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Andererseits kann der Lehrer auch versuchen, sich an dem Seil zum Schüler
hinüberzuschwingen. Denn der Lehrer soll emphatisch sein können, die Welt aus der Sicht
des Schülers sehen können und ihm auf diese Weise helfen. Die Gefahr des Scheiterns ist
hoch, denn sehr groß ist der Schwung über die Kluft, zu wahrscheinlich ein Abstürzen des
gutmeinenden Lehrers. Auch gut möglich ist, dass die Schüler die „Ankunft“ des Lehrers
befremdlich finden. Was will er denn hier? „Der gehört hier gar nicht hin! Der tut doch nur
so, als ob er uns verstehen will.“ Der Vorwurf der Un-Echtheit wäre schwer zu verkraften.
Vielleicht sollte niemand mit Hilfe des Beziehungsseiles den anderen zu sich ziehen.
Vielmehr wäre es von Nutzen, wenn man gleichsam viele Seile über die Kluft wirft, aus
denen dann eine Brücke entstehen könnte. Durch diese Brücke könnten Lehrer und Schüler
mit LB zueinander gelangen und sich verstehen lernen, ohne dass dabei einer von beiden
seine Welt aufgeben oder für immer verlassen müsste. Durch die Brücke gestärkt wäre der
Abgrund weniger bedrohlich und damit überwindbar geworden, ein Halt für beide wäre
geschaffen.
Doch um Beziehungsseile und -angebote über die Kluft zu werfen bedarf es des Muts, in die
Tiefe hinabzublicken. Man darf die Kluft nicht unterschätzen und eine Arbeit an der
Beziehung ist erst möglich dadurch, dass man weiß wie breit die Kluft ist und warum sie das
ist, warum sie bedrohlich wirkt und wie man am besten ein Seil über bestimmte Stellen
schlingt. Deshalb werde ich im nächsten Kapitel versuchen, die Kluft zu „vermessen“ und in
einigen Bereichen zu bestimmen, ihre Beschaffenheit und Gewordenheit „auszuloten“.
Meiner Meinug nach ist diese Kluft zu einem großen Teil die Folge unterschiedlicher
Kindheiten des Lehrers und des Schülers mit LB. Andere Faktoren wie z.B. berufliche
Sozialisation und Entfremdung durch den Unterricht bleiben bei der „Vermessung“
unberücksichtigt.
3.4 Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten
Mit „Spannungsfelder“ meine ich die Bereiche der Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit
LB, die lebensgeschichtlich bedingt sind und die durch ihre Verschiedenheit eine Spannung
erzeugen.
Die Wege, die Lehrer und Schüler mit LB zu ihren jetzigen Positionen geführt haben, wurden
unterschiedlich deutlich nachgezeichnet. Dabei fällt auf, dass deutlich mehr
Wegbeschreibungen für Schüler mit LB existieren als für die Lehrer dieser Schüler. Eine
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