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Diese Spannungen sind wie bereits festgestellt auf „Sozialisationsdiskrepanzen“ 161 zurückzuführen, mit denen man sich auseinander setzen muss, wenn man bemüht ist, eine Brücke zum Schüler aufzubauen. Damit einher geht das Bewußtmachen der „Ähnlichkeiten bzw. der Verschiedenheit seiner Prägung von der des Kindes“. 162 Durch diese Beschäftigung mit den vertrauten und den fremden Erfahrungen und Lebensgeschichten wird ein Weg zur Selbsterkenntnis eröffnet, der an anderen Schultypen nicht in dieser Form möglich ist. Im „Defekt“ des Kindes kann der Lehrer seine „Defekte“ erkennen, kann die „Defekte“ der Schule und der Gesellschaft begreifen, denn diese spiegeln sich im Kind. 163 Dahinter steckt die Grundspannung, welche die Schule für Schüler mit LB insgesamt beherrscht: es ist eine gesellschaftliche Spannung, die am Begriff der Lernbehinderung und der zugehörigen Schule kristallisiert. 164 Die folgende Darstellung der Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten bezieht sich auf ein Spektrum der Erfahrungen, das im sonderpädagogischen Handeln von entscheidender Bedeutung ist. Genauer sind das die Bereiche Norm, Lernen, Herkunft, Liebe, Erziehung, Hilfe, Persönlichkeit und Aufwachsen. Die Spannung habe ich durch die Gegenüberstellung provokanter Zuschreibungen für Lehrer und Schüler mit LB verdeutlicht. HILLER hat Lehrer und Schüler mit LB als „Schwätzer und Stumme“ bezeichnet 165 , für BEGEMANN drückte sich das asymmetrische Machtverhältnis gerade in der Gegenüberstellung dieser Pole aus. 166 Bei den Gegenüberstellungen handelt es sich also um bewußt pauschalisierende Begriffe, welche die Spannungsfelder in überspitzter Form pointieren sollen. Dabei möchte ich in der jeweiligen Aufklärung nicht nur bei den Problemen verweilen, sondern auch die Möglichkeiten dieser Spannung herausarbeiten und ihre Bedeutung für die spätere „Brückenbildung“ über die Kluft betonen. Da die Literatur über Lehrer für Schüler mit LB sehr rar ist, werde ich oft auf Biographien und Ausschnitte aus dem Leben der Schüler mit LB zurückgreifen, um an diesen den Gegensatz zu beschreiben. Der Lehrer wird dann umso deutlicher, je mehr man das heraushebt, was er nicht erlebte. 161 diesen Begriff verwendet SPRINGER; SPRINGER, 1990, S. 13 162 SPRINGER, 1990, S. 26 163 MANN, 1989, S. 161 164 Lernbehinderung als „relationales Phänomen“ (BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 51) wird ausführlicher im Kapitel 3.5 erläutert 165 HILLER, 1989, S. 89 166 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202 http://www.foepaed.net 36
3.4.1 Normaler unterricht Un-Normale Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel der schulischen Norm während ihrer Schulzeit genügen konnten und keine „Normabweichungen“ (Sitzenbleiben, Überweisung an die Sonderschule, etc.) in ihrer Kindheit aufzeigten. 167 Die Schule orientiert sich an Normen. Diese Normen sind teilweise festgeschrieben, teilweise im inoffiziellen Gebrauch und beziehen sich auf Verhalten, Wahrnehmung, Leistung, Sprache, Ausdruck, Lernen und den Charakter der Schüler im weitesten Sinne. Die für alle Schüler gemeinsame Grundschule unterliegt einer Mittelschichtorientierung meint BEGEMANN: „Die allgemeine Grundschule ist eine Mittelklasseninstitution, die an der Mittelschichtkultur orientiert ist.“ 168 Wenn Schüler dieser Norm nicht entsprechen, betrachtet man sie als defizitär und mangelhaft. Man spricht zwar von Teilleistungsschwächen oder Störungen in bestimmten Bereichen, doch läuft der Prozess der Stigmatisierung allzu oft auf das Etikett „lernbehindert“ hinaus. Was und wer jedoch „lernbehindert“ ist, hängt von den „allgemeinen Wertsetzungen, Erwartungen und Gewohnheiten in der Gesellschaft“ ab und ist daher eine relatives Kriterium. So wird normabweichendes Verhalten zur Erhaltung dieser Gesellschaft sanktioniert und mit dem Begriff der „Lernbehinderung“ in Sonderschulen verwaltet. 169 Die Lehrer für Schüler mit LB im Gegensatz dazu sind in der Regel erfolgreiche Durchläufer des Systems und haben bisher in jeder Hinsicht die Norm und die an sie gestellten Erwartungen erfüllt. „Als Unterrichtspersonal wird nur zugelassen, wer nachweislich gesetzlichen Normen überdurchschnittlich genügt und - solchermaßen erfolgreich - sich in aller Regel mit ihnen auch identifiziert.“ 170 Der Lehrer als Ideal der Lehrperson, als herausragender Vertreter schulischer Norm gegenüber dem mangelhaften Schulversager, dem Bodensatz des Schulsystems. Diese krasse Gegenüberstellung wird häufig deutlich in Etikettierungen beider Seiten. Während der Lehrer für Schüler mit LB allerlei positive Zuschreibungen erhält und sein Berufsbild ethisch auf ein Podest gehieft wird, erfährt der Schüler im gleichen Maße Zuschreibungen negativer Art, die sich z.B. in Beschreibungen der Schüler durch die Lehrer ausdrücken: aggressiv, introvertiert, geltungsbedürftig, Milieuschaden, usw. 167 die Thesen zu Beginn der Unterkapitel sind in Anlehnung an die fünf Thesen Gottfried HILLERs, der damit sein Konzept einer Öffnung von Schule zu einer realitätsnahen Schule erläutert; vgl. HILLER, 1989, S. 15-45 168 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 82 169 vgl. EBERWEIN, 1975, S. 70ff 170 HILLER, 1989, S. 12 http://www.foepaed.net 37
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zurückzuführen, mit denen man sich auseinander setzen muss, wenn man bemüht ist, eine<br />
Brücke zum Schüler aufzubauen. Damit einher geht das Bewußtmachen der „Ähnlichkeiten<br />
bzw. der Verschiedenheit seiner Prägung von der des Kindes“. 162 Durch diese Beschäftigung<br />
mit den vertrauten und den fremden Erfahrungen und Lebensgeschichten wird ein Weg zur<br />
Selbsterkenntnis eröff<strong>net</strong>, der an anderen Schultypen nicht in dieser Form möglich ist. Im<br />
„Defekt“ des Kindes kann der Lehrer seine „Defekte“ erkennen, kann die „Defekte“ der<br />
Schule und der Gesellschaft begreifen, denn diese spiegeln sich im Kind. 163<br />
Dahinter steckt die Grundspannung, welche die Schule für Schüler mit LB insgesamt<br />
beherrscht: es ist eine gesellschaftliche Spannung, die am Begriff der Lernbehinderung und<br />
der zugehörigen Schule kristallisiert. 164<br />
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ein Spektrum der Erfahrungen, das im sonderpädagogischen Handeln von entscheidender<br />
Bedeutung ist. Genauer sind das die Bereiche Norm, Lernen, Herkunft, Liebe, Erziehung,<br />
Hilfe, Persönlichkeit und Aufwachsen. Die Spannung habe ich durch die Gegenüberstellung<br />
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Bei den Gegenüberstellungen handelt es sich also um bewußt pauschalisierende Begriffe,<br />
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Möglichkeiten dieser Spannung herausar<strong>bei</strong>ten und ihre Bedeutung für die spätere<br />
„Brückenbildung“ über die Kluft betonen.<br />
Da die Literatur über Lehrer für Schüler mit LB sehr rar ist, werde ich oft auf Biographien<br />
und Ausschnitte aus dem Leben der Schüler mit LB zurückgreifen, um an diesen den<br />
Gegensatz zu beschreiben. Der Lehrer wird dann umso deutlicher, je mehr man das<br />
heraushebt, was er nicht erlebte.<br />
161 diesen Begriff verwendet SPRINGER; SPRINGER, 1990, S. 13<br />
162 SPRINGER, 1990, S. 26<br />
163 MANN, 1989, S. 161<br />
164 Lernbehinderung als „relationales Phänomen“ (BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 51)<br />
wird ausführlicher im Kapitel 3.5 erläutert<br />
165 HILLER, 1989, S. 89<br />
166 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202<br />
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