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Musik im Raum - ZKM

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den und neu Zusammensetzen des Klangmaterials geprägte Arbeit könnte ebenfalls ein Katalysator<br />

für die Entwicklung „offener Formen“ gewesen sein.<br />

In den folgenden Jahren finden sich ähnliche Ansätze auch in Europa: Zu den wichtigsten Kompositionen,<br />

in denen die Kontrolle des zeitlichen Verlaufs oder auch anderer Aspekte des musikalischen<br />

Geschehens dem Interpreten übertragen wurden, gehören Karlheinz Stockhausens Klavierstück<br />

XI (1956) und die III. Klaviersonate (1957ff.) von Pierre Boulez; aber auch zahlreiche andere<br />

Komponisten widmeten sich dieser Problematik, so z.B. Henri Pousseur in Mobile (1958), Franco<br />

Evangelisti in Aleatorio (1959), Hans Otte in Tropismen (1960) oder Roman Haubenstock-Ramati<br />

in Credentials (1960).<br />

Häufig wird der Interpret in solchen Kompositionen als eine Alternative zu einem Zufallsgenerator<br />

eingesetzt, d.h. er hat vor allem die Aufgabe, von Aufführung zu Aufführung verschiedene<br />

Versionen des jeweiligen Werkes hörbar zu machen. Die möglichen Unterschiede zwischen diesen<br />

Versionen sind dabei meist nicht so groß, dass in ihnen durch die Werkidentität hindurch die persönliche<br />

Gestaltungskraft des Interpreten hörbar würde. Grundsätzlich möglich und unter dem Gesichtspunkt<br />

der oben angesprochenen Vermittlung zwischen älterer und neuerer Kultur durchaus interessant<br />

wäre aber auch ein größerer Gestaltungsspielraum für den Interpreten. Dabei wäre für die<br />

Balance zwischen der kompositorisch gestalteten Werkidentität einerseits und der in best<strong>im</strong>mtem<br />

Maße <strong>im</strong>provisatorisch gestalteten jeweiligen Erscheinungsform des Werkes andererseits ein dynamisches<br />

Verhältnis sinnvoll, bei dem in wechselndem Maße Komposition und Spielsituation zum<br />

Tragen kämen. Für die Dynamik des Verhältnisses wäre es notwendig, dass nicht alle Aspekte der<br />

Aufführung für den Interpreten vorhersehbar wären; außerdem müssten die Entscheidungen des Interpreten<br />

während der Aufführung das musikalische Geschehen über den jeweiligen Moment hinaus<br />

beeinflussen können. Der Interpret wäre so nicht nur Agierender, sondern zugleich Reagierender.<br />

Möglich würde eine solche Konstellation entweder durch den Einsatz mehrerer Spieler oder durch<br />

die Verwendung live-elektronischer Techniken: In beiden Fällen hätte der Komponist die Möglichkeit,<br />

nicht nur Aktionen (mehr oder weniger genau best<strong>im</strong>mte Klänge zu einer mehr oder weniger<br />

genau best<strong>im</strong>mten Zeit), sondern auch Reaktionen (mehr oder weniger genau best<strong>im</strong>mte Aktionen<br />

in Abhängigkeit von mehr oder weniger genau best<strong>im</strong>mten Spielsituationen) zu gestalten.<br />

Im folgenden Abschnitt möchte ich auf drei <strong>Musik</strong>beispiele näher eingehen, die in verschiedener<br />

Weise dem oder den Interpreten einen jeweils charakteristischen „Spiel-<strong>Raum</strong>“ eröffnen.<br />

Michael Flade „Gestaltung eines ‚Spiel-<strong>Raum</strong>s‘“<br />

a. Christian Wolff, Duo for Pianists II, 1958, für 2 Klaviere (vgl. Abb. 1):<br />

Es handelt sich hierbei um eine der ersten Kompositionen überhaupt, bei denen die unmittelbare<br />

Interaktion zwischen zwei Interpreten thematisiert wird. Die Notation gibt für jeden Spieler elf<br />

verschiedene Abschnitte vor, die zeitliche Angaben (Längen einzelner Segmente innerhalb der Abschnitte)<br />

und Angaben zu den jeweils möglichen Tönen sowie zu best<strong>im</strong>mten Spielweisen enthalten.<br />

Dabei gibt es viele Entsprechungen zwischen den elf Abschnitten der beiden Pianisten durch jeweils<br />

verschiedene Kombinationen an sich gleicher Tonvorräte, Segmentdauern, Spielanweisungen und<br />

Einsatzmöglichkeiten („Cues“). Die Auswahl und Verteilung der Töne <strong>im</strong> Einzelnen und weitgehend<br />

auch ihre Dynamik sind von den Interpreten frei zu gestalten.<br />

Die Reihenfolge der Abschnitte ergibt sich interaktiv durch die Reaktion auf best<strong>im</strong>mte Cues<br />

des jeweils anderen Pianisten: Immer wenn ein Spieler das Ende eines Abschnitts erreicht, hört er<br />

auf das Spiel des anderen und best<strong>im</strong>mt dessen Charakteristik <strong>im</strong> Hinblick auf Register, Dynamik<br />

und teilweise auch Spielart (z.B. „Mittellage ff“, „Pizzicato mf“, „Hohe Lage außer ff“ usw.); nach<br />

Beendigung seines eigenen Abschnitts setzt er dann ohne Pause mit dem Abschnitt fort, der mit<br />

dem entsprechenden Cue verknüpft ist. Es wird mit dem Abschnitt begonnen, der mit „no cue“<br />

bezeichnet ist. Bei Koordinationsfehlern ist ein erneuter Beginn mit diesem Abschnitt möglich. Über<br />

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