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22.02.2015 Aufrufe

Langzeitstudie von WAGNER analysiert z.B. die Bildungsbiographien von Schülern mit LB. 150 Bei KLEIN lassen sich biographische Rückblicke auf die „Karrieren“ von lernbehinderten Schülern finden 151 , aus denen ich eine exemplarisch zusammengefasst 152 habe: Lebenslauf Robert (9 Jahre): Einschulung Grundschule, Wiederholung 1. Klasse, danach Überweisung in Schule für Lernbehinderte. Robert das zweitjüngste von acht Kindern in der Familie. Außer einem Bruder sind alle Kinder auf der Schule für Lernbehinderte. Eltern geschieden, Kinder aufgeteilt. Schwierige Wohnumgebung im Bahnhofsviertel, leiblicher Vater oft alkoholisiert, prügelnd, bedrohend. Familie war aus der DDR geflüchtet. Die Probleme, mit denen Schülern mit LB oft zu kämpfen haben sind unter anderem „beengte Wohnverhältnisse, materielle Not, Suchtprobleme der Eltern und häufiger Streit in der Familie“. 153 Diese Probleme kennt der Lehrer nur selten oder teilweise, selten aber in dieser konzentrierten Form. Für viele Lehrer ist es deshalb ein Schock und eine Erschütterung, wenn sie von den Schicksalen ihrer Schüler erfahren, sei es beim Durchblättern der Akten oder aus erster oder zweiter Hand von Beteiligten. Ein Lehrer für Schüler mit LB, der Lernbehinderung im Unterricht mit den Schülern thematisiert hatte, schrieb darüber: „Was ich in den ersten Gesprächen zu hören bekam hat mich erschüttert. Ich hatte mir die schulischen Verletzungen, die man diesen Kindern zugefügt hatte, nicht so schlimm vorgestellt.“ 154 Der Lehrer hat somit ein Erfahrungs- und Informationsdefizit im Blick auf die Biographien der Schüler. Diese muss er verringern, indem er sich Informationen darüber verschafft, wie die Situation des Kindes ist und wie sie auf das Kind wirkt. 155 Das setzt aber voraus, dass man in Bezug auf sich kein oder kein großes Informationsdefizit mehr besitzt. Trifft das zu? Kennen wir uns schon so gut, dass wir uns an andere Biographien in verantwortungsvoller Weise heranwagen dürfen? Ist sich der Lehrer klar woher er kommt, wo er steht, wie weit er entfernt ist von seinen Schülern? Denn nicht nur deren Lebensgeschichte macht die Kluft breit, sein Leben und Werdegang ist zu gleichen Stücken daran beteiligt. HILLER hat den Weg des Lehrers für Schüler mit LB so dargestellt: „Lehrerinnen und Lehrer entstammen mehrheitlich diesem bürgerlichen Milieu. Familie und Verwandtschaft haben sie seit der frühen Kindheit in die Werte, Traditionen und Techniken einer bürgerlichen Lebensführung eingewöhnt. Schulischer Unterricht hat ergänzt, gefördert und differenziert, was von zuhause mitgebracht wurde. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die für den Erwerb solcher Allgemeinbildung unabdingbar sind, wurden für sie bis zum Abschluß ihrer 150 WAGNER, 1997 151 KLEIN, 1985 152 vgl. KLEIN, 1985, S. 21-27 153 KLEIN, 1985, S. 145 154 FISCHER, 1975, S. 18 155 vgl. SPRINGER, 1990, S 26 http://www.foepaed.net 34

Examina bereitgestellt. Sie waren in diesem System erfolgreich und haben es mittlerweile zu etwas gebracht.“ 156 Es besteht laut BAIER ein Zusammenhang von „grundlegenden Eigenerfahrungen im Sozialisationsprozeß der Kindheit“ 157 mit schichtspezifischen Ausprägungen und erzieherischen Aktivitäten des Lehrers. Umgekehrt formuliert könnte man für den Schüler sagen, dass ein Zusammenhang von grundlegenden Sozialisationserfahrungen und lernorientierten Aktivitäten im Unterricht besteht. Der Zusammenhang von Kindheit und späterem Verhalten wurde schon hinreichend in vorangegangenen Kapiteln erläutert und dürfte unstrittig sein. Zu diesen Feststellungen kommen noch die Erwartungen hinzu, die von der Außenwelt an Lehrer und Schüler gestellt werden und natürlich ihre Erwartungen an den jeweils anderen und an sich selbst. 158 Diese Erwartungen und verstärken die bereits bestehende Spannung noch. Der Lehrer kommt durch die facettenreichen Zuschreibungen stärker in Konflikt mit sich und seiner Position als er es vielleicht schon ist. Damit klafft nicht nur die Kluft noch mehr auseinander, sondern Lehrer wie Schüler sind mit den Spannungsfeldern durch ihre Lebensgeschichte und Erwartungen förmlich verwoben, drohen von diesen hinabgezogen zu werden oder auf Positionen gerückt zu werden, die nicht die ihren sind. Dabei wird das Beziehungsseil einer erheblichen Belastungsprobe ausgesetzt. Wenn man die bestehenden Spannungen betrachten möchte, kommt man unweigerlich auf eine Vielzahl der Diskrepanzen, von denen nur einige hier beleuchtet werden sollen. Für den Schüler sind die Unterschiede und Spannungen am deutlichsten im motivationalen, normativsozialen, kognitiven und sprachlichen Bereich. 159 Die Spannungen des Lehrers sind teils bewußt, teils unbewußt in seinen eigenen Äußerungen nachvollziehbar 160 : - „Ihr sollt doch aufpassen“ (Anpassung, Motivation, Gehorsam, Autorität des Lehrers) - „Ich nehme nur dran, wer brav ist“ (Norm, Sozialverhalten) - „Das Anheften an die Tafel dauert mit zu lange“ (Lernen, Leistung) - „Ihr wißt ja gar nicht, was ich will“ (Helfende Tätigkeit des Lehrers, Sprache) - „Du hast ja etwas verstanden!“ (Erfolgserleben, Lernen) 156 HILLER, 1989, S. 88f 157 BAIER, 1972, S. 681 158 ein regelrechtes Netz an Erwartungen entfaltet BAIER. Z. B. der Lehrer als Begabungsgutachter, Sozialchancenverteiler, Sozialisationsagent, Künstler und Gärtner, Rationalist; vgl. ebd. 159 Aufstellung nach HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 50 160 geschlussfolgert aufgrund der Aussagen eines Lehrers in BLOEMERS, 1995, S. 213 http://www.foepaed.net 35

Examina bereitgestellt. Sie waren in diesem System erfolgreich und haben es mittlerweile zu<br />

etwas gebracht.“ 156<br />

Es besteht laut BAIER ein Zusammenhang von „grundlegenden Eigenerfahrungen im<br />

Sozialisationsprozeß der Kindheit“ 157 mit schichtspezifischen Ausprägungen und<br />

erzieherischen Aktivitäten des Lehrers. Umgekehrt formuliert könnte man für den Schüler<br />

sagen, dass ein Zusammenhang von grundlegenden Sozialisationserfahrungen und<br />

lernorientierten Aktivitäten im Unterricht besteht. Der Zusammenhang von Kindheit und<br />

späterem Verhalten wurde schon hinreichend in vorangegangenen Kapiteln erläutert und<br />

dürfte unstrittig sein.<br />

Zu diesen Feststellungen kommen noch die Erwartungen hinzu, die von der Außenwelt an<br />

Lehrer und Schüler gestellt werden und natürlich ihre Erwartungen an den jeweils anderen<br />

und an sich selbst. 158 Diese Erwartungen und verstärken die bereits bestehende Spannung<br />

noch. Der Lehrer kommt durch die facettenreichen Zuschreibungen stärker in Konflikt mit<br />

sich und seiner Position als er es vielleicht schon ist. Damit klafft nicht nur die Kluft noch<br />

mehr auseinander, sondern Lehrer wie Schüler sind mit den Spannungsfeldern durch ihre<br />

Lebensgeschichte und Erwartungen förmlich verwoben, drohen von diesen hinabgezogen zu<br />

werden oder auf Positionen gerückt zu werden, die nicht die ihren sind. Da<strong>bei</strong> wird das<br />

Beziehungsseil einer erheblichen Belastungsprobe ausgesetzt.<br />

Wenn man die bestehenden Spannungen betrachten möchte, kommt man unweigerlich auf<br />

eine Vielzahl der Diskrepanzen, von denen nur einige hier beleuchtet werden sollen. Für den<br />

Schüler sind die Unterschiede und Spannungen am deutlichsten im motivationalen, normativsozialen,<br />

kognitiven und sprachlichen Bereich. 159 Die Spannungen des Lehrers sind teils<br />

bewußt, teils unbewußt in seinen eigenen Äußerungen nachvollziehbar 160 :<br />

- „Ihr sollt doch aufpassen“ (Anpassung, Motivation, Gehorsam, Autorität des Lehrers)<br />

- „Ich nehme nur dran, wer brav ist“ (Norm, Sozialverhalten)<br />

- „Das Anheften an die Tafel dauert mit zu lange“ (Lernen, Leistung)<br />

- „Ihr wißt ja gar nicht, was ich will“ (Helfende Tätigkeit des Lehrers, Sprache)<br />

- „Du hast ja etwas verstanden!“ (Erfolgserleben, Lernen)<br />

156 HILLER, 1989, S. 88f<br />

157 BAIER, 1972, S. 681<br />

158 ein regelrechtes Netz an Erwartungen entfaltet BAIER. Z. B. der Lehrer als Begabungsgutachter,<br />

Sozialchancenverteiler, Sozialisationsagent, Künstler und Gärtner, Rationalist; vgl. ebd.<br />

159 Aufstellung nach HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 50<br />

160 geschlussfolgert aufgrund der Aussagen eines Lehrers in BLOEMERS, 1995, S. 213<br />

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