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Chronik - spektrum nord

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hronik<br />

1912 - 2012<br />

KBV<br />

„Free herut“<br />

Ardorf


Inhaltsverzeichnis<br />

Editorial 5<br />

Einleitung (von Johann Willms) 6<br />

1912 - 1933: Die Gründerjahre 10<br />

Berend „Bernd Klootscheeter“ Onken 14<br />

1933 - 1945: Im Schatten des Faschismus 18<br />

Gefrorene Rüben als Pockholt-Ersatz 20<br />

1945 - 1964: Neuaufbau nach dem Krieg 22<br />

Johann Ihnen – von Ardorf an die Spitze des FKV 30<br />

1964 - 1980: Willkommen in der Landesliga 32<br />

Hayung Menken – der Mann mit dem goldenen Arm 40<br />

1980 - 2000: Jahre des Umbruchs 42<br />

Heike Göken – das Ausnahmetalent 51<br />

2000 - 2012: Auf dem Höhepunkt des Erfolgs 52<br />

Im Gespräch mit Fenja Frerichs und Ann-Christin Peters 62<br />

Bilder, Zahlen, Daten und Fakten 64<br />

Grußworte 68<br />

Impressum 74<br />

Moin mitnanner,<br />

nu is dat sowiet, uns Vereen „Free herut“ is 100 Johr old<br />

worden. Dat is doch`n stolt Oller. Wat heet hier old? För en<br />

Vereen is 100 Johr ja heel nich so völ. Un doch, wo männig<br />

Wettstrieden un sportliche Slachten mögen uns Vörfohren un<br />

de nächste Generationen woll utdrogen hebben? Dat sünd`n<br />

heel Bült. Mall Weer kennen de Fresenspölers ja nich. Of dat<br />

ieskold is, stiev regent oder ok bi Hitt, dat de Sweet bi de Puckel<br />

rünner löppt, wenn „Free herut“ to en Wettkampf röppt,<br />

sünd de Ardörpers daar. Up jo wär un is immer Verlaat.<br />

För uns Fresenspölers gifft dat eben nix moieres, as uns<br />

mit uns Gegners to en Wettkampf to dropen. De Lüd, de an<br />

d`Straat wohnt, de weten dat all, nu is dat vörbi mit de Middagsstünn.<br />

In de ganze Johren sünd daar ok mit de Gegners richtige Fründskuppen entstahn. Ja good, de en<br />

of anner mögen ji villicht nich so gern lieden, ober respekteren deit man sük gegensiedig. Wenn dat denn<br />

noch moi Weer is, un ok noch en Sieg no Hus dragen word, denn is de Welt för uns in d`Rieg.<br />

Siet de Söventiger Johren sünd ok de Froolü mit up d`Straat an d`Boßeln. Se hebben domaals seggt, wat ji<br />

Mannlü könnt, willen wi ok. Ik meen, dat is ok good so, dat se sük dörsett hebt. Bit vandaag hebt se mennig<br />

Meisterschaft un Pokal för uns Vereen wunnen. Uns Kinner wassen van lütt an mit uns Sport up. Se sölen uns<br />

ja eenmol würdig un good vertreden. Mien Bidde an de Ölleren, wiesd uns Kinner, wu man en goden Boßeler<br />

oder Klootscheeter word. Ik meen, dat is uns Plicht. Dat moi an uns Fresenspöl is abers ok, dat wi Ölleren nich<br />

de över sünd. Wi können bit in`t hohe Oller mitsmieten (wenn de Knaken man mitmaken).<br />

So, nun will ik man uphollen to schrieven. Bi dat dörlesen un bekieken van de Biller wünsk ik jo völ Spaß. Ik<br />

gröt jo mit uns Fresengruß un blievt alltied gesund.<br />

Lüch up un fleu herut<br />

Johann Schoon<br />

Ardorf, im November 2012<br />

4 5


1980 - 2000<br />

Jahre des<br />

Umbruchs<br />

Im Nachhinein den Abstieg der Damenmannschaft<br />

aus der Landesliga im Frühjahr 1979 als Auslöser zu<br />

bezeichnen, würde der Sache nicht gerecht werden.<br />

Aus heutiger Sicht aber markiert dieser erste sportliche<br />

Dämpfer am Ende eines goldenen Jahrzehnts dennoch<br />

einen Wendepunkt in der Vereinshistorie. Fast scheint es,<br />

als hätte der KBV „Free herut“ die 1980er- und speziell die<br />

1990er-Jahre gebraucht, um die vielen vorangegangenen<br />

Erfolge zu verarbeiten, durchzuschnaufen und sich<br />

– wohlgemerkt auf hohem Niveau – zu konsolidieren.<br />

Denn auch wenn es nicht unmittelbar zu erkennen war,<br />

mit Beginn dieser beiden Jahrzehnte brach eine Phase<br />

der Neuorientierung an.<br />

Den ersten Fingerzeig für die Veränderungen gaben<br />

zweifelsohne die Damen, die der immer größeren und<br />

vor allem stärkeren Konkurrenz in Ostfriesland vorübergehend<br />

nicht mehr gewachsen waren. Nach ihrem<br />

ersten Abstieg pendelten sie zwischen der Kreis- und<br />

Landes- sowie der 1982 gegründeten Bezirksliga. Aber<br />

42 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 43


nicht nur bei ihnen schmolz der Vorsprung, den sich<br />

die Ardorfer in mancher Hinsicht auf andere Vereine<br />

erarbeitet hatten, merklich dahin. Die Konkurrenz holte<br />

allenthalben mit großen Schritten auf und stürzte die<br />

erfolgsverwöhnten Ardorfer auch bei den Männern und<br />

in der Jugend bald unsanft vom Thron.<br />

Zunächst jedoch durfte „Free herut“ noch einmal das<br />

Gefühl des Triumphes genießen. Die Jugendmannschaft<br />

um Alfred Lindner, Johann Göken, Michael<br />

Menken, Hartmut Frerichs, Hartmut Veith und Gerold<br />

Ihnen hatte ihren jahrelang andauernden Siegeszug<br />

1980 mit dem Gewinn der LKV- und FKV-Meisterschaft<br />

fortgesetzt. An Bord des blauen Blitz genannten Mannschaftsbusses<br />

eilten sie<br />

von Erfolg zu Erfolg. Und<br />

auch die Männer-I-Mannschaft<br />

spielte 1981/82<br />

noch einmal eine überragende<br />

Saison. In der Landesliga<br />

entschied sie einen<br />

packenden Zweikampf mit<br />

Pfalzdorf knapp für sich<br />

und bezwang kurz darauf<br />

im Duell um den FKV-Titel<br />

Abschlusstabelle der Landesliga ihren Dauerrivalen aus Oldenburg,<br />

KBV Halsbek. Was<br />

Männer I. Der KBV „Free herut“ landet<br />

noch einmal ganz vorne.<br />

da noch keiner ahnte: Bis<br />

zu den nächsten Titelgewinnen<br />

auf Verbandsebene sollten zehn und weitere<br />

sieben Jahre vergehen.<br />

Die Gründe dafür dürften unter anderem in einem<br />

Generationswechsel und einer lange vernachlässigten<br />

Jugendarbeit zu suchen sein. Johann Schoon,<br />

Nach ihrem Abstieg aus der Landesliga griffen die Damen mit<br />

der Verstärkung von einer ganzen Reihe junger Werferinnen in der<br />

Kreisliga neu an. Das Bild zeigt die Mannschaft bei einem Ausflug<br />

Anfang der 1980er-Jahre.<br />

seinerzeit aktiver Männer-I-Werfer, der 1982 als Schriftführer<br />

in den Vorstand gewählt wurde und drei Jahre<br />

später den Vorsitz von Wolfgang Müller übernahm,<br />

erinnert sich: In den Jahren nach der gewonnenen<br />

Meisterschaft hätten „eine ganze Reihe gestandener<br />

und erfahrener Mannschaftsmitglieder“ das sportliche<br />

Flaggschiff des KBV verlassen. Einige rückten in die<br />

neue Altersklasse Männer II auf, andere wechselten<br />

zurück in ihre Heimatvereine. Die entstehenden Lücken<br />

habe man so schnell nicht schließen können, sagt<br />

Johann Schoon.<br />

In der Folge stieg Ardorf mit seiner Männer-I-Mannschaft<br />

zweimal nacheinander um ein Haar aus der<br />

Landesliga ab. Sowohl 1985 als auch 1986 retteten die<br />

Roten sich jeweils nur mit Mühe auf den achten und<br />

damit ersten Nichtabstiegsplatz in der mittlerweile auf<br />

zehn Vereine reduzierten Liga. 1994 dann ließ sich der<br />

erste Abstieg in die Bezirksliga nicht mehr vermeiden.<br />

Der Klassenunterschied zu den neuen Überfliegern<br />

Blomberg und Pfalzdorf, die sage und schreibe 14<br />

Jahre lang den Titel unter sich ausmachten, war immer<br />

offensichtlicher geworden.<br />

Es rächte sich nun, dass aus den eigenen Reihen<br />

kaum leistungsstarke Spieler nachkamen. Erfolge<br />

einzelner Starter oder auch Mannschaften hatten lange<br />

darüber hinweg getäuscht, dass es zu wenige Nachwuchswerfer<br />

gab, die mit Bedacht und über einen längeren<br />

Zeitraum in die Männer- und Damenmannschaften<br />

integriert werden konnten. Zwar gab es Beispiele<br />

wie das Ausnahmetalent Heike Göken (heute Ahrends)<br />

das schon als 13-Jährige regelmäßig bei den Frauen<br />

um Punkte mitwarf. In der Breite aber fehlte es im KBV<br />

an Qualität und an Jugendmannschaften, in denen die<br />

Schüler reifen konnten. Aus Mangel an Alternativen<br />

traten in dieser Zeit beispielsweise neben Heike Göken<br />

mit Mathilde Cornelius, Elke Grotelüschen, Jutta Lindemann,<br />

Alice Veith und Sigrid Lürkens weitere Mädchen<br />

bei den Kämpfen der Frauen an, obwohl sie eigentlich<br />

noch in der Jugend hätten spielen sollen.<br />

Die Umwälzungen indessen beschränkten sich nicht<br />

nur auf die Mannschaften. Auf Vorstandsebene gab<br />

es ebenfalls bedeutende personelle Veränderungen.<br />

Nachdem Adde Otten bereits 1976 als 2. Vorsitzender<br />

aus Altersgründen auf seine Wiederwahl verzichtet<br />

hatte, kündigte sich ein paar Jahre später auch ein<br />

Wechsel an der Vereinsspitze an. 1985 übergab Wolfgang<br />

Müller das Amt des 1. Vorsitzenden in die Hände<br />

von Johann Schoon. Ein schweres Erbe für den jungen<br />

Collrunger, der nicht nur in die Fußstapfen eines 34<br />

Jahre lang erfolgreichen Vorgängers trat und hohe<br />

18.2.1984 – Länderkampf in Ardorf<br />

Über 800 Käkler und Mäkler versammelten sich<br />

am 18. Februar 1984 in Ardorf, um den 15. Länderkampf<br />

zwischen Oldenburg und Ostfriesland<br />

zu verfolgen. Einer von ihnen war Helmut Burmann,<br />

Sportredakteur des Anzeiger für Harlingerland.<br />

„Es war ein eiskalter und sonniger Tag“,<br />

erinnert sich der Reporter an ideale Bedingungen<br />

und eine interessante Strecke entlang des<br />

Nordertiefs. Zwei Gräben galt es zu überwerfen,<br />

dazu eine Straße und eine hohe Baumreihe. Einziger<br />

Schönheitsfleck: Auf einem Abschnitt hatte<br />

ein Landwirt Mist gestreut und damit guten Trüll<br />

verhindert. Helmut Burmann schrieb von einem<br />

Gelände mit „hohem Kaloriengehalt“, lobte aber<br />

die Ardorfer ansonsten für eine nahezu perfekte<br />

Organisation. Am Ende des stimmungsvollen<br />

Wettkampfes setzten sich die Ostfriesen durch –<br />

denkbar knapp mit gerade 83,70 Meter.<br />

Quelle: Archiv Anzeiger für Harlingerland<br />

44 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 45


Erwartungen befriedigen musste, sondern zudem<br />

strukturelle Probleme zu lösen hatte.<br />

Und so mischten sich bei aller Freude anlässlich des<br />

75-jährigen Bestehens einige nachdenkliche Töne in<br />

die stolzen Reden, die im November 1987 im Rahmen<br />

der Jubiläumsfeier im großen Saal der Gaststätte Müller<br />

geschwungen wurden. Auf der einen Seite betonten<br />

die zahleichen Ehrengäste und Gratulanten um den<br />

FKV-Vorsitzenden Johann Ihnen zurecht, dass da „wo<br />

Nicht nur wegen der mitunter putzigen Frisuren fällt diese Aufnahme aus dem<br />

Jahr 1993 in die Kategorie Rarität. Denn die hier abgebildeten Ardorfer Jugendlichen,<br />

die in einer gemischten Mannschaft den Kreismeistertitel gewonnen<br />

hatten, zählten zu den wenigen Jungen und Mädchen, die der Verein zu dieser Zeit<br />

überhaupt noch hatte.<br />

Quelle: Archiv Anzeiger für Harlingerland<br />

es im Friesenspiel langgeht, Ardorf immer in vorderster<br />

Reihe zu finden“ sei. Auf der anderen Seite mahnte der<br />

neue 1. Vorsitzende des KBV „Free herut“: Angesichts der<br />

geburtenschwachen Jahrgänge und im Sinne eines breiten<br />

Vereinsangebots gelte es, „künftig näher zusammenzurücken.“<br />

Johann Schoon sorgte sich um die aktuelle<br />

Entwicklung – und er sollte Recht behalten.<br />

Denn Anfang der 1990er-Jahre erreichten die Nachwuchssorgen<br />

in Ardorf ihren Höhepunkt. Zwar setzte<br />

die männliche Jugend B mit dem Gewinn des LKV- und<br />

auch FKV-Titels 1992 nach langer Zeit wieder einen<br />

Glanzpunkt, und im Jahr darauf holte eine gemischte Jugendgruppe<br />

der Altersklasse D die Kreismeisterschaft im<br />

Straßenboßeln. Insgesamt aber gab es im Verein gerade<br />

eine Handvoll Jungen und Mädchen, die aktiv warfen. Es<br />

musste etwas passieren.<br />

Ausgerechnet der 1. Vorsitzende Johann Schoon fand<br />

jedoch zu dieser Zeit nur selten die Gelegenheit, sich<br />

der Probleme anzunehmen. Weil ihn der Beruf immer<br />

häufiger von Ardorf fortzog, entschloss er sich für einen<br />

Schnitt. Nach einer ersten achtjährigen Amtszeit stellte<br />

er 1993 seinen Posten zur Verfügung und machte so<br />

den Weg frei für Friedhelm Veith. Der Ardorfer – wie<br />

auch sein Vorgänger ein aktiver Boßler – erinnert sich<br />

noch gut an einen seiner ersten repräsentativen Termine<br />

im neuen Amt. Während einer Siegerehrung für die<br />

Wittmunder Jugend-Kreismeister bekam er deutlich vor<br />

Augen geführt, wie wenige Ardorfer unter den Jungen<br />

und Mädchen waren. „Wir hatten insgesamt vielleicht<br />

zehn Jugendwerfer“, registrierte er erschrocken. Und so<br />

legte er an der Seite von tatkräftigen Vereinsmitgliedern<br />

noch im gleichen Jahr die Basis für einen bemerkenswerten<br />

Aufschwung.<br />

Hoher Besuch aus Brüssel<br />

Über mangelnde Gastfreundschaft<br />

kann man sich in Ardorf nicht<br />

beklagen. Diese Erfahrung wurde<br />

im Mai 1990 auch dem damals<br />

politisch zweitwichtigsten Mann<br />

Europas, Martin Bangemann, zuteil.<br />

Bangemann, gebürtiger Emder<br />

und seinerzeit Vizepräsident der<br />

Europäischen Gemeinschaft (heute<br />

EU), hatte sich vorgenommen, den<br />

Friesensport näher kennenzulernen.<br />

Da dies in Brüssel nicht so ohne<br />

Weiteres möglich war, fragte er kurzerhand<br />

dort an, wo sie vom Boßeln<br />

offenkundig eine Menge verstehen:<br />

In Ostfriesland, genauer in Ardorf.<br />

Auf der – laut Berichterstattung des<br />

Anzeiger – „beliebtesten Boßelstrecke<br />

des Harlingerlandes“ zwischen Ardorf<br />

und Spekendorf ließ sich Bangemann<br />

nebst Mitarbeiterstab in die Geheimnisse<br />

des Friesensports einweihen.<br />

Niemand Geringeres als die amtierende<br />

Europameisterin – und Ardorferin<br />

– Heike Göken demonstrierte den<br />

weitgereisten Gästen und ihren Familien,<br />

wie die Kugel möglichst lange<br />

auf der für den öffentlichen Verkehr<br />

gesperrten Straße rollt. Begrüßt<br />

worden war der Tross zuvor vom<br />

kurzerhand zusammentelefonierten<br />

Ardorfer Landfrauen-Singkreis und<br />

dem FKV-Vorsitzenden Johann Ihnen.<br />

Der Imagegewinn für die Ardorfer,<br />

die ihren Besuchern zuverlässig einen<br />

herzlichen Empfang bereitet hatten,<br />

darf durchaus groß bezeichnet<br />

werden. Das Ansehen des Politikers<br />

aber dürfte mit dieser Aktion ein paar<br />

„Der Schwung war nicht schlecht“, textete der Anzeiger für Harlingerland im Mai<br />

1990 spöttelnd unter das Bild des boßelnden EG-Vizepräsidenten Martin Bangemann<br />

auf der Hohebarger Straße. <br />

Quelle: Archiv Anzeiger für Harlingerland<br />

tiefe Kratzer abbekommen haben.<br />

Nicht wenige Ardorfer und Ostfriesen<br />

jedenfalls runzelten erstaunt die Stirn,<br />

mit welcher Selbstverständlichkeit<br />

der honorige Politiker die große Gastfreundschaft<br />

genossen, die Zeche<br />

aber den Landkreisen überlassen<br />

hatte.<br />

46 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 47


Erstmals seit einer jahrelangen Unterbrechung organisierte<br />

der Vorstand um die neue Jugendwartin Edeltraud<br />

Cornelius und Sportwart Hinni Gerdes im Rahmen des alljährlichen<br />

Sommerfestes wieder einen Fünfkampf für Kinder<br />

und Jugendliche. „Die Tradition stammt eigentlich aus<br />

den 1970er-Jahren. Wir haben sie einfach wieder aufleben<br />

lassen“, erzählt Friedhelm Veith. Das Ziel war klar: „Jedes<br />

Kind ist mit einem Boßel nach Hause gegangen. Der Fokus<br />

lag erstmal auf der Quantität“, so Friedhelm Veith. Vorher<br />

sei viel zu lange „immer nur auf einige wenige Jugendliche“<br />

hingearbeitet worden.<br />

Der erhoffte Effekt ließ nicht lange auf sich warten: Waren<br />

es in der Saison 1994/95 gerade zwei Mannschaften,<br />

stellte „Free herut“ ein Jahr darauf bereits vier Jugendteams<br />

und zählte insgesamt rund 30 Jungen und Mädchen. Und<br />

der Zustrom riss nicht ab. Anfangs sei es noch schwierig<br />

gewesen, Betreuer für die vielen neuen Nachwuchswerfer<br />

zu finden, beschreibt Edeltraud Cornelius den Beginn des<br />

Aufschwungs. Mit der Zeit habe sich aber rumgesprochen,<br />

dass in der Jugendabteilung des KBV etwas bewegt wird.<br />

Ins Zentrum rückte dabei immer stärker der Wehler Weg,<br />

genauer gesagt das Haus mit der Nummer 2. Hier, in der<br />

Garage der Familie Cornelius, gaben sich im Laufe eines<br />

Sonnabendnachmittags die Jugendlichen nach ihren<br />

Heimkämpfen auf der Hohebarger Straße sprichwörtlich<br />

die Klinke in die Hand. Da das Stammlokal des KBV „Free<br />

herut“, die Vereinsgaststätte Müller an der Heglitzer Straße,<br />

zu den Abwurfzeiten der Jugendmannschaften geschlossen<br />

hatte, ergab es sich, dass die Kinder, ihre Betreuer<br />

und Eltern immer öfter bei der Familie Cornelius zusammenkamen.<br />

„Angefangen hat alles in der Küche“, weiß<br />

Edeltraud Cornelius zu erzählen. Irgendwer habe etwas<br />

trinken wollen, man sei sitzen geblieben und am nächsten<br />

Wochenende einfach wieder gekommen.<br />

Die Küche wurde schon bald zu klein, weil sich die<br />

Treffen zu einem festen Ritual entwickelten: Nach den<br />

Spielen traf man sich wie selbstverständlich am Wehler<br />

Weg bei Cola und Süßigkeiten, saß auf Gartenstühlen<br />

und bekam stets die aktuellen Ergebnisse der anderen<br />

Mannschaften mit. „Es war ein Kommen und Gehen, und<br />

die Garage ist aus allen Nähten geplatzt“, sagt Edeltraud<br />

Cornelius. An einem kalten Wintertag wurde eine Heizung<br />

herbeigeschafft, und wenn die Kinder nach Hause<br />

gegangen waren, blieben die Betreuer noch lange<br />

zusammen und feierten bis tief in die Nacht. Legendäre<br />

Partys seien das gewesen, erzählt Hinni Gerdes.<br />

Weil es irgendwann in der Garage so voll wurde,<br />

dass die Leute förmlich aufeinander saßen, wuchs der<br />

Wunsch nach einer neuen Lösung. Es fügte sich dabei,<br />

dass auf dem nahen Grundstück von Sportwart Hinni<br />

Gerdes eine ehemalige Lagerhalle der Genossenschaft<br />

brachlag. Nach der Idee und Plänen von Hinni Gerdes<br />

wurde das Gebäude umgebaut. Es entstand die „Bude“.<br />

Von der ursprünglichen Halle, in der Futtermittel und<br />

Bilder, Protagonisten und Schauplätze eines eindrucksvollen<br />

Aufschwungs: Mit der Wahl von Friedhelm Veith und Edeltraud<br />

Cornelius (von links nach rechts) wurde die Jugendarbeit im KBV<br />

„Free herut“ in den 1990er-Jahren wiederbelebt. Durch Fünfkämpfe<br />

schon für die Kleinsten weckte der Verein gezielt das Interesse für<br />

den Friesensport, was sich in steigenden Meldezahlen bemerkbar<br />

machte. Die Strecke am Domhuser Weg wurde dabei zum Zentrum<br />

und Sinnbild eines neuen Ardorfer Jugendstils. Treffpunkt war die<br />

Garage der Familie Cornelius am Wehler Weg, die jedoch bald zu<br />

klein wurde. Ein Neubau musste her: Die legendäre „Bude“ bei<br />

Hinni Gerdes entstand.<br />

48 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 49


Dünger gelagert worden waren, blieben nur ein paar<br />

Holzbalken stehen. Um sie zog Hinni Gerdes in unzähligen<br />

Arbeitsstunden nach Feierabend neue Wände hoch<br />

und schuf einen gemütlichen Raum, der Platz für über<br />

50 Personen, einen Ofen und eine Theke bieten sollte.<br />

1998 wurde das Richtfest gefeiert, im Laufe der Saison<br />

98/99 wechselten die Jugendmannschaften dann endgültig<br />

hierher.<br />

Der Bau der Bude am Domhuser Weg lieferte das<br />

treffende Sinnbild für die Veränderungen, die der KBV<br />

„Free herut“ in den Jahren vor dem Milleniumswechsel<br />

vollzog. Die Jugend erhielt im Verein sprichwörtlich ein<br />

neues Zuhause. „Wir zehren heute noch von dem, was<br />

wir in den 90ern gemacht haben“, weiß Hinni Gerdes<br />

um die Früchte, die sie in Ardorf in den nachfolgenden<br />

Jahren ernten konnten und können.<br />

Kaderschmiede: An Spielern wie Thomas Cornelius (beim Abwurf) ließ sich bereits Ende<br />

der 1990er-Jahre erkennen, dass die Jugendarbeit im KBV „Free herut“ fruchten würde.<br />

Bei aller Konzentration auf die Jugend darf allerdings<br />

nicht vergessen werden, dass auch in den anderen<br />

Mannschaften des Vereins reges Leben herrschte. Die<br />

Männer-I-Mannschaft kämpfte nach ihrem Abstieg in der<br />

Bezirksliga um erneuten Anschluss an ganz oben und<br />

kehrte 1996 für ein kurzes Gastspiel und nur eine Saison<br />

ins Oberhaus des Boßelns zurück. Ihre Bemühungen<br />

litten jedoch unter dem Aufbau eines konkurrenzfähigen<br />

Männer-II-Teams, das 1983 gegründet worden war und<br />

langfristig ebenfalls den Weg in die Landesliga finden<br />

sollte. Und wie die Männer-I- versuchte auch die Frauen-<br />

I-Mannschaft in den Jahren nach dem Abstieg, die Lücke<br />

zu den Spitzenteams zu schließen. Zwar schaffte sie<br />

gleichfalls eine kurzzeitige Rückkehr in die Landesliga,<br />

letztlich aber verhinderte auch hier der Aufbau einer<br />

starken Frauen II etwaige Titelambitionen der jüngeren<br />

Damen. Als in der Saison 1989/90 die Landesliga der<br />

Frauen II ihren Spielbetrieb aufnahm, waren die Ardorferinnen<br />

mit einem Team vertreten. Zeitgleich bestritten<br />

die Frauen I ihre Wettkämpfe in der Kreisliga.<br />

Sobald jedoch Vielseitigkeit unter Friesensportlern gefragt<br />

war, blieb der KBV „Free herut“ das Maß der Dinge.<br />

Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen führte<br />

im Mehrkampf der Weg in den 1980er- und 1990er-<br />

Jahren nur selten an Ardorf vorbei. Und auch bei den<br />

Einzelmeisterschaften stellte der KBV wiederholt seine<br />

Ausnahmestellung im Kreis Wittmund unter Beweis. Was<br />

eine Zeitlang fehlte, waren lediglich die großen Erfolge<br />

im Ligageschehen der Straßenboßler. In den jüngeren<br />

Jahrgängen reiften jedoch die ersten Talente, die den<br />

etablierten Werfern schon bald Konkurrenz machen<br />

sollten. Der KBV „Free herut“ blies zum Angriff – und war<br />

stärker denn je.<br />

Heike Göken (Ahrends) – das Ausnahmetalent<br />

Schon als kleines Kind hatte sie mit<br />

ihrem sechs Jahre älteren Bruder und<br />

dessen Freunden stundenlang auf<br />

den Straßen von Ardorf geboßelt. Als<br />

sie elf Jahre war, wurde sie Mitglied<br />

im KBV. Im Alter von 13 betrat Heike<br />

Ahrends (geborene Göken) dann die<br />

große Bühne. Nicht schüchtern, nicht<br />

zaghaft, sondern wie es ihre Art ist:<br />

Mit einem Paukenschlag.<br />

Am 15. Mai 1982 fanden in Ludwigsdorf<br />

die 6. Ostfriesischen Einzelmeisterschaften<br />

im Straßenboßeln<br />

statt. Und selbst gestandene Friesensportler<br />

rieben sich angesichts der<br />

Leistungen der noch weitestgehend<br />

unbekannten Schülerin aus Ardorf<br />

verwundert die Augen. Mit einer Gesamtweite<br />

von 1883 Metern und fast<br />

400 Metern Vorsprung deklassierte<br />

sie nicht nur die gleichgeschlechtliche<br />

Konkurrenz, sondern hätte auch bei<br />

den Jungen noch deutlich gewonnen.<br />

Es war der Beginn einer eindruckvollen<br />

Laufbahn: Insgesamt fünf Mal<br />

holte Heike Ahrends Gold bei den LKV-<br />

Meisterschaften, dazu vier silberne<br />

und drei bronzene Medaillen. Auch<br />

auf FKV-Ebene stand sie zwölf Mal als<br />

Einzelsiegerin auf dem Podium, vier<br />

Mal davon ganz oben. 1988 wurde<br />

sie Mannschaftseuropameisterin im<br />

Straßenboßeln und im Mehrkampf<br />

sicherte sie sich auf Kreis-, LKV- und<br />

Die Nummer eins: Das Bild links zeigt die Ardorfer<br />

Ausnahmesportlerin beim Wettkampf mit<br />

der Eisenkugel im Jahr 1990. Den viel beachteten<br />

Durchbruch schaffte sie allerdings bereits im Mai<br />

1982. Quellen: Archiv Anzeiger für Harlingerland<br />

Wochenende für Wochenende ist sie auf den Ardorfer Boßelstrecken<br />

anzutreffen: Heike Göken, die seit ihrer Heirat Ahrends heißt.<br />

FKV-Ebene gleich reihenweise den<br />

Einzeltitel. Bis heute wirft die Gummikugelspezialistin<br />

in der Frauen-<br />

I-Mannschft in der Landesliga. Was<br />

sie aber besonders auszeichnet: Für<br />

die größte Konkurrenz innerhalb des<br />

Vereins sorgt sie selbst: Seit über zehn<br />

Jahren engagiert sie sich als Frauenwartin<br />

im Vorstand, ist Mannschaftsführerin<br />

und große Fürsprecherin für<br />

die Jugend. Dem Werben anderer Vereine<br />

hat sie dabei in all den Jahren widerstanden.<br />

Insbesondere zu Beginn<br />

der 1990er hatten Spekendorf und<br />

Blomberg sich intensiv um die Dienste<br />

der Ausnahmeathletin bemüht: Heike<br />

aber blieb ihrem KBV „Free herut“ treu.<br />

Der Grund dafür klingt einleuchtend:<br />

„Ich habe auf mein Herz gehört“, sagt<br />

sie und lacht.<br />

50 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 1980 - 2000 Jahre des Umbruchs 51


2000 - 2012<br />

Auf dem Höhepunkt<br />

des Erfolgs<br />

Es war wohl eine Mischung aus Verzweiflung,<br />

Ratlosigkeit und Hoffnung, die Johann Tjardes, den<br />

Geschäftsführer des KBV Ardorf, im Frühjahr 2000 dazu<br />

brachte, Johann Schoon aufzusuchen. Wenige Tage zuvor<br />

hatte Friedhelm Veith aufgrund von unüberbrückbaren<br />

Differenzen innerhalb des Vorstands sein Amt als<br />

1. Vorsitzender niedergelegt. Dem Verein drohte eine<br />

Zerreißprobe, und so recht wussten Johann Tjardes<br />

und seine Vorstandskollegen um den 2. Vorsitzenden<br />

Onno Frerichs nicht, wie sie mit der Situation umgehen<br />

sollten.<br />

Um die Wogen zu glätten und die Gräben zu schließen,<br />

die sich zwischen zwei Lagern aufgetan hatten,<br />

musste ein Mittler her – jemand, der von allen Seiten<br />

akzeptiert war. Johann Tjardes wendete sich daraufhin<br />

an Johann Schoon und klagte dem früheren 1. Vorsitzenden<br />

sein Leid. Auch wenn die Rückkehr Schoons an<br />

die Spitze des Vereins in diesem Gespräch nicht offen<br />

zur Sprache kam, am Ende war Tjardes sicher, dass er<br />

52 2000 - 2012 Auf dem Höhepunkt des Erfolgs 2000 - 2012 Auf dem Höhepunkt des Erfolgs 53<br />

Foto: Wilfried Frerichs / Ostfriesische Nachrichten


Der KBV „Free herut“ Ardorf im Jahr 2012<br />

Anschrift: Collrunger Straße 14, 26409 Ardorf.<br />

Geschäftsführender Vorstand: Johann Schoon (1. Vorsitzender); Johann Ihnen (2. Vorsitzender); Kerstin Magerschinski<br />

(Geschäftsführerin); Hinrich Willms (Kassenwart).<br />

Erweiterter Vorstand: Pia Bramkamp (Schriftführerin); Hinni Gerdes (Sportwart); Birko Menken (Jugendwart, stellvertretender<br />

Sportwart und Gerätewart); Thorsten Grotelüschen und Heino Peters (Jugendwart); Heike Ahrends und Astrid<br />

Fähnders (Frauenwartin); Ramona Nolte-de Buhr, Thomas de Buhr, Thomas Cornelius und Tjebbe Tjardes (Festausschuss).<br />

Mitgliederzahl: 275 (Stand: Oktober 2012), davon rund ein Drittel weiblich und zwei Drittel männlich, aufgeteilt in ca. ein<br />

Drittel Jugendliche und zwei Drittel Erwachsene.<br />

Mannschaften: Für den Spielbetrieb der Saison 2012/2013 sind 23 Mannschaften gemeldet, davon zehn Jugendteams.<br />

Mannschaftsmeisterschaften im Straßenboßeln auf LKV- und FKV-Ebene<br />

Männer I: LKV-Meister 1976, 1977, 1982; FKV-Meister 1976, 1977, 1982.<br />

Männer II: LKV-Meister 2006, 2012; FKV-Meister 2006.<br />

Männer IV: LKV- und FKV-Meister 2010.<br />

Frauen I: LKV-Meister 2009; FKV-Meister 2012.<br />

männliche Jugend A: LKV-Meister 1978, 1980, 2003; FKV-Meister 1980.<br />

männliche Jugend B: LKV-Meister 1992, 1999, 2003, 2010, 2012; FKV-Meister 1992, 1999, 2010, 2012.<br />

männliche Jugend C: LKV- und FKV-Meister 1976.<br />

männliche Jugend E: LKV-Meister 2003.<br />

weibliche Jugend A: LKV-Meister 2004, 2005, 2012; FKV-Meister 2005, 2012.<br />

weibliche Jugend B: LKV-Meister 2008, 2009, 2011; FKV-Meister 2009, 2011.<br />

weibliche Jugend C: LKV- und FKV-Meister 2006, 2007.<br />

weibliche Jugend D: LKV- und FKV-Meister 2000, 2005, 2006.<br />

weibliche Jugend E: LKV- und FKV-Meister 2002, 2003, 2005.<br />

64 2000 - 2012 Auf dem Höhepunkt des Erfolgs 2000 - 2012 Auf dem Höhepunkt des Erfolgs 65

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