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05.02.2015 Aufrufe

Theater Love Letters Nicht mit Dir und nicht ohne Dich Melissa und Andrew kennen sich seit der zweiten Schulklasse. Die beiden Kinder schwärmen füreinander, und sie bezeugen ihre Zuneigung anfangs auf kleinen Zetteln in der Schule, später in Briefen und Postkarten. Melissa genießt Andrews Geschenke und Aufmerksamkeiten und ihre Rolle als seine Prinzessin. Mit der einsetzenden Pubertät kommen neue Themen für beide ins Spiel. Die Briefe handeln nun von ihren Ängsten und Träumen, ihrer Eifersucht und der elterlichen Bevormundung, der sie nur in der Welt ihrer Briefe entgehen können, aber nicht in der Realität. Die Liebenden stammen aus völlig unterschiedlichen Familien und gesellschaftlichen Schichten: Melissa, die launige Tochter aus reichem Hause, mit einer alkoholkranken Mutter und ihren gescheiterten Ehen und Andrew, der artige, ehrgeizige Sohn aus einer typischen Mittelstandsfamilie, die ihren amerikanischen Traum verwirklichen will. Räumlich voneinander getrennt, scheinen die verschiedenen Lebenslinien der beiden schon vorgezeichnet, bevor sie sich selbst über die eigenen Träume und Wünsche an ihr Leben im Klaren sind. Andrew wird nach seinem Militärdienst und dem Besuch der Eliteuni eine politische Karriere machen und es einmal bis zum Senator schaffen, mit einer amerikanischen Bilderbuchfamilie inklusive. Melissa, die chaotische Künstlerin, die ständig ihren Wohnort wechselt, vor sich selbst immer wieder wegläuft, wird sich zunehmend ihrem Zynismus, Selbstmitleid und Alkoholismus ergeben. So konträr ihre Wege auch verlaufen, über ihre Briefe bleiben beide ein Leben lang miteinander verbunden, mal enttäuscht, mal verletzt und dann wieder liebe- und verständnisvoll den anderen begleitend. Aus den selbst- und fremdgestrickten Strukturen aber kommen sie nicht heraus, ihre Realitäten sind trotz ihrer Liebe nicht kompatibel. Nur zum Ende hin, für ein paar Stunden des intimen Zusammenseins, flackert die Hoffnung auf eine sich erfüllende Beziehung noch einmal kurz auf, doch da scheint es schon zu spät für die beiden Liebenden. Vielschichtiges Beziehungsspiel 16

„Love Letters“, von dem amerikanischen Dramatiker Albert R. Gurney, ist eines der am häufigsten gespielten Theaterstücke in den USA. Nach seiner Uraufführung 1988 sorgte das Zwei-Personen-Stück auch international für großes Aufsehen. Die ungewöhnliche Form, den gesamten Dialog der Schauspieler über das Lesen ihrer Briefe zu führen, erscheint nur auf den ersten Blick ermüdend. In Wirklichkeit entwickeln die Briefe eine eigene Dynamik, von den flapsig schüchternen Annäherungsversuchen aus der Kinderzeit, über die trotzig-bösen Briefe einer jungen Frau, hin zum wohlformulierten Schreiben eines erfolgreichen, aber auch traurigen Self-made-Mannes. Die Wandlungsphasen von Melissa (Doris Plenert) und Andrew (Gerhardt Haag) werden in der Inszenierung von Martin Jürgens von den Schauspielern glaubhaft und ausdrucksstark vermittelt. So lebt das Spiel der beiden Akteure vor allem von ihrer Mimik und ihrem Gestus beim Lesen - Andrew, der oft stocksteif mit hochoffiziöser Haltung dasteht, als würde er eine Rede vor dem Kongress halten, oder Melissa, die sich auf ihrem Stuhl mal gelangweilt, mal todtraurig mit ihrer Flasche Gin räkelt – immer wird die Gefühlslage des Schreibenden sichtbar. Das minimalistische Bühnenbild mit zwei Tischen und zwei Stühlen unterstützt die Konzentration auf das Mienenspiel der Darsteller, die während des gesamten Theaterstücks keinen Blickkontakt haben (lediglich am Anfang, als die beiden Kinder mit Kreide ein Liebesherz auf eine Mauer zeichnen und am Schluss des Stücks, als Melissa sich aus einer imaginären Welt Andrew zuwendet). Obwohl jeder der beiden Schauspieler für sich alleine agiert und seine Briefe im Monolog vorträgt, entsteht ein äußerst spannender Dialog für den Zuschauer. Wiederkehrende Weihnachtsund Neujahrsgrüße sowie kurze Musikeinspielungen strukturieren die Inszenierung. „Love Letters“ ist sicher auch ein zutiefst amerikanisches Theaterstück. Es dokumentiert nicht nur die lebenslange Liebesgeschichte zweier Menschen in Briefen, im Hintergrund geht es immer auch um die Geschichte der USA, ihre gesellschaftlichen Widersprüche und den Blick hinter die Fassade des amerikanischen Traums. Melissa und Andrew scheitern letztlich an ihrer Mutlosigkeit, ihrer Unfähigkeit sich gegen gesellschaftliche Konventionen zu wehren und zu ihrer Liebe zu bekennen. Und das wiederum ist eine universell gültige Geschichte. Love Letters, Theater im Bauturm, Freies Schauspiel Köln Nächste Vorstellungen: 18.03/ 22.03/ 27.03 Inszenierung: Martin Jürgens Ausstattung: Petra Moser Mit: Doris Plenert, Gerhardt Haag 17

„Love Letters“, von dem amerikanischen<br />

Dramatiker Albert<br />

R. Gurney, ist eines der am<br />

häufigsten gespielten Theaterstücke<br />

in den USA. Nach seiner<br />

Uraufführung 1988 sorgte<br />

das Zwei-Personen-Stück<br />

auch international für großes<br />

Aufsehen. Die ungewöhnliche<br />

Form, den gesamten Dialog der<br />

Schauspieler über das Lesen ihrer<br />

Briefe zu führen, erscheint<br />

nur auf den ersten Blick ermüdend.<br />

In Wirklichkeit entwickeln<br />

die Briefe eine eigene Dynamik,<br />

von den flapsig schüchternen<br />

Annäherungsversuchen aus<br />

der Kinderzeit, über die trotzig-bösen<br />

Briefe einer jungen<br />

Frau, hin zum wohlformulierten<br />

Schreiben eines erfolgreichen,<br />

aber auch traurigen Self-made-Mannes.<br />

Die Wandlungsphasen<br />

von Melissa (Doris Plenert)<br />

und Andrew (Gerhardt<br />

Haag) werden in der Inszenierung<br />

von Martin Jürgens von<br />

den Schauspielern glaubhaft<br />

und ausdrucksstark vermittelt.<br />

So lebt das Spiel der beiden<br />

Akteure vor allem von ihrer<br />

Mimik und ihrem Gestus beim<br />

Lesen - Andrew, der oft stocksteif<br />

mit hochoffiziöser Haltung<br />

dasteht, als würde er eine Rede<br />

vor dem Kongress halten, oder<br />

Melissa, die sich auf ihrem Stuhl<br />

mal gelangweilt, mal todtraurig<br />

mit ihrer Flasche Gin räkelt<br />

– immer wird die Gefühlslage<br />

des Schreibenden sichtbar. Das<br />

minimalistische Bühnenbild mit<br />

zwei Tischen und zwei Stühlen<br />

unterstützt die Konzentration<br />

auf das Mienenspiel der Darsteller,<br />

die während des gesamten<br />

Theaterstücks keinen Blickkontakt<br />

haben (lediglich am<br />

Anfang, als die beiden Kinder<br />

mit Kreide ein Liebesherz auf<br />

eine Mauer zeichnen und am<br />

Schluss des Stücks, als Melissa<br />

sich aus einer imaginären Welt<br />

Andrew zuwendet). Obwohl<br />

jeder der beiden Schauspieler<br />

für sich alleine agiert und seine<br />

Briefe im Monolog vorträgt,<br />

entsteht ein äußerst spannender<br />

Dialog für den Zuschauer.<br />

Wiederkehrende Weihnachtsund<br />

Neujahrsgrüße sowie kurze<br />

Musikeinspielungen strukturieren<br />

die Inszenierung.<br />

„Love Letters“ ist sicher auch ein<br />

zutiefst amerikanisches Theaterstück.<br />

Es dokumentiert nicht<br />

nur die lebenslange Liebesgeschichte<br />

zweier Menschen in<br />

Briefen, im Hintergrund geht es<br />

immer auch um die Geschichte<br />

der USA, ihre gesellschaftlichen<br />

Widersprüche und den Blick<br />

hinter die Fassade des amerikanischen<br />

Traums. Melissa und<br />

Andrew scheitern letztlich an<br />

ihrer Mutlosigkeit, ihrer Unfähigkeit<br />

sich gegen gesellschaftliche<br />

Konventionen zu wehren<br />

und zu ihrer Liebe zu bekennen.<br />

Und das wiederum ist eine<br />

universell gültige Geschichte.<br />

Love Letters,<br />

Theater im Bauturm,<br />

Freies Schauspiel Köln<br />

Nächste Vorstellungen: 18.03/<br />

22.03/ 27.03<br />

Inszenierung: Martin Jürgens<br />

Ausstattung: Petra Moser<br />

Mit:<br />

Doris Plenert, Gerhardt Haag<br />

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