Musik im Raum - ZKM
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der vorproduzierten synthetischen Klänge während der Aufführung in unmittelbarer Abhängigkeit<br />
vom Spiel des Cellisten. Der Computer auf der einen Seite verwendet für die Steuerung des synthetischen<br />
Klangmaterials eine ganze Reihe verschiedener Parameter, deren Grenzen für die einzelnen<br />
Teile des Stückes so festgelegt sind, dass eine jeweils best<strong>im</strong>mte Charakteristik entsteht. Das Cellospiel<br />
auf der anderen Seite wird während der gesamten Aufführung <strong>im</strong> Hinblick auf vier Parameter<br />
analysiert: Tonhöhe, kontinuierlicher Lautstärkepegel, zeitlicher Abstand zwischen aufeinander<br />
folgenden Attacken sowie Lautstärke der Attacken selbst. Jeder dieser vier analysierten Parameter<br />
ist einem Lautsprecher zugeordnet und steuert dort die Erscheinungsweise des synthetischen Klangmaterials<br />
<strong>im</strong> Rahmen der für jeden Abschnitt des Stückes festgelegten Parametergrenzen, d.h. es<br />
entsteht zwischen den Lautsprechern – die nicht <strong>im</strong>mer alle gleichzeitig aktiv sind – eine Art Heterophonie,<br />
bei der die Unterschiede zwischen den St<strong>im</strong>men (Lautsprechern) direkt aus den Daten der<br />
vier analysierten Cello-Parameter abgeleitet sind.<br />
Die Partitur besteht aus neun verschiedenen Notenseiten, von denen einige – mit leichten Varianten<br />
– mehrfach wiederkehren. Es gibt unterschiedliche Notationsweisen, wobei es sich in den<br />
meisten Fällen um Anordnungen einzelner Klangabschnitte handelt, deren mögliche Abfolge durch<br />
best<strong>im</strong>mte Regeln eingegrenzt ist. Viele der Klangabschnitte sind so notiert, dass sie best<strong>im</strong>mte Aspekte<br />
wie Dauer, Intonation, Dynamik oder Spielart der Gestaltung des Interpreten überlassen.<br />
In Abbildung 3 (vgl. Abb. 3) ist die 5. Partiturseite dargestellt, die zugleich der 9. und 13. Seite<br />
entspricht. Sie vereint charakteristisches Klangmaterial aller anderen Seiten, das hier nun vom Spieler<br />
direkt miteinander verknüpft werden kann. Die 54 Klangabschnitte sind in einer Art Mobile<br />
angeordnet: Der Cellist kann horizontal oder vertikal ohne zusätzliche Pause von einem Feld zum<br />
nächsten gehen, wobei leere Felder umgangen werden müssen. Manche Klangabschnitte dürfen<br />
unmittelbar wiederholt werden. Der erste und letzte Klangabschnitt der Seite ist jeweils durch einen<br />
Pfeil markiert. Die zeitliche Koordination zwischen Cello und Computer erfolgt über eine Anzeige<br />
auf dem Bildschirm; allerdings kann der Spieler bis ±10’’ von den vorgegebenen Zeiten abweichen.<br />
Die in der Notation festgelegten Freiheiten erlauben es dem Cellisten, seine St<strong>im</strong>me <strong>im</strong> Detail<br />
flexibel zu gestalten und auf die Live-Elektronik zu reagieren; zugleich beeinflusst sein Spiel kontinuierlich<br />
das Klanggeschehen in den Lautsprechern, wobei dieser Einfluss – auf Grund teilweise<br />
hoher Komplexität – von ihm nur bis zu einem best<strong>im</strong>mten Grad bewusst kontrollierbar ist. In jeder<br />
Aufführung entsteht ein <strong>im</strong> Einzelnen nicht wiederholbares dynamisches Wechselspiel zwischen<br />
dem Cellisten und dem Computer, dessen Charakteristik durch die Partitur bzw. das Computerprogramm<br />
best<strong>im</strong>mt ist.<br />
Michael Flade „Gestaltung eines ‚Spiel-<strong>Raum</strong>s‘“<br />
Bei allen Unterschieden zwischen den drei vorgestellten Beispielen lassen sich doch einige wesentliche<br />
Gemeinsamkeiten erkennen:<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Der zeitliche Verlauf ist offen.<br />
Es sind Klangmöglichkeiten mit best<strong>im</strong>mten Freiheitsgraden in räumlicher Anordnung vorgegeben.<br />
Es gibt Regeln für die Bewegung innerhalb dieser Möglichkeiten.<br />
Der Spieler wird mit Situationen konfrontiert, die für ihn <strong>im</strong> Einzelnen nicht vorhersehbar<br />
sind.<br />
Diese Punkte sind charakteristisch für die Gestaltung eines „Spiel-<strong>Raum</strong>s“, der dem Interpreten<br />
ein hohes Maß an Freiheit und Spontanität erlaubt, zugleich aber die Best<strong>im</strong>mung der Werkidentität<br />
durch den Komponisten beibehält.<br />
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