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Kontenabfrage durch das Jugendamt?

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Prof. Peter-Christian Kunkel<br />

Hochschule für öffentliche Verwaltung, Kehl<br />

31. März 2005<br />

<strong>Kontenabfrage</strong> <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong>?<br />

Das „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ vom 23. Dezember 2003 1 ändert mit<br />

Art. 2 die Abgabenordnung. § 93 AO werden Absätze 7 und 8 angefügt, die am<br />

1. April 2005 in Kraft treten. Nach § 93 Abs. 8 AO soll die Finanzbehörde auf<br />

Ersuchen einer anderen Behörde über <strong>das</strong> Bundesamt für Finanzen bei den Kreditinstituten<br />

einzelne Daten abrufen und der ersuchenden Behörde mitteilen. Die<br />

ersuchende Behörde muss versichern, <strong>das</strong>s der Abruf erforderlich ist, weil eigene<br />

Ermittlungen nicht erfolgreich waren oder nicht erfolgreich sein würden. Verantwortlich<br />

für die Zulässigkeit des Datenabrufs ist die ersuchende Behörde (§ 93b Abs. 3<br />

AO).<br />

Ersuchende Behörde kann nur die Behörde sein, die für die Anwendung eines Gesetzes<br />

zuständig ist, in dem an Begriffe des Einkommensteuergesetzes angeknüpft wird.<br />

Fraglich ist, ob dies für <strong>das</strong> „Hausgesetz“ des <strong>Jugendamt</strong>s, also <strong>das</strong> SGB VIII oder für<br />

andere vom <strong>Jugendamt</strong> anzuwendende Gesetze der Fall ist.<br />

I. Anknüpfen an <strong>das</strong> Einkommensteuergesetz<br />

Ein Gesetz knüpft nur dann an Begriffe des Einkommensteuergesetzes an, wenn<br />

- in diesem Gesetz <strong>das</strong>selbe Wort wie im EStG verwendet wird (z.B. „Einkommen“<br />

oder „Einkünfte“),<br />

- der Inhalt des Wortes in diesem anderen Gesetz mit dem im EStG verwandten<br />

Begriff übereinstimmt und<br />

- in dem anderen Gesetz ausdrücklich auf Regelungen des EStG Bezug genommen<br />

wird. 2<br />

Dies ist beispielsweise der Fall bei der Anwendung des Bundeserziehungsgeldgesetzes.<br />

§ 6 BErzGG knüpft mit seinem Einkommensbegriff an die Einkünfte im<br />

Sinn des § 2 Abs. 1 und 2 EStG an.<br />

Bei der Anwendung des Unterhaltvorschussgesetzes <strong>durch</strong> die Unterhaltsvorschusskasse<br />

knüpft § 2 UVG mit dem Begriff des Kindergelds an §§ 65, 66 EStG<br />

an. Der Kontenabruf ist daher möglich, auch wenn <strong>das</strong> UVG im o.g. Anwendungserlass<br />

nicht aufgeführt ist. Für die Tätigkeit des <strong>Jugendamt</strong>s als Beistand<br />

und Vormund nach BGB fehlt eine Anknüpfung; eine <strong>Kontenabfrage</strong> ist daher<br />

nicht möglich.<br />

Bei der Anwendung des SGB VIII knüpft § 39 Abs. 6 SGB VIII an §§ 31, 66<br />

EStG an. Daher ist für die Leistung wirtschaftlicher Jugendhilfe bei Hilfe zur<br />

1<br />

2<br />

BGBl. S. 2928.<br />

Anwendungserlass des Bundesministerium der Finanzen vom 10.03.2005.<br />

<strong>Kontenabfrage</strong> <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong>


2<br />

Erziehung in den Hilfearten der §§ 32 bis 35 SGB VIII und bei der Eingliederungshilfe<br />

nach § 35a SGB VIII, die in den entsprechenden Hilfearten gewährt<br />

wird, ein Kontenabruf möglich.<br />

Wenn <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong> darüber zu entscheiden hat, ob ein Teilnahmebeitrag oder<br />

eine Gebühr zu erlassen oder zu übernehmen sind (§ 90 Abs. 2 und 3 SGB VIII),<br />

muss es die zumutbare Belastung feststellen. Für diese Feststellung verweist § 90<br />

Abs. 4 SGB VIII u.a. auf § 82 SGB XII, der den Begriff des Einkommens regelt.<br />

Mit der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII wird bei den Einkunftsarten<br />

in den §§ 3, 4, 6, 7 sowie bei anderen Einkünften in § 8 der VO auf die<br />

Regelungen des Einkommensteuergesetzes Bezug genommen. Da diese Rechtsverordnung<br />

lediglich eine „Verlängerung“ des § 82 SGB XII ist, reicht es aus,<br />

wenn in der Verordnung an <strong>das</strong> Einkommensteuergesetz angeknüpft wird. 3 Ferner<br />

verweist § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII für die Absetzung von Altersvorsorgebeiträgen<br />

auf §§ 82, 86 EStG. Nicht anwendbar ist dagegen § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII,<br />

der beim Einsatz des Vermögens auf <strong>das</strong> Einkommensteuergesetz verweist, weil<br />

bei der Feststellung der zumutbaren Belastung nach § 90 SGB VIII Vermögen<br />

nicht einzusetzen ist.<br />

Anders ist es bei der Heranziehung zu den Kosten für die in § 91 SGB VIII<br />

genannten Hilfen. Hier werden Eltern auch aus ihrem Vermögen herangezogen<br />

(§ 93 Abs. 2 SGB VIII), so <strong>das</strong>s hier § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII anzuwenden ist.<br />

Für die Ermittlung des Einkommens von Eltern und Kind gilt die Einkommensgrenze<br />

nach § 85 SGB XII. Zur Feststellung, ob <strong>das</strong> Einkommen die Einkommensgrenze<br />

überschreitet, ist bei der Ermittlung des Einkommens § 82 SGB XII<br />

entsprechend anzuwenden (§ 93 Abs. 4 SGB VIII) und damit auch die Durchführungsverordnung<br />

zu § 82 SGB XII, in der an die Einkunftsarten nach dem Einkommensteuergesetz<br />

angeknüpft wird.<br />

Wird in diesen Fällen <strong>das</strong> SGB VIII angewendet, ist ein Kontenabruf zulässig. Der<br />

o.g. Anwendungserlass schließt dies allerdings aus, indem er unter 3.2 bestimmt,<br />

<strong>das</strong>s in anderen als den unter a) bis g) genannten Fällen (<strong>das</strong> SGB VIII ist dort<br />

nicht erwähnt) ein Kontenabruf nicht zulässig ist. Als Verwaltungsvorschrift kann<br />

der Anwendungserlass <strong>das</strong> Gesetz aber nicht verkürzen. Nur wenn <strong>das</strong> Gesetz<br />

Ermessen vorsähe, könnte die Ausübung des Ermessens <strong>durch</strong> Verwaltungsvorschriften<br />

geregelt werden. § 93 Abs. 8 AO enthält aber die Verpflichtung der<br />

Finanzbehörde für den Regelfall („soll“) den Kontenabruf auf Ersuchen <strong>durch</strong>zuführen.<br />

Eine Soll-Vorschrift lässt nur Ermessen bei atypischen Umständen im Einzelfall,<br />

also nicht für den Regelfall zu.<br />

II. Weitere Voraussetzungen<br />

Das Ersuchen des <strong>Jugendamt</strong>es muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

(Art. 20, 28 GG) entsprechen. Es muss also geeignet, erforderlich und angemessen<br />

sein. Dies zu beurteilen, ist Sache des ersuchenden <strong>Jugendamt</strong>s (§ 93b Abs. 3 AO).<br />

3<br />

Anwendungserlass des Bundesministerium der Finanzen vom 10.03.2005.<br />

<strong>Kontenabfrage</strong> <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong>


3<br />

Die ersuchte Finanzbehörde muss lediglich prüfen, ob die Angaben des ersuchenden<br />

<strong>Jugendamt</strong>es schlüssig sind.<br />

1. Geeignetheit<br />

Geeignet ist <strong>das</strong> Ersuchen des <strong>Jugendamt</strong>es dann, wenn ein Kontenabruf dazu<br />

führen kann, Einkommen oder Vermögen festzustellen. Dies hängt davon ab,<br />

welche Daten bei den Kreditinstituten abrufbar sind. Es sind nur die Daten abrufbar,<br />

die in der nach § 93b Abs. 1 AO zu führenden Datei enthalten sind.<br />

Dies sind im Wesentlichen:<br />

- die Nummer des Kontos,<br />

- der Tag der Errichtung oder Auflösung des Kontos,<br />

- der Name und Geburtstag des Kontoinhabers.<br />

Kontenbewegungen und Kontenstände können daher nicht abgerufen werden.<br />

2. Erforderlichkeit<br />

Erforderlich ist der Kontenabruf nur, wenn die Feststellung von Einkommen<br />

oder Vermögen nicht auf weniger belastende Art möglich ist. Das <strong>Jugendamt</strong><br />

hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 20 Abs. 1 SGB X).<br />

Gemäß § 21 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I hat der Leistungsberechtigte<br />

dabei alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich<br />

sind. Diese bestimmen sich nach den Tatbestandsmerkmalen der Leistungsnorm.<br />

Wegen der materiellen Subsidiarität der Jugendhilfe (§ 92 Abs. 1<br />

SGB VIII) gehören hierzu auch die Mittel aus Einkommen und Vermögen.<br />

Entsprechende Angaben hierzu hat der Leistungsberechtigte deshalb zu<br />

machen; kann er dies nicht, muss er darin einwilligen, <strong>das</strong>s der Leistungsträger<br />

die erforderlichen Auskünfte auch bei Banken und Sparkassen einholt (§ 60<br />

Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I). Eine generelle Einwilligungserklärung einzuholen,<br />

ist aber unzulässig. 4 Daher ist <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong> darauf angewiesen, zunächst<br />

festzustellen, bei welchem Kreditinstitut ein Konto besteht. Erforderlich ist der<br />

Kontenabruf aber erst dann, wenn <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong> den Leistungsberechtigten<br />

aufgefordert hat, die in Betracht kommenden Kreditinstitute zu nennen und<br />

ihn auf die Möglichkeit des Kontenabrufs hingewiesen hat.<br />

3. Angemessenheit<br />

Angemessen ist der Kontenabruf dann, wenn die dabei zu gewinnenden Ergebnisse<br />

in einem angemessenen Verhältnis zu der Belastung <strong>durch</strong> diesen<br />

Eingriff stehen. Dies hängt auch davon ab, ob sich der Aufwand des Abrufverfahrens<br />

im Hinblick auf die mögliche Kostenbeteiligung lohnt (§ 93 Abs. 6<br />

S. 2 SGB VIII). Würde die Heranziehung eine besondere Härte bedeuten, wäre<br />

sie nach § 93 Abs. 6 S. 2 SGB VIII ohnehin ausgeschlossen, so <strong>das</strong>s dann auch<br />

eine <strong>Kontenabfrage</strong> nicht in Betracht käme. Ein genereller Kontenabruf ist<br />

jedenfalls ausgeschlossen; er kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall<br />

Anlass zur Abfrage besteht.<br />

4<br />

Vgl. Kunkel in LPK–SGB VIII, 2. Aufl. 2003, § 61 RN 65.<br />

<strong>Kontenabfrage</strong> <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong>


4<br />

III. Kontenabruf als Datenerhebung<br />

Der Kontenabruf ist ein Eingriff in <strong>das</strong> Sozialgeheimnis (§ 61 Abs. 1 SGB VIII<br />

i.V.m. § 35 Abs. 1 SGB I). Der Eingriff erfolgt <strong>durch</strong> Datenerhebung (§ 67 Abs. 5<br />

SGB X). Der Eingriff ist nur zulässig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen<br />

hierfür vorliegen (§ 35 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 62 SGB VIII). Danach sind die<br />

Sozialdaten zunächst beim Betroffenen selbst zu erheben (§ 62 Abs. 2 S. 1<br />

SGB VIII), wozu auch die Einholung seiner Einwilligung gehört. Ohne seine<br />

Mitwirkung darf der Kontenabruf nur erfolgen, wenn eine gesetzliche Bestimmung<br />

dies erlaubt (§ 62 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII). Diese gesetzliche Bestimmung ist<br />

hier § 93 Abs. 8 AO, dessen Voraussetzungen – wie oben dargestellt – vorliegen<br />

müssen.<br />

IV. Verfahren und Rechtschutz<br />

Erfolgt der Kontenabruf mit Einwilligung des Betroffenen, ist er über die Rechtsgrundlage<br />

der Datenerhebung (§ 93 Abs. 8 AO), den Erhebungszweck und den<br />

Zweck der weiteren Nutzung der Daten aufzuklären (§ 62 Abs. 2 S. 2 SGB VIII).<br />

Da § 62 SGB VIII eine abschließende Regelung der Datenerhebung in der<br />

Jugendhilfe ist, müssen die weiteren Voraussetzungen nach §§ 67a SGB X nicht<br />

vorliegen. 5<br />

Dem Betroffenen ist auf Antrag Auskunft zu erteilen, <strong>durch</strong> die er jedenfalls nachträglich<br />

von der Durchführung des Kontenabrufs Kenntnis erlangen kann (§ 83<br />

Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X). Wird ihm keine Auskunft erteilt, kann er sich an den<br />

Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden, um dort überprüfen zu lassen, ob<br />

die Ablehnung der Auskunftserteilung rechtmäßig war (§ 83 Abs. 6 SGB X). Die<br />

Auskunft ist unentgeltlich (§ 83 Abs. 7 SGB X).<br />

Gerichtlich kann die Rechtmäßigkeit des Kontenabrufs überprüft werden, wenn<br />

der Betroffene die Sachentscheidung des <strong>Jugendamt</strong>s, also den Bescheid über den<br />

Gebührenerlass oder über den Kostenbeitrag vor dem Verwaltungsgericht angefochten<br />

hat (§ 44a VwGO). 6 Aus § 78 Abs. 1 S. 1 SGB X folgt im Übrigen ein<br />

Verwertungsverbot unzulässig erhobener Daten.<br />

Für <strong>das</strong> Verfahren des <strong>Jugendamt</strong>s gilt, <strong>das</strong>s dieses sein Ersuchen um Durchführung<br />

des Kontenabrufs an die nach Landesrecht zuständige Finanzbehörde zu<br />

richten hat. In dem Ersuchen muss <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong> darlegen, <strong>das</strong>s es die Daten zur<br />

Ermittlung von Einkommen oder Vermögen benötigt, um einen Kostenbeitrag erheben<br />

zu können; ferner, <strong>das</strong>s eigene Ermittlungen nicht zum Ziel geführt haben<br />

oder keinen Erfolg versprechen. Dies ergibt sich sowohl aus § 93 Abs. 8 AO als<br />

auch aus § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB X (Amtshilfe). Hält die Finanzbehörde sich für<br />

nicht zur Hilfe für verpflichtet, muss sie dem <strong>Jugendamt</strong> ihre Auffassung<br />

mitteilen. Besteht <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong> auf der Amtshilfe, entscheidet die für die<br />

Finanzbehörde zuständige Aufsichtsbehörde über <strong>das</strong> Amtshilfeersuchen (§ 4<br />

Abs. 5 SGB X).<br />

5<br />

6<br />

Zum Verhältnis von § 62 SGB VIII zu § 67a SGB X vgl. Kunkel in LPK–SGB VIII, a.a.O., § 62 RN 1.<br />

Hierzu und zu den Rechtsbehelfen im Einzelnen vgl. Kunkel in LPK–SGB VIII, a.a.O., § 61 RN 250.<br />

<strong>Kontenabfrage</strong> <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Jugendamt</strong>

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