Musik im Raum - ZKM
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Schmeckt guter Wein auch aus Biergläsern<br />
Einige Gedanken zu Räumen und<br />
Konzeptionen<br />
Joach<strong>im</strong> Heintz<br />
Hochschule für <strong>Musik</strong> und Theater Hannover<br />
Wenn wir über <strong>Raum</strong>konzeptionen in elektroakustischer <strong>Musik</strong> reden, denken wir an den Klangraum,<br />
an Anzahl und Position der Lautsprecher, an verschiedene Konzepte der Verräumlichung von<br />
Klängen. Neben diesem ‚äußeren’ <strong>Raum</strong> eines erklingenden Stückes <strong>Musik</strong> gibt es aber auch einen<br />
‚inneren’. Ich möchte mit diesem Beitrag den Verschiedenartigkeiten des inneren <strong>Raum</strong>es ein Stück<br />
weit nachgehen und vor allem nach dem Verhältnis des inneren <strong>Raum</strong>es zum äußeren Klangraum<br />
fragen.<br />
Einem Missverständnis sei vorgebeugt. Wenn ich hier von innerem <strong>Raum</strong> spreche, meint dieses<br />
Innen nicht das Innere eines Zuhörers. Was ich mit innerem <strong>Raum</strong> meine, bleibt ganz auf der Ebene<br />
der künstlerischen Materie, es kann analysiert und beschrieben werden – naturgemäß nicht ohne<br />
Subjektivität, aber eben doch mit dem Bestreben, die Eigenarten dieses <strong>Raum</strong>es zu beschreiben. Das<br />
wird vielleicht am deutlichsten, wenn ich ein Beispiel gebe, und zwar ein Beispiel außerhalb des engeren<br />
Bereiches elektrischer <strong>Musik</strong>. Ich möchte zwei Texte Gotthold Ephra<strong>im</strong> Lessings miteinander<br />
vergleichen, <strong>im</strong> Hinblick auf ihren ‚inneren <strong>Raum</strong>’.<br />
1751 schrieb Lessing eine Rezension zu einer gerade erschienenen „Historie der Gelahrheit“ 1 ,<br />
eines der damals typischen Kompendien einer unkritischen ‚Wissenschaftsgeschichte’. Er n<strong>im</strong>mt darin<br />
den Leser auf einen gemeinsamen Weg mit: Wie dieses Buch wohl zustande kam, was es bietet,<br />
warum das in die falsche Richtung geht, was stattdessen not täte. Es ist ein gemeinsamer Weg, weil<br />
der Leser zwar geführt wird, aber doch die entscheidenden Akte des Urteilens, Nachfragens, Nachdenkens<br />
selbst leisten soll. 2 Typisch sind Fragen wie: „musste es ihm nicht notwendig einfallen“<br />
oder Formulierungen wie: „beinahe sollte es also eine unnötige Bemühung scheinen“ – <strong>im</strong>mer wird<br />
der Grund vorbereitet, aber eintreten muss der Leser selbst; selbst mitreden (vielleicht auch gegenreden),<br />
den vorbereiteten <strong>Raum</strong> füllen, die Einladung annehmen für einen gemeinsamen Gang. Der<br />
<strong>Raum</strong> dieses Textes ist hell und homogen; die Kräfte werden <strong>im</strong> Gleichgewicht gehalten, es besteht<br />
ein klarer, gleichförmiger Fluss mit ständig neuen Blicken nach links und rechts (wo das liegt, was<br />
genauer kennenzulernen sich nach Lessings Hinweisen wirklich lohnen würde).<br />
Ganz anders ein viertel Jahrhundert später, <strong>im</strong> elften „Anti-Goeze“ von 1778. 3 Lessing hatte sich<br />
mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze angelegt, der ihn wegen der Herausgabe einiger bibelkritischer<br />
Schriften „feindseliger Angriffe auf unsre allerheiligste Religion“ 4 bezichtigt hatte.<br />
In diesem Text herrscht nun kein ruhiges Abwägen mehr, keine Geste des Öffnens und der Einladung<br />
zu einem gemeinsamen Gang, sondern es entbrennt ein verrückt gewordenes Figurentheater.<br />
Nach mühsamen, umständlichen Versuchen, das Chaos der Angriffe zu ordnen („Ich komme endlich<br />
auf das Dritte“ – „Diese Rüge enthält zweierlei“ – „Auf ersteres glaube ich schon zum Teil damit<br />
geantwortet zu haben, dass ...“) erscheint plötzlich der Hauptpastor auf der Szene und ruft „Ei nun<br />
ja!“. Nun kommt es zu heftigen Bildern: Der Hauptpastor rennt mit dem Dolch auf seinen Gegner<br />
Joach<strong>im</strong> Heintz „Schmeckt guter Wein auch aus Biergläsern“<br />
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