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Hans-Dietrich Sander Die deutsche Krise und ihr ... - Zeitdiagnose.de

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<strong>Hans</strong>-<strong><strong>Die</strong>trich</strong> <strong>San<strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong><strong>de</strong>utsche</strong> <strong>Krise</strong> <strong>und</strong> <strong>ihr</strong> archimedischer Punkt<br />

Thesen <strong>und</strong> Glossare<br />

Unser Volk steckt gegenwärtig in <strong>de</strong>r tiefsten <strong>Krise</strong> seiner Geschichte. Niemand weiß, ob<br />

es je da herausfin<strong>de</strong>n kann. <strong>Die</strong> Deutschen haben in<strong>de</strong>ssen schon öfter f<strong>und</strong>amentale <strong>Krise</strong>n<br />

durchgestan<strong>de</strong>n <strong>und</strong> schließlich überw<strong>und</strong>en.<br />

1<br />

Glossar<br />

Um die Kraft <strong>und</strong> die Einsicht dafür zu gewinnen, ist es unerläßlich, sich dieser tiefsten<br />

<strong>Krise</strong> unserer Geschichte ohne Scheuklappen zu stellen. Es kennzeichnet <strong>de</strong>n gegenwärtigen<br />

Stand <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, daß in <strong>ihr</strong> kein einziger Bereich mehr intakt<br />

ist. <strong>Die</strong> politische Klasse hat nichts mehr im Griff. Der Mittelbau in <strong>de</strong>n Ministerien, <strong>de</strong>r<br />

oft in Notzeiten das Schlimmste verhin<strong>de</strong>rte, wenn die Führung versagte, ist auch nicht<br />

mehr funktionabel. In <strong>de</strong>r Wirtschaft schrumpfen die Kleinbetriebe zu Ein-Mann-<br />

Unternehmen herunter. Der Mittelstand treibt seiner Auflösung entgegen. Und die Großindustrie<br />

gerät in besorgniserregen<strong>de</strong>s Schlingern. Deutschland fällt in seiner sozialen<br />

Lage, <strong>und</strong> nicht nur in <strong>ihr</strong>, tief ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zurück, <strong>und</strong> zwar in die englischen<br />

Verhältnisse, die Marx <strong>und</strong> Engels im Exil zum Klassenkampf stimulierten. Wie an<strong>de</strong>rs<br />

sich damals die Dinge in Deutschland entwickelten, zeigte die Verw<strong>und</strong>erung <strong>de</strong>s alten<br />

Engels, als er in <strong>de</strong>n 1890er Jahren auf einer Reise in die Heimat kaum Klassenunterschie<strong>de</strong><br />

sah. Heute nimmt man in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik schamlos die auswuchern<strong>de</strong> Existenz<br />

von Unterschichten hin. „Ohne Armut geht es nicht“, heißt eine Parole, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

FDP-Graf Lambsdorff stimmt dreist das „Lob <strong>de</strong>s Manchestertums“ an. <strong>Die</strong> Korruption<br />

hat heute einen Stand erreicht, auf <strong>de</strong>m die BRD wie eine Bananenrepublik aussieht.<br />

2<br />

Deutschland ist in <strong>de</strong>r Weltgeschichte die einzige maßgebliche Größe, <strong>de</strong>r das gelungen<br />

ist. We<strong>de</strong>r die griechische noch die römische Antike hatten die Kraft zu einer politischen<br />

Renaissance. <strong>Die</strong> alten Mächte im Mittleren Orient <strong>und</strong> im nördlichen Afrika konnten<br />

sich aus <strong>ihr</strong>em Nie<strong>de</strong>rgang ebenfalls nicht mehr erheben. Den Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Schwe<strong>de</strong>n<br />

war nur ein kurzer spektakulärer Aufstieg vergönnt. Spanien, in <strong>de</strong>ssen Reich die<br />

Sonne nicht unterging, schrumpfte zu bleiben<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungslosigkeit herunter. Frankreich<br />

stieg nach Waterloo trotz verbissener Anstrengungen nie wie<strong>de</strong>r zur einstigen Gloire<br />

empor. Nach <strong>de</strong>m Zerfall <strong>de</strong>s Empire dürfte es England ebenso ergehen. Für Rußland<br />

ist nach <strong>de</strong>m bolschewistischen Desastre eine Rückkehr zu seiner weltpolitischen Rolle<br />

unwahrscheinlich gewor<strong>de</strong>n. Nur wir haben die finale Dialektik von Aufstieg <strong>und</strong> Nie<strong>de</strong>rgang<br />

gebrochen. <strong>Die</strong> Ermordung Hermann <strong>de</strong>s Cheruskers warf die aufstreben<strong>de</strong>n<br />

Germanen im <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Lebensraum um Jahrh<strong>und</strong>erte zurück. Ganze Stämme vergeu<strong>de</strong>ten<br />

<strong>ihr</strong>e Tatkraft <strong>und</strong> am En<strong>de</strong> sich selbst in <strong>de</strong>n Abenteuern <strong>de</strong>r Völkerwan<strong>de</strong>rung.<br />

Trotz<strong>de</strong>m grün<strong>de</strong>ten nach einem knappen Jahrtausend die Ottonen das Deutsche Reich.<br />

Nach <strong>de</strong>m Dynastocid an <strong>de</strong>n Staufern, begangen von <strong>de</strong>n Franzosen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Heiligen<br />

Stuhl, kümmerte es nur noch vor sich hin. <strong>Die</strong> Stabilität, die ihm die Habsburger wie<strong>de</strong>rgaben,<br />

diente nur <strong>ihr</strong>er Hausmacht. Nach <strong>de</strong>m 30jährigen Krieg führte das Deutsche<br />

1


Reich nur noch eine Scheinexistenz. Doch schon vor <strong>de</strong>m Westfälischen Frie<strong>de</strong>n stieg ein<br />

<strong><strong>de</strong>utsche</strong>r Teilstaat, das spätere Preußen, zu einer neuen maßgeblichen Größe auf, die<br />

schwersten Belastungen gewachsen war. Das En<strong>de</strong> schien gekommen, als Napoleon auch<br />

die Scheinexistenz <strong>de</strong>s Reiches aufhob <strong>und</strong> Preußen zum Satrapen erniedrigte. Es schüttelte<br />

ihn in <strong>de</strong>n Befreiungskriegen gleichwohl wie<strong>de</strong>r ab. Den Impetus brach gleich wie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Wiener Kongreß <strong>und</strong> stürzte es in eine schier ausweglose Restaurationsperio<strong>de</strong>.<br />

Nach einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert sah es sich jedoch in <strong>de</strong>r Lage, das Deutsche Reich nach<br />

seinen klassischen Maßen neu zu schaffen. Der britische Premier Disraeli sah darin eine<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>re Revolution als es die Französische gewesen. Also beschlossen unsere Fein<strong>de</strong>,<br />

Deutschland bis in die tiefsten Grün<strong>de</strong> zu zerstören. Was im Ersten Weltkrieg nicht<br />

gelang, ging im Zweiten glatt über die Bühne.<br />

Glossar<br />

Der unaufhaltsame Abstieg <strong>de</strong>r BRD, <strong>de</strong>r sich so langsam vollzog, daß nur wenige ihn<br />

bemerkten, wird meistens auf die 68er zurückgeführt. Das ist zu kurzschlüssig gesehen,<br />

selbst wenn man sie, wie die Tochter von Ulrike Meinhof, nicht nur links son<strong>de</strong>rn quer<br />

durch alle Parteien verortet. <strong>Die</strong> Fehlentwicklung begann mit <strong>de</strong>r St<strong>und</strong>e Null, <strong>de</strong>m<br />

Trauma einer Nie<strong>de</strong>rlage, die von einer Wucht war, die bis dato alle Besiegten in <strong>de</strong>r<br />

Weltgeschichte ausgelöscht hatte. <strong>Die</strong> Deutschen, o<strong>de</strong>r präzis: die Übriggebliebenen <strong>de</strong>s<br />

Krieges, in welchem, wie immer in unserer Geschichte die Besten fielen, trafen zwei folgenschwere<br />

mentale Entscheidungen Ich entnahm sie aus Briefen von Kriegsgefangenen<br />

an <strong>ihr</strong>e Familien. <strong>Die</strong> erste lautete: wir sollten uns nicht mehr mausig machen, son<strong>de</strong>rn<br />

lernen, mit <strong>de</strong>n stärkeren Bataillonen zu marschieren. <strong>Die</strong> zweite: wir haben eingesehen,<br />

daß es sich nicht lohnt, sich für etwas einzusetzen, was über <strong>de</strong>m eigenen Interesse liegt –<br />

laßt uns lieber blühen<strong>de</strong> Gärten für unsere Kin<strong>de</strong>r bauen. So wur<strong>de</strong> die BRD zu einem<br />

Garten Klingsors, in <strong>de</strong>m die Blumen vergiftet waren. Nur wenige Politiker versuchten<br />

gegenzusteuern. Nach<strong>de</strong>m Konrad A<strong>de</strong>nauer, Kurt Schumacher <strong>und</strong> Carlo Schmid abgetreten<br />

waren, rutschte die politische Ebene in <strong>de</strong>n Sog jener mentalen Entscheidungen ab.<br />

In<strong>de</strong>m die davongekommene Kriegsgeneration im Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>s zerstörten Lan<strong>de</strong>s<br />

Großes leistete, aber politisch völlig versagte, legte sie die F<strong>und</strong>amente, auf <strong>de</strong>nen sich<br />

später die 68er unbehin<strong>de</strong>rt austoben konnten. Es wur<strong>de</strong> dann immer schlimmer. Nach<br />

ihnen kamen die Grünen <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>n Grünen die Yuppies, die alles be<strong>de</strong>nkenlos verscherbeln.<br />

In dieser Folge ereignete sich <strong>de</strong>r sanfte Bildungssturz, <strong>de</strong>r erst heute Entsetzen<br />

erregt, wo es keine Lehrer <strong>und</strong> Professoren mehr gibt, die ihn in absehbarer Zeit<br />

wen<strong>de</strong>n können.<br />

3<br />

<strong>Die</strong>ses Zerstörungswerk währt nun schon fast 60 Jahre <strong>und</strong> ist von Jahr zu Jahr umwälzen<strong>de</strong>r<br />

gewor<strong>de</strong>n. Es läuft seit langem gewissermaßen automatisch, weil die Deutschen<br />

selbst es frenetisch betreiben. Daß wir uns in unserer langen Geschichte so oft wie<strong>de</strong>r erheben<br />

konnten, bietet natürlich keine Gewähr dafür, daß wir es noch einmal vollbringen.<br />

<strong>Die</strong> Zweifel, die zum Frohlocken unserer Fein<strong>de</strong> tiefe Resignation verbreiteten, sind in<strong>de</strong>s<br />

unberechtigt. <strong>Die</strong> entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage ist nicht, ob es diesmal nicht allzulange dauert.<br />

Es hat vom Wiener Kongreß zum Zweiten Reich auch nicht mehr als eines halben Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bedurft. <strong>Die</strong> entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage lautet: wieviel Substanz steckt noch unter <strong>de</strong>m<br />

Schutt. Das Bild <strong>de</strong>r Deutschen in <strong>de</strong>n bitteren Interimsperio<strong>de</strong>n ist immer düster gewesen.<br />

2


Glossar<br />

Wer unter uns dieser tiefen Resignation verfallen ist, sollte sich sagen: diese Stimmung<br />

ist genau das, was die Alliierten am En<strong>de</strong> <strong>ihr</strong>er Auslöschungspolitik erreichen wollten.<br />

Auch ich bin einmal davon überwältigt wor<strong>de</strong>n. Als ich <strong>de</strong>n Soldatenfriedhof von Halbe<br />

aufsuchte, bedauerte ich, am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Krieges nicht gefallen zu sein. Mir schien Halbe<br />

<strong>de</strong>r Platz zu sein, an <strong>de</strong>n ich besser hingehört hätte. Doch noch vor <strong>de</strong>m Verlassen <strong>de</strong>r<br />

Stätte sah ich die ungeheure Gräberflucht als eine verpflichten<strong>de</strong> Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>und</strong><br />

ich fand schnell wie<strong>de</strong>r zu meiner eingefleischten Haltung zurück. Niemand ist gegen<br />

Resignationen gefeit. Ein Blick in unsere Geschichte kann uns helfen, sie zu überwin<strong>de</strong>n.<br />

Das hat Höl<strong>de</strong>rlin in seinem „Hyperion" wohl am trefflichsten gezeichnet. Es heißt da:<br />

4<br />

„Barbaren von alters her, durch Fleiß <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> selbst durch Religion barbarischer<br />

gewor<strong>de</strong>n, tiefunfähig je<strong>de</strong>s göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum<br />

Glück <strong>de</strong>r heiligen Grazien, in je<strong>de</strong>m Grad <strong>de</strong>r Übertreibung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ärmlichkeit beleidigend<br />

für je<strong>de</strong> gutgeartete Seele, dumpf <strong>und</strong> harmonienlos, wie die Scherben eines weggeworfenen<br />

Gefäßes, das, mein Bellarmin! waren meine Tröster. Es ist ein hartes Wort<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch sag’ ich’s, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir <strong>de</strong>nken, das zerrissener<br />

wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker,<br />

aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn <strong>und</strong> Knechte, Jungen <strong>und</strong> gesetzte<br />

Leute, aber keine Menschen – ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hän<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

Arme <strong>und</strong> alle Glie<strong>de</strong>r zerstückelt untereinan<strong>de</strong>r liegen, in<strong>de</strong>ssen das vergossene Lebensblut<br />

im San<strong>de</strong> zerrinnt? Ein je<strong>de</strong>r treibt das Seine, wirst du sagen, <strong>und</strong> ich sag’ es auch.<br />

Nur muß er es mit ganzer Seele treiben, muß nicht je<strong>de</strong> Kraft in sich ersticken, wenn sie<br />

nicht gera<strong>de</strong> sich zu seinem Titel paßt, muß nicht mit dieser kargen Angst, buchstäblich<br />

heuchlerisch das, was er heißt, nur sein, mit Ernst <strong>und</strong> Liebe muß er das sein, was er ist,<br />

so lebt ein Geist in seinem Tun, <strong>und</strong> ist er in ein Fach gedrückt, wo gar <strong>de</strong>r Geist nicht leben<br />

darf, so stoß’ er’s mit Verachtung weg <strong>und</strong> lerne pflügen! Deine Deutschen aber<br />

bleiben gerne beim Notwendigsten, <strong>und</strong> darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit<br />

<strong>und</strong> so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müßten solche<br />

Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall <strong>de</strong>r Fluch<br />

<strong>de</strong>r gottverlassenen Unnatur auf solchem Volke. – <strong>Die</strong> Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Alten sei’n nur<br />

glänzen<strong>de</strong> Fehler, sagt’ einmal, ich weiß nicht, welche böse Zunge; <strong>und</strong> es sind doch selber<br />

<strong>ihr</strong>e Fehler Tugen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn da noch lebt ein kindlicher, ein schöner Geist, <strong>und</strong> ohne<br />

war von allem, was sie taten, nichts getan. <strong>Die</strong> Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Deutschen aber sind ein<br />

glänzend Übel <strong>und</strong> nichts weiter, <strong>de</strong>nn Notwerk sind sie nur, aus feiger Angst, mit Sklavenmühe,<br />

<strong>de</strong>m wüsten Herzen abgedrungen, <strong>und</strong> lassen trostlos je<strong>de</strong> reine Seele..."<br />

Das alles ist sicher nie so total <strong>de</strong>r Fall gewor<strong>de</strong>n wie nach 1945. Muß man mit <strong>de</strong>m<br />

„Hyperion“ in <strong>de</strong>r Hand vor <strong>de</strong>n Kulissen dieses Nie<strong>de</strong>rgangs, <strong>de</strong>r alles mit sich riß, was<br />

an<strong>de</strong>re Katastrophen noch verschonten, nicht alle Hoffnung fahren lassen?<br />

3


Glossar<br />

Noch <strong>de</strong>rber hat das ein halbes Jahrh<strong>und</strong>ert nach Höl<strong>de</strong>rlin Hoffman von Fallersleben,<br />

<strong>de</strong>r Verfasser unserer Nationalhymne, in einem Gedicht ausgemalt. Ich zitiere die vier<br />

Strophen:<br />

Nicht Mord, noch Brand <strong>und</strong> Kerker,<br />

noch Standrecht obendrein,<br />

es muß noch kommen ärger,<br />

wenn’s soll von Wirkung sein.<br />

Zu Bettlern sollt <strong>ihr</strong> wer<strong>de</strong>n,<br />

verhungern allesamt,<br />

zu Mühen <strong>und</strong> Beschwer<strong>de</strong>n<br />

verflucht sein <strong>und</strong> verdammt.<br />

Euch soll das bißchen Leben<br />

so gründlich sein verhaßt,<br />

daß <strong>ihr</strong> es weg wollt geben<br />

wie eine schwere Last.<br />

Dann, dann vielleicht erwacht doch<br />

In euch ein neuer Geist,<br />

ein Geist, <strong>de</strong>r über Nacht noch<br />

euch hin zur Freiheit reißt!<br />

Wir können daraus noch heute Hoffnung für die Zukunft schöpfen. Wir müssen diese<br />

Zustän<strong>de</strong> allerdings als eine Wechsellage betrachten <strong>und</strong> sie nicht, wie es heute üblich<br />

ist, fatalistisch als immerwähren<strong>de</strong>s <strong><strong>de</strong>utsche</strong>s Manko hinnehmen. Nicht die bitteren<br />

Zustän<strong>de</strong> sind typisch <strong>de</strong>utsch, son<strong>de</strong>rn die Fähigkeit, sich aus ihnen wie<strong>de</strong>r aufzurappeln.<br />

Und diese Zustän<strong>de</strong> sind heute mehr als bitter. <strong>Die</strong> Auslöschungspolitik, <strong>de</strong>r sich<br />

die Deutschen mit <strong>ihr</strong>en mentalen Fehlentscheidungen unterwarfen, beschränkte sich<br />

nicht auf die Umerziehung, die unseren Volksgeist verdarb. Parallel zu <strong>ihr</strong> lief eine ökonomische<br />

Unterwan<strong>de</strong>rung, die von Investitionen, Beteiligungen, über Fusionen <strong>und</strong><br />

Übernahmen bis zu Aufkäufen zu einem En<strong>de</strong> fortschritt, an welchem wir uns fragen<br />

müssen: was gehört uns eigentlich noch? Ihr folgte die ethnische Zersetzung durch gesteigerte<br />

Einwan<strong>de</strong>rung, die <strong>de</strong>n Eindruck verbreitet: wir sind ja auch gar kein Volk<br />

mehr.<br />

Höl<strong>de</strong>rlins Verdammung seiner Zeitgenossen war aber nur die eine Seite. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

gibt es die verborgene Glut, die immer in unserem Volke steckte <strong>und</strong> zur richtigen<br />

St<strong>und</strong>e immer wie<strong>de</strong>r Funken schlug. Der Höl<strong>de</strong>rlin-Forscher Norbert von Hellingrath,<br />

ein Erwählter <strong>de</strong>s George-Kreises, <strong>de</strong>r 1916 an <strong>de</strong>r Front fiel, hat diese Glut in seiner<br />

Re<strong>de</strong> „Höl<strong>de</strong>rlin <strong>und</strong> die Deutschen“ als das „geheime Deutschland“ bezeichnet, das<br />

wohl die Metapher unserer tiefsten Kraftquelle ist.<br />

5<br />

4


Glossar<br />

<strong>Die</strong> innere Glut glimmte, als Hoffmann von Fallersleben seine ohnmächtige Wut zu<br />

Versen schmie<strong>de</strong>te. Sie durchwirkte <strong>de</strong>n Briefwechsel Johann Gustav Droysens mit<br />

Leopold Ranke, <strong>de</strong>r an die Gespräche erinnert, die in Preußen vor <strong>de</strong>n Befreiungskriegen<br />

geführt wur<strong>de</strong>n, wie sie Fontane später in seinem Roman „Vor <strong>de</strong>m Sturm“ rekonstruierte.<br />

Ohne diese verbreitete Stimmungslage wäre es 1871 nie zu einer Neugründung <strong>de</strong>s<br />

Deutschen Reiches gekommen, so entfernt sie damals auch gelegen haben mochte.<br />

Der archimedische Punkt zur Aufhebung <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n <strong>Krise</strong>n erschien immer, wenn die<br />

Funken stoben. <strong>Die</strong> verborgene Glut steckt aber so tief, daß sie keine Funken schlagen<br />

kann, wenn sie nur von einer Seite angefacht wird. Sie muß von mehreren Ecken angeblasen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> zwar in spontanen, nicht in konzertierten Aktionen. Das vermag keine<br />

Instanz, kein Mensch allein. <strong>Die</strong> Impulse müssen elementar ausbrechen, unabhängig<br />

von einan<strong>de</strong>r <strong>und</strong> gleichzeitig eingreifen. Und <strong>de</strong>r geschichtliche Prozeß muß auch eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Stufe erreicht haben, die sie beschleunigt <strong>und</strong> vervielfältigt. Es gibt heute<br />

Anzeichen dafür, die eine solche Peripetie voraussagen.<br />

6<br />

Glossar<br />

<strong>Die</strong> wesentliche Prämisse für eine Peripetie ist bereits gegeben. Das ist die internationale<br />

Lage, in <strong>de</strong>r die Nachkriegsordnung zerbröckelt. <strong>Die</strong> USA wollten nach <strong>de</strong>m Kriege nie<br />

nur die <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Nation auslöschen. So wie Roosevelts Kriegsziel lautete: das Deutsche<br />

Reich zerstören <strong>und</strong> das britische Empire auflösen, gedachten sie, mit <strong>de</strong>r Einbindung <strong>de</strong>r<br />

Deutschen in eine europäische Union auch die an<strong>de</strong>ren europäischen Völker einzuebnen.<br />

<strong>Die</strong>ses kombinierte Ziel war lange verschleiert, in<strong>de</strong>m man unseren Nachbarn einre<strong>de</strong>te,<br />

die Einbindung Deutschlands sei für sie von höchstem Sicherheitsinteresse. Jetzt ist es<br />

ihnen klargewor<strong>de</strong>n, daß auch sie zur Suspendierung eingeb<strong>und</strong>en wur<strong>de</strong>n. Gleichzeitig<br />

ist in das Bewußtsein eingedrungen, daß die von Washington inszenierte Globalisierung<br />

mit Nomadisierung einhergeht – einer Nomadisierung <strong>de</strong>r eingewan<strong>de</strong>rten wie <strong>de</strong>r einheimischen<br />

Bevölkerungsteile. <strong>Die</strong> Abneigung gegen die galoppieren<strong>de</strong> Nivellierung in<br />

<strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Überfremdung, <strong>de</strong>r Finanzen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verfassung verschaffte sich zuerst<br />

in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, in Frankreich <strong>und</strong> schließlich in England mit einem Dominoeffekt<br />

Luft, die technokratische Diktatur in Brüssel zur Disposition zu stellen. In dieser<br />

Konstellation kann eine verän<strong>de</strong>rte Stimmung in Deutschland eines Tages zur materiellen<br />

Gewalt wer<strong>de</strong>n. Und die Stimmung hat sich bereits gr<strong>und</strong>legend gewan<strong>de</strong>lt.<br />

7<br />

<strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Unterwerfung nach 1945 sind einer Erosion verfallen, die<br />

nicht mehr zu kitten ist. Das waren <strong>de</strong>r Holocaust als das einzigartige <strong>und</strong> unvergleichliche<br />

Verbrechen in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Menschheit <strong>und</strong> Hitlers Alleinschuld am Ausbruch<br />

<strong>de</strong>s 2. Weltkrieges. Zum ersten: Seit <strong>de</strong>r „Spiegel“-Redakteur Fritjof Meyer in Heft<br />

5/2002 <strong>de</strong>r Zeitschrift „Osteuropa“ die Vernichtungslager von Auschwitz <strong>und</strong> Birkenau<br />

auf 2 Bauernhäuser reduzierte <strong>und</strong> die Opferzahl von <strong>ihr</strong>em Millionenpo<strong>de</strong>st herunterholte,<br />

nimmt die Ju<strong>de</strong>nvernichtung einen Umfang an, bei <strong>de</strong>ssen Wahrnehmung das Auf-<br />

5


echnungsverbot mit <strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Opfern <strong>de</strong>r alliierten Bombar<strong>de</strong>ments <strong>und</strong> Vertreibung<br />

nur noch provoziert. Zum zweiten: im Jahr 2003 erschienen drei zeitgeschichtliche<br />

Werke, von <strong>de</strong>nen die <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Alleinschuld am 2.Weltkrieg zwingend wi<strong>de</strong>rlegt wird.<br />

1.) „1945 – Der Krieg, <strong>de</strong>r viele Väter hatte“ von <strong>de</strong>m B<strong>und</strong>eswehrgeneral Gerd Schultze-Rhonhof,<br />

<strong>de</strong>r nach seinem Protest gegen das „Soldaten sind Mör<strong>de</strong>r“-Urteil in <strong>de</strong>n<br />

Ruhestand geschickt wur<strong>de</strong>. 2.) „Fünf plus Zwei – <strong>Die</strong> europäischen Nationalstaaten, die<br />

Weltmächte <strong>und</strong> die vereinte Entfesselung <strong>de</strong>s Zweiten Weltkriegs“ von <strong>de</strong>m jungen Berliner<br />

Historiker Stefan Scheil, im Herbst 2004 bereits in 2. Auflage. 3.) „<strong>Die</strong> Ursachen<br />

<strong>de</strong>s Zweiten Weltkriegs – Ein Gr<strong>und</strong>riß <strong>de</strong>r internationalen Diplomatie von Versailles bis<br />

Pearl Harbour“ von <strong>de</strong>m Münchener Historiker Walter Post, <strong>de</strong>r mittleren Alters ist. <strong>Die</strong>se<br />

Werke sind unverabre<strong>de</strong>t <strong>und</strong> ohne Kenntnis von einan<strong>de</strong>r entstan<strong>de</strong>n. Sie haben auch<br />

nicht <strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Film „Der Untergang“ inspiriert, <strong>de</strong>r die letzten Tage <strong>de</strong>s Dritten<br />

Reiches in verblüffen<strong>de</strong>r Objektivität vorführte <strong>und</strong> selbst Adolf Hitler, jenseits <strong>de</strong>r Monsterklischees,<br />

als Menschen ernstnahm.<br />

Glossar<br />

Parallel dazu wur<strong>de</strong>n durch Jörg Friedrich <strong>und</strong> Günter Grass, die eher links anzusie<strong>de</strong>ln<br />

sind, die verdrängten alliierten Greuel <strong>de</strong>r Bombardierung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Vertreibung in das<br />

<strong><strong>de</strong>utsche</strong> Gedächtnis zurückgezerrt. “Mongolensturm“ nannte Friedrich <strong>de</strong>n Luftangriff<br />

auf Dres<strong>de</strong>n. Das traf nicht nur <strong>de</strong>m verbreiteten Nationalmasochismus mitten ins Herz,<br />

son<strong>de</strong>rn rüttelte auch an <strong>de</strong>n F<strong>und</strong>amenten <strong>de</strong>r BRD, <strong>de</strong>ren volksfeindliche Politik sich<br />

mit <strong>de</strong>r alleinigen Kriegsschuld Hitlers <strong>und</strong> <strong>de</strong>n unvergleichlichen <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Verbrechen<br />

legitimierte. Entsprechend spektakulär brach auf <strong>de</strong>r politischen Ebene ein Panik aus,<br />

<strong>de</strong>ren inquisitorisches Pochen auf <strong>ihr</strong>e brüchige Legitimation sich nur als ein weiteres<br />

Stimulans auswirken kann.<br />

8<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Schönen Künste überraschte im Herbst 2004 das kunstgeschichtliche<br />

Werk „Das Deutsche in <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Kunst“ von Volker Gebhardt, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />

Lehrmeinung brach, die <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Malerei <strong>und</strong> Bildhauerei bis hin zu Uta von<br />

Naumburg <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Bamberger Reiter mit <strong>de</strong>m „<strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Son<strong>de</strong>rweg“ zu verschwefeln.<br />

<strong>Die</strong>ser Impuls blieb nicht allein. In <strong>de</strong>r „Welt“ vom 11. September 2004 geißelte Uwe<br />

Wittstock mit einem ganzseitigen Artikel <strong>de</strong>n „rasen<strong>de</strong>n Leerlauf“ <strong>de</strong>s <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Theaters<br />

ins banale Nichts mit einer Schonungslosigkeit, die niemand erwarten konnte. Allerdings<br />

gehen Theaterrezensenten in <strong>de</strong>n R<strong>und</strong>funksen<strong>de</strong>rn schon seit geraumer Zeit auf<br />

kritische Distanz zu <strong>de</strong>n Inszenierungspraktiken, die auf Verhu<strong>de</strong>lung hinauslaufen.<br />

Glossar<br />

Im Oktober 2004 wur<strong>de</strong> in München <strong>de</strong>r Schauspieler Rolf Boysen mit Blumen <strong>und</strong><br />

Ovationen überschüttet, nach<strong>de</strong>m er an acht ausverkauften Aben<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Allerheiligen-<br />

Hofkirche <strong>de</strong>n Text <strong>de</strong>s Nibelungenlie<strong>de</strong>s vorgelesen hatte. Das wäre vor einem Jahr<br />

noch unvorstellbar gewesen. Pikanterweise wur<strong>de</strong> im gleichen Moment durch einen amerikanischen<br />

Film Martin Luther von <strong>de</strong>m verschwefelten <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Son<strong>de</strong>rweg<br />

heruntergeholt. Im selben Moment rehabilitierte <strong>de</strong>r Historiker Johannes Kunisch<br />

in einer Biographie <strong>de</strong>n verlästerten Preußenkönig Friedrich <strong>de</strong>n Großen. Uwe Tellkamp<br />

schrieb seinen Roman “Der Eisvogel“, <strong>de</strong>r an die schöpferischen Ansätze <strong>de</strong>r<br />

<strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Nachkriegsliteratur wie<strong>de</strong>r anknüpfte, die En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fünfziger Jahre von<br />

6


<strong>de</strong>r Gruppe 47 nie<strong>de</strong>rgestampft wur<strong>de</strong>n. Und es schlossen sich ihm in einem Manifest<br />

mehrere jüngere Schriftsteller an, die sich von jenen gleichschalten<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nzen<br />

distanzierten. Von heute aus gesehen war <strong>de</strong>r Film „Das W<strong>und</strong>er von Bern“ auch<br />

kein Einzelfall. Es war <strong>de</strong>r Beginn einer Zuwendung <strong>de</strong>s <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Films zu <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n<br />

Themen, die <strong>ihr</strong>en bisherigen Höhepunkt in <strong>de</strong>r Stifterverfilmung <strong>de</strong>s „Bergkristalls“<br />

durch Joseph Vilsmaier erreichte.<br />

9<br />

In <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Jugend nimmt die Bereitschaft ab, alles wi<strong>de</strong>rspruchslos zu schlucken,<br />

was <strong>ihr</strong> die Umerziehungspädagogik jahrzehntelang mühelos eintrichtern konnte. Parallel<br />

dazu wird die Dominanz <strong>de</strong>r amerikanischen Unterhaltungsmusik schwächer <strong>und</strong> schwächer.<br />

<strong>Die</strong> <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Jugend will mehr <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Musik hören, worüber die Medienbosse die<br />

Stirne runzelten. Mehr atmosphärischen Instinkt zeigte die Werbebranche, die zusehends<br />

Anglizismen vermei<strong>de</strong>t. Anfang Oktober 2004 schrieb die „Junge Freiheit“ vom „En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Amerikanisierung“, das in<strong>de</strong>ssen noch gravieren<strong>de</strong>ren, einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>ren Bereichen<br />

bevorsteht.<br />

Glossar<br />

<strong>Die</strong> verän<strong>de</strong>rte Stimmungslage <strong>de</strong>r Jugend äußert sich in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Belangen.<br />

Was sie von <strong>de</strong>r ewigen Schuld hält, die uns in Ketten halten sollte, manifestiert sie<br />

in Turn- <strong>und</strong> Liebesübungen auf <strong>de</strong>r Holocaustge<strong>de</strong>nkstätte. Unter <strong>ihr</strong>em Druck<br />

reduzieren bereits die Fußballvereine die Anheuerung ausländischer Spieler, die einst<br />

von <strong>de</strong>r Regierung angeordnet wur<strong>de</strong>, um die nationale Begeisterung <strong>de</strong>r Fans zu<br />

paralysieren. <strong>Die</strong>ses Nachgeben gegenüber einer Jugend, die sich nicht mehr<br />

herausgefor<strong>de</strong>rt fühlt, ist mehr als bemerkenswert. Desgleichen wird in Deutschland<br />

beobachtet, daß bei <strong>de</strong>r Jugend die Bo<strong>de</strong>nständigkeit wächst, daß Partys, Geld <strong>und</strong><br />

schneller Ruhm hinter Arbeit <strong>und</strong> Familie zurückzutreten beginnen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n<br />

Partnerschaften die Treue wie<strong>de</strong>r zunimmt.<br />

10<br />

Nichts von diesem Stimmungswechsel ist aus <strong>de</strong>m verteufelten „rechten“ o<strong>de</strong>r „nationalen<br />

Lager“ inspiriert wor<strong>de</strong>n. Seine vorsorgliche Ausgrenzung hat am En<strong>de</strong> nichts genützt.<br />

Was aus diesem Lager Tiefe <strong>und</strong> Substanz hatte, wird erst jetzt richtig wirken können<br />

wie die Titel <strong>de</strong>r nationalen Renaissance auf <strong>de</strong>r Schwelle <strong>de</strong>r 80er Jahre, die damals<br />

allzu isoliert an das geheime Deutschland appellierte. <strong>Die</strong> geistig-politische Atmosphäre<br />

ist im Begriff, auf breiter Front umzukippen. <strong>Die</strong> verborgene Glut wird von so vielen Ekken<br />

aus angefacht, daß bald die Funken stieben. Greift das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Amerikanisierung<br />

auf die wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Bereiche über, <strong>de</strong>ren wachsen<strong>de</strong> Misere nach <strong>ihr</strong>en<br />

Vorgaben <strong>und</strong> Auflagen nicht behoben wer<strong>de</strong>n kann, bricht die <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Unterwerfung<br />

vollends in sich zusammen. „<strong>Die</strong> Welt“ schrieb in <strong>ihr</strong>er durchaus wohlwollen<strong>de</strong>n Rezension<br />

<strong>de</strong>s Werkes „Das Deutsche in <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n Kunst“, es sei vielleicht ein Produkt <strong>de</strong>r<br />

<strong><strong>de</strong>utsche</strong>n <strong>Krise</strong>. Sie hatte recht, mehr als <strong>ihr</strong> bewußt war: <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n <strong>Krise</strong> in <strong>ihr</strong>en<br />

positiven Aspekten, <strong>de</strong>ren Bün<strong>de</strong>lung <strong>de</strong>n archimedischen Punkt hervortreibt, von <strong>de</strong>m<br />

aus das <strong><strong>de</strong>utsche</strong> Volk sich wie<strong>de</strong>r in <strong><strong>de</strong>utsche</strong>r Freiheit erhebt.<br />

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Glossar<br />

Eine innenpolitische Zäsur ist schon eingebrochen. Seit zu Beginn dieses Jahres die<br />

Arbeitslosenziffer offiziell über 5 Millionen stieg, inoffiziell zwischen 6 <strong>und</strong> 10<br />

Millionen gehan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>, sank die Beliebtheit <strong>de</strong>r USA auf ein Tabellenen<strong>de</strong><br />

herunter. Eine Kapitalismus-Kritik fällt in die Öffentlichkeit ein, <strong>de</strong>r sich schon<br />

Rufe nach <strong>de</strong>m Staat gesellen. Aber einen Staat gibt es nicht mehr in Deutschland,<br />

<strong>und</strong> die Politiker, die ihn an die Wand gefahren haben, können ihn auch nicht<br />

wie<strong>de</strong>r beleben. Am 11. März dieses Jahres schrieb <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Chefredakteur<br />

<strong>de</strong>r „Welt“ Johann Michael Möller: Hatte man die „hellsichtigen Warner jahrzehntelang<br />

an <strong>de</strong>n Narrensaum <strong>de</strong>s politischen Diskurses verbannt, überschlagen sich jetzt die<br />

apokalyptischen Visionen vom Kollaps <strong>de</strong>r Sozialsysteme, <strong>de</strong>m Bankrott <strong>de</strong>s<br />

Staatshaushalts <strong>und</strong> <strong>de</strong>m drohen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mographischen Desastre.“ Und er folgerte:<br />

„Der Umbau <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s kann in <strong>de</strong>n herkömmlichen Strukturen <strong>und</strong> Institutionen<br />

nicht gelingen.“ <strong>Die</strong>ser Alarmruf wird bestätigt von durchsickern<strong>de</strong>n Mitteilungen aus<br />

allen Parteien: man sieht entsetzt, was los ist, <strong>und</strong> weiß fassungslos nicht, was zu<br />

tun ist. Jüngst erinnerte <strong>de</strong>r R<strong>und</strong>funk Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg an einen alten Schlager<br />

von Claire Waldoff mit <strong>de</strong>m Kehrreim „Raus mit <strong>de</strong>n Männern aus <strong>de</strong>m Reichstag!<br />

Raus mit <strong>de</strong>n Männern aus <strong>de</strong>m Herrenhaus! Raus mit <strong>de</strong>n Männern aus <strong>de</strong>m Landtag!“<br />

<strong>und</strong> so weiter. Der Mo<strong>de</strong>rator konnte ihm einen aktuellen Aspekt nicht absprechen.<br />

Vielleicht wird <strong>de</strong>r Schlager eines Tages zu einer Revolutionshymne. So sehr wir uns<br />

freuen dürfen, wenn unser Volk das singt, vergessen wir nicht: die Abschüttelung <strong>de</strong>s<br />

Systems ist noch nicht <strong>de</strong>r Neubau, nur seine Voraussetzung. Der Neubau ist eine<br />

Sache von Generationen. Erst wenn es eine ausreichen<strong>de</strong> Zahl Deutscher gibt, die<br />

ihn gestalten können, ist <strong>de</strong>r archimedische Punkt zur Aufhebung dieser <strong><strong>de</strong>utsche</strong>n<br />

<strong>Krise</strong> gegeben.<br />

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© 2005 / V.i.S.d.P. <strong>Hans</strong>-<strong><strong>Die</strong>trich</strong> <strong>San<strong>de</strong>r</strong> [20.10.2004/1.7.2005]<br />

<strong>Die</strong> Verbreitung <strong>und</strong> Veröffentlichung dieses Beitrags ist unter <strong>de</strong>r Quellenangabe<br />

www.staatsbriefe.<strong>de</strong> uneingeschränkt gestattet.<br />

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