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Jörg Karweick | RÖNUM

Leseprobe aus dem Roman »Rönum« von Jörg Karweick, erschienen 2015 bei O'Connell Oress

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<strong>Jörg</strong> <strong>Karweick</strong><br />

es die Tür war. Er musste aus dem Kleiderschrank heraus, sofort,<br />

bevor ihm das Herz aus dem Brustkorb sprang. Mit einem letzten<br />

Ächzen prellte er seinen Schädel noch einmal gegen die Schranktür,<br />

sodass sie endlich aufsprang, und fiel mit Mänteln, Hosen und<br />

Kleiderbügeln krachend auf den Holzfußboden.<br />

Regungslos lag er da, während der Aufprall zwischen seinen<br />

Schläfen nachhallte. Ihm war schwindlig und er konnte nicht<br />

ausmachen, ob ihm wirklich schwarz vor Augen war oder ob er<br />

die Lider geschlossen hielt. Der Schmerz war zu stark.<br />

Schließlich drehte Rodacher sich auf den Rücken und sah<br />

einen roten Schimmer durch die Luft wabern, er erkannte die<br />

Umrisse des Betts, des Nachtschranks, des Radioweckers darauf<br />

und des Glases mit Leitungswasser, das er sich, wie jeden Abend,<br />

dorthin gestellt hatte. Dann wurde sein Atem ruhiger.<br />

Irgendwann sah er das Zimmer ins gelbe Licht des<br />

Leuchtturms getaucht, dreimal nacheinander, für je eine<br />

Sekunde. Er schaffte es aufzustehen, trotz des Hämmerns in<br />

seinem Kopf und des stechenden Schmerzes in seinem linken<br />

Auge. Rodacher sah seine zerwühlte Bettdecke und trat ans<br />

Fenster: Nichts, nur dichter Nebel, der an der Scheibe klebte.<br />

Nach fünfzehn Sekunden kam wieder das Leuchtturmsignal,<br />

schwächer als gewöhnlich, fand er, der Nebel dort draußen fraß<br />

die Welt auf.<br />

Und er blieb allein zurück.<br />

Seit sechsunddreißig Jahren war er nicht mehr im Kleiderschrank<br />

aufgewacht, seit seinem neunten Geburtstag, um genau zu sein.<br />

Und jetzt fing alles wieder an.<br />

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