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Den Prozess der Normverletzung beschreibt BLEIDICK anschaulich 171 und die verschiedenen Aspekte seien hier noch einmal referiert. Dabei soll klar werden, welche Erfahrungen der Lehrer für Schüler mit LB in der Regel nicht gemacht, welche andere Vergangenheit er damit hatte als seine Schüler. „Normalerweise“ beginnt der Kreislauf schon in den Ausgangsbedingungen: Elternhaus und Schule der späteren Kinder mit LB haben unterschiedliche Norm- und Wertsysteme, nicht nur weil die Schule eine Mittelschichtinstitution ist und die Kinder überwiegend aus der Unterschicht kommen. 172 Was einhergeht damit ist eine differente Sprachwelt. 173 Oft drückt sich das schulische Versagen der Schüler mit LB in sprachlichen Bereichen aus, wobei sie vor allem in der Rechtschreibung die Norm unterschreiten. Aber auch im mündlichen Sprachgebrauch sind diese Schüler benachteiligt, sie sind in den Augen der Lehrer „minderbefähigt“. 174 Dies mag auch seinen Grund haben in der eigenen Sozialisation des Lehrers, der aufgrund seiner Mittelschichtvergangenheit gelernt hat, sich den sprachlichen Gepflogenheiten und Normen der Schule anzupassen und diese zu vertreten. Damit sind Mißverständnisse und Konflikte zwangsläufig, denn der Lehrer versteht die Sprache der Schüler nicht und die Schüler verstehen die Sprache des Lehrers nicht. Die Übersetzung der Schülersprache kann und will der Lehrer für Schüler mit LB mitunter nicht leisten. 175 Denn er hat Sprache anders erfahren: in seinem Elternhaus, mit Geschwistern, Freunden, in der Schule und danach im Studium bewegte er sich in einer Sprachwelt, die sich immanent von der Sprachwelt der Schüler mit LB unterscheidet. Er hat gelernt Konflikte verbal auszutragen, seine Gefühle sprachlich auszudrücken, Lob und Tadel durch Sprache zu kommunizieren und insgesamt mehrheitlich Kommunikation auf dem sprachlichen Bereich auszuüben. Ganz anders die Schüler mit LB: sie haben gerlent, Konflikte physisch auszutragen, ihre Gefühle in anderen Formen zu zeigen, Anerkennung und Kritik durch nichtsprachliche Mittel zu zeigen und insgesamt auch andere Wege der Kommunikation zu nutzen. Die daraus entstehende Diskrepanz wird noch vertieft durch die Anforderungen der Schule, die in unterrichtlichen Leistungen einseitig auf sprachliche Leistungsnachweise pocht. So muss sich der Lehrer für Schüler mit LB als Angehöriger und Kind der Mittelschicht fragen, ob er dem Unterschichtkind hilft, wenn er versucht, ihm die Mittelschichtsprache anzulernen. 176 171 er stellt dabei ein Modell LÖSELs vor; vgl. BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 198 172 NEUßER, 1987, S. 27 173 darin sieht BEGEMANN einen wesentlichen Faktor der Benachteiligung; vgl. BEGEMANN, 1970, S. 118f 174 BEGEMANN, 1970, S. 122 175 vgl. BAUDE, 1975, S. 18 176 ebd. http://www.foepaed.net 38
Vertraute und fremde Welt zeigt sich für den Lehrer aber nicht nur innerhalb der Sprache, sondern auch in der Interaktion. „Ein Lehrer, der aus der Geborgenheit einer gepflegten mittelständischen Familie kommt, hat wenig Erfahrung mit solchen Kindern und kann unter Umständen ihr Verhalten als ein Symptom ernsthafter Anpassungsschwierigkeiten werten.“ 177 Formen der Interaktion die aggressive Anteile haben, in denen physische Auseinandersetzung stattfindet, die mit rüdem Ton geführt werden, sind dem Lehrer verpönt. Er lehnt diese auch ab, weil er selbst dieses Verhalten in der Kindheit nicht praktizierte oder praktizieren durfte. Für diese Verhaltensformen wäre er sicherlich bestraft worden von Lehrern und Eltern gleichermaßen und daher unterließ er sie. Daraus verständlich ist es, dass er dieselben Verhaltensformen auch bei seinen Schülern unterbinden möchte und ihnen die Konfliktlösekompetenzen lehren will, welche die seinen sind, die er für die richtigen hält. Andere Lebensformen kann er nicht oder nur ungern akzeptieren, unterscheiden sie sich doch oft erheblich von denen, die er erfahren hat, die er als Kind erlebte. Es zeigt sich, dass es der Lehrer für Schüler mit LB mit anderen Formen von Respekt, Solidarität und gegenseitiger Verläßlichkeit konfrontiert wird, also mit anderen Formen der Interaktion zu tun hat, als er sie bisher von sich und anderen kannte. 178 Die extremste Ausprägung der Fremdheit erfährt der Lehrer im Kontakt mit ausländischen Schülern, die an Schulen für Schüler mit LB überproportional vertreten sind. Sie scheinen der deutschen Norm in vielerlei Hinsicht nicht zu entsprechen, angefangen vom Aussehen über die Sprache, das Verhalten und die Interaktion. 179 Die wenigsten Lehrer für Schüler mit LB sind Ausländer und somit können die wenigsten nachvollziehen, wie es ist als Fremder in einer fremden Umgebung zu sein, weit entfernt von der eigenen Vergangenheit. Diese Erfahrungen kennt der Lehrer nicht, er musste nicht flüchten, sein Heimatland verlassen und alles zurücklassen um dann am Ziel der Reise zu erleben, dass er nicht den Erwartungen entspricht, welche die deutsche Gesellschaft an ihn stellt. In ausländischen Schüler mit LB kristallisieren viele Formen der „normabweichenden“ Fremdheit, die dem Lehrer aus eigener Erfahrung nicht vertraut ist. Die Folgen des Kreislaufes, den Schüler mit LB durchlaufen sind an erster Stelle das Sitzenbleiben. Die Schüler erhalten das Gefühl aus der Norm herausgefallen zu sein 180 , nicht mehr zur „normalen“ Umgebung dazuzugehören. Der Abstieg führt in vielen Fällen zur Schule für Schüler mit LB, die Schüler sind dann maximal entfremdet von ihrer Umgebung, von sich selbst. 177 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68 178 vgl. HILLER, 1989, S. 31 179 siehe dazu den Artikel von KLEMM, 1987, S. 18-21 180 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27 http://www.foepaed.net 39
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Vertraute und fremde Welt zeigt sich für den Lehrer aber nicht nur innerhalb der Sprache,<br />
sondern auch in der Interaktion. „Ein Lehrer, der aus der Geborgenheit einer gepflegten<br />
mittelständischen Familie kommt, hat wenig Erfahrung mit solchen Kindern und kann unter<br />
Umständen ihr Verhalten als ein Symptom ernsthafter Anpassungsschwierigkeiten werten.“ 177<br />
Formen der Interaktion die aggressive Anteile haben, in denen physische Auseinandersetzung<br />
stattfindet, die mit rüdem Ton geführt werden, sind dem Lehrer verpönt. Er lehnt diese auch<br />
ab, weil er selbst dieses Verhalten in der Kindheit nicht praktizierte oder praktizieren durfte.<br />
Für diese Verhaltensformen wäre er sicherlich bestraft worden von Lehrern und Eltern<br />
gleichermaßen und daher unterließ er sie. Daraus verständlich ist es, dass er dieselben<br />
Verhaltensformen auch <strong>bei</strong> seinen Schülern unterbinden möchte und ihnen die<br />
Konfliktlösekompetenzen lehren will, welche die seinen sind, die er für die richtigen hält.<br />
Andere Lebensformen kann er nicht oder nur ungern akzeptieren, unterscheiden sie sich doch<br />
oft erheblich von denen, die er erfahren hat, die er als Kind erlebte. Es zeigt sich, dass es der<br />
Lehrer für Schüler mit LB mit anderen Formen von Respekt, Solidarität und gegenseitiger<br />
Verläßlichkeit konfrontiert wird, also mit anderen Formen der Interaktion zu tun hat, als er sie<br />
bisher von sich und anderen kannte. 178 Die extremste Ausprägung der Fremdheit erfährt der<br />
Lehrer im Kontakt mit ausländischen Schülern, die an Schulen für Schüler mit LB<br />
überproportional vertreten sind. Sie scheinen der deutschen Norm in vielerlei Hinsicht nicht<br />
zu entsprechen, angefangen vom Aussehen über die Sprache, das Verhalten und die<br />
Interaktion. 179 Die wenigsten Lehrer für Schüler mit LB sind Ausländer und somit können die<br />
wenigsten nachvollziehen, wie es ist als Fremder in einer fremden Umgebung zu sein, weit<br />
entfernt von der eigenen Vergangenheit. Diese Erfahrungen kennt der Lehrer nicht, er musste<br />
nicht flüchten, sein Heimatland verlassen und alles zurücklassen um dann am Ziel der Reise<br />
zu erleben, dass er nicht den Erwartungen entspricht, welche die deutsche Gesellschaft an ihn<br />
stellt. In ausländischen Schüler mit LB kristallisieren viele Formen der „normabweichenden“<br />
Fremdheit, die dem Lehrer aus eigener Erfahrung nicht vertraut ist.<br />
Die Folgen des Kreislaufes, den Schüler mit LB durchlaufen sind an erster Stelle das<br />
Sitzenbleiben. Die Schüler erhalten das Gefühl aus der Norm herausgefallen zu sein 180 , nicht<br />
mehr zur „normalen“ Umgebung dazuzugehören. Der Abstieg führt in vielen Fällen zur<br />
Schule für Schüler mit LB, die Schüler sind dann maximal entfremdet von ihrer Umgebung,<br />
von sich selbst.<br />
177 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />
178 vgl. HILLER, 1989, S. 31<br />
179 siehe dazu den Artikel von KLEMM, 1987, S. 18-21<br />
180 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27<br />
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