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Musik im Raum - ZKM

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Ich verstehe Kunst und künstlerisches Schaffen deshalb als einen wesentlichen Ausdrucksraum des<br />

Menschen, in dem er sich genau mit den Dingen auseinandersetzt, die sich der <strong>im</strong> Lebensalltag<br />

gebotenen Eindeutigkeit von Entscheidungen und Handlungen widersetzen – sie ist Kompensation<br />

der Rationalisierung der Lebenswelt und sie tritt deshalb wahrscheinlich nur dort intensiver auf,<br />

wo diese Rationalisierung extrem zugenommen hat, also in den sogenannten Hochkulturen von der<br />

Antike bis heute.<br />

Vielleicht entwickeln andere Pr<strong>im</strong>aten deswegen keine Kunst, weil sie bisher auch keine Rationalisierung<br />

ihrer Welt entwickelt haben.<br />

(Nebenbei bemerkt ist genau die Unschärfe und Mehrdeutigkeit des Kunstwerks die Garantie<br />

für den nie ausgehenden Arbeitsstoff für Kunsthistoriker und <strong>Musik</strong>wissenschaftler: Selbst die tausendste<br />

Analyse einer Beethovensinfonie birgt noch die Möglichkeit, neue Facetten zu entdecken<br />

– die gar nicht <strong>im</strong> Werk selbst sein müssen, sondern nur in der das Werk wahrnehmenden Innenwelt<br />

des Analysierenden. Für Interpreten gilt ähnliches.)<br />

Das nun ist der Punkt, wo wir bei meiner Erforschung der <strong>Raum</strong>klangkonzeptionen von Luigi<br />

Nono wieder anknüpfen können. Nono wollte NICHT erreichen, dass die Hörer genaue Schallquellen-Lokalisation<br />

erfahren; er wollte das genaue Gegenteil: Die Hörer sollten verunsichert werden,<br />

woher der Klang eigentlich komme. Er hat das in einem Fernsehinterview einmal beschrieben als<br />

Prägung durch seine He<strong>im</strong>atstadt Venedig, wo durch die vielfältigen Reflexionen auf den großen<br />

Wasserflächen, eingegrenzt von harten Gebäudefassaden, der Schall einer Glocke oder eines Motorboots<br />

ständig aus einer anderen Richtung zu kommen scheint bzw. tatsächlich kommt.<br />

Seine Anweisungen zu best<strong>im</strong>mten, sich oft überlappenden Klangwegen, haben das einzige Ziel,<br />

die Lokalisation zu erschweren oder unmöglich zu machen. Deswegen sind die Signale, die auf diese<br />

Klangwege geschickt werden, oft zusätzlich mit Mikrointervallen – meist <strong>im</strong> Bereich von wenigen<br />

Cent – verst<strong>im</strong>mt oder zeitversetzt, womit Nono zweierlei erreicht: Erstens macht der entstehende<br />

Effekt, eine Art min<strong>im</strong>ales Phasing, den Klang für die Wahrnehmung interessanter, weil er ihn <strong>im</strong><br />

Frequenzspektrum moduliert. Zweitens macht er die Lokalisation schwierig bzw. hebt diese auf (auf<br />

letzteres werde ich noch zurückkommen). Dazu gehört auch, dass überwiegend da, wo nur die reine<br />

Verstärkung von Solisten oder Ensembles in der Partitur vorgesehen ist, die entsprechenden anzusteuernden<br />

Lautsprecher an einer anderen <strong>Raum</strong>position stehen, der Hörer also erneut in die Irre<br />

geführt wird; die Verstärkung hat meist auch nur dieses Ziel, die Schallquelle von mehreren Orten<br />

her abzustrahlen, ist also gar nicht als Verstärkung zu verstehen. Oft steht sie in pp-Passagen.<br />

Thomas A. Troge „<strong>Musik</strong> <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>“<br />

Zusammenfassung: Nicht eine genaue Lokalisation von Schallquellen oder deren virtueller Bewegungen,<br />

sondern <strong>im</strong> Gegenteil das Verunschärfen, mehrdeutig-Machen dieser akustischen Wahrnehmung<br />

ist das Ziel der so präzisen Vorgaben Nonos. Deswegen auch musste er in jedem <strong>Raum</strong> neu<br />

erproben, wie er durch geschickte Positionierung der <strong>Musik</strong>er und der Lautsprecher diesem Ziel am<br />

nächsten kommen konnte.<br />

Dabei stieß er und mit ihm Hans Peter Haller <strong>im</strong>mer wieder auf ein Problem. Es blieb zunächst<br />

ungelöst. Hans Peter Haller arbeitete daran bis zum Tag vor seinem Tod und stellte dazu über Jahre<br />

hinweg Versuche an der Karlsruher <strong>Musik</strong>hochschule an.<br />

Das Problem äußert sich darin, dass so gut wie <strong>im</strong>mer be<strong>im</strong> Bewegen eines Audiosignals über<br />

eine Kette von Lautsprechern die Hörer, die relativ nahe am Lautsprecher sitzen, für einen kurzen<br />

Moment das Signal genau von diesem Lautsprecher hören (ausgenommen sehr schnelle Klangbewegungen),<br />

dass also genau das passiert, was Nono NICHT wollte. Nur in sehr großen und hohen<br />

Räumen ist dieses Problem einigermaßen abgeschwächt. (Man kennt das ja auch, wenn man nicht<br />

<strong>im</strong> Idealpunkt einer Stereoanlage sitzt).<br />

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