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Die organisch-geschichtliche Sichtweise von HEMMINGER kann als Gegenpol zu Teilen<br />
der Psychoanalyse gesehen werden. Die für ihn bedeutsame Frage ist: Kindheit als<br />
Schicksal?. 33 Er stellt die von der Psychoanalyse postulierte Unbedingtheit von Kindheit in<br />
Frage, das heißt er glaubt nicht, dass ungünstige Kindheitserlebnisse automatisch zu einer<br />
ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung des später Erwachsenen führen müssen. Somit<br />
verabschiedet er auch den „Mythos der glücklichen Kindheit“, mit der man für den Rest des<br />
Lebens haushalten kann. 34 Die Erzeugung einer ausgeglichenen und selbstsicheren<br />
Persönlichkeit durch eine harmonische, glückliche Kindheit ohne Brüche hält keiner<br />
Nachprüfung stand. 35 Dem hält er ein Modell von Chance und Risiko entgegen, das die<br />
Kindheitserlebnisse zur Option macht. Die Eltern geben dem Kind die Werkzeug in die Hand,<br />
aber ob diese gut oder schlecht, relevant oder irrelevant sind für die Bewältigung des Lebens<br />
stellt sich erst später heraus. 36 Somit strebt er eine ganzheitliche Sicht der Kindheit an, die von<br />
mehreren Faktoren abhängt und die Möglichkeiten und Gefahren für die weitere Entwicklung<br />
gleichermaßen birgt.<br />
Verschiedene Modelle der Sozialisation beschreiben den Prozess der Entwicklung des<br />
Menschen zu einem gesellschaftsfähigen und sozialen Wesen. 37 Der Transfer der Kultur wird<br />
bewerkstelligt, indem Sozialisierte wiederum sozialisieren, also die Werte, Normen,<br />
Erziehungspraktiken, etc. weitergeben. Die Vermittlung und Annahme dieser Werte findet<br />
<strong>bei</strong>m Kind in einer stetigen inneren Auseinandersetzung statt, die schließlich zur<br />
Internalisierung der erwachsenen Sichtweisen führt. Besondere Bedeutung wird der<br />
schichtspezifischen Sozialisation zugemessen. Da jede „Schicht“ tendentiell andere Werte,<br />
Normen, Verhaltensweisen usw. hat führt dies auch zu einer anderen Sozialisierung der<br />
Persönlichkeit. 38<br />
Die hier vorgestellten Modelle und Theorien zeigen auf unterschiedliche Weise auf, wie die<br />
Kindheit und die Erfahrungen, die man in dieser Zeit macht, prägend sind für den später<br />
Erwachsenen. Allen gemeinsam ist die Feststellung, dass etwas in der Kindheit passiert. Dies<br />
kann demnach entwicklungsfördernd/-hemmend, die körperlich-psychische Weiterentwicklung<br />
beeinflussend, die Beziehungsmuster bestimmend, die seelische Realität<br />
belastend, die Persönlichkeitsentwicklung begünstigend/ gefährdend und die Gesellschaft<br />
tradierend sein.<br />
33 HEMMINGER, 1982<br />
34 in Anlehnung an Jean PAUL: „Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die<br />
kalte Welt haushalten.“ in HARRIS, 2000, S. 72<br />
35 vgl. HEMMINGER, a.a.O., S. 205<br />
36 ebd., S. 201, S. 207f<br />
37 FISCH, 1992, S. 24f<br />
38 vgl. ein Beispiel dazu in BERNFELD, 1976, S. 117<br />
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