Musik im Raum - ZKM
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Anders gesagt: Idealerweise sollte die äußere Klangräumlichkeit bei der Konzeption eines Stückes<br />
von Anfang an mitgedacht werden und ein fester Teil dieser Konzeption sein. Dazu zwei Beispiele.<br />
In Williams Mix (1952/53) geht Cage kompositorisch von acht Spuren (= Lautsprecherkörpern)<br />
aus. (Vgl. Abb. 1)<br />
In jeder Spur finden sich Klänge aus den Kategorien Stadtklänge (A), Landklänge (B), elektronische<br />
Klänge (C), <strong>Musik</strong> (D), St<strong>im</strong>mklänge (E), sehr leise Klänge (F). Jeder Vertreter der Klanggruppen<br />
wird in Tonhöhe, Klangfarbe und Lautstärke entweder bearbeitet (c = controlled) oder<br />
unverändert belassen (v = variabel). 7 Die gesamte Dauern- und Pausenstruktur ist auf das Zusammenspiel<br />
dieser acht Klangkörper ausgerichtet. Als guter Komponist muss Cage hier das richtige<br />
Dichteverhältnis finden: verwirrend aber nicht undurchdringlich. Da wir hier nur zwei Lautsprecher<br />
haben, möchte ich Ihnen vom Anfang des kurzen Stücks die Spuren 1 und 2 spielen: John Cage,<br />
Williams Mix, 1952/53, Anfang (ca. 0’25’’) Spur 1 (links) und 2 (rechts).<br />
Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn man die 8 Spuren auf Stereo zusammenmischt. Dann<br />
ist der Klang viel zu undurchlässig: John Cage, Williams Mix, 1952/53, Anfang (ca. 0’25’’), alle 8<br />
Spuren als Stereomix.<br />
Ein einfacher, aber vielsagender Fall für das Zusammenst<strong>im</strong>men von innerem und äußerem<br />
<strong>Raum</strong> in einer Konzeption, die beides umfasst.<br />
Ein anderes „klassisches“ Beispiel ist Nonos Realisierung des Prometeo in der Kirche San Lorenzo<br />
1984. Für diese Aufführung baute der Architekt Renzo Piano ein Gerüst. Es ähnelt einem<br />
Schiffsrumpf, auf dessen Boden die Zuhörer sitzen, während <strong>Musik</strong>er und Lautsprecher in drei<br />
Etagen an den Wänden Platz haben. 8 So findet hier das ‚Fahren’ des Klanges, die ständige Bewegung<br />
und das Zurückweichen in die Tiefe des <strong>Raum</strong>es eine direkte Entsprechung in der Gestaltung des<br />
äußeren <strong>Raum</strong>es. 9<br />
Nonos Prometeo ist ein monumentales Beispiel für das, was auch in bescheidenerem Maßstab<br />
eine integrative Konzeption ausmacht: Der <strong>Raum</strong> selbst ist zu inszenieren, möglichst umfassend,<br />
möglichst individuell. Kein <strong>im</strong>mer gleicher Platz für das Publikum, keine <strong>im</strong>mer gleichen Standards<br />
für Lautsprecher und Klangsteuerungs-Software. Warum soll es nicht integrativer Bestandteil des<br />
Stückes sein, dass ein 50-Cent-Lautsprecher von der Decke hängt und an best<strong>im</strong>mten Stellen solistisch<br />
vor sich hinquäkt Warum nicht das Publikum in drei ungleiche Gruppen aufteilen, die<br />
voneinander getrennt an verschiedenen Punkten des <strong>Raum</strong>es sitzen, und ganz ausdrücklich etwas<br />
Verschiedenes hören sollen Und was die Steuerungssoftware angeht, kann man vorhandene Techniken<br />
selbstverständlich benutzen, aber man wird sie für gewöhnlich doch so anpassen müssen, dass<br />
sie der besonderen Eigenart dieses Stückes dienen, anstatt dem Stück eine best<strong>im</strong>mte Klangästhetik<br />
überzustülpen.<br />
Die inneren Räume in <strong>Musik</strong> sind unendlich verschieden und reich. Eine Übereinst<strong>im</strong>mung von<br />
innerem <strong>Raum</strong> und äußerem <strong>Raum</strong>klang ist das Ideal, und das sollte zu <strong>im</strong>mer neuen, phantasievollen<br />
Konzeptionen von Räumlichkeiten führen.<br />
Joach<strong>im</strong> Heintz „Schmeckt guter Wein auch aus Biergläsern“<br />
1<br />
2<br />
Erschienen 18.2.1751 in der Berlinischen Privilegierten Zeitung. Der Text findet sich unter anderem in Band 4 der<br />
Ausgabe von Lachmann/Muncker, S. 285f. (Gotthold Ephra<strong>im</strong> Lessing, Sämtliche Schriften, hrsg von Karl Lachmann<br />
und Franz Muncker, Verlag G.J. Gröschen, Stuttgart 1886–1924, Nachdruck Berlin, 1979). Das besprochene Buch war<br />
gerade in Bremen erschienen: Johann Georg Jakob Albertinus, Kurzer Begriff einer Historie der Gelahrheit von Anfang<br />
der Welt bis auf itzige Zeigen, Rump Verlag, Bremen 1745.<br />
Als Illustration ein längerer Auszug: „Selten wird ein Gelehrter, welcher eine Lücke in der Wissenschaft, die er in seiner<br />
Gewalt zu haben glaubt, wahrn<strong>im</strong>mt, diese Lücke einem andern auszufüllen überlassen. Denn welcher glaubt nicht<br />
<strong>im</strong> Stande zu sein dasjenige auszuführen, von welchem er schon einsieht, daß es ausgeführet werden sollte Der Herr<br />
Verfasser dieses Werkes fand glücklicher Weise, daß es noch an einem Handbuche der gelehrten Historie fehle, welches<br />
durchaus nach der Zeitordnung eingerichtet sei. Mußte es ihm also nicht notwendig einfallen, diesem Mangel abzuhel-<br />
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