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EVANGELiScHES bERAtUNGSZENtRUM - EBZ München

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22<br />

2.1 Wir buddeln ein Loch bis nach Australien oder:<br />

Kinder mit Freude begleiten und erziehen<br />

Da stehen sie nun - Kinder einer Grundschulklasse, ausgerüstet<br />

mit Spaten, Eimern, Schaufeln und wasserfester Kleidung.<br />

Heute ist Wandertag. Während sich die meisten anderen<br />

Schulklassen auf den Weg zu den ausgewiesenen kulturellen<br />

Lernorten der Museen, Ausstellungen und Erlebniswelten<br />

gemacht haben, bleibt die Klasse 3a einfach zu Hause. Nein,<br />

ganz zu Hause natürlich nicht. Treffpunkt für die Kinder ist<br />

ein Anger: ein Hang, eine Senke mit Sandboden, ein kleiner<br />

Bach und ein paar Pflanzen, ein Ort ganz in ihrer Nähe. „Wir<br />

könnten ja mal ein Loch buddeln bis nach Australien“ - so<br />

stimmt die Lehrerin die noch etwas verdutzten Kinder ein.<br />

Alsbald entwickelt sich ein munteres Graben, Batzen und Gestalten.<br />

Die einen kugeln immer wieder mit Freude den Hang<br />

hinunter, andere stehen schon knietief in einer Baugrube und<br />

verschalen sie mit Stöcken und Geäst. Immer wieder bilden<br />

sich neue Gruppen der Zusammenarbeit. Aber es gibt auch<br />

einzelne Kinder, die einfach in Ruhe und Beschaulichkeit am<br />

Bachlauf sitzen. Andere fokussieren ihre Anstrengungen auf<br />

eine Detaillösung und kämpfen um die Statik einer kleinen<br />

Hängebrücke aus geflochtenen Grashalmen, die ein kleines<br />

Rinnsal überspannen soll. Mal liegt eine ruhig gelassene Atmosphäre<br />

über dem Anger, mal singen, schreien oder streiten<br />

die Kinder in großer Lautstärke. Ein Einwirken der Lehrerin<br />

ist aber zu keinem Zeitpunkt nötig. Nicht ein einziges Mal<br />

verwenden die Kinder ihre Werkzeuge wie z. B. die Metallspaten<br />

zu Drohgebärden oder Waffen. Ein stetiger Wechsel zwischen<br />

Nähe und Distanz, zwischen intensiver Anstrengung<br />

und Ruhe. Wir sind die Zuhörer angesteckt von der Intensität<br />

dieses spielerischen Lern-Ortes. (Beschreibung eines Filmbeitrags<br />

von Eckhard Schiffer)<br />

Eckhard Schiffer, analytisch orientierter ärztlicher Psychotherapeut<br />

mit abgeschlossenem Philosophiestudium, Autor<br />

zahlreicher Veröffentlichungen zu Psychiatrie, Psychotherapie,<br />

Pädagogik und Salutogenese, zeigt in seinem kleinen<br />

Filmbeitrag über einen außergewöhnlichen Wandertag anschaulich<br />

die wesentlichen Bausteine seines Konzepts der<br />

Salutogenese und einer praktischen Form der Umsetzung.<br />

Mit den Erlebnisbildern veranschaulichte er die Grundlagen<br />

seiner Theorie und Praxis zur Bedeutung des freien Spielens<br />

für eine gesunde Entwicklung von Kindern: Intermediäre<br />

Räume – Zwischenräume, die nicht für spezifische Zwecke<br />

ausschließlich festgelegt sind - fördern am besten das spielerische<br />

Selbsttätigsein der Kinder, so der Autor. Der Dorfanger<br />

aus dem Filmbeispiel ist ein solcher Platz.<br />

Eine ebensolche pädagogisch förderliche Rahmenqualität<br />

finden wir in gelingenden zwischenmenschlichen Begegnungen:<br />

Hier ist der dialogische Bezug das Wesentliche, wie<br />

beispielsweise beim gemeinsamen Musikhören, beim Singen,<br />

Tanzen oder Vorlesen. Eine Großmutter, die ihrem auf dem<br />

Schoß sitzenden Enkel mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit<br />

ein Bilderbuch zeigt, Lieder und Reime mitsingt und beklatscht,<br />

stiftet diese besondere Atmosphäre. Diese intermediären<br />

Räume sind nicht sichtbar, sondern nur erfahrbar: in<br />

der freien Entfaltung, in der Vielfalt der Sinneserfahrungen<br />

und in der Selbstvergessenheit. Der Prozess steht im Vordergrund,<br />

nicht das Ergebnis. Spielen und Erleben sind sinnlicher<br />

und wohltuender Selbstzweck.<br />

Für Eckhard Schiffer ist dabei die Qualität des Zuhörens ganz<br />

zentral: Sie bedarf immer der vollen Aufmerksamkeit, und<br />

jede Ablenkung oder Halbherzigkeit entzieht dem Dialog die<br />

gute Wirkung. Wenn wir bei den Erlebnisberichten eines anderen<br />

Menschen aufmerksam zuhören, dann tauchen unsere<br />

eigenen Bilder und Gefühle auf. Diese können viel Gemeinsames<br />

stiften, müssen aber keinesfalls mit den Bildern des<br />

Gegenübers identisch sein. Durch den Dialog entwickelt sich<br />

ein intensives „Aufeinander-Eingestimmt-Sein“, es entsteht<br />

Nähe. Und aus diesen Nähe-Erfahrungen heraus bildet sich<br />

das Kohärenzgefühl, wie in der salutogenetischen Forschung<br />

beschrieben: Urvertrauen, Freude, Stressresistenz und die Fähigkeit<br />

zur Gelassenheit. Äußere Reizquellen wie beispielsweise<br />

Fernseher oder Radio würden eine solche notwendige<br />

Innenschau verhindern.<br />

„Spielen ist der Dünger für‘s Leben“ - „Intermediärräume<br />

sind Begegnungsräume mit hoher Intensität“ - „Kindliches<br />

Selbsttätig-Sein und Spielen muss durch eine wohlwollende<br />

Zuwendung von Erwachsenen begleitet werden“ - so drückt<br />

Eckhard Schiffer seine „Herzensangelegenheit“ in wenigen<br />

Leitsätzen aus. Es geht dabei immer um ein „Ganz-Wahrgenommen-Werden“.<br />

Nur wer dies selbst erfahren hat, kann es<br />

dann als eigene Fähigkeit anwenden und weitergeben. Ganzheitliche<br />

Aufmerksamkeit und dialogisches Begleiten sind<br />

Begriffe unserer modernen Sprache. Sie drücken heute das<br />

aus, was bereits in der Bibel mit „von Angesicht zu Angesicht“<br />

oder „von Antlitz zu Antlitz“ beschrieben wird.

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