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Leseprobe: Vier Pfoten für Julia - Zoo-Alarm!

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KATJA MARTENS <br />

<strong>Vier</strong> <strong>Pfoten</strong> <strong>für</strong> <strong>Julia</strong> <br />

<strong>Zoo</strong>-­‐<strong>Alarm</strong>! <br />

Roman <br />

my digital garden <br />

3


Originalausgabe 2014 <br />

Copyright © 2014, my digital garden UG <br />

(haftungsbeschränkt), Potsdam <br />

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch <br />

teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages und <br />

der Autorin wiedergegeben und verbreitet werden. <br />

Titelabbildung: Alan Poulsen Photography <br />

(Mädchen), jaroslava V (Giraffe), greenland (Zettel) <br />

www.shutterstock.com <br />

ISBN: 978-­‐3-­‐945690-­‐03-­‐1 <br />

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4


Dass mir mein Hund das Liebste sei, sagst du, o <br />

Mensch, sei Sünde. Mein Hund ist mir im Sturme treu, <br />

der Mensch nicht mal im Winde. <br />

Franz von Assisi <br />

5


1. Kapitel <br />

Was wird heute wohl noch alles schiefgehen Britta <br />

Stettner zog ihre Kapuze tiefer in die Stirn und <br />

stemmte sich gegen den Sturm, der ihr mit aller <br />

Macht entgegenblies und das Atmen schwermachte. <br />

In der Schule angekommen, stellte sie zu spät <br />

fest, dass der Hefter mit ihren Physik-­‐Hausaufgaben <br />

noch zu Hause lag. Das hatte ihr nicht nur einen <br />

Minuspunkt bei Herrn Eckstein, sondern obendrein <br />

eine Zusatzaufgabe eingebracht. Dabei musste sie an <br />

diesem Nachmittag schon das Porträt <strong>für</strong> Kunst <br />

malen. Das schob sie schon seit Tagen vor sich her. <br />

Egal, wie viel Mühe sie sich gab: Ihr Bild würde am <br />

Ende aussehen, als wäre ein Huhn kreuz und quer <br />

über das Blatt gehuscht. Außerdem wartete auch <br />

noch die Gedichtinterpretation <strong>für</strong> Deutsch. Vor den <br />

Winterferien wollten die Lehrer es noch mal richtig <br />

wissen ... <br />

Bei dem Gedanken an die Ferien sank Brittas <br />

Laune noch weiter in den Keller. Sie hatte sich <strong>für</strong> ein <br />

Praktikum im Leipziger <strong>Zoo</strong> beworben, aber eine <br />

Absage bekommen. Schon wieder! Dabei träumte sie <br />

schon lange von einer Ausbildung zur Tierpflegerin. <br />

Daraus schien nun nichts mehr zu werden. Ohne <br />

7


Praktikum würde man sie nicht mal zum <br />

Bewerbungsverfahren zulassen. <br />

Niedergeschlagen stapfte Britta den Waldweg <br />

hinunter und wechselte die Leinen ihrer drei <br />

Schützlinge von der einen in die andere Hand. Sie <br />

jobbte neben der Schule als Hundesitter und sparte <br />

jeden Cent <strong>für</strong> die Fahrschule. Wenn sie im Herbst <br />

den Führerschein machen wollte, musste sie sich <br />

ranhalten. <br />

An diesem Tag betreute sie einen Zwergspitz, <br />

einen Labrador und einen Mix, der wohl halb Terrier <br />

und halb Wollknäuel war. Die Hunde zerrten an den <br />

Leinen und wollten losgelassen werden, aber das <br />

war im Naturschutzgebiet streng verboten. Es hieß, <br />

dass der Förster schon freilaufende Hunde <br />

erschossen hatte. Das wollte Britta nicht riskieren. <br />

Ein bitterkalter Wind fauchte durch die kahlen <br />

Bäume des Leipziger Auwaldes. Das Waldgebiet <br />

erstreckte sich im Südwesten der Stadt und wurde <br />

von der Pleiße und zahlreichen Wasseradern <br />

durchzogen. Im Sommer waren eine Menge Paddler <br />

auf dem Fluss unterwegs, aber jetzt im Winter traf <br />

man im Wald nur vereinzelte Jogger. <br />

Mehrere Wege führten zum Cospudener See <br />

hinunter. So weit wollte Britta an diesem Tag jedoch <br />

nicht gehen, denn daheim wartete noch ein Berg <br />

8


Hausaufgaben auf sie. Außerdem war das neblige <br />

Winterwetter alles andere als einladend. Es war so <br />

grau, dass es gar nicht richtig hell wurde. Der Schnee <br />

weichte den Stoff ihrer Chucks durch und die Kälte <br />

kroch allmählich unter ihren Dufflecoat. Britta <br />

sehnte sich nach ihrem mollig warm geheizten <br />

Zimmer, einem Becher Kakao und dem Skypen mit <br />

ihrer besten Freundin. Sanne verbrachte ein <br />

Austauschjahr in Neuseeland und erzählte jeden Tag <br />

von neuen Abenteuern. Davon träumte Britta auch, <br />

aber ihr Vater hatte kein Ohr da<strong>für</strong>. Seitdem ihre <br />

Mutter vor einem Jahr gestorben war, kam er ihr <br />

wesentlich strenger vor und ließ sie ungern <br />

weggehen. Abends nicht – und schon gar nicht <strong>für</strong> <br />

ein paar Monate ins Ausland. Sie wusste, dass er <br />

Angst um sie hatte. Manchmal blickte er so verloren <br />

ins Leere, dass Britta ganz flau wurde. So, als <br />

könnten seine Augen nie wieder einen frohen <br />

Ausdruck annehmen. <br />

Cassy stürmte bellend voraus, sodass der Schnee <br />

unter ihren <strong>Pfoten</strong> aufstob. Britta schreckte aus <br />

ihren Gedanken und stutzte. Sie hielt nur noch zwei <br />

Leinen in der Hand! Wo war Pepper abgeblieben <br />

Der Mischling hatte graumeliertes Fell und kluge <br />

dunkle Knopfaugen. Er musste ihr entwischt sein! <br />

9


»Pepper« Britta blieb stehen und sah sich um. <br />

»Wo bist du, Kleiner Komm her!« <br />

Cassy und Mister T drehten sich nach ihr um, als <br />

wollten sie fragen: Was soll der Lärm Wir sind doch <br />

hier! <br />

Britta kniff die Augen zusammen, als der Wind <br />

den Schnee von den Ästen über ihr fegte und ihn ihr <br />

in die Augen trieb. »Pepper Komm schon, wir <br />

müssen zurück.« <br />

Nur das Heulen des Sturms antwortete ihr. <br />

Die Sechzehnjährige grub die Zähne in die <br />

Unterlippe. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie <br />

ganz allein im Wald unterwegs war, weit und breit <br />

kein Mensch zu sehen. Sie hatte seit zwanzig <br />

Minuten niemanden mehr angetroffen. Auf einmal <br />

fühlte sie sich unbehaglich. Ein ungutes Gefühl ließ <br />

ihre Hände kribbeln und ihren Magen verkrampfen. <br />

»Pepper Wo bist du« <br />

Wieder keine Antwort. Dabei wich ihr der <br />

aufgeweckte Mischling sonst nie von der Seite. Was <br />

hielt ihn nur fern <br />

Irgendwo rechts von ihr knackte es im <br />

Unterholz. <br />

»Pepper« Unwillkürlich tastete Britta in der <br />

Tasche nach ihrem Handy, fühlte jedoch nichts als <br />

Leere. Sie hatte das Mobiltelefon nicht eingesteckt. <br />

10


Es musste noch daheim neben ihrem Laptop liegen. <br />

An diesem Tag ging aber auch wirklich alles schief! <br />

Was sollte sie nun tun Warum hatte sie nicht <br />

besser auf Pepper aufgepasst Sie wusste nicht <br />

einmal, wie lange der Kleine schon verschwunden <br />

war! <br />

Am besten kehre ich um und laufe auf <br />

demselben Weg zurück, den wir gekommen sind, <br />

entschied sie. Dann muss ich ihn früher oder später <br />

finden. Britta wandte sich um und stapfte zurück. <br />

Dabei rief sie wieder und wieder nach dem Hund. <br />

Allmählich sank ihr der Mut. Der Mischling <br />

gehörte einem Rentner, der auf dem vereisten <br />

Gehweg gestürzt war und sich den Fuß gebrochen <br />

hatte. Pepper war sein Ein und Alles, seitdem seine <br />

Frau nicht mehr lebte. Wenn Britta seinen Hund <br />

verloren hatte, würde er untröstlich sein. Das war <br />

nicht auszudenken! <br />

»Pepper, komm schon«, flehte sie. <br />

Da hörte sie unvermittelt rechts von sich einen <br />

Hund bellen -­‐ so weit entfernt, dass es nur gedämpft <br />

zu ihr durchdrang. Das konnte Pepper sein, aber <br />

sicher war sie sich nicht. Da sie jedoch keine andere <br />

Spur hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den <br />

Lauten zu folgen und auf das Beste zu hoffen. <br />

11


Britta verließ den Weg und stapfte mit den <br />

beiden Hunden an der Leine quer durch den Wald. <br />

»Pepper« Das Bellen wurde lauter und aufgeregter. <br />

Hoffnung durchflutete sie wie heller Sonnenschein <br />

ein dunkles Zimmer. Das musste Pepper sein. Er <br />

musste es einfach sein! <br />

Sie lief schneller. Tiefhängende Zweige <br />

zerkratzten ihre Wangen und rissen ihr die Hände <br />

auf, aber dem schenkte sie keine Beachtung. Schnee <br />

rieselte von den Bäumen herab. Vermutlich würde <br />

sie nachher aussehen, als hätte man sie meterweit <br />

durch Dreck und Schneematsch geschleift, aber das <br />

war ihr egal, solange sie nur Pepper wiederfand! <br />

Das Bellen kam nun immer näher. Britta duckte <br />

sich unter den tief hängenden Zweigen einer Kiefer <br />

weg, deren Nadeln in ihre Hände stachen. Da tauchte <br />

endlich ein dunkles Fellbündel vor ihr auf und <br />

stürmte auf sie zu. Pepper! Die beiden anderen <br />

Hunde beschnupperten ihren Freund <br />

schwanzwedelnd wie einen lange vermissten <br />

Kameraden. »Da bist du ja!« Aufatmend bückte sich <br />

Britta und streichelte den Mischling. »Wo warst du <br />

nur Du hast mir Angst gemacht, weißt du das« <br />

Pepper wedelte mit der Rute, ehe er sich <br />

umwandte und ein paar Schritte davonlief. Dann <br />

blieb er stehen und blickte sich nach ihr um. <br />

12


Britta stutzte. »Was ist denn los Willst du mir <br />

etwas zeigen« <br />

Pepper stürmte weiter. Ihr blieb nichts anderes <br />

übrig, als ihm mit den anderen beiden Hunden zu <br />

folgen. Er durfte sich nicht schon wieder aus dem <br />

Staub machen! »Warte! Pepper! Wo willst du denn <br />

hi… O mein Gott!« Vor ihr tauchte etwas Dunkles im <br />

Schnee auf. Ihr Gehirn weigerte sich, das Bild zu <br />

erfassen. Erst allmählich sickerte die Erkenntnis in <br />

ihr Bewusstsein, dass etwas Unverzeihliches <br />

geschehen war. <br />

Etwas, das sich nicht wiedergutmachen ließ. <br />

Unter den tief hängenden Zweigen einer Fichte <br />

lag ein Mensch. Ein Mann, der kräftigen Statur nach <br />

zu urteilen. Er lag mit dem Gesicht nach unten und <br />

regte sich nicht. Sein rechter Fuß war nur mit einer <br />

Ringelsocke bekleidet. Schnee bedeckte seinen <br />

dunklen Mantel, dabei hatte es schon vor Stunden <br />

aufgehört zu schneien. Das ließ nur einen Schluss zu: <br />

Der Unbekannte musste schon länger hier liegen! <br />

Britta war vor Entsetzen wie gelähmt. Die <br />

Gedanken jagten wie Blitze durch ihren Kopf. Was <br />

sollte sie nun tun Ihm helfen Konnte sie das <br />

überhaupt Oder sollte sie besser fliehen Was, wenn <br />

er umgebracht worden war Hielt sich der Täter <br />

13


noch in der Nähe auf Oder war er längst über alle <br />

Berge <br />

Schaudernd drehte sie den Kopf nach links und <br />

rechts. Niemand zu sehen, doch das musste nichts <br />

heißen. <br />

Weg hier, trieb ihr erster Impuls sie an, aber sie <br />

zögerte. Falls der Fremde noch lebte, musste sie ihn <br />

umdrehen, sonst würde er mit dem Gesicht im <br />

Schnee unweigerlich ersticken! <br />

»Hallo«, wisperte sie und trat zaghaft einen <br />

Schritt näher an ihn heran. »Kann ich … Ihnen <br />

helfen« <br />

Der Fremde reagierte nicht. Mit wild pochendem <br />

Herzen bückte sich die Schülerin und streckte eine <br />

Hand nach ihm aus. Sie zitterte am ganzen Körper. <br />

Die Hunde bellten. Beherzt packte Britta den <br />

Fremden bei der Schulter und versuchte, ihn so gut <br />

es ging, auf den Rücken zu drehen, doch er war <br />

einfach zu schwer. Immerhin konnte sie <strong>für</strong> einen <br />

kurzen Moment sein Gesicht sehen. In der nächsten <br />

Sekunde machte sie jedoch einen Satz nach hinten, <br />

sodass sie in den Schnee stürzte. <br />

Nein, diesem Mann war nicht mehr zu helfen. <br />

Britta hatte in die trüben Augen eines Toten <br />

geblickt. <br />

14


2. Kapitel <br />

Schäumend schlugen die Wellen der Ostsee an das <br />

Ufer. Ein Sturm blies von Norden über den Darß, <br />

trieb das Meer auf und zerrte an den Kiefern, sodass <br />

sie sich ächzend neigten. Die Luft war schneidend <br />

kalt und roch nach Salz und Tang. <br />

<strong>Julia</strong> Sperling zog fröstelnd die Schultern hoch <br />

und vergrub die Hände tiefer in den Taschen ihres <br />

Mantels. Sie wünschte sich, sie hätte daran gedacht, <br />

Handschuhe mitzunehmen, als sie zu ihrem <br />

Spaziergang mit Raudi aufgebrochen war. Der <br />

Französischen Bulldogge schien die Kälte nichts <br />

auszumachen. Raudi stürmte voraus und wühlte im <br />

Sand, sodass die Körner nach allen Seiten flogen. <br />

Dann hob er den Kopf und stellte seine <br />

Fledermausohren auf, als würde er in den Sturm <br />

hineinlauschen, nur um im nächsten Augenblick mit <br />

seiner Beschäftigung fortzufahren. Er hatte sichtlich <br />

Spaß daran. <br />

Wehmütig sah ihm die Tierärztin beim Spielen <br />

zu. In wenigen Stunden würden sich ihre Wege <br />

trennen … <br />

Schnee lag auf dem Darß seit Tagen keiner mehr. <br />

Die Meteorologen sagten allerdings <strong>für</strong> das <br />

15


Wochenende neue Niederschläge voraus, dann <br />

würde es sicherlich noch einmal weiß werden. Der <br />

bitterkalte Wind verriet, dass der Winter noch nicht <br />

bereit war, dem Frühling zu weichen. Doch wenn es <br />

wieder schneite, würde <strong>Julia</strong> schon nicht mehr hier <br />

sein. <br />

Die Tierärztin blieb neben ihrem Hund stehen <br />

und zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Vor dem <br />

nächsten Anruf grauste es ihr, aber da half nun alles <br />

nichts. Sie hatte noch nie etwas auf die lange Bank <br />

geschoben – und sie würde jetzt bestimmt nicht <br />

damit anfangen! Entschlossen drückte sie eine <br />

Kurzwahltaste und hörte das melodische <br />

Wählgeräusch im Hörer. Es klingelte zweimal, dann <br />

meldete sich die warme, ein wenig raue <br />

Männerstimme ihres Freundes, die <strong>Julia</strong> an heiße <br />

Schokolade mit dunklen Schokoladensplittern <br />

denken ließ. <br />

»Wann soll ich dich abholen, Liebes« Ein <br />

Lächeln schwang in Marcs Stimme mit. Der Klang <br />

war <strong>Julia</strong> so vertraut, als würden sie einander schon <br />

jahrelang kennen, dabei war sie dem Polizisten erst <br />

vor wenigen Monaten bei ihrem Einsatz im <br />

Bayerischen Wald begegnet. Gemeinsam mit Marc <br />

hatte sie eine Serie von Tiermisshandlungen <br />

aufgeklärt und sich dabei in ihn verliebt. Ihre <br />

16


Beziehung war jedoch nicht frei von Schwierigkeiten. <br />

<strong>Julia</strong>s Einsätze führten sie in die entlegensten Teile <br />

der Republik. Dadurch sah sie ihren Freund oft <br />

wochenlang nicht. Außerdem hatte Marc den Tod <br />

seiner Frau noch nicht verwunden. Es fiel ihm <br />

schwer, wieder jemanden in sein Leben zu lassen -­‐ <br />

und in das Leben seiner Tochter. Einen wichtigen <br />

Schritt hatten sie jedoch schon getan: Zu <br />

Weihnachten hatte Marc sie überraschend gefragt, <br />

ob sie zu ihm ziehen wollte und <strong>Julia</strong> hatte ja gesagt. <br />

Zu dem Umzug war es allerdings noch nicht <br />

gekommen. All ihre Sachen und Bücher lagen noch <br />

daheim in Prerow. Sie besaß noch nicht einmal einen <br />

Schlüssel <strong>für</strong> Marcs Haus, weil sie es immer <br />

aufgeschoben hatte, ihn zu holen. <br />

»<strong>Julia</strong>«, hakte Marc besorgt nach, als sie nichts <br />

sagte. <br />

»Was Oh. Entschuldige. Ich … Es tut mir leid, <br />

aber ich werde dich am Wochenende nicht besuchen <br />

können.« <br />

»Schon wieder nicht« Seine Enttäuschung war <br />

nicht zu überhören. »Was ist es denn diesmal« <br />

»Ich habe einen neuen Auftrag bekommen. In <br />

einem Tierpark ist der Tierarzt ausgefallen. Nun <br />

suchen sie händeringend nach einer Vertretung.« <br />

»Hast du schon zugesagt« <br />

17


»Ja, das musste ich.« <br />

»Aber ich dachte, wir machen uns ein paar <br />

schöne Tage, wenn du Lotta und mich besuchst. Ich <br />

wollte dir endlich deinen Schlüssel geben. Außerdem <br />

habe ich eine Überraschung geplant.« <br />

»Können wir das verschieben Im <strong>Zoo</strong> werde ich <br />

dringend gebraucht. Außerdem kann ich dort eine <br />

Menge über exotische Tiere dazulernen. So nah an <br />

Elefanten und Krokodile komme ich so schnell nicht <br />

wieder heran.« <br />

»Ich verstehe schon.« Marc seufzte. »Wann <br />

kannst du herkommen« <br />

»Ich weiß noch nicht, wann ich freihaben werde. <br />

Nächste Woche vielleicht. Oder spätestens in zwei <br />

Wochen.« <br />

»Du fehlst mir, <strong>Julia</strong>. Ich denke oft an dich und <br />

frage mich, wie es dir geht und was du gerade tust.« <br />

»Ich vermisse dich auch.« <br />

»Wirklich« <br />

»Zweifelst du etwa daran« <br />

»Es fällt mir gerade ziemlich schwer, das nicht <br />

zu tun. Du verschiebst deinen Besuch bei uns nun <br />

schon seit Wochen. Ganz zu schweigen von deinem <br />

Einzug. Hast du es dir anders überlegt Sag es mir <br />

bitte, <strong>Julia</strong>. Wir können über alles reden, aber ich <br />

muss wissen, was in dir vorgeht.« <br />

18


»Es … ist wirklich nur die Arbeit«, versicherte <br />

<strong>Julia</strong> und verspürte mit einem Mal einen Stich tief im <br />

Inneren. Stimmte das Oder hatte sie etwa wirklich <br />

Angst Fürchtete sie, sich auf einen Mann <br />

einzulassen und wieder verletzt zu werden Wie von <br />

ihrem früheren Freund <br />

Sekundenlang schwiegen sie beide. <br />

Die Stille wurde jedoch immer unangenehmer, je <br />

länger sie andauerte. <br />

Schließlich hielt <strong>Julia</strong> es nicht mehr aus und <br />

räusperte sich. »Wie geht es Lotta« <br />

»Schon besser. Ihr Infekt ist fast weg. Morgen <br />

müssen wir noch einmal zum Kinderarzt, aber ich <br />

denke, das Schlimmste ist überstanden.« <br />

»Das freut mich zu hören. Also ist sie wieder <br />

munter« <br />

»Wie man’s nimmt. Ihr Kaninchen ist <br />

weggelaufen. Ihr Großvater hat draußen Schnee <br />

geschippt und dabei die Haustür offengelassen. Da <br />

ist es wohl verschwunden.« <br />

»O nein! Lotta muss ja am Boden zerstört sein.« <br />

»Und ob. Wir haben draußen alles abgesucht, <br />

aber der Kleine war längst auf und davon. Nun <br />

wünscht sich Lotta ein neues Haustier, aber ich habe <br />

entschieden, damit noch zu warten. Sie ist noch zu <br />

klein, um allein <strong>für</strong> ein Tier zu sorgen.« <br />

19


»Glaubst du nicht, dass sie mit ihren fünf Jahren <br />

…« <br />

»Nein. Ich hätte gar nicht erst nachgeben dürfen. <br />

Sie hat schon ihre Mutter verloren. Ich will nicht, <br />

dass sie noch einmal jemanden hergeben muss, den <br />

sie liebt. Vorerst kommt uns kein neues Haustier in <br />

die vier Wände.« Marc stieß hörbar den Atem aus. <br />

»Aber nun erzähl: Wohin führt dich dein neuer <br />

Auftrag« <br />

»Nach Leipzig. Der <strong>Zoo</strong>tierarzt ist krank und ich <br />

soll <strong>für</strong> ihn einspringen. Das ist eine große <br />

Herausforderung.« <br />

»Ausgerechnet Leipzig Ist das dein Ernst« <br />

»Was spricht denn dagegen« <br />

»In der Zeitung stand, dass eine Schülerin im <br />

Leipziger Stadtwald einen Toten gefunden hat. Die <br />

Polizei konnte bisher noch nicht ausschließen, dass <br />

ein Verbrechen vorliegt.« <br />

»Willst du mir etwa Angst machen« <br />

»Ich will nur, dass du auf dich aufpasst. <br />

Möglicherweise läuft in der Stadt ein Mörder frei <br />

herum.« <br />

»Vielleicht war es auch nur ein Unglücksfall.« <br />

»Sei trotzdem auf der Hut, ja Du bist manchmal <br />

zu leichtfertig, <strong>Julia</strong>.« <br />

20


»Nur weil ich nicht ständig vom Schlimmsten <br />

ausgehe so wie du« <strong>Julia</strong> krauste die Stirn. Sein <br />

Vorwurf traf sie. Leichtfertig Sah er sie wirklich so <br />

Er lenkte sogleich ein, dass er sich Sorgen um sie <br />

machte. Trotzdem hatte sich ein Misston in ihr <br />

Gespräch geschlichen. Von Angesicht zu Angesicht <br />

hätten sie es vielleicht ausräumen können, aber am <br />

Telefon war das nicht so einfach. <br />

»Telefonieren wir morgen wieder«, fragte er. <br />

»Ruf mich an, sobald du in Leipzig angekommen bist, <br />

ja« <br />

»Das mache ich«, versprach sie ihm bedrückt. Sie <br />

würden sich am Wochenende wieder nicht sehen, <br />

was allein an ihr lag. In den vergangenen Wochen <br />

war ihr häufig etwas dazwischengekommen. Diesmal <br />

hatte sie fest vorgehabt, Marc zu besuchen, aber <br />

dieser Auftrag in Leipzig … Den konnte sie sich <br />

einfach nicht entgehen lassen. <br />

Sie verabschiedeten sich voneinander, aber das <br />

wirklich Wichtige schien ungesagt zu bleiben. <br />

Nachdenklich rief <strong>Julia</strong> nach Raudi und lenkte <br />

ihre Schritte nach Hause. Dabei war sie in Gedanken <br />

bei Marc. Er sprach nie über seine Gefühle und das <br />

verunsicherte sie. Vielleicht zögerte sie deshalb, mit <br />

Sack und Pack bei ihm einzuziehen <br />

21


Er hatte sie gebeten, bei ihm zu wohnen, aber <br />

über seine Gefühle hatte sie keinerlei Klarheit. Was <br />

sollte sie davon halten <br />

Ihr Großvater besaß eine Pension in Strandnähe. <br />

Er hatte <strong>Julia</strong> bei sich aufgenommen, als ihre Eltern <br />

bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen <br />

waren. Ohne ihn hätte sie ihr Studium vermutlich <br />

niemals geschafft. <br />

Rasmus Sperling stand im Garten auf einer <br />

Leiter und hackte Eiszapfen von der Dachrinne. Als <br />

<strong>Julia</strong> durch das Gartentor trat, kletterte er die vier <br />

Sprossen herunter und kam ihr entgegen. <br />

»Unglaublich, wie viel Eis sich da oben angesammelt <br />

hat«, grummelte er und wischte sich mit dem <br />

Handrücken über die Stirn. <br />

»Kann ich dir helfen« <br />

»Lass mal, Mädchen. Das schaffe ich schon. <br />

Musst du nicht langsam packen« <br />

»Ja, das sollte ich. Ist es wirklich in Ordnung, <br />

wenn ich heute Abend schon fahre« <br />

»Aber ja. Offenbar weiß man im <strong>Zoo</strong> dein <br />

Fachwissen zu schätzen. Ich bin stolz auf dich.« Seine <br />

grauen Augen blickten lächelnd in ihre. Dann rieb er <br />

sich das Kinn. »Ich sollte hier weitermachen, ehe uns <br />

die Eiszapfen auf den Kopf fallen. Weißt du vielleicht, <br />

22


wo ich meinen Hammer hingelegt habe« Er sah sich <br />

suchend um. <br />

»Meinst du denn hier« <strong>Julia</strong> deutete auf das <br />

Werkzeug, das in seinem Gürtel steckte. <br />

»Oh, da ist er. Ich hatte ganz vergessen, dass ich <br />

ihn dahingetan habe.« <br />

»Wirklich« Ein flaues Gefühl breitete sich in ihr <br />

aus. »Hast du deine Medikamente heute früh <br />

eingenommen« <br />

»Natürlich. Das vergesse ich nicht mehr, seitdem <br />

du mir die Pillenbox mit der Zeitschaltuhr geschenkt <br />

hast. Sie erinnert mich jeden Morgen um sieben mit <br />

einer Melodie an die Einnahme.« Die Fältchen um <br />

seine Augen vertieften sich. <br />

Vor einigen Wochen war er auffallend <br />

vergesslich geworden. <strong>Julia</strong> hatte be<strong>für</strong>chtet, es <br />

könnte sich um eine beginnende Demenz handeln. <br />

Die Diagnose seines Hausarztes war jedoch eine <br />

Schilddrüsenunterfunktion gewesen. Die <br />

Erkrankung führte zu ähnlichen Symptomen wie <br />

eine Demenz, war aber gut behandelbar. <br />

Trotzdem vergaß ihr Großvater hin und wieder <br />

etwas. <br />

Was, wenn sich sein Hausarzt täuschte Wenn <br />

noch etwas anderes hinter seinen Beschwerden <br />

steckte <br />

23


<strong>Julia</strong> legte ihm eine Hand auf den Arm und <br />

konnte plötzlich nichts sagen. Ihre Kehle war wie <br />

zugeschnürt … <br />

»Was ist denn los« Ihr Großvater legte fragend <br />

den Kopf schief. »So traurige Augen hast du sonst <br />

nur, wenn dir etwas Sorgen macht. Stimmt etwas <br />

nicht« <br />

»Oh, ich …« Weiter kam <strong>Julia</strong> nicht, weil eine <br />

kleine, rundliche Frau hinter dem Gartenzaun <br />

auftauchte. Gerti Winkler gehörte ein Café in der <br />

Nähe. Sie war seit vielen Jahren mit <strong>Julia</strong>s Großvater <br />

befreundet und gehörte beinahe zur Familie. An <br />

diesem Nachmittag hatte sie einen roten Mantel an <br />

und trug zusätzlich einen dicken Wollschal um den <br />

Hals gewickelt. <br />

»Ju-­‐hu!« Gerti schwenkte einem Glaskrug, der <br />

mit Alufolie abgedeckt war und in dem eine grüne <br />

Flüssigkeit schwappte. »Hier ist ein Vitamintrunk <strong>für</strong> <br />

euch. Hab ich selbst gemacht.« <br />

»Was ist da drin« Skeptisch beäugte <strong>Julia</strong>s <br />

Großvater das Getränk. »Sieht aus wie Spinatsaft.« <br />

»Ist es auch. Mit Zitrone und gemahlenen <br />

Pinienkernen. Sehr gesund! Trinkt ihn, bevor er <br />

schlecht wird.« <br />

»Du meinst, bevor uns davon schlecht wird, <br />

oder, Gerti« <br />

24


»Bei diesem Wetter kann man nicht genug <br />

Vitamine zu sich nehmen.« Gerti drückte dem <br />

Großvater resolut den Krug in die Hand und warf <br />

ihm einen mahnenden Blick zu. <br />

Er verzog das Gesicht, als hätte er <br />

Schneckenschleim vor sich. »Dein <br />

Gesundheitsfimmel wird uns eines Tages noch <br />

umbringen, Gerti«, brummelte er. <br />

Die Besucherin lachte nur, ehe sie sich an <strong>Julia</strong> <br />

wandte. »Wann musst du nach Leipzig fahren« <br />

»Heute Abend noch.« <br />

»Oh! So bald schon« <br />

»Ja, der <strong>Zoo</strong> braucht dringend eine Vertretung <br />

<strong>für</strong> seinen Tierarzt. Je eher ich dort bin, umso lieber <br />

ist es ihnen.« <br />

»Na dann, ich verstehe. Wo wirst du denn <br />

wohnen« <br />

»Im Haus meines erkrankten Kollegen. Er hat ein <br />

Gästezimmer, das ich nutzen kann.« <br />

»Wie praktisch.« Gerti strich ihr über den Arm. <br />

»Mach dir um uns keine Sorgen. Ich werde <br />

achtgeben, dass dein Großvater gesund bleibt. Ruf <br />

nur ab und zu an und erzähl uns, wie es läuft, ja« <br />

»Das mache ich natürlich.« <br />

»Gut. Ich habe nämlich das Gefühl, dass dich in <br />

Leipzig eine aufregende Zeit erwartet!« <br />

25


3. Kapitel <br />

<strong>Zoo</strong>log. Garten. Mit klopfendem Herzen schaute <strong>Julia</strong> <br />

zu der Schrift am historischen Eingang des Parks auf. <br />

Darüber begrüßte ein steinerner Löwe jeden <br />

Besucher. Als man ihr die Vertretung des <br />

<strong>Zoo</strong>tierarztes angeboten hatte, war sie sofort Feuer <br />

und Flamme gewesen. Die Herausforderung, <strong>für</strong> so <br />

viele unterschiedliche Tiere verantwortlich zu sein, <br />

erschien ihr verlockend. Nun, so kurz vor <br />

Arbeitsantritt, überfielen sie jedoch Zweifel. Sie <br />

befand sich hier auf neuem und ungewohntem <br />

Terrain. Im <strong>Zoo</strong> lebten Wildtiere, mit denen sie es <br />

noch nie zu tun gehabt hatte: Okapis, Erdmännchen <br />

und Schimpansen – dazu hunderte andere Tiere! <br />

War sie der Arbeit mit ihnen wirklich schon <br />

gewachsen <br />

<strong>Julia</strong> hatte alles über die Anlage gelesen, was sie <br />

finden konnte. Der Leipziger <strong>Zoo</strong> existierte seit über <br />

130 Jahren. Gegründet wurde er vom Gastwirt Ernst <br />

Pinkert im Jahre 1878 und zusammen mit dem <br />

Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck hatte er <br />

exotische Tiere ausgestellt. In den folgenden <br />

Jahrzehnten war der <strong>Zoo</strong> ständig erweitert worden – <br />

zum Beispiel um Raubtieranlagen, ein Affenhaus und <br />

ein Terrarium. Der Erste Weltkrieg hätte beinahe das <br />

26


Aus bedeutet. Mitarbeiter und Besucher mussten in <br />

den Krieg ziehen. Lebensmittel wurden rationiert. <br />

Viele Tiere verhungerten – oder wurden <strong>für</strong> die <br />

hungernde Stadtbevölkerung geschlachtet. Nach <br />

dem Krieg erholte sich das Unternehmen nur <br />

langsam. Der Verleih von Tieren an <br />

Filmproduktionen erwies sich als Rettung aus der <br />

Not. Inzwischen hatte sich der <strong>Zoo</strong> zu einer <br />

modernen Anlage mit zukunftsweisenden <br />

Zuchtprogrammen entwickelt. <br />

Der <strong>Zoo</strong>tierarzt war vor drei Tagen mit <br />

Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert <br />

worden. Es war ungewiss, wie lange er ausfallen <br />

würde. Es konnten Wochen, aber auch Monate <br />

vergehen, bis er wieder einsatzfähig war. Solange <br />

würde <strong>Julia</strong> <strong>für</strong> ihn einspringen. Sie wusste, dass sie <br />

das schaffen würde Schließlich hatte sie während <br />

ihrer zahlreichen Praktika schon viele Hürden <br />

bewältigt. <br />

Sie gab sich einen Ruck und machte sich auf die <br />

Suche nach dem Personaleingang. Am Telefon hatte <br />

man ihn ihr genau beschrieben. Sie fand das <br />

Seitentor und trat ein. <br />

Im nächsten Augenblick prallte die junge Frau <br />

gegen einen Mann. Er konnte nicht älter als zwanzig <br />

sein und war so hager, dass man zweimal hinsehen <br />

27


musste, um ihn einmal zu sehen. Sein Gesicht war <br />

auffallend blass und wurde von zahlreichen silbrigen <br />

Ringen in Ohren und Augenbrauen geschmückt. <br />

Seine dunklen Haare waren auf der rechten Seite <br />

abrasiert und links lang genug, um sein Ohr zu <br />

bedecken. <br />

Hastig ließ er eine Zigarette fallen und trat sie <br />

mit dem Fuß aus. »Hey«, nuschelte er verlegen und <br />

schien nicht recht zu wissen, wo er hinschauen <br />

sollte. »Der Besuchereingang ist dort vorne.« Sein <br />

Dialekt verriet seine sächsische Herkunft. <br />

»Ich bin keine Besucherin, sondern die neue <br />

Tierärztin. <strong>Julia</strong> Sperling. Hallo.« Sie reckte ihm <br />

lächelnd die Hand hin. <br />

»Ach du Sch…« Er wurde noch eine Spur blasser <br />

und trat von einem Fuß auf den anderen. »Sie haben <br />

mich nicht beim Rauchen gesehen, oder Der Chef <br />

flippt aus, wenn ich mir eine anzünde. Er glaubt, von <br />

dem Geruch werden die Tiere aggressiv. Dabei ist er <br />

der Einzige der … Na, Schwamm drüber. Streng <br />

genommen darf er mir keine Raucherpausen <br />

verbieten, aber er darf mich feuern und ich brauche <br />

den Job. Verraten Sie mich bitte nicht, okay« <br />

»Schon gut. Ich weiß ja noch nicht mal, wer Sie <br />

sind.« <br />

»Olaf«, nuschelte der Lulatsch. »Olaf Färber.« <br />

28


»Sind Sie Tierpfleger« <br />

»Noch ist er das«, polterte eine Stimme hinter <br />

<strong>Julia</strong>. »Wenn er nicht endlich wieder an seine Arbeit <br />

geht, kann sich das allerdings im Handumdrehen <br />

ändern.« <br />

Die Tierärztin wandte sich um und sah einen <br />

Mann mit graumelierten Haaren auf sich zukommen. <br />

In seinem dunklen Anzug wirkte er in dem <br />

Tiergarten einigermaßen fehl am Platze. Er schien <br />

eher in ein Büro, ein Kreditinstitut oder das <br />

Finanzamt zu passen. <strong>Julia</strong> musterte er nur flüchtig <br />

und legte die Stirn in Falten. »Wir haben noch nicht <br />

geöffnet. Sie müssen später wiederkommen, junge <br />

Frau. Und dann bitte durch den Besuchereingang.« <br />

Es hörte sich nicht wie eine Bitte an. <br />

»Mein Name ist <strong>Julia</strong> Sperling. Ich soll den <br />

<strong>Zoo</strong>tierarzt vertreten.« <br />

»Sie sind das« Nun musterte er sie offen von <br />

Kopf bis Fuß und was er sah, schien ihm nicht zu <br />

gefallen, denn er verzog das Gesicht, als hätte er sich <br />

gerade auf die Zunge gebissen. »Sie sehen jünger als <br />

auf Ihrem Foto aus.« <br />

»Finden Sie Nun, wie heißt es so schön Jugend <br />

ist ein Fehler, der mit jedem Tag besser wird.« <strong>Julia</strong> <br />

begegnete seinem strengen Blick mit einem Lächeln. <br />

29


»Sie sind früh dran, Frau Doktor Sperling. Wir <br />

hatten Sie erst in einer Stunde erwartet.« <br />

»Ich wollte mich an meinem ersten Arbeitstag <br />

mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut machen.« <br />

»Das werden Sie kaum innerhalb einer Stunde <br />

schaffen. Unser Tierpark ist weitaus größer, als Sie <br />

offenbar annehmen. Mein Name ist übrigens <br />

Johannes Hirschhäuser. Ich vertrete den <strong>Zoo</strong>direktor <br />

und leite im Augenblick alle Geschäfte.« <br />

»Also ist Herr Doktor Junhold nicht da« <br />

»So ist es. Ich bin Ihr Ansprechpartner. Wir <br />

erwarten von Ihnen ausgezeichnete Arbeit, Frau <br />

Doktor. Der Ruf unseres <strong>Zoo</strong>s ist weltweit tadellos <br />

und soll es auch bleiben.« Er sah sie über den Rand <br />

seiner schmalen Brille hinweg an. <br />

<strong>Julia</strong> hatte plötzlich das Gefühl, vor ihrem alten <br />

Schuldirektor zu stehen. »Selbstverständlich«, <br />

erwiderte sie. <br />

»Gut. Wir haben eine zooeigene Tierarztpraxis. <br />

In demselben Gebäude finden Sie auch die Umkleide, <br />

eine Kaffeeküche und den Besprechungsraum. Dort <br />

werden Sie sich täglich mit den Tierpflegern treffen <br />

und erfahren, welche Tiere Auffälligkeiten zeigen. <br />

Ein täglicher Rundgang durch den <strong>Zoo</strong> gehört <br />

ebenfalls zu Ihren Aufgaben. Vergessen Sie nicht: Im <br />

Gegensatz zu den meisten Haustieren zeigen <br />

30


Wildtiere die Symptome einer Erkrankung erst sehr <br />

spät. In der Natur ist das gut so, es schützt die Tiere <br />

vor Fressfeinden. Ihnen jedoch wird dieser Umstand <br />

die Arbeit erschweren. Seien Sie gewarnt.« <br />

<strong>Julia</strong> nickte und wollte etwas erwidern, aber ihr <br />

Gegenüber ließ sie nicht zu Wort kommen. <br />

»Ihre Hauptaufgabe ist die Verhütung von <br />

Krankheiten«, belehrte er sie. »Dazu gehören <br />

Impfungen, die Kontrolle des Tierbestands auf <br />

Krankheitserreger und Parasiten, die Optimierung <br />

der Gehege und die Überwachung der Fütterung. <br />

Ebenso die Sektion verstorbener Tiere, um <br />

Krankheiten eines Tierbestands zu erkennen und zu <br />

bekämpfen.« <br />

Was hätte sie jetzt nicht <strong>für</strong> einen Stift gegeben! <br />

<strong>Julia</strong> wünschte sich, sie könnte sich Notizen machen. <br />

»Außerdem werden Sie sich um die Formalitäten <br />

kümmern«, fuhr ihr Gegenüber fort, ohne auch nur <br />

einmal Luft zu holen, »wenn ein neues Tier bei uns <br />

aufgenommen oder in einen anderen <strong>Zoo</strong> überstellt <br />

wird. Sie überprüfen die Arten-­‐ und <br />

Tierschutzbestimmungen und die Einhaltung der <br />

Zoll-­‐ und Quarantänebestimmungen. Sie werden <br />

Zuchtbuchanfragen beantworten und mit unserer <br />

Pressestelle zusammenarbeiten.« <br />

31


<strong>Julia</strong> schluckte trocken. Das hörte sich nach mehr <br />

Arbeit an, als an einem einzigen Tag unterzubringen <br />

war. Wie hatte ihr Kollege das nur alles bewältigt <br />

»Noch Fragen«, erkundigte sich der <strong>Zoo</strong>leiter <br />

und lächelte schmal. Er schien genau zu wissen, wie <br />

erschlagen sie nach seinem Vortrag war. Sie konnte <br />

nur hoffen, in den Unterlagen des <strong>Zoo</strong>tierarztes <br />

nähere Informationen zu ihren täglichen Pflichten zu <br />

finden. <br />

»Könnte ich bitte einen Lageplan bekommen <br />

Das würde mir die Orientierung erheblich <br />

erleichtern.« <br />

»Natürlich.« Er zog ein zusammengefaltetes Blatt <br />

Papier aus seiner Jacke und reichte es ihr. »Machen <br />

Sie sich so schnell wie möglich mit den Örtlichkeiten <br />

vertraut. Im Notfall darf es keine Verzögerung geben, <br />

nur weil Sie ein bestimmtes Gehege nicht auf Anhieb <br />

finden.« <br />

<strong>Julia</strong> faltete den Plan auseinander und überflog <br />

die verschiedenen Bereiche des <strong>Zoo</strong>s. Der Park war <br />

in sechs Themenwelten unterteilt: Afrika, <br />

Südamerika, Pongoland, Asien, Gondwanaland und <br />

der Gründergarten. <br />

Während sie noch überlegte, wo sie mit ihrem <br />

Rundgang beginnen sollte, stürmte eine junge Frau <br />

in blauen Latzhosen, Gummistiefeln und einem <br />

32


unden Gesicht heran. Unter ihrem blauen Kopftuch <br />

blitzten hellblonde Locken hervor. Sie hatte ein <br />

aufgeschlossenes Gesicht und leuchtend braune <br />

Augen. Eine weite Jacke schützte sie vor der <br />

morgendlichen Kälte. Sie wedelte energisch mit der <br />

Hand. »Da sind Sie ja, Herr Hirschhäuser! Tamika hat <br />

seit über zwei Stunden Presswehen, aber es tut sich <br />

nichts. Wann kommt denn endlich die neue <br />

Tierärztin« <br />

»Sie ist schon da«, erwiderte der <strong>Zoo</strong>leiter und <br />

deutete auf <strong>Julia</strong>. »Darf ich vorstellen Frau Doktor <br />

Sperling!« <br />

»Sie sind das Gott sei Dank!« Die Fremde <br />

wandte sich an <strong>Julia</strong> und klang überaus erleichtert. <br />

»Keine Minute zu früh. Kommen Sie bitte mit. <br />

Schnell!« <br />

»Ja, aber …« Verwirrt ließ sich <strong>Julia</strong> von der <br />

Unbekannten den Hauptweg entlanglotsen. Der <br />

Geschäftsführer blieb zurück. Er schien sich <strong>für</strong> den <br />

Notfall nicht zuständig zu fühlen. <br />

»Tamikas Jungen kommen einfach nicht. Der <br />

Chef dreht durch, wenn ihnen etwas zustößt. Ich bin <br />

so froh, dass Sie da sind.« Die Fremde stieß den Atem <br />

aus. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie gleich so <br />

überfalle, aber wir haben wirklich keine Zeit zu <br />

verlieren.« <br />

33


»Ist schon gut. Da<strong>für</strong> bin ich ja da. Sind Sie <br />

Tierpflegerin« <br />

»Ja. Mein Name ist Kristina Stockmann. Sie <br />

können Kristina sagen. Das tun alle.« Die <br />

Tierpflegerin führte <strong>Julia</strong> zu einer Anlage im <br />

westlichen Teil des <strong>Zoo</strong>s. Außen war das Gehege der <br />

afrikanischen Savanne nachgebildet. Innen lief man <br />

über Fliesen. Durch zwei gut gesicherte Türen <br />

gelangten sie in einen Raum. Hier herrschte der <br />

typisch strenge Raubtiergeruch. Hinter Glas und <br />

Gittern lag eine Löwin und atmete schwer. Ihre <br />

goldenen Augen funkelten und ihr gewölbter Leib <br />

verriet, dass sie Junge erwartete. Ein Zittern lief <br />

durch ihren mächtigen Körper. Wieder und wieder. <br />

Das war es jedoch nicht, was <strong>Julia</strong> überrascht nach <br />

Luft schnappen ließ. Das Fell der Löwin war dicht <br />

und … »Weiß!« <strong>Julia</strong> sah ihre Begleiterin fragend an. <br />

»Tamika ist eine weiße Löwin« <br />

»Ja. Ist sie nicht wunderschön Weiße Löwen <br />

sind total selten. Tamika ist ein Neuzugang. Ihr Name <br />

bedeutet so viel wie ‚kleine Schöne‘. Sie kommt von <br />

einem Zirkus. Hat dort den Dompteur angefallen. <br />

Seitdem galt sie als nicht mehr tragbar. Ich glaube, <br />

sie war nur aggressiv, weil sie trächtig ist, aber die <br />

Zirkusleute wollten kein Risiko eingehen.« <br />

»Und jetzt ist sie hier.« <br />

34


»Genau, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr.« <br />

»Ich sehe schon.« <strong>Julia</strong> nickte. Die stoßweise <br />

Atmung der Raubkatze war ihr nicht entgangen. Das <br />

war kein gutes Zeichen. »Tamika hat also seit zwei <br />

Stunden Presswehen« <br />

»Richtig. Sie lässt leider niemanden an sich ran, <br />

deshalb kann ich ihr nicht helfen.« Die Pflegerin trat <br />

einen Schritt näher an das Gitter, was die Löwin mit <br />

einem gereizten Fauchen quittierte. Ihre Pranke fuhr <br />

unheilvoll in Richtung Käfigtür. <br />

<strong>Julia</strong> verstand. Offenbar würde ihre erste <br />

Patientin kein sanftes Kätzchen und auch kein <br />

harmloses Lama sein. Sie würde als Erstes eine <br />

Löwin behandeln. Noch dazu ein trächtiges Exemplar <br />

, das sich eher eine Pfote abbeißen würde als eine <br />

Fremde an sich heranzulassen. Aber da half alles <br />

nichts. Sie würde die Löwin untersuchen und <br />

vermutlich einen Kaiserschnitt vornehmen müssen, <br />

wenn sie nicht die Raubkatze und ihre Jungen <br />

verlieren wollte. <strong>Julia</strong> überlegte nur kurz. <br />

»Ich brauche ein Blasrohr und ein <br />

Betäubungsmittel.« <br />

»Haben wir alles in der <strong>Zoo</strong>praxis. Kommen Sie, <br />

ich zeige es Ihnen.« Die Pflegerin führte die <br />

Tierärztin aus dem Raubtiergehege zu einem roten <br />

Backsteingebäude aus der Gründerzeit. In der <br />

35


<strong>Zoo</strong>praxis fand sich alles Nötige: Medikamente, ein <br />

tragbarer Ultraschall, Skalpelle, Kittel und <br />

Handschuhe. <br />

<strong>Julia</strong> packte, was ihr nötig erschien, auf einen <br />

Rollwagen. <br />

Kristina ging ihr zur Hand. »Hat Herr <br />

Hirschhäuser Sie schon ein wenig herumgeführt, <br />

Frau Doktor« <br />

»Nicht direkt. Er hat mir nur einen Lageplan <br />

überlassen.« <br />

»Das sieht ihm ähnlich. Er spricht nur das <br />

Nötigste. Unser Chef ist ganz anders, er ist wie ein <br />

Vater <strong>für</strong> uns alle. Leider fällt er zurzeit aus <br />

familiären Gründen aus, deshalb vertritt der olle <br />

Hirsch ihn. Machen Sie sich nix daraus, wenn er <br />

schroff zu Ihnen ist. Das ist seine Art und nichts <br />

Persönliches.« <br />

»Vielleicht taut er im Lauf der Zeit noch etwas <br />

auf.« <br />

»Darauf würde ich nicht wetten.« Die Pflegerin <br />

verdrehte die Augen. <br />

Wenig später kehrten sie gemeinsam zu der <br />

Löwin zurück. <br />

Tamika hatte sich nicht von der Stelle gerührt. <br />

Sie lag nun matt, beinahe apathisch da und brauchte <br />

dringend Hilfe, das war offensichtlich. <strong>Julia</strong> <br />

36


erechnete das Betäubungsmittel nach dem <br />

ungefähren Gewicht der Löwin. Sie dosierte es so <br />

niedrig wie möglich, um den Jungen nicht zu <br />

schaden. Lieber spritzte sie im Verlauf des Eingriffs <br />

noch einmal nach. Die Narkose konnte bei den <br />

Kleinen zum Herzstillstand führen. Das wollte sie <br />

unbedingt vermeiden. Andererseits durfte sie auch <br />

nicht riskieren, dass die Löwin zu früh aufwachte, <br />

denn dann war auch ihr eigenes Leben in Gefahr. <br />

<strong>Julia</strong>s Hände waren eiskalt, als sie den Pfeil mit <br />

dem Betäubungsmittel in das Blasrohr einlegte. <br />

Während eines Praktikums hatte sie gelernt, wie das <br />

funktionierte, aber seither hatte sie diese Technik <br />

nicht mehr angewendet. <br />

Sie legte auf die Löwin an. Die Raubkatze schien <br />

zu spüren, dass etwas vorging, denn sie stemmte sich <br />

plötzlich vom Boden hoch und begann, langsam auf <br />

und ab zu laufen. Dabei peitschte ihr Schwanz auf <br />

den Boden. <br />

»Nicht gerade jetzt«, murmelte <strong>Julia</strong>. »Es wird <br />

schwer genug, dich zu treffen, wenn du stillliegst, <br />

aber wenn du herumläufst, sinken unsere Chancen <br />

dramatisch, dass ich dich auf Anhieb treffe. Komm <br />

schon, leg dich wieder hin …« <br />

Die Löwin schüttelte den Kopf, als hätte sie jedes <br />

Wort verstanden, und setzte ihre Wanderung fort. <br />

37


Der Tierärztin blieb nichts anderes übrig, als ihr <br />

Glück zu versuchen. Sie atmete tief ein, zielte und <br />

schoss. <br />

Daneben! <strong>Julia</strong> stöhnte enttäuscht auf, als der <br />

Pfeil auf den Boden prallte und ein Stück über die <br />

Fliesen rutschte. Die Störung veranlasste die weiße <br />

Löwin zu einem gereizten Röhren. <br />

Also ein neuer Versuch. <strong>Julia</strong> schob den nächsten <br />

Pfeil in das Blasrohr, legte an und konzentrierte sich. <br />

»Denken Sie an gar nichts, Frau Doktor«, <br />

murmelte Kristina. »Sie schaffen das schon. Das weiß <br />

ich.« <br />

<strong>Julia</strong> richtete all ihre Konzentration auf die <br />

Löwin, die immer noch herumwanderte. Sie folgte <br />

ihr mit dem Blasrohr, ahnte ihren nächsten Schritt <br />

voraus – und schoss. <br />

Volltreffer! Die Löwin fauchte, als der Pfeil sie <br />

am Hinterbein traf. Es dauerte nur wenige <br />

Augenblicke, dann knickten die Beine der Raubkatze <br />

ein. Sie sank auf den Boden und knurrte, aber ihre <br />

Augen fielen bereits zu. Ein Zucken noch. Dann lag <br />

sie still. Geschafft! <br />

Die Tierärztin zählte in Gedanken bis zwanzig. <br />

Wirkte das Betäubungsmittel zuverlässig Das <br />

konnte sie nur hoffen. <strong>Julia</strong> atmete tief aus – und <br />

öffnete die Tür zu dem Raubtiergehege. <br />

38


Die schneeweiße Raubkatze rührte sich nicht. <br />

Ihr Atem kam schwer und fauchend. Vorsichtig <br />

näherte sich die Tierärztin ihrer Patientin, kniete <br />

sich hin und streifte Einweghandschuhe über. <br />

Innerlich aufgewühlt lauschte sie dem Atem der <br />

Löwin. Alles ruhig. Dann also los … <br />

<strong>Julia</strong> schob jeden Gedanken an die tödlichen <br />

Pranken der Löwin zur Seite und überprüfte die <br />

Vitalzeichen des Tieres. Wie sie es vermutet hatte, <br />

schlug das Herz der Raubkatze viel zu schnell. Der <br />

Puls ihrer Jungen war dagegen kaum wahrnehmbar. <br />

Sie waren geschwächt und mussten schleunigst auf <br />

die Welt gebracht werden, sonst würden sie nicht <br />

überleben. <br />

<strong>Julia</strong> tastete die Löwin ab und fand ihre <br />

Be<strong>für</strong>chtung bestätigt. Eines der Jungen lag quer und <br />

versperrte den Geburtskanal. »Ich muss einen <br />

Kaiserschnitt machen. Dabei werde ich Ihre Hilfe <br />

brauchen, Kristina.« <br />

»Klar.« Die Tierpflegerin nickte bereitwillig. <br />

»Operieren Sie hier« <br />

»Das wird am besten sein. Der Transport zur <br />

<strong>Zoo</strong>praxis wäre ein unnötiges Risiko.« <strong>Julia</strong> ging in <br />

Gedanken den Eingriff durch. Sie war erstaunlich <br />

ruhig. Ihr Kopf spulte das erlernte Wissen einfach ab. <br />

Sie wusste, dass das Leben der Löwin und ihrer <br />

39


Jungen am seidenen Faden hing. Aber sie wusste <br />

auch, was zu tun war. In einem Stall hatte sie schon <br />

einmal einen Kaiserschnitt bei einer Kuh gemacht, <br />

aber das hier war doch noch etwas anderes. <br />

Sie streifte sich einen grünen Kittel über und <br />

legte einen Mundschutz an. Kristina folgte ihrem <br />

Beispiel, ohne dass sie etwas sagen musste. <strong>Julia</strong> <br />

rasierte den Bauch der Raubkatze und deckte sie mit <br />

einem grünen Tuch ab. Nur das Operationsfeld ließ <br />

sie frei. <br />

Anschließend desinfizierte sie den Bauch und <br />

legte Handtücher, Klemmen und Kreislauftropfen <br />

bereit. Kristina stellte derweil eine Wärmelampe auf, <br />

um die Jungen sobald sie auf der Welt waren, <br />

darunter warm halten zu können. Sobald der Bauch <br />

geöffnet war, würde alles schnell gehen müssen. <br />

»Behalten Sie Tamika im Auge«, bat sie Kristina. <br />

»Und geben Sie mir Bescheid, sobald sie Anzeichen <br />

zeigt, dass sie aufwacht. Wenn die Lider flattern oder <br />

sie unruhig wird.« <br />

»Alles klar, Frau Doktor. Von mir aus kann es <br />

losgehen.« <br />

»Okay.« Angespannt stieß <strong>Julia</strong> den Atem aus <br />

und öffnete die Bauchdecke der Löwin mit einem <br />

gekonnten Schnitt. Blut quoll aus der Wunde, das sie <br />

abtupfte, dann klappte sie sie mit Hilfe der <br />

40


Klammern auf. Sie legte den Bauchraum der <br />

Raubkatze frei und suchte nach der Gebärmutter. <br />

Das war kein ballonartiges Gebilde, sondern ähnelte <br />

eher zwei Schläuchen, die an den Flanken der <br />

Raubkatze verliefen. <strong>Julia</strong> nahm die erste <br />

Fruchtblase mit einem Jungen heraus und öffnete sie <br />

vorsichtig mit dem Finger. Sie entfernte die <br />

Fruchthülle und befreite ein Jungtier, das noch blind <br />

war. Sein weißes Fell zeigte dunkle Flecken, die erst <br />

im Verlauf eines Jahres verschwinden würden und in <br />

der Natur zur Tarnung gedacht waren. <strong>Julia</strong> wischte <br />

behutsam Schleim und Fruchtwasser vom Mäulchen <br />

des Jungtiers und klemmte die Nabelschnur ab, ehe <br />

sie sie durchtrennte. Dann legte sie das Kleine in <br />

Kristinas Arme. »Rubbeln Sie es trocken. Das regt <br />

den Kreislauf und die Atmung an.« <strong>Julia</strong> beugte sich <br />

wieder über die Löwin und überprüfte die Narkose. <br />

Alles stabil. <br />

Konzentriert holte sie das zweite Jungtier ans <br />

Tageslicht. »Es atmet nicht«, murmelte sie. »Warum <br />

atmet es nicht« Sie griff nach den Kreislauftropfen <br />

und träufelte sie zwischen die Zähne des Kleinen. <br />

Dann rieb sie behutsam die Brust des Winzlings. <br />

Schlaff lag es in ihrem Arm. Es war länger im <br />

Mutterleib gewesen und hatte aus diesem Grund <br />

41


mehr von dem Narkosemittel abbekommen. War es <br />

zu viel <strong>für</strong> sein kleines Herz gewesen <br />

Kristina blickte besorgt herüber und drückte das <br />

Junge auf ihrem Arm beschützend an sich. »O nein«, <br />

wisperte sie. »Nein, bitte nicht …« <br />

ENDE DER LESEPROBE <br />

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