7_Hinweise zur Fallbearbeitung
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Wiss. Mit. David Jahn PÜ BGB AT - WS 10/11<br />
I. <strong>Fallbearbeitung</strong> und Gutachtenerstellung<br />
<strong>Hinweise</strong> <strong>zur</strong> <strong>Fallbearbeitung</strong><br />
1. Sachverhalt erfassen<br />
Tipp: Sachverhalt mehrmals lesen, besonders relevante Angaben markieren, z.B.<br />
Datumsangaben, Fristen, ungewöhnliche Erklärungen etc.; systematische Skizze erstellen bei<br />
mehreren Personen; bei vielen Zeitangaben am besten eine Zeittabelle erstellen; auf wörtliche<br />
Zitate besonders achten<br />
2. Fallfrage herausarbeiten<br />
Meistens muss die Fallfrage in folgende Form gebracht werden „Wer will was von wem ?“ (3<br />
Ws !)<br />
Dabei Aufgabenstellung genau beachten (allgemeine Fallfragen. z.B. Wie ist die Rechtslage?;<br />
spezielle Fallfragen: z.B. welche Ansprüche hat A gegen B?)<br />
3. Anspruchsgrundlagen suchen<br />
Woraus könnte sich das Verlangen ergeben? (4.W!)<br />
Es sind alle Anspruchsgrundlagen anzuprüfen, welche das Begehren decken und nicht völlig<br />
abwegig sind!<br />
4. Tatbestandsmerkmale herausfiltern und ggf. definieren<br />
Können sich aus Gesetz (d.h. geschriebene Tatbestandsmerkmale) oder Literatur/<br />
Rechtsprechung (d.h. ungeschriebene Tatbestandsmerkmale) ergeben<br />
5. Subsumtion<br />
Der Lebenssachverhalt ist zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen in Beziehung setzen und<br />
soweit möglich <strong>zur</strong> Deckung bringen. Jedes einzelne Tatbestandsmerkmal sollte dabei in der<br />
gebotenen Ausführlichkeit subsumiert werden. (Abgleich konkreter Sachverhalt mit abstrakter<br />
Rechtsnorm)<br />
6. Ergebnis<br />
Endergebnisse am Ende, Zwischenergebnisse nach längeren Prüfungsabschnitten<br />
7. Die äußere Form<br />
Meistens ist es sinnvoll vor der Reinschrift ein Lösungskonzept zu entwickeln, das mit<br />
Stichworten und Paragraphen aufgefüllt wird. Dabei ist zu überprüfen, ob der Sachverhalt<br />
vollständig ausgeschöpft worden ist. In der Reinschrift sollte die Gliederung der Arbeit auch<br />
äußerlich durch Absätze und Überschriften sichtbar gemacht werden. Außerdem sollte der<br />
Verfasser bemüht sein, klar, knapp und verständlich zu schreiben. Alle Rechtsnormen sind<br />
vollständig zu zitieren!<br />
8. Der Gutachtenstil<br />
- Es ist der Gutachtenstil zu verwenden (bei eindeutigen Punkten kann manchmal aber auch<br />
der Urteilsstil angebracht sein oder es kann zusammengefasst werden; Fingerspitzengefühl!)
Wiss. Mit. David Jahn PÜ BGB AT - WS 10/11<br />
- Gutachtenstil bedeutet den Fall langsam zu entwickeln (bewusstes Verzögern!) und das<br />
Ergebnis erst am Ende zu präsentieren. Dazu wird jedem wichtigen Prüfungsschritt ein<br />
Obersatz vorangestellt. (Obersätze bilden!). Dieser steht häufig im Konjunktiv („könnte,<br />
müsste“) und bildet die Arbeitshypothese für die Prüfung. Typisch für den Gutachtenstil sind<br />
konsekutive Wendungen wie „daher“, „also“, „folglich“, „somit“ etc. Das Gutachten darf<br />
keine Ausführungen enthalten, die nur Wissen demonstrieren, aber <strong>zur</strong> Lösung der Frage<br />
nichts beitragen.<br />
- Das Gegenteil ist der Urteilsstil, bei dem das Ergebnis vorangestellt wird. Typisch für den<br />
Urteilsstil sind kausale Wendungen wie „ denn“, „weil“, „ da“<br />
Bsp. für Gutachtenstil:<br />
B könnte gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I wegen<br />
Eigentumsverletzungs- haben (4 Ws, Obersatz).<br />
Dazu müsste A das Eigentum des B verletzt haben (1. Unterobersatz)<br />
Eigentumsverletzung ist jede Substanzeinwirkung auf eine fremde Sache (Definition)<br />
A hat den Kotflügel des Autos des B eingedrückt, also auf die Substanz einer fremden Sache<br />
eingewirkt (Subsumtion)<br />
A hat somit das Eigentum des B verletzt (Zwischenergebnis)<br />
Ferner müsste A rechtswidrig gehandelt haben (2. Unterobersatz)…
Wiss. Mit. David Jahn PÜ BGB AT - WS 10/11<br />
II. Syllogismus und Rechtsanwendung 1<br />
In Büchern <strong>zur</strong> Methodik der <strong>Fallbearbeitung</strong> heißt es häufig, Rechtsanwendung vollziehe<br />
sich nach dem Grundprinzip des Syllogismus.<br />
1. Der Syllogismus<br />
Als Syllogismus bezeichnet man seit Aristoteles den Schluss aus zwei Prämissen auf eine<br />
Konklusion („conclusio“). Diese Schlussfolgerung ist beim syllogistischen Schluss logisch<br />
zwingend, weil die Prämissen (Obersatz und Untersatz) einen gemeinsamen und identischen<br />
Mittelbegriff enthalten, so dass zwischen Ober- und Untersatz ein Ableitungszusammenhang<br />
besteht, der es ermöglicht, die beiden Prämissen in einem neuen Urteil zu verknüpfen. Der<br />
gültige syllogistische Schluss liefert zu wahren Prämissen eine wahre Schlussfolgerung.<br />
Zentrales Element des syllogistischen Schlusses ist der identische Mittelbegriff. Mit ihm steht<br />
und fällt der syllogistische Schluss. Ob der identische Mittelbegriff vorliegt oder nicht, ist<br />
wegen der Mehrdeutigkeit der Sprache keine Frage der formalen Logik, sondern eine der<br />
Wertung. In den einfachen Schulbeispielen (Aristoteles ist ein Mensch. Jeder Mensch ist<br />
sterblich. Also ist Aristoteles sterblich.) bereitet die Feststellung des – hier offensichtlichen –<br />
identischen Mittelbegriffs keine Schwierigkeiten.<br />
2. Die Rechtsanwendung<br />
Kennzeichnendes Merkmal der Gesetzesanwendung ist das „Hin- und Herwandern des Blicks<br />
zwischen Lebenssachverhalt und Rechtsnorm“ (K. Engisch). Die Rechtsnorm wird im<br />
Hinblick auf den zu beurteilenden Sachverhalt konkretisiert, indem ihre einzelnen<br />
Tatbestandsmerkmale erläutert werden.<br />
Die Rechtsanwendung durch einen einzelnen Syllogismus ist regelmäßig schon deshalb<br />
ausgeschlossen, weil gesetzliche Tatbestände fast immer mehre Voraussetzungen haben. Aber<br />
auch die Erörterung der einzelnen Tatbestandsmerkmale weist nur gewisse Parallelen zum<br />
Syllogismus auf. Zwar kann man das jeweilige Tatbestandsmerkmal („Voraussetzung“) als<br />
Obersatz und den Sachverhalt als Untersatz eines syllogistischen Modells begreifen. Der<br />
entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass das abstrakte Tatbestandsmerkmal und der<br />
konkrete Sachverhalt meist noch keinen identischen Mittelbegriff aufweisen. Dieser wird im<br />
Prozeß der Rechtsanwendung erst erstellt, indem die einzelnen Tatbestandsmerkmale definiert<br />
werden. Am Ende der Auslegung steht ein auf den Einzelfall hin konkretisierter Begriff. Ist<br />
der identische Mittelbegriff erst einmal wertend produziert worden, dann bereitet doe<br />
Schlussfolgerung keine nennenswerten Probleme mehr.<br />
3. Ergebnis<br />
Rechtsanwendung ist kein primär logisch-syllogistischer Erkenntnisakt. Der Rechtsanwender<br />
beurteilt konkrete Sachverhalte anhand gesetzlich normierter Wertmaßstäbe. Seine<br />
Hauptaufgabe besteht nicht darin, logische Schlüsse zu ziehen, sondern wertend Zwecke zu<br />
verwirklichen.<br />
1 Nach Fischer, Christian, Prof. an der Universität Jena.