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Welche Bedeutung hat das SGB IX für die Jugendhilfe? SGB IX (Art. 1)

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Prof. Peter-Christian Kunkel<br />

Fachhochschule Kehl<br />

Hochschule für öffentliche Verwaltung<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>?<br />

Die <strong>Jugendhilfe</strong> ist kein langer, ruhiger Fluss, sondern gleichsam ein Fluss, der <strong>das</strong><br />

Wasser des <strong>SGB</strong> VIII führt, aber mäandert, um z.B. BGB, FGG, JGG, <strong>SGB</strong> I, <strong>SGB</strong> X<br />

und nun – seit 1.7.2000 – auch <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Die folgenden Ausführungen können nur ein<br />

erster Überblick sein. 1<br />

I. Überblick über <strong>die</strong> Systematik des <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> (<strong>Art</strong>. 1)<br />

Teil 1 (§§ 1-67) Teil 2 (§§ 68-160)<br />

Regelungen für behinderte und<br />

Besondere Regelungen<br />

von Behinderung bedrohte Menschen<br />

für schwerbehinderte<br />

(§ 2 I) Menschen (§ 2 II, III)<br />

§ 4 I 4 Ziele<br />

Behinderung Einschränkung Teilhabe am Teilhabe am Leben<br />

- verhüten der Erwerbsfähigkeit Arbeitsleben in der Gesellschaft<br />

- beseitigen - überwinden ermöglichen ermöglichen<br />

- mindern - mindern<br />

- mildern<br />

§ 4 II Leistungen zur Teilhabe<br />

Leistungen nach <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

Leistungen nach anderen Sozialgesetzen<br />

1<br />

Vgl. ferner Vondung/LPK-<strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl. 2001, § 35a RN 1-17.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


2<br />

§ 5 4 Leistungsgruppen<br />

Medizinische Teilhabe am Unterhalts- Teilhabe am<br />

Rehabilitation Arbeitsleben sicherung Leben in der<br />

(§§ 26-32) (§§ 33-43) (§§ 44-54) Gemeinschaft<br />

(§§ 55-58)<br />

§ 6 7 Leistungs(Reha-)träger<br />

Kranken- BA-Arbeit Unfall- Renten- Kriegsopfer- Jugend- Sozialkassen<br />

versicherung versicherung versorgung hilfe hilfe<br />

§ 22 Gemeinsame örtliche Servicestellen in jedem Stadt-/Landkreis<br />

§ 14 Zuständigkeitsklärung<br />

§ 10 Leistungskoordinierung<br />

§ 17 Ausführung der Leistungen<br />

Reha-Träger<br />

§ 21 selbst Vertrag mit<br />

anderem Reha-Träger Leistungserbringer behindertem Menschen<br />

frei-gemeinnützige privat-gewerbliche - nach persönl. Budget<br />

- evtl. Selbstbeschaffung<br />

bei Leistungserbringer<br />

mit<br />

Erstattung der<br />

Aufwendungen (§ 15)<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


3<br />

II. <strong>Jugendhilfe</strong> als Rehabilitationsträger<br />

Für <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> von <strong>Bedeutung</strong> ist <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> deshalb, weil § 6 Abs. 1 Nr. 6<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> regelt, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> Rehabilitationsträger sind,<br />

d.h. Träger der Leistungen zur Teilhabe nach dem <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Die Gebietskörperschaften<br />

(Stadtkreis, Landkreis, kreisangehörige Gemeinden mit eigenem Jugendamt) sind somit<br />

zugleich örtliche Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> nach <strong>SGB</strong> VIII und Rehabilitationsträger<br />

nach <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Dasselbe gilt für <strong>die</strong> überörtlichen Träger der <strong>Jugendhilfe</strong>.<br />

Die öffentlichen Träger der <strong>Jugendhilfe</strong> sind aber nicht in vollem Umfang der<br />

<strong>Jugendhilfe</strong> Rehabilitationsträger, sondern nur für <strong>die</strong> Leistungen, <strong>die</strong> 3 der Leistungsgruppen<br />

aus § 5 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> zugeordnet werden können, nämlich für Leistungen zur<br />

medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am<br />

Leben in der Gemeinschaft. Nicht einbezogen sind unterhaltssichernde Leistungen,<br />

obwohl <strong>die</strong> Eingliederungshilfe nach § 35a <strong>SGB</strong> VIII auch solche umfasst (§ 39<br />

<strong>SGB</strong> VIII). Diese unterhaltssichernden Leistungen nach § 39 <strong>SGB</strong> VIII sind daher<br />

außerhalb des <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> zu erbringen. Systematisch erscheint <strong>die</strong>s wenig verständlich.<br />

Der Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> ist somit ein funktional beschränkter Rehabilitationsträger,<br />

nämlich beschränkt auf <strong>die</strong> 3 genannten Funktionskreise des § 5<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Fraglich ist, wie <strong>die</strong> Leistungen <strong>die</strong>ser 3 Funktionskreise sich zu den Leistungen<br />

der <strong>Jugendhilfe</strong> für behinderte Kinder und Jugendliche verhalten. Gehen <strong>die</strong><br />

Teilhabeleistungen nach <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> über <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>leistungen hinaus oder sind sie<br />

deckungsgleich mit ihnen? Die Antwort lässt sich aus § 7 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> ableiten.<br />

Danach richten sich <strong>die</strong> Voraussetzungen für eine Leistung nach dem <strong>SGB</strong> VIII. Dies<br />

bedeutet, <strong>das</strong>s Teilhabeleistungen nach dem <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> vom Träger der öffentlichen<br />

<strong>Jugendhilfe</strong> nur dann zu erbringen sind, wenn bei Kindern und Jugendlichen <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

nach § 35a <strong>SGB</strong> VIII und bei jungen Volljährigen <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

nach § 41 Abs. 1 und 2 <strong>SGB</strong> VIII vorliegen. Damit sind <strong>die</strong> Teilhabeleistungen aber<br />

nur dem Grunde nach deckungsgleich mit der Eingliederungshilfe nach § 35a<br />

<strong>SGB</strong> VIII. Ist nämlich <strong>das</strong> Nadelöhr der Tatbestandsvoraussetzungen in § 35a<br />

<strong>SGB</strong> VIII (für junge Volljährige i.V.m. § 41 <strong>SGB</strong> VIII) passiert, weitet sich der Leistungsumfang<br />

über den in § 35a <strong>SGB</strong> VIII auf der Rechtsfolgeseite genannten hinaus<br />

und erstreckt sich auch auf Leistungen in den 3 genannten Leistungsgruppen des § 5<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Durch den Verweis auf den neu gefassten § 40 BSHG im (ebenfalls neu<br />

gefassten) § 35a Abs. 3 <strong>SGB</strong> VIII ist zwar der Kernbereich der 3 Leistungsgruppen im<br />

Wesentlichen umschrieben, im Einzelfall müssen aber darüber hinausgehende Leistungen<br />

gewährt werden, schon deshalb, weil <strong>die</strong> Aufzählung in § 40 BSHG lediglich<br />

beispielhaft ist („vor allem“).<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


4<br />

III. Begriff der seelischen Behinderung<br />

Der Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> muss als Rehabilitationsträger nach dem<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> nur dann tätig werden, wenn <strong>die</strong> (fünf) Voraussetzungen des § 35a Abs. 1<br />

Nr. 1 und 2 <strong>SGB</strong> VIII vorliegen:<br />

(1)<br />

seelische Gesundheit<br />

+<br />

(2)<br />

atypische Altersabweichung<br />

+<br />

(3)<br />

(bereits oder sehr wahrscheinlich) länger als 6 Monate<br />

+<br />

(4)<br />

kausal für<br />

+<br />

(5)<br />

(eingetretene oder wahrscheinliche) Beeinträchtigung<br />

der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


5<br />

Die (neue) Definition des § 35a <strong>SGB</strong> VIII entspricht der des § 2 Abs. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. In<br />

Anlehnung an <strong>die</strong> Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 der<br />

Weltgesundheitsorganisation 2 - lassen sich seelische Behinderungen als (wahrscheinliche)<br />

Folge folgender Störungen darstellen:<br />

„Katalog“ seelischer Störungen bei Kindern<br />

körperlich<br />

nicht<br />

begründbare<br />

Psychosen<br />

seelische Störungen<br />

als Folge<br />

von Krankheiten<br />

u. Verletzungen<br />

des Gehirns, von<br />

Anfallsleiden<br />

oder v. anderen<br />

Krankheiten oder<br />

körperlichen Beeinträchtigungen<br />

Suchtkrankheiten Neurosen Persönlichkeitsstörungen<br />

seelische Störungen als<br />

drohende Behinderungen<br />

- Schizophrenien<br />

und<br />

wahnhafte<br />

Störungen<br />

- affektive<br />

Störungen<br />

- organische<br />

Funktionsstörungen<br />

des Gehirns<br />

- sekundäre<br />

Neurotisierungen<br />

nach<br />

Körperbehinderungen<br />

psychische und<br />

Verhaltensstörungen<br />

durch<br />

• psychotrope<br />

Substanzen<br />

• flüchtige Lösungsmittel<br />

(„Schnüffeln“)<br />

• Partydrogen<br />

(z.B. Ecstasy)<br />

- emotionale<br />

Störungen des<br />

Kindesalters<br />

(z.B. Schulphobien)<br />

- frühe Bindungsstörungen<br />

(z.B.<br />

Hospitalismus u.<br />

a. Deprivationsfolgen<br />

bei Fehlen<br />

einer festen<br />

Bezugsperson)<br />

- Angst- und<br />

Panikstörungen<br />

(z.B. Klaustrophobie)<br />

- Zwangsneurosen<br />

(z.B.<br />

Waschzwang)<br />

- Hysterien<br />

- dissoziale<br />

(z.B. durch<br />

fortwährende<br />

Missachtung<br />

sozialer<br />

Normen)<br />

- emotional<br />

instabile<br />

- Essstörungen<br />

(z.B. Bulimie)<br />

- Entwicklungsstörungen<br />

• Autismus<br />

• autistische Psy -<br />

chopathie (z.B.<br />

„Asperger-<br />

Syndrom“)<br />

• Sprachentwicklungsstörung<br />

• Teilleistungsstörung<br />

(z.B.<br />

Dyskalkulie oder<br />

Legasthenie)<br />

• posttraumatische<br />

Belastungsstörungen<br />

(z.B.<br />

nach sexuellem<br />

Missbrauch)<br />

- hyperkinetische<br />

Störungen (z.B. ADS;<br />

motorische Hyperaktivität)<br />

- Störungen des<br />

Sozialverhaltens<br />

• im familiären<br />

Rahmen<br />

• bei fehlenden sozialen<br />

Bindungen<br />

(Dissozialität als<br />

Einzelgänger oder<br />

als Teil einer<br />

delinquenten<br />

Subkultur)<br />

- Einnässen, Einkoten<br />

- „Ticks“<br />

2<br />

Vgl. hierzu <strong>die</strong> instruktiven Erläuterungen (allerdings zur alten Rechtslage) bei Wiesner, <strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl.<br />

2000, § 35a Rdnr. 34-76.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


6<br />

IV. Die Zuständigkeit des <strong>Jugendhilfe</strong>trägers als Rehabilitationsträger<br />

Das <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> enthält keine Zuständigkeitsregelung für den <strong>Jugendhilfe</strong>träger. Sowohl<br />

<strong>die</strong> Regelung der sachlichen Zuständigkeit in § 85 <strong>SGB</strong> VIII als auch <strong>die</strong> der örtlichen<br />

Zuständigkeit in § 86 <strong>SGB</strong> VIII bleibt unberührt, wie § 7 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> ausdrücklich<br />

hervorhebt. Insbesondere ist § 14 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> keine Zuständigkeitsregelung, sondern<br />

eine Verfahrensregelung zur Klärung der Zuständigkeit. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> muss der Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> innerhalb von zwei Wochen<br />

seine Zuständigkeit feststellen. 3 Diese Feststellung ist kein (feststellender) Verwaltungsakt<br />

gem. § 31 <strong>SGB</strong> X, da <strong>die</strong>se Feststellung ohne Außenwirkung getroffen wird.<br />

Etwas anderes gilt nur, wenn <strong>die</strong> Feststellung dem Antragsteller in Form eines<br />

Bescheids mitgeteilt wird. Geht also ein Antrag auf eine Teilhabeleistung i.S.d. § 4<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> beim Jugendamt ein, <strong>hat</strong> es zunächst seine sachliche Zuständigkeit gem. § 85<br />

Abs. 1 <strong>SGB</strong> VIII und dann seine örtliche Zuständigkeit 4 nach § 86 <strong>SGB</strong> VIII für eine<br />

Eingliederungshilfe gem. § 35a <strong>SGB</strong> VIII zu prüfen. Die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit<br />

kann aber nur erfolgen, wenn der Träger zunächst festgestellt <strong>hat</strong>, <strong>das</strong>s eine<br />

seelische Behinderung vorliegt. Die Prüfung <strong>die</strong>ser (materiellen) Tatbestandsvoraussetzung<br />

muss also der (formellen) Zuständigkeitsprüfung vorausgehen. Dies ergibt<br />

sich auch aus § 14 Abs. 1 S. 3 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Kommt <strong>das</strong> Jugendamt bei <strong>die</strong>ser Vorprüfung<br />

der sachlichen Zuständigkeit zum Ergebnis, <strong>das</strong>s keine seelische, sondern eine körperliche<br />

oder geistige Behinderung vorliegt, muss es den Antrag unverzüglich nach seiner<br />

Feststellung (d.h. entsprechend § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern), also möglicherweise<br />

auch schon vor Ablauf der 2-Wochen-Frist dem Sozialhilfeträger als<br />

Rehabilitationsträger zuleiten (§ 14 Abs. 1 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>). Dies regelt schon § 16<br />

Abs. 2 S. 1 <strong>SGB</strong> I, der gem. § 37 S. 2 <strong>SGB</strong> I dem § 14 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> vorgeht; <strong>die</strong> Regelung<br />

dort <strong>hat</strong> daher nur deklaratorische <strong>Bedeutung</strong>. Kommt <strong>das</strong> Jugendamt zum Ergebnis,<br />

<strong>das</strong>s keine Behinderung, sondern ein Erziehungsdefizit 5 vorliegt, <strong>das</strong> Hilfe zur Erziehung<br />

gem. § 27 <strong>SGB</strong> VIII erforderlich macht, ist <strong>das</strong> Jugendamt nicht als Organ des<br />

Rehabilitationsträgers, sondern als Organ des <strong>Jugendhilfe</strong>trägers für <strong>die</strong>se Leistung<br />

zuständig. Wird ein Antrag beispielsweise auf Übernahme der Kosten einer Legasthenie-Therapie<br />

6 gestellt, ist <strong>die</strong> Klärung der Ursache <strong>die</strong>ser Teilleistungsstörung wahrscheinlich<br />

innerhalb von zwei Wochen nicht möglich. Gem. § 14 Abs. 1 S. 3 soll der<br />

Antrag dann unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet werden, der <strong>die</strong> Leistung<br />

ohne Rücksicht auf <strong>die</strong> Ursache erbringt. Unklar ist, wer <strong>das</strong> sein soll. Einen<br />

Rehabilitationsträger, der eine Leistung ohne Rücksicht auf <strong>die</strong> Ursache der Behinderung<br />

zu erbringen hätte, gibt es nicht, da jede Leistung von der <strong>Art</strong> der Behinderung,<br />

<strong>die</strong>se aber wiederum von der Ursache der Behinderung abhängig ist. Der Relativsatz in<br />

Satz 3 kann auch als Imperativ gegenüber dem in Satz 2 genannten Zuleitungsadressaten<br />

verstanden werden. <strong>Welche</strong>r Rehabilitationsträger aber als Zuleitungsadressat in<br />

Betracht kommt, kann von dem zuerst angegangenen Rehabilitationsträger erst festgestellt<br />

werden, wenn <strong>die</strong> Ursache der Behinderung geklärt ist.<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Auch für den Gesetzgeber sollte gelten, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Amtssprache deutsch ist (§ 19 Abs. 1 <strong>SGB</strong> X). Es muss<br />

deshalb in § 14 Abs. 1 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> heißen: „... stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen<br />

nach Eingang des Antrages bei sich fest ...“.<br />

Vgl. zur örtlichen Zuständigkeit ausführlich Kunkel, ZfJ 2001, (voraussichtlich) Heft 9.<br />

Vgl. zu <strong>die</strong>sem Kunkel/LPK-<strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl. 2001, § 27 RN 2.<br />

Vgl. hierzu den Überblick über <strong>die</strong> Rechtsprechung in Kunkel, Grundlagen des <strong>Jugendhilfe</strong>rechts, 4. Aufl.<br />

2001, S. 340 und 353 sowie <strong>das</strong> Urteil des BVerwG <strong>Jugendhilfe</strong> 2001, 157.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


7<br />

Ist <strong>die</strong> örtliche Zuständigkeit des örtlichen <strong>Jugendhilfe</strong>trägers nicht geklärt, muss<br />

gem. § 86d <strong>SGB</strong> VIII immer der <strong>Jugendhilfe</strong>träger vorläufig tätig werden, in dessen<br />

Bereich sich <strong>das</strong> behinderte Kind oder der behinderte Jugendliche tatsächlich aufhält.<br />

Dies gilt unabhängig davon, bei welchem <strong>Jugendhilfe</strong>träger ein Antrag eingegangen ist<br />

und auch unabhängig davon, ob er den Antrag weitergeleitet <strong>hat</strong> oder nicht. Die<br />

Regelung des § 86d <strong>hat</strong> gem. § 37 S. 1 <strong>SGB</strong> I Vorrang vor der des § 43 <strong>SGB</strong> I. 7<br />

§ 14 Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> betrifft (entgegen der Überschrift) keine Zuständigkeitsklärung,<br />

sondern regelt <strong>die</strong> Pflicht zur unverzüglichen Bedarfsfeststellung, also zur Feststellung,<br />

welche Leistungen in welchem Umfang notwendig sind. Diese Pflicht <strong>hat</strong> der<br />

zuerst angegangene Rehabilitationsträger, wenn er den Antrag nicht innerhalb der 2-<br />

Wochen-Frist des Absatzes 1 weitergeleitet <strong>hat</strong>. Dabei ist es unerheblich, warum <strong>die</strong><br />

Weiterleitung unterblieben ist. Sie kann unterblieben sein, weil der zuerst angegangene<br />

Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit festgestellt <strong>hat</strong>, aber auch, obwohl er seine<br />

Unzuständigkeit festgestellt und dennoch den Antrag nicht unverzüglich weitergeleitet<br />

<strong>hat</strong>. Im letzteren Fall muss er <strong>die</strong> Leistung als unzuständiger Leistungsträger erbringen.<br />

Er kann dann nicht einmal Erstattung seiner Aufwendungen vom zuständigen<br />

Leistungsträger verlangen, weil § 14 Abs. 4 S. 3 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> <strong>die</strong> Anwendung des § 105<br />

<strong>SGB</strong> X - gleichsam als Strafe für <strong>die</strong> Untätigkeit - ausschließt. Die Feststellung des<br />

Rehabilitationsbedarfs muss innerhalb von 3 Wochen nach Antragseingang erfolgen<br />

(§ 14 Abs. 2 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>). Liegt ein Gutachten noch nicht vor, ist es aber notwendig,<br />

um den Rehabilitationsbedarf feststellen zu können, muss <strong>die</strong>ses Gutachten in dem<br />

nach Abs. 5 geregelten Verfahren unverzüglich eingeholt werden. Innerhalb von<br />

2 Wochen nach Eingang des Gutachtens muss dann <strong>die</strong> Entscheidung über <strong>Art</strong> und<br />

Umfang der Leistung getroffen werden. Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt.<br />

Schon vorher kann <strong>die</strong> Grundentscheidung über <strong>die</strong> Gewährung von Hilfe – ebenfalls<br />

durch Verwaltungsakt – dem Hilfesuchenden mitgeteilt werden; vorgeschrieben ist<br />

<strong>die</strong>s allerdings nicht.<br />

§ 14 Abs. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> trifft (ebenfalls entgegen der Überschrift) eine Erstattungsregelung<br />

für den Fall, <strong>das</strong>s der unzuständige Rehabilitationsträger eine Leistung erbracht<br />

<strong>hat</strong>, weil der Antrag ihm zugeleitet worden ist. Dies gilt aber nur dann, wenn sich erst<br />

nach Bewilligung der Leistung herausgestellt <strong>hat</strong>, welcher Träger zuständig war. Wird<br />

nach Weiterleitung des Antrags, aber vor Bewilligung der Leistung festgestellt, <strong>das</strong>s<br />

der Zuleitungsadressat nicht zuständig ist, ergibt sich ein Erstattungsanspruch aus<br />

§ 102 <strong>SGB</strong> X. Auch der von § 14 Abs. 4 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> geregelte Fall würde von § 102<br />

<strong>SGB</strong> X erfasst, so <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Regelung des § 14 Abs. 4 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> wohl überflüssig ist.<br />

Für <strong>die</strong> Berechnung der in § 14 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> genannten Fristen gilt § 26 <strong>SGB</strong> X i.V.m.<br />

§§ 187-193 BGB.<br />

7<br />

Vgl. hierzu Kunkel/LPK-<strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl. 2001, § 86d RN 12; ebenso Schellhorn, <strong>SGB</strong> VIII/KJHG,<br />

§ 86d Rz. 9, der aber § 86d zu Unrecht als Zuständigkeitsregelung bezeichnet.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


8<br />

Zuständigkeits- und Bedarfsklärung nach § 14 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

Eingang Leistungsantrag<br />

Feststellung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit<br />

(§§ 85,86 <strong>SGB</strong> VIII) innerhalb von 2 Wochen<br />

Falls unzuständig:<br />

unverzügliche Weiterleitung<br />

an zust. Rehabilitationsträger.<br />

Falls zuständig:<br />

unverzügliche Feststellung<br />

des Rehabilitationsbedarfs.<br />

Falls Zuständigkeit unklar<br />

oder bestritten oder zuständiger<br />

Träger nicht leistet,<br />

Pflicht zum vorläufigen Tätigwerden<br />

nach § 86d <strong>SGB</strong> VIII.<br />

Falls hierfür kein (weiteres)<br />

Gutachten notwendig,<br />

Leistungsbescheid<br />

innerhalb von 3 Wochen<br />

nach Antragseingang.<br />

Falls Gutachten notwendig,<br />

unverzügliche<br />

Beauftragung eines<br />

Sachverständigen<br />

(Dreiervorschlag).<br />

Erstellung des Gutachtens innerh.<br />

von 2 Wochen nach Beauftragung.<br />

Leistungsbescheid innerhalb<br />

von 2 Wochen nach Eingang<br />

des Gutachtens.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


9<br />

V. Beratung und Unterstützung in gemeinsamen Servicestellen<br />

In allen Stadt- und Landkreisen müssen gemeinsame örtliche Servicestellen der Rehabilitationsträger<br />

bestehen (§§ 22, 23 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>). Dabei muss es sich nicht um Stellen in<br />

der Trägerschaft von Stadt- und Landkreisen handeln. Auch müssen solche Stellen<br />

nicht eigens errichtet werden, sondern bestehende Strukturen können genutzt werden<br />

(§ 23 Abs. 1 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>). Da es sich um eine gemeinsame Einrichtung der Rehabilitationsträger<br />

handelt, muss sich auch der Träger der öffentlichen <strong>Jugendhilfe</strong> als Rehabilitationsträger<br />

an Einrichtung und Betrieb beteiligen. Bestehende Bürgerbüros oder<br />

zentrale Anlaufstellen können zu solchen Servicestellen erweitert werden. Für den<br />

<strong>Jugendhilfe</strong>träger als Rehabilitationsträger ergibt sich <strong>die</strong> Aufgabe, über <strong>die</strong> Leistungen<br />

der <strong>Jugendhilfe</strong> für behinderte Kinder, Jugendliche und junge Volljährige zu beraten<br />

und <strong>die</strong> Anspruchsberechtigten bei der Inanspruchnahme <strong>die</strong>ser Leistungen zu<br />

unterstützen. Vor allem geht es um <strong>die</strong> Eingliederungshilfe gem. § 35a <strong>SGB</strong> VIII; <strong>die</strong><br />

Hilfe für junge Volljährige, wenn sie seelisch behindert oder von einer Behinderung<br />

bedroht sind; <strong>die</strong> gemeinsame Betreuung von behinderten und nicht behinderten Kindern<br />

in Tageseinrichtungen; <strong>die</strong> Hilfe in sonderpädagogischen Pflegestellen. Im Einzelnen<br />

lassen sich folgende Aufgaben aus § 22 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> ableiten:<br />

Beratung und Unterstützung in gemeinsamen Servicestellen<br />

nach § 22 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

Information über<br />

Leistungsvoraussetzungen<br />

und<br />

-verfahren<br />

Hilfe bei Inanspruchnahme<br />

von Leistungen<br />

Zuständigkeits -<br />

klärung<br />

Vorbereitung<br />

schneller Entscheidungen<br />

Mittlerfunktion<br />

zu den Rehabilitationsträgern<br />

(„Drehscheibe“)<br />

VI. Selbstbeschaffung von Leistungen<br />

In der <strong>Jugendhilfe</strong> gibt es grundsätzlich kein Selbstbeschaffungsrecht. 8 Dies folgt insbesondere<br />

daraus, <strong>das</strong>s es in der <strong>Jugendhilfe</strong> keine rein finanziellen Leistungen gibt,<br />

sondern immer nur erziehungsakzessorische. Erzieherische Hilfe kann aber rein tatsächlich<br />

nicht rückwirkend geleistet werden. 9 Ferner ergibt sich aus der Gewährleistungspflicht<br />

des öffentlichen Trägers gem. § 79 Abs. 2 <strong>SGB</strong> VIII, <strong>das</strong>s der öffentliche<br />

Träger dafür verantwortlich ist, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Hilfe den dort genannten Kriterien entspricht.<br />

Er muss daher den Hilfeprozess steuern. 10 Schließlich ergibt sich aus § 36 <strong>SGB</strong> VIII,<br />

<strong>das</strong>s zumindest für <strong>die</strong> Hilfen, für <strong>die</strong> ein Hilfeplanungsverfahren vorgeschrieben ist<br />

(also Hilfen nach §§ 27, 35a, 41 <strong>SGB</strong> VIII), Selbstbeschaffung ausscheidet. Aus vorgenannten<br />

drei Argumenten ergibt sich, <strong>das</strong>s der <strong>Jugendhilfe</strong>träger nicht lediglich<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Ebenso BVerwG, <strong>Jugendhilfe</strong> 2001, 157; a. A. Fieseler/GK-<strong>SGB</strong> VIII, § 5 Rz 22.<br />

Ebenso Maas, RsDE 42, 106.<br />

Vgl. zur Gewährleistungspflicht und Selbstbeschaffung ferner Kunkel/LPK-<strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl. 2001, § 79<br />

RN 15.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


10<br />

Kostenträger, sondern Leistungsträger ist 11 - <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> kennt kein „Zahlvatermodell“.<br />

§ 5 <strong>SGB</strong> VIII ist kein Gegenargument, 12 da § 5 <strong>SGB</strong> VIII voraussetzt, <strong>das</strong>s<br />

der Leistungsträger Wünsche und Wahl des Leistungsberechtigten kennt, um ihnen<br />

entsprechen zu können. 13 Auch aus § 40 <strong>SGB</strong> I lässt sich kein Gegenargument gewinnen,<br />

da <strong>die</strong> Hilfe danach erst einsetzt, wenn <strong>die</strong> gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen;<br />

dazu gehören aber auch <strong>die</strong> formellen Voraussetzungen nach § 36 <strong>SGB</strong> VIII. 14<br />

Somit kann Selbstbeschaffung nur ausnahmsweise zulässig sein, nämlich dann, wenn<br />

der <strong>Jugendhilfe</strong>träger trotz Antragstellung nicht rechtzeitig Hilfe leistet und ein unaufschiebbarer<br />

Bedarf vorliegt. 15<br />

§ 15 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> regelt nunmehr für den <strong>Jugendhilfe</strong>träger als Rehabilitationsträger, also<br />

für Leistungen an seelisch behinderte Kinder 16 , Jugendliche und junge Volljährige, ein<br />

beschränktes Selbstbeschaffungsrecht. Für den Träger der <strong>Jugendhilfe</strong> gilt dabei nur<br />

§ 15 Abs. 1 S. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Danach besteht ein Selbstbeschaffungsrecht lediglich dann,<br />

wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird oder wenn eine<br />

Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist. In beiden Fällen müssen aber <strong>die</strong> materiellen<br />

Voraussetzungen für <strong>die</strong> Leistung vorgelegen haben. Das Risiko „voreiliger Selbstbeschaffung“<br />

trägt also der Selbstbeschaffer. Liegen <strong>die</strong> Voraussetzung zulässiger<br />

Selbstbeschaffung vor, kann der Leistungsberechtigte Erstattung der Kosten vom<br />

Rehabilitationsträger fordern. Der Leistungserbringer kann Kostenerstattung nur dann<br />

geltend machen, wenn der Anspruch auf Kostenübernahme an ihn abgetreten worden<br />

ist.<br />

Nicht zu verwechseln ist <strong>die</strong> Selbstbeschaffung mit dem persönlichen Budget nach<br />

§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Diese neue Form der Leistungserbringung setzt voraus,<br />

<strong>das</strong>s der Rehabilitationsträger einen Bedarf festgestellt <strong>hat</strong>, für den er dann ein Budget<br />

bemessen kann (§ 17 Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>).<br />

Dass <strong>die</strong> Eingliederungshilfe einen Antrag voraussetzt, ist ebenso wenig im <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

wie im <strong>SGB</strong> VIII geregelt; umgekehrt ist aber auch nicht geregelt, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Leistung<br />

ohne Antrag zu erbringen sei. Aus § 36 Abs. 1 <strong>SGB</strong> VIII wie aus § 9 Abs. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

folgt lediglich, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Leistung <strong>das</strong> Einverständnis des Leistungsberechtigten voraussetzt,<br />

<strong>das</strong> sich regelmäßig aus dem Antrag ergibt. Leistungsberechtigt ist für <strong>die</strong> Eingliederungshilfe<br />

<strong>das</strong> Kind oder der Jugendliche; für sie handeln ihre Personensorgeberechtigten,<br />

soweit der Jugendliche nicht selbst handlungsfähig nach § 36 <strong>SGB</strong> I ist.<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

Ebenso Neumann, RsDE 31, 59.<br />

So aber Münder, RsDE 38, 56.<br />

Im Ergebnis ebenso Mrozynski, NDV 2000, 110.<br />

A.A. anscheinend BVerwG, ZfJ 2000, 31, wo <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung auch ohne Vorliegen<br />

eines schriftlichen Hilfeplans angenommen wird.<br />

Im Ergebnis ebenso BVerwG, <strong>Jugendhilfe</strong> 2001, 157, dem aber darin nicht gefolgt werden kann, <strong>das</strong>s<br />

<strong>Jugendhilfe</strong>leistungen nur auf Antrag zu gewähren seien. Zumindest für solche Hilfen, <strong>die</strong> in Ausübung des<br />

staatlichen Wächteramts, wenn auch unterhalb der Eingriffsschwelle des § 1666 BGB geleistet werden<br />

(vgl. hierzu LPK-<strong>SGB</strong> VIII, 2. Aufl. 2001, § 27 RN 2), muss Kenntnis des <strong>Jugendhilfe</strong>trägers vom Bedarf<br />

ausreichen. Hinzu kommen muss selbstverständlich <strong>das</strong> Einverständnis des Personensorgeberechtigten mit<br />

der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung, notfalls nach Auswechslung des Personensorgeberechtigten über<br />

§ 1666 BGB.<br />

Dies betrifft lediglich <strong>die</strong> Eingliederungshilfe nach § 35a <strong>SGB</strong> VIII, nicht dagegen sonstige Leistungen, <strong>die</strong><br />

auch behinderten Kindern (z.B. im Kindergarten) zugute kommen, also nicht behindertenspezifisch sind.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


11<br />

Wird vom Leistungsberechtigten bzw. für ihn von seinem Personensorgeberechtigten<br />

(i.d.R. also beide Elternteile gem. § 1626 BGB) ein Antrag auf Leistung gestellt, muss<br />

der Leistungsträger gem. § 14 Abs. 1 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> tätig werden; er leitet damit ein<br />

Verwaltungsverfahren i.S.v. § 8 <strong>SGB</strong> X ein. Wird kein Antrag gestellt, steht es im Ermessen<br />

des Leistungsträgers, ob er – mit Zustimmung des Leistungsberechtigten –<br />

eine Leistung erbringt, also ein Verwaltungsverfahren durchführt (§ 18 S. 1 <strong>SGB</strong> X).<br />

§ 60 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> macht Druck auf <strong>die</strong> Personensorgeberechtigten, indem er sie verpflichtet,<br />

<strong>das</strong> behinderte Kind zur Beratung über eine Leistung in der gemeinsamen<br />

Servicestelle (oder einer anderen Beratungsstelle oder beim Arzt) vorzustellen. Die<br />

gemeinsamen Servicestellen müssen gem. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 auf <strong>die</strong> Erfüllung <strong>die</strong>ser<br />

Pflicht hinwirken; ebenso Sozialarbeiter, Jugendleiter und Erzieher gem. § 61<br />

Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>.<br />

VII. Wunsch- und Wahlrecht<br />

Das Wunsch- und Wahlrecht ist in § 9 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> abweichend von § 5 <strong>SGB</strong> VIII geregelt.<br />

Gem. § 7 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> gilt somit § 5 <strong>SGB</strong> VIII vorrangig. In § 9 Abs. 1 S. 2<br />

2. HS <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> wird allerdings auf <strong>die</strong> Geltung des § 33 <strong>SGB</strong> I eigens hingewiesen.<br />

Dieser wiederum gilt vorrangig vor § 5 <strong>SGB</strong> VIII, wie § 37 S. 2 <strong>SGB</strong> I regelt. Da sich<br />

eine inhaltliche Kollision zwischen § 33 <strong>SGB</strong> I und § 5 <strong>SGB</strong> VIII nicht ergibt, bleibt<br />

es bei der mit § 5 <strong>SGB</strong> VIII getroffenen Regelung des Wunsch- und Wahlrechts für<br />

<strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>. 17 Für <strong>die</strong> Eingliederungshilfe ist <strong>das</strong> Wunsch- und Wahlrecht in § 36<br />

Abs. 1 S. 4 und 5 <strong>SGB</strong> VIII wiederum spezieller gegenüber § 5 <strong>SGB</strong> VIII geregelt.<br />

Wenn § 9 Abs. 1 S. 3 fordert, <strong>das</strong>s den besonderen Bedürfnissen behinderter Kinder<br />

Rechnung zu tragen ist, kann <strong>die</strong>s als vorsorglicher Hinweis verstanden werden, der<br />

bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „unverhältnismäßige Mehrkosten“<br />

zu beachten ist.<br />

VIII. Hilfeplanung<br />

Die in § 4 Abs. 3 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> geforderte Einbeziehung behinderter Kinder und ihrer<br />

Personensorgeberechtigten in Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfe geht<br />

nicht über <strong>die</strong> Regelung des § 36 <strong>SGB</strong> VIII hinaus.<br />

Dagegen ist <strong>das</strong> Postulat des § 4 Abs. 3 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> eine Ergänzung des § 80 Abs. 2<br />

<strong>SGB</strong> VIII für <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>planung. Darüber hinaus muss <strong>die</strong> gemeinsame Betreuung<br />

von behinderten und nicht behinderten Kindern bei jeder Leistung, also beispielsweise<br />

auch in Tageseinrichtungen nach § 22 <strong>SGB</strong> VIII berücksichtigt werden. § 19<br />

Abs. 3 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> wiederholt <strong>die</strong>se Forderung.<br />

Der besseren Planung <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Dokumentationspflicht nach § 15 Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>.<br />

Die dort vorgeschriebene „Gewissenserforschung“ soll der Verfahrensbeschleunigung<br />

in Zukunft <strong>die</strong>nen.<br />

17<br />

Näher zum Verhältnis des § 5 <strong>SGB</strong> VIII zu § 33 <strong>SGB</strong> I vgl. Wiesner, <strong>SGB</strong> VIII, § 5 Rdnr. 2; Schellhorn,<br />

<strong>SGB</strong> VIII/KJHG, § 5 Rz. 33; Papenheim/LP K-<strong>SGB</strong> VIII, § 5 RN 1.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


12<br />

<strong>IX</strong>. Gemeinsame Empfehlungen<br />

§ 13 verpflichtet <strong>die</strong> Rehabilitationsträger dazu, gemeinsame Empfehlungen zu vereinbaren,<br />

mit denen ihre Zusammenarbeit verbessert werden soll. Die <strong>Jugendhilfe</strong>träger<br />

sind aber nicht in den Kreis der empfehlungspflichtigen Rehabilitationsträger<br />

aufgenommen worden. § 13 Abs. 5 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> verpflichtet <strong>die</strong> Rehabilitationsträger aber<br />

dazu, sie an der Vorbereitung der gemeinsamen Empfehlungen zu beteiligen. Damit<br />

haben sie ein Beratungs-, aber kein Beschlussrecht. Die Beteiligung geschieht über<br />

<strong>die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter sowie über den Deutschen<br />

Städtetag und den Deutschen Landkreistag. Die Empfehlungen sind für <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>träger<br />

nicht bindend; <strong>die</strong>s verbietet schon <strong>die</strong> Rechtsnatur der <strong>Jugendhilfe</strong> als<br />

Selbstverwaltungsaufgabe. Die kommunale Selbstverwaltung verbietet aber nicht, <strong>die</strong>sen<br />

Empfehlungen durch Beschluss des <strong>Jugendhilfe</strong>ausschusses (§ 71 Abs. 3 S. 1<br />

<strong>SGB</strong> VIII) beizutreten. Gänzlich ignorieren können sie <strong>die</strong> gemeinsamen Empfehlungen<br />

nicht; § 13 Abs. 5 S. 2 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> verpflichtet sie dazu, sich an den Empfehlungen<br />

wenigstens zu orientieren.<br />

X. Klagerecht von Verbänden<br />

Völlig neu ist <strong>die</strong> Einführung eines Klagerechts von Behindertenverbänden. Ein Leistungsberechtigter<br />

konnte sich bisher lediglich durch einen Bevollmächtigten im Verwaltungs-<br />

und Gerichtsverfahren vertreten lassen (§ 13 <strong>SGB</strong> X bzw. § 67 Abs. 2<br />

VwGO). Nun aber kann ein Verband selbstständig <strong>das</strong> Teilhaberecht eines behinderten<br />

Menschen – mit seinem Einverständnis – einklagen. Er <strong>hat</strong> Klagebefugnis nach § 42<br />

Abs. 2 VwGO und kann somit ein fremdes Recht in eigenem Namen geltend machen.<br />

Dies gilt auch schon im Widerspruchsverfahren gem. § 68 VwGO, wie § 63 S. 2<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> klarstellt. Unrichtig ist <strong>die</strong> Formulierung in § 63 S. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>: „Werden behinderte<br />

Menschen in ihren Rechten nach <strong>die</strong>sem Buch verletzt ...“. Da es um <strong>die</strong> Klagebefugnis<br />

als Zulässigkeitsvoraussetzung geht, muss es vielmehr heißen: „Verbände<br />

können anstelle des behinderten Menschen und mit seinem Einverständnis klagen, um<br />

eine Rechtsverletzung des behinderten Menschen geltend zu machen.“<br />

XI. Datenschutz<br />

So wenig ein Auto heute noch ohne Airbag ausgeliefert wird, so wenig kommt ein<br />

Gesetz ohne Datenschutzbestimmungen auf den Markt. Das <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> enthält solche in<br />

§ 10 Abs. 4, § 13 Abs. 7, § 21 Abs. 1 Nr. 5, § 23 Abs. 4, § 24 Abs. 1. Jugendämter<br />

müssen somit befürchten, <strong>das</strong>s sich dadurch der „Datenschutz-Flickenteppich“ noch<br />

vergrößert. 18 Da <strong>die</strong> Rehabilitationsträger alle auch Sozialleistungsträger sind, gilt für<br />

sie der Datenschutz nach § 35 <strong>SGB</strong> I i.V.m. §§ 67 bis 85a <strong>SGB</strong> X und – für den<br />

<strong>Jugendhilfe</strong>träger – i.V.m. §§ 61 bis 68 <strong>SGB</strong> VIII. § 10 Abs. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> bestimmt ausdrücklich,<br />

<strong>das</strong>s <strong>die</strong> datenschutzrechtlichen Regelungen unberührt bleiben. Dies gilt<br />

allerdings nur in Bezug auf <strong>die</strong> Koordinierungstätigkeit nach § 10 Abs. 1 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong>. Die<br />

dabei notwendigen Datenübermittlungen sind zulässig gem. § 69 Abs. 1 Nr. 1 <strong>SGB</strong> X,<br />

wobei <strong>die</strong> Einschränkungen aus §§ 64 Abs. 2 und 65 <strong>SGB</strong> VIII zu beachten sind. So-<br />

18<br />

Vgl. näher hierzu Kunkel/LPK-<strong>SGB</strong> VIII, § 61 RN 8.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc


13<br />

weit <strong>die</strong>se Koordinierungstätigkeit aber von den gemeinsamen örtlichen Servicestellen<br />

nach § 22 Abs. 1 S 2 Nr. 8 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> wahrgenommen wird, enthält § 23 Abs. 4 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong><br />

eine weitere Einschränkung. Für alle ihre Aufgaben nach § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 8<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> gilt, <strong>das</strong>s Daten nur erhoben und übermittelt werden dürfen, wenn Erhebung<br />

und Übermittlung der Daten zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Die Servicestellen<br />

dürfen deshalb beispielsweise keine Daten an andere Sozialleistungsträger übermitteln,<br />

wenn <strong>die</strong>s nicht zur Aufgabenerfüllung der Servicestelle, sondern zur Erfüllung<br />

der Aufgaben des anderen Sozialleistungsträgers erforderlich ist. Für <strong>die</strong> Servicestellen<br />

gilt deshalb ein besonderer „Datenschutzservice“; <strong>die</strong> dort verarbeiteten Daten<br />

erhalten gleichsam den Top-Secret-Stempel. Ferner wurden <strong>die</strong> Servicestellen durch<br />

eine Änderung des § 35 Abs. 1 <strong>SGB</strong> I in <strong>die</strong> lange Kette der dort aufgeführten Stellen<br />

aufgenommen. Dies erscheint überflüssig, da <strong>die</strong> Träger der Servicestellen Sozialleistungsträger<br />

und somit schon als solche Normadressat des § 35 <strong>SGB</strong> I sind.<br />

Für <strong>die</strong> Verträge mit den Leistungserbringern enthält § 21 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> eine Inhaltsbestimmung,<br />

<strong>die</strong> über § 78c <strong>SGB</strong> VIII hinausgeht. § 21 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> ist auch für den<br />

<strong>Jugendhilfe</strong>träger als Rehabilitationsträger anzuwenden, weil § 20 ihn nur von der<br />

Pflicht ausnimmt, gemeinsame Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung zu vereinbaren.<br />

Gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 5 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> muss <strong>die</strong> Vereinbarung mit dem Leistungserbringer<br />

nach § 78b <strong>SGB</strong> VIII eine Datenschutzregelung enthalten. Für <strong>die</strong> Leistungserbringung<br />

durch freie Träger ergibt sich <strong>die</strong>se Pflicht schon aus der datenschutzrechtlichen<br />

Garantenstellung nach § 61 Abs. 4 <strong>SGB</strong> VIII. Für <strong>die</strong> Leistungserbringung<br />

durch private Rehabilitations<strong>die</strong>nste und –einrichtungen gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3<br />

<strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> ergibt sich deren Geheimhaltungspflicht ebenfalls schon aufgrund des § 78<br />

Abs. 1 S. 2 <strong>SGB</strong> X, wenn ihnen Daten vom <strong>Jugendhilfe</strong>träger übermittelt worden sind.<br />

§ 21 Abs. 1 Nr. 5 <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> <strong>hat</strong> daher eine eigenständige <strong>Bedeutung</strong> nur für den Datenschutz<br />

bei privat-gewerblichen Trägern in Bezug auf solche Sozialdaten, <strong>die</strong> ihnen<br />

nicht von einem Sozialleistungsträger übermittelt worden sind.<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>hat</strong> <strong>das</strong> <strong>SGB</strong> <strong>IX</strong> für <strong>die</strong> JH.doc

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