22.02.2015 Aufrufe

gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net

gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net

gesamte Arbeit (pdf-Format) - bei föpäd.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Simon Hörsch<br />

Die eigene Kindheit und deren<br />

Reflexion im sonderpädagogischen<br />

Handeln des Lehrers für Schüler mit<br />

Lernbehinderungen<br />

Erste Staatsexamensar<strong>bei</strong>t<br />

––– 2002 –––<br />

föpäd.<br />

<strong>net</strong><br />

www.foepaed.<strong>net</strong>


Hinweise zum Urheber- und Nutzungsrecht<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Das Urheberrecht am vorliegenden Texten liegt allein <strong>bei</strong>m Autor bzw. <strong>bei</strong> der<br />

Autorin.<br />

Der Nutzer bzw. die Nutzerin dürfen die vorliegende Veröffentlichung für den<br />

privaten Gebrauch nutzen. Dies schließt eine wissenschaftliche Recherche ein. Für<br />

das Zitieren sind die entsprechenden Regelungen zu beachten (sieh unten).<br />

Der Nutzer bzw. die Nutzerin des vorliegenden Textes erkennen das Urheberrecht<br />

des Autoren bzw. der Autorin an.<br />

Vervielfältigung und Verbreitung der vorliegenden Veröffentlichungen bedarf der<br />

Genehmigung des Autors bzw. der Autorin.<br />

Hinweise zum Zitieren von Online-Dokumenten<br />

Die Veröffentlichungen auf den Seiten von föpäd.<strong>net</strong> sind ebenso wie Texte in<br />

Druckmedien zitierfähig.<br />

In der Quellenangabe müssen folgende Informationen enthalten sein:<br />

Name der Autorin bzw. des Autors,<br />

Titel (und eventuell Untertitel)<br />

Inter<strong>net</strong>-Adresse (URL),<br />

Abrufdatum.<br />

Beim Zitieren von Texten, die auf den Seiten von föpäd.<strong>net</strong> veröffentlicht sind, geben<br />

Sie bitte die Inter<strong>net</strong>-Adresse (URL) der <strong>pdf</strong>-Datei des von Ihnen zitierten Dokuments<br />

an.<br />

Quellenangabe für diese Veröffentlichung:<br />

Hörsch, Simon: Die eigene Kindheit und deren Reflexion im sonderpädagogischen<br />

Handeln des Lehrers für Schüler mit Lernbehinderungen.<br />

Online im Inter<strong>net</strong>: URL: http://www.foepaed.<strong>net</strong>/volltexte/hoersch/reflexion.<strong>pdf</strong>.


Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

1. Einleitung ........................................................................................................ 5<br />

2. Die Bedeutung der eigenen Kindheit für Erwachsene ................................ 8<br />

2.1 Begriffsklärung ................................................................................................. 8<br />

2.2 Der Einfluss der eigenen Kindheit auf Erwachsene ......................................... 8<br />

2.2.1 Der Zusammenhang zwischen Kindheit und Lebenslauf ................................. 9<br />

2.2.2 Das Modell vom inneren Kind ....................................................................... 11<br />

2.3 Die Kindheit im Lehrer .................................................................................. 14<br />

2.3.1 Kindheiten von Lehrern ................................................................................. 16<br />

2.3.2 Einfluss von Kindheitserfahrungen auf die Persönlichkeit und das<br />

Verhalten des Lehrers in der Schule .............................................................. 17<br />

2.4 Mögliche ‘Stolpersteine’ der eigenen Kindheit für den Lehrer ..................... 20<br />

2.4.1 Helfen als Antrieb <strong>bei</strong>m Lehrer ...................................................................... 20<br />

2.4.2 Verbliebene Kindlichkeit <strong>bei</strong>m Lehrer ........................................................... 21<br />

2.4.3 Der Erzogene erzieht ...................................................................................... 22<br />

2.5 Zusammenfassung .......................................................................................... 24<br />

3. Die Spannungsfelder vertrauter und fremder Kindheit im<br />

sonderpädagogischen Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ............. 24<br />

3.1 Die pädagogische Beziehung zwischen dem Lehrer und Schüler mit LB ..... 25<br />

3.2 Vertraute Kindheit für den Lehrer .................................................................. 27<br />

3.3 Die Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB ............................................. 30<br />

3.4 Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten .............................................. 33<br />

3.4.1 Normaler unterrichtet Un-Normale ................................................................ 36<br />

3.4.2 Erwachsener unterrichtet Kinder .................................................................... 41<br />

3.4.3 Musterschüler unterrichtet Lernbehinderte .................................................... 45<br />

3.4.4 Privilegierter unterrichtet soziokulturell Benachteiligte ................................ 48<br />

3.4.5 Geliebter unterrichtet Ungeliebte ................................................................... 51<br />

3.4.6 Heilender Helfer unterrichtet hilfsbedürftige Kranke .................................... 54<br />

3.4.7 Erzogener unterrichtet Unerzogene ................................................................ 56<br />

3.4.8 Reife Persönlichkeit unterrichtet unreife Persönlichkeiten ............................ 59<br />

3.5 Das Dilemma der Schule für Schüler mit LB und die Verstrickung des<br />

Lehrers ............................................................................................................ 61<br />

3.6 Eine tragfähige Brücke über die Kluft ........................................................... 63<br />

3.7 Zusammenfassung .......................................................................................... 65<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 3


4. Biographische Selbstreflexion als Kompetenz im sonderpädagogischen<br />

Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ................................................... 66<br />

4.1 Die notwendige Professionalisierung der Beschäftigung mit der eigenen<br />

Kindheit im sonderpädagogischen Handeln innerhalb der pädagogischen<br />

Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB ........................................... 67<br />

4.2 Pädagogische Biographieforschung als Rahmen biographischer<br />

Beschäftigung mit der eigenen Kindheit ........................................................ 69<br />

4.3 Ansätze zur biographischen Selbstreflexion des Lehrers für Schüler mit<br />

LB außerhalb und innerhalb des Unterrichts .................................................. 71<br />

4.3.1 Biographische Selbstreflexion außerhalb des Unterrichts .............................. 72<br />

4.3.2 Biographische Selbstreflexion und biographisches Lernen im Unterricht ..... 74<br />

4.4 Selbsterziehung als Kompetenz des Lehrers für Schüler mit LB ................... 76<br />

4.5 Mögliche Impulse für die Lehrerbildung ....................................................... 76<br />

4.6 Zusammenfassung .......................................................................................... 77<br />

5. Schluss ........................................................................................................... 78<br />

6. Literaturverzeichnis ..................................................................................... 81<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 4


1. Einleitung<br />

Jeder Mensch hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Alle Menschen waren oder sind Kinder - ohne Ausnahme. 1 Jeder Mensch hat somit innerhalb<br />

seines Lebenslaufes die Kindheit durchlaufen oder tut dies noch. Da<strong>bei</strong> ist Kindheit etwas<br />

zutiefst persönliches, es gibt gewissermaßen gar nicht die Kindheit sondern jeder Mensch hat<br />

seine eigene Kindheit.<br />

Das Bild vom Menschen, das wir in heutiger Zeit haben ist das eines sich in<br />

Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelnden Wesens. Der Mensch wächst in und mit<br />

seiner Umwelt. Die Symbole für diesen Prozess sind mannigfaltig und viele davon stellen die<br />

Parallelität zur Natur heraus. So ist der Mensch vergleichbar einem Baum, ausgehend vom<br />

Samen über die Wurzeln hin zu den Blüten und Früchten in späteren Tagen. Das Altern des<br />

Menschen entspricht den Ringen des Baumes, die sich um sein Zentrum lagern. Ein anderer<br />

Vergleich setzt die menschlichen Entwicklungsstadien dem Aufbau einer Zwiebel gleich. Jede<br />

neue Schale ersetzt nicht die vorhergehende, sondern umschließt diese, wächst förmlich aus<br />

ihr heraus. 2 Auch Bilder und Vergleiche aus dem alltäglichen Leben drängen sich auf. Die<br />

Metapher von den Lebenserfahrungen als Bühnenbild vor dem sich das aktuelle Geschehen<br />

des Menschen abspielt verdeutlicht die Präsenz, welche die Biographie in jedem Moment<br />

hat. 3<br />

Was ist Kindheit? Ein verklärtes Glück? Unbeschwerte Jahre? Traumatische Episode?<br />

Kreislauf der Ohnmacht? Diese Frage muß jeder für sich selbst beantworten und sie soll nicht<br />

in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> „gelöst“ werden. 4<br />

Es geht zuerst vielmehr um die grundlegende Frage nach dem Zusammenhang zwischen<br />

Kindheit und dem Verhalten als Erwachsener. Wie lebt die Kindheit im Erwachsenen fort,<br />

falls sie das überhaupt tut?<br />

Jeder Lehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Im Kreislauf der Erziehung hat der Lehrer die Fronten gewechselt und erzieht als Erzogener<br />

nun die ihm anvertrauten Kinder. Provokant gesagt: er war Opfer von Erziehung und macht<br />

nun in der Rolle des Täters die Kinder zu Opfern seiner Erziehung. 5 Lassen wir die Kinder<br />

sprechen und ihm entgegenhalten: „Bist du schon vollständig erzogen und ein reifer<br />

Erwachsener, der gelungene Erziehung an uns weitergeben kann? Kehr doch zuerst vor deiner<br />

1 vgl. VOß, 1979, S.7ff<br />

2 vgl. BRÜCK, 1979, S. 167<br />

3 ebd. erwähnt diesen Vergleich in bezug auf den Lehrer (S. 323)<br />

4 ein Comicstrip, der den Rückblick auf Kindheit zum Thema hat, befindet sich im Anhang<br />

5 vgl. MILLER, 1983, S. 287<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 5


eigenen Haustür!“. 6 Somit ist auch der Ausspruch „Erkenne dich selbst“ für den Erzieher<br />

bedeutsam. „Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest.[...] Unter ihnen bist<br />

du selbst ein Kind, das du zunächst einmal erkennen, erziehen und ausbilden musst“. 7 gibt<br />

KORCZAK dem Pädagogen zu bedenken. Selbstkenntnis also Voraussetzung für die<br />

Kenntnis anderer drückt Marie von EBNER-ESCHENBACH folgendermaßen aus: „Wer sich<br />

an seine eigene Kindheit nicht deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher“. 8 Somit steht auch<br />

gleichsam eine Forderung an den „guten“ Pädagogen im Raum, die von anderer Seite noch<br />

verstärkt wird: „Ein guter Lehrer kann sich in das Kind ‘hineinversetzen’“. 9 Selbstkenntnis<br />

und die Kenntnis des Kindes sind zentrale Ansprüche an den Erzieher und Lehrer, doch wie<br />

kann er diesem gerecht werden?<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Lehrer durch die dauernde Beschäftigung mit Kindern<br />

an seine eigene Kindheit erinnert fühlt ist hoch (ebenso wird sich der Fußballtrainer an seine<br />

aktive Fußballzeit erinnern, wenn er junge Fußballer trainiert). Die Schüler sind somit Spiegel<br />

der eigenen Kindheit des Lehrers und er ist der Spiegel der Lehrer, die er selbst hatte. Die<br />

Frage, der ich da<strong>bei</strong> nachgehen möchte ist: Wie wirken sich eigene Kindheitserfahrungen auf<br />

das spätere Verhalten des Lehrers aus?<br />

Jeder Förderschullehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Der Unterrichtsprozess (an allen Schultypen) wird nicht nur von den inhaltlichen Aspekten,<br />

sondern auch von den persönlichen Anteilen der an ihm Beteiligten mitbestimmt und<br />

beeinflusst. Häufig unterliegt die Interaktion in der Schule Spannungen und Konflikten, die<br />

ihre Ursache zum großen Teil im persönlichen (Beziehungs-) Geflecht von Schüler und<br />

Lehrer haben. Die Lebensgeschichte <strong>bei</strong>der Seiten ist bedeutsam und ständig präsent im<br />

Unterrichtsgeschehen. Die Frage, die mich da<strong>bei</strong> leitet ist: Warum ist die Betrachtung der<br />

eigenen Kindheit für den Lehrer an der Förderschule wichtig und notwendig?<br />

Jeder Schüler hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Die bereits erwähnte Kenntnis der zu unterrichtenden Schüler erstreckt sich auf deren<br />

Lebenslauf und insbesondere auf die Kindheit. Eine Schulweisheit besagt, dass man nur das<br />

gut erklären kann, was man auch selbst verstanden hat. In Bezug auf die Kenntnis der Schüler<br />

ergibt sich daraus aber ein entscheidendes Problem: der Lehrer ist anders als die Schüler! Er<br />

hat eine andere Kindheit erlebt und kann sich nur bedingt in die Kindheiten seiner Schüler<br />

hineinversetzen. Diese Feststellung erfährt in der Förderschule für Lernbehinderte (ähnlich<br />

6 Gemäß dem Sprichwort: „Ein jeder kehr vor seiner Tür...“ in RÖHRIG, 1977, S. 1096<br />

7 KORCZAK, 1979 7 , S. 156<br />

8 HARRIS, 2000, S. 62<br />

9 MUTH, 1982, S. 41<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 6


wie an anderen Schulen für Kinder mit Behinderungen) ihre Bestätigung und nun frage ich<br />

mich „Welche Konflikte und welche Chancen ergeben sich aus dem Zusammentreffen dieser<br />

unterschiedlichen Kindheiten?“<br />

Jeder (Förderschul-)Lehrer kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst, reflektieren.<br />

„Reflexion“ heißt in der ursprünglichen Bedeutung soviel wie „Rückstrahlung“. 10 Das<br />

geistige „Zurückstrahlen“ lassen des eigenen Handelns, Denkens, der eigenen Biographie ist<br />

dem Menschen möglich und er-möglicht es ihm, sein Verhalten gegebenenfalls zu verändern.<br />

Warum dieser Bereich im pädagogischen Kontext bedeutsam ist versuche ich anhand der<br />

folgenden Fragen zu verfolgen: Warum ist biographische Selbstreflexion in der Pädagogik<br />

wichtig, warum ist sie notwendig? Welche Möglichkeiten dafür gibt es? Ist biographische<br />

Selbstreflexion eine sonderpädagogische Kompetenz?<br />

Jeder Student hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

In der Beschäftigung mit diesem Thema bin ich als werdender Förderschullehrer subjektiv<br />

gefangen und emotional betroffen. Die ständige Auseinandersetzung mit Kindheiten von<br />

Lehrern konfrontiert mich mit meiner eigenen Kindheit, mit meinen Schulerfahrungen usw.<br />

Dadurch bin ich in der Auswahl, Betrachtung, Bewertung und Darstellung der bear<strong>bei</strong>teten<br />

Literatur immer subjektiv und kann dies meiner Meinung nach auch nur sein. 11 Das Interesse<br />

an dieser Thematik ist sicherlich auch daher zu begründen, dass ich nach mir selbst forsche.<br />

Dieses Anliegen will ich <strong>bei</strong> anderen auch mit dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> anregen. Denn nicht allein durch<br />

das Lesen anderer Kindheiten und Erfahrungen erkennt man sich selbst, sondern in der<br />

Auseinandersetzung, dem Diskurs damit. Andere Kindheiten regen an, stoßen ab, machen<br />

betroffen und traurig, geben Hoffnung und lösen noch viel mehr aus. Sie lösen einen Prozess<br />

aus, dem die Fragen vorauseilen: „Und ich? Wie war meine Kindheit? Wie beeinflusst sie<br />

mich?“<br />

Die Literatur zu dem Thema dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist spärlich gesät. Veröffentlichungen, die genau<br />

ins Schwarze treffen sind an einer Hand abzuzählen. Deshalb muss ich oft das Netz weiter<br />

auswerfen und <strong>bei</strong> anderen Disziplinen fischen, um die Ergebnisse und Aussagen hernach auf<br />

das Thema und damit den Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen zu beziehen. 12 Da<strong>bei</strong><br />

bediene ich mich <strong>bei</strong> der Psychologie, Soziologie, Lehrer(biographie)forschung,<br />

(Sonder)Pädagogik, Lernbehindertenpädagogik, Pädagogischen Biographieforschung und der<br />

10 DUDEN, 1991, S. 590<br />

11 FLAAKE erwähnt die Subjektivität des Interpreters aufgrund der eigenen Erfahrungen (TERHART in<br />

KÖNIG, 1995, S. 254)<br />

12 vor allem <strong>bei</strong> den Modellen und Theorien zur Sozialisation findet dieser Übertragungsprozeß in die<br />

Lehrerforschung statt, vgl. TERHART, 1994, S. 266<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 7


Belletristik. Unter den Beiträgen dieser Disziplinen finden sich auch teilweise biographische<br />

und autobiographische Darstellungen von (Förderschul-)Lehrern.<br />

Im weiteren Verlauf der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> verwende ich der Einfachheit halber die männliche Form <strong>bei</strong><br />

Personen, wo<strong>bei</strong> aber immer <strong>bei</strong>de Geschlechter gemeint sind. Die Ausnahmen davon<br />

kennzeichne ich entsprechend.<br />

2. Die Bedeutung der eigenen Kindheit für Erwachsene<br />

2.1 Begriffsklärung<br />

Kindheit ist ein relativ junger Begriff, der als eigenständiger Entwicklungsabschnitt erst seit<br />

ROUSSEAUs „Emile“ eingeführt wurde. 13 In der heutigen Zeit definiert man „Kindheit“<br />

entweder entwicklungstheoretisch bis zum Einsetzen der Geschlechtsreife oder rechtlich<br />

gesehen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. 14 Das Kindesalter als Entwicklungsphase<br />

teilt GUDJONS in drei Abschnitte ein: 15<br />

a) frühe Kindheit (1.-6. Lebensjahr)<br />

b) mittlere Kindheit (6.-10. Lebensjahr)<br />

c) späte Kindheit (10.-12. Lebensjahr)<br />

Entgegen der Annahme, dass Kindheit nur eine Phase der seelischen Entwicklung bezeich<strong>net</strong>,<br />

betrachtet man heute die Kindheit aus einer ganzheitlichen Perspektive 16 (historisch,<br />

gesellschaftlich, ...). Mit dem Wandel der Begrifflichkeiten und der Betrachtungsweisen ist<br />

auch ein Wandel der Kindheit verbunden. Mehr und mehr unterliege dieser Abschnitt einer<br />

„Vergesellschaftung“. 17<br />

2.2 Der Einfluss der eigenen Kindheit auf Erwachsene<br />

Einerseits sind Kindheit und Erwachsenenalter grundverschieden und mit ihnen auch ihre<br />

Repräsentanten. 18 Andererseits ist das Bild, das wir als Kinder von der Welt bekommen<br />

13 vgl. RENNER, 1995, S. 14<br />

14 Definition nach BÖHM, 1994, S. 383<br />

15 GUDJONS, 1997, S. 119<br />

16 ebd., S. 115<br />

17 ebd., S.117<br />

18 vgl. BÖHM, 1994, S. 384<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 8


haben, prägend für das Erleben der gleichen Welt als Erwachsener. 19 Wie also kann der<br />

Einfluss eigenen Kindheit auf das spätere Erleben „nachgewiesen“ werden? Nachfolgend<br />

möchte ich diese Frage aus sechs verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und damit mehr<br />

Licht in die Zusammenhänge zwischen Kind und Erwachsenem bringen.<br />

2.2.1 Der Zusammenhang zwischen Kindheit und Lebenslauf<br />

Die These lautet: Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Erfahrungen in der Kindheit<br />

und dem späteren Verhalten und der Persönlichkeit des Erwachsenen.<br />

Verschiedene Disziplinen haben diesen Zusammenhang untersucht und sind teilweise auch zu<br />

unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, je nach Zweck und Ziel der Untersuchung.<br />

Die Entwicklungspsychologie hat ein besonders Interesse an diesem Entwicklungsabschnitt.<br />

Sie sieht den Menschen als ein sich entwickelndes Wesen, dessen Startpunkt in der Kindheit<br />

liegt. Das Fundament für den späteren Menschen wird demnach in der Kindheit gelegt.<br />

Darüber hinaus kommt das Kind schon mit angeborenen Fähigkeiten auf die Welt, vor allem<br />

der Fähigkeit zu Lernen. Grundlegende Verhaltensweisen werden in der Kindheit beobachtet,<br />

gelernt und erworben, sie verfestigen sich im Menschen und in seinem Bewusstsein, ähnlich<br />

dem festen Fundament auf dem das Haus später aufbaut. 20 Besonders wichtig für diese<br />

Entwicklung ist das erste Lebensjahr. Dort wird der Grundstein der „zwischenmenschlichen<br />

Bindungsfähigkeit“ 21 gelegt, was entscheidend für den späteren Lernprozess ist. Bei der<br />

Entwicklung des Kindes spielen die Familie und das Milieu 22 , also die soziale Herkunft, eine<br />

zentrale Rolle. Diese und andere Zusammenhänge wurden empirisch untersucht 23 und<br />

untermauert.<br />

Vom Standpunkt der evolutionären Psychologie betrachtet ist Kindheit determiniert durch<br />

Faktoren wie Ressourcenlage (Herkunft), kritische Lebensereignisse (Verluste u.a.),<br />

Geburtsrang und Familienklima. 24 Die Prägung des Kindes durch das Zusammenspiel dieser<br />

Faktoren ist vor allem entscheidend in der „sensiblen Phase“ (bis zum 5. Lebensjahr). 25 Die in<br />

dieser Zeit erfahrenen Situationen haben Auswirkungen auf die psychische und körperliche<br />

19 vgl. WILLIAMS, 1993, S. 24<br />

20 vgl. den Begriff der „Verfestigung“ <strong>bei</strong> SCHENK-DANZINGER, 1971, S 14<br />

21 ebd., S. 51<br />

22 ebd. S. 21f, S. 116f<br />

23 Zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Sprach und Milieu in Kleinkindalter: Akademikerkinder hatten<br />

da<strong>bei</strong> eine deutlich größere durchschnittliche Satzlänge als Kinder von <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>er oder Gelegenheitsar<strong>bei</strong>tern, vgl.<br />

SCHENK-DANZINGER, 1971, S. 62f<br />

24 vgl. CHASIOTIS, 1999, S. 88<br />

25 ebd., S. 14<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 9


Entwicklung des Kindes. Ungünstige Faktoren für die Entwicklung, sogenannte Stressoren,<br />

können unter anderem schlechte ökonomische Verhältnisse, Konflikte der Eltern, instabile<br />

Beziehungen und Scheidung der Eltern sein. Die Folge davon ist eine Art „Fluchhaltung“, in<br />

der die Kinder versuchen, dieser belastenden Situation zu entkommen. 26 Mögliche andere<br />

Auswirkungen sind Verhaltensauffälligkeiten der Kinder, die sich <strong>bei</strong> Jungen eher<br />

externalisierend, unter anderem in Aggressivität, und <strong>bei</strong> Mädchen eher internalisierend, etwa<br />

in Rückzug und Verschlossenheit, ausdrücken. 27 Außerdem sind die in der Kindheit<br />

erfahrenen Interaktionsmuster handlungsleitend, sie werden später erwartet und auf neue<br />

Interaktionsszenen übertragen.<br />

Auf einer ähnlichen Annahme, die durch zahlreiche Untersuchungen gestützt wird, baut die<br />

Theorie der Familienkonstellationen 28 auf. Die Familie als erstes und wichtigstes System,<br />

mit dem das Kind zu tun hat und die dort vorgefundenen Beziehungsmuster prägen sich ein.<br />

Eine Verallgemeinerung und Übertragung der in dieser Zeit erfahrenen Beziehungen auf neue<br />

findet demnach statt. 29 Die „erfolgreichen“, erprobten und gelernten Beziehungen zu<br />

Geschwistern werden unbewusst im späteren Leben wiederholt.<br />

Die Psychoanalyse hat sich der Kindheit besonders angenommen und sie zu ihrem<br />

bevorzugten Sorgenkind gemacht. Die Tiefenpsychologie, wie die Psychoanalyse auch<br />

genannt wird, ist im Gegensatz zu manch anderen Disziplinen überwiegend biographisch<br />

orientiert. 30 Sie beschäftigt sich wie der Name schon sagt mit der Analyse der psychischen<br />

Welt eines Menschen, die durch seinen Lebenslauf bedingt ist. Die Grundannahme ist, das die<br />

seelische Entwicklung des Menschen in der Kindheit grundlegend für seine Persönlichkeit ist.<br />

RATTNER drückt dies so aus: „Durch das ganze Leben hindurch bleiben in den ersten Jahren<br />

erworbene seelische Strukturen erhalten. Das Kind ist der Vater des Mannes.“ 31 Störungen<br />

und Konflikte in der Kindheit sind nach dieser Auffassung für die seelischen Leiden des<br />

Erwachsenen verantwortlich. Da<strong>bei</strong> spielen die Eltern die Hauptrolle <strong>bei</strong> der Entstehung<br />

solcher Konflikte. Jeder Mensch schleppt Narben und Verwundungen mit sich herum, die in<br />

aktuellen Situationen aufbrechen und sich bemerkbar machen. Die Wurzeln gehen aber in die<br />

Kindheit zurück. 32<br />

26 vgl. ebd., S. 24<br />

27 vgl. ebd., S. 23<br />

28 TOMAN, 1974<br />

29 ebd., S. 78ff. Er fasst dies unter dem Begriff des Duplikationstheorem zusammen<br />

30 vgl. SCHRAML, 1971, S. 45<br />

31 RATTNER in HEMMINGER, 1982, S. 20<br />

32 „Neurose“ wird z.B. als „mißglückte Konfliktverar<strong>bei</strong>tung“ angesehen, „deren Wurzeln in die Kindheit<br />

zurückgehen“, ASPER, 1989, S. 178<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 10


Die organisch-geschichtliche Sichtweise von HEMMINGER kann als Gegenpol zu Teilen<br />

der Psychoanalyse gesehen werden. Die für ihn bedeutsame Frage ist: Kindheit als<br />

Schicksal?. 33 Er stellt die von der Psychoanalyse postulierte Unbedingtheit von Kindheit in<br />

Frage, das heißt er glaubt nicht, dass ungünstige Kindheitserlebnisse automatisch zu einer<br />

ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung des später Erwachsenen führen müssen. Somit<br />

verabschiedet er auch den „Mythos der glücklichen Kindheit“, mit der man für den Rest des<br />

Lebens haushalten kann. 34 Die Erzeugung einer ausgeglichenen und selbstsicheren<br />

Persönlichkeit durch eine harmonische, glückliche Kindheit ohne Brüche hält keiner<br />

Nachprüfung stand. 35 Dem hält er ein Modell von Chance und Risiko entgegen, das die<br />

Kindheitserlebnisse zur Option macht. Die Eltern geben dem Kind die Werkzeug in die Hand,<br />

aber ob diese gut oder schlecht, relevant oder irrelevant sind für die Bewältigung des Lebens<br />

stellt sich erst später heraus. 36 Somit strebt er eine ganzheitliche Sicht der Kindheit an, die von<br />

mehreren Faktoren abhängt und die Möglichkeiten und Gefahren für die weitere Entwicklung<br />

gleichermaßen birgt.<br />

Verschiedene Modelle der Sozialisation beschreiben den Prozess der Entwicklung des<br />

Menschen zu einem gesellschaftsfähigen und sozialen Wesen. 37 Der Transfer der Kultur wird<br />

bewerkstelligt, indem Sozialisierte wiederum sozialisieren, also die Werte, Normen,<br />

Erziehungspraktiken, etc. weitergeben. Die Vermittlung und Annahme dieser Werte findet<br />

<strong>bei</strong>m Kind in einer stetigen inneren Auseinandersetzung statt, die schließlich zur<br />

Internalisierung der erwachsenen Sichtweisen führt. Besondere Bedeutung wird der<br />

schichtspezifischen Sozialisation zugemessen. Da jede „Schicht“ tendentiell andere Werte,<br />

Normen, Verhaltensweisen usw. hat führt dies auch zu einer anderen Sozialisierung der<br />

Persönlichkeit. 38<br />

Die hier vorgestellten Modelle und Theorien zeigen auf unterschiedliche Weise auf, wie die<br />

Kindheit und die Erfahrungen, die man in dieser Zeit macht, prägend sind für den später<br />

Erwachsenen. Allen gemeinsam ist die Feststellung, dass etwas in der Kindheit passiert. Dies<br />

kann demnach entwicklungsfördernd/-hemmend, die körperlich-psychische Weiterentwicklung<br />

beeinflussend, die Beziehungsmuster bestimmend, die seelische Realität<br />

belastend, die Persönlichkeitsentwicklung begünstigend/ gefährdend und die Gesellschaft<br />

tradierend sein.<br />

33 HEMMINGER, 1982<br />

34 in Anlehnung an Jean PAUL: „Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die<br />

kalte Welt haushalten.“ in HARRIS, 2000, S. 72<br />

35 vgl. HEMMINGER, a.a.O., S. 205<br />

36 ebd., S. 201, S. 207f<br />

37 FISCH, 1992, S. 24f<br />

38 vgl. ein Beispiel dazu in BERNFELD, 1976, S. 117<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 11


2.2.2 Das Modell vom „inneren Kind“<br />

Um sich der Kindheit des Erwachsenen noch mehr anzunähern bedarf es eines theoretischen<br />

Konstrukts. Das „innere Kind“ ist ein Modell, das durch verschiedene Ärzte, Psychologen,<br />

Therapeuten und Pädagogen erdacht wurde, um die seelische Wirklichkeit besser verstehen zu<br />

können. In zahlreichen Fällen wurde mit diesem Modell erfolgreich gear<strong>bei</strong>tet und das<br />

bestätigt es in seiner Wichtigkeit.<br />

Auch in der Umgangssprache taucht das „Kind im Manne“ auf oder man sagt „kindisch“ oder<br />

„kindlich“ wenn ein Verhalten offenkundig nicht erwachsen ist. Das in der Einleitung<br />

angesprochene Modell der Zwiebelschale bedeutet hier, dass ein erwachsener Lehrer nicht nur<br />

den Erwachsenen als äußerste Schale besitzt sondern darunter auch den Studenten, den<br />

Schüler und das Kind. 39 Bezeichnend dafür ist, das wir gegenüber unseren Eltern immer das<br />

Kind bleiben werden. Die Vorstellung, das man bestimmte Abschnitte hinter sich lässt und<br />

mit einem bestimmten Alter richtiggehend abstreift, ist somit verwegen.<br />

Der Mensch ist eine Persönlichkeit, die aus vielen Ichs besteht. 40 Nicht nur GOETHE hat die<br />

zwei Seelen in seiner Brust erkannt, auch andere versuchen sie zu greifen und es gibt<br />

zahlreiche Begriffe dafür (Ichs, Selbste, Mitglieder, Darsteller, ...). Der oben erwähnte Lehrer<br />

hätte somit z.B. ein Lehrer-Ich, Ehemann-Ich, Vater-Ich, Kind-Ich, Freund-Ich usw. in sich.<br />

BERNE sieht drei Bestandteile im Innern des Menschen: 41 Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich,<br />

Kindheits-Ich. Die Meinungen, ob diese Teilpersönlichkeiten voneinander abgegrenzt sind<br />

oder ineinander verschränkt, gehen auseinander. Aber unbestritten ist, dass diese Vielheit in<br />

jeder Situation präsent ist und sich in Kommunikation und Interaktion auszudrücken vermag.<br />

Bestimmte Teilpersönlichkeiten aber haben durch erfolgreiches Lernen förmlich Karriere<br />

gemacht und sind deshalb stärker präsent und mächtiger im Innern des Menschen. 42<br />

Der Mensch trägt das Kind, das er einmal war, also in sich mit. Die Vorstellungen von diesem<br />

inneren Kind sind teilweise unterschiedlich dargestellt. BERNE teilt das Kindheits-Ich in ein<br />

natürliches, ein angepasstes und ein rebellisches Kind 43 , einer Dreiteilung folgt auch<br />

STONE 44 , <strong>bei</strong> dem es ein verletzliches, ein spielerisches und ein magisches Kind gibt.<br />

MISSILDINE 45 und CHOPICH 46 gehen von einer reinen Zweiteilung des Menschen in<br />

39 vgl. BRÜCK, 1979, S. 323<br />

40 vgl. SCHULZ von THUN, 1998<br />

41 BERNE, 1995, S. 26f<br />

42 SCHULZ von THUN, 1998, S. 185; durch Lernen am Modell und Lernen am Erfolg beschreibt er diese<br />

„Karriere“<br />

43 vgl. BERNE, a.a.O., S. 26<br />

44 vgl. STONE, 1994, S. 202<br />

45 vgl. MISSILDINE, 1986, S. 23<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 12


inneres Kind und innerem Erwachsenen aus. Da<strong>bei</strong> unterscheidet CHOPICH diese zwei in<br />

jeweils zwei Zustände: geliebtes und ungeliebtes inneres Kind, liebevoller und liebloser<br />

innerer Erwachsener. 47 Der Erwachsene im Menschen steht da<strong>bei</strong> allgemein für das eher<br />

logisch denkende, rational entscheidende Wesen während das innere Kind gefühlsbetont, aus<br />

dem Bauch heraus handelnd ist. Betont wird auch die Wichtigkeit des inneren Kindes, weil<br />

dieses die Elemente in die Persönlichkeit einbringt, die für Kreativität, Spontaneität, Gefühl<br />

und Anmut stehen. 48 Trotz der altersmäßigen Erwachsenheit der Menschen handeln wir oft<br />

wie Kinder, häufig wie verletzte Kinder. Spürbar wird dies in zwischenmenschlichen<br />

Konflikten, in unangemessenem Verhalten anderen gegenüber, in Unausgeglichenheit mit<br />

sich und in einer Nichtbeachtung der Anteile in uns, die nicht sein dürfen. Warum ist das so?<br />

Die innerliche Abspaltung bestimmter Anteile ist für Verletzungen und Verstrickungen dieser<br />

Art verantwortlich. Etwas in uns wird nicht beachtet, verdrängt, verleug<strong>net</strong> oder gar bestraft,<br />

wenn es sich regt. Diese negative Behandlung des inneren Kindes rührt daher, dass „in<br />

unserem Kulturkreis Kinder und ihre Gefühle nicht als das geachtet werden, was sie sind: die<br />

Gefühle und die Welt des Kindes“. 49 Das Kind muss sich anpassen an die Erwachsenenwelt,<br />

muss sich in die von den Erwachsenen vorbereiteten Umgebungen integrieren und durchläuft<br />

eine Erziehung, welche die Bildung eines selbstbestimmten, sozialen und mündigen<br />

Erwachsenen zum Ziel hat. Damit ist die Verdrängung des inneren Kindes vorprogrammiert<br />

und die Abspaltung desselben im Menschen ein zwangsläufiger Prozess, um in der<br />

Gesellschaft bestehen zu können. 50<br />

Fall<strong>bei</strong>spiele illustrieren, wie groß der Einfluss der Eltern auf das spätere Verhalten des<br />

Kindes ist. Die Parallelen des Erwachsenenverhaltens mit dem Verhalten als Kind sind<br />

überdeutlich 51 , aber wie kommt dies zustande? Die Antwort darauf ist ein Kreislauf, der im<br />

Zusammenhang mit der Sozialisation bereits angesprochen wurde. Die Eltern behandeln ihr<br />

Kind in einer bestimmten Art und Weise und in dieser Art und Weise wird sich das Kind<br />

später selbst und andere behandeln. 52 Die Internalisierung führt zur beständigen Weitergabe<br />

der elterlichen Erziehungspraktiken. 53 Ungünstige elterliche Haltungen verletzen das Kind in<br />

46 vgl. CHOPICH, 1997, S. 20<br />

47 vgl. ebd., S. 21<br />

48 vgl. BERNE, a.a.O., S. 28<br />

49 MISSILDINE, a.a.O., S. 34<br />

50 diese „Tragik der Anpassung“ beschreibt MILLER, a.a.O., ausführlich<br />

51 WILLIAMS spricht hier von „Konditionierungen“, WILLIAMS, a.a.O., S 17<br />

52 „Erwachsene setzen, als Eltern ihrer selbst die elterlichen Haltungen fort“; MISSILDINE, 1986, S. 21<br />

53 vgl. WILLIAMS, a.a.O., S. 17; MISSILDINE, a.a.O., S. 21; MILLER, a.a.O., S. 277f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 13


einer bestimmten Weise und diese Verletzungen werden von einem selbst im<br />

Erwachsenenalter am inneren Kind und an anderen fortgesetzt. 54<br />

Die Folge dieser Verletzung des inneren Kindes sind innere und äußere Konflikte. Die innere<br />

Unstimmigkeit führt oft zur Spiegelung des Konflikts in anderen 55 und die Folgen einer<br />

solchen Verstrickung können in Partnerschaft 56 , Freundschaft, und allen anderen<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen bedenklich sein. 57<br />

Das Ziel sollte demnach eine Versöhnung, ein Dialog 58 mit dem inneren Kind sein, aber wie<br />

kann dies zustande kommen? Der erste Schritt ist durch das Erkennen und Wiederentdecken 59<br />

des eigenen inneren Kindes gekennzeich<strong>net</strong> („es ist da“). Der zweite Schritt ist die Akzeptanz<br />

de inneren Kindes uns seiner Gefühle („es nehme es an“). Da<strong>bei</strong> helfen weder<br />

Anschuldigungen an die Eltern, noch der Drang, das Rad zurückdrehen zu wollen. Der dritte<br />

und letzte Schritt ist schließlich die Versöhnung, die Integration und die Balance mit dem<br />

inneren Kind („es ist gut und ein Teil von mir“). Ein Aufbrechen des Kreislaufes und des<br />

Wiederholungszwanges 60 ist möglich und Bedingung dafür ist die Achtung und des eigenen<br />

inneren Kindes und die Achtung anderer und der eigenen Kinder. 61 Eine durch Achtung,<br />

Toleranz und Respekt getragene Beziehung zu Kindern ist erst möglich, wenn man diese<br />

Gefühle auch sich selbst, seinem inneren Kind entgegenbringt. 62<br />

2.3 Die Kindheit im Lehrer<br />

Es wurde gezeigt, dass Zusammenhänge zwischen der Kindheit und dem weiteren Lebenslauf<br />

des Menschen bestehen. Die Erfahrungen, die man in der Kindheit macht sind bedeutsam für<br />

späteres Verhalten. Wichtige Faktoren sind da<strong>bei</strong> unter anderem die Eltern, das System<br />

Familie, die soziale Herkunft und die Gesellschaft.<br />

54 MISSILDINE beschreibt acht ungünstige Elternhaltungen; MISSILDINE, 1986, S. 82<br />

55 ähnlich dem „zerstrittenen inneren Team“ <strong>bei</strong> SCHULZ von THUN, a.a.O.<br />

56 Zu einer Ehe gehören vier: an einer Beziehung sind auch immer die Kinder „von früher“ beteiligt; vgl.<br />

MISSILDINE, a.a.O., S. 60f<br />

57 CHOPICH geht soweit zu sagen, dass alle Probleme in der Gesellschaft von der Abspaltung des inneren<br />

Kindes herrühren, vgl. CHOPICH, a.a.O., S.52<br />

58 ASPER verwendet diesen Ausdruck; ASPER, 1989<br />

59 Hindernisse dieses Prozesses sind eigene Verdrängung und Verfälschung des Bildes durch die Eltern und<br />

andere, vgl. ASPER, a.a.O, S. 17<br />

60 dieser Begriff ist aus der Psychoanalyse entlehnt und wird <strong>bei</strong> MILLER, 1983 häufig gebraucht<br />

61 vgl. MISSILDINE, a.a.O., S. 359ff<br />

62 vgl. ARMINGER, 1997, S. 232<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 14


An dem Modell vom inneren Kind wurde deutlich gemacht, wie Kindheit im Erwachsenen<br />

fortleben kann. Der Prozess der Verletzung des inneren Kindes sowie die Ursachen dafür und<br />

ein möglicher Lösungsansatz wurden beschrieben.<br />

Wie machen sich nun diese Zusammenhänge und Erkenntnisse <strong>bei</strong>m Lehrer bemerkbar?<br />

Jeder Lehrer war einmal ein Kind, auch wenn das für die Schüler vielleicht schwer vorstellbar<br />

ist. „Über Kindheit zu reden heißt, das Erwachsene reden. Insofern reden Erwachsene, wenn<br />

sie über Kindheit reden, über sich selbst“. 63 Auf den Lehrer übertragen könnte man sagen,<br />

dass in des Lehrers Beschäftigung mit Kindern immer auch etwas von seiner Kindheit, immer<br />

auch etwas von seinem Kind, das er einmal war, durchscheint. Die bereits in der Einleitung<br />

propagierte Selbst(er)kenntnis formuliert BUSCH so: „Willst du ein guter Leiter sein, dann<br />

schau auch in dich selbst hinein!“. 64 Was macht den Lehrer zu dem, was er ist? Welche<br />

Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen seine Persönlichkeit und wie drücken sie sich aus?<br />

Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der Berufsmotivation des<br />

Lehrers? Was kann einen Menschen dazu bringen, sich wieder mit Kindern zu beschäftigen<br />

und such selbst somit in die Vergangenheit zu begeben?<br />

Ziel der Schule soll Erwachsenheit sein. 65 Der Lehrer als Repräsentant dieser Erwachsenheit<br />

steht den Kindern und ihrer Kindlichkeit gegenüber, er hat gleichsam während des Übergangs<br />

als Student die Fronten gewechselt. Die Positionen sind klar – oder nicht?<br />

Der Kreislauf, in dem Lehrer und Schüler gleichermaßen eingesponnen sind, ist der Kreislauf<br />

der Erziehung, die immer wieder Erzogene zu Erziehenden heranbildet. In welcher Form kann<br />

die Kindheit diesen Kreislauf beeinflussen, stören gar oder auch fördern?<br />

Mit diesen Fragen möchte ich mich im folgenden Kapitel auseinandersetzen, doch zuerst<br />

muss ich noch auf Schwierigkeiten in bezug auf die Literatur hinweisen. Die<br />

Lehrerforschung, in deren Bereich diese Fragen auch fallen, bietet nur wenig zur Phase der<br />

Kindheit. 66 Zur Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung von Lehrern finden sich nur<br />

wenige Beiträge, weswegen ein Übertrag von Erkenntnissen anderer pädagogischer Formen<br />

(Erzieher, Sozialpädagoge) auf den Lehrer notwendig wird.<br />

63 LENZEN, 1985, S. 11<br />

64 BUSCH in SCHULZ von THUN, a.a.O., S. 54<br />

65 die Begriffe „Erwachsenheit“ und „Kindlichkeit“ benutzt BRÜCK, a.a.O.<br />

66 Lehrerforschung war bisher im wesentlichen auf die Bereiche der Berufsausbildung und des Berufseinstiegs<br />

beschänkt; vgl. TERHART, 1994, S. 233<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 15


2.3.1 Kindheiten von Lehrern<br />

Kindheiten von Lehrern werden von der Lehrer(biographie)forschung erfasst und<br />

ausgewertet. Man geht hier wie in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen von einer<br />

Einbettung des Berufs in den Lebenslauf aus. 67 Somit stellt sich die Frage nach den Methoden<br />

zur Erfassung des Lebenslaufes. Die biographische Forschung dazu teilt sich in zwei<br />

Bereiche, zum einen die Lebenslaufforschung anhand objektiver Daten und zum anderen die<br />

biographische Forschung im engeren Sinne, die Interviews, (Auto-) Biographien und andere<br />

subjektive Quellen nutzt. Den Zweck seiner biographischer Suche beschreibt COMBE als<br />

Frage nach den „Formen der Lebensgestaltung“ und dem Zustandekommen der<br />

Lebensmuster. 68 Betrachten wir zunächst die Lebensgestaltung von Lehrern in ihrer Kindheit<br />

und genauer, welche Themen und Aspekte da<strong>bei</strong> hervortreten.<br />

Aus COMBE 69 (C) (Combe), SCHONIG 70 (S) (Schonig) und BRÜCK 71 (B) habe ich dazu<br />

Aussagen von Lehrern zusammengefasst und die Seitenzahl in Klammern angegeben:<br />

Hanno: Erziehung ambivalent – Mutter fordernd, liebevoll; Vater ironisierend, überlegen, fern (C, 82)<br />

Albert: zur Erziehung kaum Angaben, nüchtern, geprägt durch NS-Zeit und deren Beeinträchtigungen (C, 95)<br />

Wolfram: Erziehung: ambivalente Gefühle durch Konflikte der Eltern, Kampf und Streit prägend (C, 62)<br />

Friedrich: harte, autoritäre, unerbittliche Erziehung mit Strenge, Religiosität und in Armut (C, 70)<br />

Hr. v. Adrichem: von Vater geprägt, Mutter starb als er vier Jahre alt war (S, 104)<br />

Fr. Haas: Vater Likörfabrikant, Mutter beeinflusst Familie durch religiöse Wahnvorstellungen (S, 134) (104)<br />

Hr. Bieling: 15tes Kind einer Berliner Handwerkerfamilie, „Hätschelkind“, das Glück hatte (S, 14)<br />

Fr. Krause: zweite Tochter von dreien, Vater Architekt – stirbt als sie 10 Jahre alt ist; Stiefvater prägte (S, 44)<br />

Hr. Liebe: Aufwachsen in Berliner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>ergegend, positiver Einfluss von Theologiestudenten (S, 80)<br />

Hr. v. Elsen: drittes von 10 Geschwister, Vater Steuerbeamter, Hobby Malen schon von früh an (S, 165)<br />

Brigitta: Vater dominant, charmant, Überflieger; Mutter untergeord<strong>net</strong>, angepasst, bewundernd (C, 46)<br />

Dora: Erziehung starr, viele Normen, Vater abfällig über Frauen, Mutter tatenlos leidend (C, 52)<br />

Hans: Erziehung hart, Eltern selbständig, wenig Emotionen und Persönliches (C, 33)<br />

Irma: Abhängigkeit von den Eltern, Verstrickung in diese; Schule als Erlösung (B, 421)<br />

Irma: Doppelbödigkeit und Ambivalenz in der Schule: glänzende Schulkarriere vs. tiefe Verletzung (B, 395)<br />

In diesen Fragmenten der Lebensläufe von Lehrern und angehenden Lehrern, die sich in<br />

Alter, Geschlecht, Schulform und Nationalität unterscheiden, werden prägende Lebensthemen<br />

deutlich. Der Familie als System, bestehend aus Eltern und Geschwistern, kommt eine<br />

herausragende Bedeutung zu. Daneben rangieren Herkunft und Schulzeit als weiterhin<br />

prägende Erfahrungen und schließlich auch Faktoren wie geschichtlich-politischer<br />

Hintergrund und Hobbys.<br />

67 vgl. ebd., S. 228ff<br />

68 COMBE, 1983, S. 15<br />

69 ebd.<br />

70 SCHONIG/ DU BOIS REYMOND, 1982<br />

71 BRÜCK, a.a.O.<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 16


Wie machen sich nun diese Erfahrungen bemerkbar? Welche Rolle spielt es, ob ein Lehrer<br />

mehrere Geschwister, strenge Eltern oder wohlmeinende Lehrer hatte, ob er aus gutsituierten<br />

oder ärmlichen Verhältnissen stammt?<br />

2.3.2 Einfluss von Kindheitserfahrungen auf das Verhalten des Lehrers in der Schule<br />

Um die aktuelle Situation zu verstehen, gehen Lehrer von sich aus, also freiwillig, in ihre<br />

Kindheit um dort mögliche Ursachen für ihr jetziges Verhalten zu finden. Bei der Deutung<br />

dieser Verknüpfung drängt sich immer wieder die psychoanalytische Sichtweise auf, wo<strong>bei</strong><br />

diese ergänzt und unterstützt wird von empirischen Studien.<br />

Die für Lehrer relevanten Sozialisationsbereiche sind laut BRUNNER wie oben angedeutet<br />

die „Erfahrungen in der Familie, der peer-group, der Schule und mit Massenkommunikationsmitteln“.<br />

Von diesen Instanzen besonders beeinflusste Persönlichkeitsvariablen sind:<br />

Wertkonzepte, soziale Fähigkeiten, kognitive Stile, „die Kausalattribuierung, Einstellungen,<br />

das Selbstkonzept, Faktoren der Intelligenz, die Wahrnehmung“. 72 Diese Darstellung ist sehr<br />

allgemein und umfassend, wenden wir uns nun den einzelnen Bereichen und ihren<br />

„Wirkungen“ zu.<br />

Das familiale Bezugssystem wurde in den Untersuchungen von TIMPNER und COMBE<br />

besonders aufmerksam betrachtet und COMBE folgert aus den Selbstdarstellungen der<br />

Lehrer, dass „ihre emotionalen Grundstrukturen stark durch die Familie geprägt sind“ 73 und<br />

dass diese „Früherfahrungen“ in der Schule förmlich wiederbelebt und aufgerührt werden. 74<br />

Ein Beispiel hierfür ist die Gewissheits- bzw. Ungewissheitsorientierung. Es wurde <strong>bei</strong><br />

Lehramtsstudenten ein signifikanter Zusammenhang zwischen elterlichen Erziehungspraxis<br />

und ihren Ungewissheits- bzw. Gewissheitsorientierungen festgestellt. 75 Ein weiteres Beispiel<br />

ist die Übertragung der in der Familie erfahrenen Beziehungsstrukturen auf neue. Die<br />

primären Erfahrungen werden als Modell sozialer Beziehungen verinnerlicht und dienen als<br />

Repräsentanten neuer Beziehungen. 76 Diese Aussage beschränkt sich nicht nur auf die Eltern,<br />

sondern schließt auch die Geschwister mit ein. Eine Untersuchung von FREYN 77 belegt, dass<br />

die Relation der Geschwisterposition von Lehrer und Schüler erheblichen Einfluss auf den<br />

72 BRUNNER, 1978, S. 56<br />

73 COMBE, a.a.O., S. 107<br />

74 Meine Assoziation ist hier: „Schlafende Hunde soll man nicht wecken“<br />

75 HUBER, 1999, S. 108f<br />

76 BRUNNER, a.a.O., S. 43<br />

77 FREYN in Psychologie in Erziehung und Unterricht 23 (1976) 4<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 17


Unterrichtserfolg hat. Ein störender Einfluss geht von konfliktgeladenen, ein förderlicher<br />

Einfluss von konfliktfreien Geschwisterkonstellationen des Lehrers und des Schülers aus.<br />

Konfliktgeladen ist die Geschwisterkonstellation zwischen ältesten oder jüngsten<br />

Geschwistern in den ehemaligen Familien. 78<br />

Fazit: Der Einfluss der Familie auf die emotionalen Basisfähigkeiten und Grundstrukturen<br />

des Lehrers ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule!<br />

Sekundärerfahrungen wie Schulzeit sind für COMBE zwar wichtig, aber sie<br />

„konzeptionalisieren“ 79 seiner Meinung nach nur die Primärerfahrungen aus der Familie.<br />

BRÜCK gewichtet neben dieser ersten Erfahrung die eigene Schulzeit als für den späteren<br />

Lehrer besonders wichtige Phase. 80 Eine überaus populäre Typologie des Lehrers basiert auf<br />

den Beschreibungen von Lehrern über eigene Lehrer, die sie hatten. 81 Den bemerkenswerten<br />

Einfluss der Lehrer, die man selbst hatte, zeigt BRÜCK deutlich auf und er spricht in diesem<br />

Zusammenhang von der „Lehrerimago“ 82 , also dem Bild das man vom Lehrer hat. Die<br />

Wirksamkeit zeigt sich in der persönlichen Färbung von Schulerfahrungen und den<br />

wiederbelebten, angstbesetzten Gefühlen, wenn man z.B. an vergangene Prüfungen denkt.<br />

Der Einfluss der Erfahrungen mit Lehrern reicht so weit, dass sie zum Antrieb werden für die<br />

eigene Berufsentscheidung. 83 Erstaunlich ist die Vehemenz, mit der sich eigene<br />

Schulerfahrungen im Bewusstsein behaupten, wenn es um pädagogische Handlungen im<br />

Unterrichtsalltag geht. Bei einer ohne Zeitdruck zu fällenden Entscheidung des Lehrers<br />

rangieren „Erinnerungen an die eigene Schulzeit“ noch vor Erinnerungen an das Studium, die<br />

zweite Ausbildungsphase und an eine bestimmte pädagogische Theorie. 84 Ebenso betrüblich<br />

für Erziehungswissenschaftler dürfte die Tatsache sein, dass angehende Lehrer <strong>bei</strong><br />

Disziplinierungsschwierigkeiten zumeist auf die Verhaltensweisen und –routinen<br />

zurückgreifen, die sie selbst in der Schule erfahren haben. 85<br />

Fazit: Der Einfluss der eigenen Schulzeit auf das Bild vom Lehrer, die Sicht auf Schule, die<br />

pädagogischen Verhaltensweisen und die Berufsmotivation des Lehrers ist erheblich und<br />

zeigt sich auch in der Schule!<br />

78 ebd., S. 58: „Lehrer, die selbst jüngere Brüder von Schwestern sind, erteilten den Mädchen ihrer Klasse sehr<br />

signifikant bessere Noten als Lehrer, die nur Brüder hatten, und signifikant bessere als Lehrer mit jüngeren<br />

Schwestern.“<br />

79 COMBE, a.a.O., S. 105<br />

80 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 42<br />

81 vgl. CASELMANN, 1964<br />

82 BRÜCK, a.a.O., S. 313<br />

83 eigene gute Lehrer oder schlechte Lehrer spielen <strong>bei</strong> der Wahl des Lehrerberufs eine Rolle in dem Sinne, dass<br />

man ein gutes Beispiel hatte bzw. es besser machen will; vgl. TERHART, 1994, S. 57f<br />

84 TERHART, a.a.O., S. 196f<br />

85 vgl. ebd., S. 22<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 18


Der gesellschaftliche Zusammenhang von Schule wird sichtbar in der eben beschriebenen<br />

Tradierung der Erziehungsstile, die NICKEL wünschenswert im Sinne der Stabilisierung und<br />

gefährdend im Hinblick auf Erstarrung der Gesellschaft sieht. 86 Der Wichtigkeit der Herkunft<br />

spielt hier eine entscheidende Rolle. Eine provokante These lautet, dass Schule die bereits<br />

vorhandenen Unterschiede stabilisiert und das herrschende System stützt. 87 Da sich Mehrheit<br />

der Lehrer aus der sozialen Mittelschicht rekrutiert oder sich im Aufstieg zu dieser befindet,<br />

vertreten sie auch deren Werte. Diese werden auch in der Schule zur Norm gemacht und die<br />

Schüler an diesem Anspruch gemessen. Die Unterschicht und ihre Angehörigen werden damit<br />

automatisch zu Benachteiligten, denen man in Ausstattung, Wertvermittlung, Sprache,<br />

Interaktion u.ä. Defizite ankreidet. Der Lehrer sitzt somit ob er will oder nicht zwischen den<br />

Stühlen, wenn er es den Kindern und der Gesellschaft Recht machen will. Er wird seine<br />

Herkunft nicht verleugnen können oder wollen, sie beeinflusst ihn zeitlebens und vor allem<br />

im Umgang mit Kindern. 88 Gemäß dem Satz „Du bleibst was du warst“ wird der Lehrer<br />

immer in der Gefahr sein, die Schüler an sich selbst zu messen, an seinen Normvorstellungen.<br />

Fazit: Die Einfluss der Herkunft auf Normen und Werte des Lehrers ist erheblich und zeigt<br />

sich auch in der Schule!<br />

Verschiedenen Tätigkeiten hat sich der Lehrer in seiner Kindheit hingegeben. Dem Spiel und<br />

seinen Hobbys wird er sich auch nicht verschlossen haben. Eine größere Studie hat gezeigt,<br />

dass die Spieltätigkeit und das spätere Verhalten von Lehrern signifikant zusammenhängen.<br />

So zeigten Lehrer, die in der Kindheit „Schule gespielt“ und andere „vorbereitende“ Spiele<br />

und Tätigkeiten durchgeführt haben, ein deutlich positiveres Unterrichtsverhalten als Lehrer,<br />

die keine der genannten Tätigkeiten in ihrer Kindheit gespielt hatten. 89<br />

Fazit: Der Einfluss des Spiels in der Kindheit und der Hobbys auf das Unterrichtsverhalten<br />

des Lehrers ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule!<br />

Folgen der Beobachtungen dieser Zusammenhänge sind unter anderem Typologien. Diese<br />

versuchen die Lehrer in ein Schema einzuordnen, das ihr Verhalten verstehbar,<br />

kategorisierbar und nachvollziehbar macht ohne den individuellen Lebenslauf zu kennen. In<br />

den meisten Typologien ist eine Zweiteilung erkennbar, z.B. in logotrope und paidotrope, also<br />

fachlich- bzw. schülerorientierte Lehrer. 90 Eine andere Einteilung ist die in Sensitivisten und<br />

Dogmatiker, d.h. solche, die sich gegen Autorität aussprechen und sich mit dem „schwachen“<br />

86 NICKEL meint, dass die eigenen Erziehungserfahrungen bestimmen zu einem großen Teil die unreflektierten<br />

Erziehungspraktiken; vgl. NICKEL, 1978, S. 60<br />

87 BERNFELD, bezeich<strong>net</strong> die soziale Funktion der Schule als Bewahrung der „biopsychischen“,<br />

„sozialökonomischen“ und der „kulturell-geistigen“ Struktur der Gesellschaft; BERNFELD, a.a.O., S. 110<br />

88 vgl. BRUNNER, a.a.O., S 67<br />

89 BRUNNER führt da<strong>bei</strong> eine Untersuchung von RYANS an 6000 Lehrern an; BRUNNER, a.a.O., S. 57f<br />

90 vgl. CASELMANN, a.a.O.<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 19


Schüler identifizieren, bzw. solche, die sich mit der Autorität identifizieren und diese<br />

gegenüber den Schülern vertreten. 91<br />

Doch ist die Realität bunter als diese schwarz-weiß Schemata, die helfen sollen, den Lehrer<br />

besser zu verstehen. Drei „Zwischentöne“ des Zusammenhangs zwischen Kindheit und<br />

Handeln des Lehrer sollen im folgenden näher beschrieben werden.<br />

2.4 Mögliche „Stolpersteine“ der eigenen Kindheit für den Lehrer<br />

2.4.1 Helfen als Antrieb <strong>bei</strong>m Lehrer<br />

Der Lehrer ist wie Personen anderer sozialer Berufe einem enorm hohen Erwartungsdruck<br />

und einer überhöhten Anspruchshaltung der Außenwelt ausgesetzt. Das Idealbild vom „guten“<br />

Lehrer war und ist nicht zuletzt in der pädagogischen Literatur gängig. Die persönlichen<br />

Eigenschaften, die ein Lehrer mitbringen sollte schließen nahezu alle positiven<br />

Zuschreibungen ein und somit ist schon der zukünftige Lehrer gefangen im Netz des<br />

Lehrerideals, das er sich zum Teil auch selbst spinnt. Tatsächlich ist die Persönlichkeit in<br />

sozialen Berufen das wichtigste Instrument und damit sind auch die Grenzen der<br />

Persönlichkeit die Grenzen des Handelns. 92 Doch nicht nur in der Ausbildung werden die<br />

Persönlichkeit und deren Bedürfnisse notorisch ausgeblendet. Ebenso unausgesprochen<br />

bleiben die inneren Wünsche, die auch für die Berufswahl verantwortlich sein können.<br />

SCHMIDBAUER beschreibt in diesem Zusammenhang das „Helfer-Syndrom“. Die Ursachen<br />

dieses Syndroms liegen in der Kindheit und genauer in der bewussten oder unbewussten<br />

Ablehnung des Kindes durch die Eltern. Die Folge davon ist eine Nichtbefriedigung des<br />

narzisstischen Bedürfnisses, das somit auf dieser Stufe stagniert. Der Überlebensmechanismus<br />

besteht für das Kind in der Identifizierung mit dem elterlichen Über-Ich und dem nach-<br />

Außen-kehren der eigenen narzisstischen Bedürftigkeit. Dies zeigt sich <strong>bei</strong>m späteren<br />

Erwachsenen als Helfer-Syndrom.<br />

Nun tritt die Frage nach dem „Helfen als Bewältigung der eigenen Kindheit?“ in den<br />

Vordergrund. Denn durch Identifikation mit dem Hilfsbedürftigen verschiebt sich der<br />

Kindheitskonflikt auf die Beziehung zu diesem. Er wird nun aufgrund seiner<br />

Hilfsbedürftigkeit in einen Kreislauf der Abhängigkeiten verstrickt, der dem Helfenden die<br />

Möglichkeit gibt, sein eigenes, schwaches, verletztes Ich zu kaschieren und damit zu<br />

91 vgl. COMBE, a.a.O.<br />

92 SCHMIDBAUER, 1975, S. 7<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 20


verdrängen. 93 Das unverar<strong>bei</strong>tete narzisstische Bedürfnis kann dann die Gefühle des<br />

Helfenden dominieren. Auf den Lehrer bezogen heißt das, er drängt die Schüler förmlich in<br />

die Rolle der Hilfsbedürftigen, die ihm seine Sicherheit gibt und seine eigene Schwachheit<br />

überspielt. Die daraus entstehenden Konflikte sind vielfältig und das eigentlich<br />

zugrundliegende Problem bedarf der Bear<strong>bei</strong>tung. Da<strong>bei</strong> sei noch einmal erwähnt, dass diese<br />

Motivation keineswegs pauschal <strong>bei</strong> Lehrern anzutreffen ist. Sie ist vielmehr eine mögliche<br />

Folge negativ beeinflussender Kindheitserfahrungen. 94<br />

2.4.2 Verbliebene Kindlichkeit im Lehrer<br />

Dieser Begriff stammt von BRÜCK, der ihn in „Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler“ 95<br />

näher untersuchte. Zentraler Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Frage, ob denn<br />

Unterricht eigentlich planbar sei. Ähnliches fragt sich auch ein Lehrer <strong>bei</strong> COMBE, denn er<br />

sieht tagtäglich, dass der Unterricht überwiegend von der Gruppendynamik und den<br />

persönlichen Anteilen des Lehrers und der Schüler bestimmt wird. 96 Die Ausblendung<br />

derselben und eine mögliche Folge wurde im vorangehenden Kapitel entfaltet. Unbestritten<br />

nicht nur <strong>bei</strong> psychoanalytisch denkenden Pädagogen ist die Tatsache, dass erhebliche<br />

unbewusste Anteile im Unterricht vorhanden sind, die diesen auch beeinflussen. 97 Die größte<br />

unbewusste Konstante ist verblüffend und doch offensichtlich: der Lehrer hat es, wenn er sich<br />

mit einem Kind beschäftigt, immer mit zweien zu tun. Dem fremden Kind vor ihm und dem<br />

eigenen Kind in ihm, das er einmal war. 98 Diese Erkenntnis ist nicht neu in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>,<br />

doch hat sie ungeheure Folgen für den Unterricht. Der Lehrer hat ständig mit Kindern zu tun<br />

wird somit ständig mit sich und seiner Vergangenheit konfrontiert. Dieser Zustand wird noch<br />

erheblich erschwert durch die Tatsache, dass der Lehrer gar nicht mehr Kind sein darf. Denn<br />

er repräsentiert in der Schule die Erwachsenheit, zu der die Kinder im Lauf ihrer Schulzeit<br />

herangeführt werden sollen. 99 BRÜCK zeigt, dass der erwachsene Lehrer nur bedingt<br />

erwachsen ist in dem Maße, wie er auf einer Stufe seiner Kindlichkeit verblieben ist. 100 Das<br />

93 BERNFELD sagt, die eigenen Liebestriebe des Erziehers werden in seiner Kindheit weder „gesättigt noch<br />

kultiviert“; BERNFELD, a.a.O., S. 138<br />

94 für SCHRAML ist auch die Frage entscheidend, ob diese „Triebwünsche“ sublimiert/ integriert sind, oder ob<br />

es sich um Rationalisierungen nicht verar<strong>bei</strong>teter Triebwünsche handelt; SCHRAML, a.a.O., S. 202f<br />

95 BRÜCK, a.a.O.<br />

96 COMBE, a.a.O., S. 69<br />

97 ein Beispiel hierzu ist die Übertragung des Kindes. Da<strong>bei</strong> lebt das Kind Erfahrungen mit früheren<br />

Bezugspersonen (Eltern) weiter am Lehrer aus, was unter Umständen zu Störungen führen kann; vgl.<br />

SCHRAML, a.a.O., S. 147<br />

98 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 37<br />

99 TIMPNER bezweifelt diese Erwachsenheit qua Rolle; vgl. TIMPNER, 1999, S. 24<br />

100 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 41<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 21


Ausmaß der verbliebenen Kindlichkeit wird bestimmt durch die eigenen Schulerfahrungen<br />

und die Gefühle, die man damit verbindet. Wenn Lehrer unbefangen über die eigene Schulzeit<br />

nachdenken sollen stoßen sie schnell auf eine Menge an Situationen, die sie in der Schule mit<br />

starken Gefühlen begleitet haben. Viele dieser Gefühle sind mit Angst und negativen<br />

Assoziationen besetzt, so dass es nicht erstaunt, dass diese späteren Lehrer ähnlichen<br />

Gefühlen in Unterrichtssituationen ausgesetzt sind. Die Lehrer werden versuchen, dieser<br />

negativen Gefühle und damit ihrer verbliebenen Kindlichkeit Herr zu werden. Die<br />

Konsequenz daraus ist die Abwehr dieser bedrückenden Gefühle, die sich in verschiedenen<br />

Formen ausdrücken kann. Eine weitere Folge negativer Erfahrungen mit Autorität in der<br />

eigenen Schulzeit ist die Angst vor der eigenen Autorität. Ein Sprichwort sagt: „Was du nicht<br />

willst dass man dir tut, das füg auch keinem andern zu“ 101 und man umgekehrt für den Lehrer<br />

zum Kind sprechen: Ich will dir nicht das antun, was mir widerfahren ist. Aufgrund der<br />

ehemals zugefügten Autorität verdeckt oder verleug<strong>net</strong> der Lehrer als nun Zufügender von<br />

Autorität eben diese <strong>bei</strong> sich. 102 BRÜCK formuliert diesen Konflikt so: „Im Schüler vor sich<br />

fürchtet er das Kind in sich noch einmal zu überfordern, den Schüler vor sich glaubt er durch<br />

Unterforderung gefährdet, während er das Kind in sich besonders streng behandelt“. 103<br />

Ein gehöriger Teil der Lehrerpersönlichkeit wird somit vom Lehrer ausgeblendet und<br />

verdrängt. Aufgrund des Konflikts mit seiner Identität als Lehrer, seiner eigenen<br />

Schulvergangenheit und der dauerhaften Konfrontation mit <strong>bei</strong>dem in der Schule kann sich<br />

eine unbewusste Angst des Lehrers bemächtigen.<br />

Eine Lösung deutet TIMPNER mit der „Befreiung des Kindes“ 104 im Lehrer an und BRÜCK<br />

fordert die Anerkennung und Integration der Kindlichkeit des Lehrers. 105 Auf diese Punkte<br />

werde ich ihm letzten Kapitel noch einmal zurückkommen.<br />

2.4.3 Der Erzogene erzieht<br />

Die eben besprochene, von der Gesellschaft propagierte, das Idealbild des Lehrers 106<br />

weiterführende Abspaltung bestimmter persönlicher Anteile <strong>bei</strong>m Lehrer drückt sich noch in<br />

einem anderen Spannungsfeld aus. Der Lehrer erzieht als ehemals Erzogener nun selbst zu<br />

101 RÖHRIG, a.a.O., S.???????<br />

102 der Autoritätskonflikt des Lehrers begründet sich aus der Angst vor der eigenen Autorität, die wiederum aus<br />

anderen Ängsten entsteht; vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 299ff<br />

103 BRÜCK, a.a.O., S. 303<br />

104 TIMPNER, a.a.O., S. 24<br />

105 BRÜCK, a.a.O., S. 43<br />

106 Auf die Gefahren macht auch SCHRAML aufmerksam; vgl. SCHRAML, a.a.O., 199<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 22


Erziehende. Die Notwendigkeit der Erziehung und der Weitergabe der Kultur, der Normen<br />

und Werte der Gesellschaft, steht hier außer Frage. 107 Doch welches Nachspiel hat dieser<br />

Kreislauf für die Schule konkret? Untersuchungen belegen, dass Lehrer vor allem zu Beginn<br />

ihrer Berufstätigkeit in schwierigen Situationen oft auf die eigenen Schulerfahrungen<br />

zurückgreifen. Sie spiegeln damit die Erziehungspraktiken und Verhaltensweisen ihrer<br />

eigenen Lehrer und setzen diese abgewandelt fort, ob sie wollen oder nicht. 108 Der in den<br />

vorhergehenden Kapiteln beschriebene Konflikt kristallisiert hier noch in besonderer Form.<br />

Die Lehrer versuchen diesem Kreislauf zu entkommen und verstricken 109 sich doch nur<br />

mehr. 110 Sie versuchen den eigenen Konflikt entweder durch Umkehrung zu bewältigen<br />

indem sie selbst zu „Tätern“ werden. Oder sie projezieren den unverar<strong>bei</strong>teten<br />

Erziehungskonflikt auf die neue Situation und identifizieren sich mit dem „Opfer“ Schüler<br />

und sehen sich in ihm. 111 Die Bear<strong>bei</strong>tung der erfahrenen eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht<br />

wird da<strong>bei</strong> zum Antrieb, es anders zu machen, das Rad der Zeit somit nachträglich<br />

zurückzudrehen. In BERNFELDs Deutung dieser Situation liegt die Gewichtung auf der<br />

psychoanalytischen Komponente, doch ist die Aussage auch ohne diese gültig: „So steht der<br />

Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten in ihm. Er kann<br />

gar nicht anders, als jenes zu behandeln wie er dieses erlebte. Denn was jenem recht, wäre<br />

diesem billig. Und er wiederholt den Untergang des eigenen Ödipuskomplexes am fremden<br />

Kind, an sich selbst. Er wiederholt ihn auch dann, wenn er scheinbar das Gegenteil all dessen<br />

tut, was ihm seine Eltern antaten“. 112<br />

Bei der Betrachtung der drei Konfliktfelder, die aus den Kindheitserfahrungen der Lehrer<br />

entstehen können, diente die psychoanalytische Sichtweise und deren Wortschatz als<br />

Werkzeug zur Bear<strong>bei</strong>tung und Aufschlüsselung der Konflikte. Doch ist dies nicht „der<br />

einzige Weg nach Rom“ und daneben bieten sich noch andere Deutungsschemata an, die in<br />

späteren Kapiteln noch eingehender geschildert werden. Bei manchen Fragen ist die<br />

psychoanalytische Brille hilfreich, doch <strong>bei</strong> allzu einseitiger Benutzung macht sie den<br />

Forscher blind und seine Erkenntnisse Freud-lastig.<br />

107 vgl. BERNE, a.a.O., S. 31; er betont die Notwendigkeit von erzieherischen Handlungsroutinen<br />

108 vgl. GRELL, 1995, S. 36, der dies bestätigt und vgl. BRUNNER, a.a.O., S. 58, der diese Vermutung nahe legt<br />

109 „Der Lehrer selbst ist in die Szene aufgrund seiner eigenen Vergangenheit ebenfalls verstrickt“; DENECKE,<br />

1986, S. 37<br />

110 sie sind schon allein aufgrund ihrer Sozialisation in Schule und Studium angepasst und in den Kreislauf<br />

verwoben, der ihnen oft nur die Erfahrung bot, wie ohn-mächtig sie sind; vgl. TIMPNER, a.a.O., S. 22<br />

111 vgl. SCHRAML, a.a.O., S. 204<br />

112 BERNFELD, a.a.O., S. 141f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 23


2.5 Zusammenfassung<br />

Kindheit beeinflusst den Lebenslauf und die Persönlichkeitsstruktur von Erwachsenen,<br />

verschiedene Modelle stützen diese Annahme. Die Kindheit findet sich wieder im inneren<br />

Kind, das jeder Erwachsene hat, und dessen Nichtbeachtung und Verletzung Ursache<br />

zwischenmenschlicher und intrapersonaler Konflikte sein können.<br />

Da auch Lehrer einmal Kinder waren, treffen diese Aussagen auch auf sie und vor allem auf<br />

sie zu. Denn in ihrer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> haben sie kontinuierlich mit Kindern zu tun und werden damit<br />

ständig auch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Die Kindheiten von Lehrern unterscheiden<br />

sich nicht wesentlich von den Kindheiten andere Menschen, dieselben Themen sind<br />

bedeutsam und dieselben Einflüsse wie z.B. Familie, Schule wirken prägend. Das diese<br />

Kindheitsprägungen sich auch in der Schule bemerkbar machen wurde gezeigt und<br />

insbesondere unverar<strong>bei</strong>tete Prozesse der eigenen Kindheit und Schulzeit drängen aus dem<br />

Unbewussten in den Unterrichtsalltag hinein und können diesen empfindlich beeinflussen.<br />

Welche Rückschlüsse lassen sich nun für den Lehrer an Förderschulen für Kinder mit<br />

Lernbehinderungen ziehen? In welche Verstrickungen begibt sich der Lehrer dort aufgrund<br />

eigener Erfahrungen aus der Kindheit? Welche Spannungsfelder können daraus entstehen und<br />

welche Gefahren und welche Chancen bergen sie?<br />

3. Die Spannungsfelder vertrauter und fremder Kindheit im sonderpdäagogischen<br />

Handeln des Lehrers für Schüler mit Lernbehinderungen<br />

Um sich dem Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen zu nähern bedarf es zuerst einer<br />

begrifflichen Bestimmung dieses Lehrers. Es existieren unterschiedliche „offizielle“<br />

Bezeichungen für diesen Berufsstand und es kursieren wohl noch mehr innerhalb des<br />

Gesellschaft. Der Name für diese Berufsgruppe steht auch in engem Zusammenhang mit der<br />

geschichtlichen und politischen Entwicklung in Deutschland. So lassen sich Bezeichnungen<br />

wie „Hilfsschullehrer“, „Sonderschullehrer“, „Lehrer an Sonderschulen für Lernbehinderte“<br />

und neuere Bezeichnungen wie „Förderschullehrer“ sowie „Lehrer für Kinder und<br />

Jugendliche mit Lernbehinderungen/ Lernschwierigkeiten“ in einen zeitlichen Prozess<br />

einordnen, der sicherlich noch andauern wird. Mit der Neuformulierung des Berufnamens und<br />

-bildes der Lehrer ging auch eine Debatte um die „Lernbehindertenschule“ als Institution und<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 24


den Begriff der „Lernbehinderung“ im gesamtgesellschaftlichen und schulpolitischen Kontext<br />

einher. 113<br />

In Sachsen ist derzeit der Begriff des „Förderschullehrers/ Förderschullehrerin“ gebräuchlich<br />

in Anlehnung an den gleichnamigen Schultyp. Da es aber in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> um Lehrer für<br />

Schüler mit Lernbehinderungen allgemein und nicht nur an den Schulen geht, werde ich den<br />

Begriff „Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen“ (LB) verwenden, da dieser unabhängig<br />

vom institutionellen Rahmen der Schule verwendet werden kann. Auch hier greife ich<br />

aufgrund der besseren Lesbarkeit wieder auf die männliche Form in <strong>bei</strong>den Substantiven<br />

zurück, wo<strong>bei</strong> ich aber stets <strong>bei</strong>de Geschlechter meine.<br />

3.1 Die pädagogische Beziehung zwischen dem Lehrer und den Schülern mit LB<br />

Was bedeutet Beziehung? Die Verwendung im Deutschen ist vielfältig: ein Haus beziehen,<br />

also in der Form des „Einziehens“ in ein „bezugsfertiges“ Haus. Oder man kann Prügel<br />

„beziehen“, das heißt man „bekommt“ sie. Oder man bekommt finanzielle „Bezüge“ von<br />

einer bestimmten Stelle. Man kann auch Stellung „beziehen“, Positionen einnehmen und sich<br />

hinter diesen verschanzen. Möglich wäre auch die wortwörtliche Deutung, sprich wenn<br />

jemand einen anderen be-zieht oder diesen woanders hin-zieht. Oder aber man bezieht ein<br />

Bett indem man einen Bezug darüberspannt, man das darunterliegende Bett „über-zieht“.<br />

Beziehung in der zwischenmenschlichen Deutung meint, dass sich zwei Menschen<br />

aufeinander beziehen, dialogisch in Kontakt treten und somit eine Beziehung aufbauen. Somit<br />

ist eine Beziehung immer zweiseitig zu betrachten 114 und sie ist nie abhängig nur von einer<br />

Seite. Beziehungen im schulischen Zusammenhang sind von enormer Wichtigkeit, nicht nur<br />

die zwischen Lehrern oder dem Lehrer und dem Vorgesetzten, sondern vor allem zwischen<br />

Lehrer und Schülern. „Wer keine Beziehung herstellen kann, kann auch nicht erziehen“ 115<br />

schreibt SPRINGER und BUBER sagt „Beziehung erzieht“. 116 Die Fähigkeit, förderliche<br />

Beziehungen aufzubauen und durch diese die Schüler zu erziehen ist also grundlegend für den<br />

schulischen Unterricht. Die Betrachtung der pädagogischen Beziehung ist demnach eine<br />

Notwendigkeit nicht nur für die schreibenden Pädagogen. Der Lehrer steht in einer Klasse<br />

113 siehe dazu das Kapitel „Kritische Analyse von Entwicklungen und Theorien in der<br />

Lernbehindertenpädagogik" in EBERWEIN, 1996<br />

114 vgl. GIESECKE, 1997, S. 19<br />

115 SPRINGER, 1990, S. 25<br />

116 Zitat in JEGGE, 1983, S. 151<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 25


nicht nur einer bunten Welt an Schülern gegenüber 117 , sondern auch gleichzeitig einer ebenso<br />

großen Zahl von Beziehungsangeboten. Da<strong>bei</strong> können die Beziehungen so unterschiedlich<br />

sein wie die Schüler. Nie wird eine Beziehung der anderen gleichen und zu manchen Schülern<br />

wird der Lehrer vielleicht gar keine Beziehung aufbauen können. Ein Grund dafür liegt in den<br />

Vorgeschichten der Beziehungsteilnehmer. Der Lehrer hat ebenso eine<br />

„Lernvergangenheit“ 118 wie der Schüler. Diese Vergangenheit und andere Erfahrungen<br />

bestimmen Werte und Normen, Einstellungen und Haltungen gegenüber anderen Menschen.<br />

Aufgrund dieser geschichtlichen Verbundenheit kann es zu einer Beziehungsdynamik im<br />

Unterricht kommen, die SCARBATH folgendermaßen beschreibt: „Welche<br />

lebensgeschichtlichen Erfahrungen eines Lehrers oder einer Lehrerin, welche Momente einer<br />

sozialisatorischen Leidensgeschichte werden - zumeist unbewußt - wachgerufen, wenn sie<br />

sich mit dem Ungehorsam oder der Faulheit eines Schülers auseinandersetzen müssen?<br />

Welche eigenen, oft verschütteten Unsicherheiten und Zweifel fangen <strong>bei</strong> uns an zu rumoren,<br />

wenn junge Menschen die Werte und Normen nicht akzeptieren, als deren Vermittler wir<br />

auftreten? Oft signalisiert uns die (un)pädagogische Überreaktion, daß hier ein wunder Punkt<br />

in uns selbst getroffen wurde.“ 119 Durch die lebensgeschichtliche Befangenheit der <strong>bei</strong>den<br />

Beteiligten - Lehrer und Schüler - entsteht eine Kreislauf der Verwicklungen in Beziehungen,<br />

die größtenteils unbewußt abläuft. Die Schule als Institution neigt dazu, diese persönlichen<br />

Anteile auszusperren 120 und die daraus entstehenden Konflikte als Störungen des Unterrichts<br />

zu definieren. Sind Unterrichtsstörungen Beziehungsstörungen?<br />

Konflikte des Lehrers können zu einer Störung der Beziehung führen 121 , Konflikte des<br />

Schülers ebenso. Diese Beziehungsstörungen ziehen Konsequenzen nach sich, die ich<br />

stichwortartig veranschaulichen möchte: Konflikte im Lehrer stören die Beziehung zum<br />

Schüler. Eine gestörte Beziehung behindert <strong>bei</strong>m Schüler das Lernen. Konflikte <strong>bei</strong>m Schüler<br />

stören ebenso die Beziehung, weswegen der Lehrer im Lehren behindert wird. Konflikte<br />

zwischen Lehrer und Schüler stören die Beziehung und verhindern ein für das Lernen<br />

förderliches Klima und belasten Lehrer und Schüler.<br />

Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist ausschlaggebend für das Lernen und Lehren<br />

im Unterricht. Deshalb kommt ihr auch in bezug auf Schüler mit LB große Bedeutung zu:<br />

„Besonders im Umgang mit lernbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen ist ein Lernen<br />

117 als einen „Mikrokosmos menschlicher Schicksale“ beschreibt dies GARLICHS; vgl. GARLICHS, 1985, S.<br />

161<br />

118 vgl. NICKEL, 1978, S. 60 und dessen transaktionales Modell<br />

119 SCARBATH, 1999, S. 17<br />

120 vgl. dazu Kapitel 2.4.2 in dem das Modell von Horst BRÜCK dargelegt wird; BRÜCK, 1979<br />

121 vgl. SINGER, 1988, S. 73<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 26


ohne Beziehungsebene nicht möglich.“ 122 Für JEGGE ist jede Entwicklung des Schülers nur<br />

auf der Grundlage befriedigender Beziehungen möglich. 123<br />

Nun sind die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler mit LB aber oft geprägt von dem<br />

institutionell vorgefassten, vom Lehrer internalisierten Machtverhältnis, das sich in vielen<br />

Gestalten präsentiert. Die einseitige Schuldzuweisung ist ein Hauptmerkmal davon: Ursachen<br />

für Unterrichtsstörungen werden häufig nur den Schülern und ihren Normverletzungen zur<br />

Last gelegt. Bei Störungen der pädagogischen Beziehung ist es stets der Schüler, der dafür<br />

verantwortlich ist, denn der Lehrer in seiner aufopferungsvollen Liebe reagiert immer<br />

gleich. 124 Das ungleiche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler drückt sich auch in den<br />

Begrifflichkeiten aus: „Erwachsener - Kind“, „Mündiger - Unmündiger“, „Lehrer - Schüler“,<br />

„Erzieher - Zögling“ usw. 125 Wie sich diese einseitige Sicht noch ausdrücken kann werde ich<br />

in den nachfolgenden Kapiteln versuchen zu erläutern.<br />

Festzuhalten bleibt: sonderpädagogisches Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ist nur<br />

möglich innerhalb der sonderpädagogischen Beziehung. Um das Lernen des Schülers zu<br />

fördern muss der Blick zuerst auf die Beziehung zwischen Lernendem und Lehrendem<br />

gerichtet werden. Diese Beziehung wird maßgeblich von den Vorgeschichten, den<br />

Lernvergangenheiten, den Kindheiten der <strong>bei</strong>den mitbestimmt. Daher wird eine Betrachtung<br />

der eigenen Kindheit für den Lehrer notwendig und sinnvoll.<br />

3.2 Vertraute und fremde Kindheit für den Lehrer für Schüler mit LB<br />

Jeder, der schon einmal im Urlaub in ein fremdes Land gefahren ist, kennt das: das Essen<br />

schmeckt anders, die Leute sprechen eine andere Sprache, die Bräuche sind einem fremd,<br />

Grüßen und Verabschieden wird anders gehandhabt usw. Man sagt dann „Andere Länder,<br />

andere Sitten“ um mit diesem Spruch alle Arten von Befremdung griffig zu formulieren. Oft<br />

ist man dann froh, wieder daheim zu sein, dort, wo man sich auskennt, wo man die Sprache<br />

spricht und weiß, dass man dazu gehört. Erleben von Fremdheit kann befremdliche Gefühle<br />

auslösen. Fremdheit ist ein relativer Begriff. Das Erleben von Fremdheit ist abhängig von<br />

dem, was einem vertraut ist. Einem Weltenbummler wird vielleicht die Welt nicht mehr so<br />

fremd vorkommen wie einem, der noch nie sein Land verließ.<br />

122 RÄUBER, 1998, S. 54<br />

123 vgl. JEGGE, 1983, S. 151ff<br />

124 vlg. BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202f<br />

125 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 27


Von der äußeren Geographie komme ich nun zur inneren. Die eigene Kindheit ist einem<br />

vertraut und bekannt. Die Personen und Schauplätze, die Erlebnisse und die Gefühle sind<br />

einem eigen und nicht die von anderen. Ob man sich in der Erinnerung an die eigene Kindheit<br />

wohl fühlt oder nicht sei dahin gestellt, auf jeden Fall aber kennt man sich aus und ist mit ihr<br />

vertraut. Nicht so <strong>bei</strong> der anderen, fremden „Kindheitslandschaft“. Diese erscheint einem<br />

vielleicht auf den ersten Blick fremd und unzugänglich, oft will man sie erst gar nicht<br />

betreten. Auf den zweiten Blick kann sie sogar bedrohlich wirken, man möchte die<br />

Konfrontation mit ihr abwenden und stellt sich auf Abwehr ein! So muss es einem Lehrer<br />

ergehen, der tagtäglich „schwer erträgliche Formen der Andernheit und Fremdheit“ 126 durch<br />

seine Schüler erfährt. Aggressionen, Hass, Beleidigungen, Wut, Desinteresse, Gleichgültigkeit,<br />

Normüberschreitungen in allen Schattierungen wogen ihm möglicherweise<br />

entgegen. Allerhand Gefühle und Verhaltensweisen, die ihm fremd sind, die er - von sich -<br />

nicht kennt oder kennen will und die ihm nicht vertraut sind, womit er sich auch keineswegs<br />

vertraut machen will. Die Feststellung: „ich unterscheide mich von den Kindern!“ 127 dürfte<br />

eine der ersten Erkenntnisse im Umgang mit Kindern sein, die Lernbehinderungen haben.<br />

Eine zweite Erkenntnis, die nicht so offensichtlich ist wie die erste, könnte dann für den<br />

Lehrer naheliegen: „ich bin geprägt!“. Die eigene Sozialisation bestimmt nicht nur das spätere<br />

Erzieherverhalten, sondern auch die „Interpretationen erzieherischer und anderer<br />

gesellschaftlicher Vorgänge“ entscheidend. 128 Fasst man nun die zwei Aussagen zusammen<br />

und erweitert sie ergibt sich für den Lehrer für Schüler mit LB der einfache Satz: ich<br />

unterscheide mich von den Kindern aufgrund meiner eigenen Sozialisation und vor allem der<br />

Kindheitserfahrungen. Aber ist diese Feststellung so simplifizierbar? Werfen wir zunächst<br />

einen genaueren Blick auf die differenten Vorgeschichten, die schon in der Überschrift des<br />

Kapitels mit vertrauter und fremder Kindheit 129 beschrieben wurden.<br />

In der Schule für Schüler mit LB treffen nun in der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler<br />

zwei Welten aufeinander. Zwei unterschiedliche Vergangenheiten und Lerngeschichten 130<br />

stehen sich gegenüber und bergen in sich divergente Erfahrungen im Lernen, im Erfolg und<br />

Misserfolg, im Beziehungserleben, in Motivation und Interesse, in Leistungsstreben und<br />

Anstrengungsbereitschaft, in häuslichem Umfeld und außerschulischen Aktivitäten und vielen<br />

anderen Bereichen, die Unterricht beeinflussen. Eine paradoxe Situation entsteht, denn der<br />

jeweils andere hält seine Welt für selbstverständlich und die des anderen erscheint ihm fremd.<br />

126 BLOEMERS, 1995, S. 212<br />

127 vgl. die Beschreibung einer Studentin; GARLICHS, 1985, S. 26<br />

128 vgl. BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 152<br />

129 dieser Ausspruch ist der Titel des Kapitels von Herbert HAGSTEDT in GARLICHS, 2000, S. 50<br />

130 vgl. HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 46<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 28


In der Schule aber lernen die Schüler, dass nur eine Welt die richtige, die zu Lernende ist, und<br />

diese Welt ist nicht die ihre. „Wie oft konfrontieren wir unsere sozio-kulturell benachteiligten<br />

Schüler [...] mit einer für sie fremden, uns jedoch vertrauten kulturellen Welt, versuchen sie<br />

pädagogisch in diese zu integrieren.“ 131 meint RÄUBER und betont die Notwendigkeit zur<br />

Offenheit gegenüber und Annahme des Andersseins. Diese Offenheit wird aber begrenzt<br />

durch den internen Wahrnehmungsfilter, den man sich im Lauf seines Lebens erworben<br />

hat. 132 Dieser läßt nur bestimmte Dinge durch und diese auch nur in einem bestimmten Licht.<br />

So kann es einem sehr ernsten Lehrer, der auch schon ein ernstes Kind war, als Provokation<br />

erscheinen, wenn ein Schüler eine freche Bemerkung macht. Er wird dieses Kind vielleicht<br />

dafür bestrafen und persönlich verletzt reagieren. Ein anderer Lehrer, der in seiner Schulzeit<br />

auch frech war, wird dieselbe Situation unter Umständen ganz anders sehen und beurteilen,<br />

vielleicht milder sein mit dem Kind oder sogar über dessen Bemerkung lachen.<br />

Lehrer wie Schüler sind also vorgeprägt. Für den Lehrer und auch schon für Studenten ist es<br />

oftmals ein richtiger „Kulturschock“ 133 , wenn sie zum ersten mal länger Kontakt haben mit<br />

Schülern mit LB und deren für sie befremdlichen Vergangenheit und Gegenwart. Für den<br />

Schüler mit LB ist es wahrscheinlich ein ebenso großer „Kulturschock“, wenn er mit der<br />

Schulwelt in Kontakt kommt. Er soll aber in diese, ihm fremde Welt gebracht werden. Dass<br />

aus dieser Diskrepanz zwischen eigener und fremder Welt Störungen resultieren können, liegt<br />

nahe. 134<br />

Was aber macht der Lehrer mit dieser Unterschiedlichkeit? Er kann versuchen, sich aus der<br />

fremden Welt herauszuhalten, indem er sich auf den zu vermittelnden Stoff konzentriert und<br />

so eine anscheinend objektive Haltung einzunehmen. 135 Er kann auch die Erfahrung der<br />

fremden Realität 136 akzeptieren und diese für gut befinden aber darüber hinaus weitere<br />

Anstrengungen gegenüber dem Schüler mit LB vermeiden und sich auf andere<br />

Unterrichtsbereiche beschränken.<br />

Oder aber er kann sich aktiv mit den Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten, die ihn von<br />

seinen Schülern trennen und die ihn mit seinem Schülern verbinden, auseinandersetzen. Er<br />

kann versuchen, sich das Fremde im Schüler und in sich vertraut zu machen.<br />

131 RÄUBER, 1998, S. 52<br />

132 diesen Begriff verwendet HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 302<br />

133 GARLICHS, 2000, S. 50<br />

134 die Konsequenzen für Schüler aus der sozio-kulturellen Unterschicht beschreibt HURRELMANN;<br />

HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 303f<br />

135 durch die Objektivierung der „Behinderten“ können Sonderpädagogen ausklammern, „was sie selbst<br />

existentiell persönlich erleben oder erlebt haben.“; BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 205<br />

136 dieser Begriff taucht im Bericht einer Studentin auf; GARLICHS, 2000, S. 31<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 29


3.3 Die Kluft zwischen Lehrern und Schülern mit LB<br />

Je mehr ich über das Thema las und erfuhr, desto mehr entwickelte sich <strong>bei</strong> mir ein Bild, mit<br />

dem ich den Problemkreis beschreiben möchte, um den es in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> geht.<br />

Lehrer und Schüler mit LB können meilenweit voneinander entfernt sein, obwohl sie sich im<br />

gleichen Zimmer befinden. Die Distanz ist eine geistige, eine emotionale Entfernung, die aber<br />

schwerer wiegt als jede physische Distanzierung. Lehrer und Schüler mit LB haben<br />

unterschiedliche Kindheiten erlebt, haben eine andere Sozialisation erfahren, ihre Herkunft ist<br />

verschieden, oft ihre Sprache, ihr Denken und ihr Handeln. Sie haben unterschiedliche Wege<br />

genommen. Den einen hat sein Weg scheinbar stetig aufwärts geführt. Über schwierige<br />

Passagen hinweg und über etliche Hindernisse und Stolpersteine gelangte er vielleicht im<br />

Lauf seines Lebens über Schulzeit, Studium und Referendariat zur jetzigen Position des<br />

Lehrers für Schüler mit LB. Damit ist er sicherlich an einem Ziel, das er sich früher gesteckt<br />

hatte und von dort oben genießt er nun die Aussicht.<br />

Den anderen hat sein Weg scheinbar stetig abwärts geführt. Von schwierigen Verhältnissen in<br />

der Familie und der Umgebung hin zur Schule, in der er sich nie so recht wohlfühlte. Erst<br />

recht nicht, als er immer schlechter wurde, oder besser: als ihm immer schlechter wurde. 137<br />

Von den Lehrern, den Fächern, den Noten, den Mitschülern und schließlich von sich. Sein<br />

Abstieg begann und führte über das, seine Person in Frage stellende, Sitzenbleiben und die<br />

Diskriminierung durch andere hin zur Schule für LB, in die er „hinübergetestet“ wurde. Zum<br />

schulischen Abstieg kam auch der soziale, denn seine Freunde wollten ihn nun nicht mehr<br />

kennen und verachteten ihn und schallten ihn „Doofie“. Er selbst achtete sich auch kaum<br />

mehr und ließ diese Verachtung alle spüren, die mit ihm zu tun hatten.<br />

Diese zwei fiktiven Beispiele unterschiedlicher Wege sollen die Distanz veranschaulichen, die<br />

Lehrer und Schüler mit LB aufgrund ihrer Lebensgeschichte haben können. Der Lehrer wähnt<br />

sich förmlich oben auf während der Schüler mit LB unten durch ist. Die <strong>bei</strong>den leben in<br />

verschiedenen Welten, an verschiedenen Orten 138 , zwischen ihnen die Kluft der<br />

Vergangenheit. Diese Kluft ist umso breiter, je unterschiedlicher die Kindheiten und<br />

Erfahrungen der <strong>bei</strong>den waren. Die Kluft ist umso tiefer, je unvereinbarer die Gegensätze nun<br />

sind. Die Kommunikation ist erschwert, teilweise unmöglich auf diese Distanz. Man kann den<br />

anderen kaum sehen, geschweige denn hören. Oft will man dies auch nicht wirklich. Die<br />

Verzerrung der „anderen Seite“ ist unausweichlich, die Fehlurteile 139 vorprogrammiert.<br />

137 Diese Deutung des „schlechten“ Schülers nimmt MANN vor; vgl. MANN, 1989, S. 24<br />

138 HILLER sieht den Schüler mit LB im Keller des Bildungssystems; vgl. HILLER, 1989<br />

139 Vor Fehlurteilen aufgrund differenter Sozialisation warnt z.B. SPRINGER; vgl. SPRINGER, 1990, S. 13<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 30


Lehrer: „Die Schüler verstehen mich nicht, sie kapieren auch den Stoff überhaupt nicht. Mir<br />

ist das Verhalten des Schülers völlig unverständlich“. Schüler: „Ich versteh den Lehrer<br />

überhaupt nicht, und das ganze Zeug in den Büchern verstehe ich auch nicht. Ich glaub´, mich<br />

versteht sowieso keiner.“<br />

Lehrer und Schüler mit LB sind weit entfernt voneinander, sie können und wollen sich oft<br />

nicht verstehen. „Nur selten und vor allem nicht radikal genug machen wir uns klar, wie weit<br />

wir und unsere Lebenswelt von dem entfernt ist, was als Lebenswirklichkeit unsere Schüler<br />

erwartet, bzw. schon jetzt bestimmt.“ 140 Bei BAIER ist es der „differente Sozialcharakter“<br />

aufgrund der „extrem entfernten Sozialschichten“ 141 , der negative Auswirkungen auf den<br />

Sozialisationsprozeß der Schüler mit LB zeitigen kann. Als die vermutlich größte „soziale<br />

Distanz“ aller Schularten bezeich<strong>net</strong> gar BLEIDICK 142 die Entfernung zwischen dem Lehrer<br />

und den Schülern mit LB.<br />

Die Folge dieser Entfernung ist Entfremdung, Fremdheit. Diese kann sich z.B. ausdrücken in<br />

Unverständnis des jeweils anderen, in Fehlurteilen, Desinteresse, Gleichgültigkeit,<br />

Beziehungsstörungen und infolgedessen Lernstörungen der Schüler mit LB und<br />

Lehrstörungen des Lehrers. Der Entfremdungsprozess wird noch verstärkt durch den<br />

institutionellen Rahmen der Schule 143 und die Erwartungen der Gesellschaft an Lehrer und<br />

Schule.<br />

Ist diese Distanz zwischen Lehrer und Schüler mit LB unüberwindbar, schicksalhaft<br />

unumkehrbar, oder aber auch normal und den Umständen entsprechend akzeptabel? Der<br />

Lehrer zumindest, als ehemaliger Wissenschaftler, weiß wie sein Gegenüber auf der anderen<br />

Seite der Kluft aussieht und wie es dort hinkam. Wenig Anregung, schlechtes Elternhaus,<br />

sozio-kulturelle Benachteiligung, Teilleistungsschwächen und Schulversagen, Selbstwertprobleme<br />

usw. Daher ist der Schüler jetzt wenig belastbar, launisch, schlecht motivierbar,<br />

leidet an Konzentrationsmangel, visuellen Wahrnehmungsstörungen und an der Schule<br />

sowieso. 144 Doch genügt diese einseitige Betrachtung? Wird sie der Beziehung zwischen<br />

Lehrer und Schüler mit LB gerecht? Was weiß der Lehrer schon über den Schüler mit LB?<br />

„Du weißt nicht, wie schwer die Last ist, die du nicht trägst“ besagt ein afrikanisches<br />

140 HILLER, 1989, S. 25<br />

141 BAIER, 1972, S. 689<br />

142 BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 33<br />

143 durch die Rollenverteilung verschärft sich der Gegensatz zusätzlich; vgl. RÄUBER, 1998, S. 54<br />

144 die zumindest fragwürdige Haltung BAIERs zu dieser Distanz sei hier dargestellt: „Die Wissenschaft gibt<br />

dem Sonderschullehrer die Möglichkeit, sich nicht nur von dem Kleinkram, sondern auch von dem Elend, mit<br />

dem er täglich konfrontiert ist, zu distanzieren.“; BAIER in BAIER/ KLEIN, 1975, S. 236<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 31


Sprichwort. 145 Weiß denn der Lehrer wenigstens, wie schwer die Last ist, die er selbst trägt,<br />

oder gar wie wenig Last er tragen musste?<br />

An der Schule für Schüler mit LB treffen also zwei Anhänger unterschiedlichster Kulturen<br />

aufeinander und sollen nun miteinander nicht nur auskommen, sondern auch lernen - das<br />

erwartet man in erster Linie natürlich von den Schülern. Der Lehrer in der höheren Position 146<br />

weiß wo es langgeht und darf deswegen den Unterricht planen und durchführen, die Schüler<br />

nehmen daran teil. Doch was passiert tatsächlich im Unterricht?<br />

Beim Lehrer wie <strong>bei</strong>m Schüler mit LB werden gleichermaßen wunde Punkte berührt und<br />

schlafende Hunde geweckt durch die Beziehung zum jeweils anderen. Beim Lehrer sind es oft<br />

eigene Erfahrungen mit Erfolg und Versagen, verschüttete Unsicherheiten, symbiotische<br />

Wünsche an die Kinder, ablehnende Gefühle gegenüber Wertverweigerern, „gegenüber<br />

verwahrlosten Schmutzfinken, riechenden Bettnässern, ängstlichen Nägelkauern, schwachen<br />

Schülern, die hinterhältig abschreiben, kriminelle Täuschungsmanöver unternehmen oder<br />

sonstwie zu betrügen versuchen.“ 147 Beispiele für Beziehungsgefühle von Schülern mit LB<br />

finden sich z.B. in JEGGEs „Dummheit ist lernbar“. 148 Dort kommen Schüler zu Wort und<br />

beschreiben ihre Gefühle während ihrer Schulzeit. In diesem Buch werden die Probleme der<br />

Schüler auch unter dem Aspekt einer pädagogisch-therapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf Grundlage der<br />

Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB betrachtet.<br />

Das Stichwort „Beziehung“ möchte ich nun noch einmal 149 aufnehmen, denn auch sie hat<br />

ihren Platz in dem Bild von der Kluft. Die Beziehung ist das Seil, das sich zwischen Lehrer<br />

und Schüler über die Kluft spannt. Es kann dick oder dünn sein, straff gespannt oder locker<br />

durchhängend. Haltbares Tau oder dünner Bindfaden. Vielleicht auch gar nichts - wie oft<br />

finden Lehrer keine Beziehung zu manchen Schülern? Zu was ist dieses Beziehungsseil nun<br />

aber gut? Auf der einen Seite kann der Lehrer versuchen, den Schüler auf seine Seite zu<br />

ziehen. Als Grund könnte er angeben: „Ich will ihm doch nur aus seiner armseligen Welt<br />

herausholen und retten“. Möglicherweise aber denkt der Lehrer auch: „Der Schüler muss<br />

doch auf diese Seite, er soll doch integriert werden in die normale Welt und ein anständiges<br />

Leben hier führen können.“ Oder er zieht aus Versehen am Beziehungsseil, weil er es für<br />

selbstverständlich hält den Schüler dort abzuholen, wo er ist, und ihn dort hinzubringen, wo<br />

der Lehrplan, die Lernziele und Erwartungen der Gesellschaft es vorsehen.<br />

145 Zitat zu Beginn des Buches von Roswitha GEPPERT: Die Last, die du nicht trägst. München: Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, 1995<br />

146 da sie auch über die „staatlich sanktionierte Macht“ verfügen; WAGNER, 1997, S. 37<br />

147 BLOEMERS, 1995, S. 38<br />

148 JEGGE, 1983<br />

149 vgl. Kapitel 3.1<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 32


Andererseits kann der Lehrer auch versuchen, sich an dem Seil zum Schüler<br />

hinüberzuschwingen. Denn der Lehrer soll emphatisch sein können, die Welt aus der Sicht<br />

des Schülers sehen können und ihm auf diese Weise helfen. Die Gefahr des Scheiterns ist<br />

hoch, denn sehr groß ist der Schwung über die Kluft, zu wahrscheinlich ein Abstürzen des<br />

gutmeinenden Lehrers. Auch gut möglich ist, dass die Schüler die „Ankunft“ des Lehrers<br />

befremdlich finden. Was will er denn hier? „Der gehört hier gar nicht hin! Der tut doch nur<br />

so, als ob er uns verstehen will.“ Der Vorwurf der Un-Echtheit wäre schwer zu verkraften.<br />

Vielleicht sollte niemand mit Hilfe des Beziehungsseiles den anderen zu sich ziehen.<br />

Vielmehr wäre es von Nutzen, wenn man gleichsam viele Seile über die Kluft wirft, aus<br />

denen dann eine Brücke entstehen könnte. Durch diese Brücke könnten Lehrer und Schüler<br />

mit LB zueinander gelangen und sich verstehen lernen, ohne dass da<strong>bei</strong> einer von <strong>bei</strong>den<br />

seine Welt aufgeben oder für immer verlassen müsste. Durch die Brücke gestärkt wäre der<br />

Abgrund weniger bedrohlich und damit überwindbar geworden, ein Halt für <strong>bei</strong>de wäre<br />

geschaffen.<br />

Doch um Beziehungsseile und -angebote über die Kluft zu werfen bedarf es des Muts, in die<br />

Tiefe hinabzublicken. Man darf die Kluft nicht unterschätzen und eine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der<br />

Beziehung ist erst möglich dadurch, dass man weiß wie breit die Kluft ist und warum sie das<br />

ist, warum sie bedrohlich wirkt und wie man am besten ein Seil über bestimmte Stellen<br />

schlingt. Deshalb werde ich im nächsten Kapitel versuchen, die Kluft zu „vermessen“ und in<br />

einigen Bereichen zu bestimmen, ihre Beschaffenheit und Gewordenheit „auszuloten“.<br />

Meiner Meinug nach ist diese Kluft zu einem großen Teil die Folge unterschiedlicher<br />

Kindheiten des Lehrers und des Schülers mit LB. Andere Faktoren wie z.B. berufliche<br />

Sozialisation und Entfremdung durch den Unterricht bleiben <strong>bei</strong> der „Vermessung“<br />

unberücksichtigt.<br />

3.4 Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten<br />

Mit „Spannungsfelder“ meine ich die Bereiche der Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit<br />

LB, die lebensgeschichtlich bedingt sind und die durch ihre Verschiedenheit eine Spannung<br />

erzeugen.<br />

Die Wege, die Lehrer und Schüler mit LB zu ihren jetzigen Positionen geführt haben, wurden<br />

unterschiedlich deutlich nachgezeich<strong>net</strong>. Da<strong>bei</strong> fällt auf, dass deutlich mehr<br />

Wegbeschreibungen für Schüler mit LB existieren als für die Lehrer dieser Schüler. Eine<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 33


Langzeitstudie von WAGNER analysiert z.B. die Bildungsbiographien von Schülern mit<br />

LB. 150<br />

Bei KLEIN lassen sich biographische Rückblicke auf die „Karrieren“ von<br />

lernbehinderten Schülern finden 151 , aus denen ich eine exemplarisch zusammengefasst 152<br />

habe:<br />

Lebenslauf Robert (9 Jahre): Einschulung Grundschule, Wiederholung 1. Klasse, danach Überweisung in<br />

Schule für Lernbehinderte. Robert das zweitjüngste von acht Kindern in der Familie. Außer einem Bruder sind<br />

alle Kinder auf der Schule für Lernbehinderte. Eltern geschieden, Kinder aufgeteilt. Schwierige Wohnumgebung<br />

im Bahnhofsviertel, leiblicher Vater oft alkoholisiert, prügelnd, bedrohend. Familie war aus der DDR geflüchtet.<br />

Die Probleme, mit denen Schülern mit LB oft zu kämpfen haben sind unter anderem „beengte<br />

Wohnverhältnisse, materielle Not, Suchtprobleme der Eltern und häufiger Streit in der<br />

Familie“. 153 Diese Probleme kennt der Lehrer nur selten oder teilweise, selten aber in dieser<br />

konzentrierten Form. Für viele Lehrer ist es deshalb ein Schock und eine Erschütterung, wenn<br />

sie von den Schicksalen ihrer Schüler erfahren, sei es <strong>bei</strong>m Durchblättern der Akten oder aus<br />

erster oder zweiter Hand von Beteiligten. Ein Lehrer für Schüler mit LB, der Lernbehinderung<br />

im Unterricht mit den Schülern thematisiert hatte, schrieb darüber: „Was ich in den ersten<br />

Gesprächen zu hören bekam hat mich erschüttert. Ich hatte mir die schulischen Verletzungen,<br />

die man diesen Kindern zugefügt hatte, nicht so schlimm vorgestellt.“ 154 Der Lehrer hat somit<br />

ein Erfahrungs- und Informationsdefizit im Blick auf die Biographien der Schüler. Diese muss<br />

er verringern, indem er sich Informationen darüber verschafft, wie die Situation des Kindes ist<br />

und wie sie auf das Kind wirkt. 155 Das setzt aber voraus, dass man in Bezug auf sich kein oder<br />

kein großes Informationsdefizit mehr besitzt. Trifft das zu? Kennen wir uns schon so gut, dass<br />

wir uns an andere Biographien in verantwortungsvoller Weise heranwagen dürfen? Ist sich<br />

der Lehrer klar woher er kommt, wo er steht, wie weit er entfernt ist von seinen Schülern?<br />

Denn nicht nur deren Lebensgeschichte macht die Kluft breit, sein Leben und Werdegang ist<br />

zu gleichen Stücken daran beteiligt.<br />

HILLER hat den Weg des Lehrers für Schüler mit LB so dargestellt: „Lehrerinnen und Lehrer<br />

entstammen mehrheitlich diesem bürgerlichen Milieu. Familie und Verwandtschaft haben sie<br />

seit der frühen Kindheit in die Werte, Traditionen und Techniken einer bürgerlichen<br />

Lebensführung eingewöhnt. Schulischer Unterricht hat ergänzt, gefördert und differenziert,<br />

was von zuhause mitgebracht wurde. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die für den<br />

Erwerb solcher Allgemeinbildung unabdingbar sind, wurden für sie bis zum Abschluß ihrer<br />

150 WAGNER, 1997<br />

151 KLEIN, 1985<br />

152 vgl. KLEIN, 1985, S. 21-27<br />

153 KLEIN, 1985, S. 145<br />

154 FISCHER, 1975, S. 18<br />

155 vgl. SPRINGER, 1990, S 26<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 34


Examina bereitgestellt. Sie waren in diesem System erfolgreich und haben es mittlerweile zu<br />

etwas gebracht.“ 156<br />

Es besteht laut BAIER ein Zusammenhang von „grundlegenden Eigenerfahrungen im<br />

Sozialisationsprozeß der Kindheit“ 157 mit schichtspezifischen Ausprägungen und<br />

erzieherischen Aktivitäten des Lehrers. Umgekehrt formuliert könnte man für den Schüler<br />

sagen, dass ein Zusammenhang von grundlegenden Sozialisationserfahrungen und<br />

lernorientierten Aktivitäten im Unterricht besteht. Der Zusammenhang von Kindheit und<br />

späterem Verhalten wurde schon hinreichend in vorangegangenen Kapiteln erläutert und<br />

dürfte unstrittig sein.<br />

Zu diesen Feststellungen kommen noch die Erwartungen hinzu, die von der Außenwelt an<br />

Lehrer und Schüler gestellt werden und natürlich ihre Erwartungen an den jeweils anderen<br />

und an sich selbst. 158 Diese Erwartungen und verstärken die bereits bestehende Spannung<br />

noch. Der Lehrer kommt durch die facettenreichen Zuschreibungen stärker in Konflikt mit<br />

sich und seiner Position als er es vielleicht schon ist. Damit klafft nicht nur die Kluft noch<br />

mehr auseinander, sondern Lehrer wie Schüler sind mit den Spannungsfeldern durch ihre<br />

Lebensgeschichte und Erwartungen förmlich verwoben, drohen von diesen hinabgezogen zu<br />

werden oder auf Positionen gerückt zu werden, die nicht die ihren sind. Da<strong>bei</strong> wird das<br />

Beziehungsseil einer erheblichen Belastungsprobe ausgesetzt.<br />

Wenn man die bestehenden Spannungen betrachten möchte, kommt man unweigerlich auf<br />

eine Vielzahl der Diskrepanzen, von denen nur einige hier beleuchtet werden sollen. Für den<br />

Schüler sind die Unterschiede und Spannungen am deutlichsten im motivationalen, normativsozialen,<br />

kognitiven und sprachlichen Bereich. 159 Die Spannungen des Lehrers sind teils<br />

bewußt, teils unbewußt in seinen eigenen Äußerungen nachvollziehbar 160 :<br />

- „Ihr sollt doch aufpassen“ (Anpassung, Motivation, Gehorsam, Autorität des Lehrers)<br />

- „Ich nehme nur dran, wer brav ist“ (Norm, Sozialverhalten)<br />

- „Das Anheften an die Tafel dauert mit zu lange“ (Lernen, Leistung)<br />

- „Ihr wißt ja gar nicht, was ich will“ (Helfende Tätigkeit des Lehrers, Sprache)<br />

- „Du hast ja etwas verstanden!“ (Erfolgserleben, Lernen)<br />

156 HILLER, 1989, S. 88f<br />

157 BAIER, 1972, S. 681<br />

158 ein regelrechtes Netz an Erwartungen entfaltet BAIER. Z. B. der Lehrer als Begabungsgutachter,<br />

Sozialchancenverteiler, Sozialisationsagent, Künstler und Gärtner, Rationalist; vgl. ebd.<br />

159 Aufstellung nach HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 50<br />

160 geschlussfolgert aufgrund der Aussagen eines Lehrers in BLOEMERS, 1995, S. 213<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 35


Diese Spannungen sind wie bereits festgestellt auf „Sozialisationsdiskrepanzen“ 161<br />

zurückzuführen, mit denen man sich auseinander setzen muss, wenn man bemüht ist, eine<br />

Brücke zum Schüler aufzubauen. Damit einher geht das Bewußtmachen der „Ähnlichkeiten<br />

bzw. der Verschiedenheit seiner Prägung von der des Kindes“. 162 Durch diese Beschäftigung<br />

mit den vertrauten und den fremden Erfahrungen und Lebensgeschichten wird ein Weg zur<br />

Selbsterkenntnis eröff<strong>net</strong>, der an anderen Schultypen nicht in dieser Form möglich ist. Im<br />

„Defekt“ des Kindes kann der Lehrer seine „Defekte“ erkennen, kann die „Defekte“ der<br />

Schule und der Gesellschaft begreifen, denn diese spiegeln sich im Kind. 163<br />

Dahinter steckt die Grundspannung, welche die Schule für Schüler mit LB insgesamt<br />

beherrscht: es ist eine gesellschaftliche Spannung, die am Begriff der Lernbehinderung und<br />

der zugehörigen Schule kristallisiert. 164<br />

Die folgende Darstellung der Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten bezieht sich auf<br />

ein Spektrum der Erfahrungen, das im sonderpädagogischen Handeln von entscheidender<br />

Bedeutung ist. Genauer sind das die Bereiche Norm, Lernen, Herkunft, Liebe, Erziehung,<br />

Hilfe, Persönlichkeit und Aufwachsen. Die Spannung habe ich durch die Gegenüberstellung<br />

provokanter Zuschreibungen für Lehrer und Schüler mit LB verdeutlicht. HILLER hat Lehrer<br />

und Schüler mit LB als „Schwätzer und Stumme“ bezeich<strong>net</strong> 165 , für BEGEMANN drückte<br />

sich das asymmetrische Machtverhältnis gerade in der Gegenüberstellung dieser Pole aus. 166<br />

Bei den Gegenüberstellungen handelt es sich also um bewußt pauschalisierende Begriffe,<br />

welche die Spannungsfelder in überspitzter Form pointieren sollen. Da<strong>bei</strong> möchte ich in der<br />

jeweiligen Aufklärung nicht nur <strong>bei</strong> den Problemen verweilen, sondern auch die<br />

Möglichkeiten dieser Spannung herausar<strong>bei</strong>ten und ihre Bedeutung für die spätere<br />

„Brückenbildung“ über die Kluft betonen.<br />

Da die Literatur über Lehrer für Schüler mit LB sehr rar ist, werde ich oft auf Biographien<br />

und Ausschnitte aus dem Leben der Schüler mit LB zurückgreifen, um an diesen den<br />

Gegensatz zu beschreiben. Der Lehrer wird dann umso deutlicher, je mehr man das<br />

heraushebt, was er nicht erlebte.<br />

161 diesen Begriff verwendet SPRINGER; SPRINGER, 1990, S. 13<br />

162 SPRINGER, 1990, S. 26<br />

163 MANN, 1989, S. 161<br />

164 Lernbehinderung als „relationales Phänomen“ (BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 51)<br />

wird ausführlicher im Kapitel 3.5 erläutert<br />

165 HILLER, 1989, S. 89<br />

166 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 36


3.4.1 Normaler unterricht Un-Normale<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel der schulischen Norm während<br />

ihrer Schulzeit genügen konnten und keine „Normabweichungen“ (Sitzenbleiben,<br />

Überweisung an die Sonderschule, etc.) in ihrer Kindheit aufzeigten. 167<br />

Die Schule orientiert sich an Normen. Diese Normen sind teilweise festgeschrieben, teilweise<br />

im inoffiziellen Gebrauch und beziehen sich auf Verhalten, Wahrnehmung, Leistung,<br />

Sprache, Ausdruck, Lernen und den Charakter der Schüler im weitesten Sinne. Die für alle<br />

Schüler gemeinsame Grundschule unterliegt einer Mittelschichtorientierung meint<br />

BEGEMANN: „Die allgemeine Grundschule ist eine Mittelklasseninstitution, die an der<br />

Mittelschichtkultur orientiert ist.“ 168<br />

Wenn Schüler dieser Norm nicht entsprechen, betrachtet man sie als defizitär und mangelhaft.<br />

Man spricht zwar von Teilleistungsschwächen oder Störungen in bestimmten Bereichen, doch<br />

läuft der Prozess der Stigmatisierung allzu oft auf das Etikett „lernbehindert“ hinaus. Was und<br />

wer jedoch „lernbehindert“ ist, hängt von den „allgemeinen Wertsetzungen, Erwartungen und<br />

Gewohnheiten in der Gesellschaft“ ab und ist daher eine relatives Kriterium. So wird<br />

normabweichendes Verhalten zur Erhaltung dieser Gesellschaft sanktioniert und mit dem<br />

Begriff der „Lernbehinderung“ in Sonderschulen verwaltet. 169<br />

Die Lehrer für Schüler mit LB im Gegensatz dazu sind in der Regel erfolgreiche Durchläufer<br />

des Systems und haben bisher in jeder Hinsicht die Norm und die an sie gestellten<br />

Erwartungen erfüllt. „Als Unterrichtspersonal wird nur zugelassen, wer nachweislich<br />

gesetzlichen Normen überdurchschnittlich genügt und - solchermaßen erfolgreich - sich in<br />

aller Regel mit ihnen auch identifiziert.“ 170 Der Lehrer als Ideal der Lehrperson, als<br />

herausragender Vertreter schulischer Norm gegenüber dem mangelhaften Schulversager, dem<br />

Bodensatz des Schulsystems. Diese krasse Gegenüberstellung wird häufig deutlich in<br />

Etikettierungen <strong>bei</strong>der Seiten. Während der Lehrer für Schüler mit LB allerlei positive<br />

Zuschreibungen erhält und sein Berufsbild ethisch auf ein Podest gehieft wird, erfährt der<br />

Schüler im gleichen Maße Zuschreibungen negativer Art, die sich z.B. in Beschreibungen der<br />

Schüler durch die Lehrer ausdrücken: aggressiv, introvertiert, geltungsbedürftig,<br />

Milieuschaden, usw.<br />

167 die Thesen zu Beginn der Unterkapitel sind in Anlehnung an die fünf Thesen Gottfried HILLERs, der damit<br />

sein Konzept einer Öffnung von Schule zu einer realitätsnahen Schule erläutert; vgl. HILLER, 1989, S. 15-45<br />

168 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 82<br />

169 vgl. EBERWEIN, 1975, S. 70ff<br />

170 HILLER, 1989, S. 12<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 37


Den Prozess der Normverletzung beschreibt BLEIDICK anschaulich 171 und die verschiedenen<br />

Aspekte seien hier noch einmal referiert. Da<strong>bei</strong> soll klar werden, welche Erfahrungen der<br />

Lehrer für Schüler mit LB in der Regel nicht gemacht, welche andere Vergangenheit er damit<br />

hatte als seine Schüler. „Normalerweise“ beginnt der Kreislauf schon in den<br />

Ausgangsbedingungen: Elternhaus und Schule der späteren Kinder mit LB haben<br />

unterschiedliche Norm- und Wertsysteme, nicht nur weil die Schule eine<br />

Mittelschichtinstitution ist und die Kinder überwiegend aus der Unterschicht kommen. 172 Was<br />

einhergeht damit ist eine differente Sprachwelt. 173 Oft drückt sich das schulische Versagen der<br />

Schüler mit LB in sprachlichen Bereichen aus, wo<strong>bei</strong> sie vor allem in der Rechtschreibung die<br />

Norm unterschreiten. Aber auch im mündlichen Sprachgebrauch sind diese Schüler<br />

benachteiligt, sie sind in den Augen der Lehrer „minderbefähigt“. 174 Dies mag auch seinen<br />

Grund haben in der eigenen Sozialisation des Lehrers, der aufgrund seiner<br />

Mittelschichtvergangenheit gelernt hat, sich den sprachlichen Gepflogenheiten und Normen<br />

der Schule anzupassen und diese zu vertreten. Damit sind Mißverständnisse und Konflikte<br />

zwangsläufig, denn der Lehrer versteht die Sprache der Schüler nicht und die Schüler<br />

verstehen die Sprache des Lehrers nicht. Die Übersetzung der Schülersprache kann und will<br />

der Lehrer für Schüler mit LB mitunter nicht leisten. 175 Denn er hat Sprache anders erfahren:<br />

in seinem Elternhaus, mit Geschwistern, Freunden, in der Schule und danach im Studium<br />

bewegte er sich in einer Sprachwelt, die sich immanent von der Sprachwelt der Schüler mit<br />

LB unterscheidet. Er hat gelernt Konflikte verbal auszutragen, seine Gefühle sprachlich<br />

auszudrücken, Lob und Tadel durch Sprache zu kommunizieren und insgesamt mehrheitlich<br />

Kommunikation auf dem sprachlichen Bereich auszuüben. Ganz anders die Schüler mit LB:<br />

sie haben gerlent, Konflikte physisch auszutragen, ihre Gefühle in anderen Formen zu zeigen,<br />

Anerkennung und Kritik durch nichtsprachliche Mittel zu zeigen und insgesamt auch andere<br />

Wege der Kommunikation zu nutzen. Die daraus entstehende Diskrepanz wird noch vertieft<br />

durch die Anforderungen der Schule, die in unterrichtlichen Leistungen einseitig auf<br />

sprachliche Leistungsnachweise pocht. So muss sich der Lehrer für Schüler mit LB als<br />

Angehöriger und Kind der Mittelschicht fragen, ob er dem Unterschichtkind hilft, wenn er<br />

versucht, ihm die Mittelschichtsprache anzulernen. 176<br />

171 er stellt da<strong>bei</strong> ein Modell LÖSELs vor; vgl. BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 198<br />

172 NEUßER, 1987, S. 27<br />

173 darin sieht BEGEMANN einen wesentlichen Faktor der Benachteiligung; vgl. BEGEMANN, 1970, S. 118f<br />

174 BEGEMANN, 1970, S. 122<br />

175 vgl. BAUDE, 1975, S. 18<br />

176 ebd.<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 38


Vertraute und fremde Welt zeigt sich für den Lehrer aber nicht nur innerhalb der Sprache,<br />

sondern auch in der Interaktion. „Ein Lehrer, der aus der Geborgenheit einer gepflegten<br />

mittelständischen Familie kommt, hat wenig Erfahrung mit solchen Kindern und kann unter<br />

Umständen ihr Verhalten als ein Symptom ernsthafter Anpassungsschwierigkeiten werten.“ 177<br />

Formen der Interaktion die aggressive Anteile haben, in denen physische Auseinandersetzung<br />

stattfindet, die mit rüdem Ton geführt werden, sind dem Lehrer verpönt. Er lehnt diese auch<br />

ab, weil er selbst dieses Verhalten in der Kindheit nicht praktizierte oder praktizieren durfte.<br />

Für diese Verhaltensformen wäre er sicherlich bestraft worden von Lehrern und Eltern<br />

gleichermaßen und daher unterließ er sie. Daraus verständlich ist es, dass er dieselben<br />

Verhaltensformen auch <strong>bei</strong> seinen Schülern unterbinden möchte und ihnen die<br />

Konfliktlösekompetenzen lehren will, welche die seinen sind, die er für die richtigen hält.<br />

Andere Lebensformen kann er nicht oder nur ungern akzeptieren, unterscheiden sie sich doch<br />

oft erheblich von denen, die er erfahren hat, die er als Kind erlebte. Es zeigt sich, dass es der<br />

Lehrer für Schüler mit LB mit anderen Formen von Respekt, Solidarität und gegenseitiger<br />

Verläßlichkeit konfrontiert wird, also mit anderen Formen der Interaktion zu tun hat, als er sie<br />

bisher von sich und anderen kannte. 178 Die extremste Ausprägung der Fremdheit erfährt der<br />

Lehrer im Kontakt mit ausländischen Schülern, die an Schulen für Schüler mit LB<br />

überproportional vertreten sind. Sie scheinen der deutschen Norm in vielerlei Hinsicht nicht<br />

zu entsprechen, angefangen vom Aussehen über die Sprache, das Verhalten und die<br />

Interaktion. 179 Die wenigsten Lehrer für Schüler mit LB sind Ausländer und somit können die<br />

wenigsten nachvollziehen, wie es ist als Fremder in einer fremden Umgebung zu sein, weit<br />

entfernt von der eigenen Vergangenheit. Diese Erfahrungen kennt der Lehrer nicht, er musste<br />

nicht flüchten, sein Heimatland verlassen und alles zurücklassen um dann am Ziel der Reise<br />

zu erleben, dass er nicht den Erwartungen entspricht, welche die deutsche Gesellschaft an ihn<br />

stellt. In ausländischen Schüler mit LB kristallisieren viele Formen der „normabweichenden“<br />

Fremdheit, die dem Lehrer aus eigener Erfahrung nicht vertraut ist.<br />

Die Folgen des Kreislaufes, den Schüler mit LB durchlaufen sind an erster Stelle das<br />

Sitzenbleiben. Die Schüler erhalten das Gefühl aus der Norm herausgefallen zu sein 180 , nicht<br />

mehr zur „normalen“ Umgebung dazuzugehören. Der Abstieg führt in vielen Fällen zur<br />

Schule für Schüler mit LB, die Schüler sind dann maximal entfremdet von ihrer Umgebung,<br />

von sich selbst.<br />

177 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />

178 vgl. HILLER, 1989, S. 31<br />

179 siehe dazu den Artikel von KLEMM, 1987, S. 18-21<br />

180 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 39


Der Lehrer für Schüler mit LB hat andere Erfahrungen gemacht, ist nicht sitzengeblieben und<br />

wurde nicht an die Schule für Schüler mit LB überwiesen. Er hat in einer von der Gesellschaft<br />

akzeptierten und honorierten Lebensform gelebt, die er nun als Repräsentant dieser<br />

Gesellschaft den Kindern lehren will. Die Eigenwelt der Schüler mit LB kann der Lehrer nicht<br />

verstehen, sie ist ihm fremd, unbekannt und sogar bedrohlich. Damit wird der Lehrer zum Teil<br />

eines Prozesses, den HILLER als „Kulturimperialismus“ bezeich<strong>net</strong>. Aufgrund seiner<br />

andersartigen Vergangenheit und im Bewußtsein der Richtigkeit der Lehrpläne und<br />

Richtlinien betätigt er sich als Normalisierer, als Kolonialisierer der fremden und falschen<br />

Welt, er beraubt in dieser Zwangsintegration die Schüler ihrer Herkunft oder setzt sie in<br />

Widerspruch zu dieser. 181 Seine „Mission“ ist klar umrissen und im Gepäck hat er die guten<br />

Früchte seiner eigenen Sozialisation, die er unter die bedürftigen und vernachlässigten<br />

Schüler mit LB verteilen will.<br />

Dem Lehrer fehlen in seinem stratozentrischen Denken und Handeln jedoch die „Erfahrungen<br />

und Kenntnisse, die aus einer kontinuierlichen Teilhabe an der „Kultur“ stammen, die dort<br />

entsteht, wo Leben unter auf Dauer gestellten, belastenden Bedingungen sich vollzieht.“ 182<br />

Nur mit dem im Studium erworbenen „Reiseführer LB“ in der Hand macht er sich auf, die<br />

Welt zu verbessern und meint damit die Schüler.<br />

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Schüler mit LB? Sie sind Kinder, deren<br />

Grundbedürfnisse unzureichend oder gar nicht befriedigt wurden 183 und die nun in einen<br />

neuerlichen Konflikt geraten: sie befinden sich durch das Handeln des Lehrers in einer<br />

„permanenten Identitätskrise“ 184 und einer Entfremdung von sich und ihrer Herkunft 185 , da<br />

ihre „Schmuddelwelt“ in den Augen der Lehrer vermieden werden muss. Sie stehen unter<br />

Übernahmedruck - in der Wirtschaft hieße das: Gefahr der feindlichen Übernahme. Ihre<br />

Reaktionen können von Rückzug, offensiver Abwehr, über Frustration, Resignation, und<br />

Kapitulation reichen. 186<br />

Das Geschehen an der Schule für Schüler mit LB gelangt damit an einen toten Punkt. Die<br />

Lehrer sind frustriert aufgrund ihrer vergeblichen Bemühungen, den Schülern das Heil zu<br />

bringen, die Schüler sind frustriert infolge ihrer vergeblichen Bemühungen, akzeptiert zu<br />

werden. „In der Schule werden und sind sie als Lehrer und Schüler zusammengezwungen,<br />

einander ausgeliefert, wo<strong>bei</strong> die Machtverhältnisse klar definiert sind. Was Geltung hat und<br />

181 vgl. HILLER, 1989, S. 22<br />

182 ebd., S. 21<br />

183 ebd., S. 167<br />

184 EBERWEIN, 1975, S. 72<br />

185 dies betrifft vor allem ausländische Schüler mit LB; vgl. KLEMM, 1987<br />

186 externalisierende und internalisierende Verhaltensweisen sind möglich; vgl. BÄRSCH, 1987, S. 28<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 40


sich Geltung verschafft, ist die bürgerliche Normalität. Verständlich, daß diejenigen<br />

verstummen, deren Lebenserfahrungen und -formen, deren Vernunft, deren Symbole, deren<br />

Interessen und deren Strategien zur Bewältigung ihrer Probleme nicht vorkommen.<br />

Verständlich auch, daß die Repräsentanten der Normalität als Schwätzer erscheinen. Von<br />

Gemeinsamkeit kaum eine Spur; symmetrischer Dialog wird zur Fiktion, ihm fehlt die<br />

Basis.“ 187<br />

Der Lehrer ist Gefangener seiner eigenen Geschichte, seiner erworbenen „Normalität“, die<br />

ihm den Zugang zu seinen Schülern versperrt. Er sitzt wie ein Vogel in seinem eigenen<br />

goldenen Käfig. 188 Seine „schichtspezifisch blockierte Bereitschaft zum Verständnis<br />

subkultureller Erfahrungen und Lebensläufe“ 189 hindert ihn das wahrzunehmen. Doch er hat<br />

den Schlüssel zu diesem Gefängnis längst in der Hand: die Achtung vor dem Schüler! Die<br />

Achtung vor dem Anderen, dem Fremden. 190 Die Achtung vor anderer Herkunft, anderen<br />

Lebensformen, anderer Sprache, anderen Verhaltensformen, anderem Aussehen. Die Achtung<br />

des ihm fremden Schülers hat zur Vorbedingung aber die Kenntnis dessen, was ihn fremd<br />

macht: der Gegensatz zur eigenen Welt, zur eigenen Kindheit, zur eigenen Herkunft, zur<br />

Sprache und zum Verhalten erst macht ihn zum Fremden. Der Lehrer kann den Schüler<br />

erkennen und achten wenn er sich selbst erkennt und achtet. Dies ist der erste Schritt zu einem<br />

Dialog zwischen Schüler und Lehrer, dies kann das erste Seil sein, dass über die Kluft<br />

geworfen wird.<br />

3.4.2 Erwachsener unterrichtet Kinder<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel den Schülern als erwachsener Part<br />

gegenüberstehen, die aber mit sich und mit den Schülern in psychische Konflikte aus der<br />

Kindheit verstrickt sind, deren Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen erheblich ist.<br />

Welche Meinung hatte ich als Kind zu „Lernbehinderten“? Hatte ich überhaupt Erfahrungen<br />

mit solchen Schülern? Diese Fragen könnte sich jeder Lehrer für Schüler mit LB stellen, doch<br />

warum sollte er? Weil es von entscheidender Bedeutung ist, was wir in unserer Kindheit<br />

gelernt, erfahren und erlitten haben, das meint nicht nur die Psychoanalyse. 191 Als Kind habe<br />

187 HILLER, 1989, S. 89<br />

188 sie sind von ihrer „idealen Lebensführung“ gefangen; ebd., S. 15<br />

189 GRAF-DESERNO, 1981, S. 92<br />

190 was passiert, wenn diese nicht vorhanden ist beschreibt GARLICHS in ihrem Schülerhilfeprojekt; vgl.<br />

GARLICHS, 2000, S: 27<br />

191 vgl. Kapitel 2.2<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 41


ich vielleicht auch gelästert über die „Doofen“, die „Spastis“ in der Klasse, über die Kinder,<br />

die immer in den gleichen Klamotten zur Schule kamen und oft stanken. Neben denen wollte<br />

ich auf keinen Fall sitzen. Doch heute bin ich ja Lehrer für Schüler mit LB und durch das<br />

Studium und meine veränderte Einstellung diesen freundlich gesonnen, oder? „Was Hänschen<br />

nicht lernt...“ oder aber, um es mit den Worten eines verstorbenen Politikers zu formulieren:<br />

„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“<br />

Das Kind lebt weiter im Erwachsenen, als inneres Kind meldet es sich oft zu unangebrachten<br />

Zeiten zu Wort. Gerade ein junger Lehrer, der den „Frontenwechsel“ 192 vollziehen muss wird<br />

dies spüren, wenn er sich weder als Schüler, noch als Lehrer fühlt, weder als Kind noch als<br />

Erwachsener. In der Schule scheint aber die Sachlage klar zu sein: der Schüler ist das Kind,<br />

der Lehrer ist der Erwachsene, niemand würde diese Selbstverständlichkeit anzweifeln<br />

wollen. Doch sind Lehrer qua Rolle reife „Erwachsene“ fragt TIMPNER? 193 „Erwachsen“-<br />

Sein zeigt sich für GARLICHS im „Zurücklassen der infantilen Welt durch genügend gute<br />

Objektbeziehungserfahrungen“. Der Aufbau eines „Kernidentitätsgefühls“ und eines guten<br />

Selbst ist davon abhängig, er führt zum „Ent-wachsen“ zum „Er-wachsen“-Sein. 194<br />

Doch BRÜCK sagt, dass der Lehrer im Unterricht vor zwei Kindern stehe, denn seine in ihm<br />

verbliebene, angstbesetzte Kindlichkeit und seine Erwachsenheit stehen der originalen<br />

Kindlichkeit des Schülers gegenüber. 195 Der Lehrer ist somit nur bedingt erwachsen 196 , und<br />

eine innere Kluft zwischen seinem inneren Kind und seinem inneren Erwachsenen tut sich<br />

auf. Die innere Topographie des Lehrers ist aber noch vielfältiger, sie bietet ein wahrhaft<br />

zerklüftetes Bild: er soll gleichzeitig Vater, Lehrer, Bruder, Vermittler, Berater, Freund,<br />

Neutraler Diagnostiker und vieles andere sein. 197 Die Ambivalenzen zwischen den<br />

verschiedenen Ansprüchen kreisen damit stets um die Ambivalenz von Nähe und Distanz.<br />

Diese erfüllt auch die Beziehung zu seinem eigenen inneren Kind. Während dieses Nähe zu<br />

ihm und den Schülern sucht, will sein innerer Erwachsener Distanz zum inneren Kind und den<br />

Schülern vor ihm.<br />

Diese persönlichen Widersprüche und Konflikte werden jedoch in der Schule ausgesperrt, sie<br />

dürfen dort keinen Platz haben. 198 Durch die Verdrängung dieser Anteile verstärkt sich ihre<br />

Wirkung, durch die Unbewußtheit verstrickt sich die emotionale Situation noch mehr.<br />

Bestimmte Bereiche im Denken des Lehrers werden somit zu „blinden Flecken“. Durch<br />

192 <strong>bei</strong> BURI heisst dies: „Übersetzungsprozess“; BURI, 1988, S. 9<br />

193 TIMPNER, 1999, S. 24<br />

194 GARLICHS, 2000, S. 164<br />

195 vgl. BRÜCK, 1979, S. 37<br />

196 ebd., S. 41<br />

197 diese und andere Ambivalenzen beschreibt SCARBATH, 1999, S. 18<br />

198 BLOEMERS, 1995, S. 214<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 42


abweichendes Schülerverhalten werden sie aber immer wieder aufs neue berührt und führen<br />

zu einer Versuchungssituation 199 , die alte, verdrängte Gefühle wiederaufleben lässt und zu<br />

Überreaktionen des Lehrers führen kann. Im schlimmsten Fall kann diese Situationen<br />

Handlungsunfähigkeit des Lehrers auslösen, der sich des zugrunde liegenden Konflikts nicht<br />

bewußt ist. 200<br />

Das psychoanalytische Modell geht von der Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen für den<br />

Menschen aus. Auf die Schule bezogen sagt NEIDHARDT dass pädagogische Situationen<br />

immer ein Wiederaufleben früher Erziehungssituationen von Lehrern und Schülern<br />

hervorrufen. 201 Das Wort von der „Wiederbelebung“ ist in diesem Zusammenhang von<br />

Wichtigkeit, wenn er schreibt: „...in der Begegnung mit den Kindern kommt es <strong>bei</strong>m Lehrer<br />

zu einer unbewußten Wiederbelebung all der ungelösten Trieb-, Gefühls- und<br />

Einstellungsvorgänge seiner eigenen Kindheit.“ 202 Diese ungelösten Konflikte können<br />

unterschiedlicher Art sein und sich in unterschiedlichen Formen ausdrücken. So ist das Gefühl<br />

der Ohnmacht, das der Lehrer als Kind erfuhr, noch handlungsleitend für seinen Unterricht,<br />

wenn z.B. seine Schüler nicht besser sein dürfen als er selbst. 203 Seine eigene Ohnmacht wird<br />

zur Ohnmacht der Kinder, er wiederholt das, was er erlebte.<br />

Auch in der „Verschiebung“ kann sich ein ungelöster Konflikt ausdrücken: „der an eine<br />

Vorstellung geknüpfte Affekt wird auf eine harmlosere Sache verschoben, an der sich die<br />

psychische Energie angstfreier entladen kann.“ 204 Gemäß dem Motto „Wie er mir, so ich dir“<br />

kommt der Lehrer für Schüler mit LB in Gefahr, seine eigenen Aggressionen gegenüber<br />

Vorgesetzten oder Kollegen an den Schülern auszulassen, die ihm ausgeliefert sind. Viele<br />

persönliche Konflikte können sich so auf die Schüler mit LB verschieben 205 , ebenso natürlich<br />

die Konflikte der Schüler auf den Lehrer.<br />

Eine weitere Gefahr für den Lehrer ist die der „Projektion“. „Der Mensch kann eigene<br />

Impulse nicht in seinem inneren wahrnehmen, sondern erlebt sie von außen kommend oder an<br />

anderen. [...] Er bekämpft in anderen seine eigenen, von ihm abgelehnten<br />

Persönlichkeitsmerkmale.“ 206 Dieser Mechanismus greift an der Schule für Schüler mit LB,<br />

wenn der Lehrer die Schüler als aggressiv einstuft und versucht, Aggressionen in ihrem<br />

Verhalten zu unterbinden, sich selbst aber für weitgehend aggressionsfrei hält. Der Grund<br />

199 SCARBATH, 1999, S. 20<br />

200 mit der Handlungsunfähigkeit beschäftigte sich BRÜCK eingehend; vgl. BRÜCK, 1979<br />

201 vgl. NEIDHARDT, 1977, S. 62<br />

202 ebd., S. 63<br />

203 dieses Beispiel bringt HOFMANN; vgl. HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 47<br />

204 SINGER, 1988, S. 74<br />

205 vgl. TIMPNER, 1999, S. 22<br />

206 SINGER, 1988, S. 76f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 43


dafür könnte sein, dass er selbst als Kind selten oder nie aggressiv sein durfte, weil seine<br />

Eltern und Lehrer ihn dazu angehalten haben.<br />

Die „Rationalisierung“ ist eine weitere Abwehrhaltung: „Für Verhaltensweisen<br />

werden vernünftige Argumente vorgegeben, während in Wirklichkeit andere, zum Teil<br />

unbewußte Motive dahinterstecken.“ 207 Uneingestandene, unbewußt wirkende Machtmotive<br />

prägen oftmals die Unterrichtsszenen an der Schule für Schüler mit LB. Als rational<br />

einwandfreie Aussagen getarnt drückt der Lehrer seinen Machtanspruch aus z.B. sagt: „Jetzt<br />

müsst ihr gut aufpassen und still sein, damit man auch alles deutlich versteht“ und meint „Ich<br />

will dass ihr still seid!“<br />

Neben diesen grundlegenden Abwehrmechanismen existieren auch noch weitere Formen, die<br />

unbewußte Konflikte transportieren. Eine davon ist die Übertragung auf den Lehrer durch das<br />

Kind. Dies geschieht, wenn das Kind Erfahrungen wiederholt oder wiederholen will, die es<br />

mit früheren Bezugspersonen, z.B. dem Vater, erlebt hat. 208 Die daraus entstehende<br />

Konfliktsituation kann sich noch verschärfen, wenn eine Gegenübertragung stattfindet, <strong>bei</strong><br />

welcher der Lehrer auch Erfahrungen aus seiner Vergangenheit wiederbelebt und diese auf<br />

das Kind überträgt.<br />

Die bereits angesprochene verbliebene Kindlichkeit des Lehrers 209 kann sich mit Macht in der<br />

neuen Schulsituation ausdrücken. Die eigenen Schulerfahrungen des Lehrers strukturieren<br />

dann unbewußt seine Handlungen und die Beziehung zu seinen Schülern. Er konnte in der<br />

Schule seine Kindlichkeit nicht ganz entfalten und diese stagnierte auf einer bestimmten<br />

Stufe. Dadurch aber, dass der Lehrer seine verbliebene Kindlichkeit verleug<strong>net</strong>, wird sie erst<br />

zum „Unwesen“. 210 Die durch den Schüler und seine originale Kindlichkeit und die daraus<br />

entstehende „Versuchungssituation“ geweckte eigene verblieben Kindlichkeit verdrängt er<br />

aber, er wehr sie ab und bekommt Angst vor ihr. Sie darf nicht zugelassen werden, sagt ihm<br />

der innere Erwachsene. Die Angst vor der eigenen Identität mit all ihren Schattierungen treibt<br />

den Lehrer mitsamt seinen Schülern in immer neue Verstrickungen und unbewußte<br />

Wiederholungszwänge.<br />

Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der Schule für Schüler mit LB wird überspannt von einem undurchdringlichen<br />

Netz der emotionalen Verstrickungen, das durch die Verdrängung und Verleugnung desselben<br />

noch gefährlicher wird. Es wird bestritten, was offensichtlich ist, eine pädagogische<br />

Beziehung in diesem Gewirr scheint unmöglich zu sein.<br />

207 ebd., S. 80<br />

208 Beispiele finden sich in SCHRAMLs Werk zu Tiefenpsychologie; vgl. z.B. SCHRAML, 1971, S. 147<br />

209 vgl. Kapitel 2.4.2<br />

210 BRÜCK, 1979, S. 183<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 44


Und doch ist es gerade diese Situation, aus der neue Beziehungen erwachsen können, an der<br />

Lehrer und Schüler gleichermaßen wachsen können. Der unausgesprochene Wunsch des<br />

Lehrers nach Ganzheit, Integration und Aussöhnung mit sich kann in Erfüllung gehen durch<br />

die Erfahrung schwieriger Situationen. Denn diese produzieren ängstigende, verunsicherende,<br />

beklemmende, traurige, frustrierende, lähmende und aggressive Gefühle im Lehrer. Gerade<br />

das ist seine Chance - den in der Akzeptanz dieser Gefühle in ihm lernt er sich selbst umso<br />

besser kennen. Jeder Konflikt, jede Auseinandersetzung mit einem Schüler birgt für ihn eine<br />

Erkenntnis über ihn selbst.<br />

3.4.3 Musterschüler unterrichtet Lernbehinderte<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel eine erfolgreiche<br />

Lernvergangenheit hinter sich haben und die in ihrer Kindheit kaum oder nie von<br />

Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen betroffen waren.<br />

„Es war immer ein Makel, mit den „Doofen“ zu tun zu haben. [...] Wir ließen sie nicht<br />

mitspielen. Wenn sie weinten, lachten wir sie aus.“ 211 So schreibt eine bekannte Lehrerin für<br />

Schüler mit LB in der Rückblende auf ihre eigene Schulzeit. Iris MANN stellt in ihrem Buch<br />

„Schlechte Schüler gibt es nicht“ 212 den Zweck der Notengebung in Frage. Sie sagt, das<br />

beständige Schielen nach den richtigen Antworten hätte <strong>bei</strong> ihr das Lernen sozialer<br />

Verhaltensweisen in der Grundschule verhindert. 213 Schulischer Lernerfolg als Ergebnis<br />

möglichst richtiger Antworten? Lernen bedeutet doch mehr als nur richtig und falsch?!?<br />

Ohne die schulische Definition von „Lernen“ kann man feststellen, dass Lernen immer als<br />

Erweitern des Eigenen am Fremden stattfindet. 214 In der Konfrontation mit der fremden<br />

Methode, Sichtweise, Prozedur, etc. und dem, was man bereits weiß, also dem Vertrauen,<br />

entsteht etwas neues, individuelles - Lernen! Jeder Mensch hat deshalb seinen eigenen,<br />

unverwechselbaren Zugang zu seinem Lernen, jeder Mensch hat eine andere Art zu lernen<br />

und auch eine andere Motivation, die ihn dazu antreibt.<br />

Der Lehrer für Schüler mit LB bringt im Gegensatz zu den meisten anderen<br />

Berufsangehörigen eine einzigartige Vorerfahrung mit 215 : er war selbst ein Lernender in der<br />

Schule, er hatte selbst Lehrer, die Lernen <strong>bei</strong> ihm bewirkten, er hat selbst Erfahrungen mit<br />

211 MANN, 1989, S. 31<br />

212 ebd.<br />

213 vgl. ebd., S. 31<br />

214 davon geht BURI aus; vgl. BURI, 1988, S. 108<br />

215 ebd., S. 4<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 45


Erfolg und Mißerfolg im Lernen gemacht. Eigentlich ist er prädestiniert für seinen Beruf!<br />

Etwaige Berufswünsche aufgrund der eigenen Lernbiographie sind vor diesem Hintergrund<br />

nachvollziehbar. BURI teilt die Ergebnisse ihrer dahingehenden Studie in folgende<br />

Kategorien ein 216 :<br />

- negative Erfahrungen - es besser machen wollen<br />

- ging gerne zur Schule - Freude am Lernen, anderen etwas zeigen<br />

- Lehrer und Lehrerinnen in der Familie<br />

- Bestimmte Lehrerinnen und Lehrer als Vorbilder<br />

- Schon als Kind wollte ich...<br />

- Kein Zusammenhang zwischen Lernbiographie und Berufswahl<br />

Die überwiegende Mehrheit der befragten Lehramtstudenten beurteilten ihre Schulzeit als<br />

mehrheitlich positiv (52%), der zweitgrößte Anteil der Studenten bewertete die eigene<br />

Schulzeit als ambivalent und durchwachsen (40%) und nur wenige befanden ihre Schulzeit als<br />

negative Erfahrung (8%). 217<br />

In ihrer Studie betont BURI auch den Einfluss der unbewußt ablaufenden Sozialisation, durch<br />

welche die Lehrer einen Großteil ihrer Verhaltensweisen „erlernen“. 218 Desweiteren geht sie<br />

auch der Frage nach dem persönlichen Lernkonzept der Studenten auf den Grund. Ihr<br />

Ergebnis ist ernüchternd, denn demnach hat die Mehrzahl der Befragten kein Lernkonzept.<br />

Ich fasse das bisher gesagte noch einmal zusammen: Berufsmotivationen der Lehrer können<br />

der eigenen Lernerfahrung in der Schulzeit entspringen, die für die große Mehrheit der<br />

angehenden Lehrer positiv oder durchwachsen verlaufen ist. Viele Verhaltensweisen haben<br />

die Lehrer innerhalb ihrer Sozialisation unbewußt erworben, ein schlüssiges Lernkonzept<br />

jedoch haben die wenigsten.<br />

„Dass die individuellen Lernerfahrungen aus der eigenen Schulzeit die spätere<br />

Unterrichtstätigkeit beeinflussen, dürfte wohl kaum ernsthaft in Zweifel gezogen werden.“ 219<br />

Dazu gehört auch das Bild vom Lehrer, BRÜCK bezeich<strong>net</strong> es als „Lehrerimago“. 220 Oft ziele<br />

das pädagogische Handeln des Lehrers darauf ab, „...der beste Lehrer für einen selbst gewesen<br />

sein zu wollen.“ 221 Das Lehren des Lehrers ist also beeinflusst von seinem eigenen Lernen,<br />

von seinen ehemaligen Lehrern, von seiner Umwelt, von seiner Idealvorstellung vom Lehrer<br />

216 ebd., S. 78f<br />

217 ebd., S. 77<br />

218 ebd., S. 8<br />

219 ebd., S. 2<br />

220 BRÜCK, 1979, S. 313<br />

221 BURI, 1988, S. 2<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 46


und von seinen vorhandenen eigenen Lernmethoden, die er sich früher erworben hat oder<br />

auch nicht.<br />

Im Kontrast zur Lernbiographie von Schülern mit LB lässt sich nun sehr gut nachvollziehen,<br />

welche Erfahrungen der Lehrer wahrscheinlich nicht gemacht hat oder machen musste. Die<br />

Schüler mit LB haben durchweg schlechte Erfahrungen mit Lernen und Lehrern gemacht.<br />

Angefangen vom „Hinterherhängen“ zu Beginn der Schulzeit, über schlechte Beurteilungen<br />

und Noten, Diskriminierungen durch Lehrer und Schüler, Bloßstellen vor der Klasse 222 ,<br />

Enttäuschung der Eltern und Verwandten, ungerechten Bestrafungen 223 , keiner Unterstützung<br />

durch Lehrer und schließlich dem Abstempeln und Wegschicken in die Schule für Schüler mit<br />

LB verläuft die Lern-„Karriere“ stetig bergab. Eine Vorstufe der Abwertung ist das<br />

Sitzenbleiben. Die Erkenntnis „ich kann weniger als andere - ich bin weniger wert als andere“<br />

kann Zweifel, Angst, Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit auslösen. 224 MANN schreibt dazu:<br />

„Diejenigen, die Kinder sitzenlassen, sind nie selbst sitzengeblieben.“ 225<br />

„Mir kam die Schule wie ein böser Traum vor, denn ich habe es am eigenen Leibe erfahren,<br />

wie die Schule zu einem bösen Traum wurde. Ich bin geprügelt und gedemütigt worden. Man<br />

hat mich doof, behindert und Spastiker genannt. Wenn das kein böser Traum ist, dann möchte<br />

ich wissen, was ein böser Traum ist.“ 226 So schreibt ein ehemaliger Schüler, der in seiner<br />

Schulzeit als „lernbehindert“ galt. Viele Schüler mit LB kommen deshalb mit einer<br />

„Mißerfolgshypothek“ in die Schule, welche die Lehrer nicht teilen können. 227 Denn sie<br />

haben eine andere Schulzeit erfahren. Sie konnten sich ihre Lernbereitschaft und Motivation<br />

erhalten, sie wurden durch kontinuierliche Erfolge zu Musterschülern. Den Schüler mit LB<br />

dagegen wurde das Lernen zum Übel, zum Zeichen ihres Versagens, ihrer Minderwertigkeit,<br />

die sich im Namen ausdrückt: lernbehindert.<br />

Somit entsteht ein Konflikt zwischen diesen unvereinbaren Lernwelten, der sich auf die<br />

pädagogische Beziehung auswirkt. Gestörtes Lernen stellt nicht nur den Schüler, sondern<br />

auch den Lehrer in Frage. Das Versagen und Nicht-Lernen der Schüler dokumentiert den<br />

pädagogischen Mißerfolg des Lehrers. 228 Dieser wiederum rächt sich an den Schülern und<br />

schiebt diesem die Schuld in die Schuhe - die Schüler werden als dumm und faul<br />

222 Fall<strong>bei</strong>spiele <strong>bei</strong> KLEIN veranschaulichen dies; vgl. KLEIN, 1985, S. 112ff<br />

223 ehemalige Schüler mit LB zeigen leidvolle „Karrieren“; vgl. NEUßER, 1987, S. 28<br />

224 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27<br />

225 MANN, 1989, S. 87 (Kraft)<br />

226 NEUßER, 1987, S. 28<br />

227 HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 315<br />

228 vgl. dazu HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 45; HÖHN, 1972, S. 65<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 47


ezeich<strong>net</strong>. 229 Ein Kreislauf aus enttäuschten Erwartungen <strong>bei</strong>m Lehrer und Lernrückzug des<br />

Schülers entsteht, der nur mühsam unterbrochen werden kann.<br />

Ein Weg ihn zu stoppen ist das Bewußtmachen der eigenen Lerngeschichte. MANN zeigt dies<br />

eindrücklich und konsequent und setzt ihre Schul- und Lerngeschichte in Beziehung zu ihrem<br />

Handeln als Lehrerin für Schüler mit LB. 230 Ein Beispiel dafür ist ihr Umgang mit<br />

Hausaufgaben: „Da ich schon als Kind von Hausaufgaben nichts hielt, konnte ich als Lehrerin<br />

mich auch nicht so recht dazu bekennen.“ 231<br />

BURI schreibt zu diesem Prozess: „Im Bewußtsein der eigenen Lerngeschichte lassen sich<br />

fremde Lerngeschichten, die im Begriff sind, sich zu entfalten, klarer sehen und<br />

annehmen.“ 232 Da den Lehrern die Erfahrungen fehlen, die Schüler mit LB häufig gemacht<br />

haben ist es umso notwendiger sich mit ihnen zu beschäftigen. Der Lehrer hat in bezug auf<br />

seine Schüler auch ein Lerndefizit, eine Lernbehinderung aufgrund seiner eigenen Kindheit.<br />

Eine Möglichkeit, dieses Informations- und Erfahrungsdefizit zu verringern wäre z.B. die<br />

Thematisierung von „Lernbehinderung“ im Unterricht, so wie sie FISCHER 233<br />

vorgeschlagen hat. Da<strong>bei</strong> sollte sich der Lehrer aber nicht selbst ausschließen und nur in den<br />

Schülern graben wollen, sondern in allererster Linie <strong>bei</strong> sich anfangen und seiner<br />

Lerngeschichte auf den Grund gehen.<br />

3.4.4 Soziokulturell Priviligierter unterrichtet soziokultuell Benachteiligte<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel aus der Mittelschicht kommen und<br />

in ihrer Kindheit selten oder nie Armut, Existenznot und schwere finanzielle und materielle<br />

Not erleiden mussten.<br />

Studien haben gezeigt, dass ein großer Teil „...lernbehinderter Schüler aus Familien der<br />

unteren und untersten Sozialschichten stammt.“ 234 Die Lebenslage von Schülern mit LB<br />

wurde vor allem in den 70ern ausführlicher erörtert, wo auch der Begriff der „soziokulturellen<br />

Benachteilung“ geprägt wurde. Die Schüler bewegen sich demnach in einem<br />

„...„Teufelskreis“ von Armut und Obdachlosigkeit, von <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit, Suchtverhalten und<br />

229 Erschreckende Beschreibungen der Lehrer über ihre „schlechten“ Schüler; vgl. z.B. HÖHN, 1972, S. 55<br />

230 den Hauptgrund für das Verständnis der Schüler sieht sie in ihren eigenen Erfahrungen; vgl. MANN, 1989, S.<br />

67<br />

231 ebd., S. 52<br />

232 BURI, 1988, S. 114<br />

233 FISCHER, 1975, S. 18-34<br />

234 vgl. KLEIN, 1985, S. 50<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 48


von Familienproblemen...“ 235 Doch sind nicht alle Kinder der unteren Schichten auf der<br />

Schule für Schüler mit LB, sondern es ist die Gruppe überproportional vertreten, die in<br />

sozialen Brennpunkten aufgewachsen ist. Schüler mit LB sind vielfältigen Belastungen<br />

ausgesetzt 236 , für welche die Schule keine Zeit und keinen Raum bietet. Mit dieser Lage<br />

konfrontiert entwickeln und lernen die Schüler andere Normen und Werte, als sie in der<br />

Schule akzeptiert werden. Es kommt zum Zusammenstoß dieser Kulturen, den MAUD so<br />

beschreibt: „Diese Schüler haben nicht keine Normen, sondern andere Normen.[...]<br />

Lernbehinderung entsteht aus Kommunikationsproblemen zwischen zwei Kulturen.“ 237<br />

Dieses Kommunikationsproblem wird durch die Biographie des Lehrers verschärft. Denn er<br />

kennt Wohnungsnot, Existenzangst, Armut, <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit des Vaters und finazielle<br />

Engpässe nicht aus eigener Erfahrung. Er war in seiner Kindheit wahrscheinlich nicht dieser<br />

geballten Anhäufung von belastenden Faktoren ausgesetzt. Daher kann er die Situation seiner<br />

Schüler auch schlecht nachempfinden, oder nur bedingt. 238 Die Diskrepanzen zwischen den<br />

Erfahrungen der Schüler und der Lehrer zeigen sich in vielen Bereichen. Was für Lehrer<br />

selbstverständlich war wie z.B. Garten, Schwimmen, Bücher, Kultur, etc. ist den Schülern<br />

oftmals unbekannt und fremd. „Wer über 20 Jahre lang in einer Umwelt mit Büchern gelebt<br />

hat, im Elternhaus, in der Schule und im Studium, kann sich zunächst kaum in ein Kind<br />

hineinversetzen, das weder selbst ein Bücherregal besitzt noch die Stadtteilbibliothek<br />

kennt.“ 239 Er kommt schnell in die Gefahr von vorurteilsbehafteten Denken, das die eigene<br />

Lebensweise über die der Schüler stellt. Der Gedanke eines Studenten der<br />

Lernbehindertenpädagogik vor einem Hausbesuch <strong>bei</strong> einem Schüler war: „Typisch<br />

Asozialenwohnungen!“ 240 In dieser gedanklichen Bemerkung drückt sich die unbewußte<br />

Ablehnung des Umfeldes aus, in dem sich die Schüler bewegen und aus dem sie kommen. Sie<br />

steht auch symbolisch für die andere Lebenswelt, in der die Lehrer groß geworden sind - eben<br />

nicht in Asozialenwohnungen! Eine interessante These 241 innerhalb einer Untersuchung von<br />

BAIER zur Beteiligung von Unterschichtlehrern an der Gruppe der Sonderschullehrer wurde<br />

durch die Ergebnisse widerlegt, denn diese zeigten, dass kaum „Söhne“ der Unterschicht<br />

Sonderschullehrer wurde. Die überwiegend mittelschichtige Herkunft der Lehrer für Schüler<br />

mit LB ist und bleibt demnach unbestritten.<br />

235 WAGNER, 1997, S. 24f<br />

236 KLEIN beschreibt einige davon; vgl. KLEIN, 1985, S. 56f<br />

237 MAND in EBERWEIN, 1996, S. 133<br />

238 Eine Studentin im Kasseler Schülerhilfeprojekt konnte das Nicht-mitreden-können aufgrund fehlender<br />

finanzieller Mittel nachempfinden, weil sie es selbst „als schmerzlich erlebt“ hatte; vgl. GARLICHS, 2000, S. 26<br />

239 ebd., S. 50<br />

240 KLEIN, 1985, S. 22<br />

241 BAIER, 1972, S. 683ff<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 49


Die Unfähigkeit des Lehrers die Lage der Schüler zu verstehen, liegt in seiner eigenen<br />

Geschichte. „Als Lehrer können wir kaum auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Wir haben<br />

erlebnismäßig keinen Zugang dazu. Hätten wir den, wären wir nämlich jetzt nicht Lehrer.<br />

Dann ständen wir wohl an irgendeinem Fliessband.“ 242 Manche Lehrer wollen daher den<br />

Schülern helfen und aus einer Art Mitleid heraus ihnen etwas vom eigenen Reichtum an<br />

Erfahrungen abgeben. 243 Eine andere Möglichkeit wäre, sich in der „vermeintlichen<br />

Bildungsüberlegenheit“ 244 zu sonnen und den Schülern ihre Unterlegenheit damit vor Augen<br />

zu führen. Wie sehr diese Abwertung durch Lehrer zermürben kann beschreibt MANN aus<br />

eigener Erfahrung: Das Schlimmste sei gewesen „...daß ich immer und immer wieder spüren<br />

mußte, daß wir alle nicht zu den Leuten mit Bildung gehörten.“ 245 Eine dritte Sicht der<br />

Diskrepanz wäre die des Geschockten, dem die tatsächliche Unterschiedlichkeit schlagartig<br />

bewußt wird. HILLER bewirkt dies durch seine provokanten Thesen und in der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit<br />

Studenten anhand von Fall<strong>bei</strong>spielen. 246 Diese sollen zeigen, wie schwierig es für Schüler mit<br />

LB sein wird und auch schon ist, mit ihrer schwierigen Lage fertig zu werden.<br />

Damit besteht trotzdem noch der Widerspruch zwischen Schule und Elternhaus, mit dem die<br />

Schüler tagtäglich konfrontiert werden. Die Schüler wollen diesen lösen und greifen da<strong>bei</strong> zu<br />

unkonventionellen Mitteln, oftmals zu negativen Verhaltensweisen. Für den Lehrer ist kein<br />

Widerspruch zu spüren zwischen seiner Welt und der Schule. Daher wird er unweigerlich auf<br />

die Aktionen der Schüler reagieren müssen und vielleicht sein Verhalten danach ausrichten,<br />

die Schüler noch mehr auf die Schulwelt auszurichten. Die Spannung nimmt damit aber eher<br />

zu als ab und eine Lösung scheint in weiter Ferne zu sein. Zum Verhalten der Schüler kommt<br />

noch das Verhalten der Eltern dazu. Dieses beeinflusst den Lehrer in seinem Denken mit und<br />

kann die Abneigung gegen die Herkunft des Schülers noch verstärken. 247 Dies alles kann sich<br />

<strong>bei</strong>m Lehrer für Schüler mit LB aber nur im Bewußtsein der Überlegenheit seiner besseren<br />

Herkunft vollziehen.<br />

Hierin liegt gleichsam der Weg zu einer Lösung dieser Spannung. Indem der Lehrer sich<br />

selbst hinterfragt und seine Herkunft, seine Ansprüche, seine materiellen Bedürfnisse und<br />

Gewohnheiten, sein Konsumverhalten, seinen Umgang mit Geld, seine Meinung zu<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit, Sozialhilfe und schwierigen Verhältnissen allgemein durchleuchtet, kann er<br />

sensibler werden für die Welt und die Herkunft der Schüler. Er kann sie dann besser verstehen<br />

242 JEGGE, 1983, S. 86<br />

243 so ging sinngemäß eine Studentin an die Begleitung eines Schülers mit LB; vgl. GARLICHS, 2000, S. 26<br />

244 ebd., S. 155<br />

245 MANN, 1989, S. 43 (schl)<br />

246 vgl. HILLER, 1989, S. 16f<br />

247 zum Einfluß der Eltern auf das Lehrerverhalten vgl. BRUNNER, 1978, S. 120f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 50


und achten lernen, wenn er seinen Schülern und ihrer Welt Raum gibt im Unterricht und von<br />

ihnen lernt.<br />

Jedoch ist in der Thematik der Herkunft auch ein gesellschaftlicher Konflikt beschlossen 248 ,<br />

der an späterer Stelle noch erörtert werden soll.<br />

3.4.5 Geliebter unterrichtet Ungeliebte<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel in ihrer Person gewünscht und<br />

angenommen wurden von ihren Eltern und die im Verlauf ihrer Kindheit nicht mit schwersten<br />

Formen der Ablehnung durch die Umwelt konfrontiert wurden.<br />

Schüler mit LB haben oft eine negative, den Selbstwert zermürbende Vergangenheit hinter<br />

sich. Aus unterschiedlichen Gründen wurden sie schon in ihrer frühen Kindheit häufig<br />

vernachlässigt und von den Eltern abgelehnt. 249 Sie waren Behandlungen ausgesetzt, die unter<br />

Umständen zu beeinträchtigenden Folgen führen konnten. 250 Abwertende und<br />

diskriminierende Erlebnisse begleiteten ihrer schulische Laufbahn. Lehrer, Schüler, Eltern<br />

und Verwandte begeg<strong>net</strong>en ihnen oftmals mit Drohungen, Spott, Verachtung, Ablehnung,<br />

Distanzierung und sogar Tätlichkeiten. 251 Unter diesen seelischen und körperlichen Qualen<br />

leidend entwickelten sie Abwehrmechanismen, um sich zu schützen. Dem Lehrer für Schüler<br />

mit LB teilen sich die Gefühle der Schüler nicht unmittelbar, sondern verschlüsselt mit. In<br />

Form verfremdeter Ich-Botschaften 252 suchen sich da<strong>bei</strong> Aggressionen, Angst, Wut und<br />

Trauer aber auch der Wunsch nach Zuwendung, Vertrauen, Liebe und Geborgenheit ihren<br />

Weg teilweise über Verhaltensweisen, die der Lehrer aufgrund seiner eigenen biographischen<br />

Erfahrungen nicht entschlüsseln kann.<br />

„Dem Kind fehlen die Begriffe für seine Schmerzen, uns fehlen die Erfahrungen, um es<br />

verstehen zu können.“ 253 Am Beispiel der Sexualität beschreibt ROHR die Blockade des<br />

Lehrers aufgrund seines eigenen lebensgeschichtlichen Hintergrundes: „ Sie [die behinderten<br />

Kinder und Jugendlichen; S.H.] gaben uns zu erkennen, daß wir ihre sexuellen Probleme nicht<br />

oder kaum am eigenen Leibe erfahren haben, und daß wir somit subjektive Erlebnis- und<br />

248 vgl. HILLER, 1989, S. 12<br />

249 vgl. KLEIN, 1985, S. 54f<br />

250 ebd., S. 55f<br />

251 FISCHER, 1975, S. 21<br />

252 auf psychoanalytischer Grundlage beschreibt BLOEMERS diese Botschaften; vgl. BLOEMERS, 1995, S. 217<br />

253 MANN, 1989, S. 121 (schl)<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 51


Erkenntnisschranken haben.“ 254 Der Lehrer hat in den meisten Fällen eine durchaus andere<br />

Kindheit erfahren als der Schüler vor ihm. Der Ausspruch einer Lehramtsstudentin dürfte<br />

da<strong>bei</strong> stellvertretend für viele Lehrer stehen: „Meine eigene Schulzeit ist sehr harmonisch und<br />

fast problemlos verlaufen.“ 255 Vielleicht gibt es deshalb wenig Literatur über die Kindheiten<br />

von (Sonderschul-) Lehrern, weil diese so gänzlich unspektakulär und ohne Probleme<br />

verlaufen sind. 256 Wenn ich so zurückdenke kann ich mich auch nicht an große Brüche, lange<br />

Zeiten des Versagens, der Ablehnung oder der Abwertung während meiner Kindheit erinnern.<br />

Halt bekam ich nicht nur von meiner Familie, Freunden und Verwandten sondern auch vor<br />

allem von den Lehrern, die meine guten Leistungen und mein Engagement honorierten. Der<br />

Anerkennung von Mitschülern konnte ich durch mein selbstbewußtes Auftreten sicher sein.<br />

So entwickelte sich in mir ein Gefühl der Geborgenheit in dieser Umwelt, des Beliebtseins<br />

und der Sicherheit aufgrund der Akzeptanz meiner Person. Meine Deutungsmuster sind somit<br />

familial erworben und aufgrund meiner „glücklichen“ Kindheit internalisiert. 257 So ist es für<br />

mich nicht ohne weiteres möglich, Menschen zu verstehen, die gänzlich andere Erfahrungen<br />

gemacht haben, die nicht erleben konnten und durften, dass sie geliebt und wertvoll sind, dass<br />

sie willkommen und angenommen sind in ihrer Umwelt.<br />

Aus diesen subjektiven Deutungsmustern, basierend auf den eigenen Kindheitserfahrungen,<br />

können Verzerrungen und Konflikte entstehen. Mancher Lehrer mag regelrecht angeekelt sein<br />

und die fremde und anwidernde Person ablehnen. „Wie gut, daß ich nicht so aussehe.“ 258<br />

schreibt ROHR und übertragen auf Schüler mit LB könnte man sagen: „Wie gut, daß ich nicht<br />

so bin.“ Am Beispiel des Schönheitsideals zeigt sie damit deutlich, wie stark die<br />

lebensgeschichtlichen Faktoren Ort, Zeit, soziale Schicht und Geschlecht die Maßstäbe<br />

prägen können 259 , nach denen Menschen später ihre Umwelt be- und teilweise auch verurteilen.<br />

Trotz seiner vielleicht humanistischen und christlichen Einstellung und Erziehung ist<br />

der Lehrer weiter „Kind“ der Gesellschaft und hat damit die Ideale und Werte dieser<br />

verinnerlicht. Dies betrifft nicht nur das in den Medien propagierte Schönheitsideal sondern<br />

auch andere Werte und Ideale, die dem Lehrer als Kind „eingepflanzt“ wurden. Die Liebe, die<br />

der Lehrer erfahren hat, die Werte die ihm vermittelt wurden, die Ideale die man ihm zeigte,<br />

all das ist verantwortlich für seine Beurteilungskriterien und für seine Verhalten gegenüber<br />

254 ROHR, 1984, S. 28<br />

255 GARLICHS, 2000, S. 25<br />

256 ganz im Gegensatz zu der Vergangenheit von Iris MANN; doch bleibt sie eine der wenigen, die sich in dieser<br />

ausführlichen Form offenbarten; vgl. MANN, 1989 und MANN, 1989<br />

257 vgl. GRAF-DESERNO, 1981, S. 26<br />

258 den Gedanken beschreibt Barbara ROHR als Reaktion auf dieses Erlebnis: „Wenn sie [epileptische Frau;<br />

S.H.] am Klavier saß, tropfte aus ihrem geöff<strong>net</strong>en Mund der Speichel auf die Tasten und meine Mutter wischte<br />

ihn mit dem Taschentuch fort.“; ROHR, 1984, S. 33<br />

259 vgl. ebd., S. 30<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 52


anderen Menschen. Diese Werte und Ideale werden durch Schüler mit LB in Frage gestellt!<br />

Denn sie repräsentieren die Welt, vor welcher der Lehrer in seiner Kindheit geflohen ist. Die<br />

leidvollen Erfahrungen der Schüler wollte der Lehrer in seiner Schulzeit vermeiden und tat<br />

alles dafür, um nicht so zu werden. In der Konfrontation mit dem Schüler kann sich also statt<br />

Annahme und Akzeptanz der Schüler auch Abwehr regen. Vielleicht erwächst stattdessen die<br />

Sehnsucht, sich von dem ganzen Elend abzugrenzen? 260 So entsteht eine Ambivalenz im<br />

Lehrer, der einerseits die Schüler annehmen und „lieben“ will und sie andererseits ablehnt<br />

und das, für was sie stellvertretend stehen „hasst“. Das in der Kindheit erworbene und<br />

geliebte Bild vom glücklichen Leben wird durch die Schüler in Zweifel gezogen. „Da ist<br />

nichts zu machen, aus der wird wohl auch nichts Rechtes mehr.“ Dieses Zitat zeigt die<br />

Distanz zu der Welt des „schlechten“ Schülers deutlich. 261<br />

Problematisch im Zusammenhang mit „Liebe“ ist auch der Wunsch nach „Beliebtheit“ <strong>bei</strong>m<br />

Lehrer. Diese Eigenschaft kann sich ungünstig auf den Unterricht auswirken, weil sich<br />

dadurch der Lehrer in eine einseitige Abhängigkeit von den Schülern begibt. 262 Durch sein<br />

Bedürfnis nach Nähe versagt er den Schülern keinen Wunsch, weicht Problemen aus und<br />

vermeidet ernsthafte Konflikte. Vermutungen über die Ursachen dieses Verhaltens können<br />

wieder in die Kindheit zurückführen, die dem Lehrer Erfahrungen vorenthielt, Konflikte und<br />

Probleme selbst zu lösen. Jedoch stellt sich die Entstehung solcher Verhaltensweisen und der<br />

besprochenen Ideale und Werte als ein Geflecht von vielen Faktoren dar.<br />

Die Forderung nach Empathie des Lehrers für die Situation der Schülers ist schwierig<br />

einzulösen, wenn sich zwei so unterschiedliche Menschen gegenüberstehen. Am Anfang muss<br />

sicherlich der Versuch der Achtung und Akzeptanz der Verwundungen und der<br />

Abwehrreaktionen des Schüler stehen. Um andere akzeptieren zu können muss sich der<br />

Lehrer zuerst selbst akzeptieren. Das schließt nicht nur die positiven Seiten und Erfahrungen<br />

seiner Kindheit ein, sondern auch die negativen, die vermiedenen, die beängstigenden<br />

Erfahrungen.<br />

Der Lehrer sollte auch seine Ideale, seine Maßstäbe und Beurteilungskriterien kritisch<br />

durchleuchten. Strebt er danach, die Welt so zu verbessern, dass es weniger Aggressionen,<br />

Hass, Wut, Trauer und Versagen gibt? Strebt er danach die Schüler mit LB zur positiven Seite<br />

zu bekehren und ihre negative Seite auszulöschen anstatt sie anzunehmen mit ihren leidvollen<br />

Erfahrungen?<br />

260 vgl. ebd., S. 32<br />

261 HÖHN, 1972, S. 77<br />

262 vgl. KLEIN, 2001, S. 6<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 53


3.4.6 Heilender Helfer unterrichtet hilfsbedürftige Kranke<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel den Schülern mit LB helfen wollen<br />

und dies unter anderem aus Motiven heraus anstreben können, deren Ursache in psychischen<br />

Verstrickungen aus der Kindheit liegen.<br />

Die Sonderpädagogik, die man auch Heilpädagogik nennt, lebt von der Zuschreibung in der<br />

Kapitelüberschrift. Das Helfen hat eine zentrale Bedeutung in ihrem Verständnis, und lange<br />

Zeit war auch das Menschenbild der Sonderpädagogik geprägt vom „Heilen“ des<br />

beschädigten Individuums. Die Nächstenliebe wurde da<strong>bei</strong> „selektiv professionalisiert“ 263<br />

sagt BEGEMANN und verweist auf den biblischen Ausspruch „Liebe deinen nächsten wie<br />

dich selbst“ dessen erster Abschnitt bevorzugt berücksichtigt wurde im Umgang mit<br />

behinderten Menschen. Doch welche verborgenen Motive und eventuelle Schwierigkeiten <strong>bei</strong><br />

dieser Zielstellung mitschwingen können bringt GRAF-DESERNO auf den Punkt: „In der<br />

sonderpädagogischen Interaktion spielt das Helfersyndrom eine zentrale Rolle.“ 264 Die<br />

Konflikte von Menschen mit Helfersyndrom und deren Entstehung wurde bereits<br />

angesprochen. 265 Wie aber zeigt es sich <strong>bei</strong>m Lehrer für Schüler mit LB und welche Ursachen<br />

hat es dort?<br />

Der Lehrer soll zur Förderung der Schüler mit LB ein Hilfs-Ich, ein sogenanntes zweites Ich-<br />

Ideal darstellen. Mit diesem sollen sich die Schüler identifizieren können, sollen ihre<br />

Sehnsüchte und Erwartungen transportiert werden. 266 Dies stellt eine enorme Herausforderung<br />

an den Lehrer und seine Geschichte dar. Ist sich der Lehrer dessen bewußt, wenn er sich für<br />

diesen Beruf entscheidet? Ein erstaunliches Ergebnis resümiert JANTZEN im Zuge einer<br />

Studie zur Untersuchung von Einstellungen von Sonderschullehrern. Er meint, dass die<br />

neurotischen Eigenschaften des Lehrers für die Berufswahl ausschlaggebend sein könnten in<br />

dem Sinne, dass er sich durch die Unterrichtstätigkeit mit „lernbehinderten“ Schülern einen<br />

Schonraum für sich sucht. 267 Der Lehrer als Schwacher, der Schwache sucht, um stark zu<br />

erscheinen? Das würde die „Hilfe“ in ihr Gegenteil verkehren! Und helfen wollen die Lehrer<br />

den Schülern, dass muss man zumindest schlussfolgern, wenn man die Ergebnisse<br />

verschiedener Studien berücksichtigt. Demnach ist der Wunsch zu helfen das Hauptmotiv für<br />

Sonderschullehrer. 268 Im Blick auf einige ängstliche und stille Kinder schreibt eine Lehrerin:<br />

263 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 212<br />

264 GRAF-DESERNO, 1981, S. 152<br />

265 vgl. Kapitel 2.4.1<br />

266 vgl. BLOEMERS, 1995, S. 215<br />

267 vgl. JANTZEN, 1972, S. 695<br />

268 der Wunschberuf, mit und für Kinder zu ar<strong>bei</strong>ten; vgl. GRUNWALD, 1975, S. 712<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 54


„Mein pädagogischer Vorsatz ist es, auf diese bewußt einzugehen und zu achten, was sicher<br />

mit meinen eigenen biographischen Erfahrungen zusammenhängt.“ 269 Der Lehrer als<br />

ehemaliger Kranker, der kranke Schüler heilen will? Oder vielmehr: der an den kranken<br />

Schülern sein eigene Krankheit aus Kindertagen heilen will?<br />

Das vielzitierte Selbstbild des Lehrers für Schüler mit LB schließt zumindest derartige<br />

Motive aus. Untersuchungen haben gezeigt, dass es ein Selbstbild gibt, dass Parallelen<br />

aufzeigt zum vergangenen Bild des Hilfsschullehrers. 270 Dies spiegelt die ethisch<br />

hochwertigen Ansprüche wider, deren Verwirklichung selten oder nie in der Schule überprüft<br />

wird. Demnach ist der Lehrer für Schüler mit LB ein Engel, der alles tragen und ertragen<br />

kann, der sich selbst vergißt um der Kinder willen. 271 Der Wunsch, „das Elend dieser Welt<br />

wieder gut zu machen“ 272 motiviert ihn für den Beruf. Doch wie kommt der Lehrer zu dieser<br />

Einstellung? Als Kind hat der Lehrer gelernt, nur die positiven Eigenschaften an sich zu<br />

lieben, denn dafür wurde er geliebt. Negative Impulse wurden ihm verwehrt und er begann,<br />

sie selbst abzuwehren und über sie zu richten. Sein Selbstbild fixierte sich auf die helle, die<br />

gute, die liebende Seite seines Ichs, die andere Seite wurde abgespalten, verdrängt, verleug<strong>net</strong><br />

und verstoßen. 273 Im Beruf des Lehrers für Schüler mit LB nun kann er all diese<br />

Eigenschaften zur Geltung bringen, kann er sich zudem noch erheben durch das Gefühl,<br />

anderen zu helfen. Die helfende Haltung drückt sich auch in dem Bedürfnis aus, andere an<br />

helfenden Gedanken teil haben zu lassen. Die pädagogischen Ideale und Wünsche in der<br />

Literatur könnten kaum zahlreicher sein. Doch könnte dies nicht auch ein Schleier sein, der<br />

die Schwachheit und das Leiden der Lehrer 274 kaschieren soll? Könnte es nicht sein, dass die<br />

Schule für Schüler mit LB gerade Lehrer anzieht, die selbst konfliktbeladen und hilfsbedürftig<br />

sind? 275 Könnte es nicht sein, dass der Unterricht oft gar nicht den Schüler zum Ziel hat,<br />

sondern den Lehrer? Eine narzißtische Umkehrung der helfenden Schulsituation wird<br />

erkennbar in Unterrichtsszenen. Das Kind muss den Lehrer verstehen, muss seinen<br />

Anweisungen folgen, muss sich für das interessieren, was er vorbringt. Das Kind muss<br />

erahnen, was der Lehrer will, welche Ziele er verfolgt, das Interesse des Kindes zentriert sich<br />

269 UHL, 1985, S. 42<br />

270 BAIER, 1972, S. 679<br />

271 in Anlehnung an ein Zitat von RÜSSEL von 1914; vgl. BAIER, 1972, S. 682<br />

272 GARLICHS, 2000, S. 147<br />

273 SCARBATH sprich von der „Abspaltung“ dieser Seiten; vgl. SCARBATH, 1999, S. 17<br />

274 Es entstehe der Eindruck, „daß Pädagogen auf eigentümliche Art und Weise ihr Leiden an der Gesellschaft<br />

verar<strong>bei</strong>ten. Ihre unterfüllten Sehnsüchte und Wünsche projezieren sie (zu Bedürfnissen der Kinder und<br />

Jugendlichen umgedeutet) als Fixsterne an den Himmel der pädagogischen Theorie- und Praxisideale.“;<br />

HILLER, 1989, S. 87)<br />

275 diese Vermutung legt SCARBATH nahe; SCARBATH, 1999, S. 20<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 55


auf den Lehrer. 276 Der Lehrer bringe die Schüler dazu, sich korrumpieren zu lassen, um<br />

erfolgreich zu sein in der Schule. 277 Ist es also gar nicht der Schüler dem geholfen wird,<br />

sondern vielmehr der Lehrer, der sich durch die Schüler hilft und sich am Gedanken labt, er<br />

tue das für die Schüler?<br />

Falsch interpretierte und motivierte Hilfe kann zu Problemen führen. 278 Zum einen ist die<br />

Enttäuschung der Retterphantasien des Lehrers vorprogrammiert, weil sich die Schüler häufig<br />

gar nicht retten lassen wollen. Zum anderen birgt die Identifikation mit dem Schüler die<br />

Gefahr, nicht <strong>bei</strong> sich selbst zu sein. Zudem kann die Idealisierung der eigenen Motive und<br />

deren Entzauberung in der Realität Kränkungen hervorrufen: „Ich habe dem Schüler soviel<br />

gegeben und habe nichts zurück bekommen!“ Der Lehrer fühlt sich dann als Betrogener, der<br />

nur helfen wollte und der die negativen Reaktionen der Schüler gar nicht verdient habe. 279<br />

Wem will der Lehrer helfen? Dieser Frage sollte sich der Lehrer auch im Nachdenken über<br />

seine Berufsmotivation stellen. Unter Umständen wird er erkennen, dass gar nicht nur die<br />

Schüler, sondern auch er hilfsbedürftig ist. Vielleicht wird er Verwundungen und<br />

Ablehnungen in seiner kindlichen Vergangenheit erkennen, die dafür verantwortlich sind,<br />

dass er nun <strong>bei</strong> anderen helfen und andere in die Position der Hilfeempfänger drängen will.<br />

Aber nur wer sich selbst hilft und erkennt, wo er Hilfe bedarf, kann anderen helfen und ihnen<br />

helfen, sich selbst zu helfen. 280<br />

3.4.7 Erzogener unterrichtet Unerzogene<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel in ihrer Kindheit von Eltern,<br />

Erziehern und Lehrern erzogen wurden und mit diesen und anderen Erfahrungen<br />

Verhaltensweisen entwickelt haben, mit deren Hilfe sie selbst andere erziehen.<br />

Der Kreislauf der Erziehung soll hier noch einmal aufgegriffen werden. 281 „Weil wir [die<br />

Erzieher; S.H.] unsere eigenen Bedürfnisse abzulehnen gelernt haben, lehnen wir auch die<br />

Bedürfnisse der Kinder ab. [...] Mit jedem Kind, das wir bestrafen, bestrafen wir im Grund<br />

genommen uns selbst.“ 282 Dieser Ansicht ist auch MILLER wenn sie sagt, dass es die<br />

Funktion der Erziehung sei das „Aufleben des einst in sich Umgebrachten und Verachteten im<br />

276 vom Lehrerzentrismus spricht auch MANN; vgl. MANN, 1989 (schl)<br />

277 ebd., S. 71<br />

278 einige davon werden von Studentinnen beschrieben; vgl. GARLICHS, 2000, S. 153ff<br />

279 BLOEMERS, 1995, S. 216<br />

280 in Anlehnung an den Ausspruch eines Schülers von Maria MONTESSORI: Hilf mir, es selbst zu tun.<br />

281 vgl. Kapitel 2.4.3<br />

282 MANN, 1989, S. 110 (kraf)<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 56


eigenen Kind zu verhindern.“ 283 Den Prozess dieser Entfremdung von sich und seinen<br />

Bedürfnissen in der Kindheit beschreibt MANN in sehr eindrücklichen Bildern anhand ihrer<br />

eigenen Biographie. Sie zeich<strong>net</strong> die Situationen nach, in denen sie von den Lehrern und der<br />

Schule 284 so erzogen wurde, dass sie ihr urtümliches und natürliches Verhalten verlernte. Der<br />

Kreislauf der Entfremdung beginnt mit den Eltern und wird fortgesetzt in der Schule.<br />

Da<strong>bei</strong> setzt sich die Erfahrung wie Schule war, im Lehrer fest und wird zum Bild von Schule,<br />

wie sie ist. „Geprägt von der eigenen Schulzeit definiert ein jeder für sich seinen ‘Sinn von<br />

Schule’“ 285 , der an die Schüler weitergegeben wird. Alte Erinnerungen, unbewältigte<br />

Konfliktsituationen und verdeckte Gefühle können wieder in das Bewußtsein des Lehrers für<br />

Schüler mit LB kommen, wenn er vor seinen Schülern steht. Diese „Altlast“ ist eine<br />

Erziehungshypothek, die der Lehrer im eigenen Unterricht deutlich zu spüren bekommt. Sie<br />

macht sich vor allem bemerkbar in fehlenden Kompetenzen im Umgang mit schwierigen<br />

Kindern. Denn was <strong>bei</strong> ihm einst nicht sein durfte und was er ausschalten musste, lebt <strong>bei</strong> den<br />

Schülern in ungebändigter Form. Er konnte nicht lernen mit diesen Gefühlen und<br />

Verhaltensweisen umzugehen, weil sie <strong>bei</strong> ihm unterdrückt und verdrängt wurden. Nun steht<br />

er ihnen hilflos gegenüber, wenn sie über den Schüler zu ihn zurückkehren.<br />

Der Lehrer verwehrt den Schülern ihrer Bedürfnisse, weil seine eigenen in der Kindheit<br />

verwehrt wurden. Der Lehrer kann Verhaltensweisen der Schüler nicht akzeptieren, weil dies<br />

<strong>bei</strong> ihm in der Kindheit nicht akzeptiert wurden. Und der Lehrer kann mit erzieherischen<br />

Maßnahmen nicht umgehen, weil er als Kind nicht mit ihnen umgehen konnte. Dies zeigt<br />

sich überdeutlich in dem Beispiel, Kindern Grenzen zu setzen: „Für diejenigen, die in ihrer<br />

eigenen Kindheit Grenzen nur als etwas Rigides, Feindliches, Autoritäres erfahren haben, ist<br />

es schwierig, selber Grenzen zu setzen und dies als Aufgabe des Lehrers bewußt zu<br />

akzeptieren.“ 286 Der Lehrer für Schüler mit LB ist somit belastet mit seiner Vergangenheit,<br />

wenn sie unreflektiert auf seine Handlungen einwirkt. Alte Erfahrungen werden dann<br />

wachgerufen 287 , alte Wunden wieder aufgekratzt. Frappant zeigt sich dies, wenn Konflikte mit<br />

Schülern denen ähneln, die man als Kind mit Familienmitgliedern hatte. 288 Spannungen<br />

werden dann auf die Beziehung mit dem Schüler „übertragen“ 289 , Gefühle werden unter<br />

283 MILLER, 1983, S. 111<br />

284 im Gegensatz zu MILLER, <strong>bei</strong> der die Eltern hauptsächlich verantwortlich gemacht werden<br />

285 RÄUBER, 1998, S. 51<br />

286 GARLICHS, 1985, S. 46<br />

287 „Auch <strong>bei</strong> ihm [dem Lehrer; S.H.] rufen bestimmte Menschen, bestimmte Situationen bestimmte alte Gefühle<br />

hervor.“; SPRINGER, 1990, S. 45<br />

288 UHL veranschaulicht dies am Beispiel einer Lehrerin, die unangemessen auf einen störenden Schüler<br />

reagierte und in der Supervision erkannte, dass alte Gefühle zu ihrem jüngeren Bruder die Ursache dafür waren;<br />

vgl. UHL, 1985, S. 40<br />

289 ebd., S. 41<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 57


Wiederholungszwang ausgelebt. Eigene, in der Kindheit erfahrene Ohnmachtsgefühle können<br />

im Lehrerberuf „verar<strong>bei</strong>tet“ werden, da dies ein optimaler Nährboden für unbestrafbaren<br />

Machtmissbrauch ist. 290<br />

Egal ob die Sozialisations- und Erziehungserfahrungen des Lehrers für Schüler mit LB<br />

mehrheitlich positiv oder negativ sind, sie werden sich auf das Erziehungsverhalten des<br />

Lehrers auswirken. Da aber die Schüler auch mit einer Erziehungsvergangenheit in die Schule<br />

kommen, kompliziert sich die Situation noch mehr. Die Schüler mit LB reagieren ebenfalls<br />

aufgrund ihrer Erziehungsgeschichte auf den Lehrer und sein Verhalten. Am deutlichsten<br />

wird dieses Zusammentreffen zu Beginn eines Schuljahres: „Nun kommt ein/e<br />

Schulanfänger/in mit seiner/ihrer persönlichen Geschichte zur Schule und trifft auf ein/e<br />

Lehrer/in, der/die in einer durch die eigene Biographie geprägten Art und Weise auf dieses<br />

Kind eingeht.“ 291 Die <strong>bei</strong>den Erziehungsgeschichten können sich verwickeln und im<br />

ungünstigsten Fall so verstricken, dass die Beziehung und Kommunikation nur noch<br />

konfliktbeladen ist. Dies wird noch erschwert, wenn der Lehrer eigene „Erziehungswunden“<br />

zu heilen versucht, indem er sie an die Kinder weitergibt. 292<br />

Eine Lösung ist dennoch möglich, wenn Bewußtheit und Reflektion über die eigene<br />

Erziehung und deren Auswirkungen angestrebt wird. Konflikthafte Situationen sind nur im<br />

Kontext der Erziehungsbiographie des Schülers und des Lehrers für Schüler mit LB möglich.<br />

Vorraussetzung dafür ist, dass der Lehrer erkennt, was ihm widerfahren ist im Verlauf seiner<br />

Erziehung. „Damit die Eltern spüren, was sie den Kindern antun, müßten sich auch spüren,<br />

was ihnen in der eigenen Kindheit angetan worden ist.“ 293 Dies könnte für den Lehrer<br />

bedeuten: „Damit die Lehrer spüren, was sie den Schülern antun, müßten sich auch spüren,<br />

was ihnen in der eigenen Kindheit, vor allem in der Schulzeit, angetan worden ist.“ Da<strong>bei</strong><br />

sind sicherlich nicht nur die negativen Aspekte, sondern vor allem auch die positiven Seiten<br />

der eigenen Erziehung der Schlüssel zu einer veränderten Einstellung sich und den Schülern<br />

gegenüber.<br />

290 GARLICHS, 1985, S. 46f<br />

291 UHL, 1985, S. 42<br />

292 SINGER hat sich zu diesem Thema ausführlich geäußert; vgl. SINGER, 2000 und SINGER, 1988<br />

293 MILLER, 1983, S. 301<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 58


3.4.8 Reife Persönlichkeit unterrichtet unfertige Persönlichkeiten<br />

Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel seit ihrer Kindheit eine<br />

Persönlichkeitsentwicklung vollziehen, die bestimmte Persönlichkeitseigenschaften stärker<br />

ausgeprägt und andere eher eingeschränkt hat, was sich auch im Umgang mit Schülern zeigt.<br />

In pädagogischen Rollendefinitionen taucht der Lehrer für Schüler mit LB als ideale Person<br />

auf, die nahezu alle pädagogisch wertvollen Kompetenzen besitzt, um den Unterricht und die<br />

Beziehung zu den Schülern erfolgreich zu gestalten. Das Bild des Lehrers ist auf Hochglanz<br />

poliert, wohingegen das Bild des Schüler mit LB kaum verschmutzter und dreckiger sein<br />

könnte. 294 Demzufolge ist es auch immer der Schüler, der den Unterricht stört, der Konflikte<br />

heraufbeschwört und unangemessene Reaktionen zeigt. 295 Guten Unterricht hält der Lehrer<br />

dann, wenn er planmäßig und ohne Beeinträchtigung abläuft. Lehrer top, Schüler flop?<br />

Die Schulrealität ist jedoch nicht derartig eindimensional. Der Interaktionsprozess zwischen<br />

Lehrer und Schüler mit LB ist immer von <strong>bei</strong>den Seiten abhängig, Schüler- und Lehrertyp<br />

reagieren in einer bestimmten Weise zueinander. 296 Logisch fortgeführt bedeutet dies auch für<br />

Konflikte zwischen <strong>bei</strong>den, dass an ihnen auch der Lehrer mitschuldig ist. Warum könnte der<br />

Lehrer als erwachsene Persönlichkeit für einen Konflikt verantwortlich sein?<br />

Eine Untersuchung zeigt den Sonderschullehrer mit einem „erhöhten Maß an neurotischen<br />

Eigenschaften“. 297 Diese drücken sich aus in ängstlicher Gehemmtheit, Insuffizienzgefühlen<br />

und depressiver Gestimmtheit, die als Folge von fehlverar<strong>bei</strong>teten Konflikten angesehen wird.<br />

Auch Minderwertigkeitskomplexe der Sonderschullehrer will BAIER erkannt haben: „Der<br />

Umgang mit Kindern reizt sie, weil sie hier die Überlegenen sind und den Kindern ihre<br />

Meinung aufzwingen können.“ 298 TAUSCH & TAUSCH sind der Meinung, dass Kälte und<br />

Mißachtung als Eigenschaften von Lehrern während des Aufwachsens erworben wurden.<br />

Auch wenn Lehrer anders handeln wollen, können sie dies nicht aufgrund der Stabilität ihrer<br />

Persönlichkeitseigenschaften. 299 Das Bild der unfehlbaren Lehrerpersönlichkeit bekommt<br />

damit Risse. Sollten die Lehrer Persönlichkeiten sein, die um Stabilität selbst noch ringen, die<br />

selbst noch nicht das geworden sind, wohin sie die Schüler bringen wollen?<br />

Am Beispiel des bekannten Pädagogen Janus KORCZAK wird ein weiterer Aspekt der<br />

Persönlichkeitsentwicklung sichtbar. Durch KORCZAKs Hinwendung zu den Kindern läßt<br />

294 recht drastische Bilder von Schülern mit LB zeigt HÖHN; vgl. HÖHN, 1972, S. 47<br />

295 vgl. SCARBATH, 1999, S. 17<br />

296 vgl. KLEIN, 2001, S. 5f<br />

297 JANTZEN, 1972, S. 208<br />

298 BAIER in BAIER/ KLEIN, 1975, S. 234<br />

299 TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 140<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 59


sich vermuten, „...daß Korczak [...] auch seine eigene Lebensgeschichte und vor allem seine<br />

eigene Kindheit abgear<strong>bei</strong>tet hat.“ 300 Kann dies bedeuten, dass sich der Lehrer für Schüler mit<br />

LB diesen anscheinend unreifen Persönlichkeiten zuwendet, um seine eigene Unreife zu<br />

überspielen, sich quasi als „unfertige“ unter andere „unfertige“ Persönlichkeiten gesellt?<br />

Der Lehrer für Schüler mit LB ist gewohnt, an der Persönlichkeit des Schülers mit LB zu<br />

ar<strong>bei</strong>ten. Dazu stellt er Förderpläne auf, begutachtet den Schüler, beobachtet ihn und schätzt<br />

seine Stärken und seine Schwächen ein. Die Frage nach den Ursachen der „Behinderung“ des<br />

Schülers beantwortet er mit vielerlei Faktoren und Gründen. Doch ist vielleicht ein Grund er<br />

selbst? Die Frage: „wer behindert wen in welcher Weise“ 301 auf sich bezogen stellt ihn vor ein<br />

ganz neues Problem. Nicht mehr der Schüler, sondern er selbst wird damit in den Mittelpunkt<br />

gerückt.<br />

Die Konflikte innerhalb der Persönlichkeit des Lehrers spiegeln sich im Schüler mit LB und<br />

der Beziehung zu diesem wieder. 302 Damit ist nicht ein Schüler „schwierig“ sondern vielleicht<br />

hat der Lehrer Schwierigkeiten mit ihm aufgrund eigener innerer Schwierigkeiten. Die<br />

Beurteilung und Kategorisierung der Schüler ist somit relativ vom Lehrer abhängig und läßt<br />

immer Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zu. 303 Der Lehrer kennt viele Typologien, in die<br />

er seine Schüler einordnen kann. Doch kann er sich selbst zu einem Typ zuordnen? „Sinnvoll<br />

werden Typologien dann, wenn sie dazu verwendet werden, die Ähnlichkeit oder die<br />

Verschiedenheit zwischen Beobachter und Beobachtungsobjekt (also zwischen Lehrer und<br />

Schüler) zu kennzeichnen. [...] Zu diesem Zweck muß der Lehrer in der Selbstbeobachtung<br />

feststellen, welchem Typ er sich zuord<strong>net</strong>.“ 304 SPRINGER hebt damit das In-Beziehung-<br />

Setzen hervor, welches den Lehrer nicht von vornherein ausschließt. Ein als „aggressiv“<br />

eingestufter Schüler sagt noch gar nichts aus, wenn man den beurteilenden Lehrer nicht kennt.<br />

Ist dieser vielleicht sehr sanft und gütig, oder sehr leicht reizbar, ungeduldig und jähzornig?<br />

Nimmt dieser vielleicht an, er selbst sei gar nicht aggressiv oder steht er zu seinen<br />

Aggressionen gegenüber Schülern?<br />

Die Persönlichkeit des Lehrers hat sich in der Kindheit entwickelt, in der Jugend differenziert<br />

und im Erwachsenenalter gefestigt. Deshalb führt die Spur unweigerlich in die Kindheit<br />

zurück, wenn er sich mit sich selbst beschäftigt. Nach welchen Mechanismen reagiert der<br />

Lehrer, welche Menschen findet er sympathisch, welche kann er nicht leiden? Darüber sollte<br />

300 GIESECKE, 1997, S. 147<br />

301 HEIMLICH, 1994, S. 582<br />

302 RICHTER meint, dass viele der äußeren Schwierigkeiten ein Prudukt unserer innerlich unverar<strong>bei</strong>teten<br />

Konflikte sind; vgl. RICHTER, 1976<br />

303 vgl. GARLICHS, 1985, S. 44<br />

304 SPRINGER, 1990, S. 28<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 60


der Lehrer mindestens ebenso gut Bescheid wissen wie über das didaktisch-methodische<br />

Handwerkszeug für den Unterricht.<br />

Wenn das „Problem der Persönlichkeitsentwicklung mit dem Lernproblem gleichzusetzen“ 305<br />

ist dann stellt sich die Frage, wie der Lehrer für Schüler mit LB Persönlichkeitsentwicklung<br />

<strong>bei</strong>m Schüler bewirken kann. Um Eigenschaften wie „Achtung, Empathie und Echtheit“ 306 zu<br />

vermitteln, muss sie der Lehrer selbst besitzen. Von nichts kommt nichts! Außerdem gehört<br />

zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit Nachsicht mit „Verfehlungen“ einer Person.<br />

Den Weg dahin zeigt BÜHLER auf: „Ein Lehrer hat als Kind selbst gelogen oder<br />

geschwindelt oder seine Mutter gehaßt. Er erinnert sich, wie ihm damals zumute gewesen ist<br />

und wie er unter den damaligen Umständen gehandelt hat. Es ist ihm auch gelungen, einige<br />

der Ursachen seines Verhaltens in der Kindheit zu begreifen. Ein solcher Lehrer wird Kinder<br />

besser verstehen und führen können als einer, der die kritische Beurteilung seiner eigenen<br />

Vergangenheit verdrängt hat und da<strong>bei</strong> mit Schuldgefühlen wegen der Untugenden in seiner<br />

Kindheit belastet ist.“ 307<br />

Der Lehrer kann von jedem Schüler etwas lernen. Indem er sich z.B. seinen stärksten<br />

„Gegenspieler“ unter den Schülern heraussucht und überlegt, welche Kraft in diesem sichtbar<br />

ist, wird er feststellen, dass es sich „um eine handelt, <strong>bei</strong> der es ihm schwer fällt, sie an sich zu<br />

akzeptieren.“ 308 Die Selbsterkenntnis des Lehrers und dessen Persönlichkeitsentwicklung<br />

durch und mit den Schülern formuliert SPRINGER folgendermaßen: „Es ist unsere Aufgabe,<br />

allmählich all die positiven und negativen Kräfte so zu integrieren, daß wir sie an anderen<br />

nicht mehr zu bekämpfen brauchen. Jeder Mensch, der weiß, daß er all das in sich trägt, und<br />

damit leben kann, läßt auch andere leben, hilft ihnen, leben zu lernen. [...] Erziehung und<br />

Integration von ‘schwierigen’ Schülern in eine Klasse geschieht also nur durch Integration der<br />

durch den Schüler repräsentierten dunklen Kräfte in das Selbstbild des Lehrers.“ 309<br />

3.5 Das Dilemma der Schule für Schüler mit LB und die Verstrickung des Lehrers<br />

Die Beschäftigung mit der Kindheit des Lehrers für Schülers mit LB hat weite Kreise<br />

gezogen. Es wurde deutlich dass es nicht allein ein Zusammentreffen zweier<br />

Lebengeschichten, sondern darüber hinaus einen gesellschaftlichen Zusammenhang<br />

305 HOFMANN zitiert ALLPORT; HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 37<br />

306 von den Autoren als förderlich bezeich<strong>net</strong>e Eigenschaften des Lehrers; TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 75<br />

307 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />

308 SPRINGER, 1990, S. 159<br />

309 ebd., S. 159<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 61


transportiert. 310 Dieser gesellschaftliche Zusammenhang kristallisiert in den Kindheiten der<br />

<strong>bei</strong>den Beteiligten und zeigt damit eine Spannung auf, welche die Gesellschaft und da<strong>bei</strong> vor<br />

allem das Schulsystem beherrscht.<br />

Behinderte befremden Menschen, die diese nicht so normal empfinden wie sich selbst. 311<br />

Diese Andersartigkeit wird segregiert und in geeig<strong>net</strong>en Schulen, mit geeig<strong>net</strong>em Personal<br />

und geeig<strong>net</strong>en Methoden behandelt. Die Gesellschaft versucht, den Ausleseprozess 312 damit<br />

zu kompensieren, dass sie Institutionen schafft, die diese Schüler besser fördern kann als die<br />

normale Schule. Welchen Plan verfolgt die Gesellschaft, verfolgen wir damit? Welche Rolle<br />

kommt dem Lehrer, kommt uns da<strong>bei</strong> zu?<br />

Der Lehrer für Schüler mit LB ist zum „Heiler der Nation“ auserkoren. Verschiedene<br />

Rollenvorschläge werden von der Gesellschaft an ihn delegiert und damit wird ihm als<br />

Fachmann die Aufgabe, sich mit den „schwierigen“ Kindern zu beschäftigen anvertraut.<br />

Anscheinend versucht die Gesellschaft damit, die Geister die sie rief wieder zur Vernunft zu<br />

bringen. Für den Brand, den sie selbst gelegt hat ist nun der Feuerwehrmann, Sonderpädagoge<br />

oder einfach Lehrer für Schüler mit LB, zuständig - er ist gleichsam das gute Gewissen vom<br />

Dienst. Zeitlos ist in dieser Hinsicht dieses Zitat: „Der Hilfsschullehrer sei eine<br />

Lehrerpersönlichkeit edelster Art, mit einem pädagogischen Feingefühl und hingebender<br />

Gesinnung ausgerüstet, die sich noch ein Gutteil idealen Strebens behalten hat, die Tugenden<br />

der Entsagung seiner selbst, der Konsequenz und zähen Ausdauer, der frohen Laune wie der<br />

Geduld und Liebe, eine gewisse bäuerliche Lebendigkeit und ein Feuer der Begeisterung<br />

besitzt.“ 313 In aktuelleren pädagogischen Beiträgen wechseln zwar die Begriffe und die<br />

Formulierungen, der Sinn jedoch bleibt.<br />

Tatsächlich sitzt der Lehrer damit in der Zwickmühle. Er befindet sich in vielerlei<br />

Widersprüchen gesellschaftlicher, persönlicher und sachlicher Natur. 314 Aufgrund seiner<br />

Position muss er sich berufsbedingt mit den Normen und Werten der Gesellschaft<br />

identifizieren und diese im Unterricht vertreten, unabhängig davon ob sie seiner persönlichen<br />

Überzeugung entsprechen. 315 Eine weitere Kluft entsteht durch die Ambivalenz zwischen dem<br />

pädagogischen Ideal und der unterrichtlichen Realität: „Sie [die Lehrer; S.H.] praktizieren<br />

Beziehungsfallen, sie verstören Kommunikation und Interaktion [...]. Zwischen gefordertem<br />

Verhalten und tatsächlichem Verhalten von Lehrern und Erziehern besteht ein erhebliche<br />

310 vgl. Kapitel 3.4.1 (Norm), 3.4.3 (Lernen) und 3.4.4 (Herkunft)<br />

311 vgl. BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 201<br />

312 den sie mit ihrem Widerspruch im Anspruch des gleichzeitigen „Fördern und Auslesen“ erst bewirkt; vgl.<br />

SCARBATH, 1999, S. 18<br />

313 BEGEMANN zitiert HOFMANN; BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 200<br />

314 BAUDE, 1975, S. 22f<br />

315 vgl. SCARBATH, 1999, S. 18<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 62


Widerspruch.“ 316 Die Fortdauer dieses Widerspruchs wird durch die Aufrechterhaltung des<br />

übersteigerten Selbstbildes garantiert. 317<br />

Welche Rolle spielt der Schüler da<strong>bei</strong>? Er wurde in der Literatur bereits befreit von den<br />

Fesseln der „Lernbehinderung“. Demnach ist Lernbehinderung keine Eigenschaft, die einem<br />

Verhalten „originär und inhärent“ zukommt, sondern eine Zuschreibung, ein Urteil der<br />

Gesellschaft, in welcher der „Lernbehinderte“ lebt. 318 Bisher ist die Praxis im Schulsystem<br />

jedoch so, dass sich die Gesellschaft durch subjektive Willkür all der Schüler entledigt, die<br />

den Erwartungen der Gesellschaft, der Schule und des Lehrers nicht entsprechen. 319<br />

Ist der Schüler lernbehindert? Ist der Lehrer lehrbehindert? Ist die Schule<br />

beschulungsbehindert? Ist die Gesellschaft integrationsbehindert?<br />

Diese Fragen sollen und können hier nicht beantwortet werden, vielleicht kann sie jeder nur<br />

für sich selbst versuchen zu beantworten. Da<strong>bei</strong> sollte dieser kleine Exkurs eine Anregung<br />

sein.<br />

3.6 Eine tragfähige Brücke über die Kluft<br />

Um das Bild von der Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB wieder aufzugreifen, werde<br />

ich eine mögliche Brücke darüber in fünf Schritten beschreiben.<br />

Zum ersten bedarf es der Einsicht in das Vorhandensein einer Kluft, einer Entfernung zum<br />

Schüler und dessen Geschichte. 320 Diese Kluft ist eine, die sich durch die unterschiedlichen<br />

Erlebnisse der Beteiligten bildete und deren Tiefe und Breite von den jeweiligen Biographien<br />

abhängt. Die Kluft zu sehen bedeutet auch zu akzeptieren, dass sie da ist. Der Lehrer kann<br />

sich nicht vormachen, dass er in jeder Hinsicht dem Schüler gleich ist. Damit wird der Lehrer<br />

Abschied nehmen von seinen für selbstverständlich gehaltenen Wahrheiten und Maßstäben.<br />

GARLICHS spricht von einer Relativierung „der eigenen, bisher für selbstverständlich<br />

gehaltenen kulturellen und sozialen Normen, die das praktische Handeln präformieren und<br />

strukturieren.“ 321<br />

Zum zweiten ist es zur Hälfte die Persönlichkeit des Lehrers, durch welche die Brücke<br />

entstehen kann. Sie ist für die Wurftechnik und Beschaffenheit der Beziehungsseile und das<br />

316 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 201<br />

317 nahezu alle Unterstellungen und Attitüden werden akzeptiert; vgl. GRUNWALD, 1975, S. 700<br />

318 EBERWEIN, 1975, S. 72<br />

319 ebd., S. 71<br />

320 Bürgerliche Lehrerund benachteiligte Schüler stehen sich mit „...prinzipiell unerfüllbaren Erwartungen<br />

gegenüber.“; HILLER, 1989, S. 89<br />

321 GARLICHS, 2000, S. 6<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 63


Geschick diese zu werfen, bestimmend. Viele Forderungen werden an die<br />

Lehrerpersönlichkeit gestellt: Überdenken der Selbstbilder, Infragestellen des Rollenbildes,<br />

Selbstreflexion, Selbstkritik 322 , Empathie und Echtheit. 323 Da die Lehrerpersönlichkeit oftmals<br />

über Erfolg und Versagen der Schüler entscheidet 324 kommt ihr eine bedeutende Stellung in<br />

diesem Brückenbau zu. „Die Person des Lehrers ist sein bestes Curriculum“ 325 , sie ist der<br />

„...Schlüssel zum Erfolg jedes Erziehungsprogramms.“ 326<br />

Zum dritten muss sich der Lehrer in seinem Verhalten und seinem Denken verändern können.<br />

Die Beziehung hat mit dem Lehrer zu tun und mit seiner Geschichte! 327 Die Bereitschaft, <strong>bei</strong><br />

sich anzufangen ist entscheidend für das Knüpfen des Beziehungsseiles, das nicht vom<br />

Lehrplan oder anderen bereitgestellt wird. Das bedeutet auch, dass der Lehrer sich mit seinen<br />

eigenen Schwächen auseinandersetzt. Die Erkenntnis der Gemeinsamkeiten wie auch der<br />

Differenzen ist Grundlage von empathischem Handeln. 328 SINGER sagt, dass die<br />

Grundweisheit der Erziehung sei, dass sich der Erzieher selbst verändern müsse, wenn er<br />

seinen Schülern wirksam helfen möchte. 329 Selbstbeobachtung ist in dazu der erste Schritt. 330<br />

Zum vierten setzt nach dieser Veränderung eine Entwicklung ein, die den Lehrer selbst zum<br />

Mittelpunkt nimmt. „Wir brauchen Lehrer, die sich entwickeln können, wenn sie uns<br />

entwickeln wollen!“ 331 Nur durch ein förderliches Selbstkonzept kann der Lehrer den<br />

Schülern <strong>bei</strong> der Entwicklung ihres Selbstkonzeptes helfen. 332 Er kann nur dann erwarten,<br />

dass die Schüler Beziehungsseile über die Kluft werfen, wenn er selbst es auch kann. Da<strong>bei</strong><br />

muss der Lehrer ein Lernender bleiben, vor allem was ihn selbst betrifft. 333 „Wenn in einer<br />

Klasse nurmehr die Schüler etwas lernen, der Lehrer aber nicht, ist das das sicherste Zeichen,<br />

daß hier etwas nicht stimmt.“ 334 Kennen-Lernen ist ein dialogischer Prozess, der Aktivität von<br />

<strong>bei</strong>den Seiten voraussetzt. 335 Das heißt auch, dass der Lehrer sich mit seiner Person in die<br />

Beziehung miteinbringen muss, dass er nicht nur am Rande begutachtend steht. Er muss etwas<br />

322 vgl. BLOEMERS, 1995, S. 218<br />

323 FISCHER, 1975, S. 20<br />

324 dies beweist GÜNTER an Fall<strong>bei</strong>spielen; vgl. GÜNTHER, 1997, S. 7<br />

325 zitiert RÄUBER nach HENTIG; RÄUBER, 1998, S. 49<br />

326 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 67<br />

327 vgl. GARLICHS, 2000, S. 152<br />

328 vgl. BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />

329 vgl. SINGER, 1988, S. 81<br />

330 „Wer darangeht, andere in hilfreicher Absicht zu beobachten, muß immer sich selbst mitbeobachten.“;<br />

SPRINGER, 1990, S. 20<br />

331 Ausschnitt aus einem Zitat von Erich KÄSTNER, das SCARBATH verwendet; SCARBATH, 1999, S. 16<br />

332 vgl. TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 61<br />

333 dies betont unter anderem HURRELMANN; vgl. HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 311<br />

334 SPRINGER, 1990, S. 136<br />

335 diese Seite wurde in der Beschäftigung mit dem Thema „Lernbehinderung“ in der Methode von Otmar<br />

FISCHER ausgespart; vgl. FISCHER, 1975<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 64


von den Schülern lernen wollen, sie kennen lernen wollen und zulassen, dass sie ihn kennen<br />

lernen wollen.<br />

Zum fünften kommt, wenn die Brücke tragfähig genug ist aus mehreren Beziehungsseilen,<br />

dass sich der Lehrer immer mehr selbst erkennen kann und wird. 336 Denn durch die<br />

Beziehung zum Schüler kann über sich lernen. Das „...Erkennen des fremden Erlebnisses im<br />

Blick auf das eigene...“ 337 wird den Lehrer wie den Schüler gleichermaßen bereichern können.<br />

Hinderlich kann da<strong>bei</strong> die eigene Geschichte der Lehrer für Schüler mit LB sein:<br />

„Unglücklicherweise kommen viele Lehrer aus so behüteten Familienverhältnissen, daß ihnen<br />

häufig die Weite der Erfahrungen fehlt, die man braucht, um sich selbst zu erkennen.“ 338<br />

Diese Erfahrungen können sie jedoch von den Schülern „erfahren“ und von ihnen lernen. Die<br />

Kraft geht also von den Kindern aus, das hat Iris MANN bewegend geschildert. 339 Ihr Weg<br />

zur Erkenntnis der Entfremdung und der Rückbesinnung zu sich durch die Kinder mag<br />

stellvertretend stehen für die Möglichkeiten, die in der pädagogischen Beziehung, auf der<br />

Brücke über die Kluft möglich sind.<br />

3.7 Zusammenfassung<br />

Nach einer begrifflichen Bestimmung des Lehrers für Schüler mit LB wurde die pädagogische<br />

Beziehung und deren Wesen und Funktion näher erläutert. Dazu wurde ein Bild entworfen,<br />

dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB darstellt als Kluft, auf deren <strong>bei</strong>den<br />

Seiten sich Lehrer und Schüler aufgrund unterschiedlicher Kindheits- und Lebensverläufe<br />

gegenüber stehen. Die Spannungsfelder, die zwischen ihnen liegen wurden bestimmt und die<br />

für das Thema relevanten ausführlicher dargestellt. Sie lassen sich in persönliche,<br />

zwischenmenschliche, schulische, erzieherische und gesellschaftliche Bereiche einordnen.<br />

Die besprochenen Themen drehten sich um Norm, Aufwachsen, Lernen, Herkunft, Liebe,<br />

Hilfe, Erziehung und Persönlichkeit.<br />

Von der Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB ausgehend wurde sein sonderpädagogisches<br />

Handeln unter der Verschiedenartigkeit der lebensgeschichtlichen Erfahrungen beleuchtet. Es<br />

wurde versucht, den Zusammenhang zwischen seinen Erfahrungen oder besser gesagt, seinen<br />

fehlenden Erfahrungen, und seinem Handeln, Denken und Beurteilen in der pädagogischen<br />

336 Schüler werden damit zur Quelle der Selbsterkenntnis; vgl. SINGER, 1988, S. 84<br />

337 BLOEMERS zitiert LORENZER; BLOEMERS, 1995, S. 215<br />

338 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 67<br />

339 so heisst das Plädoyer dafür von MANN: Die Kraft geht von den Kindern aus; MANN, 1989<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 65


Beziehung aufzuzeigen. Ein Exkurs über die gesellschaftlichen Ursachen der Spannung<br />

vervollständigte den Hintergrund, der für das Verständnis der Kindheiten notwendig ist. Der<br />

Anfang der pädagogischen Beziehung als der Brücke über die Kluft wurde in mehreren<br />

Schritten beschrieben und mögliche Ansätze zu einer professionellen Auseinandersetzung<br />

damit referiert.<br />

4. Biographische Selbstreflexion als Kompetenz im sonderpädagogischen Handeln des<br />

Lehrers für Schüler mit LB<br />

Jeder Lehrer (für Schüler mit LB) kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst,<br />

reflektieren.<br />

Die begonnene „Spurensuche“ hat uns über das innere Kind im Menschen und die innere<br />

Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB hingeführt zu neuen Fragen. Diese Fragen kreisen<br />

um den im vorherigen Kapitel postulierten Anspruch, sich selbst zu erkennen und die eigene<br />

Kindheit kritische zu reflektieren. Wie dieser Anspruch einzulösen ist werde ich im folgenden<br />

versuchen zu erläutern.<br />

„Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders und nimmst nicht den Balken in<br />

deinem Auge wahr? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt still, Bruder, ich will dir<br />

den Splitter aus deinem Auge ziehen! - und siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge?<br />

Du Heuchler, zieh erst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, wie du den Splitter aus<br />

dem Auge deines Bruders ziehst!“ 340 Dieses biblische Gleichnis kann uns den Weg weisen zur<br />

Beschäftigung mit den eigenen Fehlern, blinden Flecken, Schwächen und Vernarbungen aus<br />

der Kindheit. Es zeigt deutlich, wo der Mensch ansetzen kann und soll, wenn er etwas<br />

verändern will: <strong>bei</strong> sich selbst! Dasselbe gilt auch für den Lehrer für Schüler mit LB. Dieser<br />

sollte sich zuerst der Kindheits-Balken und -Splitter in seinem pädagogischen Auge gewahr<br />

werden, bevor er versucht, jedes noch so kleinste Holzstück aus den Augen seiner Schüler zu<br />

operieren. In dieser Selbstzuwendung liegt auch das Wesen der Selbstverwirklichung des<br />

Lehrers. Nur wer sich selbst verwirklichen kann, vermag das auch <strong>bei</strong> den Schülern<br />

anzuregen. 341<br />

Der Lehrer bekommt es mit sich zu tun, mit seiner eigenen Biographie und Gewordenheit.<br />

Den wissenschaftlichen Rahmen dafür gibt die Biographieforschung, die selbst in der<br />

340 Lukas 6, 41-42 in: Die Bibel oder die ganze heilige Schrift aus altem und neuem Testament nach der<br />

Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1978<br />

341 Vgl. TUSCH, 1988, S. 38f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 66


qualitativen Sozialforschung anzusiedeln ist. 342 Welche Wege kann der Lehrer in diesem Feld<br />

beschreiten, wo und wann ist dies möglich? Welche Impulse ergeben sich für die<br />

Lehrerausbildung? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden auf die Spur gehen.<br />

4.1 Die Notwendige Professionalisierung der Beschäftigung mit der eigenen Kindheit im<br />

sonderpädagogischen Handeln innerhalb der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrer<br />

und Schüler mit LB<br />

Pädagogisches Handeln findet immer in bestimmten Situationen statt, die von bestimmten<br />

Institutionen ermöglicht werden. 343 GIESECKE definiert es als soziales Handeln im<br />

Gegensatz zum technischen Handeln. 344 Der Kern des pädagogischen Handelns ist für ihn die<br />

pädagogische Beziehung in sogenannten „Face-to-Face“-Situationen. 345 Diese Beziehung<br />

sollte geprägt sein von einer partnerschaftlichen Gleichrangigkeit, die getragen wird von<br />

gegenseitigem Respekt, Achtung und Vertrauen. 346 Diese drei Säulen der Beziehung können<br />

meiner Meinung nach aber nur entstehen, wenn sich Lehrer und Schüler kennen und kennen<br />

lernen wollen.<br />

Als Voraussetzung dieses Kennenlern-Prozesses setzt NIEMEYER die Selbstbeobachtung,<br />

die jeder Fremdbeobachtung vorausgehen sollte. 347 Er unterteilt die Selbstbeobachtung in<br />

einer allgemeine, stete Beobachtung <strong>bei</strong> allen Gelegenheiten und in eine spezielle Betrachtung<br />

der eigenen Kindheit. 348 Diesen Rückgang in die kindliche Vergangenheit beschreibt er so:<br />

„...insonderheit gehe der künftige Erzieher oft mit seiner Beobachtung in der Geschichte<br />

seiner eignen Kindheit und Jugend zurück, und suche sich seine damalige Art zu urtheilen,<br />

und sich zu bestimmten Handlungen bestimmen zu lassen, so genau als möglich zu<br />

vergegenwärtigen, von der in reiferen Jahren durch veränderte Lage, fast keine Spur mehr<br />

ausser im Gedächtnis, zurückgeblieben seyn kann.“ 349 Mit dieser Kenntnis der eigenen<br />

Kindlichkeit und der kindlichen Art zu fühlen, zu denken und zu handeln, wird er in<br />

Kinderseelen ebenso Bescheid wissen und ihre Handlungen verstehen und akzeptieren<br />

342 Vgl. SCHULZE in BAACKE, Dieter/ SCHULZE, 1993, S. 52<br />

343 Vgl. GIESECKE, 1992, S. 57f<br />

344 Vgl. ebd., S. 59<br />

345 Ebd., S. 149<br />

346 Vgl. ebd., S. 121<br />

347 „Jenem Studium fremder Beobachtungen und Erfahrungen gehe aber die Selbstbeobachtung beständig zur<br />

Seite.“; NIEMEYER, 1970, S. 37<br />

348 Vgl. ebd., S. 37<br />

349 Ebd., S. 37<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 67


können. 350 Dieser Rückgang sei eine der wichtigsten Fähigkeiten des Erziehers, das Wieder-<br />

Sehen der kindlichen Welt Voraussetzung für eine besseres Verständnis des Kindes. Nicht<br />

immer jedoch gestaltet sich diese Rückschau und das Verstehen so einfach. MOOR<br />

konstatiert die Schwierigkeit des Heilpädagogen im Hinblick auf die Vergangenheit von<br />

Heimkindern: „Nur wenn wir die Welt seines wirklichen Erlebens kennten, könnten wir<br />

erzieherisch wirken, nur wenn wir seine wirkliche Welt in ihrer Enge und Verkümmerung,<br />

dazu ebenso die mögliche Welt des Menschen in ihrer Fülle und ihrer Reife kennten, könnten<br />

wir wirklich helfen.“ 351 Dieser Punkt spielt sicherlich im Verstehen von Schülern mit LB eine<br />

entscheidende Rolle. 352 Dennoch bietet gerade diese schwierige Situation eine enorme<br />

Chance: das Erkennen des Fremden in einem selbst! KERSCHENSTEINER meint, dass<br />

letztlich die „...fremde Persönlichkeit [...] nichts anderes als Erlebnis eines Stückes der<br />

eigenen Persönlichkeit...“ ist. 353<br />

Der Einfluß der Vergangenheit ist mächtig. Nichts geht am Menschen vor<strong>bei</strong>, alles bleibt in<br />

irgendeiner Form haften und drückt sich später bewußt oder unbewußt aus. 354 Dieser Tatsache<br />

muss Rechnung getragen werden durch eine professionelle Beschäftigung mit dieser<br />

Vergangenheit und vor allem der eigenen Kindheit, da der Lehrer vorrangig mit diesem<br />

Abschnitt in der Schule konfrontiert wird.<br />

Das Schlagwort der Selbsterziehung taucht <strong>bei</strong> vielen namhaften Pädagogen auf greift in den<br />

Bereich der Persönlichkeitsentwicklung des Lehrers. 355 Selbstbeobachtung, Selbstreflexion<br />

und Selbsterkenntnis leiten hin zur Selbsterziehung des Erziehers, zur Selbstveränderung<br />

seiner Persönlichkeit und seines Selbstkonzeptes. 356 MOOR fasst dies folgendermaßen<br />

zusammen: „Der Heilpädagoge ist Erzieher. Seine Ausbildung ist pädagogische Ausbildung<br />

und hat ihren Kern in der Erziehung des Erziehers. Da aber Erziehung eines Erwachsenen nur<br />

auf dem Wege über seine Selbsterziehung möglich ist, so ist der Grundzug aller<br />

heilpädagogischen Ausbildung Hinweis auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der<br />

Selbsterziehung des Erziehers.“ 357<br />

350 Vgl. ebd., S. 111f<br />

351 MOOR, 1969 2 , S. 474<br />

352 Vgl. Kapitel 3<br />

353 KERSCHENSTEINER, 1961 8 , S. 119<br />

354 Vgl. MOOR, 1969 2 , S. 508; vgl. außerdem das Kapitel 2 über den Einfluß der Kindheit<br />

355 Vgl. dazu auch GRIMM, 1998<br />

356 Über die Wirkungen eines ungüsntigen Selbstkonzeptes des Lehrers auf Schüler vgl. TUSCH, 1988 und<br />

TAUSCH/ TAUSCH, 1977<br />

357 MOOR, 1969 2 , S. 492<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 68


4.2 Pädagogische Biographieforschung als Rahmen biographischer Beschäftigung mit<br />

der eigenen Kindheit<br />

Erziehung ist reflexiv und selbstreferentiell. Der Pädagoge bezieht sich, wenn er erzieht, auch<br />

immer auf sich selbst. 358 Seine Erfahrungen und Vorstellungen über Kindheit sind<br />

biographisch erworbene und prägen sein Handeln, sind somit darin nachweisbar. Die schon<br />

von BERNFELD erkannte Dopplung des Themas Kindheit beschreibt PRANGE in der<br />

Konsequenz, „...daß sich in dem Umgang mit dem Kind immer das Eigene mit dem Fremden<br />

verschränkt.“ 359 Daher wohnt der Beschäftigung mit Kindern ein Rückzug in die eigene<br />

Kindheit schon inne, er rufe ihn quasi hervor. 360<br />

Der Selbstentwurf, das Selbstbild und somit auch das Bild von der eigenen Kindheit muss<br />

notwendigerweise der Umwelt mitgeteilt werden. 361 Die biographische Forschung hat sich<br />

dieses Gegenstandes angenommen und ihn methodisch aufgear<strong>bei</strong>tet und verfeinert.<br />

Maßgeblich beeinflusst wurde sie in ihrer Entwicklung auch von der Psychoanalyse, von der<br />

sie sich aber in mehreren Punkten unterscheidet und damit abgrenzt. 362 Die<br />

erziehungswissenschaftliche Biographieforschung begann im Jahr 1978 erst richtig 363 und<br />

wurde vorangetrieben durch BAACKE, LOCH und HENNINGSEN. Ein wichtiger<br />

Wegbereiter in diesem Zusammenhang war auch DILTHEY. SCHULZE bilanziert den<br />

Forschungsstand, gibt Ausblicke und skizziert da<strong>bei</strong> ein reichhaltiges Feld an biographisch<br />

orientierter Forschung in der Pädagogik. 364 Verschiedene Ansätze einer biographische<br />

orientierten Pädagogik nennt SCHULZE und betont damit den Zusammenhang, der zwischen<br />

Biographie, Gesellschaft und Erziehung in der Pädagogik liegt. 365<br />

Ein wichtiger Gegenstand der biographischen Forschung sind die Autobiographien.<br />

HENNINGSEN definiert sie als „...Geschichten von Lernprozessen, gesehen durch<br />

Interpretationsmuster.“ 366 Dies deutet gleichzeitig die Schwierigkeiten autobiographischer<br />

358 vgl. PRANGE, 1989, S. 205ff<br />

359 Ebd., S. 207<br />

360 Vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 61; außerdem in Kapitel 3 BRÜCK und seine These der Provokation<br />

der verbliebenden Kindlichkeit des Lehrers<br />

361 Vgl. FUCHS, 1984, S. 81<br />

362 Vgl. ebd., S. 96f<br />

363 Seit 1978 sei eine „Landschaft erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung“ aufgeblüht; SCHULZE in<br />

BAACKE/ SCHULZE, 1993, S. 13<br />

364 Vgl. ausführlich dazu die Bilanz der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung in: ebd., S. 10-31<br />

365 Vgl. ebd., S. 13<br />

366 HENNINGSEN, 1981, S. 7<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 69


Quellen an, die SCHULZE in der Selektivität und dem Wahrheitsgehalt der vorgebrachten<br />

Erinnerungen sieht. 367<br />

Basismethoden biographischen Forschens sind das Verstehen und Deuten, wie schon<br />

DILTHEY heraushob. 368 „Auf der Grundlage des Erlebens und des Verstehens seiner selbst,<br />

und in beständiger Wechselwirkung <strong>bei</strong>der miteinander, bildet sich das Verstehen fremder<br />

Lebensäußerungen und Personen aus.“ 369 Diese auch für die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der Schule für Schüler<br />

mit LB wichtige Erkenntnis fasst BITTNER so zusammen: „Jedes Erkennen beruht auf der<br />

Differenz.“ 370 Eine paradoxe Situation kann durch Beschäftigung mit der eigenen Biographie<br />

entstehen: wenn man zu sich kommt, kann man zu anderen gelangen. Wenn man sich erkennt,<br />

kann man andere kennen lernen. Wenn man seine Biographie achten lernt, kann man auch<br />

andere Biographien wertschätzen. Denselben Effekt hat auch die Selbstbeobachtung. Durch<br />

das Heraustreten aus sich selbst schafft man eine wohltuende Distanz zu sich und dem<br />

eigenen Standpunkt. 371 Das Forschen setzt also eine Beschäftigung mit sich selbst voraus, was<br />

HERMANN in diese Worte fasst: „Ohne reflektierte pädagogische Selbsterfahrung bleibt<br />

erziehungswissenschaftlich relevantes Forschen und Argumentieren wahrscheinlich<br />

unfruchtbar.“ 372<br />

Doch allzu oft beschäftigt sich der Pädagoge anscheinend nicht mit sich selbst sondern mit<br />

den Kindern. Er entwirft Theorien, Konzepte und Methoden, um dem Kind eine bessere<br />

Erziehung zu verschafften. Aber viele dieser Ansätze leiden an der Ungebundenheit und<br />

Unüberprüfbarkeit der zugrundliegenden Gedanken und dem unrealistischen Bild, das sich<br />

der Pädagoge von der Erziehungssituation macht. Der Pädagoge benimmt sich tatsächlich wie<br />

ein Kind, das er in der Theorie und der Schule sein darf. 373 Gleichzeitig jedoch wird der Raum<br />

für richtige persönliche Offenbarungen in der Schule durch die fortschreitende<br />

Professionalisierung der Didaktik und Methodik mehr und mehr eingegrenzt. Die Lehrer<br />

schweigen von sich, obwohl sie ständig reden. Und die Schüler sollen zum Sprechen über sich<br />

angeregt werden, obwohl sie schweigen müssen. 374 Durch die Beschäftigung mit den eigenen<br />

Begrenzungen und Limitationen kann der Pädagoge lernen, mit Begrenzungen und<br />

Hindernissen im pädagogischen Alltag umzugehen, anstatt sie zu verleugnen und zu<br />

367 „Alles Erinnerte ist transformiert und nichts wird ohne Grund erinnert.“; SCHULZE in<br />

BAACKE/SCHULZE, 1985, S. 58<br />

368 vgl. DILTHEY, 1993 4 , S. 205<br />

369 Ebd., S. 205<br />

370 BITTNER, 1994, S. 24<br />

371 Vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 46<br />

372 Ebd., S. 61<br />

373 Zum Argument „für das Kind“ als Flucht in die Phantasie vgl. PRANGE, a.a.O., S. 212<br />

374 Vgl. ebd., S. 218<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 70


übergehen. 375 Die Innenansicht des Pädagogen ist somit entscheidend für seine<br />

Außen(an)sicht 376 und demnach sollte auch die Pädagogik mehr situations- und<br />

personenbezogen sein als bisher, denn es geht um Menschen! 377<br />

4.3 Ansätze zur biographischen Selbstreflexion des Lehrers für Schüler mit LB<br />

innerhalb und außerhalb des Unterrichts<br />

Pädagogische Ratgeber und berühmte Pädagogen sind sich einig: die Persönlichkeit des<br />

Erziehers ist sein bestes und vor allem immer greifbares Mittel für geliegenden Unterricht.<br />

Die von TAUSCH/ TAUSCH beschriebenen förderlichen Eigenschaften eines Erziehers<br />

greifen MUTZECK/ PALLASCH noch einmal auf. Sie fassen damit auch Forderungen<br />

anderer pädagogischer Richtungen zusammen: einfühlendes Hören der seelischen<br />

Wirklichkeit des Schülers ebenso wie achtungsvolles Sorgen um den Schüler und Echtsein-<br />

Realsein, ohne Fassade. Dies seien wichtige förderliche Merkmale des Erziehers. 378<br />

Doch wie lassen sich die Eigenschaften herstellen, entwickeln und verfeinern? Die Autoren<br />

meinen, dass Selbstverwirklichung, persönliche Reifung, Selbstachtung, Selbstakzeptierung,<br />

innere Sicherheit und Selbstsorge dafür entscheidend seien. Mögliche Wege dort hin stellen<br />

sie unter den Begriff „Lehrertraining“. 379 Die unterschiedlichen Konzepte und Ansätze teilen<br />

sie in unterrichtsorientierte, erziehungs-orientierte und persönlichkeits-orientierte<br />

Trainingskonzepte ein. Einige Beispiele aus den drei Bereichen sind Microteaching,<br />

Situatives Lehrtraining, sequentielles Training didaktischer Fertigkeiten, Video-<br />

Selbsttraining-Programm, Kooperatives Training, Kooperatives Lehrertraining,<br />

Problemorientiertes Lehrertraining und Gestaltorientierte Selbsterfahrung. 380 Speziell<br />

hervorheben möchte ich die Psychodramaar<strong>bei</strong>t mit Lehrern, da diese gezielt durch Spiele aus<br />

der Kindheit an Probleme und Schwierigkeiten des Rückgriffs ansetzt und das Private der<br />

Lehrer einbezieht. 381 Ebenso wichtig ist die Balintgruppenar<strong>bei</strong>t mit Lehrern. Diese<br />

ermöglicht aufgrund verschiedener Informationen zur Erzählung einer Szene ein<br />

gruppeninternes Erleben inklusive Feedback. 382 Es seien hier nur diese Konzepte<br />

375 Vgl. ebd., S. 221<br />

376 Den Begriff der „Innenansicht“ gebraucht HERMANN; vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 41<br />

377 Dafür plädiert HERRMANN vehement; vgl. ebd., S. 54<br />

378 Vgl. MUTZECK/ PALLASCH, 1983, S. 276<br />

379 Trotz der „inflationären“ Verwendung des Begriffes versuchen sie eine Definition zu geben; vgl. ebd., S. 11f<br />

380 Vgl. ebd., S. 25ff<br />

381 Vgl. ebd., S. 248ff: die Psychodramaar<strong>bei</strong>t (nach MORENO) mit Lehrern (BUBENHEIMER)<br />

382 Vgl. ebd., S. 267ff: Balintgruppen (nach dem Arzt BALINT) mit Lehrern (KÄMPFER)<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 71


angesprochen und herausgegriffen aus der Vielzahl der vorhandenen Ansätze und<br />

Denkrichtungen.<br />

Gemeinsam ist diesen Trainings- und Selbsterfahrungsprogrammen, dass Dinge, Situationen<br />

und Schwierigkeiten nicht nur theoretisch vermittelt, sondern auch praktisch handelnd<br />

erfahrbar gemacht werden. 383 Dies macht laut BAUER auch die „professionelles<br />

pädagogische Kompetenz“ in der Überbrückung der Kluft zwischen Wissen und Können<br />

aus. 384<br />

Ziel aller Bemühungen ist es, die eigenen Anteile erfahrbar und bewußt zu machen und sich<br />

dadurch wieder nahe zu kommen. Ein Zitat der Schriftstellerin Anne WILSON, das<br />

CHOPICH aufgenommen hat, passt in diesem Zusammenhang: „Eine wesentliche<br />

Grundvoraussetzung für Nähe und Intimität lautet: Wir müssen uns selbst nahe sein. Solange<br />

wir Nähe von außen erwarten, werden wir sie niemals richtig erleben und auch nicht fähig<br />

sein, sie mit anderen zu teilen. Wollen wir einem anderen Menschen nahe sein, müssen wir<br />

zunächst einmal wissen, wer wir sind, was wir fühlen, was wir denken, wo unsere Stärken<br />

liegen, was uns wichtig ist und was wir wollen. Wenn wir all das für uns selber nicht wissen,<br />

wie sollen wir denn einen anderen Menschen daran teilhaben lassen?“ 385<br />

4.3.1 Biographische Selbstreflexion außerhalb des Unterrichts<br />

Diesem Kapitel liegt die Konzeption der biographischen Selbstreflexion, die GUDJONS/<br />

PIEPER/ WAGENER vorgestellt haben, zugrunde. Ihrer Meinung nach ist biographische<br />

Selbstreflexion grundsätzlich für alle Menschen tauglich und sinnvoll. Im Verstehen der<br />

eigenen Lebensgeschichte, der Versöhnung mit der eigenen Persönlichkeit und dem Begreifen<br />

gesellschaftlicher Gegebenheiten hat sie ihre Funktion. 386 Für Erzieher und Lehrer liege diese<br />

Beschäftigung mit der eigenen Biographie nahe, so ein Zitat von MOLLENHAUSER: „Weil<br />

wir Kinder nur in Anlogie zu uns selbst verstehen können, liegt es nahe, zunächst über uns,<br />

über Erwachsene nachzudenken.“ 387<br />

383 Über die drei sogenannten „Straßen“: die kognitve (Kopf), die emotionale (Herz) und die aktionale (Hand)<br />

Straße; vgl. ebd., S. 226<br />

384 Er betont, dass zwischen Wissen und Können ein erheblicher Unterschied besteht; vgl. BAUER, 1998, S.<br />

344; siehe dazu auch den Spruch: „Für das Können gibt es nur einen Beweis, das Tun“ von Marie von EBNER-<br />

ESCHENBACH in: Mutterkalender. Offenbach: Burckhardthaus-Laetare Verlag, 2001 (hrsg. vom Bayrischen<br />

Mütterdienst)<br />

385 CHOPICH, 1997 17 , S. 77<br />

386 GUDJONS/ PIEPER/ WAGENER, 1992 2 , S. 11f<br />

387 Ebd., S. 52<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 72


Das Konzept zur biographischen Selbstreflexion basiert auf den Theorierichtungen der<br />

sozialwissenschaftlichen Biographieforschung und der Psychoanalyse. 388 Das Ziel des<br />

Konzeptes besteht aber im Gegensatz zur Psychoanalyse nicht im Abar<strong>bei</strong>ten und Auflösen<br />

von Konflikten, sondern im Aufzeigen, im Sensibilisieren dafür. 389 So wird sie zur Suche<br />

nach Spuren, ähnlich einer archäologischen Grabung durch verschiedene Schichten. 390 Die<br />

Bestandteile dieser Untersuchung sind zum einen psychische Schichten und zum anderen das<br />

Körpergedächtnis, denn die psychosomatische Medizin geht davon aus, dass sich seelische<br />

Verwundungen auch in Krankheiten und körperlichem Unwohlsein ausdrücken können. 391<br />

Neben der Aneignung der eigenen Lebensgeschichte und dem Entdecken unbewußter<br />

Strukturen darin hat die biographische Selbstreflexion auch eine weitgreifendere Funktion, die<br />

als gesellschaftliche Perspektive und Verwobenheit begriffen wird. 392 „Selbstaufklärung statt<br />

Fremdaushorchung“ 393 ist da<strong>bei</strong> die Devise, die handlungsleitend ist. Man kommt durch das<br />

Verstehen des Einzelnen vor dem Ganzen und durch das Verstehen des Ganzen vom<br />

Einzelnen her jedoch in das Problem des hermeneutischen Zirkels, das nur durch<br />

Vorannahmen und Vermutungen und deren Überprüfung und Zurücknahme angegangen<br />

werden kann. 394 Die überspannenden Ziele der biographischen Selbstreflexion sind Verstehen<br />

seiner selbst und damit auch Verstehen von anderen. Desweiteren können daraus<br />

Veränderungsmöglichkeiten und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. Grenzen der<br />

Methode liegen zum einen in der oft fehlenden Möglichkeit, Impulse auf politischer Ebene<br />

einzubringen, die durch die biographische Selbstreflexion angeregt wurden. Ebenso zeigen<br />

sich Limitationen der Methode, wenn es um sehr schmerzhafte Erinnerungen geht, die einer<br />

weiterführenden Therapie bedürfen. 395<br />

Das methodische Vorgehen <strong>bei</strong> der biographischen Selbstreflexion hat verschiedene<br />

Merkmale: Es werden ungewohnte Zugänge zur Lebensgeschichte genommen, Übungen mit<br />

sehr unterschiedlichem Charakter durchgeführt, unterschiedliche Formen der Bear<strong>bei</strong>tung<br />

angeboten (z.B. Gespräche, Texte, Fotos, Poesiealben, Phantasiereise, Körperar<strong>bei</strong>t), eine<br />

Orientierung an kritischen Ereignissen vorgenommen, der Bezug zum alltäglichen<br />

hervorgehoben, ökologische Merkmale des Lernmilieus (z.B. Landschaften) miteinbezogen,<br />

Austausch mit anderen angeregt und gefördert, Deckerinnerungen (FREUD) aufgespürt,<br />

388 Vgl. ebd., S. 17<br />

389 Vgl. ebd., S. 20<br />

390 Vgl. ebd., S. 21<br />

391 Vgl. ebd., S. 22f<br />

392 Vgl. ebd. S. 24f<br />

393 Ebd., S. 26<br />

394 Vgl. ebd., S. 31<br />

395 Diese verstehen die Autoren aber auch als Chance; vgl. ebd., S. 34f<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 73


Praxisforschung betrieben, kommunikatives Verstehen praktiziert, die Bedeutung von<br />

Bezugstheorien gefördert, Übungssequenzen entwickelt und <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit der<br />

Abwehrproblematik als zentrales Element aufgenommen. 396 Die entsprechenden Übungen<br />

dazu gliedern sich in die Bereiche Familie, Kindsein, Schule, Ausbildung/ Beruf,<br />

Zeitgeschichtlicher Kontext, Selbstbild, Körper, Frausein-Mannsein, Lebensgeschichte im<br />

Überblick, allgemeine Übungen und Aufwärm-/ Kennenlernübungen. 397<br />

Neben diesem Prozess der Introspektion heben die Autoren hervor, dass der äußere Rahmen<br />

nicht vernachlässigt werden darf. Bewußte und unbewußte Handlungen des Lehrers sind stets<br />

auch „psychischer Niederschlag der äußeren Bedingungen, des Berufsfeldes und der Rolle“<br />

als Lehrer. 398 Diese gesellschaftliche Komponente kommt <strong>bei</strong> Lehrern für Schüler mit LB<br />

besonders deutlich zutage. 399<br />

4.3.2 Biographische Selbstreflexion im Unterricht mit Schülern mit LB<br />

„Das ‘Bekanntmachen’ mit einer anderen, das ‘Überstülpen“ mit einer fremden Lebenswelt,<br />

deren kulturelle Normen und Werte erheblich von der familialen Lebenswelt der Schüler<br />

abweichen, erreicht seinen Zweck nur vordergründig, unzureichend und konformistisch.“ 400<br />

Diese Aussage gilt es auch zu berücksichtigen, wenn an biographische Selbstreflexion im<br />

Unterricht mit Schüler mit LB gedacht wird. Gerade die biographische Selbstreflexion kann<br />

das ermöglichen, was normaler Unterricht nicht vermag: Schüler und Lehrer gleichermaßen<br />

anregen und bewegen, damit sie sich aufeinander zu bewegen können. Dies kann vor dem<br />

Hintergrund biographischer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> gelingen.<br />

Ein Konzept hierzu stellt ROGAL vor 401 und er nimmt da<strong>bei</strong> Bezug zum bereits<br />

angesprochenen Konzept der biographischen Selbstreflexion von GUDJONS/ PIEPER/<br />

WAGENER. Trotzdem nimmt er eine Abgrenzung dieser Methode zu der von ihm<br />

entwickelten in zwei Punkten vor. Zum einen, wenn biographische Selbstreflexion zu tief<br />

nach innen dringt, z.B. in Richtung Therapie, und wo sie zu sehr nach außen dringt, z.B. in<br />

Hinsicht auf die politische Einstellung. 402 Dem Konzept zugrunde liegen hauptsächlich die<br />

biographische Selbstreflexion (GUDJONS/ PIEPER/ WAGENER), die subjektorientierte<br />

politische Bildung (HOPPE) und das biografische Lernen im Pädagogikunterricht<br />

396 Vgl. ebd., S. 37ff<br />

397 Aus dem Inhaltsverzeichnis übernommen; vgl. ebd., S. 6<br />

398 Ebd., S. 55<br />

399 Vgl. Kapitel 3 und insbesondere Kapitel 3.5<br />

400 WAGNER, 1997, S. 21<br />

401 Vgl. ROGAL, 1999<br />

402 Vgl. ebd., S. 20<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 74


(STILLER). 403 Er entwickelt auf diesen Grundlagen sein Konzept vom biographischen<br />

Lernen, das er so definiert: „‘Biographisches Lernen’ definiere ich als durch Bezug eines<br />

Sachinhalts auf Aspekte der eigenen Lebensgeschichte sich ergebende Reflexions- und<br />

Erkenntnisprozesse.“ 404 Seiner Meinung nach drücken sich pädagogische Probleme in der<br />

Lebensgeschichte aus und werden somit deutbar und verstehbar. Da pädagogische Sachinhalte<br />

einen inhaltlichen sowie einen biographischen Aspekt haben, sind sie besonders geeig<strong>net</strong>,<br />

eigene Erfahrungen bildungswirksam werden zu lassen. Biographisches Lernen ist demnach<br />

ein Beitrag zu einem subjektorientierten Unterricht. 405 Den Nutzen von biographischen<br />

Lernen sieht ROGAL darin, dass „Biographisch Lernenden [..] in besonderem Maße ihre<br />

Individualität, ihre Interessen, ihre Befindlichkeit in den Unterricht integrieren und damit<br />

ihren Lernprozessen ein persönliches einmaliges Profil verleihen“ können. 406 Impulse und<br />

Übungen für dieses biographische Lernen sind unter anderem Schulhefte, Zeugnisse, Schul-<br />

Bilder, Schulfächer, Schulszenen, Tagebücher, Schul-Karriere, Lebenslinie, Mind-Mapping<br />

und Schul-Fotos.<br />

Wie sich dieses Konzept auf die Schule für Schüler mit LB übertragen läßt liegt auf der Hand:<br />

da die Schüler mit LB häufig eine sehr schmerzvolle, oft demütigende und meistens von<br />

negativen Erlebnissen in der Schule und außerhalb geprägten ‘Karriere’ mitbringen, ist die<br />

Notwendigkeit, sich damit zu beschäftigen enorm groß. FISCHER hat entsprechende<br />

Versuche dokumentiert und ein mögliches Konzept dargelegt. 407 Wie Hartmut von HENTIG<br />

bereits sagt, den ROGAL zitiert: „Wir müssen es mit den Lebensproblemen der Schüler<br />

aufnehmen, bevor wir ihre Lernprobleme lösen können.“ 408 Dies gilt für alle Schularten aber<br />

vor allem für die Schule für Schüler mit LB. Da<strong>bei</strong> begibt sich der Lehrer in fremde<br />

Biographien, in fremde Welten für ihn. Dies stellt eine ungemeine Herausforderung für den<br />

Lehrer dar 409 , doch oft entstehen Wege <strong>bei</strong>m Gehen 410 und der Lehrer wird sicherlich mehr<br />

erfahren über sich, die Gesellschaft und die Welt, wenn er sich mit Biographien beschäftigt.<br />

403 Vgl. ebd., S. 16ff<br />

404 Ebd., S. 21<br />

405 Vgl. ebd., S. 42<br />

406 Der Fettdruck des Zitates wurde nicht übernommen; ebd., S. 58<br />

407 Vgl. FISCHER, 1975<br />

408 ROGAL, 1999, S. 48<br />

409 Vgl. GARLICHS, 2000, S. 50<br />

410 „Wege entstehen <strong>bei</strong>m Gehen.“; ein Zitat von MEYER das ROGAL verwendet; ROGAL, 1999, S. 115<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 75


4.4 Selbsterziehung als Kompetenz des Lehrers für Schüler mit LB<br />

Über den Begriff ‘Kompetenz’ gibt es unterschiedliche Definitionen und Deutungsversuche.<br />

In der Pädagogik tritt dieser Terminus vermehrt auf, um die Qualitäten eines Pädagogen<br />

hinsichtlich verschiedener, sein pädagogisches Handeln betreffender, Bereiche fassbar zu<br />

machen. An anderer Stelle wird von einem „professionellen Selbst“ 411 gesprochen oder<br />

einfach die Persönlichkeit des Erziehers als zentrales Element seines pädagogischen Handelns<br />

dargestellt. Dass die Persönlichkeitsentwicklung des Erziehers impulsierend auf das Kind<br />

wirken kann, leuchtet ein: „Wer, wenn nicht ein in Entwicklung Befindender, sollte einen<br />

anderen Menschen anregen können, sich ebenfalls zu entwickeln?“ 412 sagt GRIMM in der<br />

Einleitung zu einem Buch, das die Selbsterziehung des Erziehers zum Thema hat.<br />

Die Selbsterziehung als wichtige Kompetenz des Erziehers sieht MOOR als Prozess, ebenso<br />

wie BAUER. Für diesen entsteht Lehrerprofessionalität „im Medium der Lehrerar<strong>bei</strong>t, ist also<br />

nicht nur Qualifizierung, sondern Subjektwerdung.“ 413 Somit können sich verschiedene<br />

Begriffe wie Persönlichkeitsentwicklung, Selbsterkenntnis, Selbstentwicklung,<br />

Subjektwerdung, biographische Selbstreflexion zu einer biographischen Kompetenz vereinen,<br />

die den Lehrer zu sich und zu seiner Kindheit führt und ihm damit auch die Tür öff<strong>net</strong> zu<br />

seinen Schülern, zu ihren Kindheiten und Biographien.<br />

Diese Öffnung kann für den Lehrer für Schüler mit LB unheimlich befruchtend wirken, hat er<br />

doch ein sehr große Herausforderung vor sich, die GRIMM mit einem Zitat von MOOR so<br />

beschreibt: „Gerade in der Heilpädagogik müssen wir ermessen können, welchen<br />

Hindernissen unsere Schüler ihre Entwicklungsschritte abringen müssen.“ 414<br />

Auf den Punkt bringt Martin BUBER diese mögliche biographische Kompetenz, die MOOR<br />

zitiert: „Bei sich selbst beginnen, aber nicht <strong>bei</strong> sich enden; von sich ausgehen, aber nicht auf<br />

sich abzielen; sich erfassen, aber sich nicht mit sich befassen.“ 415<br />

4.5 Mögliche Impulse für die Lehrerausbildung<br />

Die Einbeziehung der Persönlichkeit in die Lehrerbildung 416<br />

ist eine zentrale Forderung, die<br />

sich aus dem bisher gesagten ergibt. Sich selbst zu erkennen und anzunehmen sollten somit<br />

411 vgl. BAUER, 1998, S. 353 und seine Definition vom „pädagogischen Handlungsrepertoire“<br />

412 GRIMM in GRIMM, 1998, S. 8<br />

413 Vgl. BAUER, 1998, S. 355<br />

414 GRIMM, 1998, S. 8<br />

415 MOOR, 1969 2 , S. 500<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 76


auch Ziele der Ausbildung zum Lehramt sein, das damit auch eine umfassende<br />

Persönlichkeitsbildung und -entwicklung anstrebt. Der Drang zur Ganzheit und zur<br />

Integration biographischer Erfahrungen steht da<strong>bei</strong> im Vordergrund und sollte auch in<br />

fachlichen Seminaren berücksichtigt werden. Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an und mit Gefühlen aller Art ist<br />

darüber hinaus entscheidend für einen Lernerfolg, der durch unbewußte Konflikte blockiert<br />

werden kann.<br />

BRÜCK hat ein Modell dazu eindrucksvoll geschildert und gezeigt, wie Gefühle aus der<br />

eigenen Schulzeit, Ängste und Konflikte mit Autorität produktiv genutzt und anschließend in<br />

der Praxis bear<strong>bei</strong>tet werden konnten. 417<br />

Die Auseinandersetzung mit fremden Kindern, und das sind die Schüler ohne Zweifel, setzt<br />

die Kenntnis einer Kluft voraus, 418 die zwischen dem Lehrer und Schüler besteht. Diese Kluft<br />

sollte auch in der Lehrerausbildung thematisiert und da<strong>bei</strong> Verständnis für die eigenen Anteile<br />

bzw. Standpunkte am Rand der Kluft geweckt werden. Insbesondere die zukünftigen Lehrer<br />

für Schüler mit LB stehen vor dieser Kluft und müssen diese anschaulich erfassen können.<br />

HILLER gelang dies durch fiktive Beispiele von ungünstigen Lebenssituationen ehemaliger<br />

Sonderschüler, in deren Lage sich die Studenten versetzen sollten. 419<br />

Die biographische Selbstreflexion, das biographische Lernen und die biographische<br />

Kompetenz des Pädagogen befördern mehr Fragen an die Ausbildung, als sie in dieser zu<br />

lösen vermögen. Damit aber ist schon ein entscheidender Schritt getan. Denn Fragen nach<br />

dem woher und wohin, nach dem wie und warum, nach dem Werden und dem Sein, sind<br />

entscheidend für jede Weiterentwicklung. Und <strong>bei</strong> dieser kann jeder Pädagoge <strong>bei</strong> sich selbst<br />

anfangen und sich Fragen stellen (lassen).<br />

4.6 Zusammenfassung<br />

Es wurde die Notwendigkeit der professionellen Beschäftigung mit der eigenen Kindheit und<br />

Biographie des Lehrers für Schüler mit LB erläutert und begründet und der Rahmen dafür, die<br />

pädagogische Biographieforschung, kurz vorgestellt. Es wurde versucht, verschiedene<br />

Begriffe in einen größeren Zusammenhang zu stellen und aufeinander zu beziehen.<br />

Grundzüge einer subjektorientierten biographischen Pädagogik wurden angedeutet und für<br />

416 Vgl. die Einteilung von STIEFEL; STIEFEL, 1988, S. 3<br />

417 Vgl. BRÜCK, 1979<br />

418 Vgl. das Bild von der Kluft in Kapitel 3.2 und 3.3<br />

419 Vgl. HILLER, 1989<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 77


notwendig erachtet. In einem übergreifenden Sinne wurde Lehrertraining beschrieben als<br />

Möglichkeit, Selbstverwirklichung und förderliche Eigenschaften zu entwickeln und da<strong>bei</strong><br />

einige Ansätze genannt und vorgestellt.<br />

Ein konkretes Modell zur biographischen Selbstreflexion wurde dargelegt und mit Zielen,<br />

Grenzen Merkmalen, Funktionen, Bestandteilen und Übungen erläutert. Diese Konzept steht<br />

für die biographische Beschäftigung außerhalb des Unterrichts wohingegen das Konzept des<br />

biographischen Lernens als ein Modell für den Unterricht vorgestellt wurde. Im Anschluß an<br />

diese Konzeptionen wurde der Begriff der Selbsterziehung näher beleuchtet und auf die<br />

Heilpädagogik bezogen. Der Begriff der ‘biographischen Kompetenz’ entwickelte sich aus<br />

diesen Überlegungen heraus. Zum Schluß wurden mögliche Impulse und Anregungen für eine<br />

persönlichkeitsorientierte Lehrerausbildung genannt und ausgeführt.<br />

5. Schluß<br />

Wenn ich mir die bisherigen Ausführungen noch einmal vor Augen halte, entwickelt sich ein<br />

Bild, ähnlich dem, wie es ein Flugzeugpilot von oben auf die Landschaft unter sich haben<br />

muss. Eine Landschaft mit etlichen Wegmarken und Begrenzungen, aber auch mit<br />

reichhaltigen Eindrücken und Aussichtspunkten, die zum Verweilen einladen. Vielleicht<br />

erscheint diese Landschaft und der Weg durch sie auf den ersten Blick wie eine Odyssee<br />

durch Täler und Hügel. Daher möchte ich den Weg zusammenfassend beschreiben, so wie ich<br />

ihn erlebt habe.<br />

Jeder Mensch hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Der Ausgangspunkt für meine Überlegungen war die These, dass ein grundlegender<br />

Zusammenhang zwischen Kindheit und dem weiteren Lebenslauf eines Menschen besteht.<br />

Dies wurde anhand verschiedener Theorien untermauert und zugleich wichtige Felder<br />

kindlichen Erlebens herausgehoben. Da<strong>bei</strong> waren vor allem die Psychoanalyse und die<br />

Sozialisationstheorien Wegweiser durch das Terrain der Kindheitswelten. Ein wichtiger<br />

Wegbegleiter wurde auch das Bild vom inneren Kind, das den Zusammenhang zwischen<br />

Verletzungen aus der Kindheit und späterem Verhalten als Erwachsener anschaulich<br />

darstellen konnte. Bei den weiteren Ausführungen konnte anhand dieses Modells das<br />

Zusammenspiel zwischen Kindheit und erwachsenem Verhalten besser eingeord<strong>net</strong> werden.<br />

Mit diesen gedanklichen Proviant ausgestattet ging es weiter in die Kindheit von Lehrern.<br />

Jeder Lehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 78


In diesem neuen Abschnitt sollte der Frage nachgegangen werden, wie sich<br />

Kindheitserfahrungen im Verhalten des Lehrers ausdrücken. Die Zusammenhänge aus dem<br />

ersten Kapitel waren <strong>bei</strong> diesem Transfer von entscheidender Bedeutung ebenso wie<br />

lehrerbiographische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>en. Es konnte gezeigt werden, dass Lehrer sogar in erhöhtem Maße<br />

beeinflusst sind von ihrer Kindheit, auch aufgrund der Tatsache, dass sie es in ihrer täglichen<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Vor allem in den Bereichen Familie,<br />

eigene Schulzeit und gesellschaftliche Herkunft konnten signifikante Zusammenhänge<br />

ermittelt werden. Damit ist der Lehrer in einer exponierten Situation, was seine eigene<br />

Kindheit und deren Reflexion anbetrifft. Drei Stolpersteine, die dem Lehrer den Weg<br />

erschweren können, wurden hervorgehoben und in ihrer Wirkung auf den Lehrer und die<br />

Schüler beschrieben. Die grundlegende These, die damit belegt werden konnte ist: der Einfluß<br />

der eigenen Kindheit ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule! Das war von diesem<br />

Punkt aus gut zu überblicken.<br />

Jeder Lehrer für Schüler mit LB hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Der Aufstieg vom vorherigen Standort geschah durch die Betrachtung der pädagogischen<br />

Beziehung und ihrer Bedeutung für die Schule für Schüler mit LB. Es konnte gezeigt werden,<br />

dass diese pädagogische Beziehung ein Grundelement pädagogischen Handelns und somit<br />

auch Bestandteil des sonderpädagogischen Handelns ist. Diese Vorannahme war wichtig für<br />

das nun folgende Gebiet. In den vertrauten und fremden Kindheiten des Lehrers für Schüler<br />

mit LB erstreckte sich so etwas wie ein Dschungel, der die Lehrer und Schüler sich immer<br />

mehr verlieren ließ bis sich eine Lichtung auftat, hinter der eine Kluft zum Vorschein kam.<br />

Die Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB aufgrund verschiedener Kindheiten spannte<br />

sich vom einen Ende zum anderen und ließ kaum noch Zweifel daran, dass Lehrer und<br />

Schüler mit LB tatsächlich weit voneinander entfernt sind. Nach dieser Erkenntnis wurde die<br />

Kluft behutsam vermessen und ihre Beschaffen- und Gewordenheit untersucht.<br />

Jeder Schüler mit LB hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Da<strong>bei</strong> standen die Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB und auch deren Kindheit im<br />

Blickpunkt. Denn oft zeigte sich die Kluft deutlicher durch den Kontrast, den man in der<br />

Gegenüberstellung der <strong>bei</strong>den erkannte. Man befand sich nun in unterschiedlichen<br />

Spannungsfeldern, welche die möglichen Konflikte differenter Kindheiten offenbarten.<br />

Wegmarken, die das Terrain absteckten waren da<strong>bei</strong> Thesen, die auf eine These vereinfacht<br />

werden können: Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel eine andere<br />

Kindheit erlebt haben als ihre Schüler und aufgrund dieser Tatsache von ihnen geistig<br />

entfernt sind. Es wurden jedoch auch Chancen aufgezeigt und ebenso wurde nach der<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 79


erfolgten Untersuchung der Kluft ein Modell skizziert, mit dem sich die Kluft überbrücken<br />

ließe. Dem zugrunde lag die Erkenntnis, dass die Kluft überbrückt werden müsse, um<br />

pädagogisches Handeln und eine pädagogische Beziehung überhaupt zu ermöglichen. Die<br />

Überquerung der Kluft gewährte danach einen weiten Blick hinüber in die gesellschaftliche<br />

Spannung der Thematik und die Diskussion der Begriffe ‘Lernbehinderung’ und ‘Norm’.<br />

Jeder Lehrer (für Schüler mit LB) kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst,<br />

reflektieren.<br />

Nach dem Zurücklegen des Weges bis dahin war deutlich geworden, dass der Lehrer einer<br />

Reflexion der eigenen Kindheit bedarf, um unbewußte Konflikte bewußt zu machen,<br />

pädagogische Beziehungen zu ermöglichen und sein (sonder-) pädagogisches Handeln zu<br />

professionalisieren. Die Notwendigkeit einer professionellen Selbstreflexion des Lehrers<br />

wurde verdeutlicht und der Rahmen, in dem sich diese abspielt, aufgezeigt. Die pädagogische<br />

Biographieforschung dient in diesem Zusammenhang als Reservoir an autobiographischen<br />

und anderen Quellen und darüber hinaus methodischen Zugängen, um sich einer<br />

selbstreflexiven Praxis anzunähern. Zwei konkrete Möglichkeiten zu einer<br />

Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit wurden diskutiert und andere wurden genannt.<br />

Der Frage, ob biographische Selbstreflexion eine sonderpädagogische Kompetenz ist, konnte<br />

nur ansatzweise nachgegangen werden. Da<strong>bei</strong> wurde der Begriff der biographischen<br />

Kompetenz gleichsam als Souvenir und vielleicht auch Kuriosität aus dieser Gegend<br />

mitgenommen, und damit ein Impuls für weiteres Forschen in diesem Bereich gegeben.<br />

Mögliche Anregungen für die Lehrerbildung wurden gesucht und diese auch als entscheidend<br />

im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung der angehenden Lehrer erachtet.<br />

Jeder Student hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />

Damit wäre man wieder angekommen auf diesem imaginären Rundgang durch diese <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

und deren gedanklicher Landschaft. Für mich war diese Wanderung Abenteuer und Ausflug<br />

zugleich. Abenteuer aufgrund der oft schwierigen Literaturlage und der damit erschwerten<br />

Gliederung des Materials. Ausflug deshalb, weil ich viele sehenswerte und neue<br />

Aussichtspunkt in meinem Denken erreicht habe und am Ende wohlbehalten an meinem Ziel<br />

angekommen bin. Natürlich habe ich auch viel über meine Kindheit und deren Einfluß auf<br />

mein Handeln nachgedacht und daher denke ich, dass letztlich Forschen nach etwas Neuem<br />

immer auch Forschen nach sich und neuen Seiten an sich bedeutet.<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 80


6. Literaturverzeichnis<br />

• ARMINGER, Magret: Das innere Kind: Schlüsselerlebnisse, die uns befreien.<br />

München: Heyne, 1997<br />

• ASPER, 1989, Kathrin: Von der Kindheit zum Kind in uns: Lebenshilfe aus dem<br />

Unbewußten. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1995<br />

• BAIER, Herwig: Untersuchung zum Selbstbild des Sonderschullehrers; Bericht über<br />

eine pilot study. In: Zeitschrift Heilpädagogik 23 (1972) 10, S. 665-683<br />

• BAIER, Herwig: Das soziale Rekrutierungsfeld der Sonderschullehrer. In: Zeitschrift<br />

für Heilpädagogik 26 (1975) 11, S. 681-690<br />

• BAIER, Herwig: Marginalien zur Position und Rolle des Lehrers an der Sonderschule<br />

für Lernbehinderte. In: BAIER, Herwig/ KLEIN, Gerhard (Hrsg.): Aspekte der<br />

Lernbehindertenpädagogik: einführende Texte. Berlin: Marhold, 1975 2<br />

• BÄRSCH, Walter: Die Familie muß es verar<strong>bei</strong>ten; Über die Auswirkungen des<br />

Sitzenbleibens auf Kinder und Eltern. In: Westermann Pädagogische Beiträge 38<br />

(1987) 4, S. 26-28<br />

• BAUDE, Norbert: Zur Rollenproblematik des Sonderschullehrers: systemimmanente<br />

Konfliktsituationen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 26 (1975) 1, S. 16-23<br />

• BAUER, Karl-Oswald: Pädagogisches Handlungsrepertoire und professionelles Selbst<br />

von Lehrerinnen und Lehrern. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 44 (1998) 3, S. 343-<br />

359<br />

• BEGEMANN, Ernst: Die Erziehung der sozio-kulturell benachteiligten Schüler.<br />

Hannover; Berlin; Darmstadt; Dortmund: Schroedel, 1970<br />

• BEGEMANN, Ernst: ‘Sonderpädagogen’ in besonderer Situation: Sie müssen für das<br />

miteinander befähigt werden! In: BEGEMANN, Ernst/ KRAWITZ, Rudi (Hrsg.):<br />

Sonderpädagogik für Nichtbehinderte. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlags-Gesellschaft,<br />

1994, S. 200-215<br />

• BERNE, Eric: Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen.<br />

Reinbek. b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1995<br />

• BERNFELD, Siegfried: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt a.M.:<br />

Suhrkamp, 1976 2<br />

• BITTNER, Günther: Autobiographische Texte und Interpretationsperspektiven In:<br />

BITTNER, Günther (Hrsg.): Biographien im Umbruch: Lebenslaufforschung und<br />

vergleichende Erziehungswissenschaft. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1994<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 81


• BLEIDICK, Ulrich/ ELLGER-RÜTTGARDT, Sieglind (Hrsg.): Lehrer für<br />

Behinderte: Monographie zum Sonderschullehrer. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz:<br />

Kohlhammer, 1978<br />

• BLOEMERS, Wolf: Unbewußte, verschlüsselte Gefühlsbotschaften im Unterricht mit<br />

sogenannten Lernbehinderten; belastende Verständigungskonflikte und<br />

tiefenpsychologische Verstehenshilfen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 46 (1995) 5,<br />

S. 212-219<br />

• BÖHM, Winfried: Wörterbuch der Pädagogik. (Begr. von Wilhelm Hehlmann)<br />

Stuttgart: Kröner, 1994 14<br />

• BRÜCK, Horst: Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler: zur Problematik<br />

verbliebender Kindlichkeit in der Unterrichtsar<strong>bei</strong>t des Lehrers; ein Modell. Reinbek<br />

b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1979<br />

• BRUNNER, Reinhard: Lehrerverhalten: Theorien, Bedingungen, Merkmale und<br />

Zusammenhänge mit dem Verhalten und der Leistung von Schülern. Paderborn:<br />

Schöningh, 1978<br />

• BÜHLER, Charlotte/ SCHENK-DANZINGER, Lotte/ SMITTER, Faith:<br />

Kindheitsprobleme und der Lehrer. Wien; München: Jugend und Volk, 1959<br />

• BURI, Beat: Lernbiografien in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung:<br />

unterrichtskritische Studie zum Stellenwert persönlicher Lernerfahrungen in der<br />

Berufsausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Zürich: Studentendruckerei, 1998<br />

• CASELMANN, Christian: Wesensformen des Lehrers: Versuch einer Typenlehre.<br />

Stuttgart: Klett, 1964 3<br />

• CHASIOTIS, Athanasios: Kindheit und Lebenslauf: Untersuchungen zur<br />

evolutionären Psychologie der Lebensspanne. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle:<br />

Huber, 1999<br />

• CHOPICH, Erika J.: Aussöhnung mit dem inneren Kind. Berlin: Ullstein, 1997 17<br />

• COMBE, Arno: Alles Schöne kommt danach: die jungen Pädagogen - Lebensentwürfe<br />

und Lebensgeschichten der Nachkriegsgenerationen; eine sozialpsychologische<br />

Deutung. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1983<br />

• DENECKE, Wulf: Biographische Thesen des Autors. In: Pädagogische Beiträge 38<br />

(1986) 11, S. 36-37<br />

• DILTHEY, Wilhelm: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den<br />

Geisteswissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1993 4<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 82


• EBERWEIN, Hans: Lernbehinderung - eine negativ sanktionierende<br />

Normabweichung. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 26 (1975) 2, S. 68-75<br />

• EBERWEIN, Hans (Hrsg.): Handbuch Lernen und Lernbehinderungen:<br />

Aneignungsprobleme - neues Verständnis von Lernen - Integrationspädagogische<br />

Lösungsansätze. Weinheim; Basel: Beltz: 1996<br />

• FISCHER, Ottmar: Lernbehinderung als Gegenstand des Unterrichts. In:<br />

Sonderpädagogik (1975) 5, S. 18-34<br />

• FISCH, Heinrich (Hrsg.): Abiturwissen Sozialwissenschaften; Weltbild Kolleg.<br />

Augsburg: Weltbild, 1992<br />

• FREYN, Walter: Über die Abhängigkeit der Schülerleistung bzw. -beurteilung von der<br />

Geschwisterkonstellation von Schüler und Lehrer. In: Psychologie in Erziehung und<br />

Unterricht 23 (1976) 4, S. 215-223<br />

• FUCHS, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden.<br />

Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984<br />

• GARLICHS, Ariane: Schwierige Schüler und ihre Lehrer. In: Grundschule 17 (1985)<br />

7/8, S. 44-49<br />

• GARLICHS, Ariane: Schüler verstehen lernen: Das Kasseler Schülerhilfeprojekt im<br />

Rahmen einer reformorientierten Lehrerausbildung. Donauwörth: Auer, 2000<br />

• GIESECKE, Hermann: Pädagogik als Beruf: Grundformen pädagogischen Handelns.<br />

Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1992<br />

• GIESECKE, Hermann: Die pädagogische Beziehung: pädagogische Professionalität<br />

und die Emanzipation des Kindes. Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1997<br />

• GRAF-DESERNO, Susanne: Gestörtes Lernen - Gestörte Beziehungen. Bensheim:<br />

päd.-extra-Buchverlag, 1981<br />

• GRELL, Jochen: Techniken des Lehrerverhaltens. Weinheim; Basel: Beltz, 1995<br />

• GRIMM, Rüdiger: Einführung. In: GRIMM, Rüdiger (Hrsg.): Selbstentwicklung des<br />

Erziehers in heilpädagogischen Aufgabenfeldern: die Idee der Selbsterziehung<br />

<strong>bei</strong> H. Nohl, P. Moor, J. Muth, J. Korczak und R. Steiner. Luzern: Ed. SZH/SPC,<br />

1998, S. 7-11<br />

• GRUNWALD, Arno: Empirische Untersuchung zu Meinungen und Ansichten von<br />

Lehrern an Sonderschulen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 26 (1975) 11, S. 700-715<br />

• GÜNTHER, Waltraud: Lehrerpersönlichkeit und Schulversagen: Warum schafft<br />

Viktor die Grundschule und Eugen kommt in die Förderschule? In:<br />

Förderschulmagazin (1997) 9, S. 7<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 83


• GUDJONS, Herbert/ PIEPER, Marianne/ WAGENER, Birgit: Auf meinen Spuren:<br />

das Entdecken der eigenen Lebensgeschichte; Vorschläge und Übungen für<br />

pädagogische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Selbsterfahrung. Hamburg: Bergmann und Helbig, 1992 2<br />

• GUDJONS, Herbert: Pädagogisches Grundwissen: Überblick - Kompendium -<br />

Studienbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1997 5<br />

• HARRIS, Christine A.: Mein Schwangerschaftstagebuch: die 206 Tage vor der Geburt<br />

des Kindes. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 2000<br />

• HEIMLICH, Ulrich: Der Situationsansatz in seiner Bedeutung für die<br />

Lernbehindertenpädagogik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 45 (1994) 9, S. 578-587<br />

• HEMMINGER, Hansjörg: Kindheit als Schicksal?: Die Folgen frühkindlicher<br />

seelischer Verletzungen. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1982<br />

• HENNINGSEN, Jürgen: Autobiographie und Erziehungswissenschaft: 5 Studien.<br />

Essen: Neue Deutsche Schule, 1981<br />

• HERRMANN, Ulrich: „Innenansichten“; Erinnerte Lebensgeschichte und<br />

geschichtliche Lebenserinnerung, oder: Pädagogische Reflexion und ihr „Sitz im<br />

Leben“. In: BERG, Christa (Hrsg.): Kinderwelten. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994 2 ,<br />

S. 41-67<br />

• HILLER, Gotthilf Gerhard: Ausbruch aus dem Bildungskeller: pädagogische<br />

Provokationen. Ulm: Armin Vaas Verlag, 1989<br />

• HOFMANN, Christiane: Psychoanalytische Aspekte der Lernstörungen und<br />

Lernverweigerung. In: BÜTTNER, Christian/ FINGER-TRESCHER, Urte (Hrsg.):<br />

Psychoanalyse und schulische Konflikte. Mainz: Matthias-GRünewald-Verlag, 1991<br />

• HÖHN, Elfriede: Der schlechte Schüler: sozialpsychologische Untersuchungen über<br />

das Bild des Schulversagers. München: R. Piper und Co. Verlag, 1972<br />

• HUBER, Günter L.: Finden oder suchen?: Lehren und Lernen in Zeiten der<br />

Ungewißheit. Schwangau: Huber, 1999<br />

• HURRELMANN, Klaus/ JAUMANN, Olga: Sozialisations-und<br />

interaktionstheoretische Konzepte in der Behindertenpädagogik. In: BLEIDICK,<br />

Ulrich (Hrsg.): Theorie der Behindertenpädagogik; Handbuch der Sonderpädagogik<br />

Band 1. Berlin: Marhold, 1985, S. 295-321<br />

• JANTZEN, Wolfgang/ PROBST, Holger/ BEZECNY, Dieter/ HERGET, Wolfram:<br />

Einstellungen von Volks- und Sonderschullehrern gegenüber Sonderschülern und<br />

schlechten Volksschülern und der Zusammenhang mit Persönlichkeitsmerkmalen der<br />

Lehrer. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 23 (1972) 19, S. 684-696<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 84


• JEGGE, Jürg: Dummheit ist lernbar: Erfahrungen mit „Schulversagern“. Reinbek b.<br />

Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1983<br />

• KAPLAN-WILLIAMS, Strephon: Im Garten des Herzens: die Kindheit als Schlüssel<br />

zu persönlichem Wachstum. München: Kösel, 1993<br />

• KERSCHENSTEINER, Georg: Die Seele des Erziehers und das Problem der<br />

Lehrerbildung. Stuttgart: Teubner, 1961 8<br />

• KLEIN, Gerhard: Lernbehinderte Kinder und Jugendliche: Lebenslauf und Erziehung.<br />

Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1985<br />

• KLEIN, Ulrich: Lehrertypen: Persönlichkeitsstruktur der Lehrer und<br />

entwicklungsgefährdete Schülerinnen und Schüler. In: Förderschulmagazin (2001) 3,<br />

S. 5-7<br />

• KLEMM, Klaus: Die Bildungsbe(nach)teiligung ausländischer Schüler in der<br />

Bundesrepublik. In: Pädagogische Beiträge (1987) 12, S. 18-21<br />

• KORCZAK, Janusz: Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen: Vandenhoeck und<br />

Ruprecht, 1979 7<br />

• LENZEN, Dieter: Mythologie der Kindheit. Die Verewigung des Kindlichen in der<br />

Erwachsenenkultur - Verstecke Bilder und vergessene Geschichten. Reinbek b.<br />

Hamburg Rowohlt-Verlag, 1985<br />

• MAND, Johannes: Lernbehinderung als soziale Benachteiligung In: EBERWEIN,<br />

Hans (Hrsg.): Handbuch Lernen und Lernbehinderungen: Aneignungsprobleme -<br />

neues Verständnis von Lernen - Integrationspädagogische Lösungsansätze. Weinheim;<br />

Basel: Beltz: 1996, S. 165-175<br />

• MANN, Iris: Schlechte Schüler gibt es nicht: Initiativen für die Grundschule.<br />

Weinheim; Basel: Beltz, 1989 4<br />

• MANN, Iris: Die Kraft geht von den Kindern aus: eine stufenweise Befreiung von der<br />

Lehrerrolle. Weinheim; Basel: Beltz, 1989 6<br />

• MANSKE, Christel: Lernbehinderung ist gebrochener Stolz. In: EBERWEIN, Hans<br />

(Hrsg.): Handbuch Lernen und Lernbehinderungen: Aneignungsprobleme - neues<br />

Verständnis von Lernen - Integrationspädagogische Lösungsansätze. Weinheim;<br />

Basel: Beltz: 1996, S. 157-164<br />

• MILLER, Alice: Am Anfang war Erziehung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1983<br />

• MISSILDINE, Hugh W.: In dir lebt das Kind, das du warst. Stuttgart: Klett-Cotta,<br />

1986 5<br />

• MOOR, Paul: Heilpädagogik. Bern; Stuttgart: Verlag Hans HUBER, 1999, 1969 2<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 85


• MUTH, Jakob: Pädagogischer Takt. Essen: Neue deutsche Schule, 1982<br />

• MUTZECK, Wolfgang/ PALLASCH, Waldemar (Hrsg.): Handbuch zum<br />

Lehrertraining: Konzepte und Erfahrungen. Weinheim; Basel: Beltz, 1983<br />

• NEIDHARDT, Wolfgang: Kinder, Lehrer und Konflikte: vom psychoanalytischen<br />

Verstehen zum pädagogischen Handeln. München: Juventa-Verlag, 1977<br />

• NEUßER, Martina: „Man hat mich doof, behindert und Spastiker genannt“:<br />

Biographische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Analphabeten. In: Pädagogische Beiträge (1987) 10, S. 24-<br />

29<br />

• NICKEL, Horst: Psychologie des Lehrerverhaltens. München; Basel: Ernst Reinhardt<br />

Verlag, 1978<br />

• NIEMEYER, August Hermann: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts für<br />

Eltern, Hauslehrer und Erzieher. (unveränderter Nachdruck der 1. Auflage Halle,<br />

Waisenhaus-Buchhandlung, 1796. Hrsg. von Hans-Hermann Groothoff und Ulrich<br />

Hermann) Paderborn: Schöningh, 1970<br />

• PRANGE, Klaus: Pädagogische Erfahrung: Vorträge und Aufsätze zur Anthropologie<br />

des Lernens. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag, 1989<br />

• RÄUBER, Gisbert: Die Lehrerpersönlichkeit im offenen schlülerorientierten<br />

Unterricht der Schule für lernbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche. In:<br />

Behindertenpädagogik 37 (1998) 1, S. 49-56<br />

• RENNER, Erich (Hrsg.): Kinderwelten: pädagogische, ethnologische und<br />

literaturwissenschaftliche Annäherungen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1995<br />

• RICHTER, Horst E.: Flüchten oder Standhalten. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1976<br />

• ROGAL, Stefan: Schul-Spuren: Möglichkeiten biographischen Lernens im<br />

Pädagogikunterricht. Hohengehren: Schneider-Verlag, 1999<br />

• ROHR, Barbara: Mädchen - Frau - Pädagogin: Texte zu Problemen der<br />

Persönlichkeitsentwicklung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1984<br />

• SCARBATH, Horst G.: Selbsttäuschungen im Lehrberuf: psychoanalytisches<br />

Verstehen als Selbstaufklärung. In: Pädagogik 51 (1999) 9, S. 16-20<br />

• SCHENK-DANZINGER, Lotte: Entwicklungspsychologie. Wien: Österreichischer<br />

Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, 1971 4<br />

• SCHMIDBAUER, Wolfgang: Hilflose Helfer: über die seelische Problematik der<br />

helfenden Berufe. Reinbek b. Hamburg, 1975<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 86


• SCHONIG, Bruno/ du BOIS-REIMOND, Manuela (Hrsg.): Lehrerlebensgeschichten:<br />

Lehrerinnen und Lehrer aus Berlin und Leiden (Holland) erzählen. Weinheim; Basel:<br />

Beltz, 1982<br />

• SCHRAML, Walter J.: Einführung in die Tiefenpsychologie für Pädagogen und<br />

Sozialpädagogen. Stuttgart: Klett, 1971 4<br />

• SCHULZE, Theodor: Lebenslauf und Lebensgeschichte. Zwei unterschiedliche<br />

Sichtweisen und Gestaltungsprinzipien biographischer Prozesse. In: BAACKE, Dieter/<br />

SCHULZE, Theodor (Hrsg.): Pädagogische Biographieforschung: Orientierungen,<br />

Probleme, Beispiele. Weinheim; Basel: Beltz, 1985, S. 29-63<br />

• SCHULZE, Theodor: Biographische orientierte Pädagogik. In: BAACKE, Dieter/<br />

SCHULZE, Theodor (Hrsg.): Aus Geschichten lernen: zur Einübung pädagogischen<br />

Verstehens. Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1993<br />

• SCHULZ von THUN, Friedemann: Miteinander reden 3: das „Innere Team“ und<br />

situationsgerechte Kommunikation. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1999<br />

• SINGER, Kurt: Unbewußte Konflikte der Lehrerpersönlichkeit als Störung der<br />

pädagogischen Beziehung: Anregungen zur Selbstbesinnung des Lehrers. In:<br />

GUDJONS, Herbert/ REINERT, Gerd-Bodo (Hrsg.): Lehrer ohne Maske?:<br />

Grundfragen zur Lehrerpersönlichkeit. Königstein/ Ts.: Scriptor, 1981, S. 73-87<br />

• SINGER, Kurt: Lehrer-Schüler-Konflikte gewaltfrei regeln:<br />

„Erziehungsschwierigkeiten“ und Unterrichtsstörungen als BEziehungs-<br />

Schwierigkeiten bear<strong>bei</strong>ten. Weinheim; Basel: Beltz, 1988<br />

• SPRINGER, Katharina: Ich seh dich: Lesebuch für einen individuellen,<br />

entwicklungsfördernden und heilsamen Unterricht. Linz: Veritas, 1990<br />

• STIEFEL, Regula: Persönlichkeitsbildung al Grundanliegen in der Lehrerausbildung:<br />

Begründung und Bildungskonzeption, Darstellung und Untersuchungen eines offenen<br />

Modells. Bern; Stuttgart: Haupt, 1988<br />

• STONE, Hal/ STONE, Sidra: Du bist viele: das 100fache Selbst und seine Entdeckung<br />

durch die Voice-Dialogue-Methode. München: Heyne, 1994<br />

• TAUSCH, Reinhard/ TAUSCH, Anne-Marie: Erziehungspsychologie: Begegnung von<br />

Person zu Person. Göttingen; Toronto; Zürich: Hogrefe, 1977<br />

• TERHART, Ewald: Berufsbiographien von Lehrern und Lehrerinnen. Frankfurt a.M.;<br />

Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang, 1994<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 87


• TERHART, Ewald: Lehrerbiographien. In: KÖNIG, Eckard/ ZEDLER, Peter (Hrsg.):<br />

Bilanz qualitativer Forschung. Band II: Methoden. Weinheim: Deutscher Studien<br />

Verlag, 1995, S. 225-264<br />

• TIMPNER, Petra: Bleiben Lehrerinnen immer Kinder?: Erwachsenwerden als<br />

Verzicht auf Lebenslügen. In: Pädagogik 51 (1999) 9, S. 21-25<br />

• TOMAN, Walter: Familienkonstellationen: ihr Einfluß auf den Menschen und sein<br />

soziales Verhalten. München: Verlag C.H. Beck, 1974 2<br />

• TUSCH, Hanspeter: Selbstreflexionstraining in der Lehrerbildung. Innsbruck: Golf-<br />

Verlag, 1988<br />

• UHL, Christiane: „Bei Sven, da flippe ich regelmäßig aus...“. In: Grundschule 17<br />

(1985) 7/8, S. 40-43<br />

• VOß, Ursula (Hrsg.): Kindheiten: gesammelt aus Lebensberichten. München:<br />

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979<br />

• WAGENER, Birgit: Was der Mensch ist, sagt ihm nur seine Geschichte:<br />

Biographsiche Selbstreflexion als Konzept und Methode für pädagogische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. In:<br />

Pädagogische Beiträge 38 (1987) 10, S. 8-13<br />

• WAGNER, Herbert: Bildungsbiographien Lernbehinderter: eine regionale<br />

Längsschnittuntersuchung der Bedingungen und Ergebnisse schulischer Sozialisation.<br />

Bad Bentheim: FISB, 1997<br />

http://www.foepaed.<strong>net</strong> 88

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!