Musik im Raum - ZKM
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3. Gestaltung eines „Spiel-<strong>Raum</strong>s“<br />
Zum Schluss möchte ich die bisherigen Ausführungen durch die Betrachtung vergleichbarer Problemstellungen<br />
in anderen Kunstformen erweitern, wobei ich mich speziell auf Gedanken des in den<br />
USA lebenden Kulturwissenschaftlers und Medienkünstlers Lev Manovich beziehe. Seine Analyse<br />
von Strukturen in Werken Neuer Medien ist von Begriffen aus dem Bereich des Computers, wie<br />
z.B. Datenbank, Navigation oder Interface, geprägt. In seinem 2001 veröffentlichten Buch The<br />
Language of New Media schreibt er: „Die Gestaltung von Werken in Neuen Medien kann entweder<br />
als Konstruktion des richtigen Interfaces zu einer Mult<strong>im</strong>edia-Datenbank oder als Definition von<br />
Navigationsmethoden durch verräumlichte Repräsentationen verstanden werden.“ 15<br />
Die Vorstellung von Möglichkeiten der Navigation durch verräumlichte Repräsentationen einer<br />
Datenbank <strong>im</strong> Bereich der Medienkunst zeigt durchaus Ähnlichkeiten mit der Vorstellung eines<br />
durch spezifische Notationsmöglichkeiten und ggf. Live-Elektronik best<strong>im</strong>mten „Spiel-<strong>Raum</strong>s“ für<br />
einen Interpreten <strong>im</strong> Bereich der <strong>Musik</strong>. Dabei ähneln die vom Komponisten vorgegebenen, in der<br />
Notation räumlich angeordneten Klangmöglichkeiten einer Datenbank, während die Festlegung<br />
von Regeln für die Verknüpfung der Abschnitte mit der Gestaltung von Navigationsmöglichkeiten<br />
vergleichbar ist. Die in diesem Beitrag thematisierte Vorstellung von Komposition als Gestaltung<br />
eines „Spiel-<strong>Raum</strong>s“ für einen oder mehrere Interpreten ist demnach nicht nur vor dem Hintergrund<br />
der angesprochenen allgemeinen kulturellen Neubewertung von Distanz und Teilnahme zu<br />
sehen, sondern spiegelt zugleich die Charakteristik der Neuen Medien – insbesondere des Computers<br />
– selbst.<br />
Bei einer solchen Art der kompositorischen Gestaltung liegt die wahrscheinlich größte Herausforderung<br />
in der Aufgabe der Kontrolle über den zeitlichen Verlauf. Manovich schreibt zu diesem<br />
Problem: „Nachdem der Roman und danach das Kino die Erzählung als Schlüsselform des kulturellen<br />
Ausdrucks des modernen Zeitalters bevorzugt haben, führt das Computer-Zeitalter ihre<br />
Entsprechung ein: die Datenbank. Viele Objekte der Neuen Medien erzählen keine Geschichten; sie<br />
haben weder Anfang noch Ende; tatsächlich haben sie überhaupt keine thematische, formale oder<br />
andere Entwicklung, die ihre Elemente in eine Abfolge ordnen würde. Stattdessen sind sie Sammlungen<br />
individueller Elemente, von denen jedes genauso signifikant wie irgendein anderes ist.“ 16<br />
Wichtiger als die Signifikanz der einzelnen Elemente selbst dürften die Signifikanz und der Reichtum<br />
ihrer Beziehungen (Gestaltung der Elemente der Datenbank) sowie ihrer potentiellen Verknüpfungen<br />
(Gestaltung der Navigationsmöglichkeiten) sein. Beide Aspekte sind grundsätzlich „außerhalb der<br />
Zeit“, d.h. unabhängig von einer zeitlich linearen Struktur gestaltbar.<br />
Michael Flade „Gestaltung eines ‚Spiel-<strong>Raum</strong>s‘“<br />
Das Beispiel von Christian Wolffs Duo for Pianists II hat deutlich gemacht, dass interaktive Gestaltungsmöglichkeiten<br />
nicht notwendigerweise an den Einsatz von Live-Elektronik gebunden sind.<br />
Allerdings haben die anderen beiden Beispiele – Post-prae-ludium und In Verbindung – gezeigt,<br />
dass der Computer in interaktiven Konstellationen eine sehr wichtige Rolle spielen kann, indem er<br />
einerseits die Freiheiten des Interpreten in einer strengeren Struktur „auffangen“ oder sie andererseits<br />
nachhaltig in die Gestaltung der jeweiligen Erscheinungsform des Werkes einbeziehen kann.<br />
Das schöpferische Potenzial des Interpreten wird durch das strukturelle Potential des Computers<br />
sinnvoll ergänzt. Durch den Einsatz von Live-Elektronik hat der Spieler drei grundsätzlich verschiedene<br />
Möglichkeiten der Einflussnahme auf das musikalische Geschehen: den unmittelbar gespielten<br />
Klang (unabhängig von Elektronik), die Steuerung best<strong>im</strong>mter musikalischer Parameter über Aspekte<br />
des eigenen Spiels sowie das Einspielen von Klangmaterial zur weiteren Verarbeitung. Alle<br />
drei Möglichkeiten sind über die Notation bzw. die Programmierung der live-elektronischen Algorithmen<br />
vom Komponisten prinzipiell kontrollierbar. Die Best<strong>im</strong>mung des Verhältnisses zwischen<br />
dem mitschaffenden Einfluss des Interpreten und der vom Komponisten gestalteten Werkidentität<br />
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