Dieter SEGERT: Die Grenzen Osteuropas. 1918, 1945, 1989 – Drei ...

Dieter SEGERT: Die Grenzen Osteuropas. 1918, 1945, 1989 – Drei ... Dieter SEGERT: Die Grenzen Osteuropas. 1918, 1945, 1989 – Drei ...

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386 Neue Literatur ter: zum einen, weil die Fakultät eine historisierende Konzeption ausdrücklich verlangt hatte, zum anderen aber auch, spezielle im Aufbau der Hauptfassade, in Abstimmung auf das benachbarte Rudolfinum von Josef Zítek, das zu den prominentesten Repräsentationsbauten Prags zählte und mithin keine konkurrierende Benachbarung zuließ. (S. 169) Auch die Universitätsbauten in Prag, das kann diese fundierte Studie stichhaltig nachweisen, reflektieren als Repräsentationsbauten Machtverhältnisse und dienen darüber hinaus – gewissermaßen ein Ersatzschauplatz für politische Machtkämpfe – zur symbolischen nationalen Demonstration und Selbstbestimmung. Steffen Höhne Klaus AMANN, Hubert LENGAUER, Karl WAGNER (Hgg.): Literarisches Leben in Österreich 1848–1890 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 1). Wien/Köln/Weimar (Böhlau) 2000, 918 Seiten; Hubert LENGAUER, Heinz KUCHER (Hgg.): Bewegung im Reich der Immobilität. Revolutionen in der Habsburgermonarchie 1848–49. Literarischpublizistische Auseinandersetzungen (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 5). Wien/Köln/Weimar (Böhlau) 2001, 558 Seiten. Seit dem epochalen Umbruch des Jahres 1989 und im Hinblick auf die seitdem in ihren Konsequenzen und Auswirkungen sich immer klarer abzeichnende Globalisierung, mit der eine Auflösung herkömmlicher nationalstaatlicher Konzepte verbunden ist, gerät die Vorgeschichte des Konzeptes von Nation und damit die Frage nach der nationalen Identität immer deutlicher in den Blick. Angesichts europäischer Integration und weltweiter Migration verwundert somit die verstärkte Auseinandersetzung mit der multinationalen Habsburgermonarchie nicht, was sich insbesondere in der Beschäftigung mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt, eine Phase, in der jene langwierige ‚Identitäts- und Integrationskrise‘ eine irreversible Richtung erhält, eine Phase, die aber zugleich die ‚Bedingungen für den Einsatz der Moderne‘ in Wien, Prag etc. bereitstellt. Auf den angedeuteten Zusammenhang von Literatur und Politik geht in einem höchst lesenswerten Grundsatzartikel Hubert Lengauer ein. 9 Revolution als eine seit 1830 realistische und in der Literatur und Publizistik immer wieder antizipierte Möglichkeit geschichtlicher Veränderung weist eben dem Jahr 1848 die Funktion einer Zäsur zu, in deren Folge es zu einer semantischen Entwertung des Revolutionsbegriffs kommt, in dem dieser sein ursprüngliches Legitimationspotential zunehmend verliert. 9 Lengauer, Hubert: Literatur und Revolution: 1848, 19–41. Neue Literatur In der Diskussion diverser systemtheoretischer Entwürfe im Rahmen einer autonomieästhetischen Differenz von Kunst und Politik gelingt Lengauer eine überzeugende Verortung schriftstellerischen Selbstverständnisses nach 1849. Ausgehend von den Leitfragen nach dem Fortleben des Revolutionsbegriffs und dem Status der Literatur nach 1848 wird an Äußerungen von Kürnberger und Stifter der ‚Dissoziationsvorgang zwischen Literatur und Journalistik‘, ‚Literatur und Publizistik‘ nachgezeichnet. Der erwähnte Delegitimationsprozess und die damit erfolgende Reintegration vieler Intellektueller und Künstler lässt sich auch am Beispiel Ludwig August Frankls verfolgen, der als ein „typisches Beispiel dafür gelten [kann], wie Regierung und liberale Öffentlichkeit darauf bedacht waren, den moderaten Protest nach und nach wieder zu integrieren.“ 10 Nach 1848/49 erfolgt im deutschsprachigen Raum zudem die Hinwendung zur realistischen Form, der Literatur insgesamt fällt eine zunehmend legitimatorische Funktion zu, bei der dem historischen im Sinne von vaterländischen Roman eine besondere Bedeutung zukam als „Vehikel, die Zersplitterung der deutschen Staaten aufzuheben und das Bewußtsein eines einigen Volkes bzw. die Tradition einer großen Vergangenheit zu erzeugen.“ 11 Aufgrund der Thematik (Themen wie die Darstellung der Herrscher aus dem Hause Habsburg, die paternalistische Zeichnung des Verhältnisses zwischen Herrscher und Untertanen, die negative Darstellung von Kirche und Bürokratie) scheint man von einem österreichischen historischen Roman sprechen zu können, eine Gattung, innerhalb der Stifters Witiko eine besondere Bedeutung zukommt. Dabei lassen sich analog zu der zwischen Österreich und Deutschland unterschiedlichen Rezeption des Romans zwei grundlegende Thesen formulieren: In der deutschen Literaturkritik wird die „deutsche Frage, deren groß- oder kleindeutsche Lösung zum entscheidenden Kriterium. In Österreich hingegen steht die Nationalitätenfrage im Vordergrund, die Spannung zwischen Zentralismus und Föderalismus.“ (S. 489) Unter gattungs- und formästhetischen Aspekten entfaltet sich die Kritik zwischen „realistischer Literaturprogrammatik und klassizistisch-idealistischer Ästhetik [...]. Aus realistischer Sicht wirft man Stifter eine lebensferne Darstellung des Helden vor, während am klassizistischen Kunstideal gemessen die Komposition des Witiko als unorganisch erscheint, weil sie die Ausgewogenheit und Stimmigkeit zwischen den Teilen und dem Ganzen vermissen lasse.“ (S. 489f.) Für Stifters Roman lässt sich dabei ein doppelter Appell erkennen: ein austroslawischer in der Tradition Palackýs an die Tschechen und deren Integration in das mitteleuropäische Habsburgerreich und ein anti-zentralistischer an die Regierung in Wien mit dem Hinweis auf 10 Sonnleitner, Johann: Abschreibungen der Märzrevolution. Zu einem Aspekt liberaler Autobiographik nach 1848, 505–522, 519. 11 Holzner, Johann/Neumayr, Elisabeth/Wiesmüller, Wolfgang: Der historische Roman in Österreich 1848–1890, 455–504, 462. 387

388 Neue Literatur die notwendige Anerkennung der einzelnen Kulturen innerhalb der Habsburger Monarchie. Die Verfasser bringen eine Reihe von zeitgenössischen Belegen in Österreich und Deutschland über die vehemente Ablehnung einer solchen dezidiert antinationalen Position, die zu einem fast völligen Wirkungsdefizit des Witiko führen sollte. Lediglich Johann Aprent, der sich um eine Deutung des Romans im Kontext des Stifterschen ‚Sittengesetzes‘ bemüht, greift die antinationale Position auf, wenn er erkennt, dass Stifter im Witiko ein „politisches Modell entworfen [habe], in dem die einzelnen Nationen als gleichberechtigte Partner bei der Verwirklichung übergeordneter Ziele zusammenwirken; [...]“ (S. 503). Eine solche nach 1849 singuläre Position findet man bei nicht vielen Autoren, die Verfasser des Artikels verweisen hinsichtlich der politischen Tendenz auf Franz Isidor Proschkos Roman Der schwarze Mann (1863), in welchem die Traditionslinien aller Völker der österreichischen Geschichte aufgezeigt werden (S. 471) und auf Eduard Breiers Roman Die Rosenkreuzer in Wien (1852). Weitere Beiträge mit für die böhmische Kulturgeschichte relevanten Themen behandeln vor allem mährische Autoren, so aus einer sozialhistorischen Perspektive die fundierte Analyse der Rezeptionsblockade Sealsfields seit den 1840er Jahren, 12 ferner finden sich Studien zu Ferdinand von Saar 13 und Marie von Ebner-Eschenbach 14 sowie eine Studie zu dem aus dem böhmischen Münchengrätz (Mnichovo Hradišt) stammenden Leopold Kompert, welche das für Komperts Werk konstitutive Thema der Aufrechterhaltung jüdischer Tradition in einer christlich dominierten Umwelt bzw. die aus erfolgter Assimilation entstehenden Identitätskonflikte analysiert. 15 Mit dem zweiten hier vorzustellenden Band, Bewegung im Reich der Immobilität, ist zunächst der österreichische Vormärz skizziert, jene Phase der gesellschaftlichen Stagnation und politischen Repression unter dem Dach von Thron und Altar, die für die Zeit der Restauration unter Metternich wohl insgesamt prägend war. Um so einschneidender musste gerade im Habsburgerreich die Revolution von 1848 einschlagen, in jenes ‚Konglomerat von Nationen‘ (He- 12 Ritter, Alexander: Charles Sealsfield frühe Publizitätssuche bei den Verlegern Cotta (Stuttgart) und Murray (London). Biographische und buchgeschichtliche Umstände als Ursachen des Publizitätsverlustes nach 1848, 561–600. 13 Ritzer, Monika: Weltlauf und Schicksal. Spätrealismus im Drama Ferdinand von Saars, 672–689; FASOLD, Regina: Ferdinand von Saars Novelle Leutnant Burda im Kreuzungspunkt des Diskurses über Traum, Wahn, Sexualität und Dichtung 1885/1887 in Wien, 690– 704. 14 Gabriel, Norbert: Autorrolle. Schreibbedingungen und Selbstverständnis von Schriftstellerinnen in der österreichischen Literatur am Beispiel Marie von Ebner-Eschenbachs, 705– 729. 15 Kucher, Primus-Heinz: Aufbruch aus dem Ghetto Zu Leopold Komperts Roman Am Pflug (1855), 786–804. Neue Literatur gel), die wie ein Gespann ‚widersinnig gekuppelter Pferde‘ (Grillparzer) nur mühsam von der zentralen Gewalt gezähmt werden konnten. Ist auch mit Reformstau eine zentrale Erfahrung des österreichischen Vormärz erfasst, so wird diese Phase dennoch von entscheidenden gesellschaftlichen Veränderungen geprägt: Gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte und gemeinsame Kultur wurden die neuen Symbole, die nicht mehr ‚Böhmen‘ von ‚Mährern‘, oder ‚Österreicher‘ von ‚Steirern‘ trennten, sondern ‚Tschechen‘ von ‚Deutschen‘, ‚Slowenen‘ von ‚Italienern‘, ‚Polen‘ von ‚Ruthenen‘. 16 Ausgehend von der desintegrativen Wirkung der 48er-Revolution und einer bereits im Vormärz einsetzenden Identitätsverschiebung formuliert Bruckmüller drei zentrale Fragen. Zunächst die Frage nach der Funktion von Geschichte, einer Geschichte, die – analog zum Mythos früherer Zeiten – zur Begründungswissenschaft moderner Nationen mutiert und auf diese Weise überregionale österreichische Kollektividentitäten wie bei Hormayr marginalisiert und damit das ursprüngliche Landesbewusstsein in ein sprachlich-kulturell begründetes Nationalbewusstsein transformiert. Dann die Frage nach der integrativen Funktion des Bildungswesens im Hinblick auf die nationale Mobilisierung, was Bruckmüller an Verschiebungen in der Semantik von Vaterlandsliebe belegt: Um 1800 erscheint sie noch – streng rationalistisch – auf der Theorie vom Gesellschaftsvertrag und auf der Beobachtung begründet, daß kleinere Vergesellschaftungen in größere eingebunden erscheinen. Im Vormärz ändert sich die Diktion völlig: Nunmehr ging der Patriotismus-Appell von den Pflichten der Untertanen gegenüber dem Herrscher aus! Erst am Schlusse eingehender Belehrungen über die Pflichten des Untertanen gegenüber der Obrigkeit erscheint auch die ‚Vaterlandsliebe‘ als eigene Tugend, die sich an verschiedenen Gegenständen erweisen kann, zu denen eine aktive Mitbeteiligung an der ‚res publica‘ keineswegs gehört. (S. 17) Schließlich die Frage nach der Österreich-Mythologie nach 1848, gestützt durch den Mythos der kaiserlichen Armee und die Inszenierung Franz Josephs als mythische Herrschergestalt, ein Prozess, an dem die Literaten, man denke an Josef Roths Radetzkymarsch, an Ludwig Winders Thronfolger, an Musils Mann ohne Eigenschaften maßgeblich beteiligt sind. Aber auch Grillparzer ist mit seinem Werk laut Bruckmüller ein „Mitschöpfer eines übernationalen, ü- ber die je eigenen Sprachnationen hinausreichenden Mythos des habsburgischen Mitteleuropa.“ (S. 33) 16 Bruckmüller, Ernst: Die österreichische Revolution von 1848 und der Habsburgermythos des 19. Jahrhunderts. Nebst einigen Rand- und Fußnoten von und Hinweisen auf Franz Grillparzer, 1–33, 5. 389

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ter: zum einen, weil die Fakultät eine historisierende Konzeption ausdrücklich<br />

verlangt hatte, zum anderen aber auch, spezielle im Aufbau der Hauptfassade,<br />

in Abstimmung auf das benachbarte Rudolfinum von Josef Zítek, das zu den<br />

prominentesten Repräsentationsbauten Prags zählte und mithin keine konkurrierende<br />

Benachbarung zuließ. (S. 169)<br />

Auch die Universitätsbauten in Prag, das kann diese fundierte Studie stichhaltig<br />

nachweisen, reflektieren als Repräsentationsbauten Machtverhältnisse und dienen<br />

darüber hinaus – gewissermaßen ein Ersatzschauplatz für politische Machtkämpfe<br />

– zur symbolischen nationalen Demonstration und Selbstbestimmung.<br />

Steffen Höhne<br />

Klaus AMANN, Hubert LENGAUER, Karl WAGNER (Hgg.): Literarisches Leben<br />

in Österreich 1848–1890 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 1).<br />

Wien/Köln/Weimar (Böhlau) 2000, 918 Seiten;<br />

Hubert LENGAUER, Heinz KUCHER (Hgg.): Bewegung im Reich der Immobilität.<br />

Revolutionen in der Habsburgermonarchie 1848–49. Literarischpublizistische<br />

Auseinandersetzungen (= Literaturgeschichte in Studien und<br />

Quellen 5). Wien/Köln/Weimar (Böhlau) 2001, 558 Seiten.<br />

Seit dem epochalen Umbruch des Jahres <strong>1989</strong> und im Hinblick auf die seitdem<br />

in ihren Konsequenzen und Auswirkungen sich immer klarer abzeichnende<br />

Globalisierung, mit der eine Auflösung herkömmlicher nationalstaatlicher<br />

Konzepte verbunden ist, gerät die Vorgeschichte des Konzeptes von Nation<br />

und damit die Frage nach der nationalen Identität immer deutlicher in den<br />

Blick. Angesichts europäischer Integration und weltweiter Migration verwundert<br />

somit die verstärkte Auseinandersetzung mit der multinationalen Habsburgermonarchie<br />

nicht, was sich insbesondere in der Beschäftigung mit der<br />

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt, eine Phase, in der jene langwierige<br />

‚Identitäts- und Integrationskrise‘ eine irreversible Richtung erhält, eine Phase,<br />

die aber zugleich die ‚Bedingungen für den Einsatz der Moderne‘ in Wien,<br />

Prag etc. bereitstellt.<br />

Auf den angedeuteten Zusammenhang von Literatur und Politik geht in einem<br />

höchst lesenswerten Grundsatzartikel Hubert Lengauer ein. 9 Revolution als<br />

eine seit 1830 realistische und in der Literatur und Publizistik immer wieder<br />

antizipierte Möglichkeit geschichtlicher Veränderung weist eben dem Jahr<br />

1848 die Funktion einer Zäsur zu, in deren Folge es zu einer semantischen<br />

Entwertung des Revolutionsbegriffs kommt, in dem dieser sein ursprüngliches<br />

Legitimationspotential zunehmend verliert.<br />

9 Lengauer, Hubert: Literatur und Revolution: 1848, 19–41.<br />

Neue Literatur<br />

In der Diskussion diverser systemtheoretischer Entwürfe im Rahmen einer autonomieästhetischen<br />

Differenz von Kunst und Politik gelingt Lengauer eine überzeugende<br />

Verortung schriftstellerischen Selbstverständnisses nach 1849. Ausgehend<br />

von den Leitfragen nach dem Fortleben des Revolutionsbegriffs und dem<br />

Status der Literatur nach 1848 wird an Äußerungen von Kürnberger und Stifter<br />

der ‚Dissoziationsvorgang zwischen Literatur und Journalistik‘, ‚Literatur und<br />

Publizistik‘ nachgezeichnet. Der erwähnte Delegitimationsprozess und die<br />

damit erfolgende Reintegration vieler Intellektueller und Künstler lässt sich<br />

auch am Beispiel Ludwig August Frankls verfolgen, der als ein „typisches Beispiel<br />

dafür gelten [kann], wie Regierung und liberale Öffentlichkeit darauf<br />

bedacht waren, den moderaten Protest nach und nach wieder zu integrieren.“ 10<br />

Nach 1848/49 erfolgt im deutschsprachigen Raum zudem die Hinwendung zur<br />

realistischen Form, der Literatur insgesamt fällt eine zunehmend legitimatorische<br />

Funktion zu, bei der dem historischen im Sinne von vaterländischen Roman<br />

eine besondere Bedeutung zukam als „Vehikel, die Zersplitterung der<br />

deutschen Staaten aufzuheben und das Bewußtsein eines einigen Volkes bzw.<br />

die Tradition einer großen Vergangenheit zu erzeugen.“ 11 Aufgrund der Thematik<br />

(Themen wie die Darstellung der Herrscher aus dem Hause Habsburg,<br />

die paternalistische Zeichnung des Verhältnisses zwischen Herrscher und Untertanen,<br />

die negative Darstellung von Kirche und Bürokratie) scheint man von<br />

einem österreichischen historischen Roman sprechen zu können, eine Gattung,<br />

innerhalb der Stifters Witiko eine besondere Bedeutung zukommt. Dabei lassen<br />

sich analog zu der zwischen Österreich und Deutschland unterschiedlichen<br />

Rezeption des Romans zwei grundlegende Thesen formulieren: In der deutschen<br />

Literaturkritik wird die „deutsche Frage, deren groß- oder kleindeutsche<br />

Lösung zum entscheidenden Kriterium. In Österreich hingegen steht die Nationalitätenfrage<br />

im Vordergrund, die Spannung zwischen Zentralismus und<br />

Föderalismus.“ (S. 489) Unter gattungs- und formästhetischen Aspekten entfaltet<br />

sich die Kritik zwischen „realistischer Literaturprogrammatik und klassizistisch-idealistischer<br />

Ästhetik [...]. Aus realistischer Sicht wirft man Stifter<br />

eine lebensferne Darstellung des Helden vor, während am klassizistischen<br />

Kunstideal gemessen die Komposition des Witiko als unorganisch erscheint,<br />

weil sie die Ausgewogenheit und Stimmigkeit zwischen den Teilen und dem<br />

Ganzen vermissen lasse.“ (S. 489f.) Für Stifters Roman lässt sich dabei ein<br />

doppelter Appell erkennen: ein austroslawischer in der Tradition Palackýs an<br />

die Tschechen und deren Integration in das mitteleuropäische Habsburgerreich<br />

und ein anti-zentralistischer an die Regierung in Wien mit dem Hinweis auf<br />

10 Sonnleitner, Johann: Abschreibungen der Märzrevolution. Zu einem Aspekt liberaler Autobiographik<br />

nach 1848, 505–522, 519.<br />

11 Holzner, Johann/Neumayr, Elisabeth/Wiesmüller, Wolfgang: Der historische Roman in<br />

Österreich 1848–1890, 455–504, 462.<br />

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