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Das Hooksmeer von Hooksiel - spektrum nord

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<strong>Hooksiel</strong> und sein Freizeitareal sowie die Salzwiesen und der Verlauf<br />

des <strong>Hooksiel</strong>er Tiefs vor den drastischen Veränderungen.<br />

Blick <strong>von</strong> Nordost: Badestrand, <strong>Hooksmeer</strong> und das Chemiewerk Ineos, in dem unter anderem PVC produziert wird.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Hooksmeer</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Hooksiel</strong><br />

Wie vor 40 Jahren aus einer ursprünglichen Salzwiesenlandschaft<br />

ein am Reißbrett entworfenes Freizeitareal entstand.<br />

Gordon Päschel (Text und Fotos) berichtet.<br />

Der Kontrast könnte<br />

schärfer kaum sein.<br />

Auf der einen Seite<br />

ein idyllisches Naherholungsgebiet<br />

rund um das<br />

<strong>Hooksmeer</strong> – 240 Hektar<br />

groß, mit grünem Wäldchen,<br />

Wanderwegen und einem<br />

der schönsten Sandstrände<br />

entlang der friesischen Festlandküste.<br />

Auf der anderen<br />

Seite eine riesige, kahl geschorene<br />

Landschaft, in dessen<br />

ganzer Leblosigkeit sich<br />

einzelne Industrieanlagen<br />

verlieren. Die Trennlinie ist<br />

scharf, sie ist deutlich sichtbar<br />

und sie verläuft exakt<br />

entlang der kommunalen<br />

Grenze zwischen dem Landkreis<br />

Friesland und der Stadt<br />

Wilhelmshaven. Hier prallen<br />

nicht nur kulturlandschaftliche<br />

Gegensätze aufeinander,<br />

sondern auch die nicht<br />

zu vereinbarenden Interessen<br />

<strong>von</strong> Industrie und Tourismus.<br />

Bis vor rund 40 Jahren<br />

gab es an dieser Stelle weder<br />

das <strong>Hooksmeer</strong> noch<br />

die Produktionsstätten der<br />

Schwerindustrie. Es gab<br />

noch nicht einmal Land.<br />

Stattdessen herrschten die<br />

Gezeiten. Vor den Toren<br />

<strong>Hooksiel</strong>s schlängelten sich<br />

Priele durch Watt und weitläufige<br />

Salzwiesen. Einzig<br />

ein Hauptarm, das <strong>Hooksiel</strong>er<br />

Tief, wurde schiffbar<br />

gehalten und verband den<br />

alten Hafen im Ortszentrum<br />

mit der Jade. Krabben- und<br />

Muschelfischer nutzten die<br />

Wasserstraße, um ihren Fang<br />

an Land zu bringen. Sie<br />

sorgten im Hafen nicht nur<br />

für Nachschub an frischen<br />

Meerestieren, sondern auch<br />

für schwunghaften Handel<br />

und damit für Leben.<br />

Anfang der 1970er-Jahre<br />

sollten sich die Verhältnisse<br />

jedoch grundlegend ändern.<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Stadtverwaltung und dem<br />

Wasserwirtschaftsamt in<br />

Wilhelmshaven entschied<br />

die Landesregierung unter<br />

Ministerpräsident Ernst Albrecht<br />

eine in diesem Umfang<br />

noch nie da gewesene Landgewinnungsmaßnahme:<br />

die<br />

Aufspülung des mehr als<br />

1600 Hektar großen Voslapper<br />

Grodens, einer Fläche,<br />

die der Größe der Insel Juist<br />

entspricht. Die Beamten<br />

im Wirtschaftsministerium<br />

und im Wilhelmshavener<br />

Rathaus versprachen sich<br />

<strong>von</strong> diesem Schritt neue<br />

Indus trie an siedelungen. Die<br />

klam men Kassen der Marinestadt<br />

waren schließlich<br />

dringend auf neue Gewerbesteuereinnahmen<br />

angewiesen.<br />

Außerdem – so die<br />

Hoffnung – würden mehrere<br />

tausend Arbeitsplätze geschaffen<br />

werden.<br />

<strong>Hooksiel</strong> war <strong>von</strong> den<br />

Plänen des kommunalen<br />

Nachbarn unmittelbar betroffen.<br />

Neue Deichlinien<br />

sollten das Tief und die<br />

Salz wiesen eingrenzen, der<br />

aufgespülte Sand bislang<br />

touristisch genutztes Gelände<br />

weiträumig trockenlegen.<br />

Ein hoher Blutzoll für<br />

einen kleinen Ort, dessen<br />

Haupteinnahmequellen das<br />

Seebadewesen und das damit<br />

verbundene Gästeaufkommen<br />

waren. Denn mit<br />

dem Aufblühen des Fremdenverkehrs<br />

hatte sich in<br />

<strong>Hooksiel</strong> eine touristische<br />

Infrastruktur entwickelt, die<br />

vor allem Naturfreunde und<br />

Nudisten anlockte. <strong>Hooksiel</strong><br />

galt unter Anhängern der<br />

Freikörper-Kultur seit dem<br />

frühen 20. Jahrhundert als<br />

Mekka. Sie konnten sich auf<br />

einem Campingplatz in der<br />

Naturlandschaft ungestört<br />

bewegen. Für alle anderen<br />

Gäste wurde in den 1960er-<br />

Jahren entlang des Tiefs<br />

eine attraktive Badeanstalt<br />

geschaffen. Von hier aus<br />

genossen sie beim Schwimmen<br />

die Aussicht auf freie<br />

Grodenflächen. Bis heute<br />

erinnern Startblöcke und<br />

das markante Gebäude des<br />

Restaurant-Cafés „Die Muschel“<br />

an die Lage des einstigen<br />

Ausflugszieles.<br />

„Die Natur hatte die absolute<br />

Hoheit in diesem Gebiet“,<br />

erinnert sich Dietrich<br />

Gabbey, der regelmäßig<br />

hierher kam und im Jahr<br />

1971 mit seiner Frau und<br />

zwei Kindern nach <strong>Hooksiel</strong><br />

zog. Schwimmend sei<br />

er durch die Salzwiesen in<br />

Landschaften vorgedrungen,<br />

die kein Mensch zu Fuß<br />

erreichen konnte. „Idylle<br />

pur“, sagt er, und es klingt<br />

noch immer wehmütig. Als<br />

streitbarer Kommunalpolitiker<br />

leistete er erbitterten<br />

Widerstand gegen die beab-<br />

Mondlandschaftscharakter des Freizeitareals kurz<br />

nach Vollendung der Aufspülung sowie der noch kleine<br />

Mischwald, der lange benötigt hat, um zu seiner heutigen<br />

Pracht aufzuwachsen (oben).<br />

<strong>Das</strong> alte Naturschwimmbad: Die Gäste badeten in einem<br />

Betonbecken, in das frisches Meerwasser geführt wurde<br />

(unten). Die blauen Startblöcke zeigen, wo sich früher<br />

die Badeanstalt in <strong>Hooksiel</strong> befand. Im Hintergrund<br />

zu erkennen: <strong>Das</strong> Restaurant-Café „Die Muschel“, ein<br />

Gebäude, das durch seine markante Architektur auffällt.<br />

Durch die große Glasfront haben Besucher einen tollen<br />

Blick auf die Steganlagen der Marina und das <strong>Hooksmeer</strong><br />

(ganz unten).<br />

26 Ostfriesland Magazin 9/2012<br />

Ostfriesland Magazin 9/2012 27


Sommeralltag im alten Naturschwimmbad. Sehr schön zu erkennen ist der freie Blick über die<br />

weitläufige Grodenlandschaft.<br />

Kein Baum, kein Strauch und nur karges Grasland. Wo heute<br />

Bäume wachsen, weideten in den 1980er-Jahren die Schafe.<br />

sichtigte Ansiedelung <strong>von</strong><br />

Industrieunternehmen. Er<br />

bedauert, nicht früher vor<br />

Ort gewesen zu sein. Nach<br />

wie vor fragt er sich, ob es<br />

dann vielleicht möglich gewesen<br />

wäre, den massiven<br />

Eingriff zu verhindern (siehe<br />

Exkurs).<br />

So aber begann im April<br />

1971 die Aufspülung, mit der<br />

die Salzwiesen vor <strong>Hooksiel</strong><br />

unwiederbringlich verloren<br />

gingen. Von Norden und<br />

Süden her kommend zogen<br />

Arbeiter auf zwei Baustellen<br />

einen neuen, elf Kilometer<br />

langen Deich. Der holländische<br />

„Gouda“, der seinerzeit<br />

weltweit leistungsstärkste<br />

Saugbagger, pumpte in den<br />

folgenden dreieinhalb Jahren<br />

über 35 Millionen Kubikmeter<br />

Sand aus der Jade<br />

in Richtung Land. Die Kosten<br />

des Gesamtprojektes:<br />

rund 160 Millionen D-Mark.<br />

Parallel zu den Arbeiten<br />

wurden erstmals detaillierte<br />

Pläne für das neue Freizeitgelände<br />

in <strong>Hooksiel</strong><br />

präsentiert. <strong>Das</strong> Areal sollte<br />

den Verlust der Salzwiesen<br />

nicht nur kompensieren,<br />

sondern galt unter zukunftsgewandten<br />

Touristikern als<br />

einmalige Chance. So sah<br />

der Entwurf eines Architekturbüros,<br />

das im Auftrag des<br />

Wasserwirtschaftsamtes den<br />

sogenannten Iwersen-Plan<br />

entwickelt hatte, vor, einen<br />

vier Kilometer langen Sandstrand<br />

sowie umfangreiche<br />

neue Freizeit- und Sportanlagen<br />

anzulegen. <strong>Das</strong> <strong>Hooksiel</strong>er<br />

Tief sollte zu einem<br />

60 Hektar großen Binnenmeer<br />

ausgebaggert werden,<br />

das Badebuchten, hunderte<br />

Liegeplätze und tidenunabhängige<br />

Wassersportmöglichkeiten<br />

bot. Als Puffer zu<br />

Tourismus und Industrie: Surfer und Segler im Schatten<br />

der Schlote (oben). <strong>Hooksmeer</strong>-Impression: Blick in eine<br />

der Buchten, in der sich die Steganlagen der Marina<br />

befinden (unten).<br />

den benachbarten Industrieflächen<br />

schufen die Planer<br />

am Reißbrett eine weit über<br />

100 Hektar große bewaldete<br />

Schutzzone am südlichen<br />

Ufer des <strong>Hooksmeer</strong>es. Ähnlich<br />

wie in Reisfeldern sollte<br />

diese in Terrassen profiliert<br />

sein, zur kommunalen Grenze<br />

hin ansteigen und mit einem<br />

sechs Meter hohen Wall<br />

abschließen. Wer auf dem<br />

<strong>Hooksmeer</strong> segelte, sollte<br />

<strong>von</strong> den Produktionsstätten<br />

der Schwerindustrie möglichst<br />

wenig mitbekommen.<br />

Ehe die Modellierung des<br />

<strong>Hooksmeer</strong>-Areals begann,<br />

galt es das Gelände jedoch<br />

zunächst trockenzulegen.<br />

Der Wasserlauf des <strong>Hooksiel</strong>er<br />

Tiefs zur Jade wurde am<br />

Sieltor für immer gestoppt,<br />

wodurch der historische Hafen<br />

innerhalb kurzer Zeit<br />

verschlickte. Auf der gegenüberliegenden<br />

Seite errichteten<br />

Arbeiter währenddessen<br />

einen neuen Außenhafen.<br />

Dazwischen entstand<br />

eine 70 Meter lange Schleuse<br />

– der neue Arbeitsplatz<br />

<strong>von</strong> Günther Heidemann.<br />

Der Schleusenwärter, der<br />

hier über 20 Jahre lang seinen<br />

Dienst versah, kann sich<br />

noch gut an die Anfänge erinnern.<br />

„Kurz vor Weihnachten<br />

1975 haben wir die erste<br />

Probeschleusung gemacht“,<br />

erzählt er. <strong>Das</strong> <strong>Hooksmeer</strong><br />

bestand zu dem Zeitpunkt<br />

nur aus einem kleinen Rückhaltebecken<br />

inmitten einer<br />

„surrealen Landschaft“, so<br />

Heidemann. Tausende Austernfischer<br />

bevölkerten die<br />

kilometerweite Wattfläche<br />

und suchten im Muschelschill<br />

nach Nahrung. Von<br />

der Schleuse aus konnte er<br />

bis <strong>Hooksiel</strong> gucken. Kein<br />

Baum, kein Strauch und<br />

keine Pflanze stellten sich in<br />

den Weg.<br />

Zum Schutz gegen Windund<br />

Bodenerosionen musste<br />

die Fläche indessen rasch<br />

begrünt werden. Erste Versuchspflanzungen<br />

aus dem<br />

Frühjahr 1977 aber zeigten,<br />

dass der hohe Salzgehalt<br />

zu Beginn große Probleme<br />

bereitete. Die Forstarbeiter<br />

experimentierten daraufhin<br />

mit Bodenbakterien, unterschiedlichsten<br />

Pflanzenarten<br />

und kostspieligen Düngeverfahren.<br />

Als die Maßnahmen<br />

allmählich griffen,<br />

wurden dreißig verschiedene<br />

Weidenarten getestet,<br />

Erlen, Eschen und Pappeln<br />

eingesetzt. Nach dem Willen<br />

des Wasserwirtschaftsamts<br />

sollte sich eine natürliche<br />

Landschaft entwickeln. Ein<br />

Langzeitprojekt, wie sich<br />

herausstellte, das erst im<br />

Jahr 2000 beendet wurde.<br />

Mehr als eine Million Bäume<br />

und unzählige Sträucher<br />

sind gepflanzt worden. Heute<br />

bilden sie einen einzigartigen<br />

Mischwald direkt an<br />

der Küste.<br />

Jedes Jahr im Sommer starten auf der Jaderennbahn<br />

Trabrennfahrer zu ihren Wettfahrten. Vom alten Seedeich<br />

in <strong>Hooksiel</strong> aus lässt sich das Spektakel sehr gut verfolgen<br />

(oben). 1975 wurde die Schleuse in Betrieb genommen. Die<br />

70 Meter lange Kammer verbindet das <strong>Hooksmeer</strong> mit der<br />

Nordsee (links).<br />

28 Ostfriesland Magazin 9/2012<br />

Ostfriesland Magazin 9/2012 29


Die Aufnahme zeigt einen Wasserski-Start. Auch hier ist die karge Landschaft zu erkennen, die erst mühsam<br />

und mit großem Aufwand aufgeforstet werden musste und heute eine vielfältige Vegetation aufweist.<br />

Die Erschließung des Nordufers<br />

schritt weitaus schneller<br />

voran. Bereits Ende der<br />

1970er-Jahre wurden in den<br />

Buchten Steganlagen geschaffen.<br />

Segelsportler aus<br />

<strong>Hooksiel</strong> und Wilhelmshaven<br />

verlegten ihre Boote<br />

hierher. 1980 nahm ein risikofreudiger<br />

Pionier 500000<br />

D-Mark in die Hand und<br />

stellte Masten für eine der<br />

ersten festen Wasserskianlagen<br />

in Deutschland auf.<br />

Hans-Ott Vogt, der Sohn,<br />

der den Lift mittlerweile in<br />

der zweiten Generation betreibt,<br />

erinnert sich ebenfalls<br />

gut, wie es damals am<br />

<strong>Hooksmeer</strong> ausgesehen<br />

hat. Wenn es dunkel wurde,<br />

leuchteten in der Steppe die<br />

1976 fertiggestellte Raffinerie<br />

und das 1981 in Betrieb<br />

genommene Chemiewerk<br />

auf, erzählt er. „Klein Chicago“,<br />

hätten sie die Industrieansiedelungen<br />

wegen ihrer<br />

Silhouette und der unzähligen<br />

Neonlichter genannt.<br />

Da<strong>von</strong> ist mittlerweile nicht<br />

mehr viel zu sehen. Hinter<br />

dem nunmehr grünen Wall<br />

der Schutzzone, der dank<br />

der Intervention <strong>von</strong> Bürgerinitiativen<br />

und der Gemeinde<br />

Wangerland nachträglich<br />

auf fast 16 Meter<br />

erhöht worden ist, verraten<br />

nur noch einzelne Schlote,<br />

was jenseits der kommunalen<br />

Grenze geschieht.<br />

Vier Jahrzehnte nach dem<br />

Beginn der Aufspülung und<br />

Landgewinnungsmaßnahmen<br />

hat das am Schreibtisch<br />

ersonnene Freizeitgelände<br />

seine ganze Pracht entwickelt.<br />

Entlang der Nordseite<br />

zwischen dem <strong>Hooksmeer</strong><br />

und dem Badestrand befindet<br />

sich ein 8,5 Kilometer<br />

langes Wander- und Radwegenetz,<br />

eingefasst in dichte<br />

Vegetation. Für Reiter gibt<br />

es 3,5 Kilometer Reitwege.<br />

In Buchten am Ufer haben<br />

sich eine Werft und ein<br />

Surfclub angesiedelt, ein<br />

Landesleistungszentrum für<br />

Segler ist entstanden. Mit<br />

rund 400 Liegeplätzen beherbergt<br />

das <strong>Hooksmeer</strong> eine<br />

der größten Marinas entlang<br />

der niedersächsischen<br />

Nordseeküste.<br />

Dort, wo früher die Badeanstalt<br />

und der Campingplatz<br />

lagen, befinden sich heute<br />

Fußball- und Tennisplätze<br />

sowie die Trabrennbahn<br />

des <strong>Hooksiel</strong>er Rennvereins.<br />

Jedes Jahr locken Pferderennen<br />

tausende Besucher<br />

an. Vom alten Seedeich aus<br />

können sie zusehen, wie die<br />

Gespanne um das vor ihnen<br />

liegende Oval kreisen. Ein<br />

paar hundert Meter weiter<br />

nördlich wurde außerhalb<br />

des neuen Hauptdeiches der<br />

Campingplatz als einer der<br />

größten seiner Art in Europa<br />

neu aufgebaut.<br />

„<strong>Das</strong> <strong>Hooksmeer</strong> ist ein<br />

Riesenjuwel“, sind sich<br />

Hans-Ott Vogt und Günther<br />

Heidemann einig. Selbst<br />

Dietrich Gabbey sagt inzwischen,<br />

dass eine „einmalige<br />

Oase“ geschaffen wurde<br />

und unter den gegebenen<br />

Umständen „das Beste draus<br />

gemacht“ worden sei. Dennoch<br />

teilen die drei auch die<br />

Meinung, dass bei der Planung<br />

eine Reihe vermeidbarer<br />

Fehler begangen wurden.<br />

Als Beispiel führen sie<br />

permanente Probleme bei<br />

der Umwälzung an. Denn<br />

das Binnengewässer muss<br />

mit großem Aufwand über<br />

die Schleuse mit Frischwasser<br />

versorgt werden.<br />

Andernfalls droht es umzukippen.<br />

Im alten Hafen,<br />

der ohne seine Fischerflotte<br />

ohnehin viel Atmosphäre<br />

eingebüßt hat, ist es immer<br />

wieder zu Geruchsbelästigungen<br />

gekommen. Nur mit<br />

großem Aufwand und dem<br />

Einströmen <strong>von</strong> Sauerstoff<br />

wird vermieden, dass es im<br />

Hafenbecken unangenehm<br />

riecht.<br />

Den größten Ärger aber<br />

bereitet den <strong>Hooksiel</strong>ern<br />

und ihren Gästen bis heute,<br />

dass die Industrie, die nie<br />

im gewünschten Umfang<br />

auf dem Voslapper Groden<br />

angesiedelt werden konnte,<br />

so dicht an den Sielort heran<br />

gebaut wurde. Da in einem<br />

festgeschriebenen Radius<br />

keine Hotels oder andere<br />

Übernachtungsmöglichkeiten<br />

errichtet werden dürfen,<br />

ist der Tourismus in seinen<br />

Entfaltungsmöglichkeiten<br />

dauerhaft beschränkt. Zudem<br />

unterliegt auch die<br />

Nutzung der Schutzzone<br />

strengen Auflagen.<br />

Angesichts der riesigen<br />

brachliegenden Flächen auf<br />

dem Voslapper Groden ist es<br />

für viele <strong>Hooksiel</strong>er schwer<br />

nachzuvollziehen, dass<br />

entlang der kommunalen<br />

Grenze kein klügerer Kompromiss<br />

mit der Stadt Wilhelmshaven<br />

gefunden werden<br />

konnte. Dieser hätte ein<br />

besseres Miteinander <strong>von</strong><br />

Tourismus und Industrie ohne<br />

nennenswerte Nachteile<br />

für beide Seiten erlaubt, sind<br />

sich viele sicher.<br />

Action auf der Wasserskianlage, einer der ersten kommerziellen<br />

Anbieter, der sich am <strong>Hooksmeer</strong> angesiedelt hatte.<br />

Südterrasse beim Wasserskilift am Rande des <strong>Hooksmeer</strong>es.<br />

Pionier am <strong>Hooksmeer</strong>: Hans-Ott Vogt (links und oben<br />

links) hat den Wasserskilift <strong>von</strong> seinem Vater, der ihn 1980<br />

aufgebaut hatte, übernommen.<br />

Er kann sich noch gut daran erinnern, wie es früher hier<br />

ausgesehen hat, als noch keine Bäume den Blick auf die<br />

Industrieanlagen verstellten.<br />

30 Ostfriesland Magazin 9/2012<br />

Ostfriesland Magazin 9/2012 31


Dietrich Gabbey und der<br />

Dietrich‘s Berg, <strong>von</strong> dem<br />

aus man einen schönen<br />

Blick auf die Bucht und<br />

Marina hat.<br />

„Man hat eingesehen,<br />

dass man <strong>Hooksiel</strong> richtig<br />

weh getan hat.“<br />

Blick über die Pferderennbahn<br />

und das Hoocksmeer bis zum<br />

Jade-Weser-Port nach Wilhelmshaven<br />

(im Hintergrund). Jedes<br />

Jahr locken Pferderennen tausende<br />

Besucher an. Vom alten<br />

Seedeich aus können sie zusehen,<br />

wie die Gespanne um das<br />

vor ihnen liegende Oval kreisen.<br />

Luftfoto: Martin Stromann<br />

<strong>Das</strong>s die Pläne der Landesregierung und der Stadt Wilhelmshaven<br />

zur industriellen Erschließung des Voslapper<br />

Grodens Widerstand in <strong>Hooksiel</strong> provozieren würden,<br />

war abzusehen. Zu einschneidend waren die Veränderungen, zu<br />

groß die Abhängigkeit des Sielortes vom Tourismus. Angesichts<br />

der Dimensionen des Projekts erstaunt es daher, dass es lange<br />

dauerte, ehe sich eine Bürgerinitiative formierte, die zum Kampf<br />

gegen die geplanten Industrieansiedlungen aufrief.<br />

„Vielen war offensichtlich lange Zeit nicht klar, wer da auf der<br />

Südseite als Nutzer auftauchen würde“, sagt Dietrich Gabbey,<br />

der sich an die Spitze der Gegenbewegung setzte. Als Vorsitzender<br />

des Initiativausschusses, in dem sich Mitte der 1970er-Jahre<br />

<strong>Hooksiel</strong>er Vereine und Organisationen zusammenschlossen,<br />

und später als Ratsmitglied und Bürgermeister der Gemeinde<br />

Wangerland verfolgte er argwöhnisch die Aktivitäten des kommunalen<br />

Nachbarn. „Da wurde der Industrie ohne Rücksicht auf<br />

die Menschen und die weitere Entwicklung in <strong>Hooksiel</strong> alles ermöglicht,<br />

was sie wollte“, ärgert er sich. In einer Zeit, in der es<br />

weder Planfeststellungsverfahren noch Umweltverträglichkeitsstudien<br />

gab, hatten Industrielle in Wilhelmshaven nahezu freie<br />

Hand. „Ganz bewusst“, kritisiert Gabbey, sei man mit den ersten<br />

Ansiedlungen bis an das Grenzgebiet gegangen.<br />

Für reichlich Zündstoff sorgte auch der damalige Oberstadtdirektor<br />

Wilhelmshavens, Dr. Gerhard Eickmeyer, mit einer unbedachten<br />

Äußerung: „Wenn ICI kommt, ist <strong>Hooksiel</strong> in drei Jahren<br />

als Fremdenverkehrsort tot“, meinte er lapidar zum beabsichtigten<br />

Bau eines Chemiewerkes und beschwor spätestens dadurch<br />

massiven Gegenwind auf Seiten des Wangerlands herauf. <strong>Das</strong><br />

Thema erreichte den Rat der Gemeinde, in den Dietrich Gabbey<br />

bei der Wahl 1976 auf Anhieb gewählt worden war. Trotz Beschwichtigungsversuchen<br />

sowohl des eigenen Bürgermeisters<br />

als auch des Gemeindedirektors bildete sich eine fraktionsübergreifende<br />

Mehrheit, die eine Klage gegen die Bebauungspläne<br />

der Stadt Wilhelmshaven anstrengte.<br />

Es kam zu unzähligen Anhörungen, Verhandlungen und<br />

Schlichtungsversuchen, im Zuge derer sich die <strong>Hooksiel</strong>er<br />

schließlich teure Zugeständnisse des Landes und der Indus trieunternehmen<br />

erstritten. Die Klage wurde daraufhin zurückgezogen.<br />

Im Gegenzug verpflichteten sich das Land Niedersachsen<br />

und ICI zu umfassenden Kompensationsmaßnahmen. Der<br />

Schutzwall, der die Industrieanlagen vom <strong>Hooksmeer</strong> trennte,<br />

musste nachträglich auf fast 16 Meter erhöht und das gesamte<br />

Areal aufwendig aufgeforstet werden. <strong>Hooksiel</strong> erhielt zudem ein<br />

neues Hallenwellenbad und großzügige Mittel für Landschaftsgestaltungsmaßnahmen.<br />

„Da bin ich heute noch stolz drauf“,<br />

sagt Gabbey mit Genugtuung. „Man hat eingesehen, dass man<br />

<strong>Hooksiel</strong> richtig wehgetan hat.“<br />

Die Beziehungen zwischen Wilhelmshaven und dem Wangerland<br />

haben in dieser Zeit auf Jahre hinaus schweren Schaden<br />

genommen, zumal die erhofften Steuereinnahmen nie im gewünschten<br />

Umfang erzielt werden konnten. Statt der ursprünglich<br />

versprochenen 2000 Arbeitsplätze fanden bei ICI nur rund<br />

400 Menschen eine Anstellung, viele da<strong>von</strong> kamen als Fachkräfte<br />

<strong>von</strong> außerhalb. Die Raffinerie ist seit 2011 zum wiederholten<br />

Male stillgelegt und dient heute nur noch als Tanklager. Auf weitere<br />

Ansiedlungen auf dem Voslapper Groden wartet Wilhelmshaven<br />

bislang vergeblich.<br />

In <strong>Hooksiel</strong> haben die Natur und Zeit unterdessen geholfen,<br />

die Wunden in der Landschaft weitgehend zu schließen. Aus<br />

der anfänglich nahezu farblosen Sandwüste hat sich im Laufe<br />

der Jahre ein farbenfrohes und prachtvolles Naherholungsgebiet<br />

entwickelt. Dietrich Gabbey kommt mittlerweile gerne hierher.<br />

Ab und an steigt er dann auf einen kleinen Rodelhügel, <strong>von</strong> dem<br />

aus er einen schönen Blick auf das <strong>Hooksmeer</strong> hat. Der Hügel<br />

hat einen Namen: Er heißt Dietrich‘s Berg.<br />

32 Ostfriesland Magazin 9/2012<br />

Ostfriesland Magazin 9/2012 33

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