Forschung und Praxis im nachhaltigen Bauen - Herausforderungen ...
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22 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> –<br />
<strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Prof. Dr.-Ing. Holger Wallbaum<br />
Assistenzprofessur für nachhaltiges <strong>Bauen</strong>, Institut für Bau- <strong>und</strong><br />
Infrastrukturmanagement, Departement Bau, Umwelt <strong>und</strong> Geomatik,<br />
ETH Zürich, Schweiz<br />
Abstract: Die Produktions- <strong>und</strong> Konsummuster des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts sind als nicht zukunftsfähig<br />
zu bezeichnen. Dem Bauwesen kommt bei der Zielsetzung einer Nachhaltigen Entwicklung<br />
<strong>im</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>ert eine große Bedeutung zu. R<strong>und</strong> sieben Prozent der weltweiten<br />
Arbeitsplätze <strong>und</strong> zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind der Bauwirtschaft zuzuordnen.<br />
Aber auch die ökologischen Wirkungen der Erstellung von Gebäuden <strong>und</strong> Infrastrukturen<br />
<strong>und</strong> deren Nutzung sind beachtlich. Der Bausektor ist aber ein sehr heterogenes Gebilde,<br />
das verschiedene Bauwerks-, Gebäudekategorien <strong>und</strong> Infrastruktursysteme mit sehr<br />
unterschiedlichen Standards <strong>und</strong> Stakeholdern mit den unterschiedlichsten Interessen (private<br />
Bauherren, institutionelle Bauherren, Investoren, Mieter, Facility-Management-Unternehmen<br />
etc.) umfasst. Eine Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung des Bauwesens muss diese Heterogenität<br />
zur Kenntnis nehmen <strong>und</strong> ihr durch das Erarbeiten spezifischer Lösungen gerecht<br />
werden. Vier zentrale Ansätze, die alle für sich betrachtet nicht neu sind, um diesen Anforderungen<br />
gerecht zu werden sind: 1) die Betrachtung des gesamten Lebenszyklusses, 2) das<br />
Betrachten von Bauwerken <strong>und</strong> Infrastrukturen als System oder als Element größerer Systeme,<br />
3) das Denken <strong>und</strong> Planen in Szenarien <strong>und</strong> 4) das Erkennen <strong>und</strong> Wahrnehmen der<br />
Verantwortung des Planenden. Diese Ansätze als selbstverständliche Einheit in das Bauwesen<br />
zu integrieren, wird als zentral erachtet, um dem Nachhaltigen <strong>Bauen</strong> näherzukommen.<br />
Die Welt verändert sich<br />
Die Welt verändert sich in <strong>im</strong>mer rascherem<br />
Tempo. Entwicklungszyklen von neuen<br />
Technologien werden <strong>im</strong>mer kürzer. Was<br />
bedeutet diese Schnelllebigkeit für die Entwicklung<br />
eines Bauwerks <strong>und</strong> der Bauwirtschaft<br />
Für Bauwerke ist eine Lebensdauer<br />
von bis zu h<strong>und</strong>ert Jahren nicht ungewöhnlich.<br />
Sie verändern ihre Nutzung – sei es die<br />
Nutzungsintensität <strong>und</strong>/oder die Art der Nutzung.<br />
Das Bauwerk an sich bleibt aber bestehen.<br />
Bauwerke stellen damit ein großes<br />
Kapital für die zukünftige Entwicklung dar.<br />
Bauwerke, die wir heute errichten, sollten –<br />
<strong>im</strong> Sinne eines Nachhaltigen <strong>Bauen</strong>s – Kapitalien<br />
für zukünftige Generationen darstellen.<br />
Tatsächlich stellen wir aber häufig fest,<br />
dass Bauwerke eher «Altlasten» für die zukünftige<br />
Entwicklung sind. Sie sind zu teuer,<br />
zu wenig energieeffizient, technisch veraltet,<br />
für zukünftige Nutzungen ungeeignet, stehen<br />
am falschen Ort <strong>und</strong> verursachen Kosten bei<br />
Abriss <strong>und</strong> Entsorgung.<br />
Nachhaltig <strong>Bauen</strong> bedeutet verkürzt <strong>und</strong><br />
vereinfacht ausgedrückt: «Bauwerke errichten<br />
<strong>und</strong> erhalten, die ein Kapital für zukünftige<br />
Generationen darstellen <strong>und</strong> keine Altlast.»<br />
Um diesen Anspruch zu erfüllen,<br />
müssen wir besser verstehen, welche Bauwerke<br />
wir in der Zukunft brauchen werden.<br />
Beginnend mit der Frage, vor welchen <strong>Herausforderungen</strong><br />
unsere Gesellschaft steht,<br />
geht es darum herauszufinden, wie das Bauwerk<br />
von möglichen Strategien zur Bewältigung<br />
dieser <strong>Herausforderungen</strong> betroffen<br />
sein wird.
220 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Herausforderung: Wirtschaftsstruktur<br />
Für die westliche Hemisphäre <strong>und</strong> dabei insbesondere<br />
für die meisten europäischen Staaten<br />
ist sicherlich eine wesentliche Erfahrung<br />
der vergangenen Jahrzehnte der Wandel der<br />
Wirtschaftsstruktur von einer Industrie- hin<br />
zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Diese<br />
Veränderung hat weitreichende Konsequenzen<br />
auf die Bauwirtschaft <strong>und</strong> das Bauwerk.<br />
Die relevantesten werden nachfolgend kurz<br />
aufgeführt:<br />
Umnutzung von Industrie- <strong>und</strong> Landwirtschaftsbrachen<br />
Agglomerationen wachsen auf Kosten<br />
der ländlichen Räume<br />
Regionale Wirtschaftspolitik fördert die<br />
Bauwirtschaft<br />
Gebaut wird in den Agglomerationsräumen<br />
mit den dortigen Ressourcen<br />
Die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen<br />
verliert an Bedeutung<br />
Das Bauwesen entkoppelt sich von lokalen<br />
<strong>und</strong> regionalen(Zuliefer-)Märkten<br />
Herausforderung: Kapitalmarkt<br />
Die Verflechtung zwischen Immobilienmarkt<br />
<strong>und</strong> Kapitalmarkt ist in den letzten<br />
Jahrzehnten sehr deutlich geworden. Im<br />
Frühling 2002 titelte die englische Zeitung<br />
The Economist: «The Houses Who Saved<br />
the World». Der Leitartikel beschrieb, wie<br />
die Stabilität der Immobilienmärkte die Wirkungen<br />
der schwankenden Aktienkurse auf<br />
den Kapitalmärkten ausglich. 2009 war die<br />
Botschaft anders: Jetzt war es der Einbruch<br />
der Immobilienwerte, der zu einer weltweiten<br />
Finanzkrise führte. Offensichtlich beeinflussen<br />
sich Immobilien- <strong>und</strong> Kapitalmarkt<br />
gegenseitig in einem Ausmaß, der globale<br />
Krisen mildern oder auslösen kann.<br />
Auf nationaler wie auf internationaler<br />
Ebene führt die Verknüpfung von Altersvorsorge<br />
<strong>und</strong> Immobilienmarkt zu weitreichenden<br />
Konsequenzen. In der Schweiz führte<br />
die Einführung der Pensionskasse als Zweite<br />
Säule der Altersvorsorge in den 1990er-<br />
Jahren zu einer Blase auf dem Immobilienmarkt.<br />
Was war passiert Die Schweiz – wie<br />
viele andere westliche Industrieländer – hatte<br />
zunehmend Angst davor, dass ihr traditionell<br />
über das Umlageverfahren finanzierte Rentensystem<br />
angesichts des demografischen<br />
Wandels nicht bestehen kann. Als Alternative<br />
führte man ein System der beruflichen<br />
Vorsorge ein, in dem Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber<br />
gemeinsam für zukünftige Rentenzahlungen<br />
ansparen. Damit begann eine zunehmende<br />
Menge an Geld in die Kapitalmärkte<br />
zu fließen. Da man vor allem an sicheren<br />
Anlagen interessiert war, wurde ein<br />
erheblicher Anteil der Gelder in Immobilien<br />
investiert. Die Preise der Immobilien stiegen.<br />
Diese Entwicklung ist weltweit zu beobachten<br />
<strong>und</strong> hält tendenziell an. Immer<br />
mehr Geld sucht Anlagemöglichkeiten, um<br />
die zukünftigen Renten der heutigen Generation<br />
von Arbeitnehmern zu finanzieren. Immobilien<br />
bieten auch heute noch eine sichere<br />
Anlagemöglichkeit, da man einen realen Gegenwert<br />
für seine Anlage erhält. Dies gilt<br />
nicht nur für die oben beschriebene institutionalisierte<br />
Form des Sparens in der Zweiten<br />
Säule. Vielfach dienen Immobilien auch dazu,<br />
Privateigentum aufzubauen, das das Leben<br />
<strong>im</strong> Pensionsalter finanzieren soll, z. B.<br />
als eigengenutzter Wohnraum. Was aber<br />
passiert, wenn die heutige Generation von<br />
Arbeitnehmern auf ihr angespartes Vermögen<br />
<strong>im</strong> Alter zurückgreifen möchte Sind<br />
dann genügend junge Haushalte da, die Immobilien<br />
kaufen wollen Stehen die zu verkaufenden<br />
Immobilien am richtigen Ort<br />
Haben sie einen ausreichenden Standard<br />
Was passiert, wenn der eigengenutzte Wohnraum<br />
in der Zukunft nicht mehr betrieben<br />
werden kann, weil die Heizölkosten zu hoch<br />
sind oder die Standorte mit dem öffentlichen<br />
Verkehr nicht erschlossen werden können<br />
Angesichts dieser Diskussion gewinnt<br />
Nachhaltiges <strong>Bauen</strong> – <strong>im</strong> Sinne der Forderung<br />
nach einer zukunftsfähigen Entwicklung<br />
– eine wichtige sozial- <strong>und</strong> wirtschaftspolitische<br />
D<strong>im</strong>ension. <strong>Bauen</strong> zugunsten<br />
kurzfristiger Renditen auf dem Kapitalmarkt<br />
wird langfristig zu erheblichen Problemen<br />
führen, wenn wir nicht sicherstellen, dass es<br />
auch langfristig einen Markt für diese Gebäude<br />
gibt.
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse 221<br />
Herausforderung: Infrastrukturentwicklung<br />
Die Infrastrukturen in vielen industrialisierten<br />
Ländern seit den 1950er Jahren stark ausgebaut<br />
worden. In der Schweiz beläuft sich<br />
der heutige Wiederbeschaffungswert der Infrastrukturen<br />
<strong>und</strong> der Wohnbauten auf knapp<br />
2400 Milliarden Schweizer Franken (Schalcher<br />
et al. 2011). Dies hat erheblich zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung des Landes beigetragen.<br />
Gleichzeitig hat der Ausbau der Infrastrukturen<br />
auch dazu geführt, dass sich das<br />
Verhalten der Menschen verändert hat. Dies<br />
zeigt sich beispielsweise in der Zunahme der<br />
Pendlerbewegungen (Abb. 1).<br />
Abb. 1: Pendlerströme zwischen ausgewählten<br />
Agglomerationen 2000 in der Metropolregion Zürich<br />
(Amt für Raumordnung <strong>und</strong> Vermessung<br />
ARV (2007), 8).<br />
Damit sind meist weitere Wege vom Wohnzum<br />
Arbeitsort <strong>und</strong> dem Ort einer Freizeitaktivität<br />
(funktionale Entmischung) verb<strong>und</strong>en<br />
als bei stadtkernnahen Wohnsituationen.<br />
Dieser <strong>im</strong>mer noch anhaltende Trend zum<br />
<strong>Bauen</strong> am Rand der Agglomerationen, bevorzugt<br />
Einfamilien- oder Reihenhäuser,<br />
wird <strong>im</strong> englischsprachigen Kontext auch<br />
Urban Sprawl genannt <strong>und</strong> kann mit «Zersiedelung»<br />
oder «Entdichtung» übersetzt werden.<br />
Neben den zunehmenden Kosten des<br />
Ausbaus der Infrastrukturen werden vor allem<br />
die steigenden Kosten des Betriebs der<br />
bestehenden Netze diskutiert. Basierend auf<br />
den Erkenntnissen des sind für die Erhaltung<br />
der technischen Infrastruktur jährlich ca. 19<br />
Milliarden Schweizer Franken (3,5 Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts bzw. 2500<br />
Schweizer Franken pro Einwohner) aufzuwenden.<br />
Zusätzlich zu den Maßnahmen zur<br />
Steigerung der Effizienz <strong>im</strong> Betrieb <strong>und</strong> der<br />
Priorisierung von Projekten zur Erneuerung/Erweiterung<br />
werden Alternativen zur<br />
traditionellen staatlichen Finanzierung von<br />
Infrastrukturen gesucht. National wie international<br />
werden die sogenannten Public Private<br />
Partnership-Projekte (PPP) viel diskutiert.<br />
Bereits <strong>im</strong> Ausland durchgeführte PPP-
222 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Projekte haben zum Teil aber auch deutlich<br />
gemacht, dass diese Form der Zusammenarbeit<br />
keinen Königsweg darstellt (Weizsäcker<br />
et al. 2006). Über Erfolg <strong>und</strong> Misserfolg eines<br />
PPP entscheiden eine Reihe von bzw.<br />
das Zusammenspiel dieser Faktoren (Weber<br />
et al. 2006, 672, 713; Girmscheid 2007, 234<br />
ff., 301 ff.). Der Beleg, dass PPP eine positive<br />
Rolle für das Nachhaltige <strong>Bauen</strong> spielen<br />
können, steht noch aus. Unzweifelhaft ist jedoch<br />
die Vermutung, dass PPP-Projekte der<br />
Bauwirtschaft höhere Umsätze ermöglichen<br />
würden, von denen vor allem der Infrastrukturbau<br />
profitieren könnte.<br />
Dem reinen marktwirtschaftlichen Pr<strong>im</strong>at<br />
darf aber nicht alles untergeordnet werden,<br />
da die Beibehaltung der Daseinsvorsorge<br />
<strong>im</strong> Interesse der<br />
Allgemeinheit auch nicht zwinzwingend<br />
wirtschaftlich sein<br />
muss, wenn ein gesellschaftlicher<br />
Konsens dazu besteht. Als<br />
ein Beispiel sei hier nur die<br />
Priva-tisierung des Öffentlichen<br />
Ver-kehrs (ÖV) angesprochen.<br />
Ver-schiedene Studien<br />
belegen, dass eine Privatisierung<br />
des ÖV zwar diesen<br />
chronischen Defizitposten der<br />
Öffentlichen Hand reduzieren<br />
hilft, den Preis aber die privaten<br />
Haushalte mit einem höheren<br />
motorisierten Individualverkehr (MIV)<br />
zahlen, wenn z. B. unrentable Strecken nicht<br />
mehr bedient wer-den. Zumeist betrifft dies<br />
in der klassischen Familienkonstellation<br />
Frauen, die ihre Kin-der zur Schule <strong>und</strong> zu<br />
den Freizeitaktivitäten (Sport, Musik, Kino<br />
etc.) bringen <strong>und</strong> wieder abholen <strong>und</strong> dort<br />
häufig «ungewollt ihre Freizeit» verbringen.<br />
Herausforderung: Demographische Entwicklung<br />
Die Bevölkerungs- <strong>und</strong> die demografische<br />
Entwicklung sind zwei weitere Parameter,<br />
die die Rahmenbedingungen für das Nachhaltige<br />
<strong>Bauen</strong> best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> die als Herausforderung<br />
bisher nicht ausreichend in die<br />
Bauwirtschaft Eingang gef<strong>und</strong>en haben. Neben<br />
der Bevölkerungsentwicklung ist deren<br />
Zusammensetzung <strong>im</strong> Hinblick auf zukunftsfähige<br />
bauliche Maßnahmen bedeutsam. Dabei<br />
spielen soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Proportionen<br />
sicherlich eine maßgebliche Rolle,<br />
aber auch die Veränderung der Altersstruktur<br />
erfordert ein Umdenken in der Planungs<strong>und</strong><br />
Baukultur (Huber 2008).<br />
Die Bevölkerung vieler hoch entwickelter<br />
Länder ist durch eine nachlassende<br />
Wachstumsdynamik <strong>und</strong> einen tiefgreifenden<br />
Wandel in der Altersstruktur gekennzeichnet.<br />
Das Zusammenspiel von sinkenden<br />
Fertilitätsraten <strong>und</strong> ständig zunehmender<br />
Lebenserwartung hat zu einer Verschiebung<br />
der Altersstruktur zugunsten älterer Altersgruppen<br />
geführt (Abb. 2).<br />
Abb. 2: Altersstruktur der ständigen Wohnbevölkerung<br />
1880–2008 in der Schweiz (B<strong>und</strong>esamt<br />
für Statistik BFS (2009), 13).<br />
Diese Entwicklung trägt dazu bei, dass sich<br />
die Haushaltsgrößen u. a. in der Schweiz seit<br />
Jahren verkleinern. Verstärkt wird dieser<br />
Trend durch die hohen Scheidungsraten <strong>und</strong><br />
die Zunahme des Wohlstands. Diese Zunahme<br />
an kleineren Haushalten führt zu einem<br />
höheren Bedarf an Wohnraum pro<br />
Kopf. In den letzten Jahren ist dieser deutlich<br />
gestiegen <strong>und</strong> beträgt in der Schweiz<br />
heute bereits nahezu 50m² pro Person, was<br />
<strong>im</strong> internationalen Vergleich sehr hoch ist.<br />
Das heißt, dass auch ein Ein- oder Zweipersonenhaushalt<br />
zu einer Wohnung mit <strong>im</strong>mer<br />
mehr <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer größeren Räumen tendiert.
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse 223<br />
Dieser Entwicklung müssen Konzepte des<br />
Nachhaltigen <strong>Bauen</strong>s in angemessener Form<br />
begegnen. Dabei geht es einerseits um Konzepte<br />
der Wohnraumgestaltung, die eine Anpassung<br />
des Wohnraums an sich wandelnde<br />
Bedürfnisse ermöglichen (z. B. variable<br />
Gr<strong>und</strong>risse). Andererseits müssen aber auch<br />
zielgruppenspezifische Angebote geschaffen<br />
werden. Dabei geht es nicht nur um die<br />
klassischen Maßnahmen<br />
wie dem Vermeiden von<br />
Schwellen, dem Einbau<br />
breiter, rollstuhlgeeigneter<br />
Türen etc., sondern es<br />
geht auch darum, dass die<br />
gleichrangig bedeutsame<br />
Integration von zielgruppenspezifischen<br />
Dienstleistungskonzepten<br />
bereits<br />
mit angedacht werden<br />
muss. Dass diese Integration<br />
von Dienstleistungen<br />
in das Bauwesen<br />
auch natürliche Ressourcen schonen hilft,<br />
z. B. durch ein genossenschaftsinternes Umzugsmanagement,<br />
durch Hauswartdienstleistungen<br />
mit (Garten-)Geräte-Pooling etc., ist<br />
ein weiterer positiver Effekt.<br />
Herausforderung: Ressourcen<br />
Das Bauwesen ist gleichzeitig einer der<br />
größten Ressourcennutzer <strong>und</strong> auch einer der<br />
größten Ressourcenspender in einer Volkswirtschaft.<br />
Insbesondere in den Industrieländern<br />
resultieren r<strong>und</strong> 70 Prozent der Flächeninanspruchnahme,<br />
30 bis 40 Prozent der<br />
Nutzung energetischer Ressourcen sowie 30<br />
Prozent aller materiellen Ressourcen aus unserer<br />
Art, zu bauen <strong>und</strong> der Nutzung von<br />
Gebäuden in ihren vielfältigen Ausprägungen<br />
(United Nations Environment Programme<br />
UNEP 2007). Darin enthalten sind alle<br />
Infrastrukturaufwendungen zur Erschließung<br />
der Ver- <strong>und</strong> Entsorgung mit elektrischer<br />
Energie, Wärme, Kühlung, Wasser <strong>und</strong> Abwasser.<br />
Materialflüsse<br />
In der Schweiz resultieren aus diesen Aufwendungen<br />
jährlich ca. 12 Mio. Tonnen<br />
Bauabfälle 1 (ca. 1,5 Tonnen pro Einwohner),<br />
die zu ca. 55 Prozent auf den Tiefbau <strong>und</strong> zu<br />
ca. 45 Prozent auf den Hochbau entfallen<br />
(B<strong>und</strong>esamt für Umwelt BAFU 2008)<br />
(Abb.3). In diesen Massen aber nicht enthalten<br />
sind die «grauen» ökologischen Aufwendungen,<br />
die durch Gewinnung, Aufbereitung,<br />
Produktion sowie dem Transport der<br />
Rohstoffe <strong>und</strong> Güter induziert werden.<br />
Abb. 3: Materialflüsse in der Schweiz in Tonnen<br />
pro Einwohner, 1990 <strong>und</strong> 2006 (B<strong>und</strong>esamt für<br />
Statistik BFS (2008), 9).<br />
Flächeninanspruchnahme<br />
Neben den erheblichen Masseflüssen an<br />
Baumaterialien <strong>und</strong> Bauabfällen beansprucht<br />
das Bauwerk vor allem Siedlungsfläche. Jede<br />
Sek<strong>und</strong>e entstehen 0,9m² neue Siedlungsfläche.<br />
Mitte der 1990er Jahre beanspruchte<br />
jede in der Schweiz lebende Person durchschnittlich<br />
397m² Siedlungsfläche. Der B<strong>und</strong>esrat<br />
hat in seinem Bericht «Strategie<br />
Nachhaltige Entwicklung 2002» (Schweizerischer<br />
B<strong>und</strong>esrat 2002) das Ziel gesetzt, die<br />
Siedlungsfläche pro Kopf auf dem Stand von<br />
400m² zu stabilisieren 2 , bisher aber ohne<br />
messbaren Erfolg. Die Siedlungsflächen<br />
wuchsen deutlich schneller als die Bevölkerung<br />
(Abb. 4).<br />
1 Ohne Aushub, die ohne Großprojekte noch einmal ca.<br />
30–40 Mio. m³ umfassen.<br />
2 Diese 400m² sind als Durchschnittswert zu verstehen:<br />
So liegt er in städtischen Räumen erheblich darunter –<br />
zwischen 150 bis 330m² – in ländlichen Gemeinden mit<br />
600 bis über 1000m² erheblich darüber.
224 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Abb. 4: Verteilung der Bodennutzung in der<br />
Schweiz (B<strong>und</strong>esamt für Statistik BFS,<br />
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/them<br />
en/02/03/blank/data/gemeindedaten.html (Zugriff<br />
18.4.2011)).<br />
Energieverbrauch<br />
Das Bauwerk ist einer der wesentlichen Verbraucher<br />
von fossilen Energieträgern in der<br />
Schweiz – insbesondere durch den Heizwärmebedarf.<br />
In den letzten Jahrzehnten hat<br />
seine Bedeutung jedoch abgenommen, <strong>und</strong><br />
der Treibstoffverbrauch der Fahrzeuge steht<br />
<strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> (Abb. 5).<br />
Abb. 5: Entwicklung des Energieverbrauchs in<br />
der Schweiz (B<strong>und</strong>esamt für Energie BFE (2009),<br />
35).<br />
Eine wesentliche Ursache dafür ist die steigende<br />
Energieeffizienz des Gebäudebetriebs<br />
– bezogen auf die Heizwärme – <strong>und</strong> die andauernde<br />
Sanierungstätigkeit <strong>im</strong> Bestand.<br />
Tatsächlich aber wird die Steigerung der<br />
Energieeffizienz des Gebäudebestands einen<br />
jahrzehntelangen <strong>und</strong> sehr konsequenten<br />
Prozess der Bestandserneuerung erfordern.<br />
Gleichzeitig werden Heizsysteme, in denen<br />
fossile Energieträger verbrannt werden,<br />
durch alternative Systeme ersetzt werden,<br />
die Wärme aus der Erde, der Umgebung<br />
oder der Sonneneinstrahlung nutzen. Dies<br />
führt aber voraussichtlich zu einem<br />
steigenden Stromverbrauch<br />
zur Bereitstellung von Heizwärme.<br />
Insgesamt erscheint es<br />
aber möglich <strong>und</strong> realistisch,<br />
dass die Tendenz eines sinkenden<br />
Energieverbrauchs zur Deckung<br />
des Heizwärmebedarfs<br />
anhält <strong>und</strong> sich sogar verstärkt<br />
(Wallbaum et al. 2009b; Wallbaum<br />
et al. 2010).<br />
Herausforderung: Kl<strong>im</strong>awandel<br />
Die Aktivitäten zum Kl<strong>im</strong>aschutz<br />
nehmen auf allen politischen<br />
Ebenen einen hohen Stellenwert<br />
ein: Begonnen bei dem<br />
sehr prominenten Kyoto-Protokoll, das den<br />
internationalen Rahmen für ein konzertiertes<br />
Vorgehen zur Reduzierung der anthropoge-
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse 225<br />
nen Kl<strong>im</strong>awirkungen darstellt 3 ; fortgesetzt<br />
über die aktuellen Vereinbarungen der<br />
Schlüsselziele der Europäischen Union mit<br />
der Senkung der Treibhausgase um mindestens<br />
20 Prozent bis 2020 – oder sogar um 30<br />
Prozent, sofern ein internationales Abkommen<br />
zustande kommt, in dem sich andere<br />
Industrieländer «zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen<br />
<strong>und</strong> die wirtschaftlich weiter<br />
fortgeschrittenen Entwicklungsländer zu<br />
einem ihren Verantwortlichkeiten <strong>und</strong> jeweiligen<br />
Fähigkeiten angemessenen Beitrag<br />
verpflichten» 4 .<br />
Auch wenn der abschließende wissenschaftliche<br />
Nachweis der Ursachen der Erderwärmung<br />
noch nicht erbracht ist, bezeichnet<br />
der aktuelle 4. Sachstandsbericht des Intergovernmental<br />
Panel on Cl<strong>im</strong>ate Change<br />
IPCC15 der Vereinten Nationen «die<br />
menschlichen Emissionen des Treibhausgases<br />
Kohlendioxid (CO 2 )» mit einer Wahrscheinlichkeit<br />
von über 90 Prozent als «sehr<br />
wahrscheinlich»; gefolgt von den weniger<br />
bedeutenden Gasen Methan (CH 4 ), Lachgas<br />
(N 2 O) <strong>und</strong> weiteren. Hinzu kommen weitere<br />
Faktoren von geringerer Bedeutung, darunter<br />
die natürliche Schwankung der Sonnenaktivität.<br />
Diese globale anthropogen bedingte<br />
Erwärmung wird bereits heute mit r<strong>und</strong><br />
0,7°C angenommen. Als Folgen dieser Erwärmung<br />
werden vermehrt extreme Wetterereignisse,<br />
ein Abschmelzen der Gletscher<br />
sowie der Anstieg des Meeresspiegels beobachtet.<br />
Die Folgen dieser Veränderungen<br />
haben vor allem in Entwicklungsländern<br />
gravierende Auswirkungen angenommen.<br />
Diesen Ländern fehlen häufig die finanziel-<br />
3 Im Kyoto-Protokoll haben sich die Annex-B-Staaten<br />
zu einer Reduzierung der Emissionen in der Periode<br />
2008 bis 2012 <strong>im</strong> Vergleich zum Basisjahr verpflichtet.<br />
Die EU verpflichtet sich z.B. zu einer Senkung der<br />
Emissionen der 6 Kyoto-Treibhausgase um 8 Prozent.<br />
Diese gemeinschaftliche Verpflichtung wurde <strong>im</strong> Burden<br />
Sharing auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt.<br />
Die einzelnen Reduktionsziele der Länder sind unter<br />
Burden Sharing <strong>und</strong> in Anhang B (4) aufgelistet.<br />
http://unfccc.int/kyoto_protocol/items/2830.php (Zugriff<br />
18.4.2011)<br />
4 Entschließung des Europäischen Parlaments zum Kl<strong>im</strong>awandel,<br />
verabschiedet am 14. Februar 2007<br />
(P6_TA(2007)0038)<br />
len Mittel, um z. B. bauliche Kl<strong>im</strong>aschutzmaßnahmen<br />
durchzuführen. 5<br />
Dem Stern-Report (Stern 2007) folgend<br />
werden die Kosten des Kl<strong>im</strong>awandels, wenn<br />
nicht gehandelt wird, dem Verlust von wenigstens<br />
5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts<br />
entsprechen. Wenn man eine<br />
breitere Palette von Risiken <strong>und</strong> Einflüssen<br />
berücksichtigt, könnten die Schäden auf 20<br />
Prozent oder mehr des erwarteten globalen<br />
Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Andere<br />
Experten gehen davon aus, dass ein Anstieg<br />
der Globaltemperatur von 2,5°C weltweit einen<br />
Schaden in Höhe von durchschnittlich<br />
1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur<br />
Folge haben wird. In den OECD-Staaten Europas<br />
geht man von r<strong>und</strong> 2,8 Prozent aus<br />
(Abb. 6).<br />
Auch wenn der Stern Review aufgr<strong>und</strong><br />
seiner verwendeten Diskontierungssätze hinsichtlich<br />
der damit kalkulierten volkswirtschaftlichen<br />
Kosten kritisch zu hinterfragen<br />
ist, macht er deutlich, dass heutiges Nicht-<br />
Handeln einen erheblichen Dämpfungseffekt<br />
auf die konjunkturelle Entwicklung der<br />
Weltgemeinschaft in der Zukunft haben<br />
kann. Das heutige Handeln ist per Saldo<br />
wirtschaftlich sinnvoller, doch ein entsprechendes<br />
Handeln konnte bisher noch nicht<br />
<strong>im</strong> notwendigen Umfang vereinbart werden. 6<br />
5 Studien der Münchener Rückversicherung haben ergeben,<br />
dass die wirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen<br />
<strong>im</strong> Trend seit Jahrzehnten steigen. Verantwortlich<br />
dafür sind vor allem Wetterkatastrophen.<br />
Sie verursachten <strong>im</strong> letzten Jahr 97 Prozent der gesamten<br />
versicherten Schäden. Der volkswirtschaftliche<br />
Schaden durch Naturgewalten belief sich <strong>im</strong> Jahr 2004<br />
weltweit auf 145 Milliarden Dollar. Davon waren 44<br />
Milliarden durch Versicherungen abgedeckt, was 2004<br />
zum teuersten Jahr in der Versicherungsgeschichte<br />
machte. Die Anzahl der Elementarschadensereignisse<br />
entsprach zwar mit 650 dem 10-Jahres-Schnitt, aber die<br />
Grosskatastrophen werden <strong>im</strong>mer teurer.<br />
http://www.munichre.com/de/reinsurance/magazine/topi<br />
cs_online/2011/01/topics_geo_natcat/default.aspx (Zugriff<br />
10.3.2011)<br />
6 United Nations Framework Convention on Cl<strong>im</strong>ate<br />
Change, http://unfccc.int (Zugriff 18.4.2011)
226 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Abb. 6: Kalkulierte <strong>und</strong> regional differenzierte<br />
Schäden in Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei<br />
einer angenommenen Kl<strong>im</strong>aerwärmung von<br />
2,5°C (Eigene Darstellung nach Nordhaus et al.<br />
(2000), 91).<br />
Das Bauwesen ist durch Kl<strong>im</strong>aschutzmaßnahmen<br />
in besonderem Maß betroffen. Einerseits<br />
tragen die Baustoffproduzenten<br />
maßgeblich zum globalen Ausstoß von Kohlendioxid<br />
bei. Die Zementproduktion ist mit<br />
5 Prozent des weltweit jährlich emittierten<br />
Kohlendioxids einer der größten anthropogenen<br />
Verursacher (World Business Council<br />
for Sustainable Development WBCSD<br />
2007). Andererseits wird Heizwärme <strong>im</strong><br />
heutigen Gebäudebestand vor allem durch<br />
die Verbrennung fossiler Energieträger erzeugt<br />
– mit entsprechend hohen CO 2 -Emissionen.<br />
In beiden Bereichen werden in Europa<br />
erhebliche Anstrengungen unternommen, die<br />
Emissionen zu senken. Bei der Wärmebereitstellung<br />
<strong>im</strong> Gebäudepark geht dies einher<br />
mit der Reduktion des Energieverbrauchs. In<br />
der Baustoffherstellung führt vor allem der<br />
Einsatz von alternativen Brenn- <strong>und</strong> Rohstoffen<br />
zu einer erheblichen Reduktion der<br />
Emissionen. Dies betrifft die Herstellung<br />
von Metallen ebenso wie die<br />
Zementherstellung.<br />
Herausforderung: Technische<br />
Entwicklung<br />
Spricht man in der Öffentlichkeit<br />
von Innovationen, werden<br />
diese selten in einem Atemzug<br />
mit der Bauwirtschaft genannt.<br />
Der Bau hat ein Image, bei dem<br />
eher Begriffe wie Low Tech<br />
oder gar No Tech assoziiert<br />
werden. Die Diskussionen innerhalb<br />
der Branche werden von<br />
der Kostenopt<strong>im</strong>ierung best<strong>im</strong>mt,<br />
Innovationen sind oft<br />
nur ein Randthema, was auch in<br />
den geringen Ausgaben <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> Entwicklung<br />
F&E zum Ausdruck<br />
kommt. Analysiert man die<br />
technische Entwicklung <strong>im</strong> zeitlichen Verlauf,<br />
sind aber sehr wohl zahlreiche Innovationen<br />
auszumachen.<br />
Baumaterialien<br />
Auf der Ebene der Materialien hat in allen<br />
Segmenten ein großer Fortschritt stattgef<strong>und</strong>en:<br />
zum Beispiel die Vielfalt an Stählen<br />
<strong>und</strong> Nicht-Eisen-Metallen, hoch legiert, ant<strong>im</strong>agnetisch,<br />
korrosionsbeständig mit hervorragenden<br />
statischen Eigenschaften bei geringen<br />
Querschnitten. Die Emissionen pro<br />
Tonne Stahl sinken, <strong>und</strong> die Recyclingquoten<br />
von Stählen <strong>und</strong> Nicht-Eisen-Metallen<br />
nehmen deutlich zu.<br />
Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei<br />
der Zementproduktion zu beobachten. Heutige<br />
Zemente bieten Planern <strong>und</strong> Bauherren<br />
eine Vielzahl von Eigenschaften <strong>und</strong> Anwendungsgebieten,<br />
bei zuverlässiger Materialbeständigkeit.<br />
Insbesondere <strong>im</strong> Bereich der<br />
Zuschlagstoffe be<strong>im</strong> Zement sind viele innovative<br />
Verbesserungen erreicht worden.<br />
Auch die Produktionsverfahren wurden opt<strong>im</strong>iert<br />
<strong>und</strong> der Klinkerfaktor pro Tonne Zement<br />
reduziert, sodass auch die ökologischen<br />
Folgen des sehr energieintensiven Brennprozesses<br />
in der Zementherstellung opt<strong>im</strong>iert<br />
werden konnten. Dazu hat maßgeblich der
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse 227<br />
Einsatz von alternativen Brennstoffen <strong>und</strong><br />
Rohmaterialien Alternative Fuels and Raw<br />
Materials AFR beigetragen, wobei die Zementindustrie<br />
<strong>im</strong> internationalen Vergleich<br />
dabei noch eine sehr breite Streuung in der<br />
Performance aufweist (World Business<br />
Council for Sustainable Development<br />
WBCSD 2007).<br />
Auch be<strong>im</strong> Bau- <strong>und</strong> Werkstoff Holz<br />
wurden in den letzten zwei Jahrzehnten <strong>im</strong>mense<br />
Fortschritte erzielt. Der moderne<br />
Baustoff Holz kann heute mit Attributen<br />
aufwarten, die vor Jahren nur den Wettbewerbsmaterialien<br />
zugesprochen wurden.<br />
Holz ist formbar, aber formstabil. Die neuen<br />
Technologien zur Holzverflüssigung erlauben<br />
eine Formgebungsvielfalt, die <strong>im</strong>mer<br />
weiter ausgebaut wird. Neue Bedampfungsverfahren<br />
mit natürlichen Ölen sollen perspektivisch<br />
auch Holzwerkstoffe witterungsbeständig<br />
machen, ohne dass sie mit Stoffen<br />
behandelt werden müssen, die eine anschließende<br />
Rückführung in den natürlichen Kreislauf<br />
verbieten <strong>und</strong> eine nur thermische Verwertung<br />
erlauben. Durch zahlreiche materialbedingte,<br />
aber auch konstruktive Lösungen<br />
konnte auch das Brandlastrisiko von<br />
Holzbaumaterialien deutlich reduziert bzw.<br />
sogar ganz eingedämmt werden.<br />
Gebäudetechnik<br />
Nicht zu vergessen sind auch innovative<br />
Entwicklungen in anderen Produktsegmenten<br />
des Bauwesens. Auf der Seite der Energieeffizienzsteigerung<br />
sind diverse Entwicklungen<br />
entstanden, die von innovativen<br />
Beleuchtungskonzepten über Tageslichtlenkungssysteme<br />
bis hin zu innovativen selbstlernenden<br />
Systemen <strong>im</strong> Bereich der Gebäudeautomation<br />
reichen, die zur Zeit noch eher<br />
<strong>im</strong> Nicht-Wohngebäudebereich anzutreffen<br />
sind.<br />
Diese effizienzbasierten Produkte ergänzen<br />
die bekannteren Technologien <strong>im</strong> Bereich<br />
der elektrischen oder thermischen<br />
Energieversorgung von Gebäuden, wie z.B.<br />
Photovoltaik, solarthermische Anlagen, diverse<br />
Wärmepumpenkonzepte etc., um<br />
Kühl- <strong>und</strong> Wärmelasten besser über den Tagesverlauf<br />
zu verteilen. Dadurch lässt sich<br />
auf der Energieversorgungsseite ein wichtiger<br />
Schritt in Richtung der vermehrten Nutzung<br />
von Erneuerbaren Energien unterstützen.<br />
Vermehrt sind in den sogenannten Smart<br />
Homes auch Technologien aus dem Bereich<br />
der Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologie<br />
vorzufinden. Zum Beispiel können<br />
diese Systeme als Alarmsysteme für ältere<br />
Menschen dienen, die nach einem Sturz einen<br />
Alarm auslösen oder auch die Belange<br />
der Objektsicherheit betreffen.<br />
In dieser Entwicklung fällt auf, dass das<br />
Thema der Nachhaltigkeit <strong>im</strong>mer häufiger in<br />
der Werbung für innovative Produkte <strong>und</strong><br />
Systeme verwendet wird. Dabei bleiben sie<br />
in der Regel den Nachweis schuldig, ob die<br />
angepriesene Verbesserung einer Produkteigenschaft<br />
nicht durch eine Verschlechterung<br />
anderer Produkteigenschaften erkauft wird.<br />
So kann z.B. die Reduktion des Energieverbrauchs<br />
mit dem Verbrauch kostbarer natürlicher<br />
Rohstoffe einhergehen – <strong>im</strong> ökologischen<br />
Sinn, d.h., dass sie seltene Rohstoffe<br />
einsetzen oder human- <strong>und</strong>/oder öko-toxisch<br />
wirkende Stoffe in ihrem Lebenszyklus freisetzen.<br />
Diese Produkte <strong>und</strong> Systeme genügen<br />
somit (noch) nicht unbedingt den Anforderungen<br />
an ein ökologisches oder sogar<br />
nachhaltiges Produktdesign.<br />
Die Marktdurchdringung innovativer<br />
Produkte <strong>und</strong> Systeme wird verzögert durch<br />
die nur langsam steigende Akzeptanz bei den<br />
Bauherren <strong>und</strong> Bautätigen. Oft verhindert<br />
eine rein auf Kostenopt<strong>im</strong>ierung ausgerichtete<br />
Handlungsweise <strong>im</strong> Bauwesen, dass diese<br />
Fortschritte <strong>und</strong> ökologischen Vorteile auch<br />
in der <strong>Praxis</strong> umgesetzt werden. Beispiele<br />
dafür sind:<br />
Aus Zeitgründen wird z. B. heute <strong>im</strong>mer<br />
noch von vielen Bauunternehmungen<br />
Portlandzement eingesetzt. Er wird<br />
schnell hart, weist aber höhere CO 2 -<br />
Emissionen pro Kubikmeter auf. Im Gegensatz<br />
dazu bindet der Kompositzement<br />
langsamer ab, dies aber mit geringeren<br />
CO 2 -Emissionen.
228 <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse<br />
Aus Kostengründen wird nicht ausreichend<br />
in die Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung der<br />
Mitarbeiter investiert.<br />
Aus Zeit- <strong>und</strong> Kostengründen wird in den<br />
frühen Planungsphasen zu wenig in<br />
Planerleistungen investiert, z. B. für die<br />
Entwicklung von innovativen Systemen.<br />
Innovationshemmend wirkt auch die asymmetrische<br />
Verteilung der Informationen zwischen<br />
Anbietern (Bautätigen) <strong>und</strong> Nachfragern<br />
(Bauherren <strong>und</strong> Nutzer). Die Nachfrager<br />
sind häufig nicht in der Lage, den Wert<br />
der angepriesenen Eigenschaften des Baustoffs,<br />
Bauteils oder Bauwerks einzuschätzen,<br />
der einer Erhöhung der Baukosten gegenüber<br />
steht. In vielen urbanen Räumen,<br />
v. a. auch in der Schweiz, ist außerdem die<br />
Nachfrage nach Wohnraum derart groß, dass<br />
sich die Anbietenden nicht durch besonders<br />
innovative Konzepte von der Konkurrenz<br />
abheben müssen. Eine nachhaltige technologische<br />
Entwicklung <strong>im</strong> Bauwesen sollte darauf<br />
abzielen, bauliche Konzepte zu realisieren,<br />
mit denen man die Bedürfnisse der<br />
heutigen <strong>und</strong> der zukünftigen Nutzer befriedigen<br />
kann. Eine Schlüsselfunktion haben<br />
dabei eine durchdachte Planung <strong>und</strong> ein guter<br />
Entwurf. Hier werden die Weichen für<br />
die spätere Performance eines Gebäudes gestellt.<br />
Ein guter Entwurf hat häufig das Potenzial,<br />
viele technologische Komponenten<br />
obsolet zu machen, da ihre Dienstleistungen<br />
gar nicht mehr erforderlich sind. Eine Rückbesinnung<br />
auf alte Tugenden großer Baumeister<br />
der Vergangenheit, z.B. durch die<br />
Berücksichtigung natürlicher Belüftungskonzepte,<br />
um Wärmelasten zu reduzieren,<br />
passiver Verschattungssysteme, höhengestaffelte<br />
Begrünung etc. in Kombination mit<br />
neuen Technologien sowie dem wichtigen<br />
Monitoring dieser Systeme könnte eine sinnvolle<br />
Kombination darstellen.<br />
Nachhaltiges <strong>Bauen</strong> findet zunächst<br />
<strong>im</strong> Kopf statt<br />
Nachhaltig <strong>Bauen</strong> heißt, Konzepte zu entwickeln<br />
<strong>und</strong> umzusetzen, um den <strong>Herausforderungen</strong><br />
gerecht zu werden, die vorhergehend<br />
beschrieben wurden. Diese Konzepte sind<br />
vielfältig. Sie reichen von der Rückbesinnung<br />
auf bewährte Gr<strong>und</strong>sätze der Baukunst<br />
bis zur Entwicklung von neuen Materialien<br />
<strong>und</strong> Technologien. Dauerhaftigkeit <strong>und</strong><br />
Wertbeständigkeit passen in ein Konzept<br />
Nachhaltigen <strong>Bauen</strong>s ebenso wie temporäre<br />
Bauwerke, die sich an aktuellen Bedürfnissen<br />
der Nutzer ausrichten <strong>und</strong> geplant «obsolet»<br />
werden. Eine solide Rendite wird ebenso<br />
als nachhaltig angesehen wie staatlich subventionierter<br />
Wohnungsbau. Im Konkreten<br />
ist Nachhaltigkeit teilweise schwer fassbar<br />
<strong>und</strong> läuft damit Gefahr, sich dem Vorwurf<br />
der Beliebigkeit auszusetzen.<br />
Dieser Beliebigkeit wird das Konzept des<br />
Nachhaltigen <strong>Bauen</strong>s entgegengesetzt.<br />
Gr<strong>und</strong>lage ist das Konzept der Nachhaltigen<br />
Entwicklung, die als zentrale Herausforderung<br />
unserer heutigen Gesellschaften verstanden<br />
wird. Dieses Konzept ist provozierend,<br />
unterstützt aber gleichzeitig Aushandlungsprozesse<br />
in wichtigen politischen <strong>und</strong><br />
gesellschaftlichen Fragen. Dessen Konsequenzen<br />
für die Baupraxis sind weitreichend.<br />
Nachhaltige Entwicklung fordert, dass<br />
sich die Planenden in ihren Entscheiden am<br />
gesamten Lebenszyklus der Bauwerke orientieren<br />
<strong>und</strong> Bauwerke als Systeme oder Elemente<br />
in größeren Systemen verstehen. Das<br />
Bauwerk selbst soll sich in seinen Funktionen<br />
den Menschen unterordnen. Nachhaltig<br />
<strong>Bauen</strong> bedeutet also eine neue Ausrichtung<br />
der Aufträge an die Entwerfenden <strong>und</strong> Planenden.<br />
Von zentraler Bedeutung ist dabei der<br />
Entwurf, denn eine Nachhaltige Entwicklung<br />
ist als Prozess der Suche nach Lösungen für<br />
die mittel- <strong>und</strong> langfristigen Probleme unserer<br />
Gesellschaft zu verstehen. Der Wert eines<br />
guten Entwurfs liegt aber nicht <strong>im</strong> daraus<br />
hervorgehenden Bauwerk, sondern in den<br />
Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnissen, die der<br />
Entwurf uns ermöglicht.<br />
Ebenso wichtig ist die Verantwortung<br />
des Planenden. In der Vorstellung einer<br />
Nachhaltigen Entwicklung ist es unabdingbar,<br />
dass wir Neues ausprobieren <strong>und</strong> damit<br />
auch Risiken eingehen. Wir sollten dies unterstützen<br />
<strong>und</strong> es ermöglichen, dass aus Er-
<strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>im</strong> <strong>nachhaltigen</strong> <strong>Bauen</strong> – <strong>Herausforderungen</strong>, Trends <strong>und</strong> Hindernisse 229<br />
folgen wie auch aus Fehlern gelernt wird.<br />
Dazu müssen aber erst die geeigneten Rahmenbedingungen<br />
geschaffen werden.<br />
Nachhaltiges <strong>Bauen</strong> findet also zunächst <strong>im</strong><br />
Kopf statt <strong>und</strong> verlangt vom Planenden ein<br />
erhebliches Abstraktions- <strong>und</strong> Vorstellungsvermögen<br />
<strong>und</strong> ebenso ein großes persönliches<br />
Engagement.<br />
Im Zusammenhang Nachhaltigen <strong>Bauen</strong>s<br />
bedeutet dies: Nicht nur Einzelprobleme studieren<br />
<strong>und</strong> für diese eine Lösung finden,<br />
sondern alle Fragen <strong>und</strong> Zusammenhänge<br />
analysieren <strong>und</strong> dann eine Lösung für die gesamte<br />
Problematik formulieren. Es geht dabei<br />
um Antworten auf die eingangs beschriebenen<br />
<strong>Herausforderungen</strong> in den D<strong>im</strong>ensionen<br />
Wirtschaftsstruktur, Kapitalmarkt,<br />
Infrastrukturentwicklung, demografische<br />
Entwicklung, Ressourcen, Kl<strong>im</strong>awandel,<br />
technische Entwicklung <strong>und</strong> andere<br />
mehr. Inzwischen haben wir unsere Unschuld<br />
verloren <strong>und</strong> ahnen, wie groß diese<br />
<strong>Herausforderungen</strong> sind. Die zu realisierende<br />
Lösung muss eine adäquate <strong>und</strong> umfassende<br />
Antwort auf die Summe aller Fragen <strong>und</strong><br />
Teilprobleme sein <strong>und</strong> darf keine Lösung eines<br />
Einzelproblems zulasten eines oder mehrerer<br />
oder sogar aller anderen darstellen. Ohne<br />
die Fähigkeit, mit dieser Komplexität<br />
umgehen zu können, kann der Anspruch,<br />
nachhaltig zu handeln <strong>und</strong> nachhaltig zu<br />
bauen, nicht erfüllt werden. 7<br />
Literatur<br />
B<strong>und</strong>esamt für Energie BFE: Schweizerische<br />
Gesamtenergiestatistik 2009. Bern, 2009<br />
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<strong>und</strong> Recycling 2007 <strong>im</strong> Überblick.<br />
Bern, 2008<br />
B<strong>und</strong>esamt für Statistik BFS: Materialaufwand<br />
der Schweiz. Umweltstatistik<br />
Schweiz Nr. 14. Neuchâtel, 2008<br />
7 Dieser Beitrag beruht auf den zentralen Aussagen des<br />
Buches von Wallbaum et al. 2011.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Statistik BFS: Demografisches<br />
Portrait der Schweiz. Neuchâtel,<br />
2009<br />
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2008<br />
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