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Simon Hörsch<br />
Die eigene Kindheit und deren<br />
Reflexion im sonderpädagogischen<br />
Handeln des Lehrers für Schüler mit<br />
Lernbehinderungen<br />
Erste Staatsexamensar<strong>bei</strong>t<br />
––– 2002 –––<br />
föpäd.<br />
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Quellenangabe für diese Veröffentlichung:<br />
Hörsch, Simon: Die eigene Kindheit und deren Reflexion im sonderpädagogischen<br />
Handeln des Lehrers für Schüler mit Lernbehinderungen.<br />
Online im Inter<strong>net</strong>: URL: http://www.foepaed.<strong>net</strong>/volltexte/hoersch/reflexion.<strong>pdf</strong>.
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
1. Einleitung ........................................................................................................ 5<br />
2. Die Bedeutung der eigenen Kindheit für Erwachsene ................................ 8<br />
2.1 Begriffsklärung ................................................................................................. 8<br />
2.2 Der Einfluss der eigenen Kindheit auf Erwachsene ......................................... 8<br />
2.2.1 Der Zusammenhang zwischen Kindheit und Lebenslauf ................................. 9<br />
2.2.2 Das Modell vom inneren Kind ....................................................................... 11<br />
2.3 Die Kindheit im Lehrer .................................................................................. 14<br />
2.3.1 Kindheiten von Lehrern ................................................................................. 16<br />
2.3.2 Einfluss von Kindheitserfahrungen auf die Persönlichkeit und das<br />
Verhalten des Lehrers in der Schule .............................................................. 17<br />
2.4 Mögliche ‘Stolpersteine’ der eigenen Kindheit für den Lehrer ..................... 20<br />
2.4.1 Helfen als Antrieb <strong>bei</strong>m Lehrer ...................................................................... 20<br />
2.4.2 Verbliebene Kindlichkeit <strong>bei</strong>m Lehrer ........................................................... 21<br />
2.4.3 Der Erzogene erzieht ...................................................................................... 22<br />
2.5 Zusammenfassung .......................................................................................... 24<br />
3. Die Spannungsfelder vertrauter und fremder Kindheit im<br />
sonderpädagogischen Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ............. 24<br />
3.1 Die pädagogische Beziehung zwischen dem Lehrer und Schüler mit LB ..... 25<br />
3.2 Vertraute Kindheit für den Lehrer .................................................................. 27<br />
3.3 Die Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB ............................................. 30<br />
3.4 Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten .............................................. 33<br />
3.4.1 Normaler unterrichtet Un-Normale ................................................................ 36<br />
3.4.2 Erwachsener unterrichtet Kinder .................................................................... 41<br />
3.4.3 Musterschüler unterrichtet Lernbehinderte .................................................... 45<br />
3.4.4 Privilegierter unterrichtet soziokulturell Benachteiligte ................................ 48<br />
3.4.5 Geliebter unterrichtet Ungeliebte ................................................................... 51<br />
3.4.6 Heilender Helfer unterrichtet hilfsbedürftige Kranke .................................... 54<br />
3.4.7 Erzogener unterrichtet Unerzogene ................................................................ 56<br />
3.4.8 Reife Persönlichkeit unterrichtet unreife Persönlichkeiten ............................ 59<br />
3.5 Das Dilemma der Schule für Schüler mit LB und die Verstrickung des<br />
Lehrers ............................................................................................................ 61<br />
3.6 Eine tragfähige Brücke über die Kluft ........................................................... 63<br />
3.7 Zusammenfassung .......................................................................................... 65<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 3
4. Biographische Selbstreflexion als Kompetenz im sonderpädagogischen<br />
Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ................................................... 66<br />
4.1 Die notwendige Professionalisierung der Beschäftigung mit der eigenen<br />
Kindheit im sonderpädagogischen Handeln innerhalb der pädagogischen<br />
Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB ........................................... 67<br />
4.2 Pädagogische Biographieforschung als Rahmen biographischer<br />
Beschäftigung mit der eigenen Kindheit ........................................................ 69<br />
4.3 Ansätze zur biographischen Selbstreflexion des Lehrers für Schüler mit<br />
LB außerhalb und innerhalb des Unterrichts .................................................. 71<br />
4.3.1 Biographische Selbstreflexion außerhalb des Unterrichts .............................. 72<br />
4.3.2 Biographische Selbstreflexion und biographisches Lernen im Unterricht ..... 74<br />
4.4 Selbsterziehung als Kompetenz des Lehrers für Schüler mit LB ................... 76<br />
4.5 Mögliche Impulse für die Lehrerbildung ....................................................... 76<br />
4.6 Zusammenfassung .......................................................................................... 77<br />
5. Schluss ........................................................................................................... 78<br />
6. Literaturverzeichnis ..................................................................................... 81<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 4
1. Einleitung<br />
Jeder Mensch hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Alle Menschen waren oder sind Kinder - ohne Ausnahme. 1 Jeder Mensch hat somit innerhalb<br />
seines Lebenslaufes die Kindheit durchlaufen oder tut dies noch. Da<strong>bei</strong> ist Kindheit etwas<br />
zutiefst persönliches, es gibt gewissermaßen gar nicht die Kindheit sondern jeder Mensch hat<br />
seine eigene Kindheit.<br />
Das Bild vom Menschen, das wir in heutiger Zeit haben ist das eines sich in<br />
Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelnden Wesens. Der Mensch wächst in und mit<br />
seiner Umwelt. Die Symbole für diesen Prozess sind mannigfaltig und viele davon stellen die<br />
Parallelität zur Natur heraus. So ist der Mensch vergleichbar einem Baum, ausgehend vom<br />
Samen über die Wurzeln hin zu den Blüten und Früchten in späteren Tagen. Das Altern des<br />
Menschen entspricht den Ringen des Baumes, die sich um sein Zentrum lagern. Ein anderer<br />
Vergleich setzt die menschlichen Entwicklungsstadien dem Aufbau einer Zwiebel gleich. Jede<br />
neue Schale ersetzt nicht die vorhergehende, sondern umschließt diese, wächst förmlich aus<br />
ihr heraus. 2 Auch Bilder und Vergleiche aus dem alltäglichen Leben drängen sich auf. Die<br />
Metapher von den Lebenserfahrungen als Bühnenbild vor dem sich das aktuelle Geschehen<br />
des Menschen abspielt verdeutlicht die Präsenz, welche die Biographie in jedem Moment<br />
hat. 3<br />
Was ist Kindheit? Ein verklärtes Glück? Unbeschwerte Jahre? Traumatische Episode?<br />
Kreislauf der Ohnmacht? Diese Frage muß jeder für sich selbst beantworten und sie soll nicht<br />
in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> „gelöst“ werden. 4<br />
Es geht zuerst vielmehr um die grundlegende Frage nach dem Zusammenhang zwischen<br />
Kindheit und dem Verhalten als Erwachsener. Wie lebt die Kindheit im Erwachsenen fort,<br />
falls sie das überhaupt tut?<br />
Jeder Lehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Im Kreislauf der Erziehung hat der Lehrer die Fronten gewechselt und erzieht als Erzogener<br />
nun die ihm anvertrauten Kinder. Provokant gesagt: er war Opfer von Erziehung und macht<br />
nun in der Rolle des Täters die Kinder zu Opfern seiner Erziehung. 5 Lassen wir die Kinder<br />
sprechen und ihm entgegenhalten: „Bist du schon vollständig erzogen und ein reifer<br />
Erwachsener, der gelungene Erziehung an uns weitergeben kann? Kehr doch zuerst vor deiner<br />
1 vgl. VOß, 1979, S.7ff<br />
2 vgl. BRÜCK, 1979, S. 167<br />
3 ebd. erwähnt diesen Vergleich in bezug auf den Lehrer (S. 323)<br />
4 ein Comicstrip, der den Rückblick auf Kindheit zum Thema hat, befindet sich im Anhang<br />
5 vgl. MILLER, 1983, S. 287<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 5
eigenen Haustür!“. 6 Somit ist auch der Ausspruch „Erkenne dich selbst“ für den Erzieher<br />
bedeutsam. „Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest.[...] Unter ihnen bist<br />
du selbst ein Kind, das du zunächst einmal erkennen, erziehen und ausbilden musst“. 7 gibt<br />
KORCZAK dem Pädagogen zu bedenken. Selbstkenntnis also Voraussetzung für die<br />
Kenntnis anderer drückt Marie von EBNER-ESCHENBACH folgendermaßen aus: „Wer sich<br />
an seine eigene Kindheit nicht deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher“. 8 Somit steht auch<br />
gleichsam eine Forderung an den „guten“ Pädagogen im Raum, die von anderer Seite noch<br />
verstärkt wird: „Ein guter Lehrer kann sich in das Kind ‘hineinversetzen’“. 9 Selbstkenntnis<br />
und die Kenntnis des Kindes sind zentrale Ansprüche an den Erzieher und Lehrer, doch wie<br />
kann er diesem gerecht werden?<br />
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Lehrer durch die dauernde Beschäftigung mit Kindern<br />
an seine eigene Kindheit erinnert fühlt ist hoch (ebenso wird sich der Fußballtrainer an seine<br />
aktive Fußballzeit erinnern, wenn er junge Fußballer trainiert). Die Schüler sind somit Spiegel<br />
der eigenen Kindheit des Lehrers und er ist der Spiegel der Lehrer, die er selbst hatte. Die<br />
Frage, der ich da<strong>bei</strong> nachgehen möchte ist: Wie wirken sich eigene Kindheitserfahrungen auf<br />
das spätere Verhalten des Lehrers aus?<br />
Jeder Förderschullehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Der Unterrichtsprozess (an allen Schultypen) wird nicht nur von den inhaltlichen Aspekten,<br />
sondern auch von den persönlichen Anteilen der an ihm Beteiligten mitbestimmt und<br />
beeinflusst. Häufig unterliegt die Interaktion in der Schule Spannungen und Konflikten, die<br />
ihre Ursache zum großen Teil im persönlichen (Beziehungs-) Geflecht von Schüler und<br />
Lehrer haben. Die Lebensgeschichte <strong>bei</strong>der Seiten ist bedeutsam und ständig präsent im<br />
Unterrichtsgeschehen. Die Frage, die mich da<strong>bei</strong> leitet ist: Warum ist die Betrachtung der<br />
eigenen Kindheit für den Lehrer an der Förderschule wichtig und notwendig?<br />
Jeder Schüler hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Die bereits erwähnte Kenntnis der zu unterrichtenden Schüler erstreckt sich auf deren<br />
Lebenslauf und insbesondere auf die Kindheit. Eine Schulweisheit besagt, dass man nur das<br />
gut erklären kann, was man auch selbst verstanden hat. In Bezug auf die Kenntnis der Schüler<br />
ergibt sich daraus aber ein entscheidendes Problem: der Lehrer ist anders als die Schüler! Er<br />
hat eine andere Kindheit erlebt und kann sich nur bedingt in die Kindheiten seiner Schüler<br />
hineinversetzen. Diese Feststellung erfährt in der Förderschule für Lernbehinderte (ähnlich<br />
6 Gemäß dem Sprichwort: „Ein jeder kehr vor seiner Tür...“ in RÖHRIG, 1977, S. 1096<br />
7 KORCZAK, 1979 7 , S. 156<br />
8 HARRIS, 2000, S. 62<br />
9 MUTH, 1982, S. 41<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 6
wie an anderen Schulen für Kinder mit Behinderungen) ihre Bestätigung und nun frage ich<br />
mich „Welche Konflikte und welche Chancen ergeben sich aus dem Zusammentreffen dieser<br />
unterschiedlichen Kindheiten?“<br />
Jeder (Förderschul-)Lehrer kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst, reflektieren.<br />
„Reflexion“ heißt in der ursprünglichen Bedeutung soviel wie „Rückstrahlung“. 10 Das<br />
geistige „Zurückstrahlen“ lassen des eigenen Handelns, Denkens, der eigenen Biographie ist<br />
dem Menschen möglich und er-möglicht es ihm, sein Verhalten gegebenenfalls zu verändern.<br />
Warum dieser Bereich im pädagogischen Kontext bedeutsam ist versuche ich anhand der<br />
folgenden Fragen zu verfolgen: Warum ist biographische Selbstreflexion in der Pädagogik<br />
wichtig, warum ist sie notwendig? Welche Möglichkeiten dafür gibt es? Ist biographische<br />
Selbstreflexion eine sonderpädagogische Kompetenz?<br />
Jeder Student hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
In der Beschäftigung mit diesem Thema bin ich als werdender Förderschullehrer subjektiv<br />
gefangen und emotional betroffen. Die ständige Auseinandersetzung mit Kindheiten von<br />
Lehrern konfrontiert mich mit meiner eigenen Kindheit, mit meinen Schulerfahrungen usw.<br />
Dadurch bin ich in der Auswahl, Betrachtung, Bewertung und Darstellung der bear<strong>bei</strong>teten<br />
Literatur immer subjektiv und kann dies meiner Meinung nach auch nur sein. 11 Das Interesse<br />
an dieser Thematik ist sicherlich auch daher zu begründen, dass ich nach mir selbst forsche.<br />
Dieses Anliegen will ich <strong>bei</strong> anderen auch mit dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> anregen. Denn nicht allein durch<br />
das Lesen anderer Kindheiten und Erfahrungen erkennt man sich selbst, sondern in der<br />
Auseinandersetzung, dem Diskurs damit. Andere Kindheiten regen an, stoßen ab, machen<br />
betroffen und traurig, geben Hoffnung und lösen noch viel mehr aus. Sie lösen einen Prozess<br />
aus, dem die Fragen vorauseilen: „Und ich? Wie war meine Kindheit? Wie beeinflusst sie<br />
mich?“<br />
Die Literatur zu dem Thema dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist spärlich gesät. Veröffentlichungen, die genau<br />
ins Schwarze treffen sind an einer Hand abzuzählen. Deshalb muss ich oft das Netz weiter<br />
auswerfen und <strong>bei</strong> anderen Disziplinen fischen, um die Ergebnisse und Aussagen hernach auf<br />
das Thema und damit den Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen zu beziehen. 12 Da<strong>bei</strong><br />
bediene ich mich <strong>bei</strong> der Psychologie, Soziologie, Lehrer(biographie)forschung,<br />
(Sonder)Pädagogik, Lernbehindertenpädagogik, Pädagogischen Biographieforschung und der<br />
10 DUDEN, 1991, S. 590<br />
11 FLAAKE erwähnt die Subjektivität des Interpreters aufgrund der eigenen Erfahrungen (TERHART in<br />
KÖNIG, 1995, S. 254)<br />
12 vor allem <strong>bei</strong> den Modellen und Theorien zur Sozialisation findet dieser Übertragungsprozeß in die<br />
Lehrerforschung statt, vgl. TERHART, 1994, S. 266<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 7
Belletristik. Unter den Beiträgen dieser Disziplinen finden sich auch teilweise biographische<br />
und autobiographische Darstellungen von (Förderschul-)Lehrern.<br />
Im weiteren Verlauf der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> verwende ich der Einfachheit halber die männliche Form <strong>bei</strong><br />
Personen, wo<strong>bei</strong> aber immer <strong>bei</strong>de Geschlechter gemeint sind. Die Ausnahmen davon<br />
kennzeichne ich entsprechend.<br />
2. Die Bedeutung der eigenen Kindheit für Erwachsene<br />
2.1 Begriffsklärung<br />
Kindheit ist ein relativ junger Begriff, der als eigenständiger Entwicklungsabschnitt erst seit<br />
ROUSSEAUs „Emile“ eingeführt wurde. 13 In der heutigen Zeit definiert man „Kindheit“<br />
entweder entwicklungstheoretisch bis zum Einsetzen der Geschlechtsreife oder rechtlich<br />
gesehen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. 14 Das Kindesalter als Entwicklungsphase<br />
teilt GUDJONS in drei Abschnitte ein: 15<br />
a) frühe Kindheit (1.-6. Lebensjahr)<br />
b) mittlere Kindheit (6.-10. Lebensjahr)<br />
c) späte Kindheit (10.-12. Lebensjahr)<br />
Entgegen der Annahme, dass Kindheit nur eine Phase der seelischen Entwicklung bezeich<strong>net</strong>,<br />
betrachtet man heute die Kindheit aus einer ganzheitlichen Perspektive 16 (historisch,<br />
gesellschaftlich, ...). Mit dem Wandel der Begrifflichkeiten und der Betrachtungsweisen ist<br />
auch ein Wandel der Kindheit verbunden. Mehr und mehr unterliege dieser Abschnitt einer<br />
„Vergesellschaftung“. 17<br />
2.2 Der Einfluss der eigenen Kindheit auf Erwachsene<br />
Einerseits sind Kindheit und Erwachsenenalter grundverschieden und mit ihnen auch ihre<br />
Repräsentanten. 18 Andererseits ist das Bild, das wir als Kinder von der Welt bekommen<br />
13 vgl. RENNER, 1995, S. 14<br />
14 Definition nach BÖHM, 1994, S. 383<br />
15 GUDJONS, 1997, S. 119<br />
16 ebd., S. 115<br />
17 ebd., S.117<br />
18 vgl. BÖHM, 1994, S. 384<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 8
haben, prägend für das Erleben der gleichen Welt als Erwachsener. 19 Wie also kann der<br />
Einfluss eigenen Kindheit auf das spätere Erleben „nachgewiesen“ werden? Nachfolgend<br />
möchte ich diese Frage aus sechs verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und damit mehr<br />
Licht in die Zusammenhänge zwischen Kind und Erwachsenem bringen.<br />
2.2.1 Der Zusammenhang zwischen Kindheit und Lebenslauf<br />
Die These lautet: Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Erfahrungen in der Kindheit<br />
und dem späteren Verhalten und der Persönlichkeit des Erwachsenen.<br />
Verschiedene Disziplinen haben diesen Zusammenhang untersucht und sind teilweise auch zu<br />
unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, je nach Zweck und Ziel der Untersuchung.<br />
Die Entwicklungspsychologie hat ein besonders Interesse an diesem Entwicklungsabschnitt.<br />
Sie sieht den Menschen als ein sich entwickelndes Wesen, dessen Startpunkt in der Kindheit<br />
liegt. Das Fundament für den späteren Menschen wird demnach in der Kindheit gelegt.<br />
Darüber hinaus kommt das Kind schon mit angeborenen Fähigkeiten auf die Welt, vor allem<br />
der Fähigkeit zu Lernen. Grundlegende Verhaltensweisen werden in der Kindheit beobachtet,<br />
gelernt und erworben, sie verfestigen sich im Menschen und in seinem Bewusstsein, ähnlich<br />
dem festen Fundament auf dem das Haus später aufbaut. 20 Besonders wichtig für diese<br />
Entwicklung ist das erste Lebensjahr. Dort wird der Grundstein der „zwischenmenschlichen<br />
Bindungsfähigkeit“ 21 gelegt, was entscheidend für den späteren Lernprozess ist. Bei der<br />
Entwicklung des Kindes spielen die Familie und das Milieu 22 , also die soziale Herkunft, eine<br />
zentrale Rolle. Diese und andere Zusammenhänge wurden empirisch untersucht 23 und<br />
untermauert.<br />
Vom Standpunkt der evolutionären Psychologie betrachtet ist Kindheit determiniert durch<br />
Faktoren wie Ressourcenlage (Herkunft), kritische Lebensereignisse (Verluste u.a.),<br />
Geburtsrang und Familienklima. 24 Die Prägung des Kindes durch das Zusammenspiel dieser<br />
Faktoren ist vor allem entscheidend in der „sensiblen Phase“ (bis zum 5. Lebensjahr). 25 Die in<br />
dieser Zeit erfahrenen Situationen haben Auswirkungen auf die psychische und körperliche<br />
19 vgl. WILLIAMS, 1993, S. 24<br />
20 vgl. den Begriff der „Verfestigung“ <strong>bei</strong> SCHENK-DANZINGER, 1971, S 14<br />
21 ebd., S. 51<br />
22 ebd. S. 21f, S. 116f<br />
23 Zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Sprach und Milieu in Kleinkindalter: Akademikerkinder hatten<br />
da<strong>bei</strong> eine deutlich größere durchschnittliche Satzlänge als Kinder von <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>er oder Gelegenheitsar<strong>bei</strong>tern, vgl.<br />
SCHENK-DANZINGER, 1971, S. 62f<br />
24 vgl. CHASIOTIS, 1999, S. 88<br />
25 ebd., S. 14<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 9
Entwicklung des Kindes. Ungünstige Faktoren für die Entwicklung, sogenannte Stressoren,<br />
können unter anderem schlechte ökonomische Verhältnisse, Konflikte der Eltern, instabile<br />
Beziehungen und Scheidung der Eltern sein. Die Folge davon ist eine Art „Fluchhaltung“, in<br />
der die Kinder versuchen, dieser belastenden Situation zu entkommen. 26 Mögliche andere<br />
Auswirkungen sind Verhaltensauffälligkeiten der Kinder, die sich <strong>bei</strong> Jungen eher<br />
externalisierend, unter anderem in Aggressivität, und <strong>bei</strong> Mädchen eher internalisierend, etwa<br />
in Rückzug und Verschlossenheit, ausdrücken. 27 Außerdem sind die in der Kindheit<br />
erfahrenen Interaktionsmuster handlungsleitend, sie werden später erwartet und auf neue<br />
Interaktionsszenen übertragen.<br />
Auf einer ähnlichen Annahme, die durch zahlreiche Untersuchungen gestützt wird, baut die<br />
Theorie der Familienkonstellationen 28 auf. Die Familie als erstes und wichtigstes System,<br />
mit dem das Kind zu tun hat und die dort vorgefundenen Beziehungsmuster prägen sich ein.<br />
Eine Verallgemeinerung und Übertragung der in dieser Zeit erfahrenen Beziehungen auf neue<br />
findet demnach statt. 29 Die „erfolgreichen“, erprobten und gelernten Beziehungen zu<br />
Geschwistern werden unbewusst im späteren Leben wiederholt.<br />
Die Psychoanalyse hat sich der Kindheit besonders angenommen und sie zu ihrem<br />
bevorzugten Sorgenkind gemacht. Die Tiefenpsychologie, wie die Psychoanalyse auch<br />
genannt wird, ist im Gegensatz zu manch anderen Disziplinen überwiegend biographisch<br />
orientiert. 30 Sie beschäftigt sich wie der Name schon sagt mit der Analyse der psychischen<br />
Welt eines Menschen, die durch seinen Lebenslauf bedingt ist. Die Grundannahme ist, das die<br />
seelische Entwicklung des Menschen in der Kindheit grundlegend für seine Persönlichkeit ist.<br />
RATTNER drückt dies so aus: „Durch das ganze Leben hindurch bleiben in den ersten Jahren<br />
erworbene seelische Strukturen erhalten. Das Kind ist der Vater des Mannes.“ 31 Störungen<br />
und Konflikte in der Kindheit sind nach dieser Auffassung für die seelischen Leiden des<br />
Erwachsenen verantwortlich. Da<strong>bei</strong> spielen die Eltern die Hauptrolle <strong>bei</strong> der Entstehung<br />
solcher Konflikte. Jeder Mensch schleppt Narben und Verwundungen mit sich herum, die in<br />
aktuellen Situationen aufbrechen und sich bemerkbar machen. Die Wurzeln gehen aber in die<br />
Kindheit zurück. 32<br />
26 vgl. ebd., S. 24<br />
27 vgl. ebd., S. 23<br />
28 TOMAN, 1974<br />
29 ebd., S. 78ff. Er fasst dies unter dem Begriff des Duplikationstheorem zusammen<br />
30 vgl. SCHRAML, 1971, S. 45<br />
31 RATTNER in HEMMINGER, 1982, S. 20<br />
32 „Neurose“ wird z.B. als „mißglückte Konfliktverar<strong>bei</strong>tung“ angesehen, „deren Wurzeln in die Kindheit<br />
zurückgehen“, ASPER, 1989, S. 178<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 10
Die organisch-geschichtliche Sichtweise von HEMMINGER kann als Gegenpol zu Teilen<br />
der Psychoanalyse gesehen werden. Die für ihn bedeutsame Frage ist: Kindheit als<br />
Schicksal?. 33 Er stellt die von der Psychoanalyse postulierte Unbedingtheit von Kindheit in<br />
Frage, das heißt er glaubt nicht, dass ungünstige Kindheitserlebnisse automatisch zu einer<br />
ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung des später Erwachsenen führen müssen. Somit<br />
verabschiedet er auch den „Mythos der glücklichen Kindheit“, mit der man für den Rest des<br />
Lebens haushalten kann. 34 Die Erzeugung einer ausgeglichenen und selbstsicheren<br />
Persönlichkeit durch eine harmonische, glückliche Kindheit ohne Brüche hält keiner<br />
Nachprüfung stand. 35 Dem hält er ein Modell von Chance und Risiko entgegen, das die<br />
Kindheitserlebnisse zur Option macht. Die Eltern geben dem Kind die Werkzeug in die Hand,<br />
aber ob diese gut oder schlecht, relevant oder irrelevant sind für die Bewältigung des Lebens<br />
stellt sich erst später heraus. 36 Somit strebt er eine ganzheitliche Sicht der Kindheit an, die von<br />
mehreren Faktoren abhängt und die Möglichkeiten und Gefahren für die weitere Entwicklung<br />
gleichermaßen birgt.<br />
Verschiedene Modelle der Sozialisation beschreiben den Prozess der Entwicklung des<br />
Menschen zu einem gesellschaftsfähigen und sozialen Wesen. 37 Der Transfer der Kultur wird<br />
bewerkstelligt, indem Sozialisierte wiederum sozialisieren, also die Werte, Normen,<br />
Erziehungspraktiken, etc. weitergeben. Die Vermittlung und Annahme dieser Werte findet<br />
<strong>bei</strong>m Kind in einer stetigen inneren Auseinandersetzung statt, die schließlich zur<br />
Internalisierung der erwachsenen Sichtweisen führt. Besondere Bedeutung wird der<br />
schichtspezifischen Sozialisation zugemessen. Da jede „Schicht“ tendentiell andere Werte,<br />
Normen, Verhaltensweisen usw. hat führt dies auch zu einer anderen Sozialisierung der<br />
Persönlichkeit. 38<br />
Die hier vorgestellten Modelle und Theorien zeigen auf unterschiedliche Weise auf, wie die<br />
Kindheit und die Erfahrungen, die man in dieser Zeit macht, prägend sind für den später<br />
Erwachsenen. Allen gemeinsam ist die Feststellung, dass etwas in der Kindheit passiert. Dies<br />
kann demnach entwicklungsfördernd/-hemmend, die körperlich-psychische Weiterentwicklung<br />
beeinflussend, die Beziehungsmuster bestimmend, die seelische Realität<br />
belastend, die Persönlichkeitsentwicklung begünstigend/ gefährdend und die Gesellschaft<br />
tradierend sein.<br />
33 HEMMINGER, 1982<br />
34 in Anlehnung an Jean PAUL: „Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die<br />
kalte Welt haushalten.“ in HARRIS, 2000, S. 72<br />
35 vgl. HEMMINGER, a.a.O., S. 205<br />
36 ebd., S. 201, S. 207f<br />
37 FISCH, 1992, S. 24f<br />
38 vgl. ein Beispiel dazu in BERNFELD, 1976, S. 117<br />
http://www.foepaed.<strong>net</strong> 11
2.2.2 Das Modell vom „inneren Kind“<br />
Um sich der Kindheit des Erwachsenen noch mehr anzunähern bedarf es eines theoretischen<br />
Konstrukts. Das „innere Kind“ ist ein Modell, das durch verschiedene Ärzte, Psychologen,<br />
Therapeuten und Pädagogen erdacht wurde, um die seelische Wirklichkeit besser verstehen zu<br />
können. In zahlreichen Fällen wurde mit diesem Modell erfolgreich gear<strong>bei</strong>tet und das<br />
bestätigt es in seiner Wichtigkeit.<br />
Auch in der Umgangssprache taucht das „Kind im Manne“ auf oder man sagt „kindisch“ oder<br />
„kindlich“ wenn ein Verhalten offenkundig nicht erwachsen ist. Das in der Einleitung<br />
angesprochene Modell der Zwiebelschale bedeutet hier, dass ein erwachsener Lehrer nicht nur<br />
den Erwachsenen als äußerste Schale besitzt sondern darunter auch den Studenten, den<br />
Schüler und das Kind. 39 Bezeichnend dafür ist, das wir gegenüber unseren Eltern immer das<br />
Kind bleiben werden. Die Vorstellung, das man bestimmte Abschnitte hinter sich lässt und<br />
mit einem bestimmten Alter richtiggehend abstreift, ist somit verwegen.<br />
Der Mensch ist eine Persönlichkeit, die aus vielen Ichs besteht. 40 Nicht nur GOETHE hat die<br />
zwei Seelen in seiner Brust erkannt, auch andere versuchen sie zu greifen und es gibt<br />
zahlreiche Begriffe dafür (Ichs, Selbste, Mitglieder, Darsteller, ...). Der oben erwähnte Lehrer<br />
hätte somit z.B. ein Lehrer-Ich, Ehemann-Ich, Vater-Ich, Kind-Ich, Freund-Ich usw. in sich.<br />
BERNE sieht drei Bestandteile im Innern des Menschen: 41 Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich,<br />
Kindheits-Ich. Die Meinungen, ob diese Teilpersönlichkeiten voneinander abgegrenzt sind<br />
oder ineinander verschränkt, gehen auseinander. Aber unbestritten ist, dass diese Vielheit in<br />
jeder Situation präsent ist und sich in Kommunikation und Interaktion auszudrücken vermag.<br />
Bestimmte Teilpersönlichkeiten aber haben durch erfolgreiches Lernen förmlich Karriere<br />
gemacht und sind deshalb stärker präsent und mächtiger im Innern des Menschen. 42<br />
Der Mensch trägt das Kind, das er einmal war, also in sich mit. Die Vorstellungen von diesem<br />
inneren Kind sind teilweise unterschiedlich dargestellt. BERNE teilt das Kindheits-Ich in ein<br />
natürliches, ein angepasstes und ein rebellisches Kind 43 , einer Dreiteilung folgt auch<br />
STONE 44 , <strong>bei</strong> dem es ein verletzliches, ein spielerisches und ein magisches Kind gibt.<br />
MISSILDINE 45 und CHOPICH 46 gehen von einer reinen Zweiteilung des Menschen in<br />
39 vgl. BRÜCK, 1979, S. 323<br />
40 vgl. SCHULZ von THUN, 1998<br />
41 BERNE, 1995, S. 26f<br />
42 SCHULZ von THUN, 1998, S. 185; durch Lernen am Modell und Lernen am Erfolg beschreibt er diese<br />
„Karriere“<br />
43 vgl. BERNE, a.a.O., S. 26<br />
44 vgl. STONE, 1994, S. 202<br />
45 vgl. MISSILDINE, 1986, S. 23<br />
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inneres Kind und innerem Erwachsenen aus. Da<strong>bei</strong> unterscheidet CHOPICH diese zwei in<br />
jeweils zwei Zustände: geliebtes und ungeliebtes inneres Kind, liebevoller und liebloser<br />
innerer Erwachsener. 47 Der Erwachsene im Menschen steht da<strong>bei</strong> allgemein für das eher<br />
logisch denkende, rational entscheidende Wesen während das innere Kind gefühlsbetont, aus<br />
dem Bauch heraus handelnd ist. Betont wird auch die Wichtigkeit des inneren Kindes, weil<br />
dieses die Elemente in die Persönlichkeit einbringt, die für Kreativität, Spontaneität, Gefühl<br />
und Anmut stehen. 48 Trotz der altersmäßigen Erwachsenheit der Menschen handeln wir oft<br />
wie Kinder, häufig wie verletzte Kinder. Spürbar wird dies in zwischenmenschlichen<br />
Konflikten, in unangemessenem Verhalten anderen gegenüber, in Unausgeglichenheit mit<br />
sich und in einer Nichtbeachtung der Anteile in uns, die nicht sein dürfen. Warum ist das so?<br />
Die innerliche Abspaltung bestimmter Anteile ist für Verletzungen und Verstrickungen dieser<br />
Art verantwortlich. Etwas in uns wird nicht beachtet, verdrängt, verleug<strong>net</strong> oder gar bestraft,<br />
wenn es sich regt. Diese negative Behandlung des inneren Kindes rührt daher, dass „in<br />
unserem Kulturkreis Kinder und ihre Gefühle nicht als das geachtet werden, was sie sind: die<br />
Gefühle und die Welt des Kindes“. 49 Das Kind muss sich anpassen an die Erwachsenenwelt,<br />
muss sich in die von den Erwachsenen vorbereiteten Umgebungen integrieren und durchläuft<br />
eine Erziehung, welche die Bildung eines selbstbestimmten, sozialen und mündigen<br />
Erwachsenen zum Ziel hat. Damit ist die Verdrängung des inneren Kindes vorprogrammiert<br />
und die Abspaltung desselben im Menschen ein zwangsläufiger Prozess, um in der<br />
Gesellschaft bestehen zu können. 50<br />
Fall<strong>bei</strong>spiele illustrieren, wie groß der Einfluss der Eltern auf das spätere Verhalten des<br />
Kindes ist. Die Parallelen des Erwachsenenverhaltens mit dem Verhalten als Kind sind<br />
überdeutlich 51 , aber wie kommt dies zustande? Die Antwort darauf ist ein Kreislauf, der im<br />
Zusammenhang mit der Sozialisation bereits angesprochen wurde. Die Eltern behandeln ihr<br />
Kind in einer bestimmten Art und Weise und in dieser Art und Weise wird sich das Kind<br />
später selbst und andere behandeln. 52 Die Internalisierung führt zur beständigen Weitergabe<br />
der elterlichen Erziehungspraktiken. 53 Ungünstige elterliche Haltungen verletzen das Kind in<br />
46 vgl. CHOPICH, 1997, S. 20<br />
47 vgl. ebd., S. 21<br />
48 vgl. BERNE, a.a.O., S. 28<br />
49 MISSILDINE, a.a.O., S. 34<br />
50 diese „Tragik der Anpassung“ beschreibt MILLER, a.a.O., ausführlich<br />
51 WILLIAMS spricht hier von „Konditionierungen“, WILLIAMS, a.a.O., S 17<br />
52 „Erwachsene setzen, als Eltern ihrer selbst die elterlichen Haltungen fort“; MISSILDINE, 1986, S. 21<br />
53 vgl. WILLIAMS, a.a.O., S. 17; MISSILDINE, a.a.O., S. 21; MILLER, a.a.O., S. 277f<br />
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einer bestimmten Weise und diese Verletzungen werden von einem selbst im<br />
Erwachsenenalter am inneren Kind und an anderen fortgesetzt. 54<br />
Die Folge dieser Verletzung des inneren Kindes sind innere und äußere Konflikte. Die innere<br />
Unstimmigkeit führt oft zur Spiegelung des Konflikts in anderen 55 und die Folgen einer<br />
solchen Verstrickung können in Partnerschaft 56 , Freundschaft, und allen anderen<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen bedenklich sein. 57<br />
Das Ziel sollte demnach eine Versöhnung, ein Dialog 58 mit dem inneren Kind sein, aber wie<br />
kann dies zustande kommen? Der erste Schritt ist durch das Erkennen und Wiederentdecken 59<br />
des eigenen inneren Kindes gekennzeich<strong>net</strong> („es ist da“). Der zweite Schritt ist die Akzeptanz<br />
de inneren Kindes uns seiner Gefühle („es nehme es an“). Da<strong>bei</strong> helfen weder<br />
Anschuldigungen an die Eltern, noch der Drang, das Rad zurückdrehen zu wollen. Der dritte<br />
und letzte Schritt ist schließlich die Versöhnung, die Integration und die Balance mit dem<br />
inneren Kind („es ist gut und ein Teil von mir“). Ein Aufbrechen des Kreislaufes und des<br />
Wiederholungszwanges 60 ist möglich und Bedingung dafür ist die Achtung und des eigenen<br />
inneren Kindes und die Achtung anderer und der eigenen Kinder. 61 Eine durch Achtung,<br />
Toleranz und Respekt getragene Beziehung zu Kindern ist erst möglich, wenn man diese<br />
Gefühle auch sich selbst, seinem inneren Kind entgegenbringt. 62<br />
2.3 Die Kindheit im Lehrer<br />
Es wurde gezeigt, dass Zusammenhänge zwischen der Kindheit und dem weiteren Lebenslauf<br />
des Menschen bestehen. Die Erfahrungen, die man in der Kindheit macht sind bedeutsam für<br />
späteres Verhalten. Wichtige Faktoren sind da<strong>bei</strong> unter anderem die Eltern, das System<br />
Familie, die soziale Herkunft und die Gesellschaft.<br />
54 MISSILDINE beschreibt acht ungünstige Elternhaltungen; MISSILDINE, 1986, S. 82<br />
55 ähnlich dem „zerstrittenen inneren Team“ <strong>bei</strong> SCHULZ von THUN, a.a.O.<br />
56 Zu einer Ehe gehören vier: an einer Beziehung sind auch immer die Kinder „von früher“ beteiligt; vgl.<br />
MISSILDINE, a.a.O., S. 60f<br />
57 CHOPICH geht soweit zu sagen, dass alle Probleme in der Gesellschaft von der Abspaltung des inneren<br />
Kindes herrühren, vgl. CHOPICH, a.a.O., S.52<br />
58 ASPER verwendet diesen Ausdruck; ASPER, 1989<br />
59 Hindernisse dieses Prozesses sind eigene Verdrängung und Verfälschung des Bildes durch die Eltern und<br />
andere, vgl. ASPER, a.a.O, S. 17<br />
60 dieser Begriff ist aus der Psychoanalyse entlehnt und wird <strong>bei</strong> MILLER, 1983 häufig gebraucht<br />
61 vgl. MISSILDINE, a.a.O., S. 359ff<br />
62 vgl. ARMINGER, 1997, S. 232<br />
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An dem Modell vom inneren Kind wurde deutlich gemacht, wie Kindheit im Erwachsenen<br />
fortleben kann. Der Prozess der Verletzung des inneren Kindes sowie die Ursachen dafür und<br />
ein möglicher Lösungsansatz wurden beschrieben.<br />
Wie machen sich nun diese Zusammenhänge und Erkenntnisse <strong>bei</strong>m Lehrer bemerkbar?<br />
Jeder Lehrer war einmal ein Kind, auch wenn das für die Schüler vielleicht schwer vorstellbar<br />
ist. „Über Kindheit zu reden heißt, das Erwachsene reden. Insofern reden Erwachsene, wenn<br />
sie über Kindheit reden, über sich selbst“. 63 Auf den Lehrer übertragen könnte man sagen,<br />
dass in des Lehrers Beschäftigung mit Kindern immer auch etwas von seiner Kindheit, immer<br />
auch etwas von seinem Kind, das er einmal war, durchscheint. Die bereits in der Einleitung<br />
propagierte Selbst(er)kenntnis formuliert BUSCH so: „Willst du ein guter Leiter sein, dann<br />
schau auch in dich selbst hinein!“. 64 Was macht den Lehrer zu dem, was er ist? Welche<br />
Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen seine Persönlichkeit und wie drücken sie sich aus?<br />
Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der Berufsmotivation des<br />
Lehrers? Was kann einen Menschen dazu bringen, sich wieder mit Kindern zu beschäftigen<br />
und such selbst somit in die Vergangenheit zu begeben?<br />
Ziel der Schule soll Erwachsenheit sein. 65 Der Lehrer als Repräsentant dieser Erwachsenheit<br />
steht den Kindern und ihrer Kindlichkeit gegenüber, er hat gleichsam während des Übergangs<br />
als Student die Fronten gewechselt. Die Positionen sind klar – oder nicht?<br />
Der Kreislauf, in dem Lehrer und Schüler gleichermaßen eingesponnen sind, ist der Kreislauf<br />
der Erziehung, die immer wieder Erzogene zu Erziehenden heranbildet. In welcher Form kann<br />
die Kindheit diesen Kreislauf beeinflussen, stören gar oder auch fördern?<br />
Mit diesen Fragen möchte ich mich im folgenden Kapitel auseinandersetzen, doch zuerst<br />
muss ich noch auf Schwierigkeiten in bezug auf die Literatur hinweisen. Die<br />
Lehrerforschung, in deren Bereich diese Fragen auch fallen, bietet nur wenig zur Phase der<br />
Kindheit. 66 Zur Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung von Lehrern finden sich nur<br />
wenige Beiträge, weswegen ein Übertrag von Erkenntnissen anderer pädagogischer Formen<br />
(Erzieher, Sozialpädagoge) auf den Lehrer notwendig wird.<br />
63 LENZEN, 1985, S. 11<br />
64 BUSCH in SCHULZ von THUN, a.a.O., S. 54<br />
65 die Begriffe „Erwachsenheit“ und „Kindlichkeit“ benutzt BRÜCK, a.a.O.<br />
66 Lehrerforschung war bisher im wesentlichen auf die Bereiche der Berufsausbildung und des Berufseinstiegs<br />
beschänkt; vgl. TERHART, 1994, S. 233<br />
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2.3.1 Kindheiten von Lehrern<br />
Kindheiten von Lehrern werden von der Lehrer(biographie)forschung erfasst und<br />
ausgewertet. Man geht hier wie in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen von einer<br />
Einbettung des Berufs in den Lebenslauf aus. 67 Somit stellt sich die Frage nach den Methoden<br />
zur Erfassung des Lebenslaufes. Die biographische Forschung dazu teilt sich in zwei<br />
Bereiche, zum einen die Lebenslaufforschung anhand objektiver Daten und zum anderen die<br />
biographische Forschung im engeren Sinne, die Interviews, (Auto-) Biographien und andere<br />
subjektive Quellen nutzt. Den Zweck seiner biographischer Suche beschreibt COMBE als<br />
Frage nach den „Formen der Lebensgestaltung“ und dem Zustandekommen der<br />
Lebensmuster. 68 Betrachten wir zunächst die Lebensgestaltung von Lehrern in ihrer Kindheit<br />
und genauer, welche Themen und Aspekte da<strong>bei</strong> hervortreten.<br />
Aus COMBE 69 (C) (Combe), SCHONIG 70 (S) (Schonig) und BRÜCK 71 (B) habe ich dazu<br />
Aussagen von Lehrern zusammengefasst und die Seitenzahl in Klammern angegeben:<br />
Hanno: Erziehung ambivalent – Mutter fordernd, liebevoll; Vater ironisierend, überlegen, fern (C, 82)<br />
Albert: zur Erziehung kaum Angaben, nüchtern, geprägt durch NS-Zeit und deren Beeinträchtigungen (C, 95)<br />
Wolfram: Erziehung: ambivalente Gefühle durch Konflikte der Eltern, Kampf und Streit prägend (C, 62)<br />
Friedrich: harte, autoritäre, unerbittliche Erziehung mit Strenge, Religiosität und in Armut (C, 70)<br />
Hr. v. Adrichem: von Vater geprägt, Mutter starb als er vier Jahre alt war (S, 104)<br />
Fr. Haas: Vater Likörfabrikant, Mutter beeinflusst Familie durch religiöse Wahnvorstellungen (S, 134) (104)<br />
Hr. Bieling: 15tes Kind einer Berliner Handwerkerfamilie, „Hätschelkind“, das Glück hatte (S, 14)<br />
Fr. Krause: zweite Tochter von dreien, Vater Architekt – stirbt als sie 10 Jahre alt ist; Stiefvater prägte (S, 44)<br />
Hr. Liebe: Aufwachsen in Berliner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>ergegend, positiver Einfluss von Theologiestudenten (S, 80)<br />
Hr. v. Elsen: drittes von 10 Geschwister, Vater Steuerbeamter, Hobby Malen schon von früh an (S, 165)<br />
Brigitta: Vater dominant, charmant, Überflieger; Mutter untergeord<strong>net</strong>, angepasst, bewundernd (C, 46)<br />
Dora: Erziehung starr, viele Normen, Vater abfällig über Frauen, Mutter tatenlos leidend (C, 52)<br />
Hans: Erziehung hart, Eltern selbständig, wenig Emotionen und Persönliches (C, 33)<br />
Irma: Abhängigkeit von den Eltern, Verstrickung in diese; Schule als Erlösung (B, 421)<br />
Irma: Doppelbödigkeit und Ambivalenz in der Schule: glänzende Schulkarriere vs. tiefe Verletzung (B, 395)<br />
In diesen Fragmenten der Lebensläufe von Lehrern und angehenden Lehrern, die sich in<br />
Alter, Geschlecht, Schulform und Nationalität unterscheiden, werden prägende Lebensthemen<br />
deutlich. Der Familie als System, bestehend aus Eltern und Geschwistern, kommt eine<br />
herausragende Bedeutung zu. Daneben rangieren Herkunft und Schulzeit als weiterhin<br />
prägende Erfahrungen und schließlich auch Faktoren wie geschichtlich-politischer<br />
Hintergrund und Hobbys.<br />
67 vgl. ebd., S. 228ff<br />
68 COMBE, 1983, S. 15<br />
69 ebd.<br />
70 SCHONIG/ DU BOIS REYMOND, 1982<br />
71 BRÜCK, a.a.O.<br />
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Wie machen sich nun diese Erfahrungen bemerkbar? Welche Rolle spielt es, ob ein Lehrer<br />
mehrere Geschwister, strenge Eltern oder wohlmeinende Lehrer hatte, ob er aus gutsituierten<br />
oder ärmlichen Verhältnissen stammt?<br />
2.3.2 Einfluss von Kindheitserfahrungen auf das Verhalten des Lehrers in der Schule<br />
Um die aktuelle Situation zu verstehen, gehen Lehrer von sich aus, also freiwillig, in ihre<br />
Kindheit um dort mögliche Ursachen für ihr jetziges Verhalten zu finden. Bei der Deutung<br />
dieser Verknüpfung drängt sich immer wieder die psychoanalytische Sichtweise auf, wo<strong>bei</strong><br />
diese ergänzt und unterstützt wird von empirischen Studien.<br />
Die für Lehrer relevanten Sozialisationsbereiche sind laut BRUNNER wie oben angedeutet<br />
die „Erfahrungen in der Familie, der peer-group, der Schule und mit Massenkommunikationsmitteln“.<br />
Von diesen Instanzen besonders beeinflusste Persönlichkeitsvariablen sind:<br />
Wertkonzepte, soziale Fähigkeiten, kognitive Stile, „die Kausalattribuierung, Einstellungen,<br />
das Selbstkonzept, Faktoren der Intelligenz, die Wahrnehmung“. 72 Diese Darstellung ist sehr<br />
allgemein und umfassend, wenden wir uns nun den einzelnen Bereichen und ihren<br />
„Wirkungen“ zu.<br />
Das familiale Bezugssystem wurde in den Untersuchungen von TIMPNER und COMBE<br />
besonders aufmerksam betrachtet und COMBE folgert aus den Selbstdarstellungen der<br />
Lehrer, dass „ihre emotionalen Grundstrukturen stark durch die Familie geprägt sind“ 73 und<br />
dass diese „Früherfahrungen“ in der Schule förmlich wiederbelebt und aufgerührt werden. 74<br />
Ein Beispiel hierfür ist die Gewissheits- bzw. Ungewissheitsorientierung. Es wurde <strong>bei</strong><br />
Lehramtsstudenten ein signifikanter Zusammenhang zwischen elterlichen Erziehungspraxis<br />
und ihren Ungewissheits- bzw. Gewissheitsorientierungen festgestellt. 75 Ein weiteres Beispiel<br />
ist die Übertragung der in der Familie erfahrenen Beziehungsstrukturen auf neue. Die<br />
primären Erfahrungen werden als Modell sozialer Beziehungen verinnerlicht und dienen als<br />
Repräsentanten neuer Beziehungen. 76 Diese Aussage beschränkt sich nicht nur auf die Eltern,<br />
sondern schließt auch die Geschwister mit ein. Eine Untersuchung von FREYN 77 belegt, dass<br />
die Relation der Geschwisterposition von Lehrer und Schüler erheblichen Einfluss auf den<br />
72 BRUNNER, 1978, S. 56<br />
73 COMBE, a.a.O., S. 107<br />
74 Meine Assoziation ist hier: „Schlafende Hunde soll man nicht wecken“<br />
75 HUBER, 1999, S. 108f<br />
76 BRUNNER, a.a.O., S. 43<br />
77 FREYN in Psychologie in Erziehung und Unterricht 23 (1976) 4<br />
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Unterrichtserfolg hat. Ein störender Einfluss geht von konfliktgeladenen, ein förderlicher<br />
Einfluss von konfliktfreien Geschwisterkonstellationen des Lehrers und des Schülers aus.<br />
Konfliktgeladen ist die Geschwisterkonstellation zwischen ältesten oder jüngsten<br />
Geschwistern in den ehemaligen Familien. 78<br />
Fazit: Der Einfluss der Familie auf die emotionalen Basisfähigkeiten und Grundstrukturen<br />
des Lehrers ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule!<br />
Sekundärerfahrungen wie Schulzeit sind für COMBE zwar wichtig, aber sie<br />
„konzeptionalisieren“ 79 seiner Meinung nach nur die Primärerfahrungen aus der Familie.<br />
BRÜCK gewichtet neben dieser ersten Erfahrung die eigene Schulzeit als für den späteren<br />
Lehrer besonders wichtige Phase. 80 Eine überaus populäre Typologie des Lehrers basiert auf<br />
den Beschreibungen von Lehrern über eigene Lehrer, die sie hatten. 81 Den bemerkenswerten<br />
Einfluss der Lehrer, die man selbst hatte, zeigt BRÜCK deutlich auf und er spricht in diesem<br />
Zusammenhang von der „Lehrerimago“ 82 , also dem Bild das man vom Lehrer hat. Die<br />
Wirksamkeit zeigt sich in der persönlichen Färbung von Schulerfahrungen und den<br />
wiederbelebten, angstbesetzten Gefühlen, wenn man z.B. an vergangene Prüfungen denkt.<br />
Der Einfluss der Erfahrungen mit Lehrern reicht so weit, dass sie zum Antrieb werden für die<br />
eigene Berufsentscheidung. 83 Erstaunlich ist die Vehemenz, mit der sich eigene<br />
Schulerfahrungen im Bewusstsein behaupten, wenn es um pädagogische Handlungen im<br />
Unterrichtsalltag geht. Bei einer ohne Zeitdruck zu fällenden Entscheidung des Lehrers<br />
rangieren „Erinnerungen an die eigene Schulzeit“ noch vor Erinnerungen an das Studium, die<br />
zweite Ausbildungsphase und an eine bestimmte pädagogische Theorie. 84 Ebenso betrüblich<br />
für Erziehungswissenschaftler dürfte die Tatsache sein, dass angehende Lehrer <strong>bei</strong><br />
Disziplinierungsschwierigkeiten zumeist auf die Verhaltensweisen und –routinen<br />
zurückgreifen, die sie selbst in der Schule erfahren haben. 85<br />
Fazit: Der Einfluss der eigenen Schulzeit auf das Bild vom Lehrer, die Sicht auf Schule, die<br />
pädagogischen Verhaltensweisen und die Berufsmotivation des Lehrers ist erheblich und<br />
zeigt sich auch in der Schule!<br />
78 ebd., S. 58: „Lehrer, die selbst jüngere Brüder von Schwestern sind, erteilten den Mädchen ihrer Klasse sehr<br />
signifikant bessere Noten als Lehrer, die nur Brüder hatten, und signifikant bessere als Lehrer mit jüngeren<br />
Schwestern.“<br />
79 COMBE, a.a.O., S. 105<br />
80 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 42<br />
81 vgl. CASELMANN, 1964<br />
82 BRÜCK, a.a.O., S. 313<br />
83 eigene gute Lehrer oder schlechte Lehrer spielen <strong>bei</strong> der Wahl des Lehrerberufs eine Rolle in dem Sinne, dass<br />
man ein gutes Beispiel hatte bzw. es besser machen will; vgl. TERHART, 1994, S. 57f<br />
84 TERHART, a.a.O., S. 196f<br />
85 vgl. ebd., S. 22<br />
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Der gesellschaftliche Zusammenhang von Schule wird sichtbar in der eben beschriebenen<br />
Tradierung der Erziehungsstile, die NICKEL wünschenswert im Sinne der Stabilisierung und<br />
gefährdend im Hinblick auf Erstarrung der Gesellschaft sieht. 86 Der Wichtigkeit der Herkunft<br />
spielt hier eine entscheidende Rolle. Eine provokante These lautet, dass Schule die bereits<br />
vorhandenen Unterschiede stabilisiert und das herrschende System stützt. 87 Da sich Mehrheit<br />
der Lehrer aus der sozialen Mittelschicht rekrutiert oder sich im Aufstieg zu dieser befindet,<br />
vertreten sie auch deren Werte. Diese werden auch in der Schule zur Norm gemacht und die<br />
Schüler an diesem Anspruch gemessen. Die Unterschicht und ihre Angehörigen werden damit<br />
automatisch zu Benachteiligten, denen man in Ausstattung, Wertvermittlung, Sprache,<br />
Interaktion u.ä. Defizite ankreidet. Der Lehrer sitzt somit ob er will oder nicht zwischen den<br />
Stühlen, wenn er es den Kindern und der Gesellschaft Recht machen will. Er wird seine<br />
Herkunft nicht verleugnen können oder wollen, sie beeinflusst ihn zeitlebens und vor allem<br />
im Umgang mit Kindern. 88 Gemäß dem Satz „Du bleibst was du warst“ wird der Lehrer<br />
immer in der Gefahr sein, die Schüler an sich selbst zu messen, an seinen Normvorstellungen.<br />
Fazit: Die Einfluss der Herkunft auf Normen und Werte des Lehrers ist erheblich und zeigt<br />
sich auch in der Schule!<br />
Verschiedenen Tätigkeiten hat sich der Lehrer in seiner Kindheit hingegeben. Dem Spiel und<br />
seinen Hobbys wird er sich auch nicht verschlossen haben. Eine größere Studie hat gezeigt,<br />
dass die Spieltätigkeit und das spätere Verhalten von Lehrern signifikant zusammenhängen.<br />
So zeigten Lehrer, die in der Kindheit „Schule gespielt“ und andere „vorbereitende“ Spiele<br />
und Tätigkeiten durchgeführt haben, ein deutlich positiveres Unterrichtsverhalten als Lehrer,<br />
die keine der genannten Tätigkeiten in ihrer Kindheit gespielt hatten. 89<br />
Fazit: Der Einfluss des Spiels in der Kindheit und der Hobbys auf das Unterrichtsverhalten<br />
des Lehrers ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule!<br />
Folgen der Beobachtungen dieser Zusammenhänge sind unter anderem Typologien. Diese<br />
versuchen die Lehrer in ein Schema einzuordnen, das ihr Verhalten verstehbar,<br />
kategorisierbar und nachvollziehbar macht ohne den individuellen Lebenslauf zu kennen. In<br />
den meisten Typologien ist eine Zweiteilung erkennbar, z.B. in logotrope und paidotrope, also<br />
fachlich- bzw. schülerorientierte Lehrer. 90 Eine andere Einteilung ist die in Sensitivisten und<br />
Dogmatiker, d.h. solche, die sich gegen Autorität aussprechen und sich mit dem „schwachen“<br />
86 NICKEL meint, dass die eigenen Erziehungserfahrungen bestimmen zu einem großen Teil die unreflektierten<br />
Erziehungspraktiken; vgl. NICKEL, 1978, S. 60<br />
87 BERNFELD, bezeich<strong>net</strong> die soziale Funktion der Schule als Bewahrung der „biopsychischen“,<br />
„sozialökonomischen“ und der „kulturell-geistigen“ Struktur der Gesellschaft; BERNFELD, a.a.O., S. 110<br />
88 vgl. BRUNNER, a.a.O., S 67<br />
89 BRUNNER führt da<strong>bei</strong> eine Untersuchung von RYANS an 6000 Lehrern an; BRUNNER, a.a.O., S. 57f<br />
90 vgl. CASELMANN, a.a.O.<br />
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Schüler identifizieren, bzw. solche, die sich mit der Autorität identifizieren und diese<br />
gegenüber den Schülern vertreten. 91<br />
Doch ist die Realität bunter als diese schwarz-weiß Schemata, die helfen sollen, den Lehrer<br />
besser zu verstehen. Drei „Zwischentöne“ des Zusammenhangs zwischen Kindheit und<br />
Handeln des Lehrer sollen im folgenden näher beschrieben werden.<br />
2.4 Mögliche „Stolpersteine“ der eigenen Kindheit für den Lehrer<br />
2.4.1 Helfen als Antrieb <strong>bei</strong>m Lehrer<br />
Der Lehrer ist wie Personen anderer sozialer Berufe einem enorm hohen Erwartungsdruck<br />
und einer überhöhten Anspruchshaltung der Außenwelt ausgesetzt. Das Idealbild vom „guten“<br />
Lehrer war und ist nicht zuletzt in der pädagogischen Literatur gängig. Die persönlichen<br />
Eigenschaften, die ein Lehrer mitbringen sollte schließen nahezu alle positiven<br />
Zuschreibungen ein und somit ist schon der zukünftige Lehrer gefangen im Netz des<br />
Lehrerideals, das er sich zum Teil auch selbst spinnt. Tatsächlich ist die Persönlichkeit in<br />
sozialen Berufen das wichtigste Instrument und damit sind auch die Grenzen der<br />
Persönlichkeit die Grenzen des Handelns. 92 Doch nicht nur in der Ausbildung werden die<br />
Persönlichkeit und deren Bedürfnisse notorisch ausgeblendet. Ebenso unausgesprochen<br />
bleiben die inneren Wünsche, die auch für die Berufswahl verantwortlich sein können.<br />
SCHMIDBAUER beschreibt in diesem Zusammenhang das „Helfer-Syndrom“. Die Ursachen<br />
dieses Syndroms liegen in der Kindheit und genauer in der bewussten oder unbewussten<br />
Ablehnung des Kindes durch die Eltern. Die Folge davon ist eine Nichtbefriedigung des<br />
narzisstischen Bedürfnisses, das somit auf dieser Stufe stagniert. Der Überlebensmechanismus<br />
besteht für das Kind in der Identifizierung mit dem elterlichen Über-Ich und dem nach-<br />
Außen-kehren der eigenen narzisstischen Bedürftigkeit. Dies zeigt sich <strong>bei</strong>m späteren<br />
Erwachsenen als Helfer-Syndrom.<br />
Nun tritt die Frage nach dem „Helfen als Bewältigung der eigenen Kindheit?“ in den<br />
Vordergrund. Denn durch Identifikation mit dem Hilfsbedürftigen verschiebt sich der<br />
Kindheitskonflikt auf die Beziehung zu diesem. Er wird nun aufgrund seiner<br />
Hilfsbedürftigkeit in einen Kreislauf der Abhängigkeiten verstrickt, der dem Helfenden die<br />
Möglichkeit gibt, sein eigenes, schwaches, verletztes Ich zu kaschieren und damit zu<br />
91 vgl. COMBE, a.a.O.<br />
92 SCHMIDBAUER, 1975, S. 7<br />
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verdrängen. 93 Das unverar<strong>bei</strong>tete narzisstische Bedürfnis kann dann die Gefühle des<br />
Helfenden dominieren. Auf den Lehrer bezogen heißt das, er drängt die Schüler förmlich in<br />
die Rolle der Hilfsbedürftigen, die ihm seine Sicherheit gibt und seine eigene Schwachheit<br />
überspielt. Die daraus entstehenden Konflikte sind vielfältig und das eigentlich<br />
zugrundliegende Problem bedarf der Bear<strong>bei</strong>tung. Da<strong>bei</strong> sei noch einmal erwähnt, dass diese<br />
Motivation keineswegs pauschal <strong>bei</strong> Lehrern anzutreffen ist. Sie ist vielmehr eine mögliche<br />
Folge negativ beeinflussender Kindheitserfahrungen. 94<br />
2.4.2 Verbliebene Kindlichkeit im Lehrer<br />
Dieser Begriff stammt von BRÜCK, der ihn in „Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler“ 95<br />
näher untersuchte. Zentraler Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Frage, ob denn<br />
Unterricht eigentlich planbar sei. Ähnliches fragt sich auch ein Lehrer <strong>bei</strong> COMBE, denn er<br />
sieht tagtäglich, dass der Unterricht überwiegend von der Gruppendynamik und den<br />
persönlichen Anteilen des Lehrers und der Schüler bestimmt wird. 96 Die Ausblendung<br />
derselben und eine mögliche Folge wurde im vorangehenden Kapitel entfaltet. Unbestritten<br />
nicht nur <strong>bei</strong> psychoanalytisch denkenden Pädagogen ist die Tatsache, dass erhebliche<br />
unbewusste Anteile im Unterricht vorhanden sind, die diesen auch beeinflussen. 97 Die größte<br />
unbewusste Konstante ist verblüffend und doch offensichtlich: der Lehrer hat es, wenn er sich<br />
mit einem Kind beschäftigt, immer mit zweien zu tun. Dem fremden Kind vor ihm und dem<br />
eigenen Kind in ihm, das er einmal war. 98 Diese Erkenntnis ist nicht neu in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>,<br />
doch hat sie ungeheure Folgen für den Unterricht. Der Lehrer hat ständig mit Kindern zu tun<br />
wird somit ständig mit sich und seiner Vergangenheit konfrontiert. Dieser Zustand wird noch<br />
erheblich erschwert durch die Tatsache, dass der Lehrer gar nicht mehr Kind sein darf. Denn<br />
er repräsentiert in der Schule die Erwachsenheit, zu der die Kinder im Lauf ihrer Schulzeit<br />
herangeführt werden sollen. 99 BRÜCK zeigt, dass der erwachsene Lehrer nur bedingt<br />
erwachsen ist in dem Maße, wie er auf einer Stufe seiner Kindlichkeit verblieben ist. 100 Das<br />
93 BERNFELD sagt, die eigenen Liebestriebe des Erziehers werden in seiner Kindheit weder „gesättigt noch<br />
kultiviert“; BERNFELD, a.a.O., S. 138<br />
94 für SCHRAML ist auch die Frage entscheidend, ob diese „Triebwünsche“ sublimiert/ integriert sind, oder ob<br />
es sich um Rationalisierungen nicht verar<strong>bei</strong>teter Triebwünsche handelt; SCHRAML, a.a.O., S. 202f<br />
95 BRÜCK, a.a.O.<br />
96 COMBE, a.a.O., S. 69<br />
97 ein Beispiel hierzu ist die Übertragung des Kindes. Da<strong>bei</strong> lebt das Kind Erfahrungen mit früheren<br />
Bezugspersonen (Eltern) weiter am Lehrer aus, was unter Umständen zu Störungen führen kann; vgl.<br />
SCHRAML, a.a.O., S. 147<br />
98 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 37<br />
99 TIMPNER bezweifelt diese Erwachsenheit qua Rolle; vgl. TIMPNER, 1999, S. 24<br />
100 vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 41<br />
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Ausmaß der verbliebenen Kindlichkeit wird bestimmt durch die eigenen Schulerfahrungen<br />
und die Gefühle, die man damit verbindet. Wenn Lehrer unbefangen über die eigene Schulzeit<br />
nachdenken sollen stoßen sie schnell auf eine Menge an Situationen, die sie in der Schule mit<br />
starken Gefühlen begleitet haben. Viele dieser Gefühle sind mit Angst und negativen<br />
Assoziationen besetzt, so dass es nicht erstaunt, dass diese späteren Lehrer ähnlichen<br />
Gefühlen in Unterrichtssituationen ausgesetzt sind. Die Lehrer werden versuchen, dieser<br />
negativen Gefühle und damit ihrer verbliebenen Kindlichkeit Herr zu werden. Die<br />
Konsequenz daraus ist die Abwehr dieser bedrückenden Gefühle, die sich in verschiedenen<br />
Formen ausdrücken kann. Eine weitere Folge negativer Erfahrungen mit Autorität in der<br />
eigenen Schulzeit ist die Angst vor der eigenen Autorität. Ein Sprichwort sagt: „Was du nicht<br />
willst dass man dir tut, das füg auch keinem andern zu“ 101 und man umgekehrt für den Lehrer<br />
zum Kind sprechen: Ich will dir nicht das antun, was mir widerfahren ist. Aufgrund der<br />
ehemals zugefügten Autorität verdeckt oder verleug<strong>net</strong> der Lehrer als nun Zufügender von<br />
Autorität eben diese <strong>bei</strong> sich. 102 BRÜCK formuliert diesen Konflikt so: „Im Schüler vor sich<br />
fürchtet er das Kind in sich noch einmal zu überfordern, den Schüler vor sich glaubt er durch<br />
Unterforderung gefährdet, während er das Kind in sich besonders streng behandelt“. 103<br />
Ein gehöriger Teil der Lehrerpersönlichkeit wird somit vom Lehrer ausgeblendet und<br />
verdrängt. Aufgrund des Konflikts mit seiner Identität als Lehrer, seiner eigenen<br />
Schulvergangenheit und der dauerhaften Konfrontation mit <strong>bei</strong>dem in der Schule kann sich<br />
eine unbewusste Angst des Lehrers bemächtigen.<br />
Eine Lösung deutet TIMPNER mit der „Befreiung des Kindes“ 104 im Lehrer an und BRÜCK<br />
fordert die Anerkennung und Integration der Kindlichkeit des Lehrers. 105 Auf diese Punkte<br />
werde ich ihm letzten Kapitel noch einmal zurückkommen.<br />
2.4.3 Der Erzogene erzieht<br />
Die eben besprochene, von der Gesellschaft propagierte, das Idealbild des Lehrers 106<br />
weiterführende Abspaltung bestimmter persönlicher Anteile <strong>bei</strong>m Lehrer drückt sich noch in<br />
einem anderen Spannungsfeld aus. Der Lehrer erzieht als ehemals Erzogener nun selbst zu<br />
101 RÖHRIG, a.a.O., S.???????<br />
102 der Autoritätskonflikt des Lehrers begründet sich aus der Angst vor der eigenen Autorität, die wiederum aus<br />
anderen Ängsten entsteht; vgl. BRÜCK, a.a.O., S. 299ff<br />
103 BRÜCK, a.a.O., S. 303<br />
104 TIMPNER, a.a.O., S. 24<br />
105 BRÜCK, a.a.O., S. 43<br />
106 Auf die Gefahren macht auch SCHRAML aufmerksam; vgl. SCHRAML, a.a.O., 199<br />
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Erziehende. Die Notwendigkeit der Erziehung und der Weitergabe der Kultur, der Normen<br />
und Werte der Gesellschaft, steht hier außer Frage. 107 Doch welches Nachspiel hat dieser<br />
Kreislauf für die Schule konkret? Untersuchungen belegen, dass Lehrer vor allem zu Beginn<br />
ihrer Berufstätigkeit in schwierigen Situationen oft auf die eigenen Schulerfahrungen<br />
zurückgreifen. Sie spiegeln damit die Erziehungspraktiken und Verhaltensweisen ihrer<br />
eigenen Lehrer und setzen diese abgewandelt fort, ob sie wollen oder nicht. 108 Der in den<br />
vorhergehenden Kapiteln beschriebene Konflikt kristallisiert hier noch in besonderer Form.<br />
Die Lehrer versuchen diesem Kreislauf zu entkommen und verstricken 109 sich doch nur<br />
mehr. 110 Sie versuchen den eigenen Konflikt entweder durch Umkehrung zu bewältigen<br />
indem sie selbst zu „Tätern“ werden. Oder sie projezieren den unverar<strong>bei</strong>teten<br />
Erziehungskonflikt auf die neue Situation und identifizieren sich mit dem „Opfer“ Schüler<br />
und sehen sich in ihm. 111 Die Bear<strong>bei</strong>tung der erfahrenen eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht<br />
wird da<strong>bei</strong> zum Antrieb, es anders zu machen, das Rad der Zeit somit nachträglich<br />
zurückzudrehen. In BERNFELDs Deutung dieser Situation liegt die Gewichtung auf der<br />
psychoanalytischen Komponente, doch ist die Aussage auch ohne diese gültig: „So steht der<br />
Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten in ihm. Er kann<br />
gar nicht anders, als jenes zu behandeln wie er dieses erlebte. Denn was jenem recht, wäre<br />
diesem billig. Und er wiederholt den Untergang des eigenen Ödipuskomplexes am fremden<br />
Kind, an sich selbst. Er wiederholt ihn auch dann, wenn er scheinbar das Gegenteil all dessen<br />
tut, was ihm seine Eltern antaten“. 112<br />
Bei der Betrachtung der drei Konfliktfelder, die aus den Kindheitserfahrungen der Lehrer<br />
entstehen können, diente die psychoanalytische Sichtweise und deren Wortschatz als<br />
Werkzeug zur Bear<strong>bei</strong>tung und Aufschlüsselung der Konflikte. Doch ist dies nicht „der<br />
einzige Weg nach Rom“ und daneben bieten sich noch andere Deutungsschemata an, die in<br />
späteren Kapiteln noch eingehender geschildert werden. Bei manchen Fragen ist die<br />
psychoanalytische Brille hilfreich, doch <strong>bei</strong> allzu einseitiger Benutzung macht sie den<br />
Forscher blind und seine Erkenntnisse Freud-lastig.<br />
107 vgl. BERNE, a.a.O., S. 31; er betont die Notwendigkeit von erzieherischen Handlungsroutinen<br />
108 vgl. GRELL, 1995, S. 36, der dies bestätigt und vgl. BRUNNER, a.a.O., S. 58, der diese Vermutung nahe legt<br />
109 „Der Lehrer selbst ist in die Szene aufgrund seiner eigenen Vergangenheit ebenfalls verstrickt“; DENECKE,<br />
1986, S. 37<br />
110 sie sind schon allein aufgrund ihrer Sozialisation in Schule und Studium angepasst und in den Kreislauf<br />
verwoben, der ihnen oft nur die Erfahrung bot, wie ohn-mächtig sie sind; vgl. TIMPNER, a.a.O., S. 22<br />
111 vgl. SCHRAML, a.a.O., S. 204<br />
112 BERNFELD, a.a.O., S. 141f<br />
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2.5 Zusammenfassung<br />
Kindheit beeinflusst den Lebenslauf und die Persönlichkeitsstruktur von Erwachsenen,<br />
verschiedene Modelle stützen diese Annahme. Die Kindheit findet sich wieder im inneren<br />
Kind, das jeder Erwachsene hat, und dessen Nichtbeachtung und Verletzung Ursache<br />
zwischenmenschlicher und intrapersonaler Konflikte sein können.<br />
Da auch Lehrer einmal Kinder waren, treffen diese Aussagen auch auf sie und vor allem auf<br />
sie zu. Denn in ihrer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> haben sie kontinuierlich mit Kindern zu tun und werden damit<br />
ständig auch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Die Kindheiten von Lehrern unterscheiden<br />
sich nicht wesentlich von den Kindheiten andere Menschen, dieselben Themen sind<br />
bedeutsam und dieselben Einflüsse wie z.B. Familie, Schule wirken prägend. Das diese<br />
Kindheitsprägungen sich auch in der Schule bemerkbar machen wurde gezeigt und<br />
insbesondere unverar<strong>bei</strong>tete Prozesse der eigenen Kindheit und Schulzeit drängen aus dem<br />
Unbewussten in den Unterrichtsalltag hinein und können diesen empfindlich beeinflussen.<br />
Welche Rückschlüsse lassen sich nun für den Lehrer an Förderschulen für Kinder mit<br />
Lernbehinderungen ziehen? In welche Verstrickungen begibt sich der Lehrer dort aufgrund<br />
eigener Erfahrungen aus der Kindheit? Welche Spannungsfelder können daraus entstehen und<br />
welche Gefahren und welche Chancen bergen sie?<br />
3. Die Spannungsfelder vertrauter und fremder Kindheit im sonderpdäagogischen<br />
Handeln des Lehrers für Schüler mit Lernbehinderungen<br />
Um sich dem Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen zu nähern bedarf es zuerst einer<br />
begrifflichen Bestimmung dieses Lehrers. Es existieren unterschiedliche „offizielle“<br />
Bezeichungen für diesen Berufsstand und es kursieren wohl noch mehr innerhalb des<br />
Gesellschaft. Der Name für diese Berufsgruppe steht auch in engem Zusammenhang mit der<br />
geschichtlichen und politischen Entwicklung in Deutschland. So lassen sich Bezeichnungen<br />
wie „Hilfsschullehrer“, „Sonderschullehrer“, „Lehrer an Sonderschulen für Lernbehinderte“<br />
und neuere Bezeichnungen wie „Förderschullehrer“ sowie „Lehrer für Kinder und<br />
Jugendliche mit Lernbehinderungen/ Lernschwierigkeiten“ in einen zeitlichen Prozess<br />
einordnen, der sicherlich noch andauern wird. Mit der Neuformulierung des Berufnamens und<br />
-bildes der Lehrer ging auch eine Debatte um die „Lernbehindertenschule“ als Institution und<br />
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den Begriff der „Lernbehinderung“ im gesamtgesellschaftlichen und schulpolitischen Kontext<br />
einher. 113<br />
In Sachsen ist derzeit der Begriff des „Förderschullehrers/ Förderschullehrerin“ gebräuchlich<br />
in Anlehnung an den gleichnamigen Schultyp. Da es aber in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> um Lehrer für<br />
Schüler mit Lernbehinderungen allgemein und nicht nur an den Schulen geht, werde ich den<br />
Begriff „Lehrer für Schüler mit Lernbehinderungen“ (LB) verwenden, da dieser unabhängig<br />
vom institutionellen Rahmen der Schule verwendet werden kann. Auch hier greife ich<br />
aufgrund der besseren Lesbarkeit wieder auf die männliche Form in <strong>bei</strong>den Substantiven<br />
zurück, wo<strong>bei</strong> ich aber stets <strong>bei</strong>de Geschlechter meine.<br />
3.1 Die pädagogische Beziehung zwischen dem Lehrer und den Schülern mit LB<br />
Was bedeutet Beziehung? Die Verwendung im Deutschen ist vielfältig: ein Haus beziehen,<br />
also in der Form des „Einziehens“ in ein „bezugsfertiges“ Haus. Oder man kann Prügel<br />
„beziehen“, das heißt man „bekommt“ sie. Oder man bekommt finanzielle „Bezüge“ von<br />
einer bestimmten Stelle. Man kann auch Stellung „beziehen“, Positionen einnehmen und sich<br />
hinter diesen verschanzen. Möglich wäre auch die wortwörtliche Deutung, sprich wenn<br />
jemand einen anderen be-zieht oder diesen woanders hin-zieht. Oder aber man bezieht ein<br />
Bett indem man einen Bezug darüberspannt, man das darunterliegende Bett „über-zieht“.<br />
Beziehung in der zwischenmenschlichen Deutung meint, dass sich zwei Menschen<br />
aufeinander beziehen, dialogisch in Kontakt treten und somit eine Beziehung aufbauen. Somit<br />
ist eine Beziehung immer zweiseitig zu betrachten 114 und sie ist nie abhängig nur von einer<br />
Seite. Beziehungen im schulischen Zusammenhang sind von enormer Wichtigkeit, nicht nur<br />
die zwischen Lehrern oder dem Lehrer und dem Vorgesetzten, sondern vor allem zwischen<br />
Lehrer und Schülern. „Wer keine Beziehung herstellen kann, kann auch nicht erziehen“ 115<br />
schreibt SPRINGER und BUBER sagt „Beziehung erzieht“. 116 Die Fähigkeit, förderliche<br />
Beziehungen aufzubauen und durch diese die Schüler zu erziehen ist also grundlegend für den<br />
schulischen Unterricht. Die Betrachtung der pädagogischen Beziehung ist demnach eine<br />
Notwendigkeit nicht nur für die schreibenden Pädagogen. Der Lehrer steht in einer Klasse<br />
113 siehe dazu das Kapitel „Kritische Analyse von Entwicklungen und Theorien in der<br />
Lernbehindertenpädagogik" in EBERWEIN, 1996<br />
114 vgl. GIESECKE, 1997, S. 19<br />
115 SPRINGER, 1990, S. 25<br />
116 Zitat in JEGGE, 1983, S. 151<br />
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nicht nur einer bunten Welt an Schülern gegenüber 117 , sondern auch gleichzeitig einer ebenso<br />
großen Zahl von Beziehungsangeboten. Da<strong>bei</strong> können die Beziehungen so unterschiedlich<br />
sein wie die Schüler. Nie wird eine Beziehung der anderen gleichen und zu manchen Schülern<br />
wird der Lehrer vielleicht gar keine Beziehung aufbauen können. Ein Grund dafür liegt in den<br />
Vorgeschichten der Beziehungsteilnehmer. Der Lehrer hat ebenso eine<br />
„Lernvergangenheit“ 118 wie der Schüler. Diese Vergangenheit und andere Erfahrungen<br />
bestimmen Werte und Normen, Einstellungen und Haltungen gegenüber anderen Menschen.<br />
Aufgrund dieser geschichtlichen Verbundenheit kann es zu einer Beziehungsdynamik im<br />
Unterricht kommen, die SCARBATH folgendermaßen beschreibt: „Welche<br />
lebensgeschichtlichen Erfahrungen eines Lehrers oder einer Lehrerin, welche Momente einer<br />
sozialisatorischen Leidensgeschichte werden - zumeist unbewußt - wachgerufen, wenn sie<br />
sich mit dem Ungehorsam oder der Faulheit eines Schülers auseinandersetzen müssen?<br />
Welche eigenen, oft verschütteten Unsicherheiten und Zweifel fangen <strong>bei</strong> uns an zu rumoren,<br />
wenn junge Menschen die Werte und Normen nicht akzeptieren, als deren Vermittler wir<br />
auftreten? Oft signalisiert uns die (un)pädagogische Überreaktion, daß hier ein wunder Punkt<br />
in uns selbst getroffen wurde.“ 119 Durch die lebensgeschichtliche Befangenheit der <strong>bei</strong>den<br />
Beteiligten - Lehrer und Schüler - entsteht eine Kreislauf der Verwicklungen in Beziehungen,<br />
die größtenteils unbewußt abläuft. Die Schule als Institution neigt dazu, diese persönlichen<br />
Anteile auszusperren 120 und die daraus entstehenden Konflikte als Störungen des Unterrichts<br />
zu definieren. Sind Unterrichtsstörungen Beziehungsstörungen?<br />
Konflikte des Lehrers können zu einer Störung der Beziehung führen 121 , Konflikte des<br />
Schülers ebenso. Diese Beziehungsstörungen ziehen Konsequenzen nach sich, die ich<br />
stichwortartig veranschaulichen möchte: Konflikte im Lehrer stören die Beziehung zum<br />
Schüler. Eine gestörte Beziehung behindert <strong>bei</strong>m Schüler das Lernen. Konflikte <strong>bei</strong>m Schüler<br />
stören ebenso die Beziehung, weswegen der Lehrer im Lehren behindert wird. Konflikte<br />
zwischen Lehrer und Schüler stören die Beziehung und verhindern ein für das Lernen<br />
förderliches Klima und belasten Lehrer und Schüler.<br />
Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist ausschlaggebend für das Lernen und Lehren<br />
im Unterricht. Deshalb kommt ihr auch in bezug auf Schüler mit LB große Bedeutung zu:<br />
„Besonders im Umgang mit lernbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen ist ein Lernen<br />
117 als einen „Mikrokosmos menschlicher Schicksale“ beschreibt dies GARLICHS; vgl. GARLICHS, 1985, S.<br />
161<br />
118 vgl. NICKEL, 1978, S. 60 und dessen transaktionales Modell<br />
119 SCARBATH, 1999, S. 17<br />
120 vgl. dazu Kapitel 2.4.2 in dem das Modell von Horst BRÜCK dargelegt wird; BRÜCK, 1979<br />
121 vgl. SINGER, 1988, S. 73<br />
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ohne Beziehungsebene nicht möglich.“ 122 Für JEGGE ist jede Entwicklung des Schülers nur<br />
auf der Grundlage befriedigender Beziehungen möglich. 123<br />
Nun sind die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler mit LB aber oft geprägt von dem<br />
institutionell vorgefassten, vom Lehrer internalisierten Machtverhältnis, das sich in vielen<br />
Gestalten präsentiert. Die einseitige Schuldzuweisung ist ein Hauptmerkmal davon: Ursachen<br />
für Unterrichtsstörungen werden häufig nur den Schülern und ihren Normverletzungen zur<br />
Last gelegt. Bei Störungen der pädagogischen Beziehung ist es stets der Schüler, der dafür<br />
verantwortlich ist, denn der Lehrer in seiner aufopferungsvollen Liebe reagiert immer<br />
gleich. 124 Das ungleiche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler drückt sich auch in den<br />
Begrifflichkeiten aus: „Erwachsener - Kind“, „Mündiger - Unmündiger“, „Lehrer - Schüler“,<br />
„Erzieher - Zögling“ usw. 125 Wie sich diese einseitige Sicht noch ausdrücken kann werde ich<br />
in den nachfolgenden Kapiteln versuchen zu erläutern.<br />
Festzuhalten bleibt: sonderpädagogisches Handeln des Lehrers für Schüler mit LB ist nur<br />
möglich innerhalb der sonderpädagogischen Beziehung. Um das Lernen des Schülers zu<br />
fördern muss der Blick zuerst auf die Beziehung zwischen Lernendem und Lehrendem<br />
gerichtet werden. Diese Beziehung wird maßgeblich von den Vorgeschichten, den<br />
Lernvergangenheiten, den Kindheiten der <strong>bei</strong>den mitbestimmt. Daher wird eine Betrachtung<br />
der eigenen Kindheit für den Lehrer notwendig und sinnvoll.<br />
3.2 Vertraute und fremde Kindheit für den Lehrer für Schüler mit LB<br />
Jeder, der schon einmal im Urlaub in ein fremdes Land gefahren ist, kennt das: das Essen<br />
schmeckt anders, die Leute sprechen eine andere Sprache, die Bräuche sind einem fremd,<br />
Grüßen und Verabschieden wird anders gehandhabt usw. Man sagt dann „Andere Länder,<br />
andere Sitten“ um mit diesem Spruch alle Arten von Befremdung griffig zu formulieren. Oft<br />
ist man dann froh, wieder daheim zu sein, dort, wo man sich auskennt, wo man die Sprache<br />
spricht und weiß, dass man dazu gehört. Erleben von Fremdheit kann befremdliche Gefühle<br />
auslösen. Fremdheit ist ein relativer Begriff. Das Erleben von Fremdheit ist abhängig von<br />
dem, was einem vertraut ist. Einem Weltenbummler wird vielleicht die Welt nicht mehr so<br />
fremd vorkommen wie einem, der noch nie sein Land verließ.<br />
122 RÄUBER, 1998, S. 54<br />
123 vgl. JEGGE, 1983, S. 151ff<br />
124 vlg. BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202f<br />
125 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202<br />
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Von der äußeren Geographie komme ich nun zur inneren. Die eigene Kindheit ist einem<br />
vertraut und bekannt. Die Personen und Schauplätze, die Erlebnisse und die Gefühle sind<br />
einem eigen und nicht die von anderen. Ob man sich in der Erinnerung an die eigene Kindheit<br />
wohl fühlt oder nicht sei dahin gestellt, auf jeden Fall aber kennt man sich aus und ist mit ihr<br />
vertraut. Nicht so <strong>bei</strong> der anderen, fremden „Kindheitslandschaft“. Diese erscheint einem<br />
vielleicht auf den ersten Blick fremd und unzugänglich, oft will man sie erst gar nicht<br />
betreten. Auf den zweiten Blick kann sie sogar bedrohlich wirken, man möchte die<br />
Konfrontation mit ihr abwenden und stellt sich auf Abwehr ein! So muss es einem Lehrer<br />
ergehen, der tagtäglich „schwer erträgliche Formen der Andernheit und Fremdheit“ 126 durch<br />
seine Schüler erfährt. Aggressionen, Hass, Beleidigungen, Wut, Desinteresse, Gleichgültigkeit,<br />
Normüberschreitungen in allen Schattierungen wogen ihm möglicherweise<br />
entgegen. Allerhand Gefühle und Verhaltensweisen, die ihm fremd sind, die er - von sich -<br />
nicht kennt oder kennen will und die ihm nicht vertraut sind, womit er sich auch keineswegs<br />
vertraut machen will. Die Feststellung: „ich unterscheide mich von den Kindern!“ 127 dürfte<br />
eine der ersten Erkenntnisse im Umgang mit Kindern sein, die Lernbehinderungen haben.<br />
Eine zweite Erkenntnis, die nicht so offensichtlich ist wie die erste, könnte dann für den<br />
Lehrer naheliegen: „ich bin geprägt!“. Die eigene Sozialisation bestimmt nicht nur das spätere<br />
Erzieherverhalten, sondern auch die „Interpretationen erzieherischer und anderer<br />
gesellschaftlicher Vorgänge“ entscheidend. 128 Fasst man nun die zwei Aussagen zusammen<br />
und erweitert sie ergibt sich für den Lehrer für Schüler mit LB der einfache Satz: ich<br />
unterscheide mich von den Kindern aufgrund meiner eigenen Sozialisation und vor allem der<br />
Kindheitserfahrungen. Aber ist diese Feststellung so simplifizierbar? Werfen wir zunächst<br />
einen genaueren Blick auf die differenten Vorgeschichten, die schon in der Überschrift des<br />
Kapitels mit vertrauter und fremder Kindheit 129 beschrieben wurden.<br />
In der Schule für Schüler mit LB treffen nun in der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler<br />
zwei Welten aufeinander. Zwei unterschiedliche Vergangenheiten und Lerngeschichten 130<br />
stehen sich gegenüber und bergen in sich divergente Erfahrungen im Lernen, im Erfolg und<br />
Misserfolg, im Beziehungserleben, in Motivation und Interesse, in Leistungsstreben und<br />
Anstrengungsbereitschaft, in häuslichem Umfeld und außerschulischen Aktivitäten und vielen<br />
anderen Bereichen, die Unterricht beeinflussen. Eine paradoxe Situation entsteht, denn der<br />
jeweils andere hält seine Welt für selbstverständlich und die des anderen erscheint ihm fremd.<br />
126 BLOEMERS, 1995, S. 212<br />
127 vgl. die Beschreibung einer Studentin; GARLICHS, 1985, S. 26<br />
128 vgl. BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 152<br />
129 dieser Ausspruch ist der Titel des Kapitels von Herbert HAGSTEDT in GARLICHS, 2000, S. 50<br />
130 vgl. HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 46<br />
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In der Schule aber lernen die Schüler, dass nur eine Welt die richtige, die zu Lernende ist, und<br />
diese Welt ist nicht die ihre. „Wie oft konfrontieren wir unsere sozio-kulturell benachteiligten<br />
Schüler [...] mit einer für sie fremden, uns jedoch vertrauten kulturellen Welt, versuchen sie<br />
pädagogisch in diese zu integrieren.“ 131 meint RÄUBER und betont die Notwendigkeit zur<br />
Offenheit gegenüber und Annahme des Andersseins. Diese Offenheit wird aber begrenzt<br />
durch den internen Wahrnehmungsfilter, den man sich im Lauf seines Lebens erworben<br />
hat. 132 Dieser läßt nur bestimmte Dinge durch und diese auch nur in einem bestimmten Licht.<br />
So kann es einem sehr ernsten Lehrer, der auch schon ein ernstes Kind war, als Provokation<br />
erscheinen, wenn ein Schüler eine freche Bemerkung macht. Er wird dieses Kind vielleicht<br />
dafür bestrafen und persönlich verletzt reagieren. Ein anderer Lehrer, der in seiner Schulzeit<br />
auch frech war, wird dieselbe Situation unter Umständen ganz anders sehen und beurteilen,<br />
vielleicht milder sein mit dem Kind oder sogar über dessen Bemerkung lachen.<br />
Lehrer wie Schüler sind also vorgeprägt. Für den Lehrer und auch schon für Studenten ist es<br />
oftmals ein richtiger „Kulturschock“ 133 , wenn sie zum ersten mal länger Kontakt haben mit<br />
Schülern mit LB und deren für sie befremdlichen Vergangenheit und Gegenwart. Für den<br />
Schüler mit LB ist es wahrscheinlich ein ebenso großer „Kulturschock“, wenn er mit der<br />
Schulwelt in Kontakt kommt. Er soll aber in diese, ihm fremde Welt gebracht werden. Dass<br />
aus dieser Diskrepanz zwischen eigener und fremder Welt Störungen resultieren können, liegt<br />
nahe. 134<br />
Was aber macht der Lehrer mit dieser Unterschiedlichkeit? Er kann versuchen, sich aus der<br />
fremden Welt herauszuhalten, indem er sich auf den zu vermittelnden Stoff konzentriert und<br />
so eine anscheinend objektive Haltung einzunehmen. 135 Er kann auch die Erfahrung der<br />
fremden Realität 136 akzeptieren und diese für gut befinden aber darüber hinaus weitere<br />
Anstrengungen gegenüber dem Schüler mit LB vermeiden und sich auf andere<br />
Unterrichtsbereiche beschränken.<br />
Oder aber er kann sich aktiv mit den Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten, die ihn von<br />
seinen Schülern trennen und die ihn mit seinem Schülern verbinden, auseinandersetzen. Er<br />
kann versuchen, sich das Fremde im Schüler und in sich vertraut zu machen.<br />
131 RÄUBER, 1998, S. 52<br />
132 diesen Begriff verwendet HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 302<br />
133 GARLICHS, 2000, S. 50<br />
134 die Konsequenzen für Schüler aus der sozio-kulturellen Unterschicht beschreibt HURRELMANN;<br />
HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 303f<br />
135 durch die Objektivierung der „Behinderten“ können Sonderpädagogen ausklammern, „was sie selbst<br />
existentiell persönlich erleben oder erlebt haben.“; BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 205<br />
136 dieser Begriff taucht im Bericht einer Studentin auf; GARLICHS, 2000, S. 31<br />
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3.3 Die Kluft zwischen Lehrern und Schülern mit LB<br />
Je mehr ich über das Thema las und erfuhr, desto mehr entwickelte sich <strong>bei</strong> mir ein Bild, mit<br />
dem ich den Problemkreis beschreiben möchte, um den es in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> geht.<br />
Lehrer und Schüler mit LB können meilenweit voneinander entfernt sein, obwohl sie sich im<br />
gleichen Zimmer befinden. Die Distanz ist eine geistige, eine emotionale Entfernung, die aber<br />
schwerer wiegt als jede physische Distanzierung. Lehrer und Schüler mit LB haben<br />
unterschiedliche Kindheiten erlebt, haben eine andere Sozialisation erfahren, ihre Herkunft ist<br />
verschieden, oft ihre Sprache, ihr Denken und ihr Handeln. Sie haben unterschiedliche Wege<br />
genommen. Den einen hat sein Weg scheinbar stetig aufwärts geführt. Über schwierige<br />
Passagen hinweg und über etliche Hindernisse und Stolpersteine gelangte er vielleicht im<br />
Lauf seines Lebens über Schulzeit, Studium und Referendariat zur jetzigen Position des<br />
Lehrers für Schüler mit LB. Damit ist er sicherlich an einem Ziel, das er sich früher gesteckt<br />
hatte und von dort oben genießt er nun die Aussicht.<br />
Den anderen hat sein Weg scheinbar stetig abwärts geführt. Von schwierigen Verhältnissen in<br />
der Familie und der Umgebung hin zur Schule, in der er sich nie so recht wohlfühlte. Erst<br />
recht nicht, als er immer schlechter wurde, oder besser: als ihm immer schlechter wurde. 137<br />
Von den Lehrern, den Fächern, den Noten, den Mitschülern und schließlich von sich. Sein<br />
Abstieg begann und führte über das, seine Person in Frage stellende, Sitzenbleiben und die<br />
Diskriminierung durch andere hin zur Schule für LB, in die er „hinübergetestet“ wurde. Zum<br />
schulischen Abstieg kam auch der soziale, denn seine Freunde wollten ihn nun nicht mehr<br />
kennen und verachteten ihn und schallten ihn „Doofie“. Er selbst achtete sich auch kaum<br />
mehr und ließ diese Verachtung alle spüren, die mit ihm zu tun hatten.<br />
Diese zwei fiktiven Beispiele unterschiedlicher Wege sollen die Distanz veranschaulichen, die<br />
Lehrer und Schüler mit LB aufgrund ihrer Lebensgeschichte haben können. Der Lehrer wähnt<br />
sich förmlich oben auf während der Schüler mit LB unten durch ist. Die <strong>bei</strong>den leben in<br />
verschiedenen Welten, an verschiedenen Orten 138 , zwischen ihnen die Kluft der<br />
Vergangenheit. Diese Kluft ist umso breiter, je unterschiedlicher die Kindheiten und<br />
Erfahrungen der <strong>bei</strong>den waren. Die Kluft ist umso tiefer, je unvereinbarer die Gegensätze nun<br />
sind. Die Kommunikation ist erschwert, teilweise unmöglich auf diese Distanz. Man kann den<br />
anderen kaum sehen, geschweige denn hören. Oft will man dies auch nicht wirklich. Die<br />
Verzerrung der „anderen Seite“ ist unausweichlich, die Fehlurteile 139 vorprogrammiert.<br />
137 Diese Deutung des „schlechten“ Schülers nimmt MANN vor; vgl. MANN, 1989, S. 24<br />
138 HILLER sieht den Schüler mit LB im Keller des Bildungssystems; vgl. HILLER, 1989<br />
139 Vor Fehlurteilen aufgrund differenter Sozialisation warnt z.B. SPRINGER; vgl. SPRINGER, 1990, S. 13<br />
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Lehrer: „Die Schüler verstehen mich nicht, sie kapieren auch den Stoff überhaupt nicht. Mir<br />
ist das Verhalten des Schülers völlig unverständlich“. Schüler: „Ich versteh den Lehrer<br />
überhaupt nicht, und das ganze Zeug in den Büchern verstehe ich auch nicht. Ich glaub´, mich<br />
versteht sowieso keiner.“<br />
Lehrer und Schüler mit LB sind weit entfernt voneinander, sie können und wollen sich oft<br />
nicht verstehen. „Nur selten und vor allem nicht radikal genug machen wir uns klar, wie weit<br />
wir und unsere Lebenswelt von dem entfernt ist, was als Lebenswirklichkeit unsere Schüler<br />
erwartet, bzw. schon jetzt bestimmt.“ 140 Bei BAIER ist es der „differente Sozialcharakter“<br />
aufgrund der „extrem entfernten Sozialschichten“ 141 , der negative Auswirkungen auf den<br />
Sozialisationsprozeß der Schüler mit LB zeitigen kann. Als die vermutlich größte „soziale<br />
Distanz“ aller Schularten bezeich<strong>net</strong> gar BLEIDICK 142 die Entfernung zwischen dem Lehrer<br />
und den Schülern mit LB.<br />
Die Folge dieser Entfernung ist Entfremdung, Fremdheit. Diese kann sich z.B. ausdrücken in<br />
Unverständnis des jeweils anderen, in Fehlurteilen, Desinteresse, Gleichgültigkeit,<br />
Beziehungsstörungen und infolgedessen Lernstörungen der Schüler mit LB und<br />
Lehrstörungen des Lehrers. Der Entfremdungsprozess wird noch verstärkt durch den<br />
institutionellen Rahmen der Schule 143 und die Erwartungen der Gesellschaft an Lehrer und<br />
Schule.<br />
Ist diese Distanz zwischen Lehrer und Schüler mit LB unüberwindbar, schicksalhaft<br />
unumkehrbar, oder aber auch normal und den Umständen entsprechend akzeptabel? Der<br />
Lehrer zumindest, als ehemaliger Wissenschaftler, weiß wie sein Gegenüber auf der anderen<br />
Seite der Kluft aussieht und wie es dort hinkam. Wenig Anregung, schlechtes Elternhaus,<br />
sozio-kulturelle Benachteiligung, Teilleistungsschwächen und Schulversagen, Selbstwertprobleme<br />
usw. Daher ist der Schüler jetzt wenig belastbar, launisch, schlecht motivierbar,<br />
leidet an Konzentrationsmangel, visuellen Wahrnehmungsstörungen und an der Schule<br />
sowieso. 144 Doch genügt diese einseitige Betrachtung? Wird sie der Beziehung zwischen<br />
Lehrer und Schüler mit LB gerecht? Was weiß der Lehrer schon über den Schüler mit LB?<br />
„Du weißt nicht, wie schwer die Last ist, die du nicht trägst“ besagt ein afrikanisches<br />
140 HILLER, 1989, S. 25<br />
141 BAIER, 1972, S. 689<br />
142 BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 33<br />
143 durch die Rollenverteilung verschärft sich der Gegensatz zusätzlich; vgl. RÄUBER, 1998, S. 54<br />
144 die zumindest fragwürdige Haltung BAIERs zu dieser Distanz sei hier dargestellt: „Die Wissenschaft gibt<br />
dem Sonderschullehrer die Möglichkeit, sich nicht nur von dem Kleinkram, sondern auch von dem Elend, mit<br />
dem er täglich konfrontiert ist, zu distanzieren.“; BAIER in BAIER/ KLEIN, 1975, S. 236<br />
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Sprichwort. 145 Weiß denn der Lehrer wenigstens, wie schwer die Last ist, die er selbst trägt,<br />
oder gar wie wenig Last er tragen musste?<br />
An der Schule für Schüler mit LB treffen also zwei Anhänger unterschiedlichster Kulturen<br />
aufeinander und sollen nun miteinander nicht nur auskommen, sondern auch lernen - das<br />
erwartet man in erster Linie natürlich von den Schülern. Der Lehrer in der höheren Position 146<br />
weiß wo es langgeht und darf deswegen den Unterricht planen und durchführen, die Schüler<br />
nehmen daran teil. Doch was passiert tatsächlich im Unterricht?<br />
Beim Lehrer wie <strong>bei</strong>m Schüler mit LB werden gleichermaßen wunde Punkte berührt und<br />
schlafende Hunde geweckt durch die Beziehung zum jeweils anderen. Beim Lehrer sind es oft<br />
eigene Erfahrungen mit Erfolg und Versagen, verschüttete Unsicherheiten, symbiotische<br />
Wünsche an die Kinder, ablehnende Gefühle gegenüber Wertverweigerern, „gegenüber<br />
verwahrlosten Schmutzfinken, riechenden Bettnässern, ängstlichen Nägelkauern, schwachen<br />
Schülern, die hinterhältig abschreiben, kriminelle Täuschungsmanöver unternehmen oder<br />
sonstwie zu betrügen versuchen.“ 147 Beispiele für Beziehungsgefühle von Schülern mit LB<br />
finden sich z.B. in JEGGEs „Dummheit ist lernbar“. 148 Dort kommen Schüler zu Wort und<br />
beschreiben ihre Gefühle während ihrer Schulzeit. In diesem Buch werden die Probleme der<br />
Schüler auch unter dem Aspekt einer pädagogisch-therapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf Grundlage der<br />
Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB betrachtet.<br />
Das Stichwort „Beziehung“ möchte ich nun noch einmal 149 aufnehmen, denn auch sie hat<br />
ihren Platz in dem Bild von der Kluft. Die Beziehung ist das Seil, das sich zwischen Lehrer<br />
und Schüler über die Kluft spannt. Es kann dick oder dünn sein, straff gespannt oder locker<br />
durchhängend. Haltbares Tau oder dünner Bindfaden. Vielleicht auch gar nichts - wie oft<br />
finden Lehrer keine Beziehung zu manchen Schülern? Zu was ist dieses Beziehungsseil nun<br />
aber gut? Auf der einen Seite kann der Lehrer versuchen, den Schüler auf seine Seite zu<br />
ziehen. Als Grund könnte er angeben: „Ich will ihm doch nur aus seiner armseligen Welt<br />
herausholen und retten“. Möglicherweise aber denkt der Lehrer auch: „Der Schüler muss<br />
doch auf diese Seite, er soll doch integriert werden in die normale Welt und ein anständiges<br />
Leben hier führen können.“ Oder er zieht aus Versehen am Beziehungsseil, weil er es für<br />
selbstverständlich hält den Schüler dort abzuholen, wo er ist, und ihn dort hinzubringen, wo<br />
der Lehrplan, die Lernziele und Erwartungen der Gesellschaft es vorsehen.<br />
145 Zitat zu Beginn des Buches von Roswitha GEPPERT: Die Last, die du nicht trägst. München: Deutscher<br />
Taschenbuch Verlag, 1995<br />
146 da sie auch über die „staatlich sanktionierte Macht“ verfügen; WAGNER, 1997, S. 37<br />
147 BLOEMERS, 1995, S. 38<br />
148 JEGGE, 1983<br />
149 vgl. Kapitel 3.1<br />
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Andererseits kann der Lehrer auch versuchen, sich an dem Seil zum Schüler<br />
hinüberzuschwingen. Denn der Lehrer soll emphatisch sein können, die Welt aus der Sicht<br />
des Schülers sehen können und ihm auf diese Weise helfen. Die Gefahr des Scheiterns ist<br />
hoch, denn sehr groß ist der Schwung über die Kluft, zu wahrscheinlich ein Abstürzen des<br />
gutmeinenden Lehrers. Auch gut möglich ist, dass die Schüler die „Ankunft“ des Lehrers<br />
befremdlich finden. Was will er denn hier? „Der gehört hier gar nicht hin! Der tut doch nur<br />
so, als ob er uns verstehen will.“ Der Vorwurf der Un-Echtheit wäre schwer zu verkraften.<br />
Vielleicht sollte niemand mit Hilfe des Beziehungsseiles den anderen zu sich ziehen.<br />
Vielmehr wäre es von Nutzen, wenn man gleichsam viele Seile über die Kluft wirft, aus<br />
denen dann eine Brücke entstehen könnte. Durch diese Brücke könnten Lehrer und Schüler<br />
mit LB zueinander gelangen und sich verstehen lernen, ohne dass da<strong>bei</strong> einer von <strong>bei</strong>den<br />
seine Welt aufgeben oder für immer verlassen müsste. Durch die Brücke gestärkt wäre der<br />
Abgrund weniger bedrohlich und damit überwindbar geworden, ein Halt für <strong>bei</strong>de wäre<br />
geschaffen.<br />
Doch um Beziehungsseile und -angebote über die Kluft zu werfen bedarf es des Muts, in die<br />
Tiefe hinabzublicken. Man darf die Kluft nicht unterschätzen und eine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der<br />
Beziehung ist erst möglich dadurch, dass man weiß wie breit die Kluft ist und warum sie das<br />
ist, warum sie bedrohlich wirkt und wie man am besten ein Seil über bestimmte Stellen<br />
schlingt. Deshalb werde ich im nächsten Kapitel versuchen, die Kluft zu „vermessen“ und in<br />
einigen Bereichen zu bestimmen, ihre Beschaffenheit und Gewordenheit „auszuloten“.<br />
Meiner Meinug nach ist diese Kluft zu einem großen Teil die Folge unterschiedlicher<br />
Kindheiten des Lehrers und des Schülers mit LB. Andere Faktoren wie z.B. berufliche<br />
Sozialisation und Entfremdung durch den Unterricht bleiben <strong>bei</strong> der „Vermessung“<br />
unberücksichtigt.<br />
3.4 Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten<br />
Mit „Spannungsfelder“ meine ich die Bereiche der Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit<br />
LB, die lebensgeschichtlich bedingt sind und die durch ihre Verschiedenheit eine Spannung<br />
erzeugen.<br />
Die Wege, die Lehrer und Schüler mit LB zu ihren jetzigen Positionen geführt haben, wurden<br />
unterschiedlich deutlich nachgezeich<strong>net</strong>. Da<strong>bei</strong> fällt auf, dass deutlich mehr<br />
Wegbeschreibungen für Schüler mit LB existieren als für die Lehrer dieser Schüler. Eine<br />
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Langzeitstudie von WAGNER analysiert z.B. die Bildungsbiographien von Schülern mit<br />
LB. 150<br />
Bei KLEIN lassen sich biographische Rückblicke auf die „Karrieren“ von<br />
lernbehinderten Schülern finden 151 , aus denen ich eine exemplarisch zusammengefasst 152<br />
habe:<br />
Lebenslauf Robert (9 Jahre): Einschulung Grundschule, Wiederholung 1. Klasse, danach Überweisung in<br />
Schule für Lernbehinderte. Robert das zweitjüngste von acht Kindern in der Familie. Außer einem Bruder sind<br />
alle Kinder auf der Schule für Lernbehinderte. Eltern geschieden, Kinder aufgeteilt. Schwierige Wohnumgebung<br />
im Bahnhofsviertel, leiblicher Vater oft alkoholisiert, prügelnd, bedrohend. Familie war aus der DDR geflüchtet.<br />
Die Probleme, mit denen Schülern mit LB oft zu kämpfen haben sind unter anderem „beengte<br />
Wohnverhältnisse, materielle Not, Suchtprobleme der Eltern und häufiger Streit in der<br />
Familie“. 153 Diese Probleme kennt der Lehrer nur selten oder teilweise, selten aber in dieser<br />
konzentrierten Form. Für viele Lehrer ist es deshalb ein Schock und eine Erschütterung, wenn<br />
sie von den Schicksalen ihrer Schüler erfahren, sei es <strong>bei</strong>m Durchblättern der Akten oder aus<br />
erster oder zweiter Hand von Beteiligten. Ein Lehrer für Schüler mit LB, der Lernbehinderung<br />
im Unterricht mit den Schülern thematisiert hatte, schrieb darüber: „Was ich in den ersten<br />
Gesprächen zu hören bekam hat mich erschüttert. Ich hatte mir die schulischen Verletzungen,<br />
die man diesen Kindern zugefügt hatte, nicht so schlimm vorgestellt.“ 154 Der Lehrer hat somit<br />
ein Erfahrungs- und Informationsdefizit im Blick auf die Biographien der Schüler. Diese muss<br />
er verringern, indem er sich Informationen darüber verschafft, wie die Situation des Kindes ist<br />
und wie sie auf das Kind wirkt. 155 Das setzt aber voraus, dass man in Bezug auf sich kein oder<br />
kein großes Informationsdefizit mehr besitzt. Trifft das zu? Kennen wir uns schon so gut, dass<br />
wir uns an andere Biographien in verantwortungsvoller Weise heranwagen dürfen? Ist sich<br />
der Lehrer klar woher er kommt, wo er steht, wie weit er entfernt ist von seinen Schülern?<br />
Denn nicht nur deren Lebensgeschichte macht die Kluft breit, sein Leben und Werdegang ist<br />
zu gleichen Stücken daran beteiligt.<br />
HILLER hat den Weg des Lehrers für Schüler mit LB so dargestellt: „Lehrerinnen und Lehrer<br />
entstammen mehrheitlich diesem bürgerlichen Milieu. Familie und Verwandtschaft haben sie<br />
seit der frühen Kindheit in die Werte, Traditionen und Techniken einer bürgerlichen<br />
Lebensführung eingewöhnt. Schulischer Unterricht hat ergänzt, gefördert und differenziert,<br />
was von zuhause mitgebracht wurde. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die für den<br />
Erwerb solcher Allgemeinbildung unabdingbar sind, wurden für sie bis zum Abschluß ihrer<br />
150 WAGNER, 1997<br />
151 KLEIN, 1985<br />
152 vgl. KLEIN, 1985, S. 21-27<br />
153 KLEIN, 1985, S. 145<br />
154 FISCHER, 1975, S. 18<br />
155 vgl. SPRINGER, 1990, S 26<br />
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Examina bereitgestellt. Sie waren in diesem System erfolgreich und haben es mittlerweile zu<br />
etwas gebracht.“ 156<br />
Es besteht laut BAIER ein Zusammenhang von „grundlegenden Eigenerfahrungen im<br />
Sozialisationsprozeß der Kindheit“ 157 mit schichtspezifischen Ausprägungen und<br />
erzieherischen Aktivitäten des Lehrers. Umgekehrt formuliert könnte man für den Schüler<br />
sagen, dass ein Zusammenhang von grundlegenden Sozialisationserfahrungen und<br />
lernorientierten Aktivitäten im Unterricht besteht. Der Zusammenhang von Kindheit und<br />
späterem Verhalten wurde schon hinreichend in vorangegangenen Kapiteln erläutert und<br />
dürfte unstrittig sein.<br />
Zu diesen Feststellungen kommen noch die Erwartungen hinzu, die von der Außenwelt an<br />
Lehrer und Schüler gestellt werden und natürlich ihre Erwartungen an den jeweils anderen<br />
und an sich selbst. 158 Diese Erwartungen und verstärken die bereits bestehende Spannung<br />
noch. Der Lehrer kommt durch die facettenreichen Zuschreibungen stärker in Konflikt mit<br />
sich und seiner Position als er es vielleicht schon ist. Damit klafft nicht nur die Kluft noch<br />
mehr auseinander, sondern Lehrer wie Schüler sind mit den Spannungsfeldern durch ihre<br />
Lebensgeschichte und Erwartungen förmlich verwoben, drohen von diesen hinabgezogen zu<br />
werden oder auf Positionen gerückt zu werden, die nicht die ihren sind. Da<strong>bei</strong> wird das<br />
Beziehungsseil einer erheblichen Belastungsprobe ausgesetzt.<br />
Wenn man die bestehenden Spannungen betrachten möchte, kommt man unweigerlich auf<br />
eine Vielzahl der Diskrepanzen, von denen nur einige hier beleuchtet werden sollen. Für den<br />
Schüler sind die Unterschiede und Spannungen am deutlichsten im motivationalen, normativsozialen,<br />
kognitiven und sprachlichen Bereich. 159 Die Spannungen des Lehrers sind teils<br />
bewußt, teils unbewußt in seinen eigenen Äußerungen nachvollziehbar 160 :<br />
- „Ihr sollt doch aufpassen“ (Anpassung, Motivation, Gehorsam, Autorität des Lehrers)<br />
- „Ich nehme nur dran, wer brav ist“ (Norm, Sozialverhalten)<br />
- „Das Anheften an die Tafel dauert mit zu lange“ (Lernen, Leistung)<br />
- „Ihr wißt ja gar nicht, was ich will“ (Helfende Tätigkeit des Lehrers, Sprache)<br />
- „Du hast ja etwas verstanden!“ (Erfolgserleben, Lernen)<br />
156 HILLER, 1989, S. 88f<br />
157 BAIER, 1972, S. 681<br />
158 ein regelrechtes Netz an Erwartungen entfaltet BAIER. Z. B. der Lehrer als Begabungsgutachter,<br />
Sozialchancenverteiler, Sozialisationsagent, Künstler und Gärtner, Rationalist; vgl. ebd.<br />
159 Aufstellung nach HURRELMANN; HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 50<br />
160 geschlussfolgert aufgrund der Aussagen eines Lehrers in BLOEMERS, 1995, S. 213<br />
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Diese Spannungen sind wie bereits festgestellt auf „Sozialisationsdiskrepanzen“ 161<br />
zurückzuführen, mit denen man sich auseinander setzen muss, wenn man bemüht ist, eine<br />
Brücke zum Schüler aufzubauen. Damit einher geht das Bewußtmachen der „Ähnlichkeiten<br />
bzw. der Verschiedenheit seiner Prägung von der des Kindes“. 162 Durch diese Beschäftigung<br />
mit den vertrauten und den fremden Erfahrungen und Lebensgeschichten wird ein Weg zur<br />
Selbsterkenntnis eröff<strong>net</strong>, der an anderen Schultypen nicht in dieser Form möglich ist. Im<br />
„Defekt“ des Kindes kann der Lehrer seine „Defekte“ erkennen, kann die „Defekte“ der<br />
Schule und der Gesellschaft begreifen, denn diese spiegeln sich im Kind. 163<br />
Dahinter steckt die Grundspannung, welche die Schule für Schüler mit LB insgesamt<br />
beherrscht: es ist eine gesellschaftliche Spannung, die am Begriff der Lernbehinderung und<br />
der zugehörigen Schule kristallisiert. 164<br />
Die folgende Darstellung der Spannungsfelder unterschiedlicher Kindheiten bezieht sich auf<br />
ein Spektrum der Erfahrungen, das im sonderpädagogischen Handeln von entscheidender<br />
Bedeutung ist. Genauer sind das die Bereiche Norm, Lernen, Herkunft, Liebe, Erziehung,<br />
Hilfe, Persönlichkeit und Aufwachsen. Die Spannung habe ich durch die Gegenüberstellung<br />
provokanter Zuschreibungen für Lehrer und Schüler mit LB verdeutlicht. HILLER hat Lehrer<br />
und Schüler mit LB als „Schwätzer und Stumme“ bezeich<strong>net</strong> 165 , für BEGEMANN drückte<br />
sich das asymmetrische Machtverhältnis gerade in der Gegenüberstellung dieser Pole aus. 166<br />
Bei den Gegenüberstellungen handelt es sich also um bewußt pauschalisierende Begriffe,<br />
welche die Spannungsfelder in überspitzter Form pointieren sollen. Da<strong>bei</strong> möchte ich in der<br />
jeweiligen Aufklärung nicht nur <strong>bei</strong> den Problemen verweilen, sondern auch die<br />
Möglichkeiten dieser Spannung herausar<strong>bei</strong>ten und ihre Bedeutung für die spätere<br />
„Brückenbildung“ über die Kluft betonen.<br />
Da die Literatur über Lehrer für Schüler mit LB sehr rar ist, werde ich oft auf Biographien<br />
und Ausschnitte aus dem Leben der Schüler mit LB zurückgreifen, um an diesen den<br />
Gegensatz zu beschreiben. Der Lehrer wird dann umso deutlicher, je mehr man das<br />
heraushebt, was er nicht erlebte.<br />
161 diesen Begriff verwendet SPRINGER; SPRINGER, 1990, S. 13<br />
162 SPRINGER, 1990, S. 26<br />
163 MANN, 1989, S. 161<br />
164 Lernbehinderung als „relationales Phänomen“ (BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 51)<br />
wird ausführlicher im Kapitel 3.5 erläutert<br />
165 HILLER, 1989, S. 89<br />
166 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 202<br />
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3.4.1 Normaler unterricht Un-Normale<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel der schulischen Norm während<br />
ihrer Schulzeit genügen konnten und keine „Normabweichungen“ (Sitzenbleiben,<br />
Überweisung an die Sonderschule, etc.) in ihrer Kindheit aufzeigten. 167<br />
Die Schule orientiert sich an Normen. Diese Normen sind teilweise festgeschrieben, teilweise<br />
im inoffiziellen Gebrauch und beziehen sich auf Verhalten, Wahrnehmung, Leistung,<br />
Sprache, Ausdruck, Lernen und den Charakter der Schüler im weitesten Sinne. Die für alle<br />
Schüler gemeinsame Grundschule unterliegt einer Mittelschichtorientierung meint<br />
BEGEMANN: „Die allgemeine Grundschule ist eine Mittelklasseninstitution, die an der<br />
Mittelschichtkultur orientiert ist.“ 168<br />
Wenn Schüler dieser Norm nicht entsprechen, betrachtet man sie als defizitär und mangelhaft.<br />
Man spricht zwar von Teilleistungsschwächen oder Störungen in bestimmten Bereichen, doch<br />
läuft der Prozess der Stigmatisierung allzu oft auf das Etikett „lernbehindert“ hinaus. Was und<br />
wer jedoch „lernbehindert“ ist, hängt von den „allgemeinen Wertsetzungen, Erwartungen und<br />
Gewohnheiten in der Gesellschaft“ ab und ist daher eine relatives Kriterium. So wird<br />
normabweichendes Verhalten zur Erhaltung dieser Gesellschaft sanktioniert und mit dem<br />
Begriff der „Lernbehinderung“ in Sonderschulen verwaltet. 169<br />
Die Lehrer für Schüler mit LB im Gegensatz dazu sind in der Regel erfolgreiche Durchläufer<br />
des Systems und haben bisher in jeder Hinsicht die Norm und die an sie gestellten<br />
Erwartungen erfüllt. „Als Unterrichtspersonal wird nur zugelassen, wer nachweislich<br />
gesetzlichen Normen überdurchschnittlich genügt und - solchermaßen erfolgreich - sich in<br />
aller Regel mit ihnen auch identifiziert.“ 170 Der Lehrer als Ideal der Lehrperson, als<br />
herausragender Vertreter schulischer Norm gegenüber dem mangelhaften Schulversager, dem<br />
Bodensatz des Schulsystems. Diese krasse Gegenüberstellung wird häufig deutlich in<br />
Etikettierungen <strong>bei</strong>der Seiten. Während der Lehrer für Schüler mit LB allerlei positive<br />
Zuschreibungen erhält und sein Berufsbild ethisch auf ein Podest gehieft wird, erfährt der<br />
Schüler im gleichen Maße Zuschreibungen negativer Art, die sich z.B. in Beschreibungen der<br />
Schüler durch die Lehrer ausdrücken: aggressiv, introvertiert, geltungsbedürftig,<br />
Milieuschaden, usw.<br />
167 die Thesen zu Beginn der Unterkapitel sind in Anlehnung an die fünf Thesen Gottfried HILLERs, der damit<br />
sein Konzept einer Öffnung von Schule zu einer realitätsnahen Schule erläutert; vgl. HILLER, 1989, S. 15-45<br />
168 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 82<br />
169 vgl. EBERWEIN, 1975, S. 70ff<br />
170 HILLER, 1989, S. 12<br />
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Den Prozess der Normverletzung beschreibt BLEIDICK anschaulich 171 und die verschiedenen<br />
Aspekte seien hier noch einmal referiert. Da<strong>bei</strong> soll klar werden, welche Erfahrungen der<br />
Lehrer für Schüler mit LB in der Regel nicht gemacht, welche andere Vergangenheit er damit<br />
hatte als seine Schüler. „Normalerweise“ beginnt der Kreislauf schon in den<br />
Ausgangsbedingungen: Elternhaus und Schule der späteren Kinder mit LB haben<br />
unterschiedliche Norm- und Wertsysteme, nicht nur weil die Schule eine<br />
Mittelschichtinstitution ist und die Kinder überwiegend aus der Unterschicht kommen. 172 Was<br />
einhergeht damit ist eine differente Sprachwelt. 173 Oft drückt sich das schulische Versagen der<br />
Schüler mit LB in sprachlichen Bereichen aus, wo<strong>bei</strong> sie vor allem in der Rechtschreibung die<br />
Norm unterschreiten. Aber auch im mündlichen Sprachgebrauch sind diese Schüler<br />
benachteiligt, sie sind in den Augen der Lehrer „minderbefähigt“. 174 Dies mag auch seinen<br />
Grund haben in der eigenen Sozialisation des Lehrers, der aufgrund seiner<br />
Mittelschichtvergangenheit gelernt hat, sich den sprachlichen Gepflogenheiten und Normen<br />
der Schule anzupassen und diese zu vertreten. Damit sind Mißverständnisse und Konflikte<br />
zwangsläufig, denn der Lehrer versteht die Sprache der Schüler nicht und die Schüler<br />
verstehen die Sprache des Lehrers nicht. Die Übersetzung der Schülersprache kann und will<br />
der Lehrer für Schüler mit LB mitunter nicht leisten. 175 Denn er hat Sprache anders erfahren:<br />
in seinem Elternhaus, mit Geschwistern, Freunden, in der Schule und danach im Studium<br />
bewegte er sich in einer Sprachwelt, die sich immanent von der Sprachwelt der Schüler mit<br />
LB unterscheidet. Er hat gelernt Konflikte verbal auszutragen, seine Gefühle sprachlich<br />
auszudrücken, Lob und Tadel durch Sprache zu kommunizieren und insgesamt mehrheitlich<br />
Kommunikation auf dem sprachlichen Bereich auszuüben. Ganz anders die Schüler mit LB:<br />
sie haben gerlent, Konflikte physisch auszutragen, ihre Gefühle in anderen Formen zu zeigen,<br />
Anerkennung und Kritik durch nichtsprachliche Mittel zu zeigen und insgesamt auch andere<br />
Wege der Kommunikation zu nutzen. Die daraus entstehende Diskrepanz wird noch vertieft<br />
durch die Anforderungen der Schule, die in unterrichtlichen Leistungen einseitig auf<br />
sprachliche Leistungsnachweise pocht. So muss sich der Lehrer für Schüler mit LB als<br />
Angehöriger und Kind der Mittelschicht fragen, ob er dem Unterschichtkind hilft, wenn er<br />
versucht, ihm die Mittelschichtsprache anzulernen. 176<br />
171 er stellt da<strong>bei</strong> ein Modell LÖSELs vor; vgl. BLEIDICK/ ELLGER-RÜTTGARDT, 1978, S. 198<br />
172 NEUßER, 1987, S. 27<br />
173 darin sieht BEGEMANN einen wesentlichen Faktor der Benachteiligung; vgl. BEGEMANN, 1970, S. 118f<br />
174 BEGEMANN, 1970, S. 122<br />
175 vgl. BAUDE, 1975, S. 18<br />
176 ebd.<br />
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Vertraute und fremde Welt zeigt sich für den Lehrer aber nicht nur innerhalb der Sprache,<br />
sondern auch in der Interaktion. „Ein Lehrer, der aus der Geborgenheit einer gepflegten<br />
mittelständischen Familie kommt, hat wenig Erfahrung mit solchen Kindern und kann unter<br />
Umständen ihr Verhalten als ein Symptom ernsthafter Anpassungsschwierigkeiten werten.“ 177<br />
Formen der Interaktion die aggressive Anteile haben, in denen physische Auseinandersetzung<br />
stattfindet, die mit rüdem Ton geführt werden, sind dem Lehrer verpönt. Er lehnt diese auch<br />
ab, weil er selbst dieses Verhalten in der Kindheit nicht praktizierte oder praktizieren durfte.<br />
Für diese Verhaltensformen wäre er sicherlich bestraft worden von Lehrern und Eltern<br />
gleichermaßen und daher unterließ er sie. Daraus verständlich ist es, dass er dieselben<br />
Verhaltensformen auch <strong>bei</strong> seinen Schülern unterbinden möchte und ihnen die<br />
Konfliktlösekompetenzen lehren will, welche die seinen sind, die er für die richtigen hält.<br />
Andere Lebensformen kann er nicht oder nur ungern akzeptieren, unterscheiden sie sich doch<br />
oft erheblich von denen, die er erfahren hat, die er als Kind erlebte. Es zeigt sich, dass es der<br />
Lehrer für Schüler mit LB mit anderen Formen von Respekt, Solidarität und gegenseitiger<br />
Verläßlichkeit konfrontiert wird, also mit anderen Formen der Interaktion zu tun hat, als er sie<br />
bisher von sich und anderen kannte. 178 Die extremste Ausprägung der Fremdheit erfährt der<br />
Lehrer im Kontakt mit ausländischen Schülern, die an Schulen für Schüler mit LB<br />
überproportional vertreten sind. Sie scheinen der deutschen Norm in vielerlei Hinsicht nicht<br />
zu entsprechen, angefangen vom Aussehen über die Sprache, das Verhalten und die<br />
Interaktion. 179 Die wenigsten Lehrer für Schüler mit LB sind Ausländer und somit können die<br />
wenigsten nachvollziehen, wie es ist als Fremder in einer fremden Umgebung zu sein, weit<br />
entfernt von der eigenen Vergangenheit. Diese Erfahrungen kennt der Lehrer nicht, er musste<br />
nicht flüchten, sein Heimatland verlassen und alles zurücklassen um dann am Ziel der Reise<br />
zu erleben, dass er nicht den Erwartungen entspricht, welche die deutsche Gesellschaft an ihn<br />
stellt. In ausländischen Schüler mit LB kristallisieren viele Formen der „normabweichenden“<br />
Fremdheit, die dem Lehrer aus eigener Erfahrung nicht vertraut ist.<br />
Die Folgen des Kreislaufes, den Schüler mit LB durchlaufen sind an erster Stelle das<br />
Sitzenbleiben. Die Schüler erhalten das Gefühl aus der Norm herausgefallen zu sein 180 , nicht<br />
mehr zur „normalen“ Umgebung dazuzugehören. Der Abstieg führt in vielen Fällen zur<br />
Schule für Schüler mit LB, die Schüler sind dann maximal entfremdet von ihrer Umgebung,<br />
von sich selbst.<br />
177 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />
178 vgl. HILLER, 1989, S. 31<br />
179 siehe dazu den Artikel von KLEMM, 1987, S. 18-21<br />
180 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27<br />
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Der Lehrer für Schüler mit LB hat andere Erfahrungen gemacht, ist nicht sitzengeblieben und<br />
wurde nicht an die Schule für Schüler mit LB überwiesen. Er hat in einer von der Gesellschaft<br />
akzeptierten und honorierten Lebensform gelebt, die er nun als Repräsentant dieser<br />
Gesellschaft den Kindern lehren will. Die Eigenwelt der Schüler mit LB kann der Lehrer nicht<br />
verstehen, sie ist ihm fremd, unbekannt und sogar bedrohlich. Damit wird der Lehrer zum Teil<br />
eines Prozesses, den HILLER als „Kulturimperialismus“ bezeich<strong>net</strong>. Aufgrund seiner<br />
andersartigen Vergangenheit und im Bewußtsein der Richtigkeit der Lehrpläne und<br />
Richtlinien betätigt er sich als Normalisierer, als Kolonialisierer der fremden und falschen<br />
Welt, er beraubt in dieser Zwangsintegration die Schüler ihrer Herkunft oder setzt sie in<br />
Widerspruch zu dieser. 181 Seine „Mission“ ist klar umrissen und im Gepäck hat er die guten<br />
Früchte seiner eigenen Sozialisation, die er unter die bedürftigen und vernachlässigten<br />
Schüler mit LB verteilen will.<br />
Dem Lehrer fehlen in seinem stratozentrischen Denken und Handeln jedoch die „Erfahrungen<br />
und Kenntnisse, die aus einer kontinuierlichen Teilhabe an der „Kultur“ stammen, die dort<br />
entsteht, wo Leben unter auf Dauer gestellten, belastenden Bedingungen sich vollzieht.“ 182<br />
Nur mit dem im Studium erworbenen „Reiseführer LB“ in der Hand macht er sich auf, die<br />
Welt zu verbessern und meint damit die Schüler.<br />
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Schüler mit LB? Sie sind Kinder, deren<br />
Grundbedürfnisse unzureichend oder gar nicht befriedigt wurden 183 und die nun in einen<br />
neuerlichen Konflikt geraten: sie befinden sich durch das Handeln des Lehrers in einer<br />
„permanenten Identitätskrise“ 184 und einer Entfremdung von sich und ihrer Herkunft 185 , da<br />
ihre „Schmuddelwelt“ in den Augen der Lehrer vermieden werden muss. Sie stehen unter<br />
Übernahmedruck - in der Wirtschaft hieße das: Gefahr der feindlichen Übernahme. Ihre<br />
Reaktionen können von Rückzug, offensiver Abwehr, über Frustration, Resignation, und<br />
Kapitulation reichen. 186<br />
Das Geschehen an der Schule für Schüler mit LB gelangt damit an einen toten Punkt. Die<br />
Lehrer sind frustriert aufgrund ihrer vergeblichen Bemühungen, den Schülern das Heil zu<br />
bringen, die Schüler sind frustriert infolge ihrer vergeblichen Bemühungen, akzeptiert zu<br />
werden. „In der Schule werden und sind sie als Lehrer und Schüler zusammengezwungen,<br />
einander ausgeliefert, wo<strong>bei</strong> die Machtverhältnisse klar definiert sind. Was Geltung hat und<br />
181 vgl. HILLER, 1989, S. 22<br />
182 ebd., S. 21<br />
183 ebd., S. 167<br />
184 EBERWEIN, 1975, S. 72<br />
185 dies betrifft vor allem ausländische Schüler mit LB; vgl. KLEMM, 1987<br />
186 externalisierende und internalisierende Verhaltensweisen sind möglich; vgl. BÄRSCH, 1987, S. 28<br />
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sich Geltung verschafft, ist die bürgerliche Normalität. Verständlich, daß diejenigen<br />
verstummen, deren Lebenserfahrungen und -formen, deren Vernunft, deren Symbole, deren<br />
Interessen und deren Strategien zur Bewältigung ihrer Probleme nicht vorkommen.<br />
Verständlich auch, daß die Repräsentanten der Normalität als Schwätzer erscheinen. Von<br />
Gemeinsamkeit kaum eine Spur; symmetrischer Dialog wird zur Fiktion, ihm fehlt die<br />
Basis.“ 187<br />
Der Lehrer ist Gefangener seiner eigenen Geschichte, seiner erworbenen „Normalität“, die<br />
ihm den Zugang zu seinen Schülern versperrt. Er sitzt wie ein Vogel in seinem eigenen<br />
goldenen Käfig. 188 Seine „schichtspezifisch blockierte Bereitschaft zum Verständnis<br />
subkultureller Erfahrungen und Lebensläufe“ 189 hindert ihn das wahrzunehmen. Doch er hat<br />
den Schlüssel zu diesem Gefängnis längst in der Hand: die Achtung vor dem Schüler! Die<br />
Achtung vor dem Anderen, dem Fremden. 190 Die Achtung vor anderer Herkunft, anderen<br />
Lebensformen, anderer Sprache, anderen Verhaltensformen, anderem Aussehen. Die Achtung<br />
des ihm fremden Schülers hat zur Vorbedingung aber die Kenntnis dessen, was ihn fremd<br />
macht: der Gegensatz zur eigenen Welt, zur eigenen Kindheit, zur eigenen Herkunft, zur<br />
Sprache und zum Verhalten erst macht ihn zum Fremden. Der Lehrer kann den Schüler<br />
erkennen und achten wenn er sich selbst erkennt und achtet. Dies ist der erste Schritt zu einem<br />
Dialog zwischen Schüler und Lehrer, dies kann das erste Seil sein, dass über die Kluft<br />
geworfen wird.<br />
3.4.2 Erwachsener unterrichtet Kinder<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel den Schülern als erwachsener Part<br />
gegenüberstehen, die aber mit sich und mit den Schülern in psychische Konflikte aus der<br />
Kindheit verstrickt sind, deren Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen erheblich ist.<br />
Welche Meinung hatte ich als Kind zu „Lernbehinderten“? Hatte ich überhaupt Erfahrungen<br />
mit solchen Schülern? Diese Fragen könnte sich jeder Lehrer für Schüler mit LB stellen, doch<br />
warum sollte er? Weil es von entscheidender Bedeutung ist, was wir in unserer Kindheit<br />
gelernt, erfahren und erlitten haben, das meint nicht nur die Psychoanalyse. 191 Als Kind habe<br />
187 HILLER, 1989, S. 89<br />
188 sie sind von ihrer „idealen Lebensführung“ gefangen; ebd., S. 15<br />
189 GRAF-DESERNO, 1981, S. 92<br />
190 was passiert, wenn diese nicht vorhanden ist beschreibt GARLICHS in ihrem Schülerhilfeprojekt; vgl.<br />
GARLICHS, 2000, S: 27<br />
191 vgl. Kapitel 2.2<br />
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ich vielleicht auch gelästert über die „Doofen“, die „Spastis“ in der Klasse, über die Kinder,<br />
die immer in den gleichen Klamotten zur Schule kamen und oft stanken. Neben denen wollte<br />
ich auf keinen Fall sitzen. Doch heute bin ich ja Lehrer für Schüler mit LB und durch das<br />
Studium und meine veränderte Einstellung diesen freundlich gesonnen, oder? „Was Hänschen<br />
nicht lernt...“ oder aber, um es mit den Worten eines verstorbenen Politikers zu formulieren:<br />
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“<br />
Das Kind lebt weiter im Erwachsenen, als inneres Kind meldet es sich oft zu unangebrachten<br />
Zeiten zu Wort. Gerade ein junger Lehrer, der den „Frontenwechsel“ 192 vollziehen muss wird<br />
dies spüren, wenn er sich weder als Schüler, noch als Lehrer fühlt, weder als Kind noch als<br />
Erwachsener. In der Schule scheint aber die Sachlage klar zu sein: der Schüler ist das Kind,<br />
der Lehrer ist der Erwachsene, niemand würde diese Selbstverständlichkeit anzweifeln<br />
wollen. Doch sind Lehrer qua Rolle reife „Erwachsene“ fragt TIMPNER? 193 „Erwachsen“-<br />
Sein zeigt sich für GARLICHS im „Zurücklassen der infantilen Welt durch genügend gute<br />
Objektbeziehungserfahrungen“. Der Aufbau eines „Kernidentitätsgefühls“ und eines guten<br />
Selbst ist davon abhängig, er führt zum „Ent-wachsen“ zum „Er-wachsen“-Sein. 194<br />
Doch BRÜCK sagt, dass der Lehrer im Unterricht vor zwei Kindern stehe, denn seine in ihm<br />
verbliebene, angstbesetzte Kindlichkeit und seine Erwachsenheit stehen der originalen<br />
Kindlichkeit des Schülers gegenüber. 195 Der Lehrer ist somit nur bedingt erwachsen 196 , und<br />
eine innere Kluft zwischen seinem inneren Kind und seinem inneren Erwachsenen tut sich<br />
auf. Die innere Topographie des Lehrers ist aber noch vielfältiger, sie bietet ein wahrhaft<br />
zerklüftetes Bild: er soll gleichzeitig Vater, Lehrer, Bruder, Vermittler, Berater, Freund,<br />
Neutraler Diagnostiker und vieles andere sein. 197 Die Ambivalenzen zwischen den<br />
verschiedenen Ansprüchen kreisen damit stets um die Ambivalenz von Nähe und Distanz.<br />
Diese erfüllt auch die Beziehung zu seinem eigenen inneren Kind. Während dieses Nähe zu<br />
ihm und den Schülern sucht, will sein innerer Erwachsener Distanz zum inneren Kind und den<br />
Schülern vor ihm.<br />
Diese persönlichen Widersprüche und Konflikte werden jedoch in der Schule ausgesperrt, sie<br />
dürfen dort keinen Platz haben. 198 Durch die Verdrängung dieser Anteile verstärkt sich ihre<br />
Wirkung, durch die Unbewußtheit verstrickt sich die emotionale Situation noch mehr.<br />
Bestimmte Bereiche im Denken des Lehrers werden somit zu „blinden Flecken“. Durch<br />
192 <strong>bei</strong> BURI heisst dies: „Übersetzungsprozess“; BURI, 1988, S. 9<br />
193 TIMPNER, 1999, S. 24<br />
194 GARLICHS, 2000, S. 164<br />
195 vgl. BRÜCK, 1979, S. 37<br />
196 ebd., S. 41<br />
197 diese und andere Ambivalenzen beschreibt SCARBATH, 1999, S. 18<br />
198 BLOEMERS, 1995, S. 214<br />
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abweichendes Schülerverhalten werden sie aber immer wieder aufs neue berührt und führen<br />
zu einer Versuchungssituation 199 , die alte, verdrängte Gefühle wiederaufleben lässt und zu<br />
Überreaktionen des Lehrers führen kann. Im schlimmsten Fall kann diese Situationen<br />
Handlungsunfähigkeit des Lehrers auslösen, der sich des zugrunde liegenden Konflikts nicht<br />
bewußt ist. 200<br />
Das psychoanalytische Modell geht von der Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen für den<br />
Menschen aus. Auf die Schule bezogen sagt NEIDHARDT dass pädagogische Situationen<br />
immer ein Wiederaufleben früher Erziehungssituationen von Lehrern und Schülern<br />
hervorrufen. 201 Das Wort von der „Wiederbelebung“ ist in diesem Zusammenhang von<br />
Wichtigkeit, wenn er schreibt: „...in der Begegnung mit den Kindern kommt es <strong>bei</strong>m Lehrer<br />
zu einer unbewußten Wiederbelebung all der ungelösten Trieb-, Gefühls- und<br />
Einstellungsvorgänge seiner eigenen Kindheit.“ 202 Diese ungelösten Konflikte können<br />
unterschiedlicher Art sein und sich in unterschiedlichen Formen ausdrücken. So ist das Gefühl<br />
der Ohnmacht, das der Lehrer als Kind erfuhr, noch handlungsleitend für seinen Unterricht,<br />
wenn z.B. seine Schüler nicht besser sein dürfen als er selbst. 203 Seine eigene Ohnmacht wird<br />
zur Ohnmacht der Kinder, er wiederholt das, was er erlebte.<br />
Auch in der „Verschiebung“ kann sich ein ungelöster Konflikt ausdrücken: „der an eine<br />
Vorstellung geknüpfte Affekt wird auf eine harmlosere Sache verschoben, an der sich die<br />
psychische Energie angstfreier entladen kann.“ 204 Gemäß dem Motto „Wie er mir, so ich dir“<br />
kommt der Lehrer für Schüler mit LB in Gefahr, seine eigenen Aggressionen gegenüber<br />
Vorgesetzten oder Kollegen an den Schülern auszulassen, die ihm ausgeliefert sind. Viele<br />
persönliche Konflikte können sich so auf die Schüler mit LB verschieben 205 , ebenso natürlich<br />
die Konflikte der Schüler auf den Lehrer.<br />
Eine weitere Gefahr für den Lehrer ist die der „Projektion“. „Der Mensch kann eigene<br />
Impulse nicht in seinem inneren wahrnehmen, sondern erlebt sie von außen kommend oder an<br />
anderen. [...] Er bekämpft in anderen seine eigenen, von ihm abgelehnten<br />
Persönlichkeitsmerkmale.“ 206 Dieser Mechanismus greift an der Schule für Schüler mit LB,<br />
wenn der Lehrer die Schüler als aggressiv einstuft und versucht, Aggressionen in ihrem<br />
Verhalten zu unterbinden, sich selbst aber für weitgehend aggressionsfrei hält. Der Grund<br />
199 SCARBATH, 1999, S. 20<br />
200 mit der Handlungsunfähigkeit beschäftigte sich BRÜCK eingehend; vgl. BRÜCK, 1979<br />
201 vgl. NEIDHARDT, 1977, S. 62<br />
202 ebd., S. 63<br />
203 dieses Beispiel bringt HOFMANN; vgl. HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 47<br />
204 SINGER, 1988, S. 74<br />
205 vgl. TIMPNER, 1999, S. 22<br />
206 SINGER, 1988, S. 76f<br />
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dafür könnte sein, dass er selbst als Kind selten oder nie aggressiv sein durfte, weil seine<br />
Eltern und Lehrer ihn dazu angehalten haben.<br />
Die „Rationalisierung“ ist eine weitere Abwehrhaltung: „Für Verhaltensweisen<br />
werden vernünftige Argumente vorgegeben, während in Wirklichkeit andere, zum Teil<br />
unbewußte Motive dahinterstecken.“ 207 Uneingestandene, unbewußt wirkende Machtmotive<br />
prägen oftmals die Unterrichtsszenen an der Schule für Schüler mit LB. Als rational<br />
einwandfreie Aussagen getarnt drückt der Lehrer seinen Machtanspruch aus z.B. sagt: „Jetzt<br />
müsst ihr gut aufpassen und still sein, damit man auch alles deutlich versteht“ und meint „Ich<br />
will dass ihr still seid!“<br />
Neben diesen grundlegenden Abwehrmechanismen existieren auch noch weitere Formen, die<br />
unbewußte Konflikte transportieren. Eine davon ist die Übertragung auf den Lehrer durch das<br />
Kind. Dies geschieht, wenn das Kind Erfahrungen wiederholt oder wiederholen will, die es<br />
mit früheren Bezugspersonen, z.B. dem Vater, erlebt hat. 208 Die daraus entstehende<br />
Konfliktsituation kann sich noch verschärfen, wenn eine Gegenübertragung stattfindet, <strong>bei</strong><br />
welcher der Lehrer auch Erfahrungen aus seiner Vergangenheit wiederbelebt und diese auf<br />
das Kind überträgt.<br />
Die bereits angesprochene verbliebene Kindlichkeit des Lehrers 209 kann sich mit Macht in der<br />
neuen Schulsituation ausdrücken. Die eigenen Schulerfahrungen des Lehrers strukturieren<br />
dann unbewußt seine Handlungen und die Beziehung zu seinen Schülern. Er konnte in der<br />
Schule seine Kindlichkeit nicht ganz entfalten und diese stagnierte auf einer bestimmten<br />
Stufe. Dadurch aber, dass der Lehrer seine verbliebene Kindlichkeit verleug<strong>net</strong>, wird sie erst<br />
zum „Unwesen“. 210 Die durch den Schüler und seine originale Kindlichkeit und die daraus<br />
entstehende „Versuchungssituation“ geweckte eigene verblieben Kindlichkeit verdrängt er<br />
aber, er wehr sie ab und bekommt Angst vor ihr. Sie darf nicht zugelassen werden, sagt ihm<br />
der innere Erwachsene. Die Angst vor der eigenen Identität mit all ihren Schattierungen treibt<br />
den Lehrer mitsamt seinen Schülern in immer neue Verstrickungen und unbewußte<br />
Wiederholungszwänge.<br />
Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der Schule für Schüler mit LB wird überspannt von einem undurchdringlichen<br />
Netz der emotionalen Verstrickungen, das durch die Verdrängung und Verleugnung desselben<br />
noch gefährlicher wird. Es wird bestritten, was offensichtlich ist, eine pädagogische<br />
Beziehung in diesem Gewirr scheint unmöglich zu sein.<br />
207 ebd., S. 80<br />
208 Beispiele finden sich in SCHRAMLs Werk zu Tiefenpsychologie; vgl. z.B. SCHRAML, 1971, S. 147<br />
209 vgl. Kapitel 2.4.2<br />
210 BRÜCK, 1979, S. 183<br />
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Und doch ist es gerade diese Situation, aus der neue Beziehungen erwachsen können, an der<br />
Lehrer und Schüler gleichermaßen wachsen können. Der unausgesprochene Wunsch des<br />
Lehrers nach Ganzheit, Integration und Aussöhnung mit sich kann in Erfüllung gehen durch<br />
die Erfahrung schwieriger Situationen. Denn diese produzieren ängstigende, verunsicherende,<br />
beklemmende, traurige, frustrierende, lähmende und aggressive Gefühle im Lehrer. Gerade<br />
das ist seine Chance - den in der Akzeptanz dieser Gefühle in ihm lernt er sich selbst umso<br />
besser kennen. Jeder Konflikt, jede Auseinandersetzung mit einem Schüler birgt für ihn eine<br />
Erkenntnis über ihn selbst.<br />
3.4.3 Musterschüler unterrichtet Lernbehinderte<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel eine erfolgreiche<br />
Lernvergangenheit hinter sich haben und die in ihrer Kindheit kaum oder nie von<br />
Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen betroffen waren.<br />
„Es war immer ein Makel, mit den „Doofen“ zu tun zu haben. [...] Wir ließen sie nicht<br />
mitspielen. Wenn sie weinten, lachten wir sie aus.“ 211 So schreibt eine bekannte Lehrerin für<br />
Schüler mit LB in der Rückblende auf ihre eigene Schulzeit. Iris MANN stellt in ihrem Buch<br />
„Schlechte Schüler gibt es nicht“ 212 den Zweck der Notengebung in Frage. Sie sagt, das<br />
beständige Schielen nach den richtigen Antworten hätte <strong>bei</strong> ihr das Lernen sozialer<br />
Verhaltensweisen in der Grundschule verhindert. 213 Schulischer Lernerfolg als Ergebnis<br />
möglichst richtiger Antworten? Lernen bedeutet doch mehr als nur richtig und falsch?!?<br />
Ohne die schulische Definition von „Lernen“ kann man feststellen, dass Lernen immer als<br />
Erweitern des Eigenen am Fremden stattfindet. 214 In der Konfrontation mit der fremden<br />
Methode, Sichtweise, Prozedur, etc. und dem, was man bereits weiß, also dem Vertrauen,<br />
entsteht etwas neues, individuelles - Lernen! Jeder Mensch hat deshalb seinen eigenen,<br />
unverwechselbaren Zugang zu seinem Lernen, jeder Mensch hat eine andere Art zu lernen<br />
und auch eine andere Motivation, die ihn dazu antreibt.<br />
Der Lehrer für Schüler mit LB bringt im Gegensatz zu den meisten anderen<br />
Berufsangehörigen eine einzigartige Vorerfahrung mit 215 : er war selbst ein Lernender in der<br />
Schule, er hatte selbst Lehrer, die Lernen <strong>bei</strong> ihm bewirkten, er hat selbst Erfahrungen mit<br />
211 MANN, 1989, S. 31<br />
212 ebd.<br />
213 vgl. ebd., S. 31<br />
214 davon geht BURI aus; vgl. BURI, 1988, S. 108<br />
215 ebd., S. 4<br />
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Erfolg und Mißerfolg im Lernen gemacht. Eigentlich ist er prädestiniert für seinen Beruf!<br />
Etwaige Berufswünsche aufgrund der eigenen Lernbiographie sind vor diesem Hintergrund<br />
nachvollziehbar. BURI teilt die Ergebnisse ihrer dahingehenden Studie in folgende<br />
Kategorien ein 216 :<br />
- negative Erfahrungen - es besser machen wollen<br />
- ging gerne zur Schule - Freude am Lernen, anderen etwas zeigen<br />
- Lehrer und Lehrerinnen in der Familie<br />
- Bestimmte Lehrerinnen und Lehrer als Vorbilder<br />
- Schon als Kind wollte ich...<br />
- Kein Zusammenhang zwischen Lernbiographie und Berufswahl<br />
Die überwiegende Mehrheit der befragten Lehramtstudenten beurteilten ihre Schulzeit als<br />
mehrheitlich positiv (52%), der zweitgrößte Anteil der Studenten bewertete die eigene<br />
Schulzeit als ambivalent und durchwachsen (40%) und nur wenige befanden ihre Schulzeit als<br />
negative Erfahrung (8%). 217<br />
In ihrer Studie betont BURI auch den Einfluss der unbewußt ablaufenden Sozialisation, durch<br />
welche die Lehrer einen Großteil ihrer Verhaltensweisen „erlernen“. 218 Desweiteren geht sie<br />
auch der Frage nach dem persönlichen Lernkonzept der Studenten auf den Grund. Ihr<br />
Ergebnis ist ernüchternd, denn demnach hat die Mehrzahl der Befragten kein Lernkonzept.<br />
Ich fasse das bisher gesagte noch einmal zusammen: Berufsmotivationen der Lehrer können<br />
der eigenen Lernerfahrung in der Schulzeit entspringen, die für die große Mehrheit der<br />
angehenden Lehrer positiv oder durchwachsen verlaufen ist. Viele Verhaltensweisen haben<br />
die Lehrer innerhalb ihrer Sozialisation unbewußt erworben, ein schlüssiges Lernkonzept<br />
jedoch haben die wenigsten.<br />
„Dass die individuellen Lernerfahrungen aus der eigenen Schulzeit die spätere<br />
Unterrichtstätigkeit beeinflussen, dürfte wohl kaum ernsthaft in Zweifel gezogen werden.“ 219<br />
Dazu gehört auch das Bild vom Lehrer, BRÜCK bezeich<strong>net</strong> es als „Lehrerimago“. 220 Oft ziele<br />
das pädagogische Handeln des Lehrers darauf ab, „...der beste Lehrer für einen selbst gewesen<br />
sein zu wollen.“ 221 Das Lehren des Lehrers ist also beeinflusst von seinem eigenen Lernen,<br />
von seinen ehemaligen Lehrern, von seiner Umwelt, von seiner Idealvorstellung vom Lehrer<br />
216 ebd., S. 78f<br />
217 ebd., S. 77<br />
218 ebd., S. 8<br />
219 ebd., S. 2<br />
220 BRÜCK, 1979, S. 313<br />
221 BURI, 1988, S. 2<br />
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und von seinen vorhandenen eigenen Lernmethoden, die er sich früher erworben hat oder<br />
auch nicht.<br />
Im Kontrast zur Lernbiographie von Schülern mit LB lässt sich nun sehr gut nachvollziehen,<br />
welche Erfahrungen der Lehrer wahrscheinlich nicht gemacht hat oder machen musste. Die<br />
Schüler mit LB haben durchweg schlechte Erfahrungen mit Lernen und Lehrern gemacht.<br />
Angefangen vom „Hinterherhängen“ zu Beginn der Schulzeit, über schlechte Beurteilungen<br />
und Noten, Diskriminierungen durch Lehrer und Schüler, Bloßstellen vor der Klasse 222 ,<br />
Enttäuschung der Eltern und Verwandten, ungerechten Bestrafungen 223 , keiner Unterstützung<br />
durch Lehrer und schließlich dem Abstempeln und Wegschicken in die Schule für Schüler mit<br />
LB verläuft die Lern-„Karriere“ stetig bergab. Eine Vorstufe der Abwertung ist das<br />
Sitzenbleiben. Die Erkenntnis „ich kann weniger als andere - ich bin weniger wert als andere“<br />
kann Zweifel, Angst, Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit auslösen. 224 MANN schreibt dazu:<br />
„Diejenigen, die Kinder sitzenlassen, sind nie selbst sitzengeblieben.“ 225<br />
„Mir kam die Schule wie ein böser Traum vor, denn ich habe es am eigenen Leibe erfahren,<br />
wie die Schule zu einem bösen Traum wurde. Ich bin geprügelt und gedemütigt worden. Man<br />
hat mich doof, behindert und Spastiker genannt. Wenn das kein böser Traum ist, dann möchte<br />
ich wissen, was ein böser Traum ist.“ 226 So schreibt ein ehemaliger Schüler, der in seiner<br />
Schulzeit als „lernbehindert“ galt. Viele Schüler mit LB kommen deshalb mit einer<br />
„Mißerfolgshypothek“ in die Schule, welche die Lehrer nicht teilen können. 227 Denn sie<br />
haben eine andere Schulzeit erfahren. Sie konnten sich ihre Lernbereitschaft und Motivation<br />
erhalten, sie wurden durch kontinuierliche Erfolge zu Musterschülern. Den Schüler mit LB<br />
dagegen wurde das Lernen zum Übel, zum Zeichen ihres Versagens, ihrer Minderwertigkeit,<br />
die sich im Namen ausdrückt: lernbehindert.<br />
Somit entsteht ein Konflikt zwischen diesen unvereinbaren Lernwelten, der sich auf die<br />
pädagogische Beziehung auswirkt. Gestörtes Lernen stellt nicht nur den Schüler, sondern<br />
auch den Lehrer in Frage. Das Versagen und Nicht-Lernen der Schüler dokumentiert den<br />
pädagogischen Mißerfolg des Lehrers. 228 Dieser wiederum rächt sich an den Schülern und<br />
schiebt diesem die Schuld in die Schuhe - die Schüler werden als dumm und faul<br />
222 Fall<strong>bei</strong>spiele <strong>bei</strong> KLEIN veranschaulichen dies; vgl. KLEIN, 1985, S. 112ff<br />
223 ehemalige Schüler mit LB zeigen leidvolle „Karrieren“; vgl. NEUßER, 1987, S. 28<br />
224 vgl. BÄRSCH, 1987, S. 27<br />
225 MANN, 1989, S. 87 (Kraft)<br />
226 NEUßER, 1987, S. 28<br />
227 HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 315<br />
228 vgl. dazu HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 45; HÖHN, 1972, S. 65<br />
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ezeich<strong>net</strong>. 229 Ein Kreislauf aus enttäuschten Erwartungen <strong>bei</strong>m Lehrer und Lernrückzug des<br />
Schülers entsteht, der nur mühsam unterbrochen werden kann.<br />
Ein Weg ihn zu stoppen ist das Bewußtmachen der eigenen Lerngeschichte. MANN zeigt dies<br />
eindrücklich und konsequent und setzt ihre Schul- und Lerngeschichte in Beziehung zu ihrem<br />
Handeln als Lehrerin für Schüler mit LB. 230 Ein Beispiel dafür ist ihr Umgang mit<br />
Hausaufgaben: „Da ich schon als Kind von Hausaufgaben nichts hielt, konnte ich als Lehrerin<br />
mich auch nicht so recht dazu bekennen.“ 231<br />
BURI schreibt zu diesem Prozess: „Im Bewußtsein der eigenen Lerngeschichte lassen sich<br />
fremde Lerngeschichten, die im Begriff sind, sich zu entfalten, klarer sehen und<br />
annehmen.“ 232 Da den Lehrern die Erfahrungen fehlen, die Schüler mit LB häufig gemacht<br />
haben ist es umso notwendiger sich mit ihnen zu beschäftigen. Der Lehrer hat in bezug auf<br />
seine Schüler auch ein Lerndefizit, eine Lernbehinderung aufgrund seiner eigenen Kindheit.<br />
Eine Möglichkeit, dieses Informations- und Erfahrungsdefizit zu verringern wäre z.B. die<br />
Thematisierung von „Lernbehinderung“ im Unterricht, so wie sie FISCHER 233<br />
vorgeschlagen hat. Da<strong>bei</strong> sollte sich der Lehrer aber nicht selbst ausschließen und nur in den<br />
Schülern graben wollen, sondern in allererster Linie <strong>bei</strong> sich anfangen und seiner<br />
Lerngeschichte auf den Grund gehen.<br />
3.4.4 Soziokulturell Priviligierter unterrichtet soziokultuell Benachteiligte<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel aus der Mittelschicht kommen und<br />
in ihrer Kindheit selten oder nie Armut, Existenznot und schwere finanzielle und materielle<br />
Not erleiden mussten.<br />
Studien haben gezeigt, dass ein großer Teil „...lernbehinderter Schüler aus Familien der<br />
unteren und untersten Sozialschichten stammt.“ 234 Die Lebenslage von Schülern mit LB<br />
wurde vor allem in den 70ern ausführlicher erörtert, wo auch der Begriff der „soziokulturellen<br />
Benachteilung“ geprägt wurde. Die Schüler bewegen sich demnach in einem<br />
„...„Teufelskreis“ von Armut und Obdachlosigkeit, von <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit, Suchtverhalten und<br />
229 Erschreckende Beschreibungen der Lehrer über ihre „schlechten“ Schüler; vgl. z.B. HÖHN, 1972, S. 55<br />
230 den Hauptgrund für das Verständnis der Schüler sieht sie in ihren eigenen Erfahrungen; vgl. MANN, 1989, S.<br />
67<br />
231 ebd., S. 52<br />
232 BURI, 1988, S. 114<br />
233 FISCHER, 1975, S. 18-34<br />
234 vgl. KLEIN, 1985, S. 50<br />
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von Familienproblemen...“ 235 Doch sind nicht alle Kinder der unteren Schichten auf der<br />
Schule für Schüler mit LB, sondern es ist die Gruppe überproportional vertreten, die in<br />
sozialen Brennpunkten aufgewachsen ist. Schüler mit LB sind vielfältigen Belastungen<br />
ausgesetzt 236 , für welche die Schule keine Zeit und keinen Raum bietet. Mit dieser Lage<br />
konfrontiert entwickeln und lernen die Schüler andere Normen und Werte, als sie in der<br />
Schule akzeptiert werden. Es kommt zum Zusammenstoß dieser Kulturen, den MAUD so<br />
beschreibt: „Diese Schüler haben nicht keine Normen, sondern andere Normen.[...]<br />
Lernbehinderung entsteht aus Kommunikationsproblemen zwischen zwei Kulturen.“ 237<br />
Dieses Kommunikationsproblem wird durch die Biographie des Lehrers verschärft. Denn er<br />
kennt Wohnungsnot, Existenzangst, Armut, <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit des Vaters und finazielle<br />
Engpässe nicht aus eigener Erfahrung. Er war in seiner Kindheit wahrscheinlich nicht dieser<br />
geballten Anhäufung von belastenden Faktoren ausgesetzt. Daher kann er die Situation seiner<br />
Schüler auch schlecht nachempfinden, oder nur bedingt. 238 Die Diskrepanzen zwischen den<br />
Erfahrungen der Schüler und der Lehrer zeigen sich in vielen Bereichen. Was für Lehrer<br />
selbstverständlich war wie z.B. Garten, Schwimmen, Bücher, Kultur, etc. ist den Schülern<br />
oftmals unbekannt und fremd. „Wer über 20 Jahre lang in einer Umwelt mit Büchern gelebt<br />
hat, im Elternhaus, in der Schule und im Studium, kann sich zunächst kaum in ein Kind<br />
hineinversetzen, das weder selbst ein Bücherregal besitzt noch die Stadtteilbibliothek<br />
kennt.“ 239 Er kommt schnell in die Gefahr von vorurteilsbehafteten Denken, das die eigene<br />
Lebensweise über die der Schüler stellt. Der Gedanke eines Studenten der<br />
Lernbehindertenpädagogik vor einem Hausbesuch <strong>bei</strong> einem Schüler war: „Typisch<br />
Asozialenwohnungen!“ 240 In dieser gedanklichen Bemerkung drückt sich die unbewußte<br />
Ablehnung des Umfeldes aus, in dem sich die Schüler bewegen und aus dem sie kommen. Sie<br />
steht auch symbolisch für die andere Lebenswelt, in der die Lehrer groß geworden sind - eben<br />
nicht in Asozialenwohnungen! Eine interessante These 241 innerhalb einer Untersuchung von<br />
BAIER zur Beteiligung von Unterschichtlehrern an der Gruppe der Sonderschullehrer wurde<br />
durch die Ergebnisse widerlegt, denn diese zeigten, dass kaum „Söhne“ der Unterschicht<br />
Sonderschullehrer wurde. Die überwiegend mittelschichtige Herkunft der Lehrer für Schüler<br />
mit LB ist und bleibt demnach unbestritten.<br />
235 WAGNER, 1997, S. 24f<br />
236 KLEIN beschreibt einige davon; vgl. KLEIN, 1985, S. 56f<br />
237 MAND in EBERWEIN, 1996, S. 133<br />
238 Eine Studentin im Kasseler Schülerhilfeprojekt konnte das Nicht-mitreden-können aufgrund fehlender<br />
finanzieller Mittel nachempfinden, weil sie es selbst „als schmerzlich erlebt“ hatte; vgl. GARLICHS, 2000, S. 26<br />
239 ebd., S. 50<br />
240 KLEIN, 1985, S. 22<br />
241 BAIER, 1972, S. 683ff<br />
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Die Unfähigkeit des Lehrers die Lage der Schüler zu verstehen, liegt in seiner eigenen<br />
Geschichte. „Als Lehrer können wir kaum auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Wir haben<br />
erlebnismäßig keinen Zugang dazu. Hätten wir den, wären wir nämlich jetzt nicht Lehrer.<br />
Dann ständen wir wohl an irgendeinem Fliessband.“ 242 Manche Lehrer wollen daher den<br />
Schülern helfen und aus einer Art Mitleid heraus ihnen etwas vom eigenen Reichtum an<br />
Erfahrungen abgeben. 243 Eine andere Möglichkeit wäre, sich in der „vermeintlichen<br />
Bildungsüberlegenheit“ 244 zu sonnen und den Schülern ihre Unterlegenheit damit vor Augen<br />
zu führen. Wie sehr diese Abwertung durch Lehrer zermürben kann beschreibt MANN aus<br />
eigener Erfahrung: Das Schlimmste sei gewesen „...daß ich immer und immer wieder spüren<br />
mußte, daß wir alle nicht zu den Leuten mit Bildung gehörten.“ 245 Eine dritte Sicht der<br />
Diskrepanz wäre die des Geschockten, dem die tatsächliche Unterschiedlichkeit schlagartig<br />
bewußt wird. HILLER bewirkt dies durch seine provokanten Thesen und in der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit<br />
Studenten anhand von Fall<strong>bei</strong>spielen. 246 Diese sollen zeigen, wie schwierig es für Schüler mit<br />
LB sein wird und auch schon ist, mit ihrer schwierigen Lage fertig zu werden.<br />
Damit besteht trotzdem noch der Widerspruch zwischen Schule und Elternhaus, mit dem die<br />
Schüler tagtäglich konfrontiert werden. Die Schüler wollen diesen lösen und greifen da<strong>bei</strong> zu<br />
unkonventionellen Mitteln, oftmals zu negativen Verhaltensweisen. Für den Lehrer ist kein<br />
Widerspruch zu spüren zwischen seiner Welt und der Schule. Daher wird er unweigerlich auf<br />
die Aktionen der Schüler reagieren müssen und vielleicht sein Verhalten danach ausrichten,<br />
die Schüler noch mehr auf die Schulwelt auszurichten. Die Spannung nimmt damit aber eher<br />
zu als ab und eine Lösung scheint in weiter Ferne zu sein. Zum Verhalten der Schüler kommt<br />
noch das Verhalten der Eltern dazu. Dieses beeinflusst den Lehrer in seinem Denken mit und<br />
kann die Abneigung gegen die Herkunft des Schülers noch verstärken. 247 Dies alles kann sich<br />
<strong>bei</strong>m Lehrer für Schüler mit LB aber nur im Bewußtsein der Überlegenheit seiner besseren<br />
Herkunft vollziehen.<br />
Hierin liegt gleichsam der Weg zu einer Lösung dieser Spannung. Indem der Lehrer sich<br />
selbst hinterfragt und seine Herkunft, seine Ansprüche, seine materiellen Bedürfnisse und<br />
Gewohnheiten, sein Konsumverhalten, seinen Umgang mit Geld, seine Meinung zu<br />
<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>slosigkeit, Sozialhilfe und schwierigen Verhältnissen allgemein durchleuchtet, kann er<br />
sensibler werden für die Welt und die Herkunft der Schüler. Er kann sie dann besser verstehen<br />
242 JEGGE, 1983, S. 86<br />
243 so ging sinngemäß eine Studentin an die Begleitung eines Schülers mit LB; vgl. GARLICHS, 2000, S. 26<br />
244 ebd., S. 155<br />
245 MANN, 1989, S. 43 (schl)<br />
246 vgl. HILLER, 1989, S. 16f<br />
247 zum Einfluß der Eltern auf das Lehrerverhalten vgl. BRUNNER, 1978, S. 120f<br />
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und achten lernen, wenn er seinen Schülern und ihrer Welt Raum gibt im Unterricht und von<br />
ihnen lernt.<br />
Jedoch ist in der Thematik der Herkunft auch ein gesellschaftlicher Konflikt beschlossen 248 ,<br />
der an späterer Stelle noch erörtert werden soll.<br />
3.4.5 Geliebter unterrichtet Ungeliebte<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel in ihrer Person gewünscht und<br />
angenommen wurden von ihren Eltern und die im Verlauf ihrer Kindheit nicht mit schwersten<br />
Formen der Ablehnung durch die Umwelt konfrontiert wurden.<br />
Schüler mit LB haben oft eine negative, den Selbstwert zermürbende Vergangenheit hinter<br />
sich. Aus unterschiedlichen Gründen wurden sie schon in ihrer frühen Kindheit häufig<br />
vernachlässigt und von den Eltern abgelehnt. 249 Sie waren Behandlungen ausgesetzt, die unter<br />
Umständen zu beeinträchtigenden Folgen führen konnten. 250 Abwertende und<br />
diskriminierende Erlebnisse begleiteten ihrer schulische Laufbahn. Lehrer, Schüler, Eltern<br />
und Verwandte begeg<strong>net</strong>en ihnen oftmals mit Drohungen, Spott, Verachtung, Ablehnung,<br />
Distanzierung und sogar Tätlichkeiten. 251 Unter diesen seelischen und körperlichen Qualen<br />
leidend entwickelten sie Abwehrmechanismen, um sich zu schützen. Dem Lehrer für Schüler<br />
mit LB teilen sich die Gefühle der Schüler nicht unmittelbar, sondern verschlüsselt mit. In<br />
Form verfremdeter Ich-Botschaften 252 suchen sich da<strong>bei</strong> Aggressionen, Angst, Wut und<br />
Trauer aber auch der Wunsch nach Zuwendung, Vertrauen, Liebe und Geborgenheit ihren<br />
Weg teilweise über Verhaltensweisen, die der Lehrer aufgrund seiner eigenen biographischen<br />
Erfahrungen nicht entschlüsseln kann.<br />
„Dem Kind fehlen die Begriffe für seine Schmerzen, uns fehlen die Erfahrungen, um es<br />
verstehen zu können.“ 253 Am Beispiel der Sexualität beschreibt ROHR die Blockade des<br />
Lehrers aufgrund seines eigenen lebensgeschichtlichen Hintergrundes: „ Sie [die behinderten<br />
Kinder und Jugendlichen; S.H.] gaben uns zu erkennen, daß wir ihre sexuellen Probleme nicht<br />
oder kaum am eigenen Leibe erfahren haben, und daß wir somit subjektive Erlebnis- und<br />
248 vgl. HILLER, 1989, S. 12<br />
249 vgl. KLEIN, 1985, S. 54f<br />
250 ebd., S. 55f<br />
251 FISCHER, 1975, S. 21<br />
252 auf psychoanalytischer Grundlage beschreibt BLOEMERS diese Botschaften; vgl. BLOEMERS, 1995, S. 217<br />
253 MANN, 1989, S. 121 (schl)<br />
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Erkenntnisschranken haben.“ 254 Der Lehrer hat in den meisten Fällen eine durchaus andere<br />
Kindheit erfahren als der Schüler vor ihm. Der Ausspruch einer Lehramtsstudentin dürfte<br />
da<strong>bei</strong> stellvertretend für viele Lehrer stehen: „Meine eigene Schulzeit ist sehr harmonisch und<br />
fast problemlos verlaufen.“ 255 Vielleicht gibt es deshalb wenig Literatur über die Kindheiten<br />
von (Sonderschul-) Lehrern, weil diese so gänzlich unspektakulär und ohne Probleme<br />
verlaufen sind. 256 Wenn ich so zurückdenke kann ich mich auch nicht an große Brüche, lange<br />
Zeiten des Versagens, der Ablehnung oder der Abwertung während meiner Kindheit erinnern.<br />
Halt bekam ich nicht nur von meiner Familie, Freunden und Verwandten sondern auch vor<br />
allem von den Lehrern, die meine guten Leistungen und mein Engagement honorierten. Der<br />
Anerkennung von Mitschülern konnte ich durch mein selbstbewußtes Auftreten sicher sein.<br />
So entwickelte sich in mir ein Gefühl der Geborgenheit in dieser Umwelt, des Beliebtseins<br />
und der Sicherheit aufgrund der Akzeptanz meiner Person. Meine Deutungsmuster sind somit<br />
familial erworben und aufgrund meiner „glücklichen“ Kindheit internalisiert. 257 So ist es für<br />
mich nicht ohne weiteres möglich, Menschen zu verstehen, die gänzlich andere Erfahrungen<br />
gemacht haben, die nicht erleben konnten und durften, dass sie geliebt und wertvoll sind, dass<br />
sie willkommen und angenommen sind in ihrer Umwelt.<br />
Aus diesen subjektiven Deutungsmustern, basierend auf den eigenen Kindheitserfahrungen,<br />
können Verzerrungen und Konflikte entstehen. Mancher Lehrer mag regelrecht angeekelt sein<br />
und die fremde und anwidernde Person ablehnen. „Wie gut, daß ich nicht so aussehe.“ 258<br />
schreibt ROHR und übertragen auf Schüler mit LB könnte man sagen: „Wie gut, daß ich nicht<br />
so bin.“ Am Beispiel des Schönheitsideals zeigt sie damit deutlich, wie stark die<br />
lebensgeschichtlichen Faktoren Ort, Zeit, soziale Schicht und Geschlecht die Maßstäbe<br />
prägen können 259 , nach denen Menschen später ihre Umwelt be- und teilweise auch verurteilen.<br />
Trotz seiner vielleicht humanistischen und christlichen Einstellung und Erziehung ist<br />
der Lehrer weiter „Kind“ der Gesellschaft und hat damit die Ideale und Werte dieser<br />
verinnerlicht. Dies betrifft nicht nur das in den Medien propagierte Schönheitsideal sondern<br />
auch andere Werte und Ideale, die dem Lehrer als Kind „eingepflanzt“ wurden. Die Liebe, die<br />
der Lehrer erfahren hat, die Werte die ihm vermittelt wurden, die Ideale die man ihm zeigte,<br />
all das ist verantwortlich für seine Beurteilungskriterien und für seine Verhalten gegenüber<br />
254 ROHR, 1984, S. 28<br />
255 GARLICHS, 2000, S. 25<br />
256 ganz im Gegensatz zu der Vergangenheit von Iris MANN; doch bleibt sie eine der wenigen, die sich in dieser<br />
ausführlichen Form offenbarten; vgl. MANN, 1989 und MANN, 1989<br />
257 vgl. GRAF-DESERNO, 1981, S. 26<br />
258 den Gedanken beschreibt Barbara ROHR als Reaktion auf dieses Erlebnis: „Wenn sie [epileptische Frau;<br />
S.H.] am Klavier saß, tropfte aus ihrem geöff<strong>net</strong>en Mund der Speichel auf die Tasten und meine Mutter wischte<br />
ihn mit dem Taschentuch fort.“; ROHR, 1984, S. 33<br />
259 vgl. ebd., S. 30<br />
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anderen Menschen. Diese Werte und Ideale werden durch Schüler mit LB in Frage gestellt!<br />
Denn sie repräsentieren die Welt, vor welcher der Lehrer in seiner Kindheit geflohen ist. Die<br />
leidvollen Erfahrungen der Schüler wollte der Lehrer in seiner Schulzeit vermeiden und tat<br />
alles dafür, um nicht so zu werden. In der Konfrontation mit dem Schüler kann sich also statt<br />
Annahme und Akzeptanz der Schüler auch Abwehr regen. Vielleicht erwächst stattdessen die<br />
Sehnsucht, sich von dem ganzen Elend abzugrenzen? 260 So entsteht eine Ambivalenz im<br />
Lehrer, der einerseits die Schüler annehmen und „lieben“ will und sie andererseits ablehnt<br />
und das, für was sie stellvertretend stehen „hasst“. Das in der Kindheit erworbene und<br />
geliebte Bild vom glücklichen Leben wird durch die Schüler in Zweifel gezogen. „Da ist<br />
nichts zu machen, aus der wird wohl auch nichts Rechtes mehr.“ Dieses Zitat zeigt die<br />
Distanz zu der Welt des „schlechten“ Schülers deutlich. 261<br />
Problematisch im Zusammenhang mit „Liebe“ ist auch der Wunsch nach „Beliebtheit“ <strong>bei</strong>m<br />
Lehrer. Diese Eigenschaft kann sich ungünstig auf den Unterricht auswirken, weil sich<br />
dadurch der Lehrer in eine einseitige Abhängigkeit von den Schülern begibt. 262 Durch sein<br />
Bedürfnis nach Nähe versagt er den Schülern keinen Wunsch, weicht Problemen aus und<br />
vermeidet ernsthafte Konflikte. Vermutungen über die Ursachen dieses Verhaltens können<br />
wieder in die Kindheit zurückführen, die dem Lehrer Erfahrungen vorenthielt, Konflikte und<br />
Probleme selbst zu lösen. Jedoch stellt sich die Entstehung solcher Verhaltensweisen und der<br />
besprochenen Ideale und Werte als ein Geflecht von vielen Faktoren dar.<br />
Die Forderung nach Empathie des Lehrers für die Situation der Schülers ist schwierig<br />
einzulösen, wenn sich zwei so unterschiedliche Menschen gegenüberstehen. Am Anfang muss<br />
sicherlich der Versuch der Achtung und Akzeptanz der Verwundungen und der<br />
Abwehrreaktionen des Schüler stehen. Um andere akzeptieren zu können muss sich der<br />
Lehrer zuerst selbst akzeptieren. Das schließt nicht nur die positiven Seiten und Erfahrungen<br />
seiner Kindheit ein, sondern auch die negativen, die vermiedenen, die beängstigenden<br />
Erfahrungen.<br />
Der Lehrer sollte auch seine Ideale, seine Maßstäbe und Beurteilungskriterien kritisch<br />
durchleuchten. Strebt er danach, die Welt so zu verbessern, dass es weniger Aggressionen,<br />
Hass, Wut, Trauer und Versagen gibt? Strebt er danach die Schüler mit LB zur positiven Seite<br />
zu bekehren und ihre negative Seite auszulöschen anstatt sie anzunehmen mit ihren leidvollen<br />
Erfahrungen?<br />
260 vgl. ebd., S. 32<br />
261 HÖHN, 1972, S. 77<br />
262 vgl. KLEIN, 2001, S. 6<br />
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3.4.6 Heilender Helfer unterrichtet hilfsbedürftige Kranke<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel den Schülern mit LB helfen wollen<br />
und dies unter anderem aus Motiven heraus anstreben können, deren Ursache in psychischen<br />
Verstrickungen aus der Kindheit liegen.<br />
Die Sonderpädagogik, die man auch Heilpädagogik nennt, lebt von der Zuschreibung in der<br />
Kapitelüberschrift. Das Helfen hat eine zentrale Bedeutung in ihrem Verständnis, und lange<br />
Zeit war auch das Menschenbild der Sonderpädagogik geprägt vom „Heilen“ des<br />
beschädigten Individuums. Die Nächstenliebe wurde da<strong>bei</strong> „selektiv professionalisiert“ 263<br />
sagt BEGEMANN und verweist auf den biblischen Ausspruch „Liebe deinen nächsten wie<br />
dich selbst“ dessen erster Abschnitt bevorzugt berücksichtigt wurde im Umgang mit<br />
behinderten Menschen. Doch welche verborgenen Motive und eventuelle Schwierigkeiten <strong>bei</strong><br />
dieser Zielstellung mitschwingen können bringt GRAF-DESERNO auf den Punkt: „In der<br />
sonderpädagogischen Interaktion spielt das Helfersyndrom eine zentrale Rolle.“ 264 Die<br />
Konflikte von Menschen mit Helfersyndrom und deren Entstehung wurde bereits<br />
angesprochen. 265 Wie aber zeigt es sich <strong>bei</strong>m Lehrer für Schüler mit LB und welche Ursachen<br />
hat es dort?<br />
Der Lehrer soll zur Förderung der Schüler mit LB ein Hilfs-Ich, ein sogenanntes zweites Ich-<br />
Ideal darstellen. Mit diesem sollen sich die Schüler identifizieren können, sollen ihre<br />
Sehnsüchte und Erwartungen transportiert werden. 266 Dies stellt eine enorme Herausforderung<br />
an den Lehrer und seine Geschichte dar. Ist sich der Lehrer dessen bewußt, wenn er sich für<br />
diesen Beruf entscheidet? Ein erstaunliches Ergebnis resümiert JANTZEN im Zuge einer<br />
Studie zur Untersuchung von Einstellungen von Sonderschullehrern. Er meint, dass die<br />
neurotischen Eigenschaften des Lehrers für die Berufswahl ausschlaggebend sein könnten in<br />
dem Sinne, dass er sich durch die Unterrichtstätigkeit mit „lernbehinderten“ Schülern einen<br />
Schonraum für sich sucht. 267 Der Lehrer als Schwacher, der Schwache sucht, um stark zu<br />
erscheinen? Das würde die „Hilfe“ in ihr Gegenteil verkehren! Und helfen wollen die Lehrer<br />
den Schülern, dass muss man zumindest schlussfolgern, wenn man die Ergebnisse<br />
verschiedener Studien berücksichtigt. Demnach ist der Wunsch zu helfen das Hauptmotiv für<br />
Sonderschullehrer. 268 Im Blick auf einige ängstliche und stille Kinder schreibt eine Lehrerin:<br />
263 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 212<br />
264 GRAF-DESERNO, 1981, S. 152<br />
265 vgl. Kapitel 2.4.1<br />
266 vgl. BLOEMERS, 1995, S. 215<br />
267 vgl. JANTZEN, 1972, S. 695<br />
268 der Wunschberuf, mit und für Kinder zu ar<strong>bei</strong>ten; vgl. GRUNWALD, 1975, S. 712<br />
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„Mein pädagogischer Vorsatz ist es, auf diese bewußt einzugehen und zu achten, was sicher<br />
mit meinen eigenen biographischen Erfahrungen zusammenhängt.“ 269 Der Lehrer als<br />
ehemaliger Kranker, der kranke Schüler heilen will? Oder vielmehr: der an den kranken<br />
Schülern sein eigene Krankheit aus Kindertagen heilen will?<br />
Das vielzitierte Selbstbild des Lehrers für Schüler mit LB schließt zumindest derartige<br />
Motive aus. Untersuchungen haben gezeigt, dass es ein Selbstbild gibt, dass Parallelen<br />
aufzeigt zum vergangenen Bild des Hilfsschullehrers. 270 Dies spiegelt die ethisch<br />
hochwertigen Ansprüche wider, deren Verwirklichung selten oder nie in der Schule überprüft<br />
wird. Demnach ist der Lehrer für Schüler mit LB ein Engel, der alles tragen und ertragen<br />
kann, der sich selbst vergißt um der Kinder willen. 271 Der Wunsch, „das Elend dieser Welt<br />
wieder gut zu machen“ 272 motiviert ihn für den Beruf. Doch wie kommt der Lehrer zu dieser<br />
Einstellung? Als Kind hat der Lehrer gelernt, nur die positiven Eigenschaften an sich zu<br />
lieben, denn dafür wurde er geliebt. Negative Impulse wurden ihm verwehrt und er begann,<br />
sie selbst abzuwehren und über sie zu richten. Sein Selbstbild fixierte sich auf die helle, die<br />
gute, die liebende Seite seines Ichs, die andere Seite wurde abgespalten, verdrängt, verleug<strong>net</strong><br />
und verstoßen. 273 Im Beruf des Lehrers für Schüler mit LB nun kann er all diese<br />
Eigenschaften zur Geltung bringen, kann er sich zudem noch erheben durch das Gefühl,<br />
anderen zu helfen. Die helfende Haltung drückt sich auch in dem Bedürfnis aus, andere an<br />
helfenden Gedanken teil haben zu lassen. Die pädagogischen Ideale und Wünsche in der<br />
Literatur könnten kaum zahlreicher sein. Doch könnte dies nicht auch ein Schleier sein, der<br />
die Schwachheit und das Leiden der Lehrer 274 kaschieren soll? Könnte es nicht sein, dass die<br />
Schule für Schüler mit LB gerade Lehrer anzieht, die selbst konfliktbeladen und hilfsbedürftig<br />
sind? 275 Könnte es nicht sein, dass der Unterricht oft gar nicht den Schüler zum Ziel hat,<br />
sondern den Lehrer? Eine narzißtische Umkehrung der helfenden Schulsituation wird<br />
erkennbar in Unterrichtsszenen. Das Kind muss den Lehrer verstehen, muss seinen<br />
Anweisungen folgen, muss sich für das interessieren, was er vorbringt. Das Kind muss<br />
erahnen, was der Lehrer will, welche Ziele er verfolgt, das Interesse des Kindes zentriert sich<br />
269 UHL, 1985, S. 42<br />
270 BAIER, 1972, S. 679<br />
271 in Anlehnung an ein Zitat von RÜSSEL von 1914; vgl. BAIER, 1972, S. 682<br />
272 GARLICHS, 2000, S. 147<br />
273 SCARBATH sprich von der „Abspaltung“ dieser Seiten; vgl. SCARBATH, 1999, S. 17<br />
274 Es entstehe der Eindruck, „daß Pädagogen auf eigentümliche Art und Weise ihr Leiden an der Gesellschaft<br />
verar<strong>bei</strong>ten. Ihre unterfüllten Sehnsüchte und Wünsche projezieren sie (zu Bedürfnissen der Kinder und<br />
Jugendlichen umgedeutet) als Fixsterne an den Himmel der pädagogischen Theorie- und Praxisideale.“;<br />
HILLER, 1989, S. 87)<br />
275 diese Vermutung legt SCARBATH nahe; SCARBATH, 1999, S. 20<br />
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auf den Lehrer. 276 Der Lehrer bringe die Schüler dazu, sich korrumpieren zu lassen, um<br />
erfolgreich zu sein in der Schule. 277 Ist es also gar nicht der Schüler dem geholfen wird,<br />
sondern vielmehr der Lehrer, der sich durch die Schüler hilft und sich am Gedanken labt, er<br />
tue das für die Schüler?<br />
Falsch interpretierte und motivierte Hilfe kann zu Problemen führen. 278 Zum einen ist die<br />
Enttäuschung der Retterphantasien des Lehrers vorprogrammiert, weil sich die Schüler häufig<br />
gar nicht retten lassen wollen. Zum anderen birgt die Identifikation mit dem Schüler die<br />
Gefahr, nicht <strong>bei</strong> sich selbst zu sein. Zudem kann die Idealisierung der eigenen Motive und<br />
deren Entzauberung in der Realität Kränkungen hervorrufen: „Ich habe dem Schüler soviel<br />
gegeben und habe nichts zurück bekommen!“ Der Lehrer fühlt sich dann als Betrogener, der<br />
nur helfen wollte und der die negativen Reaktionen der Schüler gar nicht verdient habe. 279<br />
Wem will der Lehrer helfen? Dieser Frage sollte sich der Lehrer auch im Nachdenken über<br />
seine Berufsmotivation stellen. Unter Umständen wird er erkennen, dass gar nicht nur die<br />
Schüler, sondern auch er hilfsbedürftig ist. Vielleicht wird er Verwundungen und<br />
Ablehnungen in seiner kindlichen Vergangenheit erkennen, die dafür verantwortlich sind,<br />
dass er nun <strong>bei</strong> anderen helfen und andere in die Position der Hilfeempfänger drängen will.<br />
Aber nur wer sich selbst hilft und erkennt, wo er Hilfe bedarf, kann anderen helfen und ihnen<br />
helfen, sich selbst zu helfen. 280<br />
3.4.7 Erzogener unterrichtet Unerzogene<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel in ihrer Kindheit von Eltern,<br />
Erziehern und Lehrern erzogen wurden und mit diesen und anderen Erfahrungen<br />
Verhaltensweisen entwickelt haben, mit deren Hilfe sie selbst andere erziehen.<br />
Der Kreislauf der Erziehung soll hier noch einmal aufgegriffen werden. 281 „Weil wir [die<br />
Erzieher; S.H.] unsere eigenen Bedürfnisse abzulehnen gelernt haben, lehnen wir auch die<br />
Bedürfnisse der Kinder ab. [...] Mit jedem Kind, das wir bestrafen, bestrafen wir im Grund<br />
genommen uns selbst.“ 282 Dieser Ansicht ist auch MILLER wenn sie sagt, dass es die<br />
Funktion der Erziehung sei das „Aufleben des einst in sich Umgebrachten und Verachteten im<br />
276 vom Lehrerzentrismus spricht auch MANN; vgl. MANN, 1989 (schl)<br />
277 ebd., S. 71<br />
278 einige davon werden von Studentinnen beschrieben; vgl. GARLICHS, 2000, S. 153ff<br />
279 BLOEMERS, 1995, S. 216<br />
280 in Anlehnung an den Ausspruch eines Schülers von Maria MONTESSORI: Hilf mir, es selbst zu tun.<br />
281 vgl. Kapitel 2.4.3<br />
282 MANN, 1989, S. 110 (kraf)<br />
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eigenen Kind zu verhindern.“ 283 Den Prozess dieser Entfremdung von sich und seinen<br />
Bedürfnissen in der Kindheit beschreibt MANN in sehr eindrücklichen Bildern anhand ihrer<br />
eigenen Biographie. Sie zeich<strong>net</strong> die Situationen nach, in denen sie von den Lehrern und der<br />
Schule 284 so erzogen wurde, dass sie ihr urtümliches und natürliches Verhalten verlernte. Der<br />
Kreislauf der Entfremdung beginnt mit den Eltern und wird fortgesetzt in der Schule.<br />
Da<strong>bei</strong> setzt sich die Erfahrung wie Schule war, im Lehrer fest und wird zum Bild von Schule,<br />
wie sie ist. „Geprägt von der eigenen Schulzeit definiert ein jeder für sich seinen ‘Sinn von<br />
Schule’“ 285 , der an die Schüler weitergegeben wird. Alte Erinnerungen, unbewältigte<br />
Konfliktsituationen und verdeckte Gefühle können wieder in das Bewußtsein des Lehrers für<br />
Schüler mit LB kommen, wenn er vor seinen Schülern steht. Diese „Altlast“ ist eine<br />
Erziehungshypothek, die der Lehrer im eigenen Unterricht deutlich zu spüren bekommt. Sie<br />
macht sich vor allem bemerkbar in fehlenden Kompetenzen im Umgang mit schwierigen<br />
Kindern. Denn was <strong>bei</strong> ihm einst nicht sein durfte und was er ausschalten musste, lebt <strong>bei</strong> den<br />
Schülern in ungebändigter Form. Er konnte nicht lernen mit diesen Gefühlen und<br />
Verhaltensweisen umzugehen, weil sie <strong>bei</strong> ihm unterdrückt und verdrängt wurden. Nun steht<br />
er ihnen hilflos gegenüber, wenn sie über den Schüler zu ihn zurückkehren.<br />
Der Lehrer verwehrt den Schülern ihrer Bedürfnisse, weil seine eigenen in der Kindheit<br />
verwehrt wurden. Der Lehrer kann Verhaltensweisen der Schüler nicht akzeptieren, weil dies<br />
<strong>bei</strong> ihm in der Kindheit nicht akzeptiert wurden. Und der Lehrer kann mit erzieherischen<br />
Maßnahmen nicht umgehen, weil er als Kind nicht mit ihnen umgehen konnte. Dies zeigt<br />
sich überdeutlich in dem Beispiel, Kindern Grenzen zu setzen: „Für diejenigen, die in ihrer<br />
eigenen Kindheit Grenzen nur als etwas Rigides, Feindliches, Autoritäres erfahren haben, ist<br />
es schwierig, selber Grenzen zu setzen und dies als Aufgabe des Lehrers bewußt zu<br />
akzeptieren.“ 286 Der Lehrer für Schüler mit LB ist somit belastet mit seiner Vergangenheit,<br />
wenn sie unreflektiert auf seine Handlungen einwirkt. Alte Erfahrungen werden dann<br />
wachgerufen 287 , alte Wunden wieder aufgekratzt. Frappant zeigt sich dies, wenn Konflikte mit<br />
Schülern denen ähneln, die man als Kind mit Familienmitgliedern hatte. 288 Spannungen<br />
werden dann auf die Beziehung mit dem Schüler „übertragen“ 289 , Gefühle werden unter<br />
283 MILLER, 1983, S. 111<br />
284 im Gegensatz zu MILLER, <strong>bei</strong> der die Eltern hauptsächlich verantwortlich gemacht werden<br />
285 RÄUBER, 1998, S. 51<br />
286 GARLICHS, 1985, S. 46<br />
287 „Auch <strong>bei</strong> ihm [dem Lehrer; S.H.] rufen bestimmte Menschen, bestimmte Situationen bestimmte alte Gefühle<br />
hervor.“; SPRINGER, 1990, S. 45<br />
288 UHL veranschaulicht dies am Beispiel einer Lehrerin, die unangemessen auf einen störenden Schüler<br />
reagierte und in der Supervision erkannte, dass alte Gefühle zu ihrem jüngeren Bruder die Ursache dafür waren;<br />
vgl. UHL, 1985, S. 40<br />
289 ebd., S. 41<br />
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Wiederholungszwang ausgelebt. Eigene, in der Kindheit erfahrene Ohnmachtsgefühle können<br />
im Lehrerberuf „verar<strong>bei</strong>tet“ werden, da dies ein optimaler Nährboden für unbestrafbaren<br />
Machtmissbrauch ist. 290<br />
Egal ob die Sozialisations- und Erziehungserfahrungen des Lehrers für Schüler mit LB<br />
mehrheitlich positiv oder negativ sind, sie werden sich auf das Erziehungsverhalten des<br />
Lehrers auswirken. Da aber die Schüler auch mit einer Erziehungsvergangenheit in die Schule<br />
kommen, kompliziert sich die Situation noch mehr. Die Schüler mit LB reagieren ebenfalls<br />
aufgrund ihrer Erziehungsgeschichte auf den Lehrer und sein Verhalten. Am deutlichsten<br />
wird dieses Zusammentreffen zu Beginn eines Schuljahres: „Nun kommt ein/e<br />
Schulanfänger/in mit seiner/ihrer persönlichen Geschichte zur Schule und trifft auf ein/e<br />
Lehrer/in, der/die in einer durch die eigene Biographie geprägten Art und Weise auf dieses<br />
Kind eingeht.“ 291 Die <strong>bei</strong>den Erziehungsgeschichten können sich verwickeln und im<br />
ungünstigsten Fall so verstricken, dass die Beziehung und Kommunikation nur noch<br />
konfliktbeladen ist. Dies wird noch erschwert, wenn der Lehrer eigene „Erziehungswunden“<br />
zu heilen versucht, indem er sie an die Kinder weitergibt. 292<br />
Eine Lösung ist dennoch möglich, wenn Bewußtheit und Reflektion über die eigene<br />
Erziehung und deren Auswirkungen angestrebt wird. Konflikthafte Situationen sind nur im<br />
Kontext der Erziehungsbiographie des Schülers und des Lehrers für Schüler mit LB möglich.<br />
Vorraussetzung dafür ist, dass der Lehrer erkennt, was ihm widerfahren ist im Verlauf seiner<br />
Erziehung. „Damit die Eltern spüren, was sie den Kindern antun, müßten sich auch spüren,<br />
was ihnen in der eigenen Kindheit angetan worden ist.“ 293 Dies könnte für den Lehrer<br />
bedeuten: „Damit die Lehrer spüren, was sie den Schülern antun, müßten sich auch spüren,<br />
was ihnen in der eigenen Kindheit, vor allem in der Schulzeit, angetan worden ist.“ Da<strong>bei</strong><br />
sind sicherlich nicht nur die negativen Aspekte, sondern vor allem auch die positiven Seiten<br />
der eigenen Erziehung der Schlüssel zu einer veränderten Einstellung sich und den Schülern<br />
gegenüber.<br />
290 GARLICHS, 1985, S. 46f<br />
291 UHL, 1985, S. 42<br />
292 SINGER hat sich zu diesem Thema ausführlich geäußert; vgl. SINGER, 2000 und SINGER, 1988<br />
293 MILLER, 1983, S. 301<br />
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3.4.8 Reife Persönlichkeit unterrichtet unfertige Persönlichkeiten<br />
Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel seit ihrer Kindheit eine<br />
Persönlichkeitsentwicklung vollziehen, die bestimmte Persönlichkeitseigenschaften stärker<br />
ausgeprägt und andere eher eingeschränkt hat, was sich auch im Umgang mit Schülern zeigt.<br />
In pädagogischen Rollendefinitionen taucht der Lehrer für Schüler mit LB als ideale Person<br />
auf, die nahezu alle pädagogisch wertvollen Kompetenzen besitzt, um den Unterricht und die<br />
Beziehung zu den Schülern erfolgreich zu gestalten. Das Bild des Lehrers ist auf Hochglanz<br />
poliert, wohingegen das Bild des Schüler mit LB kaum verschmutzter und dreckiger sein<br />
könnte. 294 Demzufolge ist es auch immer der Schüler, der den Unterricht stört, der Konflikte<br />
heraufbeschwört und unangemessene Reaktionen zeigt. 295 Guten Unterricht hält der Lehrer<br />
dann, wenn er planmäßig und ohne Beeinträchtigung abläuft. Lehrer top, Schüler flop?<br />
Die Schulrealität ist jedoch nicht derartig eindimensional. Der Interaktionsprozess zwischen<br />
Lehrer und Schüler mit LB ist immer von <strong>bei</strong>den Seiten abhängig, Schüler- und Lehrertyp<br />
reagieren in einer bestimmten Weise zueinander. 296 Logisch fortgeführt bedeutet dies auch für<br />
Konflikte zwischen <strong>bei</strong>den, dass an ihnen auch der Lehrer mitschuldig ist. Warum könnte der<br />
Lehrer als erwachsene Persönlichkeit für einen Konflikt verantwortlich sein?<br />
Eine Untersuchung zeigt den Sonderschullehrer mit einem „erhöhten Maß an neurotischen<br />
Eigenschaften“. 297 Diese drücken sich aus in ängstlicher Gehemmtheit, Insuffizienzgefühlen<br />
und depressiver Gestimmtheit, die als Folge von fehlverar<strong>bei</strong>teten Konflikten angesehen wird.<br />
Auch Minderwertigkeitskomplexe der Sonderschullehrer will BAIER erkannt haben: „Der<br />
Umgang mit Kindern reizt sie, weil sie hier die Überlegenen sind und den Kindern ihre<br />
Meinung aufzwingen können.“ 298 TAUSCH & TAUSCH sind der Meinung, dass Kälte und<br />
Mißachtung als Eigenschaften von Lehrern während des Aufwachsens erworben wurden.<br />
Auch wenn Lehrer anders handeln wollen, können sie dies nicht aufgrund der Stabilität ihrer<br />
Persönlichkeitseigenschaften. 299 Das Bild der unfehlbaren Lehrerpersönlichkeit bekommt<br />
damit Risse. Sollten die Lehrer Persönlichkeiten sein, die um Stabilität selbst noch ringen, die<br />
selbst noch nicht das geworden sind, wohin sie die Schüler bringen wollen?<br />
Am Beispiel des bekannten Pädagogen Janus KORCZAK wird ein weiterer Aspekt der<br />
Persönlichkeitsentwicklung sichtbar. Durch KORCZAKs Hinwendung zu den Kindern läßt<br />
294 recht drastische Bilder von Schülern mit LB zeigt HÖHN; vgl. HÖHN, 1972, S. 47<br />
295 vgl. SCARBATH, 1999, S. 17<br />
296 vgl. KLEIN, 2001, S. 5f<br />
297 JANTZEN, 1972, S. 208<br />
298 BAIER in BAIER/ KLEIN, 1975, S. 234<br />
299 TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 140<br />
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sich vermuten, „...daß Korczak [...] auch seine eigene Lebensgeschichte und vor allem seine<br />
eigene Kindheit abgear<strong>bei</strong>tet hat.“ 300 Kann dies bedeuten, dass sich der Lehrer für Schüler mit<br />
LB diesen anscheinend unreifen Persönlichkeiten zuwendet, um seine eigene Unreife zu<br />
überspielen, sich quasi als „unfertige“ unter andere „unfertige“ Persönlichkeiten gesellt?<br />
Der Lehrer für Schüler mit LB ist gewohnt, an der Persönlichkeit des Schülers mit LB zu<br />
ar<strong>bei</strong>ten. Dazu stellt er Förderpläne auf, begutachtet den Schüler, beobachtet ihn und schätzt<br />
seine Stärken und seine Schwächen ein. Die Frage nach den Ursachen der „Behinderung“ des<br />
Schülers beantwortet er mit vielerlei Faktoren und Gründen. Doch ist vielleicht ein Grund er<br />
selbst? Die Frage: „wer behindert wen in welcher Weise“ 301 auf sich bezogen stellt ihn vor ein<br />
ganz neues Problem. Nicht mehr der Schüler, sondern er selbst wird damit in den Mittelpunkt<br />
gerückt.<br />
Die Konflikte innerhalb der Persönlichkeit des Lehrers spiegeln sich im Schüler mit LB und<br />
der Beziehung zu diesem wieder. 302 Damit ist nicht ein Schüler „schwierig“ sondern vielleicht<br />
hat der Lehrer Schwierigkeiten mit ihm aufgrund eigener innerer Schwierigkeiten. Die<br />
Beurteilung und Kategorisierung der Schüler ist somit relativ vom Lehrer abhängig und läßt<br />
immer Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zu. 303 Der Lehrer kennt viele Typologien, in die<br />
er seine Schüler einordnen kann. Doch kann er sich selbst zu einem Typ zuordnen? „Sinnvoll<br />
werden Typologien dann, wenn sie dazu verwendet werden, die Ähnlichkeit oder die<br />
Verschiedenheit zwischen Beobachter und Beobachtungsobjekt (also zwischen Lehrer und<br />
Schüler) zu kennzeichnen. [...] Zu diesem Zweck muß der Lehrer in der Selbstbeobachtung<br />
feststellen, welchem Typ er sich zuord<strong>net</strong>.“ 304 SPRINGER hebt damit das In-Beziehung-<br />
Setzen hervor, welches den Lehrer nicht von vornherein ausschließt. Ein als „aggressiv“<br />
eingestufter Schüler sagt noch gar nichts aus, wenn man den beurteilenden Lehrer nicht kennt.<br />
Ist dieser vielleicht sehr sanft und gütig, oder sehr leicht reizbar, ungeduldig und jähzornig?<br />
Nimmt dieser vielleicht an, er selbst sei gar nicht aggressiv oder steht er zu seinen<br />
Aggressionen gegenüber Schülern?<br />
Die Persönlichkeit des Lehrers hat sich in der Kindheit entwickelt, in der Jugend differenziert<br />
und im Erwachsenenalter gefestigt. Deshalb führt die Spur unweigerlich in die Kindheit<br />
zurück, wenn er sich mit sich selbst beschäftigt. Nach welchen Mechanismen reagiert der<br />
Lehrer, welche Menschen findet er sympathisch, welche kann er nicht leiden? Darüber sollte<br />
300 GIESECKE, 1997, S. 147<br />
301 HEIMLICH, 1994, S. 582<br />
302 RICHTER meint, dass viele der äußeren Schwierigkeiten ein Prudukt unserer innerlich unverar<strong>bei</strong>teten<br />
Konflikte sind; vgl. RICHTER, 1976<br />
303 vgl. GARLICHS, 1985, S. 44<br />
304 SPRINGER, 1990, S. 28<br />
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der Lehrer mindestens ebenso gut Bescheid wissen wie über das didaktisch-methodische<br />
Handwerkszeug für den Unterricht.<br />
Wenn das „Problem der Persönlichkeitsentwicklung mit dem Lernproblem gleichzusetzen“ 305<br />
ist dann stellt sich die Frage, wie der Lehrer für Schüler mit LB Persönlichkeitsentwicklung<br />
<strong>bei</strong>m Schüler bewirken kann. Um Eigenschaften wie „Achtung, Empathie und Echtheit“ 306 zu<br />
vermitteln, muss sie der Lehrer selbst besitzen. Von nichts kommt nichts! Außerdem gehört<br />
zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit Nachsicht mit „Verfehlungen“ einer Person.<br />
Den Weg dahin zeigt BÜHLER auf: „Ein Lehrer hat als Kind selbst gelogen oder<br />
geschwindelt oder seine Mutter gehaßt. Er erinnert sich, wie ihm damals zumute gewesen ist<br />
und wie er unter den damaligen Umständen gehandelt hat. Es ist ihm auch gelungen, einige<br />
der Ursachen seines Verhaltens in der Kindheit zu begreifen. Ein solcher Lehrer wird Kinder<br />
besser verstehen und führen können als einer, der die kritische Beurteilung seiner eigenen<br />
Vergangenheit verdrängt hat und da<strong>bei</strong> mit Schuldgefühlen wegen der Untugenden in seiner<br />
Kindheit belastet ist.“ 307<br />
Der Lehrer kann von jedem Schüler etwas lernen. Indem er sich z.B. seinen stärksten<br />
„Gegenspieler“ unter den Schülern heraussucht und überlegt, welche Kraft in diesem sichtbar<br />
ist, wird er feststellen, dass es sich „um eine handelt, <strong>bei</strong> der es ihm schwer fällt, sie an sich zu<br />
akzeptieren.“ 308 Die Selbsterkenntnis des Lehrers und dessen Persönlichkeitsentwicklung<br />
durch und mit den Schülern formuliert SPRINGER folgendermaßen: „Es ist unsere Aufgabe,<br />
allmählich all die positiven und negativen Kräfte so zu integrieren, daß wir sie an anderen<br />
nicht mehr zu bekämpfen brauchen. Jeder Mensch, der weiß, daß er all das in sich trägt, und<br />
damit leben kann, läßt auch andere leben, hilft ihnen, leben zu lernen. [...] Erziehung und<br />
Integration von ‘schwierigen’ Schülern in eine Klasse geschieht also nur durch Integration der<br />
durch den Schüler repräsentierten dunklen Kräfte in das Selbstbild des Lehrers.“ 309<br />
3.5 Das Dilemma der Schule für Schüler mit LB und die Verstrickung des Lehrers<br />
Die Beschäftigung mit der Kindheit des Lehrers für Schülers mit LB hat weite Kreise<br />
gezogen. Es wurde deutlich dass es nicht allein ein Zusammentreffen zweier<br />
Lebengeschichten, sondern darüber hinaus einen gesellschaftlichen Zusammenhang<br />
305 HOFMANN zitiert ALLPORT; HOFMANN in BÜTTNER/ FINGER-TRESCHER, 1991, S. 37<br />
306 von den Autoren als förderlich bezeich<strong>net</strong>e Eigenschaften des Lehrers; TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 75<br />
307 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />
308 SPRINGER, 1990, S. 159<br />
309 ebd., S. 159<br />
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transportiert. 310 Dieser gesellschaftliche Zusammenhang kristallisiert in den Kindheiten der<br />
<strong>bei</strong>den Beteiligten und zeigt damit eine Spannung auf, welche die Gesellschaft und da<strong>bei</strong> vor<br />
allem das Schulsystem beherrscht.<br />
Behinderte befremden Menschen, die diese nicht so normal empfinden wie sich selbst. 311<br />
Diese Andersartigkeit wird segregiert und in geeig<strong>net</strong>en Schulen, mit geeig<strong>net</strong>em Personal<br />
und geeig<strong>net</strong>en Methoden behandelt. Die Gesellschaft versucht, den Ausleseprozess 312 damit<br />
zu kompensieren, dass sie Institutionen schafft, die diese Schüler besser fördern kann als die<br />
normale Schule. Welchen Plan verfolgt die Gesellschaft, verfolgen wir damit? Welche Rolle<br />
kommt dem Lehrer, kommt uns da<strong>bei</strong> zu?<br />
Der Lehrer für Schüler mit LB ist zum „Heiler der Nation“ auserkoren. Verschiedene<br />
Rollenvorschläge werden von der Gesellschaft an ihn delegiert und damit wird ihm als<br />
Fachmann die Aufgabe, sich mit den „schwierigen“ Kindern zu beschäftigen anvertraut.<br />
Anscheinend versucht die Gesellschaft damit, die Geister die sie rief wieder zur Vernunft zu<br />
bringen. Für den Brand, den sie selbst gelegt hat ist nun der Feuerwehrmann, Sonderpädagoge<br />
oder einfach Lehrer für Schüler mit LB, zuständig - er ist gleichsam das gute Gewissen vom<br />
Dienst. Zeitlos ist in dieser Hinsicht dieses Zitat: „Der Hilfsschullehrer sei eine<br />
Lehrerpersönlichkeit edelster Art, mit einem pädagogischen Feingefühl und hingebender<br />
Gesinnung ausgerüstet, die sich noch ein Gutteil idealen Strebens behalten hat, die Tugenden<br />
der Entsagung seiner selbst, der Konsequenz und zähen Ausdauer, der frohen Laune wie der<br />
Geduld und Liebe, eine gewisse bäuerliche Lebendigkeit und ein Feuer der Begeisterung<br />
besitzt.“ 313 In aktuelleren pädagogischen Beiträgen wechseln zwar die Begriffe und die<br />
Formulierungen, der Sinn jedoch bleibt.<br />
Tatsächlich sitzt der Lehrer damit in der Zwickmühle. Er befindet sich in vielerlei<br />
Widersprüchen gesellschaftlicher, persönlicher und sachlicher Natur. 314 Aufgrund seiner<br />
Position muss er sich berufsbedingt mit den Normen und Werten der Gesellschaft<br />
identifizieren und diese im Unterricht vertreten, unabhängig davon ob sie seiner persönlichen<br />
Überzeugung entsprechen. 315 Eine weitere Kluft entsteht durch die Ambivalenz zwischen dem<br />
pädagogischen Ideal und der unterrichtlichen Realität: „Sie [die Lehrer; S.H.] praktizieren<br />
Beziehungsfallen, sie verstören Kommunikation und Interaktion [...]. Zwischen gefordertem<br />
Verhalten und tatsächlichem Verhalten von Lehrern und Erziehern besteht ein erhebliche<br />
310 vgl. Kapitel 3.4.1 (Norm), 3.4.3 (Lernen) und 3.4.4 (Herkunft)<br />
311 vgl. BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 201<br />
312 den sie mit ihrem Widerspruch im Anspruch des gleichzeitigen „Fördern und Auslesen“ erst bewirkt; vgl.<br />
SCARBATH, 1999, S. 18<br />
313 BEGEMANN zitiert HOFMANN; BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 200<br />
314 BAUDE, 1975, S. 22f<br />
315 vgl. SCARBATH, 1999, S. 18<br />
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Widerspruch.“ 316 Die Fortdauer dieses Widerspruchs wird durch die Aufrechterhaltung des<br />
übersteigerten Selbstbildes garantiert. 317<br />
Welche Rolle spielt der Schüler da<strong>bei</strong>? Er wurde in der Literatur bereits befreit von den<br />
Fesseln der „Lernbehinderung“. Demnach ist Lernbehinderung keine Eigenschaft, die einem<br />
Verhalten „originär und inhärent“ zukommt, sondern eine Zuschreibung, ein Urteil der<br />
Gesellschaft, in welcher der „Lernbehinderte“ lebt. 318 Bisher ist die Praxis im Schulsystem<br />
jedoch so, dass sich die Gesellschaft durch subjektive Willkür all der Schüler entledigt, die<br />
den Erwartungen der Gesellschaft, der Schule und des Lehrers nicht entsprechen. 319<br />
Ist der Schüler lernbehindert? Ist der Lehrer lehrbehindert? Ist die Schule<br />
beschulungsbehindert? Ist die Gesellschaft integrationsbehindert?<br />
Diese Fragen sollen und können hier nicht beantwortet werden, vielleicht kann sie jeder nur<br />
für sich selbst versuchen zu beantworten. Da<strong>bei</strong> sollte dieser kleine Exkurs eine Anregung<br />
sein.<br />
3.6 Eine tragfähige Brücke über die Kluft<br />
Um das Bild von der Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB wieder aufzugreifen, werde<br />
ich eine mögliche Brücke darüber in fünf Schritten beschreiben.<br />
Zum ersten bedarf es der Einsicht in das Vorhandensein einer Kluft, einer Entfernung zum<br />
Schüler und dessen Geschichte. 320 Diese Kluft ist eine, die sich durch die unterschiedlichen<br />
Erlebnisse der Beteiligten bildete und deren Tiefe und Breite von den jeweiligen Biographien<br />
abhängt. Die Kluft zu sehen bedeutet auch zu akzeptieren, dass sie da ist. Der Lehrer kann<br />
sich nicht vormachen, dass er in jeder Hinsicht dem Schüler gleich ist. Damit wird der Lehrer<br />
Abschied nehmen von seinen für selbstverständlich gehaltenen Wahrheiten und Maßstäben.<br />
GARLICHS spricht von einer Relativierung „der eigenen, bisher für selbstverständlich<br />
gehaltenen kulturellen und sozialen Normen, die das praktische Handeln präformieren und<br />
strukturieren.“ 321<br />
Zum zweiten ist es zur Hälfte die Persönlichkeit des Lehrers, durch welche die Brücke<br />
entstehen kann. Sie ist für die Wurftechnik und Beschaffenheit der Beziehungsseile und das<br />
316 BEGEMANN in BEGEMANN/ KRAWITZ, 1994, S. 201<br />
317 nahezu alle Unterstellungen und Attitüden werden akzeptiert; vgl. GRUNWALD, 1975, S. 700<br />
318 EBERWEIN, 1975, S. 72<br />
319 ebd., S. 71<br />
320 Bürgerliche Lehrerund benachteiligte Schüler stehen sich mit „...prinzipiell unerfüllbaren Erwartungen<br />
gegenüber.“; HILLER, 1989, S. 89<br />
321 GARLICHS, 2000, S. 6<br />
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Geschick diese zu werfen, bestimmend. Viele Forderungen werden an die<br />
Lehrerpersönlichkeit gestellt: Überdenken der Selbstbilder, Infragestellen des Rollenbildes,<br />
Selbstreflexion, Selbstkritik 322 , Empathie und Echtheit. 323 Da die Lehrerpersönlichkeit oftmals<br />
über Erfolg und Versagen der Schüler entscheidet 324 kommt ihr eine bedeutende Stellung in<br />
diesem Brückenbau zu. „Die Person des Lehrers ist sein bestes Curriculum“ 325 , sie ist der<br />
„...Schlüssel zum Erfolg jedes Erziehungsprogramms.“ 326<br />
Zum dritten muss sich der Lehrer in seinem Verhalten und seinem Denken verändern können.<br />
Die Beziehung hat mit dem Lehrer zu tun und mit seiner Geschichte! 327 Die Bereitschaft, <strong>bei</strong><br />
sich anzufangen ist entscheidend für das Knüpfen des Beziehungsseiles, das nicht vom<br />
Lehrplan oder anderen bereitgestellt wird. Das bedeutet auch, dass der Lehrer sich mit seinen<br />
eigenen Schwächen auseinandersetzt. Die Erkenntnis der Gemeinsamkeiten wie auch der<br />
Differenzen ist Grundlage von empathischem Handeln. 328 SINGER sagt, dass die<br />
Grundweisheit der Erziehung sei, dass sich der Erzieher selbst verändern müsse, wenn er<br />
seinen Schülern wirksam helfen möchte. 329 Selbstbeobachtung ist in dazu der erste Schritt. 330<br />
Zum vierten setzt nach dieser Veränderung eine Entwicklung ein, die den Lehrer selbst zum<br />
Mittelpunkt nimmt. „Wir brauchen Lehrer, die sich entwickeln können, wenn sie uns<br />
entwickeln wollen!“ 331 Nur durch ein förderliches Selbstkonzept kann der Lehrer den<br />
Schülern <strong>bei</strong> der Entwicklung ihres Selbstkonzeptes helfen. 332 Er kann nur dann erwarten,<br />
dass die Schüler Beziehungsseile über die Kluft werfen, wenn er selbst es auch kann. Da<strong>bei</strong><br />
muss der Lehrer ein Lernender bleiben, vor allem was ihn selbst betrifft. 333 „Wenn in einer<br />
Klasse nurmehr die Schüler etwas lernen, der Lehrer aber nicht, ist das das sicherste Zeichen,<br />
daß hier etwas nicht stimmt.“ 334 Kennen-Lernen ist ein dialogischer Prozess, der Aktivität von<br />
<strong>bei</strong>den Seiten voraussetzt. 335 Das heißt auch, dass der Lehrer sich mit seiner Person in die<br />
Beziehung miteinbringen muss, dass er nicht nur am Rande begutachtend steht. Er muss etwas<br />
322 vgl. BLOEMERS, 1995, S. 218<br />
323 FISCHER, 1975, S. 20<br />
324 dies beweist GÜNTER an Fall<strong>bei</strong>spielen; vgl. GÜNTHER, 1997, S. 7<br />
325 zitiert RÄUBER nach HENTIG; RÄUBER, 1998, S. 49<br />
326 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 67<br />
327 vgl. GARLICHS, 2000, S. 152<br />
328 vgl. BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 68<br />
329 vgl. SINGER, 1988, S. 81<br />
330 „Wer darangeht, andere in hilfreicher Absicht zu beobachten, muß immer sich selbst mitbeobachten.“;<br />
SPRINGER, 1990, S. 20<br />
331 Ausschnitt aus einem Zitat von Erich KÄSTNER, das SCARBATH verwendet; SCARBATH, 1999, S. 16<br />
332 vgl. TAUSCH/ TAUSCH, 1977, S. 61<br />
333 dies betont unter anderem HURRELMANN; vgl. HURRELMANN in BLEIDICK, 1985, S. 311<br />
334 SPRINGER, 1990, S. 136<br />
335 diese Seite wurde in der Beschäftigung mit dem Thema „Lernbehinderung“ in der Methode von Otmar<br />
FISCHER ausgespart; vgl. FISCHER, 1975<br />
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von den Schülern lernen wollen, sie kennen lernen wollen und zulassen, dass sie ihn kennen<br />
lernen wollen.<br />
Zum fünften kommt, wenn die Brücke tragfähig genug ist aus mehreren Beziehungsseilen,<br />
dass sich der Lehrer immer mehr selbst erkennen kann und wird. 336 Denn durch die<br />
Beziehung zum Schüler kann über sich lernen. Das „...Erkennen des fremden Erlebnisses im<br />
Blick auf das eigene...“ 337 wird den Lehrer wie den Schüler gleichermaßen bereichern können.<br />
Hinderlich kann da<strong>bei</strong> die eigene Geschichte der Lehrer für Schüler mit LB sein:<br />
„Unglücklicherweise kommen viele Lehrer aus so behüteten Familienverhältnissen, daß ihnen<br />
häufig die Weite der Erfahrungen fehlt, die man braucht, um sich selbst zu erkennen.“ 338<br />
Diese Erfahrungen können sie jedoch von den Schülern „erfahren“ und von ihnen lernen. Die<br />
Kraft geht also von den Kindern aus, das hat Iris MANN bewegend geschildert. 339 Ihr Weg<br />
zur Erkenntnis der Entfremdung und der Rückbesinnung zu sich durch die Kinder mag<br />
stellvertretend stehen für die Möglichkeiten, die in der pädagogischen Beziehung, auf der<br />
Brücke über die Kluft möglich sind.<br />
3.7 Zusammenfassung<br />
Nach einer begrifflichen Bestimmung des Lehrers für Schüler mit LB wurde die pädagogische<br />
Beziehung und deren Wesen und Funktion näher erläutert. Dazu wurde ein Bild entworfen,<br />
dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mit LB darstellt als Kluft, auf deren <strong>bei</strong>den<br />
Seiten sich Lehrer und Schüler aufgrund unterschiedlicher Kindheits- und Lebensverläufe<br />
gegenüber stehen. Die Spannungsfelder, die zwischen ihnen liegen wurden bestimmt und die<br />
für das Thema relevanten ausführlicher dargestellt. Sie lassen sich in persönliche,<br />
zwischenmenschliche, schulische, erzieherische und gesellschaftliche Bereiche einordnen.<br />
Die besprochenen Themen drehten sich um Norm, Aufwachsen, Lernen, Herkunft, Liebe,<br />
Hilfe, Erziehung und Persönlichkeit.<br />
Von der Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB ausgehend wurde sein sonderpädagogisches<br />
Handeln unter der Verschiedenartigkeit der lebensgeschichtlichen Erfahrungen beleuchtet. Es<br />
wurde versucht, den Zusammenhang zwischen seinen Erfahrungen oder besser gesagt, seinen<br />
fehlenden Erfahrungen, und seinem Handeln, Denken und Beurteilen in der pädagogischen<br />
336 Schüler werden damit zur Quelle der Selbsterkenntnis; vgl. SINGER, 1988, S. 84<br />
337 BLOEMERS zitiert LORENZER; BLOEMERS, 1995, S. 215<br />
338 BÜHLER/ DANZINGER/ SCHMITTER, 1959, S. 67<br />
339 so heisst das Plädoyer dafür von MANN: Die Kraft geht von den Kindern aus; MANN, 1989<br />
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Beziehung aufzuzeigen. Ein Exkurs über die gesellschaftlichen Ursachen der Spannung<br />
vervollständigte den Hintergrund, der für das Verständnis der Kindheiten notwendig ist. Der<br />
Anfang der pädagogischen Beziehung als der Brücke über die Kluft wurde in mehreren<br />
Schritten beschrieben und mögliche Ansätze zu einer professionellen Auseinandersetzung<br />
damit referiert.<br />
4. Biographische Selbstreflexion als Kompetenz im sonderpädagogischen Handeln des<br />
Lehrers für Schüler mit LB<br />
Jeder Lehrer (für Schüler mit LB) kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst,<br />
reflektieren.<br />
Die begonnene „Spurensuche“ hat uns über das innere Kind im Menschen und die innere<br />
Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB hingeführt zu neuen Fragen. Diese Fragen kreisen<br />
um den im vorherigen Kapitel postulierten Anspruch, sich selbst zu erkennen und die eigene<br />
Kindheit kritische zu reflektieren. Wie dieser Anspruch einzulösen ist werde ich im folgenden<br />
versuchen zu erläutern.<br />
„Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders und nimmst nicht den Balken in<br />
deinem Auge wahr? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt still, Bruder, ich will dir<br />
den Splitter aus deinem Auge ziehen! - und siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge?<br />
Du Heuchler, zieh erst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, wie du den Splitter aus<br />
dem Auge deines Bruders ziehst!“ 340 Dieses biblische Gleichnis kann uns den Weg weisen zur<br />
Beschäftigung mit den eigenen Fehlern, blinden Flecken, Schwächen und Vernarbungen aus<br />
der Kindheit. Es zeigt deutlich, wo der Mensch ansetzen kann und soll, wenn er etwas<br />
verändern will: <strong>bei</strong> sich selbst! Dasselbe gilt auch für den Lehrer für Schüler mit LB. Dieser<br />
sollte sich zuerst der Kindheits-Balken und -Splitter in seinem pädagogischen Auge gewahr<br />
werden, bevor er versucht, jedes noch so kleinste Holzstück aus den Augen seiner Schüler zu<br />
operieren. In dieser Selbstzuwendung liegt auch das Wesen der Selbstverwirklichung des<br />
Lehrers. Nur wer sich selbst verwirklichen kann, vermag das auch <strong>bei</strong> den Schülern<br />
anzuregen. 341<br />
Der Lehrer bekommt es mit sich zu tun, mit seiner eigenen Biographie und Gewordenheit.<br />
Den wissenschaftlichen Rahmen dafür gibt die Biographieforschung, die selbst in der<br />
340 Lukas 6, 41-42 in: Die Bibel oder die ganze heilige Schrift aus altem und neuem Testament nach der<br />
Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1978<br />
341 Vgl. TUSCH, 1988, S. 38f<br />
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qualitativen Sozialforschung anzusiedeln ist. 342 Welche Wege kann der Lehrer in diesem Feld<br />
beschreiten, wo und wann ist dies möglich? Welche Impulse ergeben sich für die<br />
Lehrerausbildung? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden auf die Spur gehen.<br />
4.1 Die Notwendige Professionalisierung der Beschäftigung mit der eigenen Kindheit im<br />
sonderpädagogischen Handeln innerhalb der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrer<br />
und Schüler mit LB<br />
Pädagogisches Handeln findet immer in bestimmten Situationen statt, die von bestimmten<br />
Institutionen ermöglicht werden. 343 GIESECKE definiert es als soziales Handeln im<br />
Gegensatz zum technischen Handeln. 344 Der Kern des pädagogischen Handelns ist für ihn die<br />
pädagogische Beziehung in sogenannten „Face-to-Face“-Situationen. 345 Diese Beziehung<br />
sollte geprägt sein von einer partnerschaftlichen Gleichrangigkeit, die getragen wird von<br />
gegenseitigem Respekt, Achtung und Vertrauen. 346 Diese drei Säulen der Beziehung können<br />
meiner Meinung nach aber nur entstehen, wenn sich Lehrer und Schüler kennen und kennen<br />
lernen wollen.<br />
Als Voraussetzung dieses Kennenlern-Prozesses setzt NIEMEYER die Selbstbeobachtung,<br />
die jeder Fremdbeobachtung vorausgehen sollte. 347 Er unterteilt die Selbstbeobachtung in<br />
einer allgemeine, stete Beobachtung <strong>bei</strong> allen Gelegenheiten und in eine spezielle Betrachtung<br />
der eigenen Kindheit. 348 Diesen Rückgang in die kindliche Vergangenheit beschreibt er so:<br />
„...insonderheit gehe der künftige Erzieher oft mit seiner Beobachtung in der Geschichte<br />
seiner eignen Kindheit und Jugend zurück, und suche sich seine damalige Art zu urtheilen,<br />
und sich zu bestimmten Handlungen bestimmen zu lassen, so genau als möglich zu<br />
vergegenwärtigen, von der in reiferen Jahren durch veränderte Lage, fast keine Spur mehr<br />
ausser im Gedächtnis, zurückgeblieben seyn kann.“ 349 Mit dieser Kenntnis der eigenen<br />
Kindlichkeit und der kindlichen Art zu fühlen, zu denken und zu handeln, wird er in<br />
Kinderseelen ebenso Bescheid wissen und ihre Handlungen verstehen und akzeptieren<br />
342 Vgl. SCHULZE in BAACKE, Dieter/ SCHULZE, 1993, S. 52<br />
343 Vgl. GIESECKE, 1992, S. 57f<br />
344 Vgl. ebd., S. 59<br />
345 Ebd., S. 149<br />
346 Vgl. ebd., S. 121<br />
347 „Jenem Studium fremder Beobachtungen und Erfahrungen gehe aber die Selbstbeobachtung beständig zur<br />
Seite.“; NIEMEYER, 1970, S. 37<br />
348 Vgl. ebd., S. 37<br />
349 Ebd., S. 37<br />
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können. 350 Dieser Rückgang sei eine der wichtigsten Fähigkeiten des Erziehers, das Wieder-<br />
Sehen der kindlichen Welt Voraussetzung für eine besseres Verständnis des Kindes. Nicht<br />
immer jedoch gestaltet sich diese Rückschau und das Verstehen so einfach. MOOR<br />
konstatiert die Schwierigkeit des Heilpädagogen im Hinblick auf die Vergangenheit von<br />
Heimkindern: „Nur wenn wir die Welt seines wirklichen Erlebens kennten, könnten wir<br />
erzieherisch wirken, nur wenn wir seine wirkliche Welt in ihrer Enge und Verkümmerung,<br />
dazu ebenso die mögliche Welt des Menschen in ihrer Fülle und ihrer Reife kennten, könnten<br />
wir wirklich helfen.“ 351 Dieser Punkt spielt sicherlich im Verstehen von Schülern mit LB eine<br />
entscheidende Rolle. 352 Dennoch bietet gerade diese schwierige Situation eine enorme<br />
Chance: das Erkennen des Fremden in einem selbst! KERSCHENSTEINER meint, dass<br />
letztlich die „...fremde Persönlichkeit [...] nichts anderes als Erlebnis eines Stückes der<br />
eigenen Persönlichkeit...“ ist. 353<br />
Der Einfluß der Vergangenheit ist mächtig. Nichts geht am Menschen vor<strong>bei</strong>, alles bleibt in<br />
irgendeiner Form haften und drückt sich später bewußt oder unbewußt aus. 354 Dieser Tatsache<br />
muss Rechnung getragen werden durch eine professionelle Beschäftigung mit dieser<br />
Vergangenheit und vor allem der eigenen Kindheit, da der Lehrer vorrangig mit diesem<br />
Abschnitt in der Schule konfrontiert wird.<br />
Das Schlagwort der Selbsterziehung taucht <strong>bei</strong> vielen namhaften Pädagogen auf greift in den<br />
Bereich der Persönlichkeitsentwicklung des Lehrers. 355 Selbstbeobachtung, Selbstreflexion<br />
und Selbsterkenntnis leiten hin zur Selbsterziehung des Erziehers, zur Selbstveränderung<br />
seiner Persönlichkeit und seines Selbstkonzeptes. 356 MOOR fasst dies folgendermaßen<br />
zusammen: „Der Heilpädagoge ist Erzieher. Seine Ausbildung ist pädagogische Ausbildung<br />
und hat ihren Kern in der Erziehung des Erziehers. Da aber Erziehung eines Erwachsenen nur<br />
auf dem Wege über seine Selbsterziehung möglich ist, so ist der Grundzug aller<br />
heilpädagogischen Ausbildung Hinweis auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der<br />
Selbsterziehung des Erziehers.“ 357<br />
350 Vgl. ebd., S. 111f<br />
351 MOOR, 1969 2 , S. 474<br />
352 Vgl. Kapitel 3<br />
353 KERSCHENSTEINER, 1961 8 , S. 119<br />
354 Vgl. MOOR, 1969 2 , S. 508; vgl. außerdem das Kapitel 2 über den Einfluß der Kindheit<br />
355 Vgl. dazu auch GRIMM, 1998<br />
356 Über die Wirkungen eines ungüsntigen Selbstkonzeptes des Lehrers auf Schüler vgl. TUSCH, 1988 und<br />
TAUSCH/ TAUSCH, 1977<br />
357 MOOR, 1969 2 , S. 492<br />
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4.2 Pädagogische Biographieforschung als Rahmen biographischer Beschäftigung mit<br />
der eigenen Kindheit<br />
Erziehung ist reflexiv und selbstreferentiell. Der Pädagoge bezieht sich, wenn er erzieht, auch<br />
immer auf sich selbst. 358 Seine Erfahrungen und Vorstellungen über Kindheit sind<br />
biographisch erworbene und prägen sein Handeln, sind somit darin nachweisbar. Die schon<br />
von BERNFELD erkannte Dopplung des Themas Kindheit beschreibt PRANGE in der<br />
Konsequenz, „...daß sich in dem Umgang mit dem Kind immer das Eigene mit dem Fremden<br />
verschränkt.“ 359 Daher wohnt der Beschäftigung mit Kindern ein Rückzug in die eigene<br />
Kindheit schon inne, er rufe ihn quasi hervor. 360<br />
Der Selbstentwurf, das Selbstbild und somit auch das Bild von der eigenen Kindheit muss<br />
notwendigerweise der Umwelt mitgeteilt werden. 361 Die biographische Forschung hat sich<br />
dieses Gegenstandes angenommen und ihn methodisch aufgear<strong>bei</strong>tet und verfeinert.<br />
Maßgeblich beeinflusst wurde sie in ihrer Entwicklung auch von der Psychoanalyse, von der<br />
sie sich aber in mehreren Punkten unterscheidet und damit abgrenzt. 362 Die<br />
erziehungswissenschaftliche Biographieforschung begann im Jahr 1978 erst richtig 363 und<br />
wurde vorangetrieben durch BAACKE, LOCH und HENNINGSEN. Ein wichtiger<br />
Wegbereiter in diesem Zusammenhang war auch DILTHEY. SCHULZE bilanziert den<br />
Forschungsstand, gibt Ausblicke und skizziert da<strong>bei</strong> ein reichhaltiges Feld an biographisch<br />
orientierter Forschung in der Pädagogik. 364 Verschiedene Ansätze einer biographische<br />
orientierten Pädagogik nennt SCHULZE und betont damit den Zusammenhang, der zwischen<br />
Biographie, Gesellschaft und Erziehung in der Pädagogik liegt. 365<br />
Ein wichtiger Gegenstand der biographischen Forschung sind die Autobiographien.<br />
HENNINGSEN definiert sie als „...Geschichten von Lernprozessen, gesehen durch<br />
Interpretationsmuster.“ 366 Dies deutet gleichzeitig die Schwierigkeiten autobiographischer<br />
358 vgl. PRANGE, 1989, S. 205ff<br />
359 Ebd., S. 207<br />
360 Vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 61; außerdem in Kapitel 3 BRÜCK und seine These der Provokation<br />
der verbliebenden Kindlichkeit des Lehrers<br />
361 Vgl. FUCHS, 1984, S. 81<br />
362 Vgl. ebd., S. 96f<br />
363 Seit 1978 sei eine „Landschaft erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung“ aufgeblüht; SCHULZE in<br />
BAACKE/ SCHULZE, 1993, S. 13<br />
364 Vgl. ausführlich dazu die Bilanz der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung in: ebd., S. 10-31<br />
365 Vgl. ebd., S. 13<br />
366 HENNINGSEN, 1981, S. 7<br />
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Quellen an, die SCHULZE in der Selektivität und dem Wahrheitsgehalt der vorgebrachten<br />
Erinnerungen sieht. 367<br />
Basismethoden biographischen Forschens sind das Verstehen und Deuten, wie schon<br />
DILTHEY heraushob. 368 „Auf der Grundlage des Erlebens und des Verstehens seiner selbst,<br />
und in beständiger Wechselwirkung <strong>bei</strong>der miteinander, bildet sich das Verstehen fremder<br />
Lebensäußerungen und Personen aus.“ 369 Diese auch für die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der Schule für Schüler<br />
mit LB wichtige Erkenntnis fasst BITTNER so zusammen: „Jedes Erkennen beruht auf der<br />
Differenz.“ 370 Eine paradoxe Situation kann durch Beschäftigung mit der eigenen Biographie<br />
entstehen: wenn man zu sich kommt, kann man zu anderen gelangen. Wenn man sich erkennt,<br />
kann man andere kennen lernen. Wenn man seine Biographie achten lernt, kann man auch<br />
andere Biographien wertschätzen. Denselben Effekt hat auch die Selbstbeobachtung. Durch<br />
das Heraustreten aus sich selbst schafft man eine wohltuende Distanz zu sich und dem<br />
eigenen Standpunkt. 371 Das Forschen setzt also eine Beschäftigung mit sich selbst voraus, was<br />
HERMANN in diese Worte fasst: „Ohne reflektierte pädagogische Selbsterfahrung bleibt<br />
erziehungswissenschaftlich relevantes Forschen und Argumentieren wahrscheinlich<br />
unfruchtbar.“ 372<br />
Doch allzu oft beschäftigt sich der Pädagoge anscheinend nicht mit sich selbst sondern mit<br />
den Kindern. Er entwirft Theorien, Konzepte und Methoden, um dem Kind eine bessere<br />
Erziehung zu verschafften. Aber viele dieser Ansätze leiden an der Ungebundenheit und<br />
Unüberprüfbarkeit der zugrundliegenden Gedanken und dem unrealistischen Bild, das sich<br />
der Pädagoge von der Erziehungssituation macht. Der Pädagoge benimmt sich tatsächlich wie<br />
ein Kind, das er in der Theorie und der Schule sein darf. 373 Gleichzeitig jedoch wird der Raum<br />
für richtige persönliche Offenbarungen in der Schule durch die fortschreitende<br />
Professionalisierung der Didaktik und Methodik mehr und mehr eingegrenzt. Die Lehrer<br />
schweigen von sich, obwohl sie ständig reden. Und die Schüler sollen zum Sprechen über sich<br />
angeregt werden, obwohl sie schweigen müssen. 374 Durch die Beschäftigung mit den eigenen<br />
Begrenzungen und Limitationen kann der Pädagoge lernen, mit Begrenzungen und<br />
Hindernissen im pädagogischen Alltag umzugehen, anstatt sie zu verleugnen und zu<br />
367 „Alles Erinnerte ist transformiert und nichts wird ohne Grund erinnert.“; SCHULZE in<br />
BAACKE/SCHULZE, 1985, S. 58<br />
368 vgl. DILTHEY, 1993 4 , S. 205<br />
369 Ebd., S. 205<br />
370 BITTNER, 1994, S. 24<br />
371 Vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 46<br />
372 Ebd., S. 61<br />
373 Zum Argument „für das Kind“ als Flucht in die Phantasie vgl. PRANGE, a.a.O., S. 212<br />
374 Vgl. ebd., S. 218<br />
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übergehen. 375 Die Innenansicht des Pädagogen ist somit entscheidend für seine<br />
Außen(an)sicht 376 und demnach sollte auch die Pädagogik mehr situations- und<br />
personenbezogen sein als bisher, denn es geht um Menschen! 377<br />
4.3 Ansätze zur biographischen Selbstreflexion des Lehrers für Schüler mit LB<br />
innerhalb und außerhalb des Unterrichts<br />
Pädagogische Ratgeber und berühmte Pädagogen sind sich einig: die Persönlichkeit des<br />
Erziehers ist sein bestes und vor allem immer greifbares Mittel für geliegenden Unterricht.<br />
Die von TAUSCH/ TAUSCH beschriebenen förderlichen Eigenschaften eines Erziehers<br />
greifen MUTZECK/ PALLASCH noch einmal auf. Sie fassen damit auch Forderungen<br />
anderer pädagogischer Richtungen zusammen: einfühlendes Hören der seelischen<br />
Wirklichkeit des Schülers ebenso wie achtungsvolles Sorgen um den Schüler und Echtsein-<br />
Realsein, ohne Fassade. Dies seien wichtige förderliche Merkmale des Erziehers. 378<br />
Doch wie lassen sich die Eigenschaften herstellen, entwickeln und verfeinern? Die Autoren<br />
meinen, dass Selbstverwirklichung, persönliche Reifung, Selbstachtung, Selbstakzeptierung,<br />
innere Sicherheit und Selbstsorge dafür entscheidend seien. Mögliche Wege dort hin stellen<br />
sie unter den Begriff „Lehrertraining“. 379 Die unterschiedlichen Konzepte und Ansätze teilen<br />
sie in unterrichtsorientierte, erziehungs-orientierte und persönlichkeits-orientierte<br />
Trainingskonzepte ein. Einige Beispiele aus den drei Bereichen sind Microteaching,<br />
Situatives Lehrtraining, sequentielles Training didaktischer Fertigkeiten, Video-<br />
Selbsttraining-Programm, Kooperatives Training, Kooperatives Lehrertraining,<br />
Problemorientiertes Lehrertraining und Gestaltorientierte Selbsterfahrung. 380 Speziell<br />
hervorheben möchte ich die Psychodramaar<strong>bei</strong>t mit Lehrern, da diese gezielt durch Spiele aus<br />
der Kindheit an Probleme und Schwierigkeiten des Rückgriffs ansetzt und das Private der<br />
Lehrer einbezieht. 381 Ebenso wichtig ist die Balintgruppenar<strong>bei</strong>t mit Lehrern. Diese<br />
ermöglicht aufgrund verschiedener Informationen zur Erzählung einer Szene ein<br />
gruppeninternes Erleben inklusive Feedback. 382 Es seien hier nur diese Konzepte<br />
375 Vgl. ebd., S. 221<br />
376 Den Begriff der „Innenansicht“ gebraucht HERMANN; vgl. HERRMANN in BERG, 1994 2 , S. 41<br />
377 Dafür plädiert HERRMANN vehement; vgl. ebd., S. 54<br />
378 Vgl. MUTZECK/ PALLASCH, 1983, S. 276<br />
379 Trotz der „inflationären“ Verwendung des Begriffes versuchen sie eine Definition zu geben; vgl. ebd., S. 11f<br />
380 Vgl. ebd., S. 25ff<br />
381 Vgl. ebd., S. 248ff: die Psychodramaar<strong>bei</strong>t (nach MORENO) mit Lehrern (BUBENHEIMER)<br />
382 Vgl. ebd., S. 267ff: Balintgruppen (nach dem Arzt BALINT) mit Lehrern (KÄMPFER)<br />
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angesprochen und herausgegriffen aus der Vielzahl der vorhandenen Ansätze und<br />
Denkrichtungen.<br />
Gemeinsam ist diesen Trainings- und Selbsterfahrungsprogrammen, dass Dinge, Situationen<br />
und Schwierigkeiten nicht nur theoretisch vermittelt, sondern auch praktisch handelnd<br />
erfahrbar gemacht werden. 383 Dies macht laut BAUER auch die „professionelles<br />
pädagogische Kompetenz“ in der Überbrückung der Kluft zwischen Wissen und Können<br />
aus. 384<br />
Ziel aller Bemühungen ist es, die eigenen Anteile erfahrbar und bewußt zu machen und sich<br />
dadurch wieder nahe zu kommen. Ein Zitat der Schriftstellerin Anne WILSON, das<br />
CHOPICH aufgenommen hat, passt in diesem Zusammenhang: „Eine wesentliche<br />
Grundvoraussetzung für Nähe und Intimität lautet: Wir müssen uns selbst nahe sein. Solange<br />
wir Nähe von außen erwarten, werden wir sie niemals richtig erleben und auch nicht fähig<br />
sein, sie mit anderen zu teilen. Wollen wir einem anderen Menschen nahe sein, müssen wir<br />
zunächst einmal wissen, wer wir sind, was wir fühlen, was wir denken, wo unsere Stärken<br />
liegen, was uns wichtig ist und was wir wollen. Wenn wir all das für uns selber nicht wissen,<br />
wie sollen wir denn einen anderen Menschen daran teilhaben lassen?“ 385<br />
4.3.1 Biographische Selbstreflexion außerhalb des Unterrichts<br />
Diesem Kapitel liegt die Konzeption der biographischen Selbstreflexion, die GUDJONS/<br />
PIEPER/ WAGENER vorgestellt haben, zugrunde. Ihrer Meinung nach ist biographische<br />
Selbstreflexion grundsätzlich für alle Menschen tauglich und sinnvoll. Im Verstehen der<br />
eigenen Lebensgeschichte, der Versöhnung mit der eigenen Persönlichkeit und dem Begreifen<br />
gesellschaftlicher Gegebenheiten hat sie ihre Funktion. 386 Für Erzieher und Lehrer liege diese<br />
Beschäftigung mit der eigenen Biographie nahe, so ein Zitat von MOLLENHAUSER: „Weil<br />
wir Kinder nur in Anlogie zu uns selbst verstehen können, liegt es nahe, zunächst über uns,<br />
über Erwachsene nachzudenken.“ 387<br />
383 Über die drei sogenannten „Straßen“: die kognitve (Kopf), die emotionale (Herz) und die aktionale (Hand)<br />
Straße; vgl. ebd., S. 226<br />
384 Er betont, dass zwischen Wissen und Können ein erheblicher Unterschied besteht; vgl. BAUER, 1998, S.<br />
344; siehe dazu auch den Spruch: „Für das Können gibt es nur einen Beweis, das Tun“ von Marie von EBNER-<br />
ESCHENBACH in: Mutterkalender. Offenbach: Burckhardthaus-Laetare Verlag, 2001 (hrsg. vom Bayrischen<br />
Mütterdienst)<br />
385 CHOPICH, 1997 17 , S. 77<br />
386 GUDJONS/ PIEPER/ WAGENER, 1992 2 , S. 11f<br />
387 Ebd., S. 52<br />
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Das Konzept zur biographischen Selbstreflexion basiert auf den Theorierichtungen der<br />
sozialwissenschaftlichen Biographieforschung und der Psychoanalyse. 388 Das Ziel des<br />
Konzeptes besteht aber im Gegensatz zur Psychoanalyse nicht im Abar<strong>bei</strong>ten und Auflösen<br />
von Konflikten, sondern im Aufzeigen, im Sensibilisieren dafür. 389 So wird sie zur Suche<br />
nach Spuren, ähnlich einer archäologischen Grabung durch verschiedene Schichten. 390 Die<br />
Bestandteile dieser Untersuchung sind zum einen psychische Schichten und zum anderen das<br />
Körpergedächtnis, denn die psychosomatische Medizin geht davon aus, dass sich seelische<br />
Verwundungen auch in Krankheiten und körperlichem Unwohlsein ausdrücken können. 391<br />
Neben der Aneignung der eigenen Lebensgeschichte und dem Entdecken unbewußter<br />
Strukturen darin hat die biographische Selbstreflexion auch eine weitgreifendere Funktion, die<br />
als gesellschaftliche Perspektive und Verwobenheit begriffen wird. 392 „Selbstaufklärung statt<br />
Fremdaushorchung“ 393 ist da<strong>bei</strong> die Devise, die handlungsleitend ist. Man kommt durch das<br />
Verstehen des Einzelnen vor dem Ganzen und durch das Verstehen des Ganzen vom<br />
Einzelnen her jedoch in das Problem des hermeneutischen Zirkels, das nur durch<br />
Vorannahmen und Vermutungen und deren Überprüfung und Zurücknahme angegangen<br />
werden kann. 394 Die überspannenden Ziele der biographischen Selbstreflexion sind Verstehen<br />
seiner selbst und damit auch Verstehen von anderen. Desweiteren können daraus<br />
Veränderungsmöglichkeiten und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. Grenzen der<br />
Methode liegen zum einen in der oft fehlenden Möglichkeit, Impulse auf politischer Ebene<br />
einzubringen, die durch die biographische Selbstreflexion angeregt wurden. Ebenso zeigen<br />
sich Limitationen der Methode, wenn es um sehr schmerzhafte Erinnerungen geht, die einer<br />
weiterführenden Therapie bedürfen. 395<br />
Das methodische Vorgehen <strong>bei</strong> der biographischen Selbstreflexion hat verschiedene<br />
Merkmale: Es werden ungewohnte Zugänge zur Lebensgeschichte genommen, Übungen mit<br />
sehr unterschiedlichem Charakter durchgeführt, unterschiedliche Formen der Bear<strong>bei</strong>tung<br />
angeboten (z.B. Gespräche, Texte, Fotos, Poesiealben, Phantasiereise, Körperar<strong>bei</strong>t), eine<br />
Orientierung an kritischen Ereignissen vorgenommen, der Bezug zum alltäglichen<br />
hervorgehoben, ökologische Merkmale des Lernmilieus (z.B. Landschaften) miteinbezogen,<br />
Austausch mit anderen angeregt und gefördert, Deckerinnerungen (FREUD) aufgespürt,<br />
388 Vgl. ebd., S. 17<br />
389 Vgl. ebd., S. 20<br />
390 Vgl. ebd., S. 21<br />
391 Vgl. ebd., S. 22f<br />
392 Vgl. ebd. S. 24f<br />
393 Ebd., S. 26<br />
394 Vgl. ebd., S. 31<br />
395 Diese verstehen die Autoren aber auch als Chance; vgl. ebd., S. 34f<br />
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Praxisforschung betrieben, kommunikatives Verstehen praktiziert, die Bedeutung von<br />
Bezugstheorien gefördert, Übungssequenzen entwickelt und <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit der<br />
Abwehrproblematik als zentrales Element aufgenommen. 396 Die entsprechenden Übungen<br />
dazu gliedern sich in die Bereiche Familie, Kindsein, Schule, Ausbildung/ Beruf,<br />
Zeitgeschichtlicher Kontext, Selbstbild, Körper, Frausein-Mannsein, Lebensgeschichte im<br />
Überblick, allgemeine Übungen und Aufwärm-/ Kennenlernübungen. 397<br />
Neben diesem Prozess der Introspektion heben die Autoren hervor, dass der äußere Rahmen<br />
nicht vernachlässigt werden darf. Bewußte und unbewußte Handlungen des Lehrers sind stets<br />
auch „psychischer Niederschlag der äußeren Bedingungen, des Berufsfeldes und der Rolle“<br />
als Lehrer. 398 Diese gesellschaftliche Komponente kommt <strong>bei</strong> Lehrern für Schüler mit LB<br />
besonders deutlich zutage. 399<br />
4.3.2 Biographische Selbstreflexion im Unterricht mit Schülern mit LB<br />
„Das ‘Bekanntmachen’ mit einer anderen, das ‘Überstülpen“ mit einer fremden Lebenswelt,<br />
deren kulturelle Normen und Werte erheblich von der familialen Lebenswelt der Schüler<br />
abweichen, erreicht seinen Zweck nur vordergründig, unzureichend und konformistisch.“ 400<br />
Diese Aussage gilt es auch zu berücksichtigen, wenn an biographische Selbstreflexion im<br />
Unterricht mit Schüler mit LB gedacht wird. Gerade die biographische Selbstreflexion kann<br />
das ermöglichen, was normaler Unterricht nicht vermag: Schüler und Lehrer gleichermaßen<br />
anregen und bewegen, damit sie sich aufeinander zu bewegen können. Dies kann vor dem<br />
Hintergrund biographischer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> gelingen.<br />
Ein Konzept hierzu stellt ROGAL vor 401 und er nimmt da<strong>bei</strong> Bezug zum bereits<br />
angesprochenen Konzept der biographischen Selbstreflexion von GUDJONS/ PIEPER/<br />
WAGENER. Trotzdem nimmt er eine Abgrenzung dieser Methode zu der von ihm<br />
entwickelten in zwei Punkten vor. Zum einen, wenn biographische Selbstreflexion zu tief<br />
nach innen dringt, z.B. in Richtung Therapie, und wo sie zu sehr nach außen dringt, z.B. in<br />
Hinsicht auf die politische Einstellung. 402 Dem Konzept zugrunde liegen hauptsächlich die<br />
biographische Selbstreflexion (GUDJONS/ PIEPER/ WAGENER), die subjektorientierte<br />
politische Bildung (HOPPE) und das biografische Lernen im Pädagogikunterricht<br />
396 Vgl. ebd., S. 37ff<br />
397 Aus dem Inhaltsverzeichnis übernommen; vgl. ebd., S. 6<br />
398 Ebd., S. 55<br />
399 Vgl. Kapitel 3 und insbesondere Kapitel 3.5<br />
400 WAGNER, 1997, S. 21<br />
401 Vgl. ROGAL, 1999<br />
402 Vgl. ebd., S. 20<br />
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(STILLER). 403 Er entwickelt auf diesen Grundlagen sein Konzept vom biographischen<br />
Lernen, das er so definiert: „‘Biographisches Lernen’ definiere ich als durch Bezug eines<br />
Sachinhalts auf Aspekte der eigenen Lebensgeschichte sich ergebende Reflexions- und<br />
Erkenntnisprozesse.“ 404 Seiner Meinung nach drücken sich pädagogische Probleme in der<br />
Lebensgeschichte aus und werden somit deutbar und verstehbar. Da pädagogische Sachinhalte<br />
einen inhaltlichen sowie einen biographischen Aspekt haben, sind sie besonders geeig<strong>net</strong>,<br />
eigene Erfahrungen bildungswirksam werden zu lassen. Biographisches Lernen ist demnach<br />
ein Beitrag zu einem subjektorientierten Unterricht. 405 Den Nutzen von biographischen<br />
Lernen sieht ROGAL darin, dass „Biographisch Lernenden [..] in besonderem Maße ihre<br />
Individualität, ihre Interessen, ihre Befindlichkeit in den Unterricht integrieren und damit<br />
ihren Lernprozessen ein persönliches einmaliges Profil verleihen“ können. 406 Impulse und<br />
Übungen für dieses biographische Lernen sind unter anderem Schulhefte, Zeugnisse, Schul-<br />
Bilder, Schulfächer, Schulszenen, Tagebücher, Schul-Karriere, Lebenslinie, Mind-Mapping<br />
und Schul-Fotos.<br />
Wie sich dieses Konzept auf die Schule für Schüler mit LB übertragen läßt liegt auf der Hand:<br />
da die Schüler mit LB häufig eine sehr schmerzvolle, oft demütigende und meistens von<br />
negativen Erlebnissen in der Schule und außerhalb geprägten ‘Karriere’ mitbringen, ist die<br />
Notwendigkeit, sich damit zu beschäftigen enorm groß. FISCHER hat entsprechende<br />
Versuche dokumentiert und ein mögliches Konzept dargelegt. 407 Wie Hartmut von HENTIG<br />
bereits sagt, den ROGAL zitiert: „Wir müssen es mit den Lebensproblemen der Schüler<br />
aufnehmen, bevor wir ihre Lernprobleme lösen können.“ 408 Dies gilt für alle Schularten aber<br />
vor allem für die Schule für Schüler mit LB. Da<strong>bei</strong> begibt sich der Lehrer in fremde<br />
Biographien, in fremde Welten für ihn. Dies stellt eine ungemeine Herausforderung für den<br />
Lehrer dar 409 , doch oft entstehen Wege <strong>bei</strong>m Gehen 410 und der Lehrer wird sicherlich mehr<br />
erfahren über sich, die Gesellschaft und die Welt, wenn er sich mit Biographien beschäftigt.<br />
403 Vgl. ebd., S. 16ff<br />
404 Ebd., S. 21<br />
405 Vgl. ebd., S. 42<br />
406 Der Fettdruck des Zitates wurde nicht übernommen; ebd., S. 58<br />
407 Vgl. FISCHER, 1975<br />
408 ROGAL, 1999, S. 48<br />
409 Vgl. GARLICHS, 2000, S. 50<br />
410 „Wege entstehen <strong>bei</strong>m Gehen.“; ein Zitat von MEYER das ROGAL verwendet; ROGAL, 1999, S. 115<br />
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4.4 Selbsterziehung als Kompetenz des Lehrers für Schüler mit LB<br />
Über den Begriff ‘Kompetenz’ gibt es unterschiedliche Definitionen und Deutungsversuche.<br />
In der Pädagogik tritt dieser Terminus vermehrt auf, um die Qualitäten eines Pädagogen<br />
hinsichtlich verschiedener, sein pädagogisches Handeln betreffender, Bereiche fassbar zu<br />
machen. An anderer Stelle wird von einem „professionellen Selbst“ 411 gesprochen oder<br />
einfach die Persönlichkeit des Erziehers als zentrales Element seines pädagogischen Handelns<br />
dargestellt. Dass die Persönlichkeitsentwicklung des Erziehers impulsierend auf das Kind<br />
wirken kann, leuchtet ein: „Wer, wenn nicht ein in Entwicklung Befindender, sollte einen<br />
anderen Menschen anregen können, sich ebenfalls zu entwickeln?“ 412 sagt GRIMM in der<br />
Einleitung zu einem Buch, das die Selbsterziehung des Erziehers zum Thema hat.<br />
Die Selbsterziehung als wichtige Kompetenz des Erziehers sieht MOOR als Prozess, ebenso<br />
wie BAUER. Für diesen entsteht Lehrerprofessionalität „im Medium der Lehrerar<strong>bei</strong>t, ist also<br />
nicht nur Qualifizierung, sondern Subjektwerdung.“ 413 Somit können sich verschiedene<br />
Begriffe wie Persönlichkeitsentwicklung, Selbsterkenntnis, Selbstentwicklung,<br />
Subjektwerdung, biographische Selbstreflexion zu einer biographischen Kompetenz vereinen,<br />
die den Lehrer zu sich und zu seiner Kindheit führt und ihm damit auch die Tür öff<strong>net</strong> zu<br />
seinen Schülern, zu ihren Kindheiten und Biographien.<br />
Diese Öffnung kann für den Lehrer für Schüler mit LB unheimlich befruchtend wirken, hat er<br />
doch ein sehr große Herausforderung vor sich, die GRIMM mit einem Zitat von MOOR so<br />
beschreibt: „Gerade in der Heilpädagogik müssen wir ermessen können, welchen<br />
Hindernissen unsere Schüler ihre Entwicklungsschritte abringen müssen.“ 414<br />
Auf den Punkt bringt Martin BUBER diese mögliche biographische Kompetenz, die MOOR<br />
zitiert: „Bei sich selbst beginnen, aber nicht <strong>bei</strong> sich enden; von sich ausgehen, aber nicht auf<br />
sich abzielen; sich erfassen, aber sich nicht mit sich befassen.“ 415<br />
4.5 Mögliche Impulse für die Lehrerausbildung<br />
Die Einbeziehung der Persönlichkeit in die Lehrerbildung 416<br />
ist eine zentrale Forderung, die<br />
sich aus dem bisher gesagten ergibt. Sich selbst zu erkennen und anzunehmen sollten somit<br />
411 vgl. BAUER, 1998, S. 353 und seine Definition vom „pädagogischen Handlungsrepertoire“<br />
412 GRIMM in GRIMM, 1998, S. 8<br />
413 Vgl. BAUER, 1998, S. 355<br />
414 GRIMM, 1998, S. 8<br />
415 MOOR, 1969 2 , S. 500<br />
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auch Ziele der Ausbildung zum Lehramt sein, das damit auch eine umfassende<br />
Persönlichkeitsbildung und -entwicklung anstrebt. Der Drang zur Ganzheit und zur<br />
Integration biographischer Erfahrungen steht da<strong>bei</strong> im Vordergrund und sollte auch in<br />
fachlichen Seminaren berücksichtigt werden. Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an und mit Gefühlen aller Art ist<br />
darüber hinaus entscheidend für einen Lernerfolg, der durch unbewußte Konflikte blockiert<br />
werden kann.<br />
BRÜCK hat ein Modell dazu eindrucksvoll geschildert und gezeigt, wie Gefühle aus der<br />
eigenen Schulzeit, Ängste und Konflikte mit Autorität produktiv genutzt und anschließend in<br />
der Praxis bear<strong>bei</strong>tet werden konnten. 417<br />
Die Auseinandersetzung mit fremden Kindern, und das sind die Schüler ohne Zweifel, setzt<br />
die Kenntnis einer Kluft voraus, 418 die zwischen dem Lehrer und Schüler besteht. Diese Kluft<br />
sollte auch in der Lehrerausbildung thematisiert und da<strong>bei</strong> Verständnis für die eigenen Anteile<br />
bzw. Standpunkte am Rand der Kluft geweckt werden. Insbesondere die zukünftigen Lehrer<br />
für Schüler mit LB stehen vor dieser Kluft und müssen diese anschaulich erfassen können.<br />
HILLER gelang dies durch fiktive Beispiele von ungünstigen Lebenssituationen ehemaliger<br />
Sonderschüler, in deren Lage sich die Studenten versetzen sollten. 419<br />
Die biographische Selbstreflexion, das biographische Lernen und die biographische<br />
Kompetenz des Pädagogen befördern mehr Fragen an die Ausbildung, als sie in dieser zu<br />
lösen vermögen. Damit aber ist schon ein entscheidender Schritt getan. Denn Fragen nach<br />
dem woher und wohin, nach dem wie und warum, nach dem Werden und dem Sein, sind<br />
entscheidend für jede Weiterentwicklung. Und <strong>bei</strong> dieser kann jeder Pädagoge <strong>bei</strong> sich selbst<br />
anfangen und sich Fragen stellen (lassen).<br />
4.6 Zusammenfassung<br />
Es wurde die Notwendigkeit der professionellen Beschäftigung mit der eigenen Kindheit und<br />
Biographie des Lehrers für Schüler mit LB erläutert und begründet und der Rahmen dafür, die<br />
pädagogische Biographieforschung, kurz vorgestellt. Es wurde versucht, verschiedene<br />
Begriffe in einen größeren Zusammenhang zu stellen und aufeinander zu beziehen.<br />
Grundzüge einer subjektorientierten biographischen Pädagogik wurden angedeutet und für<br />
416 Vgl. die Einteilung von STIEFEL; STIEFEL, 1988, S. 3<br />
417 Vgl. BRÜCK, 1979<br />
418 Vgl. das Bild von der Kluft in Kapitel 3.2 und 3.3<br />
419 Vgl. HILLER, 1989<br />
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notwendig erachtet. In einem übergreifenden Sinne wurde Lehrertraining beschrieben als<br />
Möglichkeit, Selbstverwirklichung und förderliche Eigenschaften zu entwickeln und da<strong>bei</strong><br />
einige Ansätze genannt und vorgestellt.<br />
Ein konkretes Modell zur biographischen Selbstreflexion wurde dargelegt und mit Zielen,<br />
Grenzen Merkmalen, Funktionen, Bestandteilen und Übungen erläutert. Diese Konzept steht<br />
für die biographische Beschäftigung außerhalb des Unterrichts wohingegen das Konzept des<br />
biographischen Lernens als ein Modell für den Unterricht vorgestellt wurde. Im Anschluß an<br />
diese Konzeptionen wurde der Begriff der Selbsterziehung näher beleuchtet und auf die<br />
Heilpädagogik bezogen. Der Begriff der ‘biographischen Kompetenz’ entwickelte sich aus<br />
diesen Überlegungen heraus. Zum Schluß wurden mögliche Impulse und Anregungen für eine<br />
persönlichkeitsorientierte Lehrerausbildung genannt und ausgeführt.<br />
5. Schluß<br />
Wenn ich mir die bisherigen Ausführungen noch einmal vor Augen halte, entwickelt sich ein<br />
Bild, ähnlich dem, wie es ein Flugzeugpilot von oben auf die Landschaft unter sich haben<br />
muss. Eine Landschaft mit etlichen Wegmarken und Begrenzungen, aber auch mit<br />
reichhaltigen Eindrücken und Aussichtspunkten, die zum Verweilen einladen. Vielleicht<br />
erscheint diese Landschaft und der Weg durch sie auf den ersten Blick wie eine Odyssee<br />
durch Täler und Hügel. Daher möchte ich den Weg zusammenfassend beschreiben, so wie ich<br />
ihn erlebt habe.<br />
Jeder Mensch hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Der Ausgangspunkt für meine Überlegungen war die These, dass ein grundlegender<br />
Zusammenhang zwischen Kindheit und dem weiteren Lebenslauf eines Menschen besteht.<br />
Dies wurde anhand verschiedener Theorien untermauert und zugleich wichtige Felder<br />
kindlichen Erlebens herausgehoben. Da<strong>bei</strong> waren vor allem die Psychoanalyse und die<br />
Sozialisationstheorien Wegweiser durch das Terrain der Kindheitswelten. Ein wichtiger<br />
Wegbegleiter wurde auch das Bild vom inneren Kind, das den Zusammenhang zwischen<br />
Verletzungen aus der Kindheit und späterem Verhalten als Erwachsener anschaulich<br />
darstellen konnte. Bei den weiteren Ausführungen konnte anhand dieses Modells das<br />
Zusammenspiel zwischen Kindheit und erwachsenem Verhalten besser eingeord<strong>net</strong> werden.<br />
Mit diesen gedanklichen Proviant ausgestattet ging es weiter in die Kindheit von Lehrern.<br />
Jeder Lehrer hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
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In diesem neuen Abschnitt sollte der Frage nachgegangen werden, wie sich<br />
Kindheitserfahrungen im Verhalten des Lehrers ausdrücken. Die Zusammenhänge aus dem<br />
ersten Kapitel waren <strong>bei</strong> diesem Transfer von entscheidender Bedeutung ebenso wie<br />
lehrerbiographische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>en. Es konnte gezeigt werden, dass Lehrer sogar in erhöhtem Maße<br />
beeinflusst sind von ihrer Kindheit, auch aufgrund der Tatsache, dass sie es in ihrer täglichen<br />
<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Vor allem in den Bereichen Familie,<br />
eigene Schulzeit und gesellschaftliche Herkunft konnten signifikante Zusammenhänge<br />
ermittelt werden. Damit ist der Lehrer in einer exponierten Situation, was seine eigene<br />
Kindheit und deren Reflexion anbetrifft. Drei Stolpersteine, die dem Lehrer den Weg<br />
erschweren können, wurden hervorgehoben und in ihrer Wirkung auf den Lehrer und die<br />
Schüler beschrieben. Die grundlegende These, die damit belegt werden konnte ist: der Einfluß<br />
der eigenen Kindheit ist erheblich und zeigt sich auch in der Schule! Das war von diesem<br />
Punkt aus gut zu überblicken.<br />
Jeder Lehrer für Schüler mit LB hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Der Aufstieg vom vorherigen Standort geschah durch die Betrachtung der pädagogischen<br />
Beziehung und ihrer Bedeutung für die Schule für Schüler mit LB. Es konnte gezeigt werden,<br />
dass diese pädagogische Beziehung ein Grundelement pädagogischen Handelns und somit<br />
auch Bestandteil des sonderpädagogischen Handelns ist. Diese Vorannahme war wichtig für<br />
das nun folgende Gebiet. In den vertrauten und fremden Kindheiten des Lehrers für Schüler<br />
mit LB erstreckte sich so etwas wie ein Dschungel, der die Lehrer und Schüler sich immer<br />
mehr verlieren ließ bis sich eine Lichtung auftat, hinter der eine Kluft zum Vorschein kam.<br />
Die Kluft zwischen Lehrer und Schüler mit LB aufgrund verschiedener Kindheiten spannte<br />
sich vom einen Ende zum anderen und ließ kaum noch Zweifel daran, dass Lehrer und<br />
Schüler mit LB tatsächlich weit voneinander entfernt sind. Nach dieser Erkenntnis wurde die<br />
Kluft behutsam vermessen und ihre Beschaffen- und Gewordenheit untersucht.<br />
Jeder Schüler mit LB hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Da<strong>bei</strong> standen die Kindheit des Lehrers für Schüler mit LB und auch deren Kindheit im<br />
Blickpunkt. Denn oft zeigte sich die Kluft deutlicher durch den Kontrast, den man in der<br />
Gegenüberstellung der <strong>bei</strong>den erkannte. Man befand sich nun in unterschiedlichen<br />
Spannungsfeldern, welche die möglichen Konflikte differenter Kindheiten offenbarten.<br />
Wegmarken, die das Terrain absteckten waren da<strong>bei</strong> Thesen, die auf eine These vereinfacht<br />
werden können: Lehrer für Schüler mit LB sind Menschen, die in der Regel eine andere<br />
Kindheit erlebt haben als ihre Schüler und aufgrund dieser Tatsache von ihnen geistig<br />
entfernt sind. Es wurden jedoch auch Chancen aufgezeigt und ebenso wurde nach der<br />
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erfolgten Untersuchung der Kluft ein Modell skizziert, mit dem sich die Kluft überbrücken<br />
ließe. Dem zugrunde lag die Erkenntnis, dass die Kluft überbrückt werden müsse, um<br />
pädagogisches Handeln und eine pädagogische Beziehung überhaupt zu ermöglichen. Die<br />
Überquerung der Kluft gewährte danach einen weiten Blick hinüber in die gesellschaftliche<br />
Spannung der Thematik und die Diskussion der Begriffe ‘Lernbehinderung’ und ‘Norm’.<br />
Jeder Lehrer (für Schüler mit LB) kann seine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst,<br />
reflektieren.<br />
Nach dem Zurücklegen des Weges bis dahin war deutlich geworden, dass der Lehrer einer<br />
Reflexion der eigenen Kindheit bedarf, um unbewußte Konflikte bewußt zu machen,<br />
pädagogische Beziehungen zu ermöglichen und sein (sonder-) pädagogisches Handeln zu<br />
professionalisieren. Die Notwendigkeit einer professionellen Selbstreflexion des Lehrers<br />
wurde verdeutlicht und der Rahmen, in dem sich diese abspielt, aufgezeigt. Die pädagogische<br />
Biographieforschung dient in diesem Zusammenhang als Reservoir an autobiographischen<br />
und anderen Quellen und darüber hinaus methodischen Zugängen, um sich einer<br />
selbstreflexiven Praxis anzunähern. Zwei konkrete Möglichkeiten zu einer<br />
Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit wurden diskutiert und andere wurden genannt.<br />
Der Frage, ob biographische Selbstreflexion eine sonderpädagogische Kompetenz ist, konnte<br />
nur ansatzweise nachgegangen werden. Da<strong>bei</strong> wurde der Begriff der biographischen<br />
Kompetenz gleichsam als Souvenir und vielleicht auch Kuriosität aus dieser Gegend<br />
mitgenommen, und damit ein Impuls für weiteres Forschen in diesem Bereich gegeben.<br />
Mögliche Anregungen für die Lehrerbildung wurden gesucht und diese auch als entscheidend<br />
im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung der angehenden Lehrer erachtet.<br />
Jeder Student hat eine Kindheit, die ihn prägt und beeinflusst.<br />
Damit wäre man wieder angekommen auf diesem imaginären Rundgang durch diese <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />
und deren gedanklicher Landschaft. Für mich war diese Wanderung Abenteuer und Ausflug<br />
zugleich. Abenteuer aufgrund der oft schwierigen Literaturlage und der damit erschwerten<br />
Gliederung des Materials. Ausflug deshalb, weil ich viele sehenswerte und neue<br />
Aussichtspunkt in meinem Denken erreicht habe und am Ende wohlbehalten an meinem Ziel<br />
angekommen bin. Natürlich habe ich auch viel über meine Kindheit und deren Einfluß auf<br />
mein Handeln nachgedacht und daher denke ich, dass letztlich Forschen nach etwas Neuem<br />
immer auch Forschen nach sich und neuen Seiten an sich bedeutet.<br />
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6. Literaturverzeichnis<br />
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München: Heyne, 1997<br />
• ASPER, 1989, Kathrin: Von der Kindheit zum Kind in uns: Lebenshilfe aus dem<br />
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• BAIER, Herwig: Untersuchung zum Selbstbild des Sonderschullehrers; Bericht über<br />
eine pilot study. In: Zeitschrift Heilpädagogik 23 (1972) 10, S. 665-683<br />
• BAIER, Herwig: Das soziale Rekrutierungsfeld der Sonderschullehrer. In: Zeitschrift<br />
für Heilpädagogik 26 (1975) 11, S. 681-690<br />
• BAIER, Herwig: Marginalien zur Position und Rolle des Lehrers an der Sonderschule<br />
für Lernbehinderte. In: BAIER, Herwig/ KLEIN, Gerhard (Hrsg.): Aspekte der<br />
Lernbehindertenpädagogik: einführende Texte. Berlin: Marhold, 1975 2<br />
• BÄRSCH, Walter: Die Familie muß es verar<strong>bei</strong>ten; Über die Auswirkungen des<br />
Sitzenbleibens auf Kinder und Eltern. In: Westermann Pädagogische Beiträge 38<br />
(1987) 4, S. 26-28<br />
• BAUDE, Norbert: Zur Rollenproblematik des Sonderschullehrers: systemimmanente<br />
Konfliktsituationen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 26 (1975) 1, S. 16-23<br />
• BAUER, Karl-Oswald: Pädagogisches Handlungsrepertoire und professionelles Selbst<br />
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359<br />
• BEGEMANN, Ernst: Die Erziehung der sozio-kulturell benachteiligten Schüler.<br />
Hannover; Berlin; Darmstadt; Dortmund: Schroedel, 1970<br />
• BEGEMANN, Ernst: ‘Sonderpädagogen’ in besonderer Situation: Sie müssen für das<br />
miteinander befähigt werden! In: BEGEMANN, Ernst/ KRAWITZ, Rudi (Hrsg.):<br />
Sonderpädagogik für Nichtbehinderte. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlags-Gesellschaft,<br />
1994, S. 200-215<br />
• BERNE, Eric: Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen.<br />
Reinbek. b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1995<br />
• BERNFELD, Siegfried: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt a.M.:<br />
Suhrkamp, 1976 2<br />
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BITTNER, Günther (Hrsg.): Biographien im Umbruch: Lebenslaufforschung und<br />
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Behinderte: Monographie zum Sonderschullehrer. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz:<br />
Kohlhammer, 1978<br />
• BLOEMERS, Wolf: Unbewußte, verschlüsselte Gefühlsbotschaften im Unterricht mit<br />
sogenannten Lernbehinderten; belastende Verständigungskonflikte und<br />
tiefenpsychologische Verstehenshilfen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 46 (1995) 5,<br />
S. 212-219<br />
• BÖHM, Winfried: Wörterbuch der Pädagogik. (Begr. von Wilhelm Hehlmann)<br />
Stuttgart: Kröner, 1994 14<br />
• BRÜCK, Horst: Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler: zur Problematik<br />
verbliebender Kindlichkeit in der Unterrichtsar<strong>bei</strong>t des Lehrers; ein Modell. Reinbek<br />
b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1979<br />
• BRUNNER, Reinhard: Lehrerverhalten: Theorien, Bedingungen, Merkmale und<br />
Zusammenhänge mit dem Verhalten und der Leistung von Schülern. Paderborn:<br />
Schöningh, 1978<br />
• BÜHLER, Charlotte/ SCHENK-DANZINGER, Lotte/ SMITTER, Faith:<br />
Kindheitsprobleme und der Lehrer. Wien; München: Jugend und Volk, 1959<br />
• BURI, Beat: Lernbiografien in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung:<br />
unterrichtskritische Studie zum Stellenwert persönlicher Lernerfahrungen in der<br />
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• CASELMANN, Christian: Wesensformen des Lehrers: Versuch einer Typenlehre.<br />
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• CHASIOTIS, Athanasios: Kindheit und Lebenslauf: Untersuchungen zur<br />
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Huber, 1999<br />
• CHOPICH, Erika J.: Aussöhnung mit dem inneren Kind. Berlin: Ullstein, 1997 17<br />
• COMBE, Arno: Alles Schöne kommt danach: die jungen Pädagogen - Lebensentwürfe<br />
und Lebensgeschichten der Nachkriegsgenerationen; eine sozialpsychologische<br />
Deutung. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1983<br />
• DENECKE, Wulf: Biographische Thesen des Autors. In: Pädagogische Beiträge 38<br />
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• DILTHEY, Wilhelm: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den<br />
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• EBERWEIN, Hans: Lernbehinderung - eine negativ sanktionierende<br />
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• EBERWEIN, Hans (Hrsg.): Handbuch Lernen und Lernbehinderungen:<br />
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• FISCHER, Ottmar: Lernbehinderung als Gegenstand des Unterrichts. In:<br />
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• FISCH, Heinrich (Hrsg.): Abiturwissen Sozialwissenschaften; Weltbild Kolleg.<br />
Augsburg: Weltbild, 1992<br />
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• FUCHS, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden.<br />
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• GARLICHS, Ariane: Schwierige Schüler und ihre Lehrer. In: Grundschule 17 (1985)<br />
7/8, S. 44-49<br />
• GARLICHS, Ariane: Schüler verstehen lernen: Das Kasseler Schülerhilfeprojekt im<br />
Rahmen einer reformorientierten Lehrerausbildung. Donauwörth: Auer, 2000<br />
• GIESECKE, Hermann: Pädagogik als Beruf: Grundformen pädagogischen Handelns.<br />
Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1992<br />
• GIESECKE, Hermann: Die pädagogische Beziehung: pädagogische Professionalität<br />
und die Emanzipation des Kindes. Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1997<br />
• GRAF-DESERNO, Susanne: Gestörtes Lernen - Gestörte Beziehungen. Bensheim:<br />
päd.-extra-Buchverlag, 1981<br />
• GRELL, Jochen: Techniken des Lehrerverhaltens. Weinheim; Basel: Beltz, 1995<br />
• GRIMM, Rüdiger: Einführung. In: GRIMM, Rüdiger (Hrsg.): Selbstentwicklung des<br />
Erziehers in heilpädagogischen Aufgabenfeldern: die Idee der Selbsterziehung<br />
<strong>bei</strong> H. Nohl, P. Moor, J. Muth, J. Korczak und R. Steiner. Luzern: Ed. SZH/SPC,<br />
1998, S. 7-11<br />
• GRUNWALD, Arno: Empirische Untersuchung zu Meinungen und Ansichten von<br />
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• GUDJONS, Herbert/ PIEPER, Marianne/ WAGENER, Birgit: Auf meinen Spuren:<br />
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pädagogische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Selbsterfahrung. Hamburg: Bergmann und Helbig, 1992 2<br />
• GUDJONS, Herbert: Pädagogisches Grundwissen: Überblick - Kompendium -<br />
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• HARRIS, Christine A.: Mein Schwangerschaftstagebuch: die 206 Tage vor der Geburt<br />
des Kindes. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 2000<br />
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• HEMMINGER, Hansjörg: Kindheit als Schicksal?: Die Folgen frühkindlicher<br />
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• HERRMANN, Ulrich: „Innenansichten“; Erinnerte Lebensgeschichte und<br />
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• HOFMANN, Christiane: Psychoanalytische Aspekte der Lernstörungen und<br />
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• HÖHN, Elfriede: Der schlechte Schüler: sozialpsychologische Untersuchungen über<br />
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• HUBER, Günter L.: Finden oder suchen?: Lehren und Lernen in Zeiten der<br />
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• HURRELMANN, Klaus/ JAUMANN, Olga: Sozialisations-und<br />
interaktionstheoretische Konzepte in der Behindertenpädagogik. In: BLEIDICK,<br />
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• JANTZEN, Wolfgang/ PROBST, Holger/ BEZECNY, Dieter/ HERGET, Wolfram:<br />
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• JEGGE, Jürg: Dummheit ist lernbar: Erfahrungen mit „Schulversagern“. Reinbek b.<br />
Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1983<br />
• KAPLAN-WILLIAMS, Strephon: Im Garten des Herzens: die Kindheit als Schlüssel<br />
zu persönlichem Wachstum. München: Kösel, 1993<br />
• KERSCHENSTEINER, Georg: Die Seele des Erziehers und das Problem der<br />
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• KLEIN, Gerhard: Lernbehinderte Kinder und Jugendliche: Lebenslauf und Erziehung.<br />
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• KLEIN, Ulrich: Lehrertypen: Persönlichkeitsstruktur der Lehrer und<br />
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• KLEMM, Klaus: Die Bildungsbe(nach)teiligung ausländischer Schüler in der<br />
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• KORCZAK, Janusz: Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen: Vandenhoeck und<br />
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• LENZEN, Dieter: Mythologie der Kindheit. Die Verewigung des Kindlichen in der<br />
Erwachsenenkultur - Verstecke Bilder und vergessene Geschichten. Reinbek b.<br />
Hamburg Rowohlt-Verlag, 1985<br />
• MAND, Johannes: Lernbehinderung als soziale Benachteiligung In: EBERWEIN,<br />
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• MANN, Iris: Schlechte Schüler gibt es nicht: Initiativen für die Grundschule.<br />
Weinheim; Basel: Beltz, 1989 4<br />
• MANN, Iris: Die Kraft geht von den Kindern aus: eine stufenweise Befreiung von der<br />
Lehrerrolle. Weinheim; Basel: Beltz, 1989 6<br />
• MANSKE, Christel: Lernbehinderung ist gebrochener Stolz. In: EBERWEIN, Hans<br />
(Hrsg.): Handbuch Lernen und Lernbehinderungen: Aneignungsprobleme - neues<br />
Verständnis von Lernen - Integrationspädagogische Lösungsansätze. Weinheim;<br />
Basel: Beltz: 1996, S. 157-164<br />
• MILLER, Alice: Am Anfang war Erziehung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1983<br />
• MISSILDINE, Hugh W.: In dir lebt das Kind, das du warst. Stuttgart: Klett-Cotta,<br />
1986 5<br />
• MOOR, Paul: Heilpädagogik. Bern; Stuttgart: Verlag Hans HUBER, 1999, 1969 2<br />
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• MUTH, Jakob: Pädagogischer Takt. Essen: Neue deutsche Schule, 1982<br />
• MUTZECK, Wolfgang/ PALLASCH, Waldemar (Hrsg.): Handbuch zum<br />
Lehrertraining: Konzepte und Erfahrungen. Weinheim; Basel: Beltz, 1983<br />
• NEIDHARDT, Wolfgang: Kinder, Lehrer und Konflikte: vom psychoanalytischen<br />
Verstehen zum pädagogischen Handeln. München: Juventa-Verlag, 1977<br />
• NEUßER, Martina: „Man hat mich doof, behindert und Spastiker genannt“:<br />
Biographische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Analphabeten. In: Pädagogische Beiträge (1987) 10, S. 24-<br />
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• NICKEL, Horst: Psychologie des Lehrerverhaltens. München; Basel: Ernst Reinhardt<br />
Verlag, 1978<br />
• NIEMEYER, August Hermann: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts für<br />
Eltern, Hauslehrer und Erzieher. (unveränderter Nachdruck der 1. Auflage Halle,<br />
Waisenhaus-Buchhandlung, 1796. Hrsg. von Hans-Hermann Groothoff und Ulrich<br />
Hermann) Paderborn: Schöningh, 1970<br />
• PRANGE, Klaus: Pädagogische Erfahrung: Vorträge und Aufsätze zur Anthropologie<br />
des Lernens. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag, 1989<br />
• RÄUBER, Gisbert: Die Lehrerpersönlichkeit im offenen schlülerorientierten<br />
Unterricht der Schule für lernbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche. In:<br />
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• RENNER, Erich (Hrsg.): Kinderwelten: pädagogische, ethnologische und<br />
literaturwissenschaftliche Annäherungen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1995<br />
• RICHTER, Horst E.: Flüchten oder Standhalten. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1976<br />
• ROGAL, Stefan: Schul-Spuren: Möglichkeiten biographischen Lernens im<br />
Pädagogikunterricht. Hohengehren: Schneider-Verlag, 1999<br />
• ROHR, Barbara: Mädchen - Frau - Pädagogin: Texte zu Problemen der<br />
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• SCARBATH, Horst G.: Selbsttäuschungen im Lehrberuf: psychoanalytisches<br />
Verstehen als Selbstaufklärung. In: Pädagogik 51 (1999) 9, S. 16-20<br />
• SCHENK-DANZINGER, Lotte: Entwicklungspsychologie. Wien: Österreichischer<br />
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• SCHMIDBAUER, Wolfgang: Hilflose Helfer: über die seelische Problematik der<br />
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• SCHONIG, Bruno/ du BOIS-REIMOND, Manuela (Hrsg.): Lehrerlebensgeschichten:<br />
Lehrerinnen und Lehrer aus Berlin und Leiden (Holland) erzählen. Weinheim; Basel:<br />
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• SCHRAML, Walter J.: Einführung in die Tiefenpsychologie für Pädagogen und<br />
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• SCHULZE, Theodor: Lebenslauf und Lebensgeschichte. Zwei unterschiedliche<br />
Sichtweisen und Gestaltungsprinzipien biographischer Prozesse. In: BAACKE, Dieter/<br />
SCHULZE, Theodor (Hrsg.): Pädagogische Biographieforschung: Orientierungen,<br />
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• SCHULZE, Theodor: Biographische orientierte Pädagogik. In: BAACKE, Dieter/<br />
SCHULZE, Theodor (Hrsg.): Aus Geschichten lernen: zur Einübung pädagogischen<br />
Verstehens. Weinheim; München: Juventa-Verlag, 1993<br />
• SCHULZ von THUN, Friedemann: Miteinander reden 3: das „Innere Team“ und<br />
situationsgerechte Kommunikation. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt-Verlag, 1999<br />
• SINGER, Kurt: Unbewußte Konflikte der Lehrerpersönlichkeit als Störung der<br />
pädagogischen Beziehung: Anregungen zur Selbstbesinnung des Lehrers. In:<br />
GUDJONS, Herbert/ REINERT, Gerd-Bodo (Hrsg.): Lehrer ohne Maske?:<br />
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• SINGER, Kurt: Lehrer-Schüler-Konflikte gewaltfrei regeln:<br />
„Erziehungsschwierigkeiten“ und Unterrichtsstörungen als BEziehungs-<br />
Schwierigkeiten bear<strong>bei</strong>ten. Weinheim; Basel: Beltz, 1988<br />
• SPRINGER, Katharina: Ich seh dich: Lesebuch für einen individuellen,<br />
entwicklungsfördernden und heilsamen Unterricht. Linz: Veritas, 1990<br />
• STIEFEL, Regula: Persönlichkeitsbildung al Grundanliegen in der Lehrerausbildung:<br />
Begründung und Bildungskonzeption, Darstellung und Untersuchungen eines offenen<br />
Modells. Bern; Stuttgart: Haupt, 1988<br />
• STONE, Hal/ STONE, Sidra: Du bist viele: das 100fache Selbst und seine Entdeckung<br />
durch die Voice-Dialogue-Methode. München: Heyne, 1994<br />
• TAUSCH, Reinhard/ TAUSCH, Anne-Marie: Erziehungspsychologie: Begegnung von<br />
Person zu Person. Göttingen; Toronto; Zürich: Hogrefe, 1977<br />
• TERHART, Ewald: Berufsbiographien von Lehrern und Lehrerinnen. Frankfurt a.M.;<br />
Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang, 1994<br />
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• TERHART, Ewald: Lehrerbiographien. In: KÖNIG, Eckard/ ZEDLER, Peter (Hrsg.):<br />
Bilanz qualitativer Forschung. Band II: Methoden. Weinheim: Deutscher Studien<br />
Verlag, 1995, S. 225-264<br />
• TIMPNER, Petra: Bleiben Lehrerinnen immer Kinder?: Erwachsenwerden als<br />
Verzicht auf Lebenslügen. In: Pädagogik 51 (1999) 9, S. 21-25<br />
• TOMAN, Walter: Familienkonstellationen: ihr Einfluß auf den Menschen und sein<br />
soziales Verhalten. München: Verlag C.H. Beck, 1974 2<br />
• TUSCH, Hanspeter: Selbstreflexionstraining in der Lehrerbildung. Innsbruck: Golf-<br />
Verlag, 1988<br />
• UHL, Christiane: „Bei Sven, da flippe ich regelmäßig aus...“. In: Grundschule 17<br />
(1985) 7/8, S. 40-43<br />
• VOß, Ursula (Hrsg.): Kindheiten: gesammelt aus Lebensberichten. München:<br />
Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979<br />
• WAGENER, Birgit: Was der Mensch ist, sagt ihm nur seine Geschichte:<br />
Biographsiche Selbstreflexion als Konzept und Methode für pädagogische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. In:<br />
Pädagogische Beiträge 38 (1987) 10, S. 8-13<br />
• WAGNER, Herbert: Bildungsbiographien Lernbehinderter: eine regionale<br />
Längsschnittuntersuchung der Bedingungen und Ergebnisse schulischer Sozialisation.<br />
Bad Bentheim: FISB, 1997<br />
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