gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net
gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net
gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Erkenntnisschranken haben.“ 254 Der Lehrer hat in den meisten Fällen eine durchaus andere<br />
Kindheit erfahren als der Schüler vor ihm. Der Ausspruch einer Lehramtsstudentin dürfte<br />
da<strong>bei</strong> stellvertretend für viele Lehrer stehen: „Meine eigene Schulzeit ist sehr harmonisch und<br />
fast problemlos verlaufen.“ 255 Vielleicht gibt es deshalb wenig Literatur über die Kindheiten<br />
von (Sonderschul-) Lehrern, weil diese so gänzlich unspektakulär und ohne Probleme<br />
verlaufen sind. 256 Wenn ich so zurückdenke kann ich mich auch nicht an große Brüche, lange<br />
Zeiten des Versagens, der Ablehnung oder der Abwertung während meiner Kindheit erinnern.<br />
Halt bekam ich nicht nur von meiner Familie, Freunden und Verwandten sondern auch vor<br />
allem von den Lehrern, die meine guten Leistungen und mein Engagement honorierten. Der<br />
Anerkennung von Mitschülern konnte ich durch mein selbstbewußtes Auftreten sicher sein.<br />
So entwickelte sich in mir ein Gefühl der Geborgenheit in dieser Umwelt, des Beliebtseins<br />
und der Sicherheit aufgrund der Akzeptanz meiner Person. Meine Deutungsmuster sind somit<br />
familial erworben und aufgrund meiner „glücklichen“ Kindheit internalisiert. 257 So ist es für<br />
mich nicht ohne weiteres möglich, Menschen zu verstehen, die gänzlich andere Erfahrungen<br />
gemacht haben, die nicht erleben konnten und durften, dass sie geliebt und wertvoll sind, dass<br />
sie willkommen und angenommen sind in ihrer Umwelt.<br />
Aus diesen subjektiven Deutungsmustern, basierend auf den eigenen Kindheitserfahrungen,<br />
können Verzerrungen und Konflikte entstehen. Mancher Lehrer mag regelrecht angeekelt sein<br />
und die fremde und anwidernde Person ablehnen. „Wie gut, daß ich nicht so aussehe.“ 258<br />
schreibt ROHR und übertragen auf Schüler mit LB könnte man sagen: „Wie gut, daß ich nicht<br />
so bin.“ Am Beispiel des Schönheitsideals zeigt sie damit deutlich, wie stark die<br />
lebensgeschichtlichen Faktoren Ort, Zeit, soziale Schicht und Geschlecht die Maßstäbe<br />
prägen können 259 , nach denen Menschen später ihre Umwelt be- und teilweise auch verurteilen.<br />
Trotz seiner vielleicht humanistischen und christlichen Einstellung und Erziehung ist<br />
der Lehrer weiter „Kind“ der Gesellschaft und hat damit die Ideale und Werte dieser<br />
verinnerlicht. Dies betrifft nicht nur das in den Medien propagierte Schönheitsideal sondern<br />
auch andere Werte und Ideale, die dem Lehrer als Kind „eingepflanzt“ wurden. Die Liebe, die<br />
der Lehrer erfahren hat, die Werte die ihm vermittelt wurden, die Ideale die man ihm zeigte,<br />
all das ist verantwortlich für seine Beurteilungskriterien und für seine Verhalten gegenüber<br />
254 ROHR, 1984, S. 28<br />
255 GARLICHS, 2000, S. 25<br />
256 ganz im Gegensatz zu der Vergangenheit von Iris MANN; doch bleibt sie eine der wenigen, die sich in dieser<br />
ausführlichen Form offenbarten; vgl. MANN, 1989 und MANN, 1989<br />
257 vgl. GRAF-DESERNO, 1981, S. 26<br />
258 den Gedanken beschreibt Barbara ROHR als Reaktion auf dieses Erlebnis: „Wenn sie [epileptische Frau;<br />
S.H.] am Klavier saß, tropfte aus ihrem geöff<strong>net</strong>en Mund der Speichel auf die Tasten und meine Mutter wischte<br />
ihn mit dem Taschentuch fort.“; ROHR, 1984, S. 33<br />
259 vgl. ebd., S. 30<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 52