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Warum der erhobene Zeigefinger nichts bringt

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4<br />

Pneumologie<br />

DFP-Literaturstudium<br />

Ärzte W o c<br />

Kasten 1:<br />

Präventionsstrategien für Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit<br />

nach <strong>der</strong> Lesch-Typologie<br />

Die in einer prospektiven Langzeituntersuchung definierten Typen nach Lesch unterscheiden sich nicht nur im Verlauf, in <strong>der</strong> Ätiologie, in den<br />

klinischen Symptomen und in <strong>der</strong> Therapie, son<strong>der</strong>n auch in den Präventionsstrategien. Die für alle Krankheiten zählenden Präventionsstrategien<br />

sind natürlich auch für die unterschiedlichen Typen gültig.<br />

Präventionsstrategien für den Typ I nach Lesch<br />

• Diese Untergruppe hat eine biologische Empfindlichkeit (genetisch, Alkoholabbau, Vorschädigungen des Ungeborenen usw.), aber keine<br />

primäre Störung in <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung. Das alkoholpermissive Klima in unserer Gesellschaft führt dazu, dass diese Gruppe<br />

regelmäßig Alkohol zu sich nimmt und die biologische Empfindlichkeit rasch zur Dosissteigerung (diese Gruppe verträgt viel Alkohol!), zu starken<br />

Entzugssyndromen und zu deutlichen Alkoholfolgekrankheiten (Leistungsreduktionen, Durchgangssyndrome, starkes Verlangen nach Alkohol,<br />

Leberschäden, Herzrhythmusstörungen usw.) führt.<br />

• Präventionsmethoden: Aufklärung über diese Mechanismen, Reduktion des Trinkdruckes in unserer Gesellschaft, Reduktion <strong>der</strong> Erreichbarkeit,<br />

Steuerung über die Wirtschaft (Preise), Früherkennung in medizinischen Settings.<br />

Präventionsstrategien für den Typ II nach Lesch:<br />

• Die Ursache des Trinkverhaltens in dieser Untergruppe ist eine ängstliche vermeidende Persönlichkeitsstruktur. Die Erziehung und die ihm<br />

wi<strong>der</strong>fahrene Entwertung haben zu einem sehr nie<strong>der</strong>en Selbstwertgefühl des jungen Menschen geführt. Dieser leidet unter fehlendem Selbstvertrauen<br />

und versucht die Zuwendung <strong>der</strong> Umgebung dadurch zu gewinnen, dass er praktisch allen For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Umgebung zustimmt und<br />

sich nicht gestattet, schon im früheren Stadium „Nein“ zu sagen. Alle Maßnahmen <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erwachsenen, die das Selbstwertgefühl<br />

noch mehr reduzieren, führen zu einer stärkeren Suchtgefährdung. Da die Gesellschaft diese Jugendlichen oft an den Rand drängt,<br />

versuchen sie sich in eine Gruppe zu integrieren, <strong>der</strong>en Wertigkeiten sie dann auch unterliegen.<br />

• Präventionsmethoden: Aufklärung, Gebote und Verbote sind in <strong>der</strong> Prävention dieser Untergruppe wirkungslos. Im Gegenteil: sie sind<br />

kontraproduktiv. Alle Maßnahmen, die zur Hebung des Selbstwertgefühls führen und den Jugendlichen das Gefühl <strong>der</strong> Akzeptanz innerhalb <strong>der</strong><br />

Gruppe geben, sind wichtige Präventionsmaßnahmen. Dazu zählt auch die „Peergroup“-Arbeit (Experimentierfel<strong>der</strong> für junge Menschen, wie<br />

etwa Jugendzentren, die sie gerne frequentieren, Musikgruppen, Sportgruppen usw.).<br />

Präventionsstrategien für den Typ III nach Lesch:<br />

• Erziehungsstile und Beziehungsphänomene in <strong>der</strong> frühen Kindheit führen dazu, dass die Wertigkeiten <strong>der</strong> geliebten Erwachsenen unreflektiert<br />

und unbewusst als eigene Werte übernommen werden. Man ist brav, man <strong>bringt</strong> gute Leistungen, man ordnet eigene Wünsche und Bedürfnisse<br />

diesen Prinzipien völlig unter und erlaubt nicht, gegen sie zu verstoßen. Eigene Gefühle werden nicht gelebt, und die Jugendlichen versuchen,<br />

den Normen entsprechend zu funktionieren. In <strong>der</strong> Jugend lernen diese Menschen, dass Sie unter Alkoholeinfluss die eigenen Grenzen sprengen<br />

können. Auf diese Gefühle wollen sie – zumindest zeitweilig – nicht mehr verzichten. Der Teufelskreis führt letztendlich zur Entwicklung <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit.<br />

• Präventionsmethoden: Auch hier sind Gebote und Verbote völlig fehl am Platz und för<strong>der</strong>n den Prozess <strong>der</strong> Abhängigkeit. Das Lernen, die eigenen<br />

Bedürfnisse wahrzunehmen und sich diese auch zuzugestehen, ist Prävention. Frühe fachliche psychologische Hilfe ist zielführend. Oft hat diese<br />

Personengruppe schon vor Beginn <strong>der</strong> Suchtentwicklung weitere Verhaltensstörungen und psychosomatischen Probleme (z.B. Spannungskopfschmerz,<br />

Magen-, Darmbeschwerden, Essstörungen usw.). Diese Beschwerden sollten beitragen, den Jugendlichen ihre Problematik bewusst zu<br />

machen und ihnen Lösungsmöglichkeiten anbieten. Schön wäre es, wenn die Helfenden so gut ausgebildet sind, dass sie nicht nur das Problem<br />

und die Lösungen, son<strong>der</strong>n auch die Schwierigkeiten <strong>der</strong> von den Jugendlichen versuchten Lösungsansätze bearbeiten können.<br />

Präventionsstrategien für den Typ IV nach Lesch:<br />

• Genetische Faktoren o<strong>der</strong> Schädigungen des Ungeborenen führen meist in ein schwieriges psychosoziales Klima, zu kindlichen Verhaltensstörungen<br />

(z.B: ADHS) und zu deutlichen Störungen in <strong>der</strong> Kritikfähigkeit sowie <strong>der</strong> Impulskontrolle. Diese Gruppe ist dem Trinkdruck unserer<br />

Gesellschaft hilflos ausgeliefert. Deshalb kommt es zu einem deutlichen Alkoholmissbrauch, <strong>der</strong> rasch zu somatischen und psychischen<br />

Folgekrankheiten führt. Der soziale Abstieg und eine zunehmende Verarmung sowie Vereinsamung folgen.<br />

• Präventionsmethoden: Auch in dieser Gruppe bringen strikte Verbote <strong>nichts</strong>. Da dieses Kollektiv meist über sehr wenig Geld verfügt, sollten<br />

alkoholfreie Getränke wesentlich billiger angeboten werden. Programme, die Risikoschwangerschaften früh begleiten und Hilfestellungen nach<br />

<strong>der</strong> Geburt geben, wären äußerst wünschenswert. Oft gibt es in diesen Familien schon an<strong>der</strong>e Alkoholkranke. Eine gute Therapie für alle<br />

Betroffenen kann das Familienklima selbstredend signifikant verbessern. Die Bildungspolitik ist in diesem Rahmen gefragt, weil diese Personen<br />

oft Leistungsdefizite haben und eine beson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>ung benötigen. Je schlechter die Ausbildung und je höher die Arbeitslosenrate, umso<br />

mehr Gefährdete entwickeln die Alkohol abhängigkeit und belasten unsere Sozialausgaben. Verlässliche Berufskarrieren, die zu einer zufrieden<br />

stellenden Arbeit führen, sind hier die beste Prävention.<br />

23. Jahrgang, Nr. 36, September 2009, Ärzte Woche

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