Musik im Raum - ZKM
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Im folgenden sollen nun abschließend schlaglichtartig einige Funktionen dargestellt werden, die die<br />
Spatialisation <strong>im</strong> Laufe von ...and even further conversations with myself... übern<strong>im</strong>mt.<br />
Wie in vielen anderen Stücken des Repertoires werden auch hier punktuell best<strong>im</strong>mte klassische<br />
archetypische <strong>Raum</strong>erfahrungen und -zuordnungen für gezielt eingesetzte dramaturgischen Effekte<br />
genutzt. Einige von diesen Richtungswirkungen seien hier liebevoll-ironisch aufgezählt und mit persönlichen<br />
Kommentaren versehen:<br />
– „konfrontativ“ / „normal“ / „dem Interpreten zuordbar“: Da der Saxophonist in diesem Stück<br />
zentral auf der Bühne platziert ist, werden von vorn kommende Klänge natürlich am ehesten<br />
mit dem Solisten in Verbindung gebracht, werden vom Zuhörer/-schauer laufend mit seinen<br />
Aktionen verglichen. Ein Beispiel: Das Stück beginnt mit einer Klangexplosion, die das Material<br />
des Stücks in äußerst verdichteter Form von einem Punkt aus in den <strong>Raum</strong> schleudert, wo<br />
es dann, da nunmehr über den <strong>Raum</strong> verteilt, schon wesentlich transparenterer wirkt. (In der<br />
Urfassung für das IRCAM rotierte dank des T<strong>im</strong>ées der Klang <strong>im</strong> Zentrum des Publikums, die<br />
Kreisbewegung wurde <strong>im</strong>mer schneller, bis schließlich der Klang aus dieser Zentrifuge ausbrach<br />
und auf die das Publikum umgebenden äußeren Lautsprecher geschleudert wurde. In der <strong>ZKM</strong>-<br />
Kubus-Version ergießt sich der Klang von hinten her über den <strong>Raum</strong>.) Allmählich klingen die<br />
häufig recht punktuellen Ereignisse aus und es bleiben nur noch die vorderen Lautsprecher aktiv,<br />
über die ein gehaltener pp-Klang abgestrahlt wird, der sich aus verschiedenen Bearbeitungen<br />
eines äußerst weichen Saxophonmultiphonics zusammensetzt. Auch dieser Klang wird langsam<br />
ausgeblendet, und man merkt erst dann, dass der Solist genau diesen zerbrechlichen Multiphonic<br />
spielt. Der Übergang ist unmerklich. Auf diese Weise wird der Solist, der idealerweise <strong>im</strong><br />
Dunkeln beginnt und erst <strong>im</strong> Laufe dieser ersten 45 Sekunden durch allmähliches Aufblenden<br />
des Lichts sichtbar wird, mit Mitteln der Spatialisation als logische Folge der klanglichen Eröffnungsexplosion<br />
eingeführt.<br />
– „hinterrücks“ / „bedrohlich“: Insbesondere, wenn man durch die Anwesenheit des Solisten auf<br />
der vorderen Bühne seine Aufmerksamkeit nach vorne richtet, können laute Klänge von hinten<br />
überraschen. Es ist bisweilen eher unangenehm, aus einer Richtung beschallt zu werden, in die<br />
man nicht gerade schaut und so nicht sehen kann, woher der Klang kommt und wie er entsteht,<br />
zumal die Richtungswahrnehmung auch noch diffuser ist als bei frontaler Beschallung.<br />
– „allumfassend“: Das Ausspielen von Klängen über die gesamte Surround-Beschallung kann<br />
sowohl zur Erfahrung des „Schw<strong>im</strong>mens <strong>im</strong> Klang“, des „Eins-sein mit dem Klang“ führen, als<br />
auch zu dem unschönen Gefühl, ihm von allen Richtungen ausgesetzt zu sein, ohne sich ihm<br />
gegenüber eine eigene Position und damit eine gewisse Distanz aufbauen zu können, wie das<br />
bei reiner Frontalbeschallung noch möglich ist.<br />
– „vom H<strong>im</strong>mel“ / „aufschauend“: Einen besonderen Reiz haben auch die Deckenlautsprecher.<br />
Ähnlich den hinteren Lautsprechern liegen auch diese außerhalb des opt<strong>im</strong>alen menschlichen<br />
Ortungsbereiches, der mehr oder weniger unserem Blickfeld entspricht. Dementsprechend ist<br />
unsere Richtungswahrnehmung für sie auch diffuser. Daher eignen sich die Deckenlautsprecher<br />
(wie eben auch die hinteren) für die S<strong>im</strong>ulation von Ferne, für das unmerkliche Einblenden von<br />
Klängen, die dann durch Wandern auf andere Lautsprechergruppen deutlich an Kontur und<br />
Präsenz gewinnen können, oder aber für das Gegenteil, für deren Verschwinden in der Athmosphäre<br />
(„H<strong>im</strong>melfahrten“, „Entrückungen“).<br />
Sascha Lino Lemke „...and even further conversation with myself...“<br />
Eine weitere äußerst wichtige Rolle der Spatialisation in diesem Werk ist sicherlich die Schaffung<br />
von Transparenz polyphoner Strukturen. Einerseits wird diese Entzerrung des musikalischen Geschehens<br />
erreicht durch das bloße Verteilen der unterschiedlichen St<strong>im</strong>men der teilweise bis zu<br />
48-st<strong>im</strong>migen Polyphonien auf unterschiedliche Lautsprecher/Lautsprechergruppen. Zum anderen<br />
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