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05.02.2015 Aufrufe

Jazz Wo Köln schön krumm klingt Die Renaissance der Kölner Jazz-Szene VON FELIX J GROSSER Langsam füllt sich die Kneipe am Gottesweg, wo der Sülz-Klettenberger Grenzstreifen sich mit dunkelrotbraunen Backsteinfassaden unterm Blätterdach der Platanen noch einmal malerisch zeigt, bevor hinter dem Bahndamm die Zollstocker Gewerbebrache beginnt. Einige Musiker sitzen noch zu Tisch, andere stimmen bereits ihre Instrumente. Erst zaghaft und testweise tastend, dann immer selbstbewusster raumgreifend, versetzen erste Klänge die Luft in Schwingung. Eine halbe Stunde später schlagen wilde Blechsoli Kapriolen über Snare Rolls und ich muss mir Mühe geben, meinen Gesprächspartner zu verstehen. „Das ist schon ein Veedelsding. Leute aus Ehrenfeld oder Nippes siehst du hier eher nicht“, sagt Patrick Becker, hauptberuflich Schreiner, in seiner Freizeit einer der beiden Köpfe und so etwas wie die gute Seele hinter Real Live Jazz, der allsonntäglichen Konzertreihe im ABS. Er kümmert sich um Organisatorisches, betreut die Musiker, lässt in der Pause den Hut rumgehen und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Das ist viel Arbeit, doch Becker, der schon zu Schulzeiten Konzerte organisierte, liebt die Musik. Und der Erfolg gibt ihm recht. Es hat sich rumgesprochen, dass hier seit viereinhalb Jahren höchst qualitativer Sound zum Nulltarif geboten wird. Und so pilgern im Schnitt jede Woche 50 Jazzbegeisterte in die rein optisch so gar nicht heiligen Hallen am Gottesweg. ‘Es sind Orte, wie dieser, an denen eine Stadt zum Leben erwacht. Orte, an denen Menschen, die sonst Tag für Tag wortlos auf der Straße aneinander vorbeigehen, aufeinandertreffen und im gemeinsamen Erlebnis zueinanderfinden.’ …this is Cologne An besonders guten Tagen auch mal an die 200. „Es brummte hier schon wie Jeck.“, so Patrick Becker. „Das Publikum kommt wegen des Jazz. Quasseltypen gibt es nur selten.“ Kein Wunder, denn das Booking liegt in den Händen von Riaz Khabirpour. Kennern wohlbekannt als Gitarrist, Komponist und eminenter Vertreter einer aufstrebenden neuen Generation von Musikern, die Köln den Ruf der heimlichen Hauptstadt des jungen deutschen Jazz eingebracht hat. Im Laufe seiner Musikhochschulausbildung in Amsterdam, New York und Köln in unzählige musikalische Kollaborationen involviert, schöpft Khabirpour für Real Live Jazz aus dem Vollen. Und so liest sich das Programm dann auch wie ein Who is Who der lokalen Szene, garniert mit erstklassigen internationalen Einsprengseln. Namen wie Pablo Held, Paul Wiltgen, Marshall Gilkes, Oliver Lutz, Tylor Blanton, Matthias Akeo Nowak und Brian Seeger sprechen eine deutliche Sprache – dabei ist diese Liste nur ein winziger Auszug aus dem Gig-Archiv. ‘Eigentlich auch höchste Zeit in einer Stadt, in der die Nischenbiotope für unabhängige Frequenzen, zwischen der Deutungsmacht der öffentliche-rechtlichen Giganten einerseits und der Beliebigkeit der privaten Jingleabfeuermaschinerie andererseits, noch vergleichsweise spärlich besiedelt sind.’ Was nicht heißt, dass bei Real Live Jazz nur auf die Bühne kommt, wer bereits in die Oberliga aufgestiegen ist. Ganz im Gegenteil: Spielwütige jeglicher Coleur sind herzlich eingeladen, sich mit klingenden Kostproben zu bewerben, sofern sie 52

nicht über Gebühr den stilistischen Rahmen strapazieren, der von Becker mit: „Definitiv Modern Jazz, zeitgenössisch; eher straight“ umschrieben wird. Eine dicke Gage gibt’s zwar nicht zu erwarten, dafür sind allen, neben der ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums, Speis und Trank à la carte sicher. Sowie der mitunter gar nicht so geringe Ertrag aus der Publikumskollekte im sprichwörtlichen Hut. Ein Blick ins prall gefüllte Halbjahresprogramm beweist: für viele Künstler ausreichender Anreiz, am Sonntagabend das Rampenlicht dem Sofa vorzuziehen. Und in Zukunft Weiter wie bisher. Zum Glück. – Livemusik im Bar-Ambiente, organisiert ohne dicke Sponsorengelder, dafür mit umso mehr Herzblut. Für Musiker Öffentlichkeit ohne Pay to Play-Abzocke und für Zuhörer die Möglichkeit Neues zu entdecken, ohne finanziell in Vorleistung gehen zu müssen. Es sind Orte, wie dieser, an denen eine Stadt zum Leben erwacht. Orte, an denen Menschen, die sonst Tag für Tag wortlos auf der Straße aneinander vorbeigehen, aufeinandertreffen und im gemeinsamen Erlebnis zueinanderfinden – ohne im Nachhinein vom schlechten Gefühl beschlichen zu werden, nur den kommerziellen Interessen anderer gedient zu haben. Orte auch, ohne die eine lokale Musikkultur im Keim erstickt, da für die Aktiven die Möglichkeit, ihre Kreativität nach Außen zu tragen, sich auszuprobieren, ein Publikum zu finden zur Einkommensfrage wird. Montags JäzzZeit - Heimathirsch jeden Montag, 20:00 Uhr Jazz-Kalender Köln regelmäßige Termine Jazz am Eigelstein - Textilcafe jeden Montag, 19:30 Uhr Dienstags Jazz-o-Rama - Artheater jeden Dienstag, 21:30 Uhr, Konzert (Opener) & Session Barinton Live Music Club - Piano Bar - Sanfte Töne laden zum Chillen ein. Zockpalast - Barracuda Bar ein Konzert monatlich, Di. 21:00 Uhr Jazz im Café 333 - alle 14 Tage, dienstags, 19:30 Uhr Metronom - von Ende September bis Ende April alle zwei Wochen dienstags, 21:00 Uhr Mittwochs Kommunikation 9 - Artclub - Neun Konzerte im Jahr, in der Regel mittwochs blue:notes Bistro Verde - freitags, 20:00 Uhr, bis zu zehn Konzerte im Jahr Barinton Live Music Club Bunter, furioser Mix aus Jazz, Pop, Blues und Funk; Ska, Weltmusik, Gypsy Boogie, Gangster Swing, So wie Tango und mehr. Samstags Round About Midnight Stadtgarten jeden Samstag, 23:00 Uhr Barinton Live Music Club Ein bunter, furioser Mix aus Jazz, Pop, Blues und Funk; Ska, Weltmusik, Gypsy Boogie, Gangster Swing. Sound Studio N bis zwei Konzerte im Monat, samstags 13:00 Uhr Jazz Dinner – „cookin´ at“ Café Stanton - jeden Samstag, 20.00 Uhr Sonntags Real Live Jazz - in Klettenberg ABS - jeden Sonntag, 19:30 Uhr Bedauernswert, dass man bisweilen den Eindruck gewinnt, wo der deutsche Großstadtdschungel unter Einheitsbrei einbetoniert wird, verschwände diese magischen Räume gleich einer aussterbenden Spezies. Dabei wissen Becker und Khabirpour genau, dass Bestandswahrung alleine nicht trägt. Wo andere sich auf dem Erreichten ausruhen, blicken sie nach vorne und scheuen – ganz Jazz-like – vor Experimenten nicht zurück. Real Live Jazz will im Laufe dieses Jahres mit Jazz-Livestreams aus Köln starten. Was nach Zukunftsmusik klingt, ist in Wahrheit längst ausgeheckt. „Es könnte von heute auf morgen passieren“, meint Patrick Becker und kann sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Mit „The Nightfly“, der Jazzsendung des fabelhaften Kölner Studioradios KölnCampus ist bereits ein kompetenter Partner fürs redaktionelle und technische mit an Bord. - „Es bleibt also spannend.“ Subway Jazz Orchestra - Club Subway - jeden zweiten Mittwoch im Monat Wildern - Heimathirsch - einmal im Monat, mittwochs in loser Folge, 19:30- 22:00 Uhr Es spielt die Band Wildern mit exquisiten Gastmusikern der Kölner Musikszene und darüber hinaus. Jazz im Hahnheiser - jeden zweiten Mittwoch, in loser Folge auch freitags, 20:00 Uhr Barinton Live Music Club - Jazz on Q Eine überzeugende Darstellung von Künstlern aus Köln, ein spannendes Erlebnis JazzSpirit - Filmdose jeden ersten und dritten Mittwoch, 20:30 Uhr Konzert (Opener) & Session Donnerstags JazzTrane - Studio 762 donnerstags, 20.30 Uhr Barinton Live Music Club Funk, Soul, RnB, Jazz, Jazzrock, Acoustic etc. ab. Freitags Freiraum Freiraum e.V. - ein bis zwei Konzerte im Monat, 20:00 Uhr FemaleJazz Bürgerhaus Kalk - in loser Folge ein Konzert im Monat, freitags, 21:00 Uhr Next Level Jazz studio dumont einmal im Monat, immer sonntags 18:00 Uhr Info: studio dumont Orange Sunday KulturOase - ersten Sonntag im Monat, 19:00 Uhr, Konzert (Opener) & Session Jazz@Brändström einmal im Monat, So. 16:00 - 18:00 Uhr delljazz …zwischen den Meilen Lezuch’s Gasthaus im Museum jeden letzten Sonntag im Monat, 19:00 Uhr, (Opener) & Session Rolands Rumba – Odonien - Hornstaraße 85 jeden ersten und dritten Sonntag, 16:00 – 22:00 Uhr Jazz-Freunde-Köln e.V. Gaffel im Marienbild - ersten oder zweiten Sonntag im Monat, 11:00 Uhr Jazz & Kuchen Motoki Kollektiv - in loser Folge, sonntags, 16:00 Uhr Musiklabor Köln Bayenwerft Kunsthaus Rhenania ersten Sonntag im Monat, 17:00 Uhr Jazz Brunch im Galiley Galiley - jeden Sonntag 11:30 - 15:00 Uhr Jazz im Bauturm Café Bauturm - jeden Sonntag, 19.00 Uhr 53

Jazz<br />

Wo Köln schön<br />

krumm klingt<br />

Die Renaissance<br />

der Kölner Jazz-Szene<br />

VON FELIX J GROSSER<br />

Langsam füllt sich die Kneipe am Gottesweg, wo der Sülz-Klettenberger<br />

Grenzstreifen sich mit dunkelrotbraunen Backsteinfassaden<br />

unterm Blätterdach der Platanen noch einmal<br />

malerisch zeigt, bevor hinter dem Bahndamm die Zollstocker<br />

Gewerbebrache beginnt. Einige Musiker sitzen noch zu Tisch,<br />

andere stimmen bereits ihre Instrumente. Erst zaghaft und<br />

testweise tastend, dann immer selbstbewusster raumgreifend,<br />

versetzen erste Klänge die Luft in Schwingung. Eine halbe<br />

Stunde später schlagen wilde Blechsoli Kapriolen über Snare<br />

Rolls und ich muss mir Mühe geben, meinen Gesprächspartner<br />

zu verstehen.<br />

„Das ist schon ein Veedelsding. Leute aus Ehrenfeld oder Nippes<br />

siehst du hier eher nicht“, sagt Patrick Becker, hauptberuflich<br />

Schreiner, in seiner Freizeit einer der beiden Köpfe und so<br />

etwas wie die gute Seele hinter Real Live Jazz, der allsonntäglichen<br />

Konzertreihe im ABS. Er kümmert sich um Organisatorisches,<br />

betreut die Musiker, lässt in der Pause den Hut rumgehen<br />

und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Das ist viel<br />

Arbeit, doch Becker, der schon zu Schulzeiten Konzerte organisierte,<br />

liebt die Musik. Und der Erfolg gibt ihm recht. Es hat<br />

sich rumgesprochen, dass hier seit viereinhalb Jahren höchst<br />

qualitativer Sound zum Nulltarif geboten wird. Und so pilgern<br />

im Schnitt jede Woche 50 Jazzbegeisterte in die rein optisch so<br />

gar nicht heiligen Hallen am Gottesweg.<br />

‘Es sind Orte, wie dieser, an<br />

denen eine Stadt zum Leben erwacht.<br />

Orte, an denen Menschen,<br />

die sonst Tag für Tag wortlos auf<br />

der Straße aneinander vorbeigehen,<br />

aufeinandertreffen und<br />

im gemeinsamen Erlebnis zueinanderfinden.’<br />

…this is Cologne<br />

An besonders guten Tagen auch mal an die 200. „Es brummte<br />

hier schon wie Jeck.“, so Patrick Becker. „Das Publikum kommt<br />

wegen des Jazz. Quasseltypen gibt es nur selten.“ Kein Wunder,<br />

denn das Booking liegt in den Händen von Riaz Khabirpour.<br />

Kennern wohlbekannt als Gitarrist, Komponist und eminenter<br />

Vertreter einer aufstrebenden neuen Generation von Musikern,<br />

die Köln den Ruf der heimlichen Hauptstadt des jungen deutschen<br />

Jazz eingebracht hat. Im Laufe seiner Musikhochschulausbildung<br />

in Amsterdam, New York und Köln in unzählige<br />

musikalische Kollaborationen involviert, schöpft Khabirpour für<br />

Real Live Jazz aus dem Vollen. Und so liest sich das Programm<br />

dann auch wie ein Who is Who der lokalen Szene, garniert mit<br />

erstklassigen internationalen Einsprengseln. Namen wie Pablo<br />

Held, Paul Wiltgen, Marshall Gilkes, Oliver Lutz, Tylor Blanton,<br />

Matthias Akeo Nowak und Brian Seeger sprechen eine deutliche<br />

Sprache – dabei ist diese Liste nur ein winziger Auszug aus<br />

dem Gig-Archiv.<br />

‘Eigentlich auch höchste Zeit in einer Stadt, in der die Nischenbiotope<br />

für unabhängige Frequenzen, zwischen der Deutungsmacht<br />

der öffentliche-rechtlichen Giganten einerseits und der<br />

Beliebigkeit der privaten Jingleabfeuermaschinerie andererseits,<br />

noch vergleichsweise spärlich besiedelt sind.’<br />

Was nicht heißt, dass bei Real Live Jazz nur auf die Bühne<br />

kommt, wer bereits in die Oberliga aufgestiegen ist. Ganz im<br />

Gegenteil: Spielwütige jeglicher Coleur sind herzlich eingeladen,<br />

sich mit klingenden Kostproben zu bewerben, sofern sie<br />

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