Musik im Raum - ZKM
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eagieren. Die Vorteile dieser Art der eigenen Aufspaltung sind <strong>im</strong> Fall des Chirurgen zu erkennen,<br />
der ziemlich hilflos wäre, wenn er in seine Operation menschlich [mitfühlend] einbezogen wäre. Wir<br />
haben die Kunst erlernt, die gefährlichsten sozialen Operationen bei vollkommener innerer Loslösung<br />
durchzuführen. [...] Im elektrischen Zeitalter, in dem unser Zentralnervensystem technologisch<br />
erweitert wird, um uns in das Ganze der Menschheit und die gesamte Menschheit in uns einzubeziehen,<br />
nehmen wir notwendigerweise teil [...].“ 4<br />
Folgt man den Gedanken McLuhans, erscheinen zentrale Probleme unserer Zeit vor dem Hintergrund<br />
einer umfassenden Umkehr der Entwicklungsrichtung der westlichen Kultur: Der älteren, von<br />
Distanz geprägten Kultur tritt in eigentlich allen Lebensbereichen alternativ eine neuere, von Beteiligung<br />
best<strong>im</strong>mte Kultur gegenüber. Nach McLuhan 5 liegt der Ausgangspunkt der älteren Kultur <strong>im</strong><br />
griechischen Alphabet als der ersten konsequent phonetischen Übertragungsstruktur von Lauten der<br />
gesprochenen Sprache in abstrakte Zeichen. Die für diese Übertragung notwendige neue Abstraktionsfähigkeit<br />
ermöglichte die oben genannte Trennung von Aktion und Reaktion und erzeugte so<br />
eine Distanz, die die Grundlage von Individualisierung und Spezialisierung bildete. Im Gegensatz<br />
dazu steht die neuere Kultur, die durch die „Instantangeschwindigkeit“ der Nachrichtenübertragung<br />
auf der Grundlage der Elektrizität geprägt ist. Aktion und Reaktion rücken zeitlich wieder näher zusammen<br />
und verschmelzen zu Interaktion. Räumliche Distanzen sind <strong>im</strong>mer leichter zu überwinden,<br />
sodass die entferntesten Orte, Menschen, Gedanken miteinander in Berührung kommen.<br />
Die folgende Tabelle stellt die wichtigsten Merkmale der beiden Kulturen gegenüber:<br />
ältere Kultur<br />
vom Umgang mit dem phonetischen Alphabet geprägt;<br />
Auswirkungen durch den Buchdruck verstärkt<br />
Distanz<br />
Trennung von Aktion und Reaktion<br />
Homogenität<br />
Linearität<br />
neuere Kultur<br />
von der „Instantangeschwindigkeit“ der elektronischen<br />
Nachrichtenübertragung geprägt; Auswirkungen durch den<br />
Computer verstärkt<br />
Teilnahme<br />
Verschmelzen von Aktion und Reaktion<br />
Heterogenität<br />
Nichtlinearität<br />
Michael Flade „Gestaltung eines ‚Spiel-<strong>Raum</strong>s‘“<br />
Um die Implikationen des angesprochenen kulturellen Wandels für den Bereich der <strong>Musik</strong> zu verdeutlichen,<br />
möchte ich zwei – in der Beschreibung etwas zugespitzte – Beispiele geben:<br />
a. klassische Konzertaufführung als Beispiel für die ältere Kultur<br />
– Es herrscht eine klare Trennung der Aufgaben von Komponist, Interpret und Zuhörer; der hohe<br />
Grad der Spezialisierung des Interpreten schafft während der Aufführung eine Distanz, die sich<br />
auch räumlich in der Trennung zwischen Bühne und Publikumsbereich zeigt.<br />
– Zwischen der Aktion des Interpreten (<strong>Musik</strong>) und der Reaktion des Publikums (Applaus) liegt<br />
eine zeitliche Verzögerung.<br />
– Sieht man von den Neuerungen der <strong>Musik</strong> des 20. Jahrhunderts ab, ist das wichtigste musikalische<br />
Material der reine Ton, der das Ergebnis eines jahrhundertelangen, durch die Abstraktion<br />
der Notenschrift veranlassten Homogenisierungsprozesses ist.<br />
– Die zeitliche Linearität des musikalischen Verlaufs ist vom Komponisten vorgegeben.<br />
b. interaktive Klanginstallation als Beispiel für die neuere Kultur<br />
–<br />
–<br />
Es gibt keine eindeutige Trennung zwischen Gestaltung und Rezeption.<br />
Aktion und Reaktion finden potentiell gleichzeitig statt.<br />
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