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Musik im Raum - ZKM

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zu und will, dass sich sein Gegner doch nur mit dem Hut in der Hand verteidige; er nennt seinen<br />

Gegner einen tollwütigen Hund und will doch nichts damit zu tun haben, wenn die Straßenjungen<br />

den Hund totschlagen. Wiederum endlose Verstrickungen; nach mehr oder minder erfolgreichen<br />

Versuchen sie aufzulösen, sprengt plötzlich „ein Ritter, das Visier weder auf noch nieder geschoben“<br />

heran, und ruft: „Ich sollte – Woher wissen Sie – Warum taten Sie – Nicht wahr – “ Und alles<br />

beginnt von neuem. 5<br />

Noch einmal die Räumlichkeit dieser beiden Texte: der eine homogen, ruhig, hell, fließend; der<br />

andere zerfasert, fahrig, in ständigen Kontrasten, außer Rand und Band. Die Kräfte, die einen <strong>Raum</strong><br />

ja erst bilden, werden <strong>im</strong> ersten Fall von einer zentralen Instanz <strong>im</strong> Gleichgewicht gehalten und wirken<br />

dadurch zusammen, <strong>im</strong> zweiten Fall sind sie sich selbst überlassen und reißen den <strong>Raum</strong> in ein<br />

Gew<strong>im</strong>mel und ein Zucken mal hier, mal da auseinander.<br />

Vielleicht ist durch diesen kleinen Exkurs deutlich geworden, was ich mit ‚innerem <strong>Raum</strong>’ meine.<br />

Ich hoffe, es findet Zust<strong>im</strong>mung, wenn ich diesen Begriff auch in der <strong>Musik</strong> benutze, um charakteristische<br />

Eigenheiten einzelner <strong>Musik</strong>en zu beschreiben. Zum Einstieg stichpunktartig zwei<br />

Beispiele:<br />

a. Giacinto Scelsi, Quartetto No. 4, 1964, Anfang (ca. 1’45’’)<br />

Der <strong>Raum</strong> dieser <strong>Musik</strong> ist von einer großen, geradezu unendlichen Weite, obwohl von dieser Weite<br />

nur ein schmaler Ausschnitt in der Mitte dieses <strong>Raum</strong>es akzentuiert wird: ein langsam sich bewegendes<br />

Klangband, wie eine Scheibe, die sich mal hierhin, mal dorthin neigt, sich in sich verformt,<br />

Ausbuchtungen bekommt, eigene kleine Teilkörper entwickelt. Die Bewegungen sind meist langsam,<br />

wälzend, dennoch herrscht eine große Spannung, etwas in sich Verspanntes. So wie die Weite des<br />

<strong>Raum</strong>es durch min<strong>im</strong>ale Bewegungen auf kleinstem <strong>Raum</strong> akzentuiert wird, so entsteht Spannung<br />

und Geladenheit durch die Abwesenheit von Ausbrüchen. Zum Ausdruck kommt ein Potential, ein<br />

‚es könnte’, das in einer Art unerlöstem Schwebezustand bleibt. Bewegungen – der Vedichtung, der<br />

Ausdünnung, des sich Hebens und Senkens – werden angedeutet, kommen aber nie an ein Ende.<br />

Unendlicher Widerspruch. Qual.<br />

b. Luciano Berio, Quartetto per archi, 1956, Anfang (ca. 1’40’’)<br />

Hier herrschen kurze, oft heftige Bewegungen. Der <strong>Raum</strong> ist deutlich begrenzt, wie ein Würfel, in<br />

dessen Innern sich verschiedene kleine, deutlich voneinander getrennte Ereignisse überkreuzen. Die<br />

konkrete Gestalt der Ereignisse ist unvorhersehbar: zart oder stark, komplex oder einfach, wiederholend<br />

oder neu. Insgesamt aber ergibt sich trotz der Verschiedenheiten in den musikalischen Gestalten<br />

und trotz der verschiedenen Dichteverhältnisse eine gewisse Gleichförmigkeit des <strong>Raum</strong>es.<br />

Dessen Grenzen sind klar, die Bewegungen haben Anfang und Ende, es geht nicht wie bei Scelsi um<br />

einen Schwebezustand, um Verschlungenes und Angedeutetes, sondern um eine Gesamtheit, die sich<br />

aus getrennten Einzeldingen zusammensetzt.<br />

Joach<strong>im</strong> Heintz „Schmeckt guter Wein auch aus Biergläsern“<br />

Damit komme ich zu meiner Hauptfrage, wie sich nämlich in Lautsprechermusik der innere <strong>Raum</strong><br />

eines Stückes zu seiner Projektion in den Klangraum verhält. Die erste Unterscheidung ist die: Strebe<br />

ich überhaupt eine Entsprechung von innerem und äußeren <strong>Raum</strong> an Und wenn ja, wie ist diese<br />

Entsprechung dann beschaffen<br />

Dass es eine Entsprechung geben sollte, ist ja keineswegs selbstverständlich. In der gesamten traditionellen<br />

<strong>Musik</strong> gibt es – bis auf Ausnahmen – keine Entsprechung zwischen dem inneren <strong>Raum</strong><br />

eines Stücks und seiner Klang-Räumlichkeit. Selbstverständlich kann ein und dasselbe Streichquartett<br />

ein Quartett von Haydn und eins von Lachenmann spielen, ohne deshalb Stühle rücken oder<br />

wandern oder sich in hydraulischen Kabinen durch den <strong>Raum</strong> fahren lassen zu müssen. Und ebenso<br />

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