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Musik im Raum - ZKM

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Was allerdings Luigi Nono mit diesen fest definierten Klangwegen intendierte, bleibt noch herauszuarbeiten.<br />

Zunächst verwundert es, dass Nono für das gleiche Stück in jedem Aufführungsraum<br />

ganz andere Klangwege definiert, die wenig miteinander zu tun haben. Offenbar gibt es also keine<br />

kompositorisch definierte Zuordnung zwischen best<strong>im</strong>mten <strong>Raum</strong>positionen und Werkstrukturen,<br />

wie wir das von verschiedenen Werken etwa bei Stockhausen und anderen kennen. Auch die Verteilung<br />

der Solisten, Orchestergruppen und des Chores <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> wurde an jedem Aufführungsort<br />

anders festgelegt.<br />

Auch ist merkwürdig, dass Nono in den Stücken, wo er eine s<strong>im</strong>ple Rotationsbewegung des<br />

Klanges will, teilweise so lange Zykluszeiten vorschreibt – z.B. zwölf Sekunden für einen Umlauf<br />

<strong>im</strong> <strong>Raum</strong> –, dass die Veränderung der Klanquellenposition gar nicht mehr als Bewegung wahrgenommen<br />

wird. Vor allem wenn er dann gleichzeitig zwei gegenläufige oder gleichläufige, aber<br />

unterschiedlich schnelle Bewegungen notiert, wird klar, dass es ihm wohl doch nicht darum gehen<br />

konnte, dem Hörer <strong>im</strong> Publikum eine exakte Lokalisation zu vermitteln. Bekanntlich ist es unserem<br />

Gehör unmöglich, mehr als ein oder zwei Klangbewegungen zu lokalisieren, und das auch nur, wenn<br />

es sich um tendenziell eher perkussive oder geräuschbehaftetete Klänge handelt; da es sich bei den<br />

Klängen, die Nono einer Klangbewegung oder <strong>Raum</strong>klangsteuerung unterwirft, sehr oft um lang<br />

ausgehaltene kontinuierliche Vokal- oder Blasinstrumentenklänge handelt – etwa in Das atmende<br />

Klarsein, wird schon aus diesem Grund eine exakte Lokalisation fast unmöglich.<br />

Exkurs: Überlegungen zu <strong>Raum</strong> und Zeit<br />

Ich möchte an dieser Stelle einen kleinen Exkurs zum Thema <strong>Raum</strong>wahrnehmung unternehmen. Als<br />

prominentester Philosoph hat Immanuel Kant scharf formuliert, dass <strong>Raum</strong> und Zeit vielleicht nur<br />

in unserer Wahrnehmung existieren und wir nicht a priori wissen können, ob das Universum „da<br />

draußen“ (also ausserhalb der Welt in unserem Kopf) tatsächlich genauso ist, wie wir es wahrnehmen<br />

bzw. besser formuliert, wie unsere Sinne es in unserem Kopf zusammensetzen.<br />

Für die moderne Naturwissenschaft und Mathematik ist es eine Selbstverständlichkeit, dass es<br />

ohne weiteres Universen mit mehr als drei oder vier oder vielleicht sogar unendlich vielen D<strong>im</strong>ensionen<br />

geben könnte. Die zur Zeit am meisten diskutierten Theorien über die grundlegenden Eigenschaften<br />

unseres Universums gehen sogar davon aus, dass unser Universum über sieben, acht oder mehr D<strong>im</strong>ensionen<br />

verfügt – von denen wir allerdings nur drei bzw. vier direkt wahrnehmen können. Die<br />

weiteren D<strong>im</strong>ensionen können wir nur aus physikalischen Beobachtungen indirekter Art ableiten.<br />

Die Psychologie und insbesondere die Neurophysiologie sowie Neuroinformatik fügen diesem<br />

Puzzle noch ein paar interessante Farbtupfer hinzu. So behauptet sie, dass alles, was wir an Konkretem<br />

denken können, <strong>im</strong>mer mit Kategorien des <strong>Raum</strong>es und der Zeit verbunden ist, dass unser<br />

Denken – zumindest das bewusste, vermutlich aber auch das unbewusste – auf diesen beiden Kategorien<br />

aufsetzt und ohne sie nicht funktioniert.<br />

Man kann sich das selbst illustrieren: Stellt man sich z.B. zwei solitäre Punkte <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> vor,<br />

stellt man zunächst fest, dass man <strong>im</strong>mer nur einen fokussieren kann. Man kann beide zusammen<br />

nur denken, wenn man sie als Gruppe denkt, also bereits ein Abstraktum bildet. Sobald man den<br />

Einzelpunkt zu fokussieren versucht, verschwindet die Gruppe.<br />

Versucht man nun gedanklich, zunächst den einen, dann den zweiten Punkt zu fokussieren, so<br />

stellt man fest, dass das Umschalten nicht möglich ist ohne eine dazwischenliegende Zeitspanne<br />

– die rein gedankliche Bewegung von einem <strong>im</strong>aginierten <strong>Raum</strong>punkt zum zweiten ist nicht ohne<br />

Zeit „denkbar“.<br />

Selbst wenn wir die zwei <strong>im</strong>aginären <strong>Raum</strong>punkte gedanklich so nah aneinander rücken, dass<br />

der Abstand zwischen ihnen unendlich klein wird, brauchen wir <strong>im</strong>mer Zeit, um gedanklich von<br />

einem zum anderen zu kommen. Der jetzt nur eind<strong>im</strong>ensionale <strong>Raum</strong>, den wir gedanklich zwischen<br />

Thomas A. Troge „<strong>Musik</strong> <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>“<br />

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