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Musik im Raum - ZKM

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Projektionen auf unsere Wahrnehmungsd<strong>im</strong>ension<br />

aber für uns unerreichbar<br />

<strong>im</strong> Unendlichen liegen,<br />

kommen wir nicht an sie heran und<br />

erst recht nicht über sie hinaus. Wir<br />

können nur vermuten, dass sie da<br />

sind.<br />

Nun tritt noch ein weiteres Phänomen<br />

auf und verkompliziert die<br />

Situation: Wir haben oben gesagt,<br />

dass unsere Wahrnehmung <strong>im</strong>mer<br />

an Zeit und <strong>Raum</strong> gebunden ist.<br />

Wie aber stellt unser Gehirn überhaupt<br />

eine – mehr oder weniger<br />

exakte – Zeitachse auf, die es z.B.<br />

einem <strong>Musik</strong>er ermöglicht, das Tempo eines einmal eingeübten oder auch nur gehörten Stückes<br />

dauerhaft zu erinnern Denn <strong>im</strong> Gegensatz zu der Zeitmessung, die die Physiker mit Hilfe von<br />

atomaren Uhren, also wiederum räumlichen Gebilden, scheinbar sehr präzise vornehmen, verfügt<br />

unser Gehirn nach unserem Wissensstand über keinerlei Art von Uhren. Alle quasi-periodischen<br />

Vorgänge, die wir <strong>im</strong> Gehirn beobachten können (bisher), also die verschiedenen Gehirnwellen, die<br />

Entladungsrate von Neuronen bzw. Synapsen, die Repotentialisierungszeiten usw., schwanken stark<br />

und uneinheitlich.<br />

Dazu passt vielleicht die Beobachtung, dass <strong>Musik</strong>er unter Stress, z.B. während eines Konzerts<br />

oder einer Prüfung, oft das Tempo schneller nehmen, selten langsamer.<br />

Es gibt einige sehr ausgefallene Spekulationen, dass unsere Zeitwahrnehmung durch Quantenprozesse<br />

gesteuert werde, aber das sind derzeit nur Spekulationen.<br />

Es bleibt letztlich der frustrierende Eindruck, dass wir so gut wie nichts darüber wissen, was<br />

<strong>Raum</strong> und Zeit wirklich sind. Wir erleben sie als ziemlich unscharfe Kategorien unseres Denkens,<br />

die sich unserem fokussierenden gedanklichen Zugriff entziehen, sobald wir sie selbst zu denken<br />

versuchen.<br />

Damit möchte ich zurückkommen zu Luigi Nono. Er hat sich in seinen Interviews und Schriften<br />

oft mit dem Problem herumgeschlagen, dass wir nichts genaues wissen können, andererseits aber<br />

den moralischen Anspruch haben – zumindest hatte Nono ihn – in unserem Denken und unseren<br />

auch politischen Aussagen so präzise und eindeutig zu sein wie möglich. Sein auf einer Kircheninschrift<br />

in Andalusien gefundenes Motto „Non hai caminos, hai que caminar“ bringt dies auf den<br />

Punkt: Es gibt keinen Weg, es bleibt dir trotzdem nichts als zu gehen. Es gibt keine sichere Orientierung,<br />

kein gesichertes Wissen, trotzdem: Geh voran, der Weg ist das Ziel, wie es die chinesische<br />

Philosophie gleichbedeutend ausdrückt.<br />

Das Kunstwerk – und die Kunst insgesamt <strong>im</strong> Unterschied zum Kunsthandwerk – lebt aber<br />

gerade davon, dass es NICHT präzise ist. Im Gegensatz zur Naturwissenschaft und Technik, deren<br />

erklärtes Ziel möglichst eindeutige Aussagen und in eindeutigen Zuständen befindliche Apparate<br />

sind, beschäftigt sich Kunst mit dem, was sich der Eindeutigkeit entzieht. Nur dadurch kann sie<br />

sich der Zeitgebundenheit entziehen und sich darüber setzen, über Zeit und <strong>Raum</strong> – alle Kunst will<br />

Ewigkeit, sagt Nietzsche (eigentlich sagt er: Alle Lust will Ewigkeit, ich gestatte mir eine Abwandlung)<br />

– sodass sie sich nie auf den Punkt bringen lässt. Ewigkeit ist der Zustand, in dem Zeit und<br />

<strong>Raum</strong> aufgehoben sind.<br />

Thomas A. Troge „<strong>Musik</strong> <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>“<br />

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