Musik im Raum - ZKM
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Im Unterschied zu medial vermittelten Bildern, die in einer eigenen Rahmung für sich existieren,<br />
können medial vermittelte akustische Räume nur in der Überlagerung mit dem Realraum<br />
existieren. Das beeinträchtigt unsere akustische Selbstvergewisserung <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>, die <strong>im</strong> Extremfall<br />
mit Kopfhörern völlig ausgeschaltet wird, was kinoähnliche Realitätsverfremdungen zur<br />
Folge hat, die seit der ersten Walkman-Generation lust- wie angstvoll konstruiert und rezipiert<br />
werden können.<br />
Dass mehrkanalige Lautsprecher-Settings als „gewalttätiger“ empfunden werden als das Positionieren<br />
von <strong>Musik</strong>ern rund ums Publikum hängt u.a. mit einem generellen Unterschied in der<br />
Wahrnehmung synthetischer und natürlicher Klänge zusammen. Die spezifische Körperlichkeit<br />
natürlicher Klänge überträgt die Information über die Bewegung, mit der sie erzeugt wurden.<br />
Unsere Abwehrreflexe sind fast durchweg körperlicher Art. D.h. wir hören <strong>im</strong> Vertrauen, uns<br />
gegen die Körperlichkeit, die <strong>im</strong> Klang zum Ausdruck kommt, schützen oder wehren zu können.<br />
Die Lautstärke eines Klaviers überrascht uns nicht, denn sie korreliert mit der Bewegungsenergie,<br />
die wir be<strong>im</strong> Interpreten sehen. Synthetische Klänge können unbegrenzt laut sein, ohne<br />
dass wir das vorher ahnen und uns z.B. rechtzeitig die Ohren zuhalten können. Ein weiterer<br />
Punkt: Im Unterschied zum Pferdegetrappel hinter uns <strong>im</strong> Kinosaal können wir uns dem Interpreten<br />
hinter uns zuwenden und uns seiner Existenz versichern.<br />
Es gibt kaum <strong>Musik</strong>, die aus einem Lautsprecher schlecht und aus acht Lautsprechern gut<br />
klingt. Das heißt, es gibt wenig <strong>Musik</strong>, bei der die Frage, woher sie klingt, kompositorisch so<br />
entscheidend ist, dass sie für das Verständnis unverzichtbar wäre. Auch das ist kein Argument<br />
gegen Mehrkanal-Stücke, sondern ein Anlass, die Bedeutung und mögliche Funktion der Mehrkanaligkeit<br />
in der Anwendung kritisch zu hinterfragen.<br />
Mehrkanal-Wiedergabe konzentriert sich nach wie vor auf den euklidischen <strong>Raum</strong>. Sie fokussiert<br />
damit auch inhaltlich auf eine <strong>Raum</strong>vorstellung, die in Zeiten von globalen Netzen und<br />
nichtlinearen Strukturen in ihrer Bedeutung kaum mehr aktuell ist. Spätestens seit Einstein sind<br />
auch die entsprechenden <strong>Raum</strong>vorstellungen ins Wanken geraten. In der modernen Informationsgesellschaft<br />
verliert ein durch Abstände und Distanzen definierter <strong>Raum</strong> an Bedeutung. Er ist<br />
für den Informationsfluss und die Kommunikation keine konstituierende Bedingung mehr. Die<br />
Frage nach dem „wo“ spielt kaum noch eine Rolle. Wenn die 30 km zum Flughafen mehr Zeit<br />
in Anspruch nehmen als die 800 km, die man von dort mit dem Flugzeug fliegt, ist die Bedeutung<br />
der Distanz auch da relativiert, wo sie noch zurückgelegt wird. Vollends verschwindet real<br />
wie metaphorisch der euklidische <strong>Raum</strong> <strong>im</strong> Internet mit seinen Foren, Chat- und Begegnungsräumen.<br />
Schon bei Mahlers Fernorchester ging es nicht um die Frage, woher der Klang kommt,<br />
sondern darum, dass er aus der Ferne erklingt. Der differenzierte Umgang mit Klangräumen<br />
ist besonders in der Medienmusik von zentraler Bedeutung. Aus welcher Richtung die Klänge<br />
kommen, ist dabei von untergeordneter Wichtigkeit.<br />
Michael Harenberg, Daniel Weissberg „Ach woher!“<br />
Ausblick<br />
Nach Großklaus ist die Geschichte der Medien eine Geschichte der wachsenden symbolischen Verfügung<br />
über nichtanwesende ferne Zeiten und ferne Räume, wobei Zeit vor allem erst über die<br />
technischen Medien der Moderne ähnlich variabel und manipulierbar wurde, wie es raumbezogene<br />
Techniken seit den ersten Landkarten waren.<br />
Heute sind andere <strong>Raum</strong>begriffe entscheidend für unsere Vorstellungswelt sowie unsere Strategien<br />
klanglicher Konstruktionsweisen, die einen nächsten qualitativen Schritt darstellen könnten.<br />
Nachdem die Überlagerung von Sampling und Faltungsalgorithmen auch in der <strong>Musik</strong> zur Dekonstruktion<br />
von realen wie synthetischen <strong>Raum</strong>vorstellungen und Klangräumen geführt hat, werden<br />
<strong>Raum</strong>vorstellungen zentral, die zurückgehend auf Leibnitz sich nicht länger auf den euklidischen