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22.02.2015 Aufrufe

3.4.6 Heilender Helfer unterrichtet hilfsbedürftige Kranke Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel den Schülern mit LB helfen wollen und dies unter anderem aus Motiven heraus anstreben können, deren Ursache in psychischen Verstrickungen aus der Kindheit liegen. Die Sonderpädagogik, die man auch Heilpädagogik nennt, lebt von der Zuschreibung in der Kapitelüberschrift. Das Helfen hat eine zentrale Bedeutung in ihrem Verständnis, und lange Zeit war auch das Menschenbild der Sonderpädagogik geprägt vom „Heilen“ des beschädigten Individuums. Die Nächstenliebe wurde dabei „selektiv professionalisiert“ 263 sagt BEGEMANN und verweist auf den biblischen Ausspruch „Liebe deinen nächsten wie dich selbst“ dessen erster Abschnitt bevorzugt berücksichtigt wurde im Umgang mit behinderten Menschen. Doch welche verborgenen Motive und eventuelle Schwierigkeiten bei dieser Zielstellung mitschwingen können bringt GRAF-DESERNO auf den Punkt: „In der sonderpädagogischen Interaktion spielt das Helfersyndrom eine zentrale Rolle.“ 264 Die Konflikte von Menschen mit Helfersyndrom und deren Entstehung wurde bereits angesprochen. 265 Wie aber zeigt es sich beim Lehrer für Schüler mit LB und welche Ursachen hat es dort? Der Lehrer soll zur Förderung der Schüler mit LB ein Hilfs-Ich, ein sogenanntes zweites Ich- Ideal darstellen. Mit diesem sollen sich die Schüler identifizieren können, sollen ihre Sehnsüchte und Erwartungen transportiert werden. 266 Dies stellt eine enorme Herausforderung an den Lehrer und seine Geschichte dar. Ist sich der Lehrer dessen bewußt, wenn er sich für diesen Beruf entscheidet? Ein erstaunliches Ergebnis resümiert JANTZEN im Zuge einer Studie zur Untersuchung von Einstellungen von Sonderschullehrern. Er meint, dass die neurotischen Eigenschaften des Lehrers für die Berufswahl ausschlaggebend sein könnten in dem Sinne, dass er sich durch die Unterrichtstätigkeit mit „lernbehinderten“ Schülern einen Schonraum für sich sucht. 267 Der Lehrer als Schwacher, der Schwache sucht, um stark zu erscheinen? Das würde die „Hilfe“ in ihr Gegenteil verkehren! Und helfen wollen die Lehrer den Schülern, dass muss man zumindest schlussfolgern, wenn man die Ergebnisse verschiedener Studien berücksichtigt. Demnach ist der Wunsch zu helfen das Hauptmotiv für Sonderschullehrer. 268 Im Blick auf einige ängstliche und stille Kinder schreibt eine Lehrerin: 263 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 212 264 GRAF-DESERNO, 1981, S. 152 265 vgl. Kapitel 2.4.1 266 vgl. BLOEMERS, 1995, S. 215 267 vgl. JANTZEN, 1972, S. 695 268 der Wunschberuf, mit und für Kinder zu arbeiten; vgl. GRUNWALD, 1975, S. 712 http://www.foepaed.net 54

„Mein pädagogischer Vorsatz ist es, auf diese bewußt einzugehen und zu achten, was sicher mit meinen eigenen biographischen Erfahrungen zusammenhängt.“ 269 Der Lehrer als ehemaliger Kranker, der kranke Schüler heilen will? Oder vielmehr: der an den kranken Schülern sein eigene Krankheit aus Kindertagen heilen will? Das vielzitierte Selbstbild des Lehrers für Schüler mit LB schließt zumindest derartige Motive aus. Untersuchungen haben gezeigt, dass es ein Selbstbild gibt, dass Parallelen aufzeigt zum vergangenen Bild des Hilfsschullehrers. 270 Dies spiegelt die ethisch hochwertigen Ansprüche wider, deren Verwirklichung selten oder nie in der Schule überprüft wird. Demnach ist der Lehrer für Schüler mit LB ein Engel, der alles tragen und ertragen kann, der sich selbst vergißt um der Kinder willen. 271 Der Wunsch, „das Elend dieser Welt wieder gut zu machen“ 272 motiviert ihn für den Beruf. Doch wie kommt der Lehrer zu dieser Einstellung? Als Kind hat der Lehrer gelernt, nur die positiven Eigenschaften an sich zu lieben, denn dafür wurde er geliebt. Negative Impulse wurden ihm verwehrt und er begann, sie selbst abzuwehren und über sie zu richten. Sein Selbstbild fixierte sich auf die helle, die gute, die liebende Seite seines Ichs, die andere Seite wurde abgespalten, verdrängt, verleugnet und verstoßen. 273 Im Beruf des Lehrers für Schüler mit LB nun kann er all diese Eigenschaften zur Geltung bringen, kann er sich zudem noch erheben durch das Gefühl, anderen zu helfen. Die helfende Haltung drückt sich auch in dem Bedürfnis aus, andere an helfenden Gedanken teil haben zu lassen. Die pädagogischen Ideale und Wünsche in der Literatur könnten kaum zahlreicher sein. Doch könnte dies nicht auch ein Schleier sein, der die Schwachheit und das Leiden der Lehrer 274 kaschieren soll? Könnte es nicht sein, dass die Schule für Schüler mit LB gerade Lehrer anzieht, die selbst konfliktbeladen und hilfsbedürftig sind? 275 Könnte es nicht sein, dass der Unterricht oft gar nicht den Schüler zum Ziel hat, sondern den Lehrer? Eine narzißtische Umkehrung der helfenden Schulsituation wird erkennbar in Unterrichtsszenen. Das Kind muss den Lehrer verstehen, muss seinen Anweisungen folgen, muss sich für das interessieren, was er vorbringt. Das Kind muss erahnen, was der Lehrer will, welche Ziele er verfolgt, das Interesse des Kindes zentriert sich 269 UHL, 1985, S. 42 270 BAIER, 1972, S. 679 271 in Anlehnung an ein Zitat von RÜSSEL von 1914; vgl. BAIER, 1972, S. 682 272 GARLICHS, 2000, S. 147 273 SCARBATH sprich von der „Abspaltung“ dieser Seiten; vgl. SCARBATH, 1999, S. 17 274 Es entstehe der Eindruck, „daß Pädagogen auf eigentümliche Art und Weise ihr Leiden an der Gesellschaft verarbeiten. Ihre unterfüllten Sehnsüchte und Wünsche projezieren sie (zu Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen umgedeutet) als Fixsterne an den Himmel der pädagogischen Theorie- und Praxisideale.“; HILLER, 1989, S. 87) 275 diese Vermutung legt SCARBATH nahe; SCARBATH, 1999, S. 20 http://www.foepaed.net 55

„Mein pädagogischer Vorsatz ist es, auf diese bewußt einzugehen und zu achten, was sicher<br />

mit meinen eigenen biographischen Erfahrungen zusammenhängt.“ 269 Der Lehrer als<br />

ehemaliger Kranker, der kranke Schüler heilen will? Oder vielmehr: der an den kranken<br />

Schülern sein eigene Krankheit aus Kindertagen heilen will?<br />

Das vielzitierte Selbstbild des Lehrers für Schüler mit LB schließt zumindest derartige<br />

Motive aus. Untersuchungen haben gezeigt, dass es ein Selbstbild gibt, dass Parallelen<br />

aufzeigt zum vergangenen Bild des Hilfsschullehrers. 270 Dies spiegelt die ethisch<br />

hochwertigen Ansprüche wider, deren Verwirklichung selten oder nie in der Schule überprüft<br />

wird. Demnach ist der Lehrer für Schüler mit LB ein Engel, der alles tragen und ertragen<br />

kann, der sich selbst vergißt um der Kinder willen. 271 Der Wunsch, „das Elend dieser Welt<br />

wieder gut zu machen“ 272 motiviert ihn für den Beruf. Doch wie kommt der Lehrer zu dieser<br />

Einstellung? Als Kind hat der Lehrer gelernt, nur die positiven Eigenschaften an sich zu<br />

lieben, denn dafür wurde er geliebt. Negative Impulse wurden ihm verwehrt und er begann,<br />

sie selbst abzuwehren und über sie zu richten. Sein Selbstbild fixierte sich auf die helle, die<br />

gute, die liebende Seite seines Ichs, die andere Seite wurde abgespalten, verdrängt, verleug<strong>net</strong><br />

und verstoßen. 273 Im Beruf des Lehrers für Schüler mit LB nun kann er all diese<br />

Eigenschaften zur Geltung bringen, kann er sich zudem noch erheben durch das Gefühl,<br />

anderen zu helfen. Die helfende Haltung drückt sich auch in dem Bedürfnis aus, andere an<br />

helfenden Gedanken teil haben zu lassen. Die pädagogischen Ideale und Wünsche in der<br />

Literatur könnten kaum zahlreicher sein. Doch könnte dies nicht auch ein Schleier sein, der<br />

die Schwachheit und das Leiden der Lehrer 274 kaschieren soll? Könnte es nicht sein, dass die<br />

Schule für Schüler mit LB gerade Lehrer anzieht, die selbst konfliktbeladen und hilfsbedürftig<br />

sind? 275 Könnte es nicht sein, dass der Unterricht oft gar nicht den Schüler zum Ziel hat,<br />

sondern den Lehrer? Eine narzißtische Umkehrung der helfenden Schulsituation wird<br />

erkennbar in Unterrichtsszenen. Das Kind muss den Lehrer verstehen, muss seinen<br />

Anweisungen folgen, muss sich für das interessieren, was er vorbringt. Das Kind muss<br />

erahnen, was der Lehrer will, welche Ziele er verfolgt, das Interesse des Kindes zentriert sich<br />

269 UHL, 1985, S. 42<br />

270 BAIER, 1972, S. 679<br />

271 in Anlehnung an ein Zitat von RÜSSEL von 1914; vgl. BAIER, 1972, S. 682<br />

272 GARLICHS, 2000, S. 147<br />

273 SCARBATH sprich von der „Abspaltung“ dieser Seiten; vgl. SCARBATH, 1999, S. 17<br />

274 Es entstehe der Eindruck, „daß Pädagogen auf eigentümliche Art und Weise ihr Leiden an der Gesellschaft<br />

verar<strong>bei</strong>ten. Ihre unterfüllten Sehnsüchte und Wünsche projezieren sie (zu Bedürfnissen der Kinder und<br />

Jugendlichen umgedeutet) als Fixsterne an den Himmel der pädagogischen Theorie- und Praxisideale.“;<br />

HILLER, 1989, S. 87)<br />

275 diese Vermutung legt SCARBATH nahe; SCARBATH, 1999, S. 20<br />

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