausreichen, um alle hungernden Menschen zu ernähren. Es werden<br />
laut Ansicht vieler Experten also durchaus zwar ausreichend Nahrungsmittel produziert, nur sind diese eben nicht<br />
gerecht verteilt.<br />
Es gibt zu der Thematik noch zahlreiche andere Gesichtspunkte, und es wäre schön gewesen, wenn diese zumindest<br />
kurze Erwähnung in dem Artikel gefunden hätten, denn für einfache Antworten ist das Thema definitiv zu komplex. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 8<br />
MEINUNGEN<br />
Und nicht zuletzt: Ob global agierende Agrarkonzerne beziehungsweise deren Investoren tatsächlich der Landwirtschaft<br />
in den armen und ärmsten Regionen der Welt im Endeffekt helfen, darf zumindest bezweifelt werden. Zum Thema<br />
Fleischkonsum teile ich die Ansicht des Ökonomen Gernot Klepper und vieler Experten, die in der steigenden Nachfrage<br />
nach Fleisch weltweit ebenfalls eine der Ursachen von Nahrungsmittelverknappung aufgrund des zunehmenden<br />
Futtermittelanbaus sehen. Mich würde interessieren, ob die <strong>Allianz</strong> trotzdem auch Investitionen in Unternehmen der<br />
Fleischindustrie tätigt. Man muss vermutlich leider davon ausgehen, wenn die Investitionen des Global Agricultural Trends<br />
Fonds tatsächlich »das gesamte Spektrum von Lebensmittelproduktion, -verarbeitung, und -verteilung« abdecken.<br />
Verheerende Auswirkungen<br />
Auch Sepp Sperr von der <strong>Allianz</strong> Deutschland in München setzt sich mit dem Artikel »Fruchtbare<br />
Investitionen« auseinander:<br />
Sie schreiben »Wir produzieren immer noch nicht genug«. Das kann ich nicht so stehen lassen. Haben Sie sich schon<br />
mal gefragt, warum soviel Lebensmittel weggeworfen werden? Zitat aus dem Film »We feed the World«: »Tag für<br />
Tag wird in Wien gleich viel Brot entsorgt, wie Graz verbraucht. Auf rund 350 000 Hektar, vor allem in Lateinamerika,<br />
werden Sojabohnen für die österreichische Viehwirtschaft angebaut, daneben hungert ein Viertel der einheimischen<br />
Bevölkerung. Jeder Europäer isst jährlich zehn Kilogramm künstlich bewässertes Treibhausgemüse aus Südspanien,<br />
wo deswegen die Wasserreserven knapp werden.« Weiter schreiben Sie, »Unser Fonds investiert in Firmen, die dazu<br />
beitragen, die Lebensmittelproduktion zu steigern.« Allerdings schreiben Sie – vermutlich ganz bewusst – nicht, in<br />
welchen Gegenden diese Firmen die Lebensmittelproduktion steigern.<br />
Auch Ihre Meinung, dass die Biospritproduktion nur geringen Einfluss auf die Preise hat, kann ich nicht teilen.<br />
Abgesehen davon, dass Biosprit äußerst umweltschädlich ist (zum Beispiel durch Abholzen von Regenwald), wird<br />
durch die Umnutzung von Grundnahrungsmitteln zu Treibstoffen die Nachfrage nach diesen Rohstoffen erhöht,<br />
und somit steigen auch die Preise, die sich die armen Länder dann nicht mehr leisten können. Reiche Bauern, die<br />
Überschüsse produzieren können, verkaufen dann lieber die Nahrungsmittel an reiche Länder, so dass es in den armen<br />
Ländern noch weniger zu essen gibt, und streichen somit auch noch einen beträchtlichen Gewinn ein. Die armen<br />
Bauern können dagegen kaum soviel erzeugen, dass sie selber satt werden, und müssen somit auch noch die teuren<br />
Lebensmittel kaufen, die sie sich nicht leisten können.<br />
Zustimmen kann ich, dass nur ein ökologischer Ernährungsstil Abhilfe schafft, aber sicher kein verstärkter Düngereinsatz.<br />
Denn Dünger wird meist auch nur da eingesetzt, wo es sowieso schon genug zu essen gibt oder die<br />
Landwirtschaft ihre Erzeugnisse exportiert (zum Beispiel Soja aus Brasilien). Und das hat verheerende Auswirkungen.<br />
Frust im Vertrieb<br />
<strong>Allianz</strong> Hauptvertreter Horst Frei aus Mosbach in Baden-Württemberg zum Interview mit dem Chef von<br />
<strong>Allianz</strong> Global Automotive, Karsten Crede:<br />
Dass die <strong>Allianz</strong> im Bereich Global Automotive wachsen will, ist verständlich. Warum jedoch dieser Artikel im <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Journal</strong> erscheint, ist mir persönlich schleierhaft. Meine Kollegen und ich leben vom Versicherungsverkauf. Nun hat<br />
man wieder einmal den Wettbewerber im eigenen Hause. Wir haben in Kraft gerade zwei Jahre mit erheb lichen<br />
Prämienanpassungen hinter uns. Viele Kunden haben uns verärgert ob des Preises verlassen.<br />
Gleichzeitig wird der designierte Vorstandsvorsitzende der neu gegründeten VW-Versicherung (unter Federführung<br />
der <strong>Allianz</strong>!) mit den Worten »Beim Preis sehen wir noch Luft nach unten« in der Presse zitiert. Und dies bei einem<br />
Versicherer, der jetzt schon erheblich günstiger ist und auch noch bessere Leistungen anbieten kann als der <strong>Allianz</strong> >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 9<br />
MEINUNGEN<br />
Vertreter um die Ecke. Solch ein Artikel motiviert den Ausschließlichkeitsvertrieb sicher ungemein. Ich erwarte nicht,<br />
dass künftig jeder Artikel im <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> Freudentänze bei mir auslöst, jedoch wäre etwas »Feingefühl« angebracht,<br />
um den Vertrieb nicht noch mehr zu frustrieren.<br />
Mehr als nur finanzielle Hilfe<br />
Linda Murphy von <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty in Los Angeles über die Kooperation der <strong>Allianz</strong> mit<br />
MyHandicap:<br />
Vor kurzem hat ein Mitglied meiner Familie ein Bein verloren. Es folgten zahlreiche Operationen und Monate, in denen<br />
wir uns alle an dieses neue Leben mit Rollstuhl und Prothese gewöhnen mussten. Es ist großartig, dass die <strong>Allianz</strong><br />
dem Einzelnen nicht nur finanzielle Unterstützung bietet, sondern mit sozialen Initiativen zusammenarbeitet, die<br />
versuchen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Wir hatten zuvor noch nicht von MyHandicap gehört<br />
und haben uns gefreut, von den Vorteilen, die die Organisation bietet, zu erfahren. Die Versicherungsprodukte, die<br />
in Zukunft angeboten werden sollen, werden behinderten Menschen helfen. Es ist schön für ein Unternehmen zu<br />
arbeiten, das mit solchen Organisationen kooperiert.<br />
»Viele Wege führen nach Rom«<br />
Axel Steinhoff von der <strong>Allianz</strong> Beratungs- und Vertriebs-AG in München geht auf das Interview zum Thema<br />
Unternehmenskultur mit Dieter Wemmer und Manuel Bauer ein:<br />
Frank Stern hat in seinem Interview mit Manuel Bauer und Dieter Wemmer die Frage gestellt, wie sich unterschiedliche<br />
Wertesysteme und Kulturen auf Führungsverhalten und Führungskultur auswirken, aber meines Erachtens nach<br />
leider nur eine Antwort zu einer Seite der Medaille erhalten. Die gegebene Antwort wirkte auf mich eher wie ein aus<br />
deutscher Sicht verfasster Kommentar zum Entwicklungsstand eines anderen Wertesystems. Dabei stand offenbar<br />
im Vordergrund, was deutsches (Führungs-) Verhalten in den genannten Ländern bewirkt hat, zum Beispiel im Sinne<br />
einer anderen Kommunikation oder eines anderen Informationsaustausches.<br />
Eine andere Intention der Frage war nach meinem Verständnis aber anders herum gemeint, also welche Effekte<br />
andere Werte systeme und Kulturen auf Führungsverhalten generell haben, so zum Beispiel auch auf das Verhalten<br />
von Führungskräften hier im eige nen Land. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Akzeptanz und der Respekt<br />
vor anderen Kulturen, Werte- und Kommunikationssystemen ein nicht<br />
zu unterschätzendes Thema ist, sowie natürlich dann auch der Umgang<br />
damit im Kontext unseres<br />
Systems oder unserer Richtlinien.<br />
Meiner Auffassung nach liegt<br />
der Effekt solcher Erfahrungen<br />
in ausländischen Kulturen eher<br />
in einer bereichernden und<br />
heilsamen Reflexion unseres<br />
Führungsverhaltens. Damit kann<br />
es dann auch gerade hier vor Ort<br />
gelingen, tolerant und offen zu<br />
werden für die vielen Wege, die<br />
nach Rom führen.<br />
Leser-Forum<br />
Hat Ihnen das <strong>Journal</strong> gefallen? Oder ging Ihnen etwas<br />
gegen den Strich? Wenn Sie Anregungen, Hinweise<br />
oder Kritik haben – hier können Sie sie loswerden:<br />
journal@allianz.de<br />
Redaktion <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong><br />
Königinstr. 28, 80802 München<br />
Group Intranet (GIN) → <strong>Allianz</strong> key information → <strong>Journal</strong><br />
http://knowledge.allianz.com/journal<br />
Redaktionsschluss für das <strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2013<br />
ist der 30. August 2013.<br />
Shutterstock
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 10<br />
MEINUNGEN<br />
dpa / picture-alliance<br />
In einer Zeit, da die Gräben<br />
zwischen dem Westen und<br />
der muslimischen Welt<br />
immer größer werden,<br />
versucht eine kleine Organisation<br />
im Internet den<br />
Brückenschlag. Wir sprachen<br />
mit dem Geschäftsführer<br />
von Soliya, Shamil Idriss, über<br />
Dialogbereitschaft in Zeiten<br />
des Terrors.<br />
INTERVIEW: FRANK STERN<br />
Hass auf den Westen:<br />
die mutmaßlichen<br />
Attentäter von Boston<br />
Dialog in Zeiten des Terrors<br />
Mr. Idriss, wenn Sie sich die Welt heute ansehen, glauben Sie wirklich, dass sich die Gräben mit virtuellen<br />
Runden Tischen im Internet überbrücken lassen, wie sie Soliya für westliche und musli mische Studenten<br />
organisiert?<br />
Wenn ein Pastor in Florida, der kaum 50 An hänger in seiner Gemeinde hat, vor 15 oder 20 Jahren damit gedroht hätte,<br />
einen Koran zu verbrennen, hätte sich keiner darum geschert. Heute verbreitet sich so etwas in Windeseile übers<br />
Internet. Ich ziehe daraus den Schluss, dass wir möglichst viele Menschen zur Zusammenarbeit über gesellschaftliche<br />
Grenzen hinweg befähigen müssen. Und die einzige reelle Möglichkeit dafür sind virtuelle Kontakte. Weniger als zwei<br />
Prozent der jungen Menschen nehmen heute an Austauschprogrammen teil. Wenn wir mit unserer Initiative eine<br />
kritische Masse von, sagen wir, 15 Prozent der Bevölkerung erreichen, wäre das eine Größenordnung, mit der wir echt<br />
etwas bewegen könnten.<br />
Wie weit darf interkultureller Dialog gehen? Wo verläuft die Grenze zwischen Toleranz und der<br />
Verleugnung der eigenen Werte?<br />
Für einen Regierungsvertreter ist es sicher legitim, sich einem Dialog mit bestimmten Parteien zu verweigern, um<br />
sie nicht auf zuwerten. Wenn es um den Dialog zwischen einfachen Menschen geht, sollte es meiner Meinung nach<br />
ein solches Tabu nicht geben.<br />
Ich glaube, oft ist die Konfrontation mit jeman dem, der mit einem nicht übereinstimmt, der beste Weg, die eigenen<br />
Positionen zu überprüfen. Welche Werte man auch immer haben mag, man profitiert davon, wenn man sie verteidigen<br />
muss. Vielleicht hinterfragt man nach einer solchen Diskussion einige davon, oder man fühlt sich in ihnen<br />
bestätigt. Viel gefährlicher ist es, in einer abgeschlossenen Blase zu leben.<br />
Wie aber findet man eine gemeinsame Grundlage, wenn man mit einer Weltauffassung konfrontiert wird,<br />
die im Westen seit der Aufklärung überwunden ist? >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 11<br />
MEINUNGEN<br />
Ich kann die Auffassung nicht teilen, dass man keinen Dialog zwischen Menschen hinkriegt, die von unterschiedlichen<br />
intellektuellen Traditionen und Gesellschaftsentwicklungen geprägt sind. Schon gar nicht jetzt, da in vielen muslimischen<br />
Ländern eine ganze Reihe von fundamentalen Annahmen hinterfragt werden.<br />
Ein ägyptischer Professor, der an Ihrem Programm teilgenommen hat, hat beschrieben, wie geschockt<br />
einige seiner Studenten waren, als sie am Bildschirm mit Juden diskutieren sollten.<br />
Es gibt auf beiden Seiten eine Fülle von Unterschieden, es gibt Ängste, Vorurteile und Unwissenheit. Das Beste, solch<br />
vorgefasste Einstellungen aufzulösen ist, Menschen mit Menschen zusammenzubringen und Auffassungen mit der<br />
Realität zu konfrontieren. Es gab da tatsächlich Studenten, die überzeugt waren, dass Juden anders aussehen als<br />
andere Menschen. Das ist erschreckend, aber das glauben Studenten eben, die noch nie einen Juden getroffen haben,<br />
die in einer Welt aufgewachsen sind, in der nur Negatives über Juden kolportiert wird. Für sie sind diese direkten<br />
Gespräche eine umwälzende Erfahrung. Zurück zu Ihrer Frage: Ja, ich glaube, wenn es um die Überwindung von<br />
Unwissenheit und Vorurteilen geht, ist das Internet unverzichtbar.<br />
Manch einer könnte meinen, dass Soliya die westlichen Werte aushöhlt, andere argwöhnen vielleicht,<br />
dass Sie ein Kollaborateur des Westens sind.<br />
Gab es alles. Viele Leute sind uns gegenüber anfangs misstrauisch.<br />
Verständlich. Für einen muslimischen Studenten muss es verdächtig erscheinen, dass die US-Regierung<br />
das Programm finanziert.<br />
Also zunächst einmal erhalten wir von der US-Regierung für unser Connect-Programm keine finanzielle Unterstützung.<br />
Die gibt es nur für das anschließende Stipendiatenprogramm. Wir werden oft gefragt, wer uns finanziert und gehen<br />
damit sehr offen um. Wir sind stolz darauf, dass wir von der norwegischen und der Schweizer Regierung finanziell<br />
unterstützt werden. Wir erhalten Mittel von der Alwaleed Bin Talal-Stiftung, der Ford-Stiftung, der <strong>Allianz</strong> Stiftung für<br />
Nordamerika und aus verschiedenen anderen Quellen. Diese Vielfalt ist für uns von großer Bedeutung.<br />
Sie kooperieren mit einer Vielzahl von Universitäten in Ägypten, das von den Muslimbrüdern regiert wird.<br />
Wie sieht die Zukunft von Soliya in Ägypten aus?<br />
Ich weiß es nicht. Zuvor hatten wir es mit einem autokratischen Regime zu tun, und ich war damals wenigstens<br />
genauso besorgt. Aber es gibt vielversprechende Entwicklungen. Wir haben auch in unserem Programm Mitglieder<br />
und Sympathisanten der Muslimbrüder. Sie sind Teil der Gesellschaft. Man kann die Religion dort nicht einfach ausblenden.<br />
Aber auch sie finden das Connect-Programm gut. Wir unterhalten zwei Klassen an der Al-Azhar-Universität<br />
in Kairo. Und dort will man unser Angebot ausweiten. Das zeigt, dass auch Menschen mit religiösen Überzeugungen<br />
echtes Interesse an Austausch haben.<br />
Im Moment sieht es eher so aus, als steuere Ägypten auf eine Diktatur zu.<br />
Das kommt auf die Perspektive an. Die Wahlen im letzten Jahr wurden allgemein als rechtmäßig angesehen.<br />
Das wurden sie in Deutschland 1933 auch.<br />
Jede Übergangsphase bedeutet für eine Gesellschaft Risiken. Ich glaube aber nicht, dass die Entwicklung unvermeidlich<br />
diese Richtung nehmen muss. Ich weiß nicht, ob Präsident Mursi ein neuer Idi Amin ist oder ein Abraham<br />
Lincoln. Aber ich bin jedem gegenüber skeptisch, der das schon jetzt ganz genau sagen kann. Ich will nicht alles<br />
verteidigen, was Mursi tut, aber was mich stört ist, dass Menschen aus beiden ideologischen Lagern so von ihrer<br />
Meinung überzeugt sind. Ich glaube, die Situation ist weitaus komplizierter. Ja, die Gefahr, dass sich die Sache in eine<br />
antidemokratische Richtung entwickelt, ist da, aber ausgemacht ist das nicht. Eine der großen Herausforderungen >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 12<br />
MEINUNGEN<br />
Stern<br />
für jede Übergangsgesellschaft ist Ungeduld. Dieses gesellschaftliche<br />
Experiment wird mindestens eine Generation brauchen, wenn nicht<br />
mehr. Wir reden hier also von mindestens 30 Jahren.<br />
Weltweit arbeiten Sie mit über 100 Universitäten in 27 Ländern<br />
zusammen. Wenn Sie ideologische Gräben überwinden<br />
wollen, warum ist dann keine einzige aus Israel dabei?<br />
Einige unserer Stipendiaten und Moderatoren kommen aus Israel.<br />
Und es gibt auch Israelis, die an unserem Connect-Programm<br />
teilnehmen. Was Kooperationen mit israelischen Universitäten<br />
angeht, ist das derzeit allerdings äußerst schwierig. Der Libanon<br />
zum Beispiel ist offiziell noch immer im Krieg mit Israel. Es könnte<br />
für Studenten sogar gefährlich werden, wenn ihre Universität<br />
offizielle Kontakte mit israelischen Institutionen unterhielte. Für<br />
viele Universitäten in arabischen Ländern ist es ohnehin schwierig,<br />
sich an unserem Programm zu beteiligen.<br />
SHAMIL IDRISS<br />
Shamil Idriss ist seit 2009 Geschäftsführer von Soliya. Der<br />
Amerikaner mit syrischen und türkischen Vorfahren ist ein<br />
Experte auf dem Gebiet der Konfliktmediation. 2005 wurde<br />
er von UN-Generalsekretär Kofi Annan als stellvertretender<br />
Direktor der UN Alliance of Civilizations berufen, die dem Extremismus<br />
und der Polarisierung in der Welt entgegenwirken<br />
soll. Er arbeitete für das Weltwirtschaftsforum und als Berater<br />
für Search for Common Ground (SFCG/Suche nach einer<br />
gemeinsamen Basis), einer Organisation für Konfliktlösung mit<br />
An diesen Realitäten werden virtuelle Diskussionsrunden<br />
Büros in 17 Ländern. Der 40-jährige New Yorker ist Mitglied im<br />
nichts ändern.<br />
Netzwerk Muslim Leaders of Tomorrow (Muslimische Führer<br />
Wir müssen die Kontakte zwischen den Menschen ausweiten.<br />
von morgen) und im Netzwerk Young Global Leaders des<br />
Noch immer reichen ein paar hasserfüllte Agitatoren oder ein<br />
Weltwirtschaftsforums. Idriss lebt mit Frau und zwei<br />
Töchtern in der Nähe von New York.<br />
lächerliches Video im Internet, um die Emotionen aufzuschaukeln<br />
und unsere Gesellschaften gegeneinander in Stellung zu bringen.<br />
Das muss aufhören. Wir müssen heute trotz aller Differenzen<br />
zusammenarbeiten, um die Vielzahl an Problemen zu lösen, vor denen die Menschheit als Ganzes steht. Deshalb<br />
ist es so wichtig, dass es mehr Menschen gibt, die den Willen und die Fähigkeit dazu haben. Regierungen allein<br />
werden es nicht schaffen, ihr Einfluss sinkt. Die wichtigste Frage, mit der wir uns befassen müssen, ist nicht der<br />
»Kampf der Kulturen«, sondern es sind die tiefgreifenden Unterschiede in der Welt. Nehmen wir die gesellschaftliche<br />
Spaltung in den USA, den Bruch zwischen Säkularen und Religiösen, zwischen Linksaußen und Rechtsaußen. Die<br />
Unversöhnlichkeit ist so extrem, dass wir kaum mehr in der Lage sind, die notwendigsten Dinge im Land zu erledigen.<br />
Vielleicht sollten Sie ein Dialogprogramm eigens für die USA aufsetzen.<br />
Es gibt auch in Europa genügend Länder, die von großen Differenzen geprägt sind. Vergessen Sie den Kampf zwischen<br />
Islam und dem Westen. Wenn es uns nicht mal gelingt, in unseren eigenen Ländern über ideologische Gräben hinweg<br />
vernünftig miteinander zu reden, werden wir die fundamentalen Probleme der Menschheit nicht in den Griff<br />
bekommen. Wir müssen kooperationsfähig werden, trotz aller Differenzen.<br />
Solange die Palästinenser keinen eigenen Staat haben, wird der Bruch bestehen bleiben.<br />
Das ist der Knackpunkt, da stimme ich zu. Ich glaube zwar nicht, dass mit der Lösung dieser Frage alle Probleme<br />
verschwinden. Doch wenn sie nicht gelöst wird, werden wir in allem, was wir versuchen, beschränkt bleiben. Für<br />
mich liegt der Schlüssel darin, dass wir immer größere Gemeinschaften heranbilden, die willens und in der Lage sind,<br />
miteinander zu reden und Einfluss auf eine Lösung zu nehmen. Es gab in der Geschichte zahllose andere Konflikte,<br />
die kaum zu bewältigen schienen. Doch am Ende wurden sie gelöst.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 13<br />
GLOBAL<br />
w<br />
dpa / picture-alliance<br />
Kein Ort. Nirgends<br />
Am 11. März 2011 löste ein Erdbeben vor<br />
der Ostküste der japanischen Hauptinsel<br />
Honshu einen verheerenden Tsunami<br />
aus. Über 20 000 Menschen kamen in den<br />
Fluten ums Leben<br />
Es gehört zu den großen Mysterien unserer Zeit, dass die Natur die Versicherungsbranche immer<br />
wieder auf dem falschen Fuß erwischt. Das Erdbeben in Neuseeland, der Tsunami in Japan, die Jahrhundertflut<br />
in Thailand – jedes Mal staunt die Fachwelt, dass es keiner hat kommen sehen. Seit 2011,<br />
dem schlimmsten Katastrophenjahr aller Zeiten, versucht eine Einheit bei der <strong>Allianz</strong>, den Blick fürs<br />
Risiko zu schärfen.<br />
FRANK STERN<br />
Die schlechte Nachricht zuerst: Es gibt auf der Erde keinen sicheren Ort. Nirgends. Der Meteorit, der am 15. Februar<br />
über dem russischen Tscheljabinsk explodierte, hat das einmal mehr deutlich gemacht. »Wäre der Brocken etwas<br />
später runtergekommen, hätte es zum Beispiel auch Deutschland treffen können«, sagt Markus Aichinger. »Da wären<br />
dann ein paar Scheiben mehr zu Bruch gegangen als im Ural.«<br />
Aichinger gehört zu einer Gruppe von Experten, die <strong>Allianz</strong> Underwriter dabei unterstützen soll, das Schadenpotenzial<br />
von Naturereignissen vor allem in der Firmenversicherung (MidCorp) besser zu erkennen und eine adäquate Prämie<br />
anzusetzen. Meteoriten stehen beim NatCat-Team (Naturkatastrophen) des Bereichs Global P&C (Property/Casualty –<br />
Schaden- und Unfallversicherung) dabei weniger im Fokus. »Die Wahrscheinlichkeit, dass einem so ein Teil auf den<br />
Kopf fällt, ist verschwindend gering«, sagt Aichinger. »Was die Profitabilität des Geschäfts auffrisst, sind die vielen<br />
Schäden durch Hagel, Wasser und Sturm. Der Trend zeigt hier eindeutig nach oben.«<br />
Aichinger, von Haus aus Meteorologe, sieht die Prämien immer einen Schritt hinter den Ausgaben hinterherhinken.<br />
»Das Schaden- und Unfallgeschäft trägt zu fast 50 Prozent zum operativen Ergebnis der <strong>Allianz</strong> bei. Wir hätten ein<br />
Riesenpotenzial, wenn wir hier nur einen Tick besser wären«, ist er sicher. Die P&C Academy, Teil des 2011 ins Leben >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 14<br />
GLOBAL<br />
beide Fotos: Roth<br />
Raimund Büllesbach: »Unsere Underwriter<br />
dürfen nicht nur das Einzelrisiko<br />
im Auge haben« | rechts: Das NatCat-<br />
Team: Meteorologe Markus Aichinger,<br />
Ozeanograph Edzard Romaneessen und<br />
Volkswirt Curzio Coli (v.l.)<br />
gerufenen Bereichs Global P&C, soll den Underwritern der Gruppengesellschaften dafür das technische Know-how<br />
mit auf den Weg geben. Aichinger und Kollegen sind auch dort im Einsatz (siehe Kasten).<br />
Neben Risikobewertung und Tarifberechnung wird in den Seminaren und Lehrgängen der P&C Academy auch die<br />
grundsätzliche Frage diskutiert, wie in den Tochtergesellschaften der Gefahr der Risikohäufung begegnet werden<br />
kann – ein Problem, das die Flut in Thailand 2011 drastisch vor Augen geführt hat. »Unsere Underwriter dürfen<br />
nicht nur das Einzelrisiko im Auge haben«, betont Raimund Büllesbach, Leiter der P&C Academy. »Sie müssen auch<br />
verstehen, wie ihre Zeichnungspraxis die Belastung des Portfolios durch Katastrophen ereignisse und damit letztlich<br />
auch das Gesamtergebnis der Gruppe beeinflusst.«<br />
Für diesen Blick aufs Ganze brauchen sie allerdings die technischen Mittel. Und genau das ist die Crux: IT-Systeme, die<br />
über die Häufung ähnlich gelagerter Risiken in einer Region Aufschluss geben könnten, fehlen häufig – zumindest<br />
im Firmengeschäft. Andere Bereiche sind da bereits einen Schritt weiter. <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty (AGCS)<br />
zum Beispiel setzt schon seit Jahren auf Google Earth, um bei der Versicherung von Großunternehmen Kumulrisiken<br />
aufzuspüren. Google Earth liefert die Geodaten, die Angaben über versicherte Objekte samt Versicherungssummen<br />
und Selbstbehalten steuert die AGCS-Datenbank bei. Auch die Beratungseinheit <strong>Allianz</strong> Risk Consultants (ARC) nutzt<br />
Google Earth mittlerweile. Im Firmengeschäft gibt es ein ähnliches Instrument bislang nicht.<br />
Global P&C<br />
Der Bereich Global P&C wurde 2011 ins Leben<br />
gerufen. Er soll <strong>Allianz</strong> Gesellschaften dabei<br />
unterstützen, die Profitabilität ihres Schadenund<br />
Unfallgeschäfts zu sichern. In Seminaren<br />
und Lehrgängen der P&C Academy wird dazu<br />
das technische Know-how für Risikobewertung,<br />
Tarifgestaltung und Portfolio-Management<br />
vermittelt. Zudem nehmen Fachleute von Global<br />
P&C jedes Jahr die Schaden- und Unfallbereiche<br />
mehrerer <strong>Allianz</strong> Gesellschaften unter die Lupe<br />
(MidCorp Business Reviews) und erarbeiten<br />
Vorschläge zur Verbesserung der Profitabilität.<br />
Erfolgreiche Praxismodelle werden auch<br />
anderen Gruppengesellschaften vorgestellt und<br />
fließen in die Programme der P&C Academy<br />
ein. Seit 2012 unterstützt das NatCat-Team von<br />
Global P&C unter Leitung von Edzard Romaneessen<br />
<strong>Allianz</strong> Einheiten speziell beim Absichern des<br />
Geschäfts gegen Naturereignisse sowie gegen<br />
die Akkumulation von Risiken im Portfolio.<br />
GLOBALPC@ALLIANZ.COM<br />
Die Überlegung, sich in einem Markt in Stellung zu bringen, könne<br />
natürlich dazu führen, Policen, zumindest zeitweise, ganz bewusst<br />
unter Preis anzubieten, erläutert Markus Aichinger: »Eine solche<br />
Durststrecke in Kauf zu nehmen, macht unter Umständen durchaus<br />
Sinn, aber man muss wissen, was man tut, und sich vorher überlegen,<br />
wo die Schmerzgrenze liegt.« Doch gerade in den Wachstumsmärkten<br />
förderte in der Vergangenheit oft erst ein Großschadenereignis zutage,<br />
dass man sich bei Risiko und Tarif verkalkuliert hatte. Vor derart bösen<br />
Überraschungen will das NatCat-Team von Global P&C die <strong>Allianz</strong><br />
künftig bewahren.<br />
Als Meteorologe hat Aichinger dabei naturgemäß vorrangig Sturm,<br />
Hagel und Überschwemmungen im Visier. »Atmosphärische<br />
Ereignisse verursachen bei uns die meisten Schäden«, konstatiert der<br />
Wetterfachmann. »In den Prämien spiegelt sich das Risiko jedoch oft<br />
nur unzureichend wieder.« Eine kleine Verschnaufpause erhofft er sich<br />
von der Tatsache, dass die globale Erwärmung seit 15 Jahren stagniert:<br />
»Vielleicht gibt uns das ja etwas Spielraum, um mit den Prämien<br />
wieder aufzuschließen.«
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 15<br />
GLOBAL<br />
Dlouhy<br />
Signal aus Spanien<br />
<strong>Allianz</strong> Vorstände Dieter Wemmer (li.) und Michael<br />
Diekmann zogen in Barcelona eine positive Bilanz<br />
Bislang ist die <strong>Allianz</strong> ziemlich glatt durch die Finanzkrise gekommen, besser jedenfalls als viele ihrer<br />
Wettbewerber. Auf dem diesjährigen <strong>Allianz</strong> International in Barcelona diskutierten 200 Top-Manager<br />
aus 40 Ländern darüber, wie man die Spitzenposition verteidigt.<br />
PETRA KRÜLL<br />
»Die <strong>Allianz</strong> steht jetzt dort, wo ich sie immer haben wollte.« Zum Auftakt des <strong>Allianz</strong> International (AZI) im März<br />
in Barcelona erläuterte <strong>Allianz</strong> Chef Michael Diekmann, wie die Gruppe die Spitzenposition in der Branche beim<br />
operativen Ergebnis erreicht hat und wie mit einer soliden Anlagebasis die Auswirkungen des Niedrigzinsumfeldes<br />
abgefedert werden konnten. »Ja, wir können zufrieden sein«, fügte er hinzu, um gleich wieder vor zu viel Übermut<br />
zu warnen: »An der nächsten Ecke könnten bereits die nächsten Gefahren lauern.«<br />
Neben Strategie und Finanzen standen auch Digitalisierung, Vertrieb, Lebensversicherungsprodukte, Anlagen und<br />
Risiken auf der Tagesordnung des zweitägigen Treffens. Um all die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen,<br />
braucht die <strong>Allianz</strong> nach Diekmanns Überzeugung einen übergreifenden Wertekanon und gemeinsame Ziele.<br />
Finanzvorstand Dieter Wemmer griff den Faden auf und wies darauf hin, dass es für die <strong>Allianz</strong> Gruppe gerade beim<br />
Kapitaleinsatz wichtig sei, eine Sprache zu sprechen. Gleichzeitig hob er die Bedeutung des Underwriting für die<br />
Kontrolle auf der Ausgabenseite hervor. »Wir haben alles, worauf es ankommt, aber wir müssen wie ein Löwe kämpfen,<br />
wenn es um die Umsetzung geht.« Um den Wettbewerb auf Abstand zu halten und für alle Interessengruppen ein<br />
verlässlicher Partner zu sein, sei die Kapitalstärke für einen Finanzdienstleister das wichtigste Argument, so Wemmer.<br />
Viele Redner verwiesen darauf, wie wichtig einfachere Produkte und Prozesse für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
seien. Der starke Markenauftritt der <strong>Allianz</strong> und intelligente Übernahmen wie die in Belgien und Frankreich<br />
oder kürzlich in der Türkei würden auch künftig für Wachstum sorgen. Doch die Grundlage für den Erfolg, da waren<br />
sich alle einig, seien die Integrität und der gute Ruf des Unternehmens. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 16<br />
GLOBAL<br />
beide Fotos: Dlouhy<br />
»Ein tolles Modell«<br />
Das Thema digitale Transformation der <strong>Allianz</strong> stand auch in diesem Jahr<br />
wieder ganz oben auf der Agenda. Auf diesem Gebiet ist die spanische<br />
<strong>Allianz</strong> Seguros schon seit langem Vorreiter. Sie hat auf der iberischen<br />
Halbinsel und in Lateinamerika ein Geschäftsmodell und eine übergreifende<br />
IT-Plattform etabliert und damit allen vorgemacht, wie sich die Produktivität<br />
steigern und Service und Effizienz verbessern lassen. Der Wissenstransfer<br />
über Ländergrenzen hinweg sorgte dafür, dass sich die Position der lokalen<br />
Gesellschaften in unterschiedlichsten Märkten spürbar verbesserte und<br />
sich für die <strong>Allianz</strong> neben Asien und Osteuropa mit Lateinamerika eine<br />
dritte Wachstumsregion eröffnete. »Ein tolles Modell«, meinte Diekmann<br />
anerkennend.<br />
Die Digitalisierung verändert die Art, wie Menschen miteinander kommunizieren, und wirkt sich damit auch<br />
auf das Versicherungsgeschäft aus. Soziale Medien sind mittlerweile allgegenwärtig, und sie bieten durch mehr<br />
Kontaktpunkte zum Kunden auch Geschäftsmöglichkeiten. Digitale Elemente müssten zunehmend in etablierte<br />
Geschäftsmodelle einbezogen werden, um auch Vertretern bessere Zugangschancen zum Kunden zu eröffnen, so<br />
der Tenor beim AZI. Darüber hinaus würden es Analyse und Verwertung der vorhandenen Datenmengen der <strong>Allianz</strong><br />
erlauben, sich einen umfassenden Überblick über ihre Kunden und deren Bedürfnisse zu verschaffen. Das könnte sich<br />
letztlich auch auf die Preisgestaltung auswirken.<br />
Um ein globaler Partner für die Kunden zu sein, braucht die Gruppe einen integrierten Ansatz. »Partnerschaft liegt uns<br />
am Herzen«, unterstrich Michael Diekmann in diesem Zusammenhang. Als Beispiel nannte er die Initiative »<strong>Allianz</strong><br />
Worldwide Partners«. Sie soll Know-how und Ressourcen von <strong>Allianz</strong> Global Assistance, Global Automotive, <strong>Allianz</strong><br />
Worldwide Care und des internationalen Krankenversicherers der <strong>Allianz</strong> France bündeln, um Geschäftspartner dabei zu<br />
unterstützen, Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt im Vertriebsbereich war das Maklergeschäft, das heute bereits mehr als ein Drittel der<br />
Versicherungseinnahmen der <strong>Allianz</strong> ausmacht. Hier soll das Global Broker Management Team dafür sorgen, die<br />
Marken- und Finanzstärke der <strong>Allianz</strong> sowie das Know-how der lokalen Gesellschaften besser zur Geltung zu bringen<br />
und die Zusammenarbeit der<br />
<strong>Allianz</strong> Gruppe mit den großen<br />
Maklerhäusern auszubauen.<br />
Auch das Privatkundengeschäft ist in<br />
Bewegung. Kunden nutzen verstärkt<br />
digitale Kanäle und passen längst<br />
nicht mehr in die Schubladen der<br />
traditionellen Vertriebsphilosophie.<br />
Eine Entwicklung, der die <strong>Allianz</strong><br />
mit einem modularen Produktansatz<br />
begegnet, mit verschiedenen Zugangskanälen<br />
für den Kundenkontakt, mit<br />
Online-Spezialisten und persönlicher >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 17<br />
GLOBAL<br />
Beratung auf Abruf – wann und wo der Kunde dies wünscht. Die <strong>Allianz</strong> Ungarn hat dieses Modell bereits erfolgreich<br />
eingeführt und 1600 ihrer Vertreter entsprechend ausgestattet.<br />
Demographische Herausforderungen<br />
Ein weiteres Thema in Barcelona war die Altersvorsorge. »Die sozialen Sicherungssysteme decken die demographischen<br />
Herausforderungen längst nicht ab, deshalb wird die Lebensversicherung weiterhin gebraucht«, betonte <strong>Allianz</strong><br />
Vorstand Maximilian Zimmerer. Doch wie kann die <strong>Allianz</strong> im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld Kunden dabei helfen,<br />
ausreichend fürs Alter vorzusorgen? Wie lassen sich die Geschäftsrisiken eingrenzen, ohne die Kundenerwartungen<br />
bei Garantien und Renditen zu enttäuschen?<br />
Untersuchungen zeigen, dass die Kunden bereit sind, Abstriche bei den Garantien zu akzeptieren, wenn im Gegenzug<br />
die Renditen höher ausfallen. Die Aufgabe der Vertriebsmitarbeiter sei es, Kunden eine Beratung zu bieten, die sie zu<br />
überlegten, zu ihren Bedürfnissen passenden Entscheidungen befähigt, hieß es in Barcelona. Wie meinte einer der<br />
AZI-Teilnehmer? »Was gut ist für den Kunden, zahlt sich am Ende auch für die <strong>Allianz</strong> aus.«<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
Land der<br />
Nörgler?<br />
S. Kuelcue / shutterstock.com<br />
Demokratie kann mühsam sein: Sie<br />
sichert die Teilhabe der Bürger, kann<br />
Entscheidungsprozesse aber auch in ein<br />
endloses Gezerre ausarten lassen. Bei den<br />
diesjährigen Benediktbeurer Gesprächen<br />
der <strong>Allianz</strong> Umweltstiftung ging es um die<br />
Frage, wie sich Bürgerengagement und<br />
die Funktionsfähigkeit eines modernen<br />
Staatswesens in Einklang bringen lassen. ><br />
FRANK STERN
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 18<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
Darchinger<br />
Anke Domscheit-Berg, Claudia Roth, Lutz Spandau, Beate Jessel, Peter Schmitz<br />
und Jochen Homann (v.l.) bei den Benediktbeurer Gesprächen<br />
Stuttgart 21 – Protest; Flughafen Frankfurt – Protest; Energiewende – alle dafür, Windparks und Stromtrassen –<br />
Protest. Landauf, landab das gleiche Bild: egal, wo sich ein Großprojekt anbahnt, der Widerstand folgt auf dem Fuße.<br />
Gut organisiert, grauhaarig, hartnäckig. Sind die Deutschen ein Volk der Nörgler, der Blockierer und Verhinderer?<br />
Das war die Frage hinter dem Thema der diesjährigen Benediktbeurer Gespräche »Bürgerwille gegen Großprojekte«.<br />
Dass die Antworten darauf bei der vom Geschäftführer der Umweltstiftung, Lutz Spandau, arrangierten Runde nicht<br />
zusammengingen, war zu erwarten.<br />
Die schwierigste Rolle hatte dabei wohl Claudia Roth, die als Bundesvorsitzende der Grünen sowohl die basisdemokratischen<br />
Wurzeln als auch die Realoqualitäten ihrer Partei zu verkörpern suchte. Sie plädierte für mehr direkte<br />
Bürgerbeteiligung, machte aber gleichzeitig deutlich, dass für sie in einer repräsentativen Demokratie das Parlament<br />
das Rückgrat der Entscheidungsfindung bleibt. »Ab einem Punkt muss die Politik entscheiden«, so Roth. Alle werde<br />
man nie unter einen Hut bekommen.<br />
Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie mit dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann,<br />
einer Meinung war. Homann, unter anderem für den fairen Wett bewerb bei den Strom- und Gasversorgungsnetzen<br />
zuständig, beklagte allerdings auch die »Verweigerung von Verantwortung« bei vielen Bürgern. Abstrakte Ziele, wie<br />
Energiewende und der Ausbau des Stromnetzes seien gesellschaftlich un umstritten, sobald es aber an die konkrete<br />
Umsetzung auf regionaler und lokaler Ebene gehe, formiere sich Widerstand. Eigennutz vor Gemeinwohl also, und<br />
zwar »unabhängig von der Parteizugehörigkeit«.<br />
»Quatsch«, konterte Roth da energisch. Dass der Netzausbau ins Stocken geraten sei, liege nicht an den Bürgern,<br />
sondern an den Energieunternehmen, die Investitionen in diesem Bereich als nicht lukrativ ansähen. Rückendeckung<br />
bekam Homann dagegen von Peter Schmitz, Vorstand bei der Fraport AG, der eine zunehmende Abwehrhaltung<br />
vieler Bürger gegen Veränderungen nach dem Motto: »Nicht vor meiner Haustür« konstatierte. Was beim Frankfurter<br />
Flughafen besonders kurios anmutet, denn natürlich will jeder fliegen, nur eben ohne Flughafen und Fluglärm. Schmitz<br />
wird pro Monat von rund 1000 Beschwerdeführern aus der Umgebung mit 175 000 Protestschreiben gegen die neue<br />
Landebahn eingedeckt, die 2011 eröffnet wurde. Zudem wird jeden Montag im Flughafengebäude demonstriert –<br />
»ritualhaft wie eine katholische Messe«, so Schmitz.<br />
Projektkiller Artenschutz<br />
Anke Domscheit-Berg, Internetaktivistin und Mitglied der Piratenpartei, zeigte mehr Verständnis für die Bürgerwut und<br />
zitierte Untersuchungen, wonach Entscheidungsprozesse bei Großprojekten von vielen Menschen als intransparent >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 19<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
»Bürgerbeteiligung heißt nicht, dass am Ende<br />
immer ein gesellschaftlich wünschenswertes<br />
Ergebnis steht.« Beate Jessel<br />
erlebt werden. Bürgerbeteiligung sei häufig nichts als Etikettenschwindel, so Domscheit-Berg: »Oft wird nicht das Ob<br />
eines Projekts zur Diskussion gestellt, sondern nur noch das Wie.« Und auch das meist in einer Sprache, die ein Laie<br />
kaum verstehe. In Domscheit-Bergs Augen »Feigenblattpolitik«.<br />
Auch Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, beklagte die mangelnde Transparenz vieler Projektverfahren.<br />
Die Planungen müssten ergebnisoffen gestaltet sein, die betroffenen Menschen frühzeitig einbezogen<br />
und für mögliche Nachteile ein angemessener Ausgleich geschaffen werden, so Jessel. Landschaftseingriffe durch<br />
Großprojekte tangierten eben auch Heimatgefühl und regionale Identifikation der Menschen. »Und diese emotionale<br />
Komponente muss man ernst nehmen«, hob die Professorin für Landschaftsentwicklung hervor. Allerdings verhehlte<br />
sie nicht, dass Natur- und Artenschutz zuweilen nur vorgeschoben sind, um unliebsame Projekte zu verhindern: Irgendeine<br />
gefährdete Tier- oder Pflanzenart, die man gegen den Ausbau des Flughafens, gegen S-Bahnen, Nationalparks,<br />
Wasserkraftwerke, Windparks oder Erdkabel ins Feld führen könnte, muss sich doch wohl finden lassen.<br />
Mit der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung wird sich nach Ansicht von Peter Schmitz von Fraport das<br />
Beharrungsvermögen eher noch verstärken. Die demographische Entwicklung gehe mit einer Abnahme der<br />
Veränderungsbereitschaft im Lande einher, konstatierte der Manager. Der gut situierte »Wutbürger« habe dabei weder<br />
die Enkelgeneration, noch die Zukunft des Landes im Blick. »Ich bin nicht sehr optimistisch«, so Schmitzs Fazit. »Wir<br />
werden sehr unbeweglich.«<br />
Anke Domscheit-Berg dagegen beobachtet vor allem im digitalen Raum die Entwicklung einer Bewegung, die sich<br />
nicht verweigert und nicht blockiert, sondern die sich einmischt, die mitgestalten will, und die sich auch durch<br />
verwaltungstechnische Hürden nicht abschrecken lässt. Welchen Einfluss die »Netz-Community« bereits hat, zeigte<br />
2012 die Anti-ACTA-Bewegung, die nach den Worten von Domscheit-Berg eine Zensurinfrastruktur im Internet<br />
verhinderte, oder auch das von zivilgesellschaftlichen Gruppen initiierte Transparenzgesetz in Hamburg. Es verpflichtet<br />
die Behörden der Hansestadt, all ihre Informationen im Internet zugänglich zu machen – ein Novum in Deutschland.<br />
»Bürgerbeteiligung heißt freilich nicht, dass am Ende immer ein gesellschaftlich wünschenswertes Ergebnis steht«,<br />
bremste Beate Jessel allzu viel Euphorie. In Baden-Württemberg etwa liegt die grün-rote Landesregierung gerade im<br />
Clinch mit dem Wahlvolk, das partout keinen Nationalpark im Nordschwarzwald haben will. In Nordrhein-Westfalen<br />
hat Bürgerwille die Einrichtung eines Nationalparks bereits verhindert. »Die Gefahr, dass sich die Menschen reflexartig<br />
gegen ein Projekt aussprechen, ist groß«, unterstrich auch Jochen Homann von der Bundesnetzagentur. Und der hat<br />
damit einige Erfahrung.<br />
Dabei treibt der Widerspruch zuweilen seltsame Blüten: Da formiert sich die Bürgerwehr in einer Region gegen<br />
das Verlegen von Erdstromkabeln, während die Menschen in einem anderen Bezirk vehement dafür eintreten, um<br />
Überlandleitungen zu verhindern. »Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass Protest zum Geschäftsmodell<br />
für Gutachter und Anwälte geworden ist«, meinte Homann. Die Politik ist ihm in diesen Auseinandersetzungen bislang<br />
keine wirkliche Hilfe gewesen. Die größte Gefahr für die Energiewende sei die Uneinigkeit der Bundesländer über die<br />
Zukunft der Energieversorgung, so der Chef der Netzagentur. »16 unterschiedliche Meinungen addieren sich am Ende<br />
zum größten Unsinn. Wir leiden bei diesem Thema unter dem Föderalismus.« >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 20<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
»Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen,<br />
dass Protest zum Geschäftsmodell für Gutachter<br />
und Anwälte geworden ist.« Jochen Homann<br />
Chefsache Energiewende<br />
Claudia Roth, die bei Homanns Ausführung ihren Ärger kaum verbergen konnte, machte dagegen die Bundesregierung<br />
als Schuldigen der Wende-Misere aus. Es gehe nicht an, dass sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium bei diesem<br />
Thema gegenseitig blockierten, sagte die Grünen-Politikerin: »Da braucht es Kohärenz, das muss Chefsache werden.«<br />
Da hatte sie Peter Schmitz ganz auf ihrer Seite. »Die Politik muss eine klare Linie vorgeben«, bekräftigte auch der<br />
Fraport-Vorstand.<br />
Dass diese klare Linie der Politik nicht immer ausreicht, hat Roths Partei beim heiß umkämpften Prestigeprojekt<br />
Stuttgart 21 bereits schmerzlich erfahren müssen. Obwohl sich die Grünen eindeutig gegen das Bahnprojekt<br />
ausgesprochen hatten, wurde der Ausstieg des Landes bei einer Volksabstimmung 2011 mehrheitlich abgelehnt.<br />
Nun muss die von den Grünen geführte Landesregierung das Vorhaben umsetzen. »Da haben wir krachend verloren«,<br />
räumte Roth ein. Dass direkte Bürgerbeteiligung für eine lebendige Demokratie für sie dennoch unverzichtbar bleibt,<br />
daran aber ließ sie keinen Zweifel: »Auch wenn’s manchmal wehtut.«<br />
HTTPS://UMWELTSTIFTUNG.ALLIANZ.DE<br />
Vom Ende der Männer und<br />
der Feigheit der Frauen<br />
Vor gut einem Jahr betrug der Anteil von Frauen im Top- und Mittelmanagement in deutschen<br />
Großunternehmen knapp 15 Prozent. Viel mehr sind es seither nicht geworden. In einer Studie ist<br />
die Fraunhofer-Gesellschaft den Ursachen für den Frauenmangel in der Chefetage nachgegangen.<br />
FRANK STERN<br />
Die Botschaften zum Thema Frauen und Karriere sind widersprüchlich. Während US-Autorin Hanna Rosin in ihrem<br />
jüngsten Buch bereits »Das Ende der Männer« verkündet, beklagt die deutsche <strong>Journal</strong>istin Bascha Mika auf über 200<br />
Seiten »Die Feigheit der Frauen«. Was bremst Frauen beim beruflichen Aufstieg? Wollen sie nicht? Können sie nicht?<br />
Sind sie Opfer von Männerbünden, die ihre Ambitionen im Keim ersticken?<br />
In einer Ende letzten Jahres vorgelegten Studie mit dem Titel »Unternehmenskulturen verändern – Karrierebrüche<br />
vermeiden« ist die Fraunhofer-Gesellschaft den Ursachen für den Frauenmangel in deutschen Führungsetagen >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 21<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
nachgegangen. Neun Großunternehmen, von Daimler über Bosch, EADS und Microsoft bis hin zur <strong>Allianz</strong> Deutschland,<br />
haben sich an der Untersuchung beteiligt, für die zwischen März und November 2011 insgesamt 220 weibliche<br />
und männliche Führungskräfte befragt wurden. Ergebnis: Männer und Frauen passen nicht zusammen – jedenfalls<br />
nicht, was ihre Vorstellungen von Aufstieg und Karriere angeht.<br />
Kinder als Karrierebremse<br />
»Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen«, so das Fazit der vier Autorinnen der Studie, »ist ein<br />
umfassender Kulturwandel in Unternehmen nötig.« Mentoring- und Seminarangebote speziell für Frauen reichten<br />
nicht aus, um Karrierebrüche zu vermeiden. Im Gegenteil: Für die Akzeptanz von Frauen im Unternehmen sind<br />
sie nicht selten sogar kontraproduktiv, lautet eine der eher überraschenden Erkenntnisse der Studie. Der Grund:<br />
Sonderprogramme zur Frauenförderung nährten das Vorurteil, dass Frauen Führungsdefizite haben, die mit speziellen<br />
Maßnahmen beseitigt werden müssten.<br />
Andere Ergebnisse dagegen waren zu erwarten. Etwa, dass Kinder vor allem für Frauen zur Karrierebremse werden,<br />
nicht aber für die stolzen Väter. Oder dass Auszeiten und Teilzeitangebote zwar offiziell von Männern und Frauen in<br />
Anspruch genommen werden können, sie in der Realität aber meist von Frauen genutzt werden. Geht ein Mann für<br />
einige Zeit in die Babypause, sind die Karrierenachteile für ihn interessanterweise deutlich ausgeprägter als für Frauen,<br />
zeigt die Studie auf. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die eine Auszeit nehmen, »stehen meist nicht im Fokus von<br />
Besetzungsentscheidungen«, umschreiben die Autorinnen galant die aktuelle Benachteiligungspraxis in vielen<br />
Unternehmen. Lediglich eine kurze Elternzeit bleibt ohne Auswirkungen auf die Karriere. »Bei Vorgesetzten<br />
und Personalabteilungen fehlt oft das Bewusstsein für die<br />
lebensphasenabhängige Gebundenheit<br />
von Karriereentscheidungen«, so die<br />
Studie. Will heißen: Wer seine<br />
Karriereschritte im Einklang mit<br />
der persönlichen Lebenssituation<br />
plant, gilt als unflexibel. »Eine<br />
langfristige, lebensphasenorientierte<br />
Karriereplanung«, lautet das ernüchternde<br />
Fazit der Fraunhofer-<br />
Untersuchung, »ist derzeit nicht<br />
implementiert und akzeptiert.«<br />
Besonders für Frauen ist es ein kaum<br />
auszugleichender Nachteil, dass<br />
über Karrieren im Mittel- und<br />
Topmanagement im Lebensjahrzehnt<br />
zwischen 30 und 40 Jahren<br />
entschieden wird – dem Zeitraum<br />
also, in den heute häufig<br />
auch die Familienphase<br />
fällt. Späte Karrieren ab 40<br />
Jahre sind rar gesät. Weibliche<br />
Führungskräfte, die nach der ><br />
Shutterstock
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 22<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
Elternzeit in den Job zurückkehren wollen, müssen erst einmal sehen, wo sie eine adäquate Stelle im Unternehmen<br />
finden. Systematische Wiedereinstiegsprogramme? Meist Fehlanzeige. Dabei sind es bis zur Rente dann immer noch gut<br />
20 Jahre. Indem Unternehmen die Fähigkeiten und Erfahrungen von Mitarbeiterinnen, die bei Geburt eines Kindes eine<br />
Karrierepause einlegen, übersehen, verschenken sie viel an Potenzial, schreiben die Autorinnen von Fraunhofer. Die Folge:<br />
Höhere Managementpositionen werden oft von Personen ohne außerberufliche Aufgaben oder familiäre Pflichten besetzt.<br />
Zitat aus der Studie: »Die männlichen Führungskräfte mit Kindern leben zu einem Großteil in Partnerschaften, in denen<br />
die Partnerin nicht oder in Teilzeit berufstätig ist und viele der außerberuflichen Pflichten übernehmen kann. Weibliche<br />
Führungskräfte haben meist in Vollzeit berufstätige Partner und sind öfter kinderlos als ihre männlichen Kollegen.«<br />
Die ökonomische Karte<br />
Nun ist ein Wirtschaftsunternehmen kein Wohlfahrtsverein. Deshalb versuchen die Autorinnen auch gar nicht erst,<br />
mit dem Hinweis auf mehr Fairness zwischen Männern und Frauen zu argumentieren. Sie spielen die ökonomische<br />
Karte und verweisen an mehreren Stellen auf den produktiven Nutzen, den ein höherer Frauenanteil für Unternehmen<br />
bringt. Vergleichende Studien haben die wirtschaftlichen Vorteile belegt. Das verstehen auch Männer. Die treibt nun<br />
allerdings zunehmend die Sorge um, dass sie durch den gesellschaftlichen Druck, mehr Frauen Führungsverantwortung<br />
zu übertragen, ins Hintertreffen geraten könnten. Einer der Befragten meinte, bei dem Versuch, die Versäumnisse<br />
der letzten Generationen aufzuholen, überdrehten die Unternehmen inzwischen das Rad: »Die jungen männlichen<br />
Kollegen sagen dann schon, ich hab hier eh keine Chance, was zu werden.«<br />
Doch das Ende der Männer ist damit wohl noch<br />
nicht gekommen. Häufig, so jedenfalls die Klage<br />
von Personalverantwortlichen, Gleichstellungsbeauftragten<br />
und Headhuntern,<br />
wollen Frauen gar keine Führungsaufgaben<br />
übernehmen. Jedenfalls nicht unter den<br />
aktuellen Bedingungen, wo sie ihre Lage<br />
nicht angemessen berücksichtigt sehen<br />
und das Gefühl haben, für das gleiche Maß<br />
an Wertschätzung und Anerkennung mehr<br />
leisten zu müssen. Mit Feigheit, wie Bascha Mika<br />
meint, hat das wahrscheinlich weniger zu tun.<br />
WWW.UNTERNEHMENSKULTUREN-<br />
VERAENDERN.DE<br />
Shutterstock
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 23<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
Shutterstock<br />
Vorsicht Schuldenfalle!<br />
Generation Smartphone:<br />
My Finance Coach klärt auf,<br />
wo versteckte Kosten lauern<br />
Seit 2004 hat sich die Zahl junger Schuldner zwischen 18 und 20 Jahren in Deutschland mehr als<br />
verdreifacht. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Die Stiftung My Finance Coach hat ein<br />
Rezept gegen die Schuldenfallen entwickelt.<br />
FRANK STERN<br />
Erwachsene haben ja schon so ihre Probleme, den Ver lockungen der Konsumwelt zu widerstehen. Wie sollen sich da<br />
erst Kinder und Jugendliche erfolgreich behaupten, zumal sie in der Schule kaum lernen, wie man mit seinem Geld<br />
vernünftig umgeht? Um die Bildungslücke zu schließen, riefen die <strong>Allianz</strong>, Unternehmensberater McKinsey und die<br />
Marketingagentur Grey im Jahr 2010 My Finance Coach ins Leben. Inzwischen sind auch Wirtschaftsberater KPMG<br />
und die Unternehmensgruppe Haniel dazugestoßen.<br />
Von den einen für ihr Engagement gelobt, von den anderen kritisch beäugt, ist die Stiftung neben Deutschland<br />
mittlerweile auch in Thailand, Malaysia, Indonesien und Argentinien aktiv. »Unzureichendes Wissen in Geldangelegenheiten<br />
ist ein globales Problem«, sagt Geschäftsführer Christian Keller. »Junge Leute brauchen praxisnahe<br />
Finanzbildung, um in der Gesellschaft als mündige Konsumenten agieren zu können.«<br />
My Finance Coach geht dahin, wo die Lücken am größten sind: hauptsächlich in Haupt- und Mittelschulen. Sie stellt<br />
von Experten entworfene Unterrichtsmaterialien zur Verfügung und vermittelt Mitarbeiter der Partner unternehmen<br />
als Teilzeitlehrkräfte. Verbraucherschützer sehen das kritisch. Sie befürchten, dass die Wirtschaft zu großen Einfluss >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 24<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
auf die Unterrichtsinhalte in der Schule bekommen könnte und die beteiligten Firmen unterschwellig Lobbyarbeit im<br />
Klassenzimmer betreiben. Doch genau das passiere bei My Finance Coach eben nicht, versichert Keller.<br />
Die gemeinnützige Stiftung, die von der UNESCO zum offiziellen Projekt der Weltdekade »Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung« erklärt und von der Gesellschaft für Pädagogik und Information mit dem Comenius-Siegel für exemplarische<br />
Bildungsmedien ausgezeichnet wurde, lässt von ihren »Hilfslehrern« per Unterschrift bestätigen, dass sie<br />
den Unterricht nicht für Marketingzwecke nutzen. Keine Unternehmensbroschüre, kein Werbematerial, nicht mal<br />
Kugelschreiber mit Firmenlogo sind erlaubt.<br />
Seit dem Start im Jahr 2010 hat My Finance Coach in Deutschland mit rund 1350 freiwilligen Unterrichts helfern über<br />
200 000 Schüler im Alter von zehn bis 16 Jahren in die Geheimnisse der Finanzen eingeweiht, hat erklärt, wie man sein<br />
Geld richtig einteilt, wie man erkennt, wo versteckte Kosten lauern, und wie man vermeidet, sein Budget zu überziehen.<br />
Einige der von Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern konzipierten Unterrichtseinheiten sind eigens dem Thema<br />
Internet gewidmet. Dort lernen die Schüler, wie sie ihre persönlichen Daten schützen können, werden über das<br />
Suchtpotenzial von Online-Spielen aufgeklärt und erfahren, wie man den Fallstricken von »Gratis angeboten« entgeht.<br />
Doch nicht nur Schüler profitieren von der Nachhilfe. My Finance Coach bietet auch für Lehrer Finanzworkshops und<br />
kostenlose Internetmodule zur Fortbildung. Und die Nachfrage steigt. Neben den Gründungsunter nehmen haben<br />
sich der Finanzinitiative mittlerweile über 30 weitere Firmen und Organisationen angeschlossen, vom Verein SOS<br />
Kinderdorf bis zur Stiftung der Deutschen Wirtschaft, von der TU München bis zur Wirtschaftswoche.<br />
Nach dem erfolgreichen Start in Deutschland und ersten Projekten in Asien und Lateinamerika findet My Finance<br />
Coach inzwischen weltweit immer mehr Nachahmer. In Irland, Frankreich, Polen, Großbritannien und Brasilien sind<br />
bereits Ableger in Vorbereitung, etliche weitere Länder wollen folgen. Der Nachholbedarf in Sachen Kaufen, Planen,<br />
Sparen scheint enorm. Schulden machen kann jeder.<br />
WWW.MYFINANCECOACH.DE<br />
50,4<br />
47,8<br />
46,3<br />
44,6<br />
43,8<br />
43,7<br />
42,3<br />
41,9<br />
41,7<br />
41,7<br />
40,8<br />
40,3<br />
39,9<br />
39,4<br />
39,1<br />
38,6<br />
38,0<br />
38,0<br />
37,4<br />
37,1<br />
35,9<br />
35,6<br />
35,0<br />
34,4<br />
34,0<br />
31,8<br />
Brasilien<br />
Mexiko<br />
Australien<br />
USA<br />
Kanada<br />
Neuseeland<br />
Japan<br />
Weißrussland<br />
Thailand<br />
Malaysia<br />
Ver. Arab. Emirate<br />
Libanon<br />
Taiwan<br />
Ägypten<br />
Bosnien<br />
China<br />
Hongkong<br />
Saudi-Arabien<br />
Russland<br />
Serbien<br />
Ukraine<br />
Kolumbien<br />
Indien<br />
Marokko<br />
Südafrika<br />
Finanzbildungsbarometer – 28 Länder im Vergleich (Visa-Studie 2012, max. Punktzahl 100)<br />
27,7<br />
27,3<br />
Vietnam<br />
Indonesien<br />
Pakistan
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 25<br />
DEUTSCH-<br />
LAND<br />
My Finance Coach<br />
»Wir verstecken nichts«<br />
My Finance Coach, eine Initiative von <strong>Allianz</strong>, Grey, McKinsey, Haniel und<br />
KPMG, will Schülern den vernünftigen Umgang mit Geld beibringen.<br />
Kritiker sind skeptisch. Fragen an den Geschäftsführer von My Finance<br />
Coach, Christian Keller.<br />
Christian<br />
Keller<br />
INTERVIEW: FRANK STERN<br />
Herr Keller, wie uneigennützig ist My Finance Coach?<br />
Also, wir verfolgen keine wirtschaftlichen Ziele, wenn Sie das meinen. Unsere Arbeit hat nichts mit Marketing, Verkauf<br />
oder Datensammeln zu tun. Uns geht es darum, Jugendliche auf das Leben vorzubereiten und eine Lücke zu füllen,<br />
die das Schulsystem offensichtlich nicht schließen kann. Da nehmen wir eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe<br />
wahr. Im besten Falle bilden wir eine neue Generation von jungen Erwachsenen heran, die aufgeklärter mit ihren<br />
Finanzen umzugehen weiß. Den Vorteil haben dann später alle, nicht nur die Initiatoren von My Finance Coach. Ob die<br />
jungen Leute dann ein Auto kaufen, eine Versicherung oder ein Handy, sie werden in jedem Fall im Umgang mit Geld<br />
kundiger sein. Im Endeffekt dient unser heutiger Einsatz der zukünftigen Schuldenprävention.<br />
Kritiker befürchten unterschwelligen Einfluss der Wirtschaft auf Unterrichtsinhalte.<br />
All unsere Unterrichtsmaterialien – und das ist ein wichtiges Gütesiegel – stehen für jeden zugänglich im Netz.<br />
Wir verstecken nichts. Wir haben einen Verhaltenskodex entwickelt, der unseren Coaches jede Art von Werbung im<br />
Klassenzimmer untersagt. Verstöße können arbeitsrechtlich geahndet werden. Das ist kein Spaß. Das Vertrauen, das<br />
uns Schüler und Lehrer entgegenbringen, ist ein hohes Gut. Damit muss man sorgfältig umgehen.<br />
Warum konzentrieren Sie sich auf Haupt- und Mittelschulen? Gibt es das Problem mit der Überschuldung<br />
an Gymnasien nicht?<br />
Doch, das gibt es auch dort. Allerdings zielen die meisten wirtschaftlich orientierten Initiativen ohnehin auf Gymnasien.<br />
Haupt- und Mittelschulen wird weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Und die sind für unsere Unterstützung auf<br />
diesem Gebiet auch besonders dankbar. Da lernen wir großartige junge Leute kennen, die vielleicht nicht immer die<br />
Förderung erhalten, die ihre Altersgenossen an anderen Schulen bekommen.<br />
Was geben Ihre Hilfslehrer den Schülern konkret mit auf den Weg?<br />
Wir sagen ihnen immer: Wenn’s um Geld geht, schlaft eine Nacht drüber. Unterschreibt einen Vertrag nie sofort.<br />
Man kann sich vor Schaden bewahren, wenn man einfach drüber schläft, und wenn man sich weitere Angebote<br />
einholt und vergleicht.<br />
Machen Sie auch auf die Tricks windiger Finanzberater aufmerksam?<br />
Wir zeigen auf, auf was sie bei einem Geschäft besonders achten müssen: auf Kosten, Gewinn und Risiko. Und nicht<br />
zuletzt auf die Frage: Wann komme ich wieder an mein Geld? Sie müssen es sich zur Regel machen, immer nach dem<br />
Risiko zu fragen, wenn ihnen jemand traumhafte Gewinne verspricht. Wie viel mehr an Risiko bedeutet das? Kann ich<br />
unter Umständen alles verlieren? Sie müssen die Ruhe entwickeln, eine Nacht über eine Entscheidung zu schlafen und<br />
nicht dem ersten Impuls zu folgen. Zudem raten wir ihnen, neutrale Informationen einzuholen, etwa bei Institutionen<br />
wie Finanztest oder den Verbraucherschutzzentralen.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 26<br />
EUROPA<br />
© Bjorn Olesen<br />
»Eine ungemein<br />
hässliche Spezies«<br />
Sex eher die Ausnahme, Nahrung rein vegetarisch, und die meiste Zeit am Schuften – das Leben<br />
eines Nacktmulls ist im Großen und Ganzen eine recht freudlose Angelegenheit. Und es zieht sich:<br />
Bis zu 30 Jahre können die faltigen Nager werden, für Tiere dieser Größe ein ungewöhnlich hohes<br />
Alter. Wissenschaftler sind dem Rätsel der Langlebigkeit auf der Spur.<br />
FRANK STERN<br />
Schönheit ist relativ. Der eine mag dieses, der andere jenes. Nur wenn es um den ostafrikanischen Nacktmull geht, sind<br />
sich alle weitgehend mit dem briti schen Naturforscher Alfred Russel Wallace einig, der den Tunnelgräber einst als eine<br />
»ungemein hässliche Spezies« klassifizierte. Die Haut schon bei der Geburt faltig, die Augen von dicken Lidern verdeckt,<br />
die Zähne riesig – Heterocephalus glaber, der Glatte Andersköpfige, ist ein evolutionäres Missgeschick.<br />
Eines freilich, das Wissenschaftler fasziniert, seit es 1842 erstmals von dem deutschen Biologen Eduard Rüppell<br />
beschrieben wurde. Was zum einen daran liegt, dass der Nacktmull in Kolonien lebt, die – unter Säugern einzigartig –<br />
ähnlich wie bei Ameisen oder Bienen organisiert sind. Zum anderen widerspricht das mausgroße Tier der These, dass<br />
kleine Arten eine kürzere Lebensspanne haben als große: Anders als Mäuse, die kaum mehr als drei Jahre überstehen,<br />
können Nacktmulle ein vergleichsweise biblisches Alter von 30 Jahren erreichen. Und das bei robuster Gesundheit.<br />
Für Wissenschaftler wie Rochelle Buffenstein vom Barshop-Institut für Altersforschung der University of Texas ein<br />
perfektes Untersuchungsobjekt. Die Amerikanerin will die zellulären Mechanismen ergründen, die die Nacktmulle >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 27<br />
EUROPA<br />
Shutterstock<br />
weitgehend beschwerdefrei altern lassen. Anfang des Jahres erhielt Buffenstein für ihre<br />
wegweisende Forschung von der <strong>Allianz</strong> France und der französischen Vereinigung für<br />
Gesundheitsvorsorge Les Associations de Prévoyance Santé den mit 15 000 Euro dotierten<br />
Wissenschaftspreis für Langlebigkeitsstudien.<br />
340 000<br />
2013<br />
3 400 000<br />
2050<br />
100 JÄHRIGE<br />
WELTWEIT<br />
Es mag manchen schmerzen, dass die Krone der Schöpfung nun ausgerechnet bei einem<br />
Wesen nach Analogien sucht, das vom Schicksal so offensichtlich benachteiligt wurde. Doch<br />
vielleicht tragen die Nacktmulle tatsächlich den Code für ein langes Leben unter ihrer faltigen<br />
Hülle. Jedenfalls deutet einiges darauf hin, dass sexuelle Abstinenz, geringer Kalorienumsatz<br />
und körperliche Aktivität ihre Lebenserwartung steigen lassen. Könnte man bei einem solch<br />
lustfreien Lebenswandel natürlich fragen: wozu?<br />
Nur die Königin und ein bis drei Männchen sorgen in der Mullenkolonie für Nachwuchs, der Rest buddelt auf Nahrungssuche<br />
tagein, tagaus neue Gänge durch den Untergrund, reinigt den Bau und zieht die Bälger der Königin groß.<br />
Stirbt das Oberhaupt, fetzen sich die nächsten Thronanwärterinnen die runzelige Haut von den Knochen, oft mit<br />
tödlichem Ausgang. Männchen dagegen drängen sich nicht unbedingt um einen Platz am Hof. Noch ist ungeklärt,<br />
warum diejenigen, die dann zur Paarung antreten, plötzlich sehr schnell altern – doch man ahnt es.<br />
Wieso bei den wurstähnlichen Methusalems trotz hoher Inzuchtrate kaum Erbkrankheiten auftreten und sie bis ins<br />
hohe Alter weder an Krebs noch an Osteoporose erkranken, ist nach wie vor ein Rätsel. Die Menschen werden derweil,<br />
auch ohne den Mullen-Code bislang geknackt zu haben, immer älter. Nach Schätzungen der UN leben heute auf der<br />
Welt bereits über 340 000 Männer und Frauen, die hundert Jahre und älter sind. Im Jahr 2050 werden es wohl zehnmal<br />
so viele sein.<br />
Statistisch gesehen haben übrigens gut ausgebildete Frauen die größte Chance, die 100er Marke zu schaffen.<br />
Da bekommt der Satz »Man lernt fürs Leben« eine ganz neue Bedeutung.<br />
HTTP://BARSHOPINSTITUTE.UTHSCSA.EDU<br />
AFRIKA<br />
KENIA<br />
ÄTHIOPIEN<br />
SOMALIA<br />
Das Geheimnis der Langlebigkeit<br />
Nacktmulle sind in der Lage, beschädigte Proteine aus ihrem<br />
System auszuscheiden und so die Ansammlung von Giftstoffen<br />
im Körper zu verhindern. Ihr träger Stoffwechsel trägt wahrscheinlich<br />
ebenfalls zu einem langsameren Alterungsprozess<br />
bei. Nacktmulle, die hauptsächlich in Ostafrika vorkommen, sind<br />
krebsresistent, sie verfügen über ein Gen, das krankhafte Zellmutationen<br />
verhindert. Schmerzunempfindlich sind sie auch.
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 28<br />
EUROPA<br />
alle Fotos: Stern<br />
Am<br />
Rande<br />
Die wirtschaftliche Situation des<br />
Landes korrespondiert derzeit<br />
mit seiner geographischen<br />
Lage: Portugal steht ganz am<br />
Rande, die einstige Kolonialmacht<br />
zählt zu den ärmsten<br />
Staaten der Europäischen Union.<br />
Regierungschef Coelho hat<br />
seinen Landsleuten bereits die<br />
Auswanderung ans Herz legt.<br />
FRANK STERN<br />
Wenn Portugal dereinst verwaist<br />
sein wird, was angesichts sinkender Ge-burtenraten und rasant steigender<br />
Auswanderungszahlen nicht mehr allzu lange dauern kann, dann wird<br />
man sich an seine Bewohner wegen zweier Errungenschaften erinnern:<br />
wegen ihres im Fado melancholisch vertonten Weltschmerzes und<br />
wegen des blutroten Weins, in dem man ihn ertränken konnte. Es gab in<br />
Portugals Geschichte schon oftmals Gründe, beides heftig auszukosten,<br />
doch die aktuelle Krise dürfte zu den schwersten zählen, die das Land am<br />
Südwestzipfel Europas je heimgesucht hat.<br />
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 17 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit kratzt<br />
mittlerweile an der 40er Marke. Nur in Spanien (56 Prozent) und Griechenland<br />
(60 Prozent) sieht es für die Jungen zwischen 15 und 24 Jahren noch düsterer<br />
aus. Und ein Ende der Talfahrt scheint nicht in Sicht. Die Wirtschaftsleistung<br />
ist 2012 um 3,2 Prozent geschrumpft, in diesem Jahr soll es noch einmal<br />
2,3 Pro zent nach unten gehen. Auch die Jahre zuvor lief es für Portugals<br />
Wirtschaft nicht rund, Fachleute schrieben das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts<br />
als verlorene Dekade ab. Erst 2014 soll es wieder leicht nach oben<br />
gehen. Aber sicher ist das nicht. ><br />
ALLIANZ PORTUGAL<br />
Mitarbeiter: 550<br />
Vertreter: 4500<br />
Geschäftsstellen: 30<br />
Kunden: 865 000<br />
Prämieneinnahmen 2012<br />
Sach: 316 Millionen Euro (+5 %)<br />
Leben: 190 Millionen Euro (-2,3 %)<br />
Marktposition gesamt: Rang 5<br />
Marktanteil gesamt: 4,6 %<br />
Sachversicherung:<br />
Rang 3<br />
Marktanteil: 8,7 %<br />
Lebensversicherung:<br />
Rang 7<br />
Marktanteil: 2 %
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 29<br />
EUROPA<br />
alle Fotos: Stern<br />
Zumindest der Staatsbankrott<br />
blieb dem Land<br />
erspart, dank eines<br />
Rettungspakets von EU,<br />
Europäischer Zentralbank<br />
und Internationalem<br />
Währungsfonds in Höhe<br />
von 78 Milliarden Euro. Zwar<br />
hat das Verfassungsgericht<br />
einige Sparbeschlüsse der<br />
Regierung Coelho gestoppt, doch der Ministerpräsident hält an seinem rigiden Sanierungskurs fest, mit dem er<br />
hofft, das Land wieder in sicheres Fahrwasser zu steuern. Hunderttausende haben gegen die Sparmaßnahmen<br />
demonstriert. Ein untrüglicher Indikator, dass die Zeichen auf Sturm stehen – es muss einiges passieren, bevor<br />
Portugiesen ihren Protest auf die Straße tragen. Portugals Ex-Premier Soares hat bereits zum Sturz der Regierung<br />
aufgerufen. Auch das ein eher seltener Vorgang.<br />
Angesichts der prekären Lage hat Premier Coelho seine arbeitslosen Landsleute bereits zur Emigration geraten. Nach<br />
Brasilien zum Beispiel, oder nach Afrika, in die alten Kolonien. Viele Portugiesen sind der Aufforderung schon gefolgt<br />
und haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Beobachter sprechen vom größten Exodus, den das Land je erlebt hat.<br />
Wobei es, anders als noch in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, heute zumeist die gut Ausgebildeten<br />
sind, die ihr Glück fern der Heimat suchen. Ein Aderlass, der das Land noch teuer zu stehen kommen könnte.<br />
Der Preis des Erfolgs<br />
Portugal macht schwere Zeiten durch, die Wirtschaftsleistung des Landes sinkt, die Arbeitslosenzahlen<br />
sind auf Rekordniveau. Auch die Versicherungsbranche ist auf Talfahrt – außer die <strong>Allianz</strong> Portugal.<br />
Wir sprachen mit Vorstandschefin Teresa Godinho über den Preis des Erfolgs.<br />
INTERVIEW: FRANK STERN<br />
Frau Godinho, aus Portugal kommen seit geraumer Zeit nur noch deprimierende Nachrichten. Sehen Sie<br />
irgendwo den Silberstreif am Horizont?<br />
Ich bin ein positiver Mensch und will an den Umschwung glauben. Portugal hat in den letzten Monaten eine Menge<br />
auf den Weg gebracht, das stimmt mich zuversichtlich. Aber wir brauchen weitere Reformen, etwa im Steuersystem<br />
und in der Arbeitsgesetzgebung. Im Moment kann niemand sagen, wie die Sache am Ende ausgeht. Auch wenn wir<br />
Portugiesen kein Volk sind, das ständig auf den Straßen demonstriert, rumort es im Innern doch ganz erheblich.<br />
Was denken die Portugiesen über den Euro und die Europäische Union?<br />
Ich glaube, niemand, der bei uns Verantwortung trägt, will die Eurozone verlassen. Natürlich gibt es ein paar Ökonomen,<br />
die in den Medien dafür plädieren. Aber das sind Minderheitenmeinungen. Die Portugiesen wollen nicht wieder >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 30<br />
EUROPA<br />
Stern<br />
Teresa Godinho ist die erste<br />
Vorstandschefin einer <strong>Allianz</strong><br />
Versicherungsgesellschaft in Europa.<br />
Bevor die gelernte Volkswirtschaftlerin<br />
im Januar 2011 ihr Amt in Lissabon<br />
antrat, hatte sie bereits 17 Jahre bei<br />
verschiedenen <strong>Allianz</strong> Gesellschaften<br />
hinter sich, zuletzt als Finanzchefin<br />
und Leiterin des Risikomanagements<br />
der <strong>Allianz</strong> Brasilien.<br />
isoliert dastehen, wie es während der 40 Jahre Diktatur unter Salazar der Fall war. Damals galt die Devise »Allein und<br />
stolz«. Viele erinnern sich noch gut daran, was das für das Land bedeutete.<br />
Der Versicherungsmarkt in Portugal schrumpft, die <strong>Allianz</strong> Portugal dagegen legt zu. Wie geht so was?<br />
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen haben wir vor vier Jahren begonnen, unsere gesamte Arbeitsweise umzukrempeln.<br />
Nicht nur, was die internen Abläufe angeht, sondern vor allem in Bezug auf unsere Beziehungen zu Kunden<br />
und Vertretern. Wir haben landesweit 30 Geschäftsstellen, die einzig und allein dafür da sind, die Vertreter dabei zu<br />
unterstützen, ihren Kunden den besten Service zu bieten. Wir wollen für die freien Vertreter in Portugal zum bevorzugten<br />
Partner werden.<br />
Wir haben für sie eine Palette einfach struk turierter Produkte entwickelt, die wir im Paket anbieten. Mit diesen Bündelpolicen<br />
sind wir in der Lage, die internen Kosten zu drücken und sehr wettbewerbsfähige Preise anzubieten. So kann<br />
man selbst in einem wenig profitablen Markt wie Portugal vernünftige Geschäfte machen.<br />
Hinzu kommt, dass viele Leute um ihre Ersparnisse fürchten. Den Banken vertrauen sie immer weniger und wenden<br />
sich heute zunehmend an Versicherungsgesellschaften. Wenn es ums Sparen geht, sind wir Portugiesen natürlich<br />
nicht wie die Deutschen. Wir geben unser Geld leichter aus, wir genießen das Leben. Seit der Krise aber steigen die<br />
Sparquoten.<br />
Was war der Preis des Erfolgs bei der <strong>Allianz</strong> Portugal?<br />
Wir mussten unsere Belegschaft in der Verwaltung um 20 Prozent reduzieren. Doch diese Umstellung hat die <strong>Allianz</strong><br />
Portugal krisensicher gemacht. Heute sind wir die effizienteste Versicherungsgesellschaft im Land. Das ist für alle<br />
Mitarbeiter eine gute Botschaft und gibt ihnen Sicherheit. Wir werben derzeit sogar wieder Nachwuchskräfte von den<br />
besten Universitäten an.<br />
Viele junge Portugiesen suchen ihr Glück inzwischen in der Fremde. Dünnt der Bewerbermarkt schon aus?<br />
Nein, für uns gibt es noch genügend Auswahl. Aber wenn die Krise anhält, werden in Zukunft wohl noch mehr junge<br />
Menschen abwandern. Was ein schlechtes Zeichen wäre, denn es würde bedeuten, dass es der Wirtschaft nicht gelingt,<br />
genügend Wachstum zu generieren, um unseren Leuten in der Heimat eine Zukunft zu bieten. Wenn man etwas<br />
Positives an der Situation sehen will, dann ist es vielleicht die Tatsache, dass die jungen Leute im Ausland Erfahrungen<br />
sammeln, die sie nach ihrer Rückkehr in Portugal zum Nutzen des Landes anwenden können.<br />
Wenn sie denn zurückkommen.<br />
Ein Großteil wird – und zwar besser ausgebildet und mit Erfahrungen aus anderen Ländern und Kulturen. Ein Gewinn<br />
für unser Land. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 31<br />
EUROPA<br />
Stern<br />
Auf Deutschland sind viele Portugiesen derzeit<br />
nicht besonders gut zu sprechen. Deutsche<br />
Tugenden dagegen stehen bei ihnen gerade<br />
jetzt hoch im Kurs. Ein Grund, warum die Versicherungsagentur<br />
von Rosa Nobre, Rui Silva<br />
und Ivany Sousa recht gut über die Runden<br />
kommt. Trotz Krise.<br />
FRANK STERN<br />
Gegen den Trend<br />
»Wir haben zu kämpfen« – Rui Silva, Ivany Sousa und<br />
Rosa Nobre (hintere Reihe v.l.) mit ihren Assistentinnen<br />
Viele ihrer Freunde sind schon fort, vor allem die mit technischen Berufen. Nach Afrika und Südamerika, nach England<br />
und Frankreich, Norwegen und Deutschland. Einer ist sogar in Usbekistan gelandet, was nach Verzweiflung klingt<br />
– oder nach richtig viel Geld. Rosa Nobre, Rui Silva und Ivany Sousa sind geblieben – portugiesische Versicherungsvertreter<br />
sind im Ausland nicht so gefragt wie Bauingenieure.<br />
Ihre Agentur liegt im Stadtteil Benfica, unweit des gleichnamigen Stadions, in einem Wohnviertel mit dem Charme<br />
einer Plattenbausiedlung im früheren Ostblock. Doch hinter der wenig inspirierenden Fassade machen die drei vor,<br />
wie sich gegen den Trend Erfolg erarbeiten lässt. Vor drei Jahren haben sie sich zusammengetan und gehörten schon<br />
ein Jahr später zu den Top-Agenturen der <strong>Allianz</strong> Portugal. Und trotz eines rasanten Einbruchs bei den Autoverkäufen<br />
im Land, legen sie auch bei der Zahl der Kfz-Policen immer noch zu. Doch das Geschäft wird härter. »Wir haben zu<br />
kämpfen«, sagt Ivany Sousa. »Immer mehr Kunden rufen an und wollen ihre Beiträge reduzieren.«<br />
Kein Wunder bei den zahlreichen Sparmaßnahmen, die die Regierung dem Land verordnet hat, um die Auflagen von<br />
EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu erfüllen: Kürzung von Renten und Arbeitslosenhilfe,<br />
höhere Mehrwertsteuer, Stellenabbau im öffentlichen Dienst und und und. Die Versicherungsvertreter bekommen<br />
die Krise auch im Firmengeschäft zu spüren. Letztes Jahr meldeten pro Tag landesweit 20 Unternehmen Konkurs<br />
an. Beiträge und Gewinnspannen gingen in den Keller.<br />
Anders als in Deutschland arbeitet die <strong>Allianz</strong> in Portugal nicht mit einem Netz von Ausschließlichkeitsvertretern, sondern<br />
mit Maklern und freien Agenturen. Auch das Benfica-Trio, das zusammen fast 5000 Kunden betreut, hat mehrere<br />
Eisen im Feuer. Doch 85 Prozent aller Policen, die sie verkaufen, tragen das <strong>Allianz</strong> Siegel. »Eine sichere Bank in diesen<br />
unsicheren Zeichen«, wie Rui Silva unterstreicht.<br />
Wenngleich viele Portugiesen die Deutschen hinter den harten Sparauflagen der Troika sehen – wenn es um ihr Geld<br />
geht, vertrauen sie den ungeliebten Teutonen dann doch. »Integrität, Vertrauenswürdigkeit und finanzielle Solidität<br />
sind die Markenzeichen der Deutschen«, sagt Rosa Nobre. Die besten Verkaufsargumente, die sie und ihre beiden<br />
Partner in der gegenwärtigen Situation haben können. »Unsere Kunden sind überzeugt, dass sie mit einer deutschen<br />
Gesellschaft am besten fahren.«<br />
WWW.ALLIANZ.PT
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 32<br />
EUROPA<br />
Shutterstock<br />
Baustelle<br />
Europa<br />
Als einer der ersten großen Asset Manager legt <strong>Allianz</strong> Global Investors einen Infrastrukturfonds<br />
für institutionelle Anleger auf. Der Bedarf für Projektfinanzierung ist riesig: Laut Schätzungen der<br />
EU-Kommission werden bis Ende des Jahrzehnts allein in Europa Infrastrukturinvestitionen von<br />
bis zu zwei Billionen Euro nötig.<br />
FRANK STERN<br />
Straßen und Flughäfen, öffentlicher Nahverkehr und Wasserversorgung, Stromnetz, Krankenhäuser und Schulen –<br />
die Liste von Infrastrukturprojekten, die in Europa bis Ende des Jahrzehnts anstehen, ist lang. Werden alle umgesetzt,<br />
verwandelt sich der alte Kontinent in den nächsten Jahren in eine riesige Baustelle. Doch wo sich überschuldete<br />
Staaten und strenger kontrollierte Banken bei Großprojekten immer mehr zurückhalten, steht die Finanzierung zunehmend<br />
auf wackligen Füßen.<br />
Laut EU werden für Erhalt und Ausbau der Infrastruktur in Europa in den nächsten Jahren bis zu zwei Billionen Euro<br />
nötig. Versicherer, Pensionsfonds und andere institutionelle Investoren, die nach attraktiveren Renditen suchen, als<br />
sie derzeit mit Staatsanleihen zu erzielen sind, könnten die Lücke füllen.<br />
Als eines der ersten großen Investmenthäuser hat <strong>Allianz</strong> Global Investors ein auf Infrastrukturfinanzierungen<br />
spezialisiertes Team aufgestellt, das Kunden den Zugang zu erstklassigen Projekten ebnen soll. »Wir reden nicht über<br />
Kraftwerke in Entwicklungsländern oder Kohleminen oder Ölplattformen«, erläutert Finanzexpertin Deborah Zurkow,<br />
die den Infrastrukturfonds (Infrastructure Debt) mit ihrem vierköpfigen Team betreut. »Wir reden über kommunale<br />
Stromversorgung, über Wasserleitungen, Schulen, Straßen und Krankenhäuser in EU-Staaten.« Wie Untersuchungen<br />
von Moody’s und Standard & Poor’s zeigen, ist das Verlustrisiko bei solchen Kooperationsprojekten zwischen Staat und<br />
Privatwirtschaft äußerst gering.<br />
Mit der Finanzierung von öffentlichen Bauvorhaben erwirbt der Infrastrukturfonds für einen Zeitraum von bis zu<br />
30 Jahren die Zusage über garantierte Renditen, die aus Nutzungsgebühren für Straßen, Wasser- und Stromversorgung,<br />
aus kommunalen Fördermitteln und Mieten gespeist werden. »Von der privaten Finanzierung von Staatsaufgaben<br />
profitieren sowohl Anleger auf der Suche nach stabilen Erträgen, als auch Bauherren, die ihre Projektfinanzierung<br />
sicherstellen wollen«, erklärt Zurkow den Ansatz.<br />
Mit ihren über lange Zeiträume garantierten Renditen eigne sich das Geschäft mit Stahl und Beton hervorragend für<br />
Pensionsfonds und Versicherungen, die ihren Kunden gegen über langfristige Zahlungsverpflichtungen eingegangen<br />
sind, sagt Zurkow. Indem man sich nur mit erfahrenen Baufirmen zusammentut, werden Bau- und Planungsrisiken<br />
auf ein Mindestmaß reduziert. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 33<br />
EUROPA<br />
<strong>Allianz</strong> Global Investors<br />
<strong>Allianz</strong> Global Investors wird eine ganze<br />
Palette an Investitionsmöglichkeiten bieten,<br />
von maßgeschneiderten Projekten bis<br />
hin zu Poollösungen. Zunächst wird ein<br />
Infrastrukturfonds für Bauvorhaben in<br />
Großbritannien gestartet, einer für die<br />
Eurozone soll später folgen. »Es gibt enormes<br />
Interesse«, sagt Deborah Zurkow.<br />
»Wir sind gerade dabei, einen neuen Markt<br />
zu etablieren.«<br />
WWW.ALLIANZGI.COM<br />
Das Infrastructure Debt-Team: Adrian Jones, François-Yves<br />
Gaudeul, Deborah Zurkow, Claus Fintzen und Paul David (v.l.)<br />
privat<br />
Rendezvous<br />
mit Hamilton<br />
50 Jahre bei der <strong>Allianz</strong> Großbritannien – das war den Kollegen<br />
von Linda Kennedy ein besonderes Geschenk wert: Sie hatte die<br />
Wahl zwischen dem Formel 1 Grand Prix in Silverstone und dem<br />
Wintertraining in Barcelona. Die Entscheidung fiel ihr nicht schwer.<br />
Hier ihr Bericht:<br />
Für Lewis Hamilton ließ Linda Kennedy<br />
sogar ihr Mittagessen sausen<br />
LINDA KENNEDY<br />
Feuchtkaltes Silverstone oder Barcelona? Das war ja wohl keine Frage. Für mich und meinen Mann jedenfalls war klar,<br />
wohin die Reise gehen sollte. Am 18. Februar saßen wir im Flugzeug von Leeds/Bradford nach Spanien. Der Flug verlief<br />
ruhig, das Hotel war nett, und am nächsten Morgen waren wir startklar für den Ausflug zum Circuit de Catalunya.<br />
Da man damit rechnen konnte, dass einem dort ein paar berühmte Leute über den Weg laufen, verwandte ich etwas<br />
mehr Sorgfalt darauf, mich zurecht zu machen. Und dann warteten wir – etwas nervös – auf das Taxi.<br />
Die Aufregung hätte ich mit sparen können. Als wir an der Rennstrecke ankamen, wurden wir vom <strong>Allianz</strong> F1-Team<br />
und einem speziell für uns abgestellten Führer in Empfang genommen. Sie waren einfach großartig, wir hätten uns<br />
keine bessere Betreuung denken können. Zunächst wurden wir zum Empfangsbereich von Mercedes geführt und<br />
konnten die Testvorbereitungen der Fahrer verfolgen. Dann ging es zur Mercedes-Werkstatt – Fotos waren hier aus<br />
verständlichen Gründen untersagt –, wo noch am Rennwagen gearbeitet wurde. Die Mechaniker hatten ihn in sämtliche<br />
Einzelteile zerlegt, weil Fahrer Nico Rosberg am Morgen Getriebeprobleme gemeldet hatte. Bis Mittag hatten sie<br />
den Boliden wieder auf der Strecke. Unglaublich. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 34<br />
EUROPA<br />
<strong>Allianz</strong><br />
Wir erkundeten derweil die Boxengasse, schauten uns<br />
die Rennwagen der anderen Teams an und fotografierten<br />
alles, was uns vor die Linse kam, vom Lenkrad – Wert:<br />
35 000 Pfund! – über die Hebebühne in der Werkstatt<br />
bis hin zur Startkelle, die im Englischen Lollipop heißt –<br />
Lutscher. Dann ging’s zurück in die Empfangszone zum<br />
Mittagessen. Wir waren noch nicht fertig, da beugte sich<br />
einer vom <strong>Allianz</strong> F1-Team zu mir herüber und flüsterte mir zu: »Wenn du dich in der Nähe der Tür postierst, kannst<br />
du gleich Lewis Hamilton treffen. Der steht dort in ein paar Minuten <strong>Journal</strong>isten Rede und Antwort.« Ich verlor keine<br />
Sekunde, Hamilton ist mein Held. Das Mittagessen war vergessen.<br />
Lewis war großartig. Freundlich und locker. Er sprach ein paar Minuten über das Team und den Wagen und wie die<br />
Vorbereitungen liefen. Anschließend hatten wir Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen, Autogramme zu bekommen<br />
und Fotos mit ihm zu schießen. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir auf der Tribüne – die Ohrenschützer immer<br />
zur Hand. Und dann ging’s zurück ins Hotel nach Barcelona.<br />
Das Wintertraining der Formel 1 zu erleben, hat mir gezeigt, wie hart die Teams dort arbeiten, und das nicht nur bei<br />
den Grand Prix-Rennen, sondern auch in der Vorbereitungsphase in der Werkstatt. Jeder von den Mechanikern weiß<br />
genau, was er zu tun hat. Da konnte man Mannschaftsgeist in Aktion sehen, wie er besser nicht sein könnte.<br />
Es war eine Erfahrung, die ich nicht vergessen werde, und ich kann allen, die das für uns organisiert haben, nicht genug<br />
dafür danken. So etwas zu erleben, war die 50 Jahre bei der <strong>Allianz</strong> wert.<br />
LINDA.KENNEDY@ALLIANZ.CO.UK<br />
AMERIKA<br />
»Wie in einem<br />
Kriegsgebiet«<br />
Leonard Zhukovsky / shutterstock.com<br />
Am 29. Oktober 2012 traf Hurrikan Sandy<br />
auf die Ostküste der USA. Der Wirbelsturm richtete schwere Verwüstungen an und brachte<br />
zahlreichen Menschen den Tod. Jürgen Englerth von der <strong>Allianz</strong> Deutschland in München war<br />
gerade zu Besuch in New Jersey, als die Naturkatastrophe ihren Lauf nahm. Hier sein Bericht: ><br />
JÜRGEN ENGLERTH
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 35<br />
AMERIKA<br />
Englerth<br />
An der US-Ostküste waren am 29. Oktober durch den Wirbelsturm<br />
»Sandy« 120 Menschen ums Leben gekommen. Zehntausende<br />
Häuser wurden beschädigt oder zerstört. Zuvor hatte der Sturm<br />
bereits in der Karibik für erhebliche Verwüstungen gesorgt. Die nun<br />
freigegebenen Hilfen sollen über zehn Jahre ausgezahlt werden. Sie<br />
gehen zum Teil an die betroffenen Hausbesitzer und Unternehmen.<br />
Vor allem aber soll damit die beschädigte Infrastruktur repariert und<br />
die Küste besser vor künftigen Stürmen geschützt werden.<br />
Team Orange im Einsatz: Jürgen Englerth und andere Marathonläufer<br />
packten mit an, um den Menschen in den betroffenen<br />
Gebieten in Brooklyn und Staten Island zu helfen<br />
Ende Oktober 2012 flog ich in die USA, um meine Familie zu besuchen und im Rahmen einer Wohltätigkeitsaktion<br />
den Marine Corps Marathon in Washington und eine Woche darauf den New York City Marathon zu laufen. Bereits vor<br />
dem Start des Marine Corps Marathons war vor einem aufziehenden Unwetter gewarnt worden. Zu diesem Zeitpunkt<br />
ahnte jedoch noch niemand, dass es sich um den schwersten Sturm handeln würde, den New York City und New<br />
Jersey je erlebt haben.<br />
Am Ende blieb ich, mit Unterbrechungen, fast zwei Monate dort, um meiner Familie und den Opfern in den Flutgebieten<br />
zu helfen. Ich verbrachte die Sturmnacht mit meiner 92-jährigen Schwiegermutter in ihrem Haus in New<br />
Jersey. Der Wird heulte so laut, dass wir uns kaum verständigen konnten. Dauernd waren auf dem Dach Einschläge<br />
von großen Trümmern zu hören, die der Sturm durch die Luft gewirbelt hatte. Der nächste Morgen zeigte dann<br />
das ganze Ausmaß der Zerstörung: Die Straßen waren gesperrt, es gab keinen Strom, Telefon und Heizung waren<br />
ausgefallen. Läden und Restaurants blieben bis auf Weiteres geschlossen.<br />
Die nächsten Tage war ich damit beschäftigt, meine Schwiegermutter an ständig wechselnden sicheren Orten<br />
unterzubringen sowie Benzin und Nahrungsmittel für uns aufzutreiben. An den wenigen Tankstellen, die noch<br />
Treibstoff hatten, bildeten sich riesige Warteschlangen, die Leute mussten bis zu sechs Stunden anstehen. Da das<br />
öffentliche Leben völlig zusammengebrochen war, war man auf das Auto angewiesen, um die wenigen sicheren und<br />
warmen, mit Generatoren ausgestatteten Orte zu erreichen: Rathäuser, Rettungsstationen und einige Cafes, in denen<br />
sich die Menschen sammelten und darauf warteten, dass die Stromversorgung wieder funktionierte.<br />
Die Situation eskalierte innerhalb weniger Tage von lästig zu lebensbedrohlich. Die Temperaturen fielen auf bis zu<br />
minus fünf Grad, das Benzin wurde knapp. Zu allem Überfluss kam dann in der zweiten Woche noch starker Schneefall<br />
hinzu. Ich entschloss mich daher, meinen Aufenthalt unbefristet zu verlängern, bis wieder Sicherheit eingekehrt war.<br />
Das Rote Kreuz flog Tausende von Helfern aus den ganzen USA ein und leistete hervorragende Arbeit.<br />
Trotz der Ausnahmesituation war ich fest entschlossen, am New York City Marathon teilzunehmen. Dieser wurde<br />
dann aber kurzfristig abgesagt, nachdem die Strecke durch stark zerstörte Gebiete führen sollte, in denen auch viele<br />
Menschen ums Leben gekommen waren. Eine Gruppe junger Menschen organisierte dennoch kurzerhand über<br />
Facebook den »Run Anyway Marathon«, der auf der Originalstrecke des ersten NYC Marathon von 1970 durch den<br />
Central Park führte. Etwa 20 000 Läufer nahmen daran teil. Es wurde zu einem Fest der Hoffnung und Lebensfreude.<br />
Die Läufer spendeten Geld und Lebensmittel für die Opfer von Sandy. Die New Yorker unterstützten diese Aktion<br />
tatkräftig, indem sie die Läufer anfeuerten und ihnen Essen und Getränke an die Strecke brachten.<br />
Als wir nach elf Tagen in unserem Wohnort in New Jersey endlich wieder Strom hatten, schloss ich mich einem Team<br />
von befreundeten Marathonläufern aus New York an, um in den am schlimmsten zerstörten Gebieten in Brooklyn<br />
und Staten Island zu helfen. Organisator war die US-Laufikone Hideki Kinoshita. Wir trugen unsere orangefarbenen ><br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 36<br />
AMERIKA<br />
Englerth<br />
Marathonhemden, weshalb wir uns »Team Orange« nannten. Unter diesem<br />
Namen wurden wir in den folgenden Wochen auch in der Presse bekannt.<br />
Die Folgen der Zerstörung in den überfluteten Küstengebieten von New York<br />
City waren herzzerreißend. Es herrschten Zustände wie in einem Kriegsgebiet.<br />
Den ersten Tag arbeitete ich in einem Spenden-Center in Far Rockaway,<br />
wo ich mich um die Annahme und Verteilung zahlloser LKW-Ladungen<br />
von Lebensmitteln kümmerte. Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch<br />
nie so hart gearbeitet wie an diesem Tag. Es war aber auch berührend, die<br />
Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit der New Yorker zu erleben.<br />
Die folgenden Tage verbrachte Team Orange auf Staten Island, wo wir in den beschädigten Häusern die Gipsplatten<br />
und Isolierungen aus den Wänden rissen, um zu verhindern, dass sich Schimmelpilz bilden konnte. Trotz Atemmasken<br />
litten wir nach kurzer Zeit alle unter Dauerhusten. Vermutlich haben wir bei der Arbeit jede Menge Asbest und Gift<br />
eingeatmet Aber wenn man das Elend der Menschen sieht, stellt man keine Fragen mehr.<br />
Team Orange war eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Marathonläufern, die zu einem Beispiel für selbstlose<br />
Nächstenliebe wurde. Zusätzlich zu den Arbeitseinsätzen sammelten die Mitglieder über 4000 Dollar an Spendengeldern<br />
für die Sturmopfer. In der Verzweiflung nach der Katastrophe wurde Team Orange zu einem leuchtenden<br />
Stern in der Dunkelheit. Kurz vor meinem Rückflug nach Deutschland nahm ich noch an einem 60 Kilometer langen<br />
Ultramarathon in New York City teil. Nach den Strapazen der letzten Wochen war das der leichteste und erholsamste<br />
Tag meines ganzen Aufenthaltes.<br />
ENGLERTH.JUERGEN@ALLIANZ.DE<br />
AUSTRALIEN<br />
Shutterstock<br />
Mit Rekordtemperaturen von örtlich fast 50 Grad<br />
erlebte Australien in diesem Jahr einen der<br />
heißesten Sommer seit einem Jahrzehnt. Kaum<br />
war die Hitzewelle vorüber, setzte Tropensturm<br />
Oswald Teile von Queenslands unter Wasser.<br />
Für die Versicherungsindustrie lief die Sache<br />
vergleichsweise glimpflich ab. ><br />
FRANK STERN<br />
Elefanten ins Outback<br />
>>
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 37<br />
AUSTRALIEN<br />
Nicholas Scofield<br />
Jenny Lambert<br />
beide Fotos: Ibrahim<br />
Der Mann hatte Sinn für<br />
Timing: Als im Januar Buschfeuer<br />
seinem Anwesen<br />
auf Tasmanien bedrohlich<br />
näher rückten, rief er bei<br />
der <strong>Allianz</strong> Australia an und<br />
schloss noch rasch eine<br />
Gebäudeversicherung ab.<br />
Da war das Embargo, mit dem der Versicherer bei Gefahr im Verzug den Abschluss neuer Policen normalerweise<br />
verhindert, noch nicht in Kraft. Kurze Zeit später ging sein Haus in Flammen auf. Man kann davon ausgehen, dass er<br />
eher zu den zufriedenen <strong>Allianz</strong> Kunden zählt.<br />
Die Geschichte ist Nicholas Scofield, Sprecher der <strong>Allianz</strong> Australia, in Erinnerung geblieben. So viel Glück im Unglück<br />
hat nicht jeder. Die Feuerwalze, die im Januar durch New South Wales, Victoria und Tasmanien zog, verursachte<br />
insgesamt allerdings weit weniger Schäden, als es die dramatischen Fernsehbilder damals hätten vermuten lassen.<br />
Menschen und ihr Besitz seien kaum in Gefahr geraten, sagt Scofield. »Die Brände loderten hauptsächlich in Wäldern<br />
und unbewohntem Gebiet.«<br />
Das war vor vier Jahren noch anders. Da wurden bei Buschbränden in Victoria zahlreiche Häuser ein Raub der Flammen.<br />
»Die Schäden für die australischen Versicherer summierten sich damals auf über eine Milliarde Australische<br />
Dollar«, erinnert sich Jenny Lambert, die Chefin des Schadenbereichs der <strong>Allianz</strong> Australia. In diesem Jahr waren es laut<br />
Australischem Versicherungsverband nur etwas über 120 Millionen Dollar (97 Millionen Euro), wobei auf Tasmanien<br />
mit knapp 90 Millionen Dollar der größte Anteil entfiel. 72 Fälle mit Gesamtschäden von rund sechs Millionen Australischen<br />
Dollar (knapp fünf Millionen Euro) gingen auf das Konto der <strong>Allianz</strong>.<br />
Da war Zyklon Oswald im Januar dieses Jahres schon von anderem Kaliber. Der Tropensturm brachte soviel Niederschläge<br />
mit sich, dass Bäche in Queensland und New South Wales zu reißenden Flüssen anschwollen, die Dämme<br />
durchbrachen und zahlreiche Ortschaften unter Wasser setzten. Allein die versicherten Schäden summierten sich auf<br />
fast 850 Millionen Australische Dollar, etwa 675 Millionen Euro. 68 Millionen Dollar (54 Millionen Euro) davon schlugen<br />
bei der <strong>Allianz</strong> zu Buche.<br />
Von allen Naturereignissen in Australien haben Überschwemmungen das größte Schadenpotenzial, vor Hagelschlägen<br />
und Tropenstürmen. In der letzten Dekade verursachten sie nach Angaben des Australischen Versicherungsverbandes<br />
allein 4,5 Milliarden Dollar an versicherten Schäden. Nachdem Anfang 2011 eine Jahrhundertflut weite Teile Queenslands<br />
überschwemmt hatte – versicherte Schäden damals: 2,4 Milliarden Australische Dollar –, stellten etliche Versicherer,<br />
darunter die <strong>Allianz</strong>, das Neugeschäft für Flutschadenversicherungen in einigen der schlimmsten Sturmzonen<br />
zeitweise ein.<br />
Notbremse gezogen<br />
Letztes Jahr zog auch Queenslands größter Anbieter Suncorp die Notbremse und kündigte an, in den Ortschaften<br />
Emerald und Roma, die regelmäßig unter Wasser stehen, keine neuen Gebäudeversicherungen mehr abzuschließen.<br />
Die Prämien für bestehende Verträge wurden auf einen Schlag bis um das Zehnfache erhöht. Innerhalb von zwei<br />
Jahren hatte das Unternehmen in den beiden Kleinstädten 150 Millionen Dollar an Flutschäden gezahlt – bei<br />
Prämieneinnahmen von vier Millionen Dollar. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 38<br />
AUSTRALIEN<br />
Ibrahim<br />
Die jahrelangen Appelle der Versicherungsindustrie,<br />
der Staat müsse<br />
mehr Mittel für Deiche und Dämme<br />
bereitstellen, um den Besitz der<br />
Bürger zu schützen, waren bis dahin<br />
nahezu ungehört verhallt. Doch<br />
nach den schweren Flutschäden<br />
vom Januar dieses Jahres reagierte<br />
auch die Regierung in Canberra: In<br />
den kommenden zwei Jahren sollen<br />
100 Millionen Dollar in Projekte zur<br />
In Sydney wurde im Januar mit 48,5 Grad ein neuer Hitzerekord gemessen. Die Behörden sprachen von<br />
der größten Hitzewelle seit über zehn Jahren<br />
Flutprävention investiert werden – eine Maßnahme, von der der Chef des Australischen Versicherungsverbandes,<br />
Rob Whelan, sagt, dass sie einen spürbaren Einfluss auf die Höhe der Versicherungsbeiträge haben wird.<br />
Das bleibt abzuwarten. Der Hang der Australier, sich bevorzugt in Risikogebieten anzusiedeln, steht dem jedenfalls<br />
entgegen. 90 Prozent der Bevölkerung leben entlang der Küsten. Besonders beliebt – die von New South Wales<br />
und Queensland. »Trotz der bekannten Gefahren ziehen immer mehr Leute die Ostküste hoch, an der sich regelmäßig<br />
Zyklone austoben«, sagt Jenny Lambert. Wenn der Tropensturm einem das Dach wegbläst, nützt ein Deich<br />
natürlich wenig.<br />
Mit staatlichem Segen<br />
Die Gemeindeverwaltungen in den betreffenden Gebieten waren bei der Gefahrenabwehr bislang auch nicht<br />
sonderlich hilfreich, berichtet Bob Gelling, Schadenmanager der <strong>Allianz</strong> Australia in Brisbane. »Da werden Siedlungen<br />
an Flüssen gebaut oder in Senken. Klar, dass beim nächsten Jahrhundertunwetter alles unter Wasser steht.« Und auch<br />
viele der typischen Queensland-Häuser, die eben wegen der Überschwemmungsgefahr erhöht auf Pfeilern stehen<br />
sollten, sind inzwischen bis runter auf den Boden ausgebaut. Mit behördlicher Genehmigung.<br />
Aber wie die Buschfeuer vom Anfang des Jahres zeigten, ist auch das Inland nicht vor Risiken gefeit. Vor allem dann<br />
nicht, wenn auf eine Feuchtperiode mit starkem Pflanzenwuchs eine extreme Hitzephase folgt. »Da sammelt sich<br />
dann jede Menge Unterholz und Gestrüpp an«, sagt Bob Gelling. Und auch das einst aus Afrika als Futterpflanze<br />
importierte Savannengras, das bis zu vier Meter hoch werden kann und sich rasant ausbreitet, wirkt im Outback wie<br />
ein Brandbeschleuniger. Zumindest für diese Plage hat David Bowman, Professor an der University of Tasmania, nun<br />
eine Lösung erdacht: Elefanten. Die könnten das Gras, das ihnen von Afrika her bekannt ist, einfach auffressen und<br />
damit die Brandgefahr reduzieren.<br />
Mit der Einführung fremder Tier- und Pflanzenarten hat Australien allerdings so seine Erfahrungen. Im 19. Jahrhundert<br />
etwa hatten die Engländer Kamele ans andere Ende der Welt verschifft, die als Lasttiere bei der Erkundung des fünften<br />
Kontinents dienen sollten. Nachdem im 20. Jahrhundert Eisenbahn und Lastkraftwagen die Transporte übernahmen,<br />
ließ man die Tiere frei. Mittlerweile werden die inzwischen rund eine Million wilden Kamele als Bedrohung der Tierwelt<br />
und der Landschaften Australiens angesehen. Vielleicht doch keine so gute Idee, das mit den Elefanten.<br />
WWW.ALLIANZ.COM.AU
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 39<br />
ASIEN<br />
»Extrem harter Wettbewerb«<br />
Es gab Zeiten, da bekamen westliche Manager beim Thema China leuchtende Augen. Nicht alle<br />
Blütenträume haben sich erfüllt, doch gilt China vielen weiterhin als Markt der Zukunft. Wir sprachen<br />
mit Uwe Michel, Chef des Unternehmensbereichs Asien (Insurance Growth Markets Asia) über die<br />
Strategie der <strong>Allianz</strong> im Reich der Mitte.<br />
INTERVIEW: FRANK STERN<br />
Herr Michel, unter Ihrer Leitung ist vor kurzem die Initiative »One <strong>Allianz</strong> in China« angelaufen.<br />
Was ist der Hintergrund?<br />
Wir möchten uns in der chinesischen Öffentlichkeit stärker als Unternehmen präsentieren, das sämtliche Facetten<br />
an Finanzdienstleistungen aus einer Hand bieten kann. Wir verfügen in China über zehn Einheiten, von Euler Hermes<br />
über <strong>Allianz</strong> Global Assistance bis zu Pimco. Keiner der ausländischen Wettbewerber hat eine so breite Produktpalette<br />
zu bieten. Das muss in der Außendarstellung deutlicher werden. Bislang haben die Einheiten weitgehend ohne Bezug<br />
zueinander operiert. Sinn unserer Initiative ist es, mehr profitables Geschäft zu erwirtschaften, und der Schlüssel dazu<br />
ist verstärkte Kooperation und abgestimmtes Handeln bei der Kundenansprache. Wir wollen, dass die <strong>Allianz</strong> in China<br />
zum Synonym für finanzielle Solidität wird. So wie Mercedes für Solidität beim Autobau steht.<br />
Westliche Unternehmen klagen über den schwierigen Marktzugang. Mit welchen Hürden hat die <strong>Allianz</strong><br />
in China zu kämpfen?<br />
Zum einen ist das sicher der extrem harte Wettbewerb. Die früheren Staatsversicherer sind weiterhin die marktbeherrschenden<br />
Kräfte. Zum anderen gibt es regulatorische Beschränkungen. Der Anteil ausländischer Anbieter<br />
am Lebensversicherungsmarkt beträgt 4,8 Prozent, im Sachgeschäft sind es gerade mal 1,2 Prozent. Die Aufsichtsbehörden<br />
lassen ausländische Versicherer nicht an die wirklich interessanten Fleischtöpfe. Die Kommunistische Partei<br />
hat jetzt allerdings eine deutliche Liberalisierung versprochen.<br />
Stern<br />
Das hat sie schon öfter.<br />
Ich will nicht naiv dran glauben, aber ausschließen würde ich es auch nicht. Die chinesischen Versicherer<br />
sind inzwischen so stark, dass sie sich auch ohne die schützende Hand des Staates die Butter nicht vom Brot<br />
nehmen lassen. In einem Schwellenland wie China benötigt man einen gesunden Schuss Optimismus,<br />
sonst braucht man gar nicht anzutreten. Und man braucht einen langen Atem. Die Zeithorizonte in<br />
China sind andere, als wir sie vielleicht gewohnt sind.<br />
Nimmt mit »One <strong>Allianz</strong> in China« nun wieder München die Zügel<br />
in die Hand?<br />
Eindeutig nein. »One <strong>Allianz</strong> in China« ist eine Initiative<br />
der zehn <strong>Allianz</strong> Einheiten vor Ort. Wir sehen unsere<br />
Aufgabe darin, sie näher zusammenzuführen.<br />
Sie sollen im Markt als eine <strong>Allianz</strong> zu<br />
erkennen sein. Doch die Zügel liegen bei<br />
den lokalen Gruppengesellschaften.<br />
Sie kennen den Markt, sie kennen ihre<br />
Kunden und deren Bedürfnisse. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 40<br />
ASIEN<br />
Roth<br />
Was wir bieten, ist Hilfestellung. China tickt top-down, von<br />
oben nach unten, deshalb müssen unsere Vorstände und<br />
Experten dort mehr präsent sein. Wir wollen in Zukunft<br />
deutlicher machen, was wir den Chinesen zu bieten haben<br />
und uns stärker als Wissensgeber ins Gespräch bringen.<br />
Wie sieht das konkret aus?<br />
Uwe Michel<br />
Wir werden unsere Experten zu Vorträgen ins Land<br />
schicken, mit Entscheidungsträgern zusammentreffen, die<br />
Medien einbeziehen. Vor kurzem zum Beispiel war <strong>Allianz</strong> Chefökonom Michael Heise in China, um über die Zukunft<br />
des Euro und der Europäischen Gemeinschaft zu referieren. Das ist in der Presse auf große Resonanz gestoßen. Wir<br />
wollen kein zusätzliches Geld für Marketing ausgeben, das würde in diesem riesigen Land mit seinen zahlreichen<br />
Millionenstädten verpuffen, aber wir wollen unser Know-how besser ins Spiel bringen, zum Beispiel in Sachen<br />
Demographie oder in Sachen Infrastrukturprojekte.<br />
Wer ist die Zielgruppe in China?<br />
Vor allem wenden wir uns an die wachsende Mittelschicht in den Städten, das sind mittlerweile über 300 Millionen<br />
Menschen. Die sind zunehmend daran interessiert, ihren Wohlstand abzusichern. Das eröffnet Chancen in allen<br />
Bereichen, vor allem aber in der Lebens- und Krankenversicherung. Zusammen mit unserem Partner CPIC haben wir<br />
gerade eine Krankenversicherung gegründet. Aber auch für <strong>Allianz</strong> Global Corporate & Specialty (AGCS) ergeben sich<br />
neue Möglichkeiten. China will die grüne Technik ausbauen – angesichts der enormen Umweltprobleme nur zu verständlich.<br />
Und auf diesem Gebiet ist Deutschland führend. Da werden wir sicher unsere deutschen Versicherungskunden<br />
begleiten können. Aber wir richten uns mit unseren Angeboten auch an chinesische Unternehmen.<br />
China ist ein gigantischer Markt. Wird ein ausländischer Anbieter wie die <strong>Allianz</strong> dort überhaupt<br />
wahrgenommen?<br />
Es gibt Nischen, in denen wir stark sind und wo die Chinesen etwas von uns lernen können. Die Krankenversicherung<br />
ist ein typisches Beispiel. Da fehlt den Chinesen die Erfahrung. Die private Krankenversicherung macht bisher nur<br />
einen Bruchteil der Ausgaben im Gesundheitswesen aus. Wir können im Produktbereich, im Risikomanagement<br />
oder der IT etwas beisteuern, die CPIC, mit der wir jetzt das Gemeinschaftsunternehmen gegründet haben, bringt ihr<br />
Vertriebsnetz und ihre Kontakte zu staatlichen Stellen ein. Ich bin optimistisch, dass wir uns von dem riesigen Kuchen<br />
in China ein Stück sichern können. Wir müssen natürlich aufpassen, dass die Gewinne dieses Wissenstransfers auch<br />
allen Seiten zugute kommen.<br />
Die <strong>Allianz</strong> wird in dem Joint Venture Minderheitspartner. Ein Paradigmenwechsel?<br />
Das ist für die <strong>Allianz</strong> schon ein Schritt, bei einem Joint Venture wie der jetzt gegründeten Krankenversicherung in<br />
eine Minderheit zu gehen. Aber wir haben gesehen, dass wir nicht zum Zuge kommen, wenn wir allein auftreten.<br />
Für uns sind bei diesem Experiment drei Fragen entscheidend: Wo ist der Mehrwert für die <strong>Allianz</strong>? Wie groß ist das<br />
Risiko, wenn wir in die Minderheit gehen? Und gelingt es uns, mögliche Gewinne aus China herauszubekommen?<br />
Andere Unternehmen haben sich entschieden, ihr Engagement in China zurückzufahren oder ganz<br />
auszusteigen. Keine Option für die <strong>Allianz</strong>?<br />
Das ist immer eine Option. Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir nicht unter die Räder geraten. Die Frage ist, ob<br />
wir mit dem Geld, das uns unsere Anleger zur Verfügung stellen, in China etwas Vernünftiges auf die Beine stellen<br />
können. Ich bin sicher, dass wir dazu in der Lage sind, und »One <strong>Allianz</strong> in China« ist ein wichtiger Baustein. Kunden >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 41<br />
ASIEN<br />
schließen natürlich keine Versicherung ab, nur weil wir jetzt diese Initiative gestartet haben. Sie schließen ab, weil<br />
Global Automotive ein gutes Angebot hat. Oder weil AGCS eine gute Deckung bietet. »One <strong>Allianz</strong> in China« soll den<br />
Austausch der Tochtergesellschaften untereinander fördern. Sie sollen darüber reden, wer welchen Kunden an der<br />
Hand hat, und wie man ihn gemeinsam noch besser betreuen kann. Inzwischen gehen die Kundenmanager der<br />
verschiedenen <strong>Allianz</strong> Einheiten bereits zusammen zu Großkunden und offerieren ihre Angebote.<br />
Und wie kommt das an?<br />
Die Resonanz ist äußerst positiv. <strong>Allianz</strong> China, Global Automotive und <strong>Allianz</strong> Global Assistance haben gemeinsam<br />
bereits erste Verträge abgeschlossen, gerade vor kurzem mit einem internationalen Telematics-Unternehmen. Da<br />
geht es immerhin um zehn Millionen Euro an Beitragseinnahmen. Und es stehen noch etliche andere Unternehmen<br />
auf unserer Liste.<br />
Fährt Ihnen als europäischem Anbieter da nicht gerade die Finanzkrise in die Parade?<br />
Europa wird nicht mehr als Hort der Sicherheit wahrgenommen, und natürlich kommt in jedem Gespräch die Frage,<br />
was der Euro gerade macht. Die <strong>Allianz</strong> aber gilt in China weiter als stabiles Unternehmen, da hilft uns unser gutes<br />
Rating natürlich sehr. Und genau diese Stärke wollen wir in unserem öffentlichen Auftritt herausstellen. Das wird auch<br />
unsere Anziehungskraft als Arbeitgeber steigern. Die Loyalität der Mitarbeiter ist für uns in China ein Dauerthema.<br />
Laufen Ihnen die Leute weg?<br />
Die Fluktuation ist sehr hoch. Es ist schwierig, in China gute Mitarbeiter zu bekommen, und noch schwieriger, sie zu<br />
halten. Wir bilden sie aus, und dann werden sie von Wettbewerbern abgeworben. Im April haben wir in München<br />
die erste interne Jobmesse für China veranstaltet. Gut 40 chinesischsprachige Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen<br />
nahmen teil, die sich vorstellen können, nach China zu gehen.<br />
Das lässt hoffen. Wir müssen deutlich machen, dass die <strong>Allianz</strong> ein Top-Unternehmen ist, das zu den Fortune 100<br />
gehört und das dank seiner breiten Aufstellung spannende Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten bietet. Dann<br />
kriegen wir auch die Fluktuation in den Griff. Unser Ziel ist es, im Markt als Einheit wahrgenommen zu werden, die<br />
vielerlei Facetten bedient. Genau darauf zielt auch die Initiative »One <strong>Allianz</strong> in China« ab. Ich bin sicher, dass wir uns<br />
China annähern und erfolgreich sein können.<br />
Wie weit soll die Annäherung<br />
gehen?<br />
Es geht nicht ums Anbiedern,<br />
es geht darum, den Markt zu<br />
verstehen, damit wir unser Wissen<br />
richtig einbringen können. Die<br />
Chinesen wollen schließlich<br />
mit uns arbeiten, gerade weil<br />
wir Deutsche sind, weil wir<br />
Europäer sind. Wir haben in<br />
den letzten Jahren in China eine<br />
gute Basis geschaffen, auch was<br />
Geschäftslizenzen angeht. Doch<br />
jetzt ist es langsam an der Zeit, die<br />
Ernte einzufahren.<br />
Die <strong>Allianz</strong> in China<br />
Sichuan<br />
Chongqing<br />
Liaoning<br />
Peking<br />
Shandong<br />
Jiangsu<br />
Shanghai<br />
Zhejiang<br />
Guangdong<br />
Hongkong
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 42<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
Latouri, EAC-l’Boulvart<br />
Vor zehn Jahren war Heavy Metal in Marokko noch als Teufelszeug geächtet. Eine Gruppe von Hardrockern<br />
wanderte sogar ins Gefängnis. Heute gehören sie zur Avantgarde der Kulturszene des Landes.<br />
Auch Dank des Webradios »Boulevard«. Die <strong>Allianz</strong> Kulturstiftung unterstützt das Projekt.<br />
MICHAEL GRIMM<br />
Boulevard der Freiheit<br />
Musik drückt aus, wofür wir manchmal keine Worte finden. Musik beschreibt ein Lebensgefühl, sie ist ein Stück eigene<br />
Identität. Wie mächtig Musik tatsächlich sein kann, hat 2003 eine Gruppe von Heavy Metal-Musikern in Casablanca<br />
erfahren. 14 junge Männer wurden unter dem Vorwurf, die Religion anzugreifen, vor Gericht gestellt. Der Vorwurf des<br />
Satanismus schwebte im Raum. Schließlich wurden die Musiker zu Haftstrafen zwischen einem Monat und einem Jahr<br />
verurteilt. Zehn Jahre später, im Frühjahr 2013, bereitet eines der damals verurteilten Bandmitglieder eine Rock- und<br />
Metal-Sendung für das Webradio »Boulevard« in Casablanca vor.<br />
Das neu geschaffene Sprachrohr für Musiker, <strong>Journal</strong>isten und Audiokünstler ist ein Projekt des Kreativnetzwerks EAC-<br />
L’Boulvart (Education artistique et culturelle L’Boulvart). Seit 1999 hat sich die gemeinnützige Organisation zur Plattform<br />
für Freigeister aus den Bereichen Musik, Kulturjournalismus, Film, Design, Mode und Streetart entwickelt. Das jährlich<br />
von dem Netzwerk organisierte Musikfestival L’Boulevard ist mittlerweile die bedeutendste Musik- und Jugendkulturveranstaltung<br />
in Nordafrika. Das Webradio soll Künstlern und <strong>Journal</strong>isten nun dauerhaft eine Plattform geben.<br />
»Mit dem Internetradio hoffen wir, unsere infrastrukturellen Probleme lösen zu können«, sagt Chadwane Bensalmai.<br />
Die 36-jährige <strong>Journal</strong>istin bildet zusammen mit ihren Kollegen Hicham Bahou und Mohamed Mehari das Rückgrat von<br />
EAC-L’Boulvart. Seit 2009 hat das Netzwerk eine eigene multifunktionale Basis. Sie befindet sich etwas außerhalb der<br />
Innenstadt von Casablanca in einem Gewerbegebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu einigen Technologiefirmen.<br />
Daher auch der Name »Le Boultek«.<br />
Das Kulturzentrum Le Boultek vereint alles, was das Radiojournalisten- und Musikerherz höher schlagen lässt: Aufnahmestudios,<br />
Konferenz- und Proberäume und auch einen Konzertsaal, in dem 200 Besucher Platz finden. Ein Luxus:<br />
An Räumen für Proben und Konzerte mangelt es in Marokko noch an allen Ecken und Enden. »Die Kulturszene >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 43<br />
Gesellschaft<br />
S P A N I E N<br />
hat einen schweren Stand«, bestätigt Nadine Müseler<br />
vom Goethe-Institut in Marokko. Die Kunsthistorikerin aus<br />
Köln arbeitet seit fünf Jahren für das Goethe-Institut in<br />
Rabat. Zusammen mit den Kollegen vom Institut français<br />
bewarb sich die deutsche Einrichtung 2009 beim »Deutsch-<br />
Französischen Fonds für Kulturpro-gramme in Drittländern«<br />
um eine Basis finanzierung für das Webradio Boulevard.<br />
Der Arabische Frühling in Teilen des Maghreb bereitete<br />
schließlich den Weg. Mit dem Geld wurde eine erste<br />
Fortbildungsreihe zusammen mit europäischen Webradios<br />
ermöglicht. Auch eine technische Grundausstattung folgte.<br />
Tanger<br />
Rabat<br />
Casablanca<br />
M A R O K K O<br />
A L G E R I E N<br />
2013 hat das Projekt »Webradio: Kultur über alle Grenzen hinweg« einen weiteren Unterstützer gewonnen – die<br />
<strong>Allianz</strong> Kulturstiftung. Überzeugt hat ihren Leiter, Michael Thoss, »die Kombination aus transmediterraner Vernetzung<br />
der europäischen und nordafrikanischen Webradios – ein Medium, das an Bedeutung gewinnen wird.« Als Ziel des<br />
Engagements unterstreicht Thoss die wechselseitige Wirkung des Projekts. Mit der Zusammenarbeit hofft er, nicht<br />
nur die Zivilgesellschaft des Landes zu stärken, sondern auch neue Kooperationen anzustoßen.<br />
Christine Auerbach hat davon bereits profitiert. Die <strong>Journal</strong>istin von on3-radio, der digitalen Jugendradiowelle des<br />
Bayerischen Rundfunks, hat Anfang März in Casablanca an einem ersten Treffen von Webradiomachern aus Marokko,<br />
Deutschland und Frankreich teilgenommen. Besonders beeindruckt haben Auerbach der Elan und der Enthusiasmus,<br />
mit dem die Gastgeber das neue Medium auf die Beine stellen. »Die machen einfach. Man spürt wie es brodelt«,<br />
berichtet sie nach der Reise. Zugegangen sei es wie im Taubenschlag. Mittendrin die vor Energie nur so sprühende<br />
Chadwane Bensalmai. »Das war ein großes Gemeinschaftsgefühl«, erinnert sich Auerbach.<br />
Die Zeiten der Hatz auf Heavy Metal-Kutten scheinen endgültig vorbei. Was einst als Sakrileg galt, hat sich als<br />
Kunstform emanzipiert. Kurz nach den Fortbildungen, Workshops und Netzwerktreffen im Frühjahr 2013 waren die<br />
ersten Pilot-Beiträge zur Ausstrahlung fertig. In einer der Sendungen schwärmen die marokkanische Jazz-Legende<br />
Jauk Armal und der Nachwuchskünstler Yassine Tirassi über die Wirkung ihrer Musik. Jazz, das sei ein Gefühl der<br />
Freiheit, unvergleichlich, so Armal.<br />
Seit Mai ist Radio Boulevard auf Sendung. Selbst im Königshaus werden die neuen Töne wohlwollend aufgenommen.<br />
König Mohammed hat seine Unterstützung für das Webradio Boulevard zugesichert. Und im Herbst folgen die<br />
nächsten Treffen mit Gleichgesinnten. Dann wird sich weiter vernetzt mit Webradios aus Spanien, Italien und einem<br />
Frauenwebradio aus Kairo.<br />
Eine Langfassung des Artikels finden Sie im Internet unter: http://knowledge.allianz.com/journal<br />
www.boulevard.ma<br />
www.goethe.de/marokko<br />
https://kulturstiftung.allianz.de
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 44<br />
Soliya wurde vor zehn Jahren mit dem Ziel ins Leben<br />
gerufen, jungen Menschen aus muslimischen und<br />
westlichen Ländern interkulturelle Erfahrungen<br />
zu vermitteln. Die Nichtregierungsorganisation<br />
mit Büros in New York und Kairo setzt dabei ganz<br />
auf das Internet, um Studenten aus aller Welt in<br />
virtuellen Diskussionsrunden miteinander in Kontakt<br />
zu bringen. Inzwischen beteiligen sich bereits<br />
über 100 Universitäten, viele haben das Online-<br />
Bildungsprogramm Connect (Verbinden) in ihre<br />
Studienpläne integriert.<br />
WWW.SOLIYA.ORG<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
Asianet-Pakistan / shutterstock.com<br />
SOLIYA<br />
Todfeind am<br />
Bildschirm<br />
Anfangs sind viele der Teilnehmer vorsichtig. Bloß<br />
nichts Falsches sagen. Bloß keinem auf die Füße treten.<br />
Wenn Studenten aus westlichen Ländern bei den<br />
Online-Seminaren von Soliya das erste Mal auf<br />
Kommilitonen aus dem Nahen Osten treffen, geht<br />
es oft überaus höflich zu. Doch lange dauert die<br />
Kuschelphase nicht.<br />
FRANK STERN<br />
Das Internet ist ein gefährliches Instrument. Es kann Keile treiben zwischen Menschen und Völker, es kann Vorurteile<br />
verstärken und zum Vehikel für Desinformation und Hass werden. Es kann aber auch verbinden, es kann aufklären und<br />
Vertrauen schaffen. Das Internet ist die Krankheit und das Gegenmittel – je nachdem, wer darüber verfügt.<br />
Als Lucas Welch vor zehn Jahren Soliya ins Leben rief, eine Organisation, die durch interkulturelle Erfahrungen Gräben<br />
überbrücken will, lag der Terroranschlag von New York gerade zwei Jahre zurück. Während sich die Welt im Kampf der<br />
Kulturen erschöpfte, entwickelte der Amerikaner, zuvor Produzent beim Fernsehsender ABC und Mediendozent >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 45<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
an der Bir Zeit-Universität in Ramallah,<br />
ein Konzept für Verständigung und<br />
Ausgleich. Nicht von ungefähr ist der<br />
Name Soliya eine Zusammensetzung aus<br />
dem lateinischen sol (Sonne) und dem<br />
arabischen Wort für Licht.<br />
»In den USA besteht ein extremes Unbehagen<br />
gegenüber dem Islam, aber connect hat mich<br />
gelehrt, auf den einzelnen Menschen zu<br />
schauen und zu erfahren, was er denkt, statt<br />
alle über einen Kamm zu scheren.«<br />
Amerikanische Studentin<br />
Soliya nutzt das Internet, um Studenten<br />
aus verschiedenen Ländern per Videokonferenz<br />
zusammenzubringen. Inzwischen läuft das zehnwöchige Programm Connect (Verbinden) bereits an<br />
über 100 Universitäten in 27 Ländern – von Ägypten bis Indonesien, von den USA bis zur Schweiz. Deutschland ist<br />
mit der Uni Frankfurt, der Freien Universität Berlin und der TU München dabei. Einige Institutionen haben Connect<br />
sogar in ihr reguläres Studien programm aufgenommen. Seit letztem Jahr wird Soliya auch von der <strong>Allianz</strong> Stiftung<br />
für Nordamerika unterstützt. »Es geht um Verständigung, um die Überwindung von Vorurteilen, um Respekt füreinander«,<br />
sagt Stiftungsleiter Christopher Worthley. »Diese Ziele passen gut mit unserer Mission zusammen, junge<br />
Menschen zu befähigen, eine sichere Zukunft zu gestalten.«<br />
Das Internet als Brücke zwischen Menschen und Kulturen, die sich fremder kaum sein könnten. Osama Madani,<br />
Englischprofessor an der Menoufia Universität in Shibin El Kom, 75 Kilometer von Kairo entfernt, hat erlebt, wie<br />
seine Studenten zunächst in Abwehrstellung gingen, als sie am Bildschirm jüdischen Kommilitonen aus den USA<br />
gegenübersaßen. Dem Todfeind quasi. Und wie sich dann Diskussionen entwickelten, die bei allen Unterschieden doch<br />
auch Gemeinsamkeiten oder zumindest Verständnis für die Haltung des anderen erkennen ließen. Auf beiden Seiten.<br />
»Am Ende des Semesters hatte sich die Einstellung vieler meiner Studenten komplett ver ändert«, beschreibt Madani<br />
die Wirkung der Gesprächsrunden. Mittlerweile wird die Liste mit Studenten, die an dem Programm teilnehmen<br />
wollen, immer länger.<br />
Um anfängliche Berührungsängste zu überwinden oder auch allzu hitzige Debatten zu dämpfen, werden die Online-<br />
Runden von Moderatoren begleitet. »Manchmal haben sie es ziemlich schwer, eine Diskussion über haupt in Gang<br />
zu bringen, weil die Teilnehmer allzu höflich miteinander umgehen«, erzählt Soliya-Geschäftsführer Shamil Idriss.<br />
Dabei gibt es genügend Themen, an denen sich problemlos ein Disput zwischen West und Nahost entzünden lässt.<br />
Und im Laufe des Semesters bleibt davon auch keines ausgespart – weder der islamistische Terror, noch das Thema<br />
Islamophobie, weder das Verhältnis zwischen Religion und Staat, noch die Rolle der Frau in der Gesellschaft oder das<br />
Thema Homosexualität.<br />
»Ich habe immer geglaubt, dass sich<br />
der Westen nicht um andere schert,<br />
vor allem nicht um die Menschen im<br />
Nahen Osten.« Ägyptischer Student<br />
Wie unterschiedlich die Weltsicht ausfallen kann,<br />
zeigt sich regelmäßig, wenn die Teilnehmer anhand<br />
von unbearbeitetem Rohmaterial von Associated<br />
Press und vom arabischen TV-Sender Al Jazeera<br />
einen möglichst ausgewogenen Nachrichtenbeitrag<br />
zusammenschneiden sollen. Ging es in den Online-<br />
Diskussionen bis dahin vielleicht noch eher zögerlich<br />
zu, spätestens wenn sie die Zwei-Minuten-Clips ihrer<br />
Kommilitonen über den Nahost-Konflikt sehen mit<br />
der jeweils unterschiedlichen Sichtweise, ist es mit der<br />
Scheu vorbei. >
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 46<br />
GESELL-<br />
SCHAFT<br />
In den Soliya-Seminaren kommen<br />
Menschen miteinander in Kontakt, die<br />
sich normalerweise tunlichst aus dem<br />
Wege gehen. Die Bandbreite reicht von<br />
der Atheistin aus Amsterdam über den<br />
bibeltreuen Christen aus Kentucky bis<br />
hin zum Muslimbruder aus Kairo. Und<br />
vielleicht ist das die größte Leistung,<br />
die Soliya zuwege bringt: Sie reden<br />
miteinander über Gott und die Welt,<br />
sie diskutieren, sie streiten – aber sie<br />
schlagen sich nicht die Schädel ein.<br />
In Zeiten, da Fundamentalisten auf<br />
beiden Seiten Feindseligkeit und Hass<br />
schüren und das Internet als Verstärker<br />
nutzen, setzt Soliya die Technologie<br />
dazu ein, junge Menschen dagegen<br />
zu immunisieren. Ausgestattet<br />
mit interkultureller Erfahrung, mit der Fähigkeit, andere Meinungen zu respektieren und die eigenen<br />
Auffassungen zu hinterfragen, sollen sie in die Lage versetzt werden, die Spaltung der Welt zu überwinden. Der Weg<br />
dahin führt nach Überzeugung von Shamil Idriss über die Schule und die Universitäten.<br />
Wenn der Austausch über weltanschauliche und kulturelle Gräben hinweg als fester Bestandteil universitärer<br />
Bildung verankert wäre, wenn eine möglichst große Zahl junger Menschen in westlichen und muslimischen Ländern<br />
derart geschult heranwachsen würde, eine kritische Masse, die ihre Differenzen als Aufgabe ansieht und nicht als<br />
Kriegsgrund, dann, so Idriss, könnte ein Pastor mit der Verbrennung eines Korans in Zukunft kaum mehr Aufruhr<br />
stiften, und verblendete junge Männer würden keine Flugzeuge in Gebäude lenken. »Könnten wir schon heute mit<br />
einer Million Studenten pro Jahr arbeiten«, setzt er hinzu, »dann würden sie bereits jetzt die Welt verändern.«<br />
»Anfangs wollte ich nicht ins Connect-<br />
Programm. Mein Professor hat mich<br />
dazu gedrängt. Und ehrlich, im<br />
Nachhinein bin ich froh darüber.«<br />
Palästinensischer Student
<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 2/2013 | Seite 47<br />
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<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2013 ist der<br />
30. August 2013.